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Full text of "Zeitschrift für Volkskunde"

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A 
ZEITSCHRIFT 

des 

Vereins  für  Volkskunde. 

Begründet  von  Karl  Weinhold. 


Unter   Mitwirkung    von    Johannes    Boiti 

herausgegeben 
von 

Fritz  Boehm. 


27.  Jahrgang. 


^^9 


Mit  10  Abbildungen   im  Text. 

BERLIN. 
BEHREND  &  C«. 

1917—1918. 


1917. 


Inhalt. 


Abhandlungen  und  grössere  Mitteilungen. 

Seite 

Gan^^a  til  frettar  (Fortsetzung  und  Schluss\     Von  Rudolf  Meissner     .  1  -  lo.  90-105 

Der  Komet  im  Volksglauben.     Von  Otto  Lauffer 13-35 

Bohnenlieder.     Von  Arthur  Kopp 35—  4[) 

Deutsclie  Märcheu    aus    dem  Nachlasse  der  Brüder  Grimm.     4.  Die  Prinzessin 

im    Sarge    und    die    Schildwache.     5.    Fürchten   lernen,     »i.    Sankt  Peters 

Mutter.     Von  Johannes  Holte 41)—  55 

Einige  Grundfragen    der  Kinderspielforschung.     1.    ('her  Wesen  und  Ursprung 

des  Spieles.  2.  Kind  und  Sprachspiel.  Von  Georg  Schläger  lOG— 121.  19'.>— 215 
Walther  in  Tegernsee,    ein  Exkurs    über  altdeutsche  Tischsitten.     Von  Edward 

Schröder 121-129 

Der  'Mückenkönig"  Walthers    von  der  Vogelweide.     Von  Eduard  Kück     .    .    .  129-184 

Max  Roediger  t-     Von  Johannes  Bolte    mit  Verzeichnis  seiner  Schriften)  .    .  1S5  -  196 

Ernst  Friedel  f.     Von  Georg  Minden 19<;  -  199 

Volksetymologie  und  Sagenbilduug.     Von  Wilhelm  Schoof 21(;-2.')2 

Kleine  Mitteilungen. 

Wurstbeltehi  und  Wurstreime  in  Sachsen.     Von  Gurt  Müller 55—  tlT 

Nachträge  zu  den  Personifikationen  von  Tag  und  Nacht.    Von  Georg  Polivka  (IS—  69 

Zu  Band  25,  314:  Ein  salomonisches  Urteil.     Von  Adolf  Jacoby 6!»-  70 

Zum  Dornröschen-Märchen.     Von  Ernst  Leumar.n  und  Johannes  Bolte      .    .  70 

,Die  Scheune  brenntl'  oder  die  sonderbaren  Namen.     Von  Johannes  Bolte  .  135  -141 
Deutsche    Volk.-lieder     aus     der    Dobrudscha    und    Südrussland.     Von    Arthur 

Byhan 141-146 

Zu  den  Totenkrouen.     Von  Marie  Andree-Eysu   (mit  2  Abbildungen")       .    .    .  146-148 
Das  Kind  im  Aberglauben    des  Isergebirges.     Von  Wilhelm  Müller-Rüd( 


dort 


148-150 


Bergische  Arbeitsreime  (Rufliedclien).     Von  Otto  Schell 150-1.5H 

Märkische  Berge  in  der  Sage.     Von  Rudolf  Schmidt 158—164 

Aus  dem  Jahre  1848.     Von  Käthe  v.  Jezewski •^*!*~^'5 

Litauische  Naturbeseelung.     Von  Johannes  Podszuweit •  165  —  167 

Nachtrag  zu  den  Bohnenliedern.     Von  Arthur  Kopp 167— KiS 

Der  König  von  Rom.     Von  Georg  Schläger 1G8 

Die  Sankt-Michaeli- Prozession    in    Gaissach.      Von    Hedwig   BuUer-Ho  efle  r 

(mit  2  Abbildungen 233—2.35 

Begnadigung  zum  Stricktragen  oder  zur  Heirat.  Von  Johannes  Bolte  .....  2.35-236 
Das  Hickelspiftl  in  Frankfurt  a.  M.  in  seiner  kriegsgemässen  Entwicklung.    Von 

Joseph  Dillmann  (mit  15  Abbildungen) 237-240 

Beiträge  zur  Volkskunde  Osteuropas,  2o.  Fluchbrief  gegen  Diebe.     21.  Weitere 

Beiträge  zum  modernen  Aber-  und  Zauberglauben:  moderne  Sagenbildung. 

Von  Raimund  Friedrich  Kaindl 240-245 

Zur  Völkerschlacht  am  Birkenbaum.     Von  Margarete  Rothbarth 245—247 

Zur  Literatur  der  Kriegsprophezeiungen.     Von  .Margarete  Rothbarth   ....  247—249 

Zu  Georg  Polivkas  (;0.  Geburtstag.     Von  Jiri  Horäk 249—250 

Arthur  Kopp  f.     Von  Johannes  Bolte -•'! 


Berichte  und  Bücheranzeigen. 

Seite 
K.  Khamm,  Ur/eitliclie  Hauernliofe  im  germanisch-slawischen  WaMgehiet,  ein 

Buchauszug.     Von  Victor  von  (ieramb    Schluss) 71—83.     252— 2G1 

Blau,    Böhmerwälder  Hausindustrie  und  Volkskunst    1:    Wald-  und  Holzarbeit 

(K.  Brunner       '-^^ 

Fchrle,  E.    Deutsche  Feste  und  VolksLräuche    F.  Boehm; 87—  88 

Friedel,  E.  und  Mielke,  li.    Landeskunde  der  Provinz  Brandenburg,  4.  Band: 

Die  Kultur    H.  Lohre      202-265 

Hofstaetter,  W.     Deutschkunde    F.  Boehm) 88—  8^^ 

Im'me,    Th.     Die    deutsche   Soldatensprache    der  Gegenwart    und    ihr  Humor 

(F.'  Boehm) 2*^6 

Maurizio.  A.     Die  Getreidenahrung  im  Wandel  der  Zeiten    E.  Hahni    ....  1G9 

Mausser,    0.       Deutsche    Soldatensprache,    ihr    Aufbau    und    ihre     Probleme 

(F.  Boehm) 260-267 

Meier,  J.     Volksliedstudien  (J.  Bolte) 267—268 

Schrijnen,  J.     Ncderlandsche  Volkskunde  (J.  Bulte)      170 

Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde,  20.  Jahrgang  (F.  Boehm        ...       84-87 
Stade,  W.     Die  Gespenstergeschichlen  des  Peta  Vatthu  (.F.  v.  Xegelein^    .    .     171—172 

Wilser,  L      Deutsche  Vorzeit  .S.  Feist)      172-17B 

Notizen  J.  Bendel,  J.  K.  Brechenmacher,  F.  Cumont,  J.  W.  P.  Drost, 
R.  Eckert,  G.  W.  Leibniz,  K.  Reiterer,  0.  Stiehl.  —  W.  Ahreus,  W.  Ahrens 
und  A.  Maass,  Berichte  aus  dem  Knopf-Museum,  H.  Beucker,  F.  zur  Bonsen, 
S.  Eitrem,  A.  Eliasberg,  M.  Haherlandt,  P.  M.  Huber,  Hummel,  A.  John, 
L.  Kümmel,  A.  von  Löwis  of  Menar,  A.  N  ,  F.  E.  Peiser,  J.  PeBch,  F.  Peter- 
lechner,  Quickborn-Bücher,  E.  Rosenmüller,  S.  Singer,  H.  Sohnrej,  J.  Schefte- 
lowitz,  K.  Spiess,  l^IOIXEIA  hrg.  von  F.  Boll,  H.  L.  Strack,  C.  W.  v.  Sjdow, 
J.  Thirring-VVaisbecker,  P.  Thomsen,  W.  St.  Vidüuas,  Volkstümliches  aus 
Graubünden,  K.  Weiuberger,  D.  Zorzut.  -  W.  Ahrens,  H.  Beckh,  M.  Böhme, 
F.  Boll,  Die  deutschen  Brüder,  H.  F.  Feilberg,  G.  Go3'ert  und  K.  Wolter, 
Heimatklänge,  A.  Heusler,  A.  Hilka,  G.  0.  Hylten-CavaUius  und  G.  Stepheus, 
A.  Ippel.  K.  Janson,  0.  L.  .liriczek,  S.  Konow,  P.  R.  Krause,  K.  Krohn, 
E  Lehmann,  J.  Lewalter,  F.  v.  d.  Lejen,  J.  Meier,  C.  Xörrenberg,  H. Patzig, 
R.  Petsch,  M.  Ramondt,  K.  Reuschcl,  H.  Rosen,  F.  Schwenn,  F.  Settcgast, 

K.  Wehrhan,  0.  Weise' 89-91.  173-182.     269-276 

Aus    den    Sitzungsberichten   des  Vereins  für  Volkskunde.     Von  Karl  Brunner 

91-95.     182-184.    277-2S2 
Gedenket    unserer    Glocken!     Aufruf     des    Verbandes     deutscher    Vereine    für 

Volkskunde -^ö-  96 

Berichtigung 282 

Register 283-288 


Ganga  til  frettar. 

Von  Rndolf  Meissner. 

W.  Mackeiizie  beschreibt  in  den  Transactions  of  tbe  Gaelic  Society 
of  Inverness  18,  97  eine  als  frlth  bezeichnete  Divinationshandlung,  die 
sich  auf  den  Hebriden  erhalten  hat.  Sie  wird  angewendet,  wenn  man 
über  das  Schicksal  eines  Abwesenden  Gewissheit  haben  will,  von  dem 
man  lange  nichts  gehört  hat,  oder  bei  Erkrankungen,  um  zu  erfahren, 
ob  die  Krankheit  durch  den  bösen  Blick,  durch  einen  Mann  oder 
eine  Frau  verursacht  ist,  ob  Genesung  oder  Tod  das  Ende  sein  wird  usw. 
Man  hat  dem  Zauber  einen  religiösen  Charakter  verliehen  und  gibt  an, 
dass  er  zuerst  von  der  hl.  Jungfrau  gebraucht  worden  sei,  als  sie  um  den 
verlorenen  Jesusknaben  besorgt  war  (Carmichael,  Carmina  Gadelica  2,  158). 
Ergänzende  Züge  füge  ich  ein  aus  Hendorson,  The  Norse  influence 
on  Celtic  Scotland  (Glasgow  1910)  S.  72,  und  dem  Aufsatz  von  A.  Goodrich- 
Freer  in  Folklore  Bd.  13  (S.  47 ff).  Die  Handlung  wird  am  besten  am 
ersten  Montag  des  Vierteljahres,  und  zwar  unmittelbar  vor  Sonnenaufgang 
vorgenommen.  Der  Seher  hat  sich  durch  Fasten  und  Gebet  vorzubereiten. 
Er  geht  mit  nackten  Füssen,  unbedecktem  Kopf  und  mit  geschlossenen 
Augen  aus  dem  Innern  des  Hauses  bis  zur  Schwelle  der  Tür.  Wenn  er 
dort  beim  Öffnen  der  Augen  irgend  etwas  sieht,  das  einem  Kreuze^) 
gleicht,  seien  es  auch  nur  zwei  kreuzweise  übereinander  liegende  Halme, 
so  ist  es  ein  Zeichen,  dass  der  Zauber  gelingen  wird.  Er  schreitet  dann 
(mit  der  Sonne,  dessil)  um  das  Haus,  indem  er  einen  Segen  spricht: 

/  go  forth  on  ihe  trade  of  Christ  — 

God  hefore  nie,  God  behind  ine, 

and   God  on   nnj  footsteps. 

The  Frith  that  Mari/  made  for  her  Son, 

ivhich  Bridget  hlew  through  her  puhn; 

and  as  she  got  a  true  response 

without  a  false  one, 

maij  I  behold  the  likeness  and  sinnlitude  of 
(hier    ist    der    Xame    der    Person   zu    nennen,    über  die    man  Gewissheit 

haben  will). 

1)  Das  Kreuz  <?ilt  auch  in  Deutschland  bei  einer  bestimmten  Art  des  Losens  als 
Gewährung:.  Man  wirft  fünf  Brotkügelclien  auf  den  Tisch;  lässt  sich  durch  Verlegen 
eints  einzigen  Kügelchcus  ein  Kreuz  bilden,  so  ist  die  Frage,  die  man  im  Sinne  hat, 
bejaht.     Wuttke,  Volksaberglaube  *  §  328. 

Zeilschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft  1.  1 


2  Meissner: 

\Vomi  der  Segen  o:esprochen  ist,  schaut  der  Seher  gerade  vor  sich 
through  the  loosely-closed  hand^  as  Mary  looked  through  the  hand  of  Brigid 
über  das  I^and  (oder  über  die  See,  was  als  schwieriger  gilt)  und  deutet 
nun  gewisse  Zeichen,  die  sich  seinem  Blick  darbieten. 

Ein  stehender  Mann  z.  B.  bedeutet,  dass  jemand  krank  war,  aber 
wieder  genesen  ist,  eine  stehende  Frau  dagegen  gilt  als  ein  sehr  böses 
Zeichen,  bedeutet  Tod  oder  einen  Unglücksfall,  daher  bekreuzigt  sicli  der 
Seher  oder  spricht  einen  für  diesen  Zweck  bestimmten  Abwehrsegen. 
Eine  Lerche  ist  günstig,  ebenso  eine  Taube,  Ente,  ein  Hund;  Krähen 
oder  Raben  sind  böse  Zeichen  usw. 

Das  Merkwürdige  aber  ist  nun,  dass  Ausnahmen  für  einzelne  Clans 
gemacht  werden.  So  bedeutet  z.  B.  eine  Katze  für  alle  anderen  schlimme 
Dinge;  aber  für  die  Mackintoshes,  Macphersons,  alle  Angehörigen  des 
Clans  Clattan  ist  sie  ein  gutes  Zeichen.  Ein  Schwein,  das  auf  den  Se- 
henden zukommt,  ist  ein  schlechtes  Zeichen,  läuft  es  fort  vom  Sehenden, 
so  ist  es  überhaupt  nicht  zu  beachten  —  für  die  Campbeils  bedeutet  es 
aber  in  jedem  Falle  etwas  Gutes. 

Es  liegt  nahe,  hier  an  die  Nachwirkung  totemistischer  Vorstellungen 
zu  denken,  indessen  werden  auch  Vorzeichen  anderer  Art  auf  einzelne 
Familien  eingeschränkt  (J.  G.  Campbell,  Witchcraft  and  Second  Sight. 
Glasgow  li)02  S.  110). 

Im  scliottischen  Hochland  wird  nach  Campbell  (Superstitions  of  the 
Highlands  and  Islands  of  Scotland.  Glasgow  1900  S.  259 fP.)  fridh  in  all- 
gemeinem Sinne  angewendet,  nämlich  für  jede  Handlung,  durch  die  der 
Ausgang  einer  Sache  erforscht,  auf  eine  aufgeworfene  Frage  Antwort 
gesucht  werden  kann,  z.  B.  auch  für  das  Losen.  Häufiger  als  fridh  soll 
deiichainn  für  diese  Befragung  gebraucht  werden.  Campbell  bespriclit  dann 
verschiedene  Arten  des  deuchain?i.  Die  folgende  stimmt  mit  der  oben 
mitgeteilten  Schilderung  ziemlich  überein: 

Der  Seher  geht  am  Neujahrstage  mit  geschlossenen  Augen  aus  dem 
Innern  des  Hauses  bis  zur  Tür,  öffnet  nun  die  Augen  und  sieht  sich  um. 
Die  Deutung  der  Dinge,  die  er  erblickt,  erfolgt  nach  bestimmten  Regeln. 
Ein  Mann  bedeutet  im  allgemeinen  Gutes  für  das  kommende  Jahr,  be- 
sonders ein  Reiter  in  lebhafter  Bewegung.  Ein  Weib  ist  stets  ein  un- 
günstiges Zeichen.  Ein  Mann,  der  gräbt,  bedeutet  Tod,  eine  Ente  oder 
Henne,  die  den  Kopf  unter  die  Flügel  steckt,  ist  ebenfalls  ein  Todes- 
zeichen. 

Eine  andere  Art  des  deuchainn  wird  nachts  auf  der  Spitze  eines  cairn 
oder  sonst  einer  Erhebung  vorgenommen,  die  kein  vierfüssiges  Tier  er- 
steigen kann.  Auch  hier  kommt  es  auf  die  Deutung  dessen  an,  was  man 
sieht  oder  was  dem  Fragenden  auf  dem  Heimwege  begegnet.  Das  er- 
innert an  die  nordische  ütiseta  und  an  Divinationsgebräuche,  die  uns 
aus  Deutschland  wohlbekannt  sind. 


Ganga  til  fi-ettar.  3 

Hendersoii  nimmt  au,  dass  die  von  ihm  als  fritli  bezeichnete  und 
geschilderte  Divinationshandlung  aus  Norwegen  stamme,  dass  ferner  frith 
•wie  das  schottische  frei,  freit  dem  norweg.  frett  entspreche. 

Schott,  frei,  freef,  freit  bezeichnet  a  siipersiifious  notion,  or  belief  ivith 
respect  fo  awj  action  or  event  as  a  good  or  a  had  omen,  a  superstitious  oh- 
sercance  or  practice.  a  charm.  Jamieson,  An  etym.  dictionary  of  the 
Scottish  language  2  (1880),  305.  Das  Wort  erscheint  in  gleicher  Be- 
deutung auch  in  nordengl.  Mundarten  und  in  Irland;  inittelenglisch: 
folud  widie-crafte  and  freie  and  eharmyng. 

Cursor  mundi  28  310.  Wright,  The  English  dialect  dict.  2,  491b; 
freit^  freie,  freet.  fr<iie^  frei^  a^iy/ihirnj  to  ivhich  supersiition  attaches,  a  super- 
■■■iiiiious  formuht  or  chxrm:  a  superstitious  obsercance  or  act  of  u-orsJiip. 
Murray  4,  530c.  Von  den  dort  gegebenen  Belegen  ist  die  aus  einem 
Werke  des  G.  Macdonald  angeführte  Stelle  der  Sinnesfärbung  wegen  be- 
achtenswert: /  dream  aboot  bim  )ahiles  sae  Ufelihe,  that  I  canna  beliece  Mm 
deid.     But  ihafs  a    freiis. 

Diesem  Worte  steht  in  der  Bedeutung  nahe  das  altengl.  freht:  auspiciis, 
frebtiim,  Rituale  eccl.  Dunelmensis  p.  97.  Verbot  alles  heidnischen  Wesens, 
leg.  Cnut.  bei  Liebcrmann,  Ges.  d.  Angelsachsen  1,  312:  an  blote  OiSCion 
fyrhie.  für  l>hie  die  var.  Mote,  so  auch  im  Quadripart.:  aut  in  sorie  vel  in 
flfrhie.  ()})pe  on  hloi  oppe  on  firhie  Northumbr.  Priestergesetz  (Ancient 
laws  and  Institutes  of  England  p.  419).  Hierzu  gehören  frihiere,  Wahrsager, 
frihtrung,  frihtrian  in  entsprechenden  Bedeutungen. 

Da  nord.  fri'ti,  \^\.  frctiir  auf  friht  zurückgeht,  kann  das  altengl.  freJd 
ihm  nicht  ohne  weiteres  gleichgesetzt  werden  (doch  s.  Torp,  Wortschatz 
<ler  germ.  Spracheinheit  S.  24G).  Ferner  können  die  angeführten  späteren 
englischen  Formen  wieder  nicht  als  Nachkommen  des  altengl.  frehi  ange- 
sehen werden,  sondern  nur  von  <lem  nord.  freit  aus  erklärt  werden.  Auch 
iiltengl.  frebi  ist  wohl  ein  aus  dem  nord.  stammendes  Tiohnwort,  auf- 
genommen in  einer  Zeit,  als  der  Guttural  noch  erhalten  war  (vgl.  Björkmaii, 
Scand.  loan-words  S.  173;  Kluge  in  Pauls  Grdr.^  1,  936). 

In  Grimms  Mythologie*  3,  23  wird  zu  nord.  frett  auf  das  seltsame, 
«inmal  bei  Notker  bezeugte  freläa  {Ephige?iia,  dia  Chalchas  in  friskinges 
■Ullis  mimigVcho  fr,'hia  Boethius  298,  13)  hingewiesen.  So  weit  auch  die 
Bedeutung  abzuliegen  scheint,  kann  dieses  frehia  nicht  von  ahd.  frehi, 
vieriiitm  getrennt  werden  (Graff  3,  817.  818).  Die  Länge  des  Stamm- 
vokals ist  durch  Notker  gesichert,  auch  durch  die  Schreibung  fraehtie  in 
Pa  198,  1  (neben  frehiigero  14,  13  uwd.  frehtigem  14,  15);  vgl.  Koegel,  Ker. 
Glossars.  17;  Schatz,  Altbayr.  Gr.  §  11.  Frehi  leitet  Kluge  von  got.  */m- 
aihis  ab  (Etym.  Wb.  unter  f rächt;  Möller,  Kuhns  Zeitschr.  24,  447);  vgl. 
Wilmauns,  D.  Gr.  P,  412;  Franck  —  van  Wijk,  Et.  Woordeub.  unter  vracht. 
frehfic  glossiert  sacer  Steinmeyer-Sievers  1,  244,  5,  bei  der  (Jlosse  infule, 
fra'hi/r  (1,  198.  1)  gehört  fnrhtic  zu  sacerdotalis  (vitia). 

1* 


4  Meissner: 

Die  beiden  letzten  Glossen  nähern  sich  schon  eher  der  Bedeutung  von 
frehta.  Wenn  die  Herleitung  des  Fem.  freht  von  fra-aihts  richtig  ist,  könnte 
man  sich  vielleicht  folgende  Entwicklung  denken  In  fra  liegt  ein  absondern- 
der, abtrennender  Sinn,  fra-aihts  würde  darnach  Sonderhabe,  Anteil  be- 
deuten können;  der  Übergang  zu  der  Bedeutung  meritum  ist  von  hier  aus- 
wohl  denkbar.  Das  germanische  Opfer  bezweckt  die  Vereinigung  des- 
Menschen mit  dem  Gott  durch  gemeinsame  Speise^).  Ein  Teil  des  Opfers, 
und  zwar  des  Blutes,  in  dem  das  Leben  steckt,  wird  den  Göttern  gegeben, 
alles  übrige  verzehren  die  Menschen.  So  schildern  uns  die  nordgermanischea 
Quellen  die  Opferhandlung.  Dass  mit  dem  für  die  Götter  bestimmten 
Blute  wiederum  die  Menschen  besprengt  werden,  bezeichnet  gleichfalls  die 
Vereinigung  der  Menschen  mit  dem  Gott.  Ebenso  nimmt  dann  im  weiteren 
Verlauf  des  Opferfestes  der  Gott  Anteil  am  Trank  durch  das  Minnetrinken. 
Das  Blut,  das  dem  Gott  zum  Genuss  auf  den  Altar  gestellt  wird,  heisst 
sein  'Anteir  (hlaut):  pat  var  pesskonar  blöd,  er  scefd  vdru  pau  kciketidi,  er 
godunum  var  förnat.  Eyrb.  s.  Kap.  4.  Es  ist  wohl  denkbar,  dass  auch 
freht  einmal  den  Gottesanteil  im  sakralen  Sinne  bezeichnet  hat.  Die- 
Ableitung  eines  Verbums  im  Sinne  von  opfern  und  eines  Ad},  frehtic.  sacer^ 
würde  sich  dann  leicht  erklären. 

Ob  es  lautgesetzlich  möglich  ist,  fiüth  vom  nord.  frett  abzuleiten 
kann  ich  nicht  beurteilen.  Aber  die  Entlehnung  dieses  Wortes  würde 
noch  nicht  beweisen,  dass  gerade  die  zu  Anfang  des  Aufsatzes  geschilderte 
Art  der  Divination  nordischen  Ursprungs  ist. 

Henderson  (a  a.  0.  S.  78)  nimmt  das  an,  obgleich  ihm  bekannt  ist^ 
dass  nord.  frett  eine  ganz  allgemeine  Bedeutung  hat:  this  species  of  divi- 
nation which  ice  owe  fo  the  Norse  is  by  no  vieans  extinct  in  the  Hebrides. 
Er  begnügt  sich  damit,  auf  vier  Stellen  der  Saga  hinzuweisen,  ohne  sie 
im  W^ortlaut  anzuführen: 

Brödir  retjndi  til  med  forneskju  hversu  ganga  myndi  orrostati,  en  svd 
gekk  frcttin  usw.  Njala  Kap.  157;  en  Sigurdr  gekk  til  frettar  vid  mödur  sina 
(um  deu  Ausgang  eines  bevorstehenden  Kampfes  zu  erfahren),  hon  var 
margkunnig  Orkn.  s.  Kap.  11.  Hier  ist  Hendersons  Ausdruck  (ichere  Sigurd 
practises  it)  durchaus  unpassend.  Die  Mutter,  nicht  Sigurd  practises  it. 
Diese  beiden  Stellen  siud  ja  überhaupt  für  die  Sache  ganz  belanglos.  Die 
nächste  (Forns.  19)  dagegen  gibt  ein  klareres  Bild;  es  ist  die  bekannte 
Schilderung  aus  der  V^atnsdoelasaga:  die  finnisclie  Seherin  sitzt  im  Hnuse 
des  lugjaldr  auf  hohem  Sessel,  die  Männer  treten  einzeln  heran,  um  sich 
weissagen  zu  lassen:    fimian  var  seit  hätt  ok  biiit  um  hana  vegliga:   pangat 


1)  Wie  König  Hakon  der  Gute  von  seinen  heidnischen  Bauern  gezwuugen  wird, 
sich  durch  Teilnahme  an  der  Opfermahlzeit  wieder  den  alten  Göttern  zu  erijcben,  wollen 
die  Langobarden  christliche  Gefangene  nötigen,  das  Opferfleisch  zu  geniessen  (quadra- 
ginta  rustici  a  Longohardis  capti  cariies  imniolaiitias  coinedere  compeUehantK>:  Gregor. 
Dial.  3,  27). 


Ganga  til  frettar.  5 

<j€ngu  menn  til  fretta,  hverr  vr  sinu  rümi,  ok  spurdu  at  orlogum  sinum.  Welche 
besondere  Zauberhandlung  die  Seherin  vorgenommen  hat,  um  ihr  Wissen 
zu  erlangen,  erfahren  wir  nicht.  In  der  letzten  bei  Henderson  angeführten 
Stelle  (Yngl.  s.  Kap.  18)  wird  erzählt,  dass  König  Dagr  opfert,  um  zu  er- 
fragen, was  mit  seinem  Sperling  geschehen  ist:  gekk  kann  pd  til  sonarblöts  til 
frettar  ok  fekk  pau  svo7',  at  sporr  ha7is  var  drepinn  ä  Vorva.  Diese  Stellen 
können,  wie  man  sieht,  unmöglich  zum  Beweise  dafür  angeführt  werden, 
<lass  die  Handlung  des  frith  norwegischen  Ursprungs  ist.  Mir  ist  aus  dem 
nordischen  Altertum  keine  Divinationshandlung  bekannt,  die  dem  frith 
unmittelbar  verglichen  werden  könnte,  frett  bezeichnet  ja  niemals  einen 
bestimmten  Vorgang  der  divinatio,  sondern  überhaupt  die  Einholung  einer 
-flurch  übernatürliche  Gewälir  gesicherten  Antwort,  mag  es  durch  Losung, 
<durch  seidr  oder  auf  eine  andere  Weise  geschehen^).  Ein  alter  Beleg  für 
die  Wendung  gaiiga  til  frettar  steht  in  der  Yellekla: 

flötta  gekk  til  frettar 
fein  ■  Njoiür  d  velli, 
draugr  qat  dolga  Sogu 
dagrcld  Hetsins  vd<Sa, 
ok  Jiahlbotfi  liildar 
liroegamma  sd  ramma; 
Tijr  vildi  sd  iyna 
teinlmtlar  fjor  Gauta. 

Skjaldodigtning  B  122,  30  (A  121)). 

Die  auf  der  Strophe  beruhende  Prosaerzählung  nimmt  an,  dass  der 
vor  kurzem  erst  getaufte  Hakon  ein  Opfer  veranstaltet  habe,  um  zu  er- 
fahren, ob  die  Zeit  für  den  Kampf  günstig  sei.  Bei  Snorri  (Heiraskr.  Ol. 
Tryggv.  Kap.  27)  und  Forum,  s.  1,  131  gibt  Odin  die  Antwort  durch  die 
zwei  laut  krächzenden  Raben:  gerdi  kann  pä  hlöt  mikit;  pd  kömu  par 
fljngandi  lirafnar  IL  ok  gidlu  hdtt;  J)d  pykkisk  jarl  vita,  at  Odinn  hefir  pegit 
■blötit  ok  pd  mwi  jarl  ha/a  dagrdd  til  at  herjask.  In  der  Fagrsk.  Kap.  15 
wird  die  frett  mit  dem  blötspdnn  vorgenommen,  abe?'  auch  hier  ist  das 
Erscheinen  der  Raben  das  Entscheidende:  fcelldi  liann  hlötspön  oc  vitradezk 
srd  sem  hann  shjlldl  hafa  dagrdd  at  heriazk  oc  hann  ser  pd  ramna  tvd 
hvarsso  gialla  or  fylgia  allt  lidinu  (das  Opfer  wird  auf  dem  Schiff  ver- 
anstaltet, in  den  beiden  andern  Quellen  auf  dem  Lande).  Man  denkt  hier 
an  die  Worte  des  Tacitus  bei  der  Schilderung  des  Lesens:  sin  ijer^nissum 
<;wenn  die  Lose  günstig  sind),  auspiciorum  adhuc  fides  exigitur.  Et  illud 
quidem  etiam  hie  notiim,  avium  coces  volatusque  interrogari  (Germ.  10).  Der 
Yerf.  der  Fagrsk.  hat  offenbar  teinn  in  V.  8  der  Strophe  als  blötspdim  auf- 
'gefasst.  Finnur  Jonsson,  Heimskr.  4,  83  verwirft  die  Konjektur  teinhlaxits 
fjqrvi  aus  metrischen  Gründen.     Indessen    scheint    es    mir    möglich,    auch 


1)  Christlich  gewendet  Postolas.   844:   siimir  furo   (zu  Johannes  Baptista)    til  ftrttn 
at  ßcinfia. 


(;  Meissner: 

ohne  Konjektur  die  kenning  auf  das  Opfer  oder  die  freu  zu  beziehen.  Ol> 
teinn  mit  hlotspann  gleichbedeutend  ist  (MüUenhofF  DAK.  5.  156)  oder 
der  teinn  dazu  dient,  die'  am  Opfer  Teilnehmenden  mit  Blut  zu  besprengen 
{hlauttemn  Heimskr.  Hak.  Gott.  Kap.  14;  Eyrb.  s.  Kap.  4),  bleibe  zunächst 
dahingestellt,  ieinlaut  könnte  sowohl  etwas  bezeichnen,  worauf  die  Los- 
stäbe geworfen  oder  gelegt  werden  {super  candidam  vestem  bei  TacitusX 
als  auch  das  Gefäss  oder  noch  besser  das  Blut  selbst,  in  das  der  Be- 
sprengungszweig  gesteckt  wird').  Dass  Snorri  nichts  von  der  Benutzung^ 
des  blötspdnn  sagt,  beweist  natürlich  nicht,  dass  er  angenommen  hat,  sie 
habe  in  diesem  Falle  nicht  stattgefunden.  Ebenso  ohne  Erwähnung  des- 
blötspdnn:  pann  vetr  fekk  higöJfr  at  hUti  mikhi  ok  gekk  tU  frettar  um  forlog  sm^ 
visadi  frettin  honum  til  Jslands  Forum,  s.  1,  239,  Eyrbyggjas.  Kaj).  4^ 
Landn.  193,  16  F.  J.,  vgl.  auch  Fornald.  s.  2,  8. 

Das  Wort  freit  im  Sinne  der  Einholung  einer  Autwort  mit  über- 
natürlicher Gewähr  gehört  weniger  der  poetisclien  Sprache  als  der  Prosa 
an.  In  der  Edda  kommt  es  nur  in  zwei  unechten  Strophen  der  Yegtams- 
kvida  vor  (Bugges  Ausg.  138).  Die  nach  4,6  eingeschobenen  Zeilen 
sind  höchstens  insofern  von  Interesse,  als  hier  gesagt  wird,  dass  der  Blick 
bei  der  Zauberhandlung  nach  Norden  gerichtet  ist  (leit  /  nordr,  vgl.:  ok- 
horfir  l>6  i  nordr,  Jarl  Hakon  beim  Gebet  Forum,  s.  11,  134.  Odin  wendet 
Runen  und  Zauberspruch  an,  um  die  Yölva  zu  wecken).  Auch  in  der 
skaldischen  Dichtung  ist  frett  nur  selten  belegt,  in  den  Hugsvinnsmal 
wird  es  an  einer  Stelle,  wo  die  Vorlage  von  der  Erforschung  der  Zukunft 
durcli  Losung  spricht,  verwendet: 

til  forlaga  sbina 

skalat  madr  freit  reka  65  Gering 

quid  Dens  iniendut,  noli  pcrquirere  sorte. 

Wenn  in  der  Prosa  frett  und  ganga  tu  frettar  in  Verbindung  mit  Opfer2) 
vorkommt,  erfolgt  die  gewünschte  Antwort  gewohnlich  durcli  den  blötspiinn.. 
Die  Formel  ist  fella  blötspdnn  oder  fella  spdn,  das  Substantiv  steht  immer 
im  Singular,  oder  blötspdnn  ist  Subjekt  zu  f aller,  feil  honum  fd  srd 
spdn?i,  seni  kann  niyndi  eigi  lengi  Ufa  Yngl.  s.  Kap.  38.  Bei  einer  Hungers- 
not: sipan  var  felldr  blötspdnn,  ok  gekk  svd  frettin,  at  eieji  mundi  fgrri  ko^na 
dr  d  Reidgotaland,  en  peim  sveini  vari  blötad,  er  crztr  cwri  Herv.  s.  Kap.  7. 
pd  feudi  Onmidr  blötspdn  til  at  kann  sh/ldi  verda  viss  hrern  tima  Eirekr  mundi 
til  fara  at  nema  dalinn  Landn.  188,  19  Finnur  Jonsson.    Mit  anschliessender 


1)  Ich  sehe  nachträglich,  dass  Finnur  Junssou  im  Lexicon  poeticum  (l'.dO  -  r.)16> 
laut   im  Sinne    von  hlod-hop  auffasst   und    die  Erklärung  von  ieinu  als  Schwert  verwirft. 

2)  Auf  das  mit  Opfer  verbundene  Loswerfeu  bei  den  Samländt  in  hat  schon  W.  Grimm 
(Runen  S.  305;  hingewiesen:  ir  hhitukirl  der  warf  zi)  haut  sin  löz  nach  ir  aide»  site:  ~a 
hant  er  hliUete  allez  mite  ein  quel:  Livl.  Reimchr.  4680.  Er  weissagt  ihnen  dann  Sieg 
über  die  Ordensbrüder.     (Vgl.:  in  viel  ril  dicke  wol  ir  spdn.     Livl.  Reimchr.  72o2.) 


Gauga  til  frettar.  7 

Auslosung  eines  zum  Opfertode  bestimmten:  Jjeir  feUdu  spän  til  bijijar,  ok 
feil  scö  at  Odinn  vildi  piggja  mann  at  Idutfalli  at  hanga  or  henium 
Gautrekss.  Kap.  7. 

In  welcher  Weise  die  in  den  angeführten  Stellen  erwälmte  fi-itt  vor- 
genommen wurde,  ist  aus  den  Berichten  nicht  zu  erkennen.  Beim  Losen, 
wie  es  Tacitus  beschreibt,  ist  das  Aufnehmen  der  Lose  durch  den  Inter- 
pretator  das  Entscheidende,  beim  Aufheben  werden  die  Götter  angerufen. 

Die  bezeichneten  surculi  werden  temere  ac  fortuito  auf  das  weisse 
Tuch  geworfen.  Der  sacerdos  cicitatis  oder  der  iiatcr  familias  ter  singulos 
tollif,  sublatos  secundum  impressum  ante  notam  interpretatur.  YAn  dem  tollere'^) 
entsprechendes  taka  upp  findet  sich  im  Nordischen  bei  der  Schilderung 
des  Auslesens,  wenn  die  Lose  mit  der  Marke  des  Eigentümers  versehen 
in  dem  Schoss  eines  Gewandes  durcheinander  geworfen  und  ein  oder 
mehrere  Lose  herausgenommen  werden  (menn  bdru  pä  Idutl  s/'na  i  skaift 
ok  tök  Jarlinn  tipp  Egilss.  Kap.  48;  zahlreiche  Belege  bei  Fritzner,  Ordbog  2, 
17  unter  hlutr).  Aber  die  typischen  Formeln  feil  scd  blötspdim,  var  felldr 
blötspünn,  felldu  blöl-tpdn,  die  sich  ausschliesslich  auf  die  Zukunfts- 
erforschung beziehen,  geben  uns  ein  Bild  der  Divinationshandlung,  das 
sich  wesentlich  von  der  Schilderung  des  Tacitus  unterscheidet.  Auch  im 
irischen  Ausdruck  für  das  Befragen  der  Lose,  die  aus  Eibenholz  ge- 
schnitten und  mit  Ogomzeichen  versehen  waren,  ist  das  AVerfen  der  Stäbe 
betont:  chrann-clmr,  the  act  of  custing  »"OOcZ  (Mac  Culloch,  The  religion  of 
the  ancient  Celts,  Edinburgh  1911,  S.  248  Anm.  2).  Will  man  sich  eine 
Vorstellung  von  der  im  Norden  beim  Opfer  geübten  Losung  machen, 
muss  man  zunächst  vomWortsinn  der  dafür  gebräuchlichen  Wendungen  aus- 
gehen. Die  Vorstellungen  des  Werfens  und  Fallens  werden  freilich  auch  beim 
Auslosen  festgehalten,  wo  zweifellos,  wenn  Stäbchen,  Holzstücke  gebraucht 
werden,  die  Entscheidung  auf  andere  Weise  erfolgt:  durch  Herausschütteln 
eines  Loses  aus  einem  Gefäss  u.  ä. ;  oder  durch  Ziehen.  So  ist  es  bei 
dem  nord.  hlutfall,  das  Auslosung  bezeichnet.  To  cast  kecils  in  der  von 
MüUenhoff  (Zur  Runenlehre  S.  37)  angeführten  Ballade  dient  zur  Aus- 
losung eines  unter  mehreren.  Die  kenls  sind  Holzstücke,  die  mit  Eigen- 
tümerzeichen versehen  sind  (vgl.  über  die  kacel  und  das  kaceln  Homeyer, 
Über  das  germanische  Losen  in  den  Berliner  Sitz.-Ber.  1858,  747ff.  und 
in  den  Symbolae  Bethmanno  Hollwegio  oblatae  1863,  S.  69).  Die  Ent- 
scheidung kann,  wenn  man  diese  Lose  verwendet,  natürlich  nieht. durch 
das  blosse  Hinwerfen  der  vorhandenen  Lose  herbeigeführt  werden.  Aber 
die  Wendungen  'das  Los  werfen',  'das  Los  fällt'  werden  auch  in  Deutsch- 
land schon  früh  ohne  bestimmte  Anschauung  gebraucht. 

1)  Ter  singulos  iollit  kaun  kaum  anders  aufgefasst  werdcu,  alt^:  er  uiiniut 
dreimal  zu  einem  auf,  d.  h.  dreimal  je  eiuen  Stab.  Die  Ausdeutung  kann  durch  eine 
nota  gegeben  werden,  aber  sie  wird  dreimal  wiederholt.  Zu  tollere  sort's  vgl.:  illa  .sacras 
ptieri  soties  ter  sustiilit.    Tib.  1,  :>,  11. 


8  Meissner; 

Dass  blöfspdtm  irniuer  im  Sing,  erscheint,  ist  auffallend.  Im  allge- 
meinen liat  man  sich  nicht  daran  gestossen  und  blötspdnn  collectiv  ge- 
nommen, so  dass  also  die  hlötspcvnir  den  surculi  des  Tacitus  gleichgestellt 
werden  konnten.  Es  gibt  eine  Stelle,  die  eine  andere  Erklärung  wenigstens 
erwägen  lässt:  pä  vöru  gervir  Jilutir  af  vhendamonniim  ok  felldr  blötspdnn 
til  (Herv.  s.  Kap.  6,  S.  325  Bugge).  Man  kann  diese  Stelle  so  auffassen, 
dass  die  hlutir  von  dem  einen  blötspdnn  unterschieden  werden.  Auch  die 
Mutir  sind  dabei  als  Späne  oder  Zweigstücke  zu  denken  (skera  hluti  Forum. 
s.  7,  140).  Der  blötspdnn  könnte  als  ein  besonders  bezeichneter,  bei  der 
vorhergehenden  Opferhandlung  geweihter  hlutr  aufgefasst  werden,  dem 
bei  der  Deutung  der  geworfenen  Lose  eine  entscheidende  Rolle  zufiel. 
Eine  Differenzierung  der  zur  Zukunftserforschung  verwendeten  Lose  ist 
ja  etwas  sehr  natürliches  und  vielfach  bezeugt. 

Aber  es  ist  fraglich,  ob  man  aus  dieser  Stelle  so  viel  herauslesen 
darf.  Sicher  scheint  mir  das  eine  zu  sein,  dass  das  Werfen  das  Ent- 
scheidende war.  Visendamenn  richten  die  Lose  her.  Das  mag  sich  auf 
die  Wahl  bestimmter  Holzarten  (arbor  fructifera  bei  Tac),  eher  wohl  auf 
die  Bezeichnung  der  Lose  mit  notae  beziehen. 

Eine  deutliche  Vorstellung,  wie  die  Losung  vorgenommen  wurde, 
können  wir  uns  nach  den  Angaben  der  Quellen  nicht  machen.  Es  ist  auch 
anzunehmen,  dass  es  verschiedene  Arten  der  Losung  je  nach  der  Frage- 
stellung gegeben  hat. 

Die  Rhabdomantie  ist  sehr  weit  verbreitet  und  wird  auf  sehr  ver- 
schiedene Weise  ausgeübt.  Geht  man  für  das  Nordische  vom  Zeugnis 
der  Sprache  aus  und  legt  das  Gewicht  auf  das  Werfen  und  Fallen  der 
Lose,  so  muss  man  annehmen,  dass  die  zufällige  Lage  der  gefallenen 
Lose  massgebend  war.  Das  hat  auch  Keyser  schon  erkannt  (Nordma?ndenes 
religionsforfatning  i  hedendommen  S.  148),  nur  meint  er,  dass  die  zu- 
fällig durch  die  geworfenen  Zweige  gebildeten  Runen  zeichen  als 
Grundlage  für  die  Deutung  gedient  hätten.  Es  erklärt  sich  leicht,  wie 
er  auf  diesen  Einfall  kommen  konnte.  Die  Auffassung  der  notae  des 
Tacitus  als  Runen,  die  im  Norden  bezeugte  Verwendung  der  Runen  zum 
Zauber,  die  bedeutsamen  Namen  einzelner  Runen  riefen  die  Vorstellung 
hervor,  dass  die  Runen  bei  der  Losung  unentbehrlich  seien.  —  Nun  ist 
aber  die  Deutung  nach  der  Lage  der  Lose  so  weit  verbreitet,  dass  es 
gar  nicht  wunderbar  erscheint,  sie  auch  bei  den  Germanen  wiederzufinden. 

W.  Grimm  (Über  deutsche  Runen  S.  305)  erwähnt  schon,  dass  die  Afgha- 
nen aus  der  zufälligen  Lage  von  Pfeilen,  die  aufs  Geratewohl  ausgeschüttet 
werden,  weissagen.  Von  den  Lolos:  the  deities  are  consulted  by  tossing 
isticks  in  the  air,  and  exainining  the  positions  into  which  theij  fall.  The 
Royal  Geograph.  Soc.  Suppl.  Papers  1  (1886j,  70.  Eine  Losung  mit 
drei  Stäben  (niu)  wird  von  Taylor  (New  Zealand  205)  geschildert.  Dabei 
steckt  der  Fragende  einen  Stab  in  die  Erde,    die  beiden    andern    werden 


Ganga  til  frettar.  9 

vor  ihn  liingeworfen,  die  Antwort  ergibt  sich  aus  der  Lage,  vgl.  Ratzel, 
Völkerkunde'  1,  300.  Ebenso  ist  es,  wenn  statt  der  Stäbe  Muscheln,  Steine, 
Kuochenstücke  angewendet  werden.  Die  gegenseitige  Stellung  geworfener 
Muscheln  wird  von  den  Bogos  ausgedeutet  (W.  Munzinger,  Sitten  und 
Recht  der  Bogos  S.  90).  Die  Piereros  werfen  das  Los  mit  kleinen  Steinen, 
die  von  den  Kundigen  überall  aufgelesen  werden  können.  Sie  schütteln 
die  Steinchen  auf  der  flachen  Hand  hin  und  her  und  deuten  die  so  ent- 
stehenden Stellungen  aus,  die  Aussprüche  beziehen  sich  dabei  nur  auf 
Geschehenes  (Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  4,  505).  Die  Betschuanen 
und  Basutos  bedienen  sich  zur  Erforschung  der  Zukunft  eines  Satzes  von 
zwei  aus  Hörn  verfertigten  Losstäben,  zweier  grösserer  und  15  kleinerer 
Knochenstücke.  Die  Lage  der  beiden  Lösstäbe  und  der  beiden  grösseren 
Knochenstücke  ist  dabei  von  besonderer  Wichtigkeit.  (Verl),  d.  Berl.  Ges. 
f.  Anthrop.,  Etlmol.  und  Urgesch.  1882,  542.) 

Bei  einer  von  Lichtenstein  (Reisen  im  südlichen  Afrika  2,  518)  ge- 
schilderten Losung  werden  nur  vier  aus  Antilopenklauen  verfertigte  Stücke 
verwendet,  aber  auch  hier  wird  die  durch  den  Wurf  entstandeno  Lage 
ausgedeutet. 

The  sorcerer  puts  hits  of  stick  and  pebbles  info  a  gourd,  shakes  them  up, 
and  tlü-ou's  them  out,  deduciny  his  aimcer  to  the  questions  put  from  their 
Position  as  theij  He  an  the  groiind.  A.  Werner,  The  natives  of  British 
Central  Africa  (London  1906)  S.  93.  Divination  is  a  function  peculiar  to 
the  priests,  and  is  usualhj  performed  hy  throwing  things  an  the  ground,  and 
drawing  inferences  from  the  position  in  which  theij  fall.  Ä  numher  of  short 
sticks  a  fem  inches  in  length,  er  of  pieces  of  knotted  cord,  or  a  handful  of 
coiories  or  nuts  are  the  articles  generali})  used.  A.  B.  Ellis,  The  Ewe-speaking 
peoples  of  the  Slave  Coast  of  West  Africa  (London  1890)  S.  96.  Eine 
gleiche  Art  der  Losung  (Beurteilung  nach  der  zufälligen  Lage  der  ge- 
worfenen Lose)  beschreibt  H.  Meyer,  Die  Barundi  (Leipzig  1916)  S.  133. 
Um  den  Ausgang  einer  Krankheit  zu  erfahren,  warf  man  in  Mexiko 
^laiakörner  auf  ein  weisses  Tuch  (super  candidain  resfem.  Tac.)  und 
deutete  die  Lage  der  Körner.     (Globus  1900,  89.) 

Die  Betschuanen  brauchen  für  die  Handhabung  der  Zauberwürfel 
den  Ausdruck:  einen  Fetisch  suchen.  (Verh.  d.  Berl.  Ges.  f.  Anthrop., 
Ethnol.  und  Urgeschichte  1882,  542  )  Fortgeschrittene  Denkweise  nimmt 
an,  dass  geistige  Wesen  den  Fall  der  Lose  lenken,  sie  in  bestimmte  Lage 
bringen.  Eine  primitivere  Vorstellung  verlegt  aber  die  geheimnisvolle  Kraft 
in  die  Lose  selbst,  die  Lose  fallen,  legen  sich  unabhängig  von  der  Ein- 
wirkung auderer  Wesen.  Das  Los  wird  zum  Fetisch*).  Nachwirkungen 
dieser    Vorstellungen    erhalten    sich    bis  in  die  Zeiten,    in  denen  man  im 

1)  Die  berühmten  bemalten  Kiesel  von  Mas  d'Azil  sind  vielleicht  solche  Lose  und 
Tetische.     Hoernes,  Urgeschichte  der  bildenden  Kunst  in  Europa  S.  G»)  1.  Aufl.). 


10  Meissner: 

Losen  und  dem  daraus  entstandeneu  AVürfeln  iiur  ein  Spiel  des  Zufalls 
sieht.  Ich  erinnere  micli  aus  meiner  Studentenzeit,  dass  man  beim 
'Knobeln'  durch  Behauchen  oder  Bespucken  der  Würfel  einen  günstigen 
Wurf  erzielen  konnte.  Im  Frankfurter  Passionsspiel  von  U'.Jo  reden  die 
Kriegskuechte,  die  um  den  Rock  Christi  würfeln,  den  Würfel^)  mit 'Herr' 
an,  z.  B. 

ivolan,  her  worffel^  was  kunt  ir  nu  ? 

(Froning-,  Drama  des  Mittelalters  2,  öl3.) 

Besonders  deutlich  tritt  die  Yorstelhmg,  dass  die  Antwort  gebende 
Kraft  im  Lose  selbst  steckt,  in  den  Divinationsgebräuchen  hervor,  bei 
denen  die  Lose  sich  von  selbst  bewegen.  Brand  (Populär  antiquities 
of  Great  Britain  3,  332  (1849)  gibt  die  Beschreibung  einer  solchen  Divi- 
nationshandlung  aus  Theophylact  ohne  nähere  Angabe.  Es  ist  Theo- 
phylactus,  der  Bischof  von  Ochrida  gemeint,  und  die  Stelle  steht  in  seinem 
Kommentar  zu  Hosea  4,  12  (Patrol.gr.  126,  643),  sie  ist  wörtlich  dem  Kom- 
mentar des  Cyrill  von  Alexandria  entnommen.  Aus  den  beiden  Stellen 
des  Alten  Testaments,  die  ein  Stab-  bzw.  Pfeilorakel  behandeln,  Ezeeh.  21,  26 
und  Hosea  4,  12,  ist  nicht  viel  zu  entnehmen,  aber  die  Erklärung,  die  Cyrill 
zur  Hoseastelle  gibt,  ist  interessant.  Kautzsch  übersetzt:  'Mein  A^olk  be- 
fragt sein  Stück  Holz  und  sein  Stab  gibt  ihm  Bescheid\,  Septuag.:  h 
ot'fißoAois  iJTijoo'ncoi'  xal  h  odßdoig  avrov  aTn'jyyeÄov  aho),  Vulg.:  populus  mens 
in  ligno  suo  inteirogavit  et  baculus  ejus  annuiUiaoit  ei.  Cyrill  beschreibt  die 
Divinationshandlung  folgendermassen:  ovo  yäo  lorävTFg  (jnßöoc^,  ihn  nra 
T(0}'  u.7roQQ)'jTC0v  Qi'Toig  xaTETiddovreg,  y.arnx/Jrtodai  :ia()foy.i-:v(uov  TaTg  ichy  <)w- 
lioruov  ivegyetaig  xai  JKJirovoag  ijrerijQOVv,  ojtoi  (f^Qon'To  .-ruir,  rn'neooy  Fvßr  i) 
ävömv,  e.ig  de^iov  i)  sig  ekovvjLiov  (Patrol.  gr.  71,  129).  Es  ist  für  unsere 
Zwecke  gleichgültig,  ob  Cyrill  wirklich  ein  jüdisches  Staborakel  dieser 
Art  gekannt  hat.  Ersonnen  ist  die  Beschreibung  nicht,  es  finden  sich 
analoge  Gebräuche  bei  verschiedenen  Yölkern.  Das  Wesentliche  bei  dieser 
Art  der  Losung  ist,  dass  die  Lose  spontan  in  Bewegung  geraten.  Cyrill 
schreibt  das  einer  von  aussen  auf  die  Lose  einwirkenden  Kraft  zu,  die 
ursprüngliche  Vorstellung  verlegt  den  Antrieb  zur  Bewegung  in  die  Lose 
selbst. 

Bei  den  Eingeborenen  von  Natal  wird  die  Divination  mit  drei  Stäben 
ausgeführt,  die  durch  Zauber  veranlasst  werden,  sich  zu  bewegen.  Oder 
Knöchel  werden  auf  die  Erde  geworfen  (die  einzelnen  Knöchel  sind  be- 
nannt als  Mensch,  Kuh,  Hund  usw.),  sie  antworten  durch  Bewegung  auf 
die  gestellten  Fragen.  (Callaway,  Journal  of  the  Anthrop.  Institute  1,  178.) 
Bewegung  als  ungünstiges  Zeichen:  another  ivay  is  fo  put  the  lots  in  a  jar^ 
Cover  it  up,   mid  leare  it  for  a   time,   if  theij  still  keep   fheir   relatire  positions 

1)  [Über  die  Vorstellung  des  Würfels  als  eines  dämonischen  Wesens  vgl.  (xrimm^ 
Mythologie  »  S.  84.  3,  2G9.    Wickram,  Werke  4,  277  V] 


Ganga  til  frettar.  1 1 

when  next  loohecl  at,  the  omens  ....  are  faoourable.  (A.  Werner,  The  natives 
of  British  Central- Africa  S.  93.)  Derselbe  Autor  beschreibt  ein  Ordeal, 
das  in  diesem  Zusammenhange  erwähnt  werden  darf,  weil  dabei  von  ge- 
haltenen Stäben  eine  bewegende  und  den  rechten  Weg  anweisende  Kraft 
ausgeht.  Wenn  ein  Diebstahl  verübt  ist,  werden  vi-er  junge  Leute  aus- 
gewählt und  je  zwei  bekommen  einen  Stab  zu  halten.  Dann  beginnt  der 
Zauberer  seine  Beschwörung,  die  jungen  Männer  geraten  in  Erregung, 
nach  dem  Glauben  der  Neger  durch  die  Kraft  der  Stäbe,  und  laufen 
schliesslich  zur  Hütte  des  Diebes.  S.  90ff.  Interessant  ist  folgende  Schil- 
derung eines  Pfeilorakels:  'Zu  Aleppo  sah  ich  einen  Mohammedaner,  der 
zwei  Personen  gegeneinander  über  auf  einen  auf  der  Erde  ausgebreiteten 
Teppich  niedersetzen  liess.  Er  gab  ihnen  vier  Pfeile  in  die  Hand,  die 
sie  gerade  mit  der  Spitze  unterwärts  hielten.  Wenn  nun  eine  Frage  über 
etwas,  was  man  zu  wissen  wünschte,  vorgelegt  wurde,  so  murmelte  er 
eine  Zauberformel,  wodurch  seinem  Vorgeben  nach  die  Pfeile  von  sich 
selbst,  ohne  einige  Bewegung  der  Personen,  die  sie  in  der  Hand  hielten^ 
mit  den  Spitzen  sich  in  der  Mitte  zusammenfügten,  und  je  nachdem  ein 
glücklicher  oder  unglücklicher  Erfolg  angezeigt  werden  sollte,  die  rechte 
Seite  sich  über  die  linke,  oder  die  linke  über  die  rechte  legte.'  (Della 
Valle  bei  Rosenmüller,  Altes  und  neues  Morgenland  4.  Ö35.)  Scholz, 
Komment,  zu  Hoseas  (Würzburg  1882)  S.  48  berichtet  von  einem  gleichen 
Orakel,  dessen  sich  die  Türken  bedienten,  um  den  Ausgang  eines  Feld- 
zuges gegen  die  Christen  zu  erfahren.  Zwei  Pfeile  bedeuteten  dabei  die 
Türken,  zwei  die  Ciiristen. 

Kehren  wir  nun  nach  dieser  Abschweifung  zur  nordischen  Losung 
zurück. 

Nimmt  man  an,  dass  die  Lage  der  geworfenen  Stäbe  das  Entscheidende 
war,  so  können  sie  deshalb  doch  mit  notae  versehen  gewesen  sein:  mit 
notae,  die  z.  B.  Glück,  Unglück,  Gefahr,  besondere  Ereignisse  aller  Art  be- 
zeichneten. Man  kann  sich  auch  denken,  dass  der  Befragende  selbst  durch 
einen  Stab  vertreten  war.  Dann  Hesse  sich  wohl  verstehen,  dass  der 
Deutende  aus  der  gegenseitigen  Lage  der  sinnvoll  bezeichneten  Stäbe 
eine  vielsagende  Antwort,  nicht  bloss  ein  Ja  oder  Nein  herauslesen  konnte. 

Vielfach  bezeugt  ist  ein  einfacheres  Wurfverfahren  bei  <ler  Khabdo- 
mantie,  wenn  es  sich  nur  darum  handelt,  eine  von  zwei  Antworten  zu 
erhalten.  So  wie  wir  durch  die  zwei  Seiten  einer  Münze  die  Entschei- 
dung treffen,  brauchte  man  Stäbchen,  die  auf  einer  Seite  mit  Rinde 
bekleidet,  auf  der  andern  abgeschält  waren:  die  Stäbchen  wurden  in  die 
Höhe  geworfen,  und  die  Antwort  erfolgte,  je  nachdem  sie  auf  die  eine 
oder  andere  Seite  niederfielen.  Diese  Art  von  Losung  kam  im  Mittelalter 
bei  den  Juden  vor.  (Hastings,  Encyclopnedia  of  Religion  and  Ethics  4,  810a.) 
Aus  Gera  ist  folgendes  Verfahren  bezeugt:  Man  schüttelte  drei  Stäbe,  die 
auf  der  einen  Seite  weiss,    auf  der  anderen  schwarz  waren:    kamen  mehr 


1  '2  Meissner : 

Moisae  Seiten  uacli  obeü,  bedeutete  es  Glück,  das  Gegenteil  Unglück. 
(Wuttke,  Yolksaberglaube  ^  §344.)  Vgl.:  siquidem  tribus  ligni  particulü, 
parte  altera  albis,  altera  nigris,  in  gremium  sortinm  loco  conjectis,  candidis 
2?rospera,  furvis  adoersa  signahant^  Saxo  p.  827  (Die  Slaven  in  Rügen). 
Auf  den  Altären  chinesischer  Tempel  liegen  halbkreisförmige  Holzstücke, 
die  man  in  die  Luft  wirft,  wenn  mau  eine  Frage  beantwortet  haben  will. 
Man  beobachtet  dann,  mit  welcher  Seite  sie  auffallen.  (A.  Bastian.  Die 
Völker  des  östlichen  Asiens  3,  76.) 

Bei  den  Friesen  und  Angelsachsen  bezeichnet  das  dem  nordischen 
teinn  entsprechende  Wort  das  Los:  quae  sortes  tales  esse  debent:  duo  tali  de 
virga  praecisae.  quos  tenos  cocant.  Lex  Fris.  XIV,  \.  Leton  liim  pa  be- 
tweonum  taan  vnsian  ....  hluion  heller aftuvi.,  Juedengildum  ....  Jia  se  tan 
(lehvearf  ofer  ti-nne  ealdgesida  Andreas  1099 ff.  Mit  tan  wird  in  der  nord- 
humbrischen  Interlinearversion  der  Evangelien  sors  wiedergegeben  (Matth. 
27,35,  Mot  vel  tan  Joh.  19,24).  Im  Sinne  von  Loszweig  ist  teinn  am 
Anfang  der  Hymiskvida  zu  verstehen.  Die  Götter  nehmen  die  freit  auf 
zweifache  Weise  vor,  es  ist  aber  durchaus  nicht  gesagt,  dass  es  in  der 
Reihenfolge  geschieht,  wie  die  Verse  angeben:  liristo  teina  oc  ä  Iduut  sä. 
Das  Gegenteil  vielmehr  ist  wahrscheinlich.  Zum  Gebrauch  des  Hysteron- 
ju'oteron  vgl.  Detter-Heinzel  zu  Vspa  7,  3 — 8.  Aus  dem  hristo  geht  deut- 
lich hervor,  dass  es  auf  den  Wurf  und  die  dadurch  hervorgebrachte  Lage 
der  Loszweige  ankam.  Die  Lose  werden  geschüttelt,  weil  sie  vor  dem 
Wurf  durcheinander  gebracht  werden  sollen.  Sie  müssen  sich  also  in 
einem  Behälter  befinden.  Bei  den  Arabern  hat  sich  aus  dem  Stab-  oder 
Pfeilorakel  (bei  dem  neben  dem  Ziehen  des  Loses  auch  der  Wurf  bezeugt 
ist;  Koran  Sur.  3,  39  verblasst  vom  Auslosen)  das  eigentümliche  Meisir- 
spiel  entwickelt;  hierbei  ist  oft  von  dem  Schütteln  der  Lospfeile  (Pfeile 
ohne  Spitze)  die  Rede,  die  Pfeile  befinden  sicli  dabei  in  der  Ribäba, 
einem  köcherartigen  Behälter.  Die  Pfeile,  die  alle  besondere  Namen  haben 
und  bezeichnet  sind,  werden  allerdings  dann  nicht  geworfen,  sondern 
unter  einem  über  die  Ribäba  gedeckten  Tuche  gezogen.  Über  das  Pfeil- 
orakel der  Araber  und  das  Meisirspiel  vgl.  Wellhausen,  Reste  arabischen 
Heidentums  ^  S.  132;  Jacob,  Altarabisches  Beduinenleben  ^  S.  110;  A.  Huber, 
Über  das  Meisir  genannte  Spiel  der  Araber  (Leipz.  Diss.  1883)  S.  44. 

Neben  der  Losung  wird  in  der  Hymiskvida  die  Beschauung  des  Opfer- 
blutes erwähnt  {ä  klaut  sä),  wie  sie  in  der  bekannten  Stelle  des  Strabo  (294) 
von  den  kimbrischen  Frauen  vorgenommen  wird:  h.  de  tov  jiQoy/ofuvov 
ai'uaxo;  ei;  tov  ^oar^/o«  juarTeiar  nvu  enoiovvro.  Auch  die  Litaaer  benutzten 
das  Blut  des  Opfers  zur  Divination.  v-  Mierzynski,  Der  Eid  des  Keistutis 
(Sitzungsberichte  der  Prussia  18,  104.     Königsberg  1893). 

Die  teinar  der  Hymiskvida  sind,  wie  der  Zusammenhang  ergibt,  Los- 
zweige oder  -Stäbe,  sie  sind  nicht  mit  dem  hlautteinn  zu  verwechseln. 
Von  diesen  erfahren  wir  lediglich   etwas    durch    die    beiden    schon    oben 


Ganga  til  frettar,  13 

zitierten  Stellen,  Heimskr.  Hak.  göd.  Kap.  14;  Eyrb.  s.  Kap.  4.  Diese  beiden 
Schilderungen  stimmen  in  dem  Vergleich  des  hlautteinn  mit  einem  stgkkuU,  d.h. 
mit  dem  Weihwedel  überein,  nur  dass  die  Eyrb.  s.  von  einem  hlmitteinny 
Snorri  von  mehreren  spricht:  hlautteinar,  pat  var  sva  gort  sem  stoklar  (Sn.), 
hlautteinn  sem  stokkuU  cari  (Eyrb.  s.).  Sieht  man  aber  näher  zu,  so  ist  zu 
beachten,  dass  Snorri  auch  von  hlauthoUar  spricht,  die  Saga  aber  von 
einem,  Snorri  von  mehreren  Altären,  die  mit  dem  Blut  besprengt  wurden, 
die  Saga  nur  von  einem.  Dass  die  Schilderung  der  Saga  nicht  lediglich 
aus  Snorri  stammen  kann,  ist  sicher  (Finnur  Jonsson  [Aarb.  1909]  S.  260; 
Thümmel,  Beitr.  45,  63).  Nun  steht  aber  der  Vergleich  mit  einem  Gegen- 
stand des  christlichen  Ritus  (stokkull,  Eoreniugen  til  norske  fortids 
mind.  bevaring.  Aarsber.  1910,  27)  bei  Snorri  vereinzelt,  in  der  Saga 
finden  sich  aber  noch  zwei  andere  entsprechende  Vergleiche:  i  pd  liking 
$em  nü  er  songhiis  i  kirkjum;  sem  altari.  Bisher  nahm  man  an,  dass  gerade 
der  hlautbolli  und  der  Idautteinn  und  der  Vergleich  mit  dem  stokkull  aus 
Snorri  stammen  (Pinnur  Jonsson,  Arbok  hins  i'sl.  fornl.  fei.  1898,30).  Es 
ist  aber  doch  wahrscheinlich,  dass  die  Saga  die  drei  A^ergleiche  derselben 
Quelle  entnahm.  Daraus  würde  der  Schluss  zu  ziehen  sein,  dass  die  Saga 
überhaupt  nicht  auf  Snorri  zurückgeht. 

Jedenfalls  zeigt  diese  Schilderung,  dass  im  hlautbolli  sich  nur  ein 
hlautteinn  befand;  wenn  er  zum  Besprengen  diente  und  dem  Weihwedel 
verglichen  werden  konnte,  so  kann  er  nur  ein  lebendiger  Zweig  oder  ein 
Zweigbüschel  gewesen  sein;  und  da  die  Beschreibung  nichts  von  einer 
Verwendung  zum  Losen  sagt,  haben  wir  auch  kein  Recht,  eine  solche 
anzunehmen  Dem  hlautteinn  gleichzustellen  ist  hlautvidr  in  der  Vol.  63: 
pd  knd  Hcenir  hlautvip  kjösa  (nach  R.).  Hoenir  übernimmt  den  Tempel- 
dienst in  der  neuen  Welt  und  wählt  den  heiligen  Zweig  aus  für  den  sfallr. 

(Schluss  folgt.) 


Der  Komet  im  Volksglauben. 

Von  Otto  Lauffer. 

Es  war  in  den  Jahren  1816  bis  1821,  als  Joh.  Georg  Rist,  der  seit 
1803  kgl.  dänischer  Geschäftsträger  in  St.  Petersburg,  Madrid  und  London, 
dann  von  1808  bis  1813  Geschäftsträger  und  später  Generalkonsul  Däne- 
marks in  Hamburg  gewesen  war,  seine  prächtigen  und  gedankenvollen 
Lebenserinnerungen  schrieb,  die  zu  den  künstlerisch  feinsten  und  kultur- 
geschichtlich inhaltvollsten  unter  den  deutschen  Memoirenwerken  zu 
zählen  sind. 


14  Lauffer; 

J)ort  fiiuli'ii  ^vir  zum  Jahre  1811  folgende  Benierkiiiig:  „Am  Himmel 
stand  damals  der  schöne  Komet,  der  durch  seinen  freundlichen  Schein, 
mehr  eine  gute  als  eine  schlimme  Vorbedeutung,  die  Nächte  zierte".  Rist 
zeigt  sich  hier  also  gegenüber  dem  erwähnten  Himmelszeichen  scheinbar 
ganz  unbefangen.  Dann  aber,  nachdem  er  die  politische  Lage  der  Zeit 
geschildert  hat.  fährt  er  fort:  „Die  Zeichen  der  Zeit  standen  also  zum 
Kriege.  Der  Komet  wies  nach  Nordosten,  und  wir  erwogen  unablässig  das 
Für  und  Wider  des  grossen  Kampfes,  der  unvermeidlich  schien"^). 

AVir  staunen,  denn  aus  diesen  Worten  Rists  scheint  doch  hervorzu- 
«•ehen,  dass  auch  er  selbst,  dieser  welterfahrene,  hochgebildete  Mann,  mit- 
samt seiner  Umgebung  noch  immer  uraltem  Glauben  gemäss  geneigt  war, 
nicht  nur  den  Kometen  an  und  für  sich  als  drohendes  Vorzeichen  für  den 
Krieg  anzusehen,  sondern  dass  er  darüber  hinaus  aus  der  Richtung  des 
Kometen  am  Himmel  auch  auf  die  Richtung  des  bevorstehenden  Krieges 
glaubte  seine  Schlüsse  ziehen  zu  sollen. 

Nach  diesem  einen  Beispiel  zu  urteilen,  musste  sich  denn  wohl  auch 
aus  den  gebildeten  Kreisen  gar  mancher  mehr,  als  wir  heute  annehmen, 
getroffen  fühlen,  wenn  er  in  Goethes  Spottgedicht  'Drohende  Zeichen' 
die  A'erse  las: 

Tritt  in  reclit  vollem  klarem  Schein 

Frau  Venus  am  Abendhimmcl  herein, 

Oder  dass  blutrot  ein  Komet 

Gar  rutengleich  durch  Sterne  steht; 

Der  Philister  springt  zur  Türe  heraus: 

„Der  Stern  steht  über  meinem  Haus! 

0  weh!  Das  ist  mir  zu  verfänglich!" 

Da  ruft  er  seinem  Nachbar  bänglich: 

„Ach  seht,  was  mir  ein  Zeichen  dräut! 

Das  gilt  fürwahr  uns  arme  Leut'! 

Meine  Mutler  liegt  am  bösen  Keuch, 

Mein  Kind  am  Wind  und  schwerer  Seuch', 

Meine  Frau,  furcht  ich,  will  auch  erkranken, 

Sie  thät  schon  seit  acht  Tag  nicht  zanken; 

Und  andre  Dinge  nach  Bericht! 

Ich  furcht,  es  kommt  das  jüngste  Gericht." 

Die  Gedankenwelt,  in  die  wir  hier  einen  Blick  tun,  geht  in  ihren 
Anfängen  weit  zurück.  Sie  knüpft  an  die  orientalisch-astrologischen  Vor- 
stellungen an,  die  in  der  Zeit  des  Hellenismus  von  Babylonien  aufge- 
nommen wurden  und  die  dann,  in  die  Kultur  des  Abendlandes  fortge- 
pflanzt, bis  zum  Ausgang  der  Renaissance  so  sehr  in  Kraft  geblieben  sind, 
dass  selbst  die  Papstkröntingen  noch  im  16.  Jahrhundert  von  dem  Stern 
der  Stunde  abhängig  gemacht  wurden. 


1)  Gekürzte   Ausgabe  in   der  'Hamburgisclien  Hausbibliotliek'   T— II.     1908,     2,  121 
u.  125 


Der  Komet  im  Volksglauben.  15 

Bekanntlich  wurde  in  den  Lehren  der  Astrologie  den  Planeten  eine 
belierrschende  Rolle  zugewiesen.  Sie  sind  die  Wandelsterne.  Sie  haben 
ihre  selbständige  Bewegung  gegenüber  dem  Fixsternhimmel,  und  mit  den 
seltener  erscheinenden  Kometen  ist  es  ebenso.  iVber  gerade  mit  der  Be- 
urteilung der  Kometen  steht  es  sehr  merkwürdig. 

Bei  den  Griechen  hatte  schon  im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  Apollonius  und  nach 
ihm  in  Rom  Seneca  gelehrt,  dass  die  Kometen  Gestirne  seien.  Aristoteles 
dagegen  hielt  die  Kometen  für  Dünste,  die  sich  in  der  Atmosphäre  ent- 
zünden und  dann  verlöschen.  Ihm  folgte  Plinius,  der  sie  zugleich  für 
vorbedeutend  erklärte  und  ihnen  je  nach  ihrer  Form  und  Farbe  eine  be- 
sondere Bedeutung  zuschrieb^).  Diese  irrige  Lehre  ist  es  dann  gewesen, 
die  die  Jahrhunderte  hindurch  die  astronomischen  Vorstellungen  des  Abend- 
landes beherrsclit  hat  und  die  im  volkstümlichen  Glauben  der  Völker  noch 
heute  fortlebt. 

An  der  Hand  von  einzelnen  Belegen  die  grosse  Verbreitung  dieses 
Kometenglaubens  durch  die  Jahrhunderte  zu  verfolgen,  soll  —  wenn 
auch  durchaus  noch  nicht  in  erschöpfender  Weise  —  im  folgenden  ver- 
sucht werden. 

Dabei  kommt  es  liier  zunächst  im  wesentlichen  nur  auf  die  deutschen 
Vorhältnisse  an.  Die  Erscheinungen  der  antiken  Kultur  in  ihrer  Ver- 
mittlerrolle können  daher  hier  nur  gestreift  werden.  Ausser  den  schon 
genannten  literarischen  Quellen  mag  noch  darauf  verwiesen  werden,  dass 
die  ominöse  Bedeutung  des  Kometen  offenbar  den  Anlass  dazu  gegeben 
hat,  dass  er  auf  einer  Münze  des  1.  Jahrh.  v.  Cin-.  aus  Cäsarea  in  Kappa- 
dozien  beiderseits  dargestellt  ist  und  dass  auf  einem  römischen  Denar 
des  Augustus  <ler  Komet  sich  abgebildet  iindet,  der  nach  Caesars  Tode 
erschienen  war.  Wir  werden  noch  sehen,  dass  die  Kometen  auch  im 
Mittelalter  und  später  immer  wieder  zum  Tode  von  Fürsten  in  Beziehung 
gebracht  sind").  Auch  auf  antiken  Amphorenstempeln  sollen  sich  Kometen- 
bilder gelegentlich  finden. 

Am  bekanntesten  aus  der  klassischen  Literatur  ist  wohl  eine  Stelle, 
die  zwar  nicht  von  einem  Kometen,  aber  von  einer  in  der  Ausdeutung 
ihm  ähnlich  behandelten  Sternschnuppe  spricht.  Sie  findet  sich  in  Vergils 
Aeneis  II,  691  ff.  Vorauf  geht  das  Gebet  des  Anchises,  dass  die  Götter 
ihm  ein  Zeichen  senden  möchten,  und  der  Dichter  fährt  dann  weiter  fort: 

Vix  ea  fatus  erat  senior,  subitoque  fragore 
Intonuit  laevum,  et  de  caelo  lapsa  per  umbras 


1)  R.  Wolf,  Handbuch  der  Astronomie,  ihrer  Geschichte  und  Literatur  (Zürich  1890) 
1,  573  ff. 

'2)  F.  S.  Archenhold,  Kometen,  Weltuntergangsprophezeiungen  und  der  Hallejsche 
Komet  (Treptow-Berlin  1910)  S.  48.  —  Da  ich  diese  Zeilen  als  Soldat  niederschreibe,  so 
sind  mir  die  Arbeiten  von  W.  Schwartz,  Die  poetischen  Jfaturan schauungen  der  Griechen, 
Römer  und  Deutschen  in  ihrer  Beziehung  zur  Mythologie  und  von  Erwin  Pfeiifer, 
Studien  lum  antiken  Sternglauben  Leipzig,  Teubner  1914;,  zurzeit  nicht  mehr  erreichbar. 


k; 


La  uff  er: 


Stella  facem  ducens  multa  cum  luce  cucurrit 
lllam  summa  super  labentem  culmina  tecti 
Cernimus  Idaea  claram  se  condere  silva 
Signantem  vias;  tum  longo  limite  sulcus 
Dat  lucera,  et  lata  circum  loea  sulfure  fumant. 

Durch  Schillers  Übersetzung  ist  diese  Stelle  auch  in  die  deutsche 
Literatur  übergegangen.  Es  sei  daher  erlaubt,  auch  seine  entsprechenden 
Worte  (Die  Zerstörung  Trojas  v.  117)  hier  anzuführen: 

Er  spricht  es,  und  zur  Linken  kracht 

Ein  lauter  Donnerschlag      In  schönem  Strahlenbogen 

Kommt  durch  die  weit  erhellte  Nacht 

Ein  funkelndes  Gestirn  geflogen; 

Li  unserm  Zenith  stieg  es  auf  und  zog 

Die  Silberfurche  hin  nach  Idas  Triften, 

Den  Weg  uns  zeigend,  den  es  flog; 

Die  ganze  Gegend  raucht  von  Schvvefeldüften. 

Ich  erwähne  diese  Stelle  besonders  deshalb,  weil  hier  die  Flugrichtung 
des  Gestirns  ähnlich  wie  bei  Rist  die  Schweifrichtung  des  Kometen  als 
vorbedeutend  angesehen  wird. 

Die  Aufnahme  der  antiken  Anschauungen  über  die  Vorbedeutung  der 
Kometen  in  die  mittelalterliche  Yorstellungswelt  konnte  um  so  weniger  auf 
Schwierigkeiten  stossen,  als  auch  die  Bibel,  und  zwar  gerade  das  Neue 
Testament  diese  Anschauungen  stützte.  Für  die  christliche  Überzeugung 
trat  es  in  den  Hintergrund,  wenn  Jeremias  10,  2  sagt:  „Ihr  sollet  den  AVeg 
der  Heiden  nicht  lernen  und  vor  den  Zeichen  des  Himmels  nicht  er- 
schrecken, denn  die  Heiden  fürchten  solche."  Viel  wichtiger  war  es  für 
die  Gläubigen,  wenn  von  Jesus  selbst  bei  Lucas  21,  11  berichtet  wird, 
dass  er  als  Vorzeichen  für  die  Zerstörung  Jerusalems  geweissagt  habe: 
„Es  werden  geschehen  grosse  Erdbebungen  hin  und  wieder,  teure  Zeit 
und  Pestilenz;  auch  werden  Schrecknisse  und  grosse  Zeichen  vom  Himmel 
geschehen."  Und  ähnlich  sind  Jesu  Worte  vom  Ende  der  Welt  bei 
Lucas  21,  25:  „Es  werden  Zeichen  geschehen  an  der  Sonne  und  Mond 
und  Sternen;  und  auf  Erden  wird  den  Leuten  bange  sein  und  werden 
zagen."  War  das  nicht  der  beste  Beweis  dafür,  dass  die  Himmelserschei- 
nungen als  Vorzeichen  für  irdische  Geschehnisse  anzusehen  seien? 

Mit  Angst  und  mit  Schrecken  hat  das  Mittelalter  sich  jedesmal  aufs 
neue  durch  das  Erscheinen  eines  neuen  Kometen  erfüllen  lassen,  und  so 
ist  es  auch  erklärlich,  wenn  die  Schriftquellen  von  diesen  Ereignissen 
immer  genau  Bericht  erstatten  und  wenn  die  letzteren  dann  auch  meist 
mit  Unglücksfällen    aller    Art  in    Verbindung   gebracht  werden').     So  hat 


1)  Eine  geschichtliche  Zeitfolge  der  Kometenerscheinungen  gibt  v.  Mädler-Kliukerfues, 
Der  Wunderbau  des  Weltalls  oder  Populäre  Astronomie.  7.  Anfl.  Berlin  1879)  S.  325-380. 
Die  Berichte  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert  sind  zusammengestellt  lei  A.  Schultz,  Das. 
höfische  Leben  zur  Zeit  der  Minnesinger,  2.  Aufl.  1,  127—140. 


Der  Komet  im  Volksglauben.  17 

für  das  11.  Jahrhundert  schon  J.  Kunze  darauf  hingewiesen,  dass  die 
zahlreichen  Berichte  von  epidemischen  Krankheiten  gewöhnlich  mit  aus- 
serordentlichen Ereignissen  in  Verbindung  gesetzt  wurden,  so  mit  Mond- 
und  Sonnenfinsternissen  und  Kometen,  daneben  mit  Unwetter,  Stürmen 
und  Überschwemmungen,  Dürre  und  Misswachs*).  Er  gibt  auch  für  die 
Ausdeutung  des  Kometen  als  Vorzeichen  für  einen  Krieg,  für  Hungersnot 
oder  Seuchen  einen  wichtigen  Beleg,  indem  er  auf  die  Äusserung  des 
Chronicon  S.  Andreae  verweist:  „Quod  genus  syderis  quod  eruut  bella 
aut  famem  aut  pestilentiam  portendere  solet"  2).  Dem  11.  Jahrhundert 
entstammt  auch,  soviel  ich  sehe,  die  erste  mittelalterliche  Darstellung 
eines  Kometen.  Es  ist  der  Halleysche  Komet,  dessen  Erscheinen  im  Jahre 
10G6  auf  der  Tapete  von  Bayeux  dargestellt  ist.  Unter  der  Überschrift: 
•Isti  mirant  stellam"  sieht  man  dort  die  erregten  Menschen,  die  den 
Kometen  betrachten,  und  in  unmittelbarer  Beziehung  dazu  erscheint  auf 
dem  nächsten  Bilde  der  König  Harold,  der  am  14.  Oktober  1066  in  der 
Schlacht  bei  Hastings  gegen  Wilhelm  den  Eroberer  fiel.  Auch  auf  den 
Zustand  Heinrichs  IV.  soll  jener  Komet  sehr  schädigend  gewirkt  haben, 
denn  nach  seinem  Erscheinen  „ward  der  Keyser  todtkrank  und  lag  sehr 
hart  darnieder  zu  Fritzlar  in  Hessen,  dass  auch  die  Erzte  an  seinem 
Leben  verzagten"  ^). 

Naturwissenschaftlich  blieb,  wie  schon  gesagt,  das  Mittelalter  bei  der 
Beurteilung  des  Kometen  durchaus  in  der  Gefolgschaft  des  Aristoteles. 
So  gibt  Albertus  Magnus  folgende  Erklärung: 

Cometae  sunt  stcllae  habentes  coraas,  quod  fit  propter  aerem  inflammatuiu, 
contentum  a  stellis  siue  a  phinetis,  scilicet  Joue,  Saturno,  Marte,  Sole  ac  Venere. 
Isti  enim  propter  uelocitatem  motuura  igniunt  aerem,  et  sie  propter  aerem  in- 
Uammatiim  contentum  a  stellis  praedictis  coniuncto  luraine  ipsorum  cum  eo  uidentur 
stellae  comatae.  Dico  ergo  quod  coraeta  nihil  aliud  est,  quam  uapor  terrenus, 
grossus,  cujus  partes  sibi  multum  coniacent,  paulatim  ascendens  ab  inferiori  parte 
aestus  usque  ad  superiorem  eiusdem,  ubi  concauitatem  ignis  attingit,  et  ibi  diffusus 
et  inflammatus.     Et  ideo  uidetur  longus  frecjuenter  et  diffusus^). 

In  offenbarer  Anlehnung  an  Albertus  Magnus  schreibt  denn  auch  der 
süddeutsche  Spruchdichter  Meister  Boppe,  dessen  Tätigkeit  in  die  Zeit 
zwischen  1:^75  bis  nach  1287  fällt: 

Cometa  swie  der  gebende  si  so  lichten  schin, 
unt  swie  er  schine  als  er  ein  sterne  müge  sin, 
des  er  ist  doch  nicht  wan  ein  gedünste  entzündet 

1)  Job.  Kunze,  Zm-  Kunde  des  deutschen  Privatlebens  in  der  Zeit  der  salischen 
Kaiser.     Berlin  1902. 

2)  Monumeuta  Germaniae,  Scr.  VII,  337,  20. 

3)  So  zitiert  ohne  Quellenangabe  von  W.  Meyer,  Der  Halleysche  Komet.  Woche 
1909,  8.  1749  ff. 

4)  Albertus  Magnus,  Philosophiae  naturalis  isagoge  (Strassburg,  Morhard  1520). 
„Capitulum  ...  de  geueratione  Cometae." 

Zeitscl.r.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft  1.  2 


18  La  uff  er: 

Von  viures  kraft,  daz  im  so  nähe  wonet  bi; 

daz  machet  daz  man  waenet,  daz  es  ein  sterne  si^). 

])ieser  imturwissenschaftlichen  Erklärung  hängt  Meister  Boppe  dann 
gleich  die  vorbedeutende  Auslegung  an,  die  uns  hier  am  meisten  inter- 
essiert: 

Der  selbe  schin  ieslichem  wunder  kündet: 

Swen  man  in  siht  in  siner  kraft 

so  vollengliche  schöne  brehende  schinen, 

do  wizzet  daz  sin  meisterschaft 

der  werlde  kündet  schedeliches  pinen, 

der  hohen  starken  künige  tot 

oder  in  den  landen  gemeinlichez  sterben. 

urliuge  oder  groz'  urliuges  not 

oder  in  den  selben  hungerlichez  werben 

oder  wandelunge  höher  sterken  richeit  sunder  minnen: 

dar  zuo  geliche  ich  einen  man, 

der  schoene  ist  an 

ze  sehene  unt  doch  da  bi  ist  valschaft  üze  und  inne. 

Wie  die  Lehre  des  Albertus  Magnus  durch  die  Jahrhunderte  weiter- 
gegeben wurde,  lässt  sich  auch  sonst  verfolgen.  Einer  seiner  Schüler, 
Thomas  Cantinipratensis,  hat  in  der  Zeit  von  1230  bis  1244  ein 
naturhistorisches  Kompendium,  Liber  de  natura  rerum,  verfasst,  und  dieses. 
Werk  hat  wieder  die  unmittelbare  Vorlage  für  Konrad  von  Megeuberg 
gebildet,  als  er  in  den  Jahren  1349  und  1350  sein  'Buch  der  Natur' 
schrieb.     Konrad  sagt  von  dem  'geschöpften  Stern'  das  folgende*): 

Der  Stern  bedäut  hungerjär  in  dem  land,  da  er  den  schöpf  hin  kert,  dar  umb, 
daz  diu  fäuhten  auz  dem  ertreich  ist  gezogen  und  diu  vaizten,  dar  auz  süez 
wein  und  körn  und  ander  früht  schölten  auz  der  erden  gewachsen  sein,  und 
koment  oft  da  mit  vil  kefern  und  häuschrecken. 

Zum  Beweis  dafür  bezieht  er  sich  auf  seine  Beobachtungen  der  Folgen 
eines  Kometen  vom  Jahre  1337.     Dann  fährt  er  fort: 

,,Der  comet  bedäut  auch  streit  und  verraeterei  und  untreuw  und  etleicher 
grözen  fiirsten  tot  und  gemaincleich  vil  pluotvergiezens.'' 

In  diesem  Sinne  macht  er  jenen  Kometen  vom  Jahre  1337  für  den 
133U  erfolgten  Ausbruch  des  hundertjährigen  Krieges  zwischen  Frankreich 
und  England  mit  den  Schlachten  von  Sluis  (1340)  und  Crecy  (1346)  ver- 
antwortlich, sowie  für  den  Tod  des  blinden  Königs  Johann  von  Böhmen, 
der  in  der  Schlaclit  von  Crecy  gefallen  war. 

Konrad  sucht  sich  diese  angeblichen  Einwirkungen  in  folgender  Weise  zu  er- 
klaren: „Nu  mäht  dii  fragen,  war  umb  der  stern  streit  bedäut  und  pluotvergiezenV 
daz  ist  dar  umb,  daz  ze  den  zeiten  der  stern  kreft  die  lebleichen  gaist  auz  dem 
menschen  ziehent  und  machent  daz  behend  pluot  auzdünstend  auz  dem  menschen. 
So    nu    der    Mensch    trucken   ist   und  hitzig,    so  ist  er  zornig  und  vicht  gern,    als 

1)  V.  (1.  Hagen,  Minnesinger  2,  37'.). 

2^  Ausgabe  von  Pfeiffer  p.  XXIX  und  S.  T.j. 


Der  Komet  im  Volksglauben.  19 

wir  sehen  an  haizen  läuten;  wenne  si  vastent,  so  sint  si  unmuotig  und  zornich; 
.  .  .  daz  aber  die  maister  sprechent,  daz  der  stern  bedäut  der  fürsten  tot  mer 
denn  armer  laut  tot,  daz  ist  dar  umb,  daz  die  fürsten  namhafter  sind  dann  arm 
laut  und  ir  tot  weiter  erschillet  denn  armer  laut  tot'-. 

Wenn  demnach  Konrad  von  Megenberg  hinsichtlich  der  Frage,  wie- 
weit der  Komet  vorbedeutend  für  den  Fürstentod  sei,  doch  etwas  zweifel- 
haft zu  sein  scheint,  so  ist  es  doch  sicher,  dass  gerade  in  diesem  Punkte 
die  volkstümliche  Anschauung  auch  in  den  folgenden  Jahrhunderten  noch 
keine  Änderung  erfahren  hat.  So  berichtet  eine  hamburgische  Chronik 
über  den  Halleyschen  Kometen  von  1581  und  über  zwei  weitere  aus  den 
Jahren  l.')32  und  1533  und  äussert  zu  dem  letzteren: 

Item  anno  domini  1533  Heft  men  den  drudden  coraeten  int  nortwesten  gheszeen. 
Vnde  synt  dusse  dre  cometen  na  eynandcr  ersehenen.  Got  allmächtig  weet,  wat 
sye  yns  bringen  werden.  Denne  dut  is  gewisz,  dat  de  erste  konink  Karstens 
etzwan  vt  Dennemarken  syne  gefenknisse  vnde  den  elenden  doet  syner  konin- 
ginnen  vnde  kinderen,  de  yn  fromden  landen  vorstoruen  weren,  heft  belüget  vnd 
nawyset:  de  andere  den  doet  Frederici,  des  koninges  in  Dennemarken,  eyn  groeet 
frunt  der  stede,  vnde  den  swaren  val  des  Türken  heft  gheweissaget^). 

l-:ine  andere  Fassung  derselben  Chronik  sagt  an  der  gleichen  Stelle: 
Item  anno  domini  1533  heft  men  den  drüdden  cometsterne  geseen  int  nort- 
osten.  Und  dit  is  gewis,  dat  de  erste  des  konings  Christierns  gevenknüsse  be- 
dudet  heft  und  den  doet  synes  klokcn  gemals,  des  kaisers  süster,  darto  synes 
sönes  doet.  de  im  haue  des  kaisers  gestoruen  syn;  de  andere  des  Türken  toch  in 
Ungeren,  unde  heft  de  auerste  stat  in  Ungeren  ingestörmet  unde  ingenamen.  dat 
meiste  unde  gröteste  deel  des  rikes  erauert,  de  drüdde  den  doet  des  christen- 
konings  Frederyks  in  Dennemarken. 

Man  sieht:  auch  die  Reformation  hat  in  diesen  Anschauungen  keinerlei 
Wandel  geschaffen.  Für  Luther  sind  zwar  besonders  auffallende 
Ilimmelserscheinungen,  Sonnenfinsternisse,  Kometen  usw.  zunächst  ganz 
allgemein  betrachtet,  Anzeichen  des  göttlichen  Zornes^).  Er  steht  ihnen 
—  im  Vergleich  mit  den  meisten  seiner  Zeitgenossen  —  also  iusofern 
etwas  freier  gegenüber,  als  er  sie  im  allgemeinen  nicht  als  vorbedeutend 
für  bestimmte  Ereignisse  auffassen  möchte.  In  den  Einzelfällen  kann  er 
sich  dann  aber  doch  wieder  nicht  von  der  Anschauung  seiner  Zeit  frei 
machen.     So  schreibt  er  in  der  Kirchenpostille^): 

„So  hüben  wir  auch  so  viel  Coraeten  gesehen,  und  neulich  sind  sehr  viel 
Kreuz  vom  Himmel  gefallen  und  ist  mit  unter  auch  aufkommen  die  neue  uner- 
hörte Krankheit,  die  Franzosen.  Auch  wie  viel  Zeichen  und  Wunder  sind  etliche 
Jahr  daher  im  Himmel  ersehen,  als  Sonnen,  Mond,  Sternen,  Regenbogen  und  viel 
ander  seltzame  Bilde.  Lieber,  laß  es  Zeichen  sein,  und  große  Zeichen,  die  etwas 
großes  bedeuten,  welche  auch  die  Sternmeister  und  Frau  Hulde  nicht  mag  sagen, 
daß  sie  aus  natürlichem  Lauf  sind  kommen,  denn  sie  haben  zuvor  nichts  davon 
erkannt  noch  geweissnget.'" 

1)  Lappenberg,    Hamburgische  Chroniken  in  niedersächsischer  Sprache  1S61  S.  '2.')y. 
■2)  E.  Klingner,  Luther  und  der  deutsche  Volksaljerj;l;uibe  1012  S.  95. 
3^  Ausgabe  von  Enders  10,  G5. 

2* 


20  La  uff  er: 

Wie  Luther  das  Erscheinen  des  Halleysclien  Kometen,  der  rom 
14.  August  bis  zum  3.  September  1531  sichtbar  war,  auf  sich  wirken 
Hess,  das  geht  einwandsfrei  aus  einem  Briefe  hervor,  den  er  am  18.  August 
an  Wenzel  Link  in  Nürnberg  richtete  und  in  dem  er  schreibt: 

„Ora  pro  me,  mi  Wenceslae.  Apud  nos  coraeta  ad  occidentem  in  angulo 
apparet  (ut  mea  fert  astronomia)  tropici  cancri  et  coluri  aequinoctiorum,  cujus 
cauda  pertingit  ad  medium  usque  inter  tropicum  et  ursae  caudam.  Nihil  boni 
significat     Christus  regnet.     Amen"'). 

Ähnlich  wie  bei  dem  Halleyschen  Kometen  sucht  Luther  auch  die 
böse  Wirkung  eines  Kometen  vom  Oktober  1532  durch  das  Gebet  ab- 
zuwenden. 

In  einem  Briefe  vom  18.  Oktober  1532  schreibt  er  darüber:  „Cometes  apud 
nos  visitur  in  Oriente  de  manc.  Sed  nolite  metuere  a  signis  coeli,  que  gentibus 
tantum  sunt  metuenda.  Oremus  pro  nobis  invicera,  ut  salvemur"-).  Rein  Zweifel, 
dass  er  mit  dieser  Äusserung  zugleich  auf  Jeremias   10,  2  Bezug  nimmt. 

Dass  MeLanchthon  von  der  Vorstellung  der  zeitgenössischen  Astrologie 
und  der  Dämonenlehre  stark  beeinflusst  war,  ist  bekannt.  Er  achtot  auf 
Vorzeichen  aller  Art  und  berichtet  darüber  an  seine  Freunde,  z.  B.  dass 
man  in  Breslau  ein  feuriges  Schiff  am  Himmel  gesehen  habe,  und  Ähn- 
liches^). Von  dem  Kometen,  der  am  5.  Mai  1556  in  Wittenberg  sichtbar 
wurde,  gibt  er  eine  genaue  Schilderung  der  Stellung  am  Himmel.  Was 
er  aber  von  seiner  Wirksamkeit  hält,  das  zeigt  sich  klar  aus  den  angefügten 
Schlussworten: 

„Man hat  ihn  aber,  wie  wir  nachmals  berichtet,  durch  ganzEuropam  und  Kleinasien 
gesehen,  und  war  fast  gleich,  beides  mit  seinem  positu  und  motu  dem  Cometen,  der 
vor  des  Caroli,  Herzog  aus  Burgundien  und  des  Türkischen  Kaisers  Mahomct 
Tod  ist  gesehen,  und  vom  Regiomontano  ist  beschrieben  worden.  Darauf  er- 
folgte eine  große  Dürre,  die  doch  dies  Jahr  dem  Getreide  nicht  geschadet,  und 
dem  "Wein  mehr  gefromraet  hat.  Im  Reich  aber  folgte  bald  darauf  allerlei 
Empörung,  derer  Ausgang  wir  noch  nicht  sehen  konnten,  da  wir  dieses  auf- 
zeichneten""'). 

Wie  der  von  Melanchthon  besprochene  Komet  von  1556  auch  auf  die 
Abdankung  Karls  \.  bezogen  wurde,  das  ergibt  sich  aus  einem  auf  jene 
Abdankung  bezüglichen  Spottbilde,  das  angeblich  auf  eine  ältere  Vorlage, 
die  das  Verhältnis  zwischen  Friedrich  HI.  und  Papst  Pius  H  betraf, 
zurückzuführen  isf^).  Auf  demselben  ist  links  auch  ein  Kometenbild  an- 
gebracht mit  der  Überschrift  'Dieser  Comet  ist  erschienen  im  1460  Jhar. 
In    dem    Kometenkopfe    stehen    die  Worte:    'Sihe    dich  für:    vnnd  Frage. 


1)  Luthers  Briefwechsel,  hsg.  von  Enders  0,  Gl. 

2)  Ebenda  9,  234. 

3)  K.    Hartfelder,     Der    Aberglaube     Philipp    Melanchthons.      Histor.    Taschcnbucli 
G.  Folge,  8.  Jahrg.  1889  S.  231  ff. 

4)  Bretschueider  und  Bindseil,  Corpus  reformatorum  8,  942/3. 

5)  Abgebildet  bei  Eug.  Diedericbs,    Deutsches  Leben    in    der  Vergangenheit  1.  104, 
nach  einem  Original  in  der  Münchner  Hofbibliothek.     Dort  fälschlich  1576  datiert. 


Der  Komet  im  Volksglauben.  21 

Höre.     Silie.    Hüete  dich'.    In  dem  Schweif  aber  findet  sich  die  Inschrift: 
*Wie  schrecklich  bist  du,  wer  magt  dir  wiederstehen!' 

Mit  dieser  Kometen-Darstellung  sind  wir  schon  mehr  auf  das  Gebiet 
<ler  volkstümlichen  Äusserungen  hinübergegangen,  und  gerade  hier  findet 
sich  in  Wort  und  Bild  eine  grosse  Anzahl  von  Belegen. 

Die  ganze  Unglücksfülle,  die  man  von  der  Wirkung  eines  Kometen 
erwartete,  zeigt  der  folgende  Spruch: 

Achterlei  Unglück  insgemein  entsteht, 
Wenn  in  der  Lufft  erscheint  ein  Komet: 
Viel  Fieber,  Krankheit,  Pestilenz  und  Todt, 
Schwere  Zeiten,  Mangel  und  Hungersnoth, 
Große  Hitze,  dürre  Zeit  und  Unfruchtbarkeit, 
Krieg,  Raub,  Mord,  Aufruhr,  Neid,  Hass  und  Streit, 
Frost,  Kälte,  Sturmwind,  Wetter-  und  Wassersnoth, 
Viel  hoher  Leute  Untergang  und  Todt, 
Feuersnoth  und  Erdbeben  an  manchem  End, 
Große  Veränderung  im  Regiment. 
Wenn  wir  aber  Buße  thun  von  Herzen, 
So  wendet  Gott  manch  Unglück  und  Schmerzen^). 
F.s  gibt  solcher  Kometen-Sprüche  eine  ganze  Menge;    sie  finden  sich 
meist  auf  Einblatt-Drucken  des  16.  bis  18.  Jahrhunderts,    auf   denen    die 
jeweils  neu  erschienenen  Kometen   zur  Darstellung  gebracht  wurden,    und 
eben  diese  Flugblätter  sind  uns  in  grosser  Zahl   erhalten.      Archenhold 
hat    aus    dem    Besitz    der    Treptow-Sternwarte  für  die  Zeit  von  1540  bis 
ITG'J  im  ganzen  75  Stück  zusammengestellt.     Die  Gesamtzahl   der  bisher 
bekannt    gewordenen  Blätter  gibt  er  mit  86  an^).      Sie    alle  interessieren 
nicht  nur  durch  ihre  bildmässigen  Darstellungen,    sondern    sie  geben  vor 
allem    auch    durch    ihre    Texte    einen  Einblick    in  die  volkstümliche  An- 
schauung.     So    heisst    es    auf  einem  Blatte,  das  dem  im  Januar  1661  er- 
schienenen Kometen  gewidmet  ist: 

Cometen  waren  jeder  Zeiten 
Zornboten  Gottes,  und  bedeuten 
Wind,  Theurung,  Pest,  Krieg,  Wassersnoht, 
Erdbiden,  Endrung,  Fürstentodt. 
Solt  aber  drum  der  Fromm  verzagen? 
Nein,  sonder  mit  Vertrauen  sagen: 
Wan  Erd  und  Himmel  brächen  eyn. 
Wird  Gott  mein  Port  und  Anker  seyn. 
Älnilich  äussert  sich  ein  Spruch  auf  den  grossen  Kometen   von  1680, 
den  Archenhold  anführt,  mit  folgenden  Worten: 


1)  Zitiert  ohne  Quellenangabe  bei  W.  Meyer,  Der  Halleysche  Komet,  Woche  190'J 
S.  1749  fif. 

■2  Archenhold  a.  a.  0.  S.  44  u.  75ff.  Eine  Reihe  von  teilweise  farbigen  Abbildungen 
gibt  Wilh.  Hess,  Himmels-  und  Naturerscheinungen  in  Einblattdrucken  des  XV.  bis 
XVIII.  Jahrhunderts  ^Zeitschr.  f.  Bücherfreunde  N.  F.  II  1910  S.  Iff.),  ferner  P  Gulyas, 
Vier  Einblattdrucke  über  den  Kometen  vom  Jahre  1680.    Ebenda  N.  F.  III  1912  S.  328ff.: 


•)'>  Laiiffer: 

Wenn  ein  liell  brennender  Comet 
In  den  obersten  lüfften  steht, 
Werden  gar  groUe  Reich  zerstöit, 
Wie  wir  solches  offt  haben  gehört. 
Der  dunckel  scheint,  übet  sein  krafft. 
Daß  er  klein  Herren  hinweg  raO't. 

Aus  den  Einblattdrucken  sind,  wie  bekannt,  in  weiterer  Entwicklung- 
di'e  Zeitungen  entstanden.  Auch  sie  bilden,  und  zwar  in  noch  höherem 
Masse,  eine  CJruppe  von  Schriftquellen,  aus  denen  wir  gelegentlich  reichen 
Aufschluss  gewinnen.  So  schreiben  die  'Berliner  Ordinari-  und  Post- 
zeitungen' 1665,  Nr.  &iS  als  Nachricht  aus  Wien  vom  15.  April: 

Der  große  Comet,  dem  keiner  von  Anfang  der  Welt  bis  hiehcr  gleich  ge- 
wesen seyn  soll,  läßt  sich  von  3  bis  halb  5  Uhr  Morgens  bey  hellem  Wetter 
noch  statlich  sehen,  dahero  die  Geraüther  aller  Orten  sehr  perplex  werden,  und 
entstehen  überall  vielerley  Propheten,  so  da  Busse  Predigen,  widrigenfalls  alles 
über  und  über  gehen  soll.  Wie  denn  auch  ein  Weib  in  Tyrol  7  Tage  und 
Nächte  geschlaffen,  und  darnach  auch  dergleichen  Bedrohung  außgesagt  hat;  es 
haben  auch  viel  geschryen,  daß  zwischen  hier  und  den  4  Maji  die  Stadt  Wieu 
versincken  soll,  obs  wahr,  oder  hoffentlich  falsche  Propheten  seyn  werden,  gibt  die 
Zeit»). 

Eine  besonders  reiche  Auswahl  von  Zeitungsäusserungen  besitzen 
wir  über  einen  Kometen,  der  Ende  1680  und  Anfang  1681  zu  sehen  war. 
Da  berichtet  der  Berliner  'Dienstagische  Mercurius"  1681,  4.  AVoche.  als 
Zuschrift  aus  Neapel  vom  30.  Dezember  1680^): 

Der  Comete,  den  man  allhier  mit  einem  erschrecklichen  langen  Schwantz 
stehet,  wie  auch  der  Arm  St.  Nicolai  von  Toleto,  der  Blut  schwitzet,  erwecket 
hieselbst  viel  redens  und  stehen  die  Leute  gleichsam  bestiirzet:  Etliche  übel- 
gesinnte Menschen  aber  sagen,  daß  das  erste  natürlich,  und  das  andere  durch 
Kunst  zu  Wege  gebracht  sey. 

An  derselben  Stelle  wird  aus  Rom  vom  4.  Januar  ItiSl  gemeldet: 
Von  dannen  [von  Bologna]  ist  auch  ein  Discours,  den  bewustcn  Cometstern 
betreffend,  ankommen,  worinnen  gemeldet  wird,  daß  derselbe  dieser  Stadt,  Paris, 
Engeland,  Venedig,  Niederland,  Vngarn,  Elsas,  Straßburg  und  einen  Teil  Toßcanien 
großen  Jammer  und  Unglück  drohe,  wie  auch  Veränderung  der  Religion  und 
Regierung,  gut  oder  böse,  Verräthercy  der  Fürstlichen  Bedienten.  Gefängnisse. 
Vergifftungen,  und  Tod  eines  hohen  Printzen,  fallende  Seuchen,  Venerische 
Krankheiten,  welches  alles  sehr  schleunig  sich  begeben  und  zutragen  werde,  ver- 
mittelst des  schnellen  Lauffs  des  Cometen  durch  meist  alle  Himmlische  Zeichen 
des  Thier-Crayses,  welches  dann  allhier  sehr  kümmerliche  Gedanken  verursachet^). 

Wie  man  wegen  dieser  'kümmerlichen  Gedanken"  auch  von  Regie- 
rungs  wegen  sich  zu  allerhand  Massnahmen  veranlasst  sah,  darüber  be- 
richten zwei  österreichische  Meldungen.  Der  Berliner  'Sonntagischen 
Fama'  1681.  2.  Woche,  wurde  unter  dem  2.  Januar  aus  Wien  geschrieben: 


1)  Ebcrh.  Bucliner,  Das  Neueste  von  gestern  1,  S8.  —  'Ji  EbcmlH  1.  141.  —  3    Ebenda 
1,  14U. 


Der  Komet  im  Volksglauben.  23 

Allhier  wird  abermalen  ein  grosser  Comet  gesehen,  dessen  SchweifT  in  einer 
unglaublichen  Länge  (der  Gelehrten  Meynung  nach  über  1000  Meilen)  und  bleicher 
Farbe,  und  bestehet  sein  Lauft  zwischen  dem  Adler  und  Delphin,  deßwegen  auch 
die  nächtlic^he  Schlittenfahrten  und  andere  Nachtspiele  eingestellet  worden^). 

Kurz  darauf  brachte  der  Berliner  'Soiiiitagische  Mercurius'  1G8L 
5.  Woche,  die  ergänzende  Mitteilung: 

Lintz,  vom  18.  Januarii.  Weilen  sich  der  Cometstern  noch  immer  sehen  Hisset, 
und  itzo  seinen  Lauff  sehr  hoch  nimraet,  die  Kayserliche  Astrononü  auch  Ihro 
Majestet  dero  Meynungen  über  dessen  Lauff  abgefasset  und  überreichet,  als  sagt 
man,  daß  Seine  Majestet  die  Anstalt  werde  machen  lassen,  daß  in  dero  Erbländern 
alles  üppige  und  ruchlose  Wesen  gäntzlich  abgeschaffet,  und  wöchentlich  gewisse 
Fast-  Büß-  und  Bettage  gehalten  werden  sollen^). 

Über  diesen  Kometen  von  1681  haben  wir  dann  auch  noch  andere 
Nachrichten,  aus  denen  zu  ersehen  ist,  wie  die  geängstigten  Gemüter  der 
Zeit  nun  auch  ausser  dem  Kometen  selbst  noch  weitere  Naturereignisse 
von  bedrohlicher  Bedeutung  glaubten  feststellen  zu  müssen.  Die  -Sonn- 
tagische  Fama'  Berlin  KJSl.   2.  Woche,  berichtet  aus  Cöln  vom  3.  Januar'): 

Außer  dem  vorgedachten  Cometen,  so  nun  dieses  Orts  nicht  mehr  zu  sehen, 
finden  sich  in  diesem  Lande  eine  wunderliche  Art  Vögel,  derer  Größe  wie  ein 
Lamm,  und  einer  MO  bis  40  Pfund  wieget,  und  weilen  man  zu  Anfang  des  vorigen 
Krieges  von  der  gleichen  Art  auch  gesehen,  als  muthmasset  man  wiederumb  auf 
einen  neuen  Krieg. 

Selbst  den  Astrologen  scheint  damals  gelegentlich  die  Einbildungs- 
kraft mit  dem  Verstände  durchgegangen  zu  sein,  denn  aus  dem  Elsass 
berichtete  man  am  23.  Februar  dem  'Sonntagischen  Mercurius": 

Von  Paris  wird  geschrieben,  daß  in  Normandie  von  einem  Astrologo  mit 
sonderbarer  Aufl'sicht  in  der  Mitten  des  Coniets  ein  Sarg,  worinnen  ein  Königlicher 
Leichnam  mit  beygelegter  Cron  und  Scepter,  und  dabey  in  Streit  gerahtene  Ministri, 
so  sich  untereinander  ermordet,  gesehen  worden,  und  über  dieses  solte  sich  er- 
meldter  Astrologus  entsetzet  haben,  daß  er  auch  darüber  gestorben  seye*). 

Wenn  nach  alledem  die  Erscheinung  eines  Kometen  für  die  volks- 
tümliche Anschauung  auch  der  oberen  Gesellschaftsschichten  noch  am 
Ausgang  des  17.  Jahrhunderts  als  gefahrdrohend  angesehen  wurde,  so  be- 
greift es  sich  andererseits,  dass  das  Kometenbild  nun  auch  bei  freien 
Erfindungen,  Phantasiebildern,  Fabeltieren  usw.  mit  als  Ausstattungsstück 
erscheint.  So  schreiben  die  Berliner  Ordinari-  und  Postzeitungen  IGHS 
Xr.  GG: 

Aus  Venedig,  vom  10.  Aprilis.  Li  alt  Castiüen  hat  man  ein  Monstrum  erlegt, 
welches  die  Menschen  auffgefressen,  seine  vordere  Gestalt  war  gleich  einem  Cro- 
codil,  die  hintere  einem  Pferde,  mit  4  Arm-  und  Händen,  in  der  rechten  Seiten 
hat  es  die  Form  eines  Cometen,  in  welchem  die  Buchstaben  A.  C.  B  L  gesehen 
worden  ^,\ 


1)  Ebenda  1,  140.  —  2)  Ebenda  1,  140-141.  —  .'i    Ebenda  1,  141.   -   4)  Ebenda  1, 
145.  —  5'  Ebenda  1,  88. 


24  Lauf  f  er: 

Bei  diesen  Anscliauungen  kann  es  nicht  wundernehmen,  wenn  be- 
sonders auch  die  Geistlichkeit  sich  das  Erscheinen  eines  Kometen  weid- 
lich zunutze  machte,  um  die  sündige  Menschheit  zur  Einkehr  und  zur 
Busse  zu  ermahnen.  vSo  findet  sich  z.  B.  bei  Michael  Freud,  Pastor 
emeritus  zu  Wismar,  in  seinem  'Alamode-Teuifel,  oder  Gewissens-Fragen 
Von  der  heutigen  Tracht  und  Kleider-Pracht',  den  er  1682  zu  Hamburg 
296  Seiten  lang  erscheinen  Hess,  auf  S.  72  folgender  Mahnruf: 

Und  was  meynen  wir  wo),  daß  der  im  Decembri,  Anno  16'S0  und  im  Januario 
16S1.  Jahrs,  am  Firmament  des  Himmels  erschienene  strahlender,  ungewöhnlicher 
und  erschrecklicher  Comet  bedeutet?  Ohne  Zweiffei  dieses,  daß  Gott  wolle  auf- 
wachen zur  Räch,  Er  wolle  frisch  und  wacker  seyn  zu  brauchen  den  Kehr-Besen, 
den  Kehr-ab  zu  machen,  und  der  rohen  Welt  den  lang  verschuldeten  Product  zu 
geben.  Comet-Sternen,  Un-Sternen!  Wunder-Zeichen,  Wunder-Straffen!  Gott  wils 
wunderlich  mit  uns  machen  ....  mit  einem  solchen  monstros-bösen  Volk. 

Für  die  böse  Vorbedeutung,  die  er  dem  Kometen  zuschreibt,  müssen 
ihm  dann  Cicero,  Claudianus,  Camerarius,  Dannhauer  und  Dietrichs  Kometen- 
Predigt  als  Zeugen  dienen. 

Ein  sichtbarer  Beweis  dafür,  wie  fest  der  Kometen-Glaube  in  der  Be- 
völkerung wurzelte,  sind  auch  die  Kometen-Medaillen,  von  denen  im  16. 
und  17.  und  auch  noch  im  18.  Jahrhundert  eine  ganze  Reihe  geprägt 
worden  sind  und  von   denen  eine  von  1681   auf  der  Rückseite  die  Inschrift 

trägt: 

Der  Stern  droht  boese  Sachen 

TraV  nVr!    Gott  VVIrDs  VVoL  MaChen. 

Archenhold  behauptet,  dass  diese  Gepräge,  unter  denen  sich  auch  ein 
Kometen-Taler  von  1680  befindet,  als  Talisman  getragen  seien,  um  die 
bösen  Einwirkungen  des  Kometen  abzuwenden.  Woher  diese  Meinung 
stammt,  habe  ich  nicht  ermitteln  können.  Durchaus  unglaubwürdig  er- 
scheint sie  mir  nicht. 

Sehr  lehrreich  ist  es  nun,  zu  verfolgen,  wie  die  Vorstellungen  von 
der  bösen  Bedeutung  der  Kometen  zunächst  in  den  berufenen  Kreisen  der 
Astronomen  allmählich  abgestreift  wurden.  Auch  das  ist  nur  sehr  langsam 
gegangen.  In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  finden  wir  auch 
hier  die  alten  Anschauungen  zumeist  noch  in  voller  Kraft.  Ein  paar  Bei- 
spiele mögen  das  belegen. 

Wohl  im  Jahre  1653  erschien  in  Nürnberg  bei  Jacob  Pillenhofer  ein 
Büchlein  in  Quart  unter  dem  Namen  Janus  von  der  Gartow,  'Eyn 
kurtzer  Bericht  von  dem  Comet  oder  neuen  Stern,  der  allhie  in  Hamburg 
im  Jahr  Christi  1652,  den  11.  Dezember,  am  Abend  gesehen  (da  die 
Sonne  jhren  Eintritt  in  den  Capricornum  oder  Steinbock  genommen  hat) 
vnd  noch  wird  gesehen.'  Nur  der  fünfte  Teil  des  Inhalts  liandelt  'Von 
dem  LaufF,  von  der  Gestalt  vnd  Grosse  dieses  Comet-Sterns.'  Reichlich 
die  Hälfte  aber  spricht  'von  dem  Effect  vnd  AVirckunge  dieses  Sterns',  und 
der  Verfasser  säst  dabei  das  Folgende: 


Der  Komet  im  Volksglauben.  25 

•Nvn  aber  wird  ein  jeder  gern  wollen  wissen,  was  doch  dieser  Comet  oder 
neuer  Stern  für  eine  Bedeutung  vnd  Wirckung  werde  mit  sich  bringen,  der  soll 
wissen,  daß  er  portcndiret  vnd  mit  sich  bringet,  nach  der  Astrologorum  gemeinen 
Lehre,  vngewöhnliche  Winde,  Auffruhr  vnd  ein  Sterben:  Item  einen  großen  Re- 
formatorn  vnd  Gesetzgeber.  Eine  Veränderungen  der  Gesetzen  vnd  Statuten.  Eine 
newe  Lehre.  Item:  einen  Außländischen  frembden  Feind,  einen  langwirigen  Krieg 
von  frembden  außländischen  Völckern.  Einen  Fürsten,  w^elcher  die  Mitternächtigen 
Völcker  soll  verunruhigen  vnd  verheeren.  Item,  eine  Vnfruchtbarkeit  vnd  Theu- 
rung,  vnd  viel  andere  Dinge  mehr,  beydes  guts  vnd  boß,  vnd  das  alles  schleunig 
ohne  lang  verziehen,  weil  er  in  einem  lüffti[gen]  Zeichen  entstanden,  vnd  orientalis 
ist,  dazu  schnelUäuffig,  vnd  vou  Ost-Süden  nach  West-Norden  zu,  wider  die  Ord- 
nung der  Zeichen,  als  auß  den  Geminis  in  den  Taurum  seinen  Lauff  genommen, 
auch  darneben  mehr  Saturnisch  als  Martialisch,  weder  Glantz  noch  Schwantz 
mit  sich  führet.  Die  Länder  vnd  Städte  aber,  so  er  mit  seinem  Effect  und 
Wirckung  am  meisten  wird  treffen,  die  seind  die  so  vnter  den  Zwillingen  gelegen 
seind,  worinn  er  meines  erachtens  zum  ersten  entstanden,  Als  von  den  Ländern, 
ist  Hircania,  Armenia,  Mariana,  Cyrenaica,  Marmarica,  Nider  Egypten,  Sardinia, 
vnd  ein  theil  Lombardiae,  das  Hertzogthumb  Wirtemberg,  Flandern  vnd  Braband; 
Vnd  von  den  Städten  ist  Corduba  in  Hispanien,  Viterbium,  Cesena,  Turinum, 
Vercclla,  Regium,  Metz,  Kitzingen,  Villach,  Haßfort,  Bamberg,  Nürnberg,  Löven, 
Brügge  in  Flandern,  vnd  London  in  Engelland.  Worbey  denn  noch  zu  mercken, 
daß  die  angelegene  Länder  vnd  Städte,  sonderlich  die  vnter  dem  Tauro  gelegen 
sind,  davon  auch  nicht  frey  werden  seyn  ....  Ferner  ist  auch  noch  zu  mercken, 
je  länger  dieser  Comet  wird  bleiben  vnd  gesehen  werden,  je  länger  vnd  stand- 
haffter  seine  Operation  vnd  Wirckung  wird  bleiben  vnd  seyn,  so  er  mit  sich 
bringet.'  Zum  Schluss  kommt  dann  'Eine  Erinnerung  bey  diesen,  was  nun  noth- 
wend'ig  zu  thun,'  mit  der  Ermahnung,  'von  Sünden  abzustehen,  vnd  waare  Busse 
zu  thun." 

Weiterhill  nenne  Ich  eine  Flugschrift,  die  von  einem  ungenannten 
Verfasser  im  Jahre  1G78  —  vermutlich  in  Hamburg  —  erschien  unter  dem 
weitschweifigen  Titel:  'Von  der  Namen- Nennung,  Materie  und  W^irckung 
der  Cometen,  Neben  Anzeigung  eines  am  22.  Apr.  2.  Mai  in  Francken  ge- 
sehen dergleichen  Sclnvantz-Sterns,  mit  seinen  Stand  und  der  muthmäfi- 
lichen  Bedeutung,  samt  angehängter  Beschreibung  der  vornehmsten  von 
Christi  CJebnrt  her  bisz  auf  diese  Zeit  erschienen  Cometen,  mit  derselben 
erfolgten  Würckuug."  Der  Verfasser  erklärt  unter  Hinweis  auf  Plinius: 
Es  ist  vermutlich,  ein  Comet  sey  ein  grosser  Häuf  gesamleter  und  von  der 
Sonnen  und  andern  Planeten  aus  der  Erden  und  Meer  über  sich  in  die  Lufft  aus- 
gezogener, hitziger  und  schwefelichter  Dampf  und  Schwal,  welcher  hernach  von 
dem  schnellen  Lauft  des  Himmels  enthrinnt,  und  umb  die  Erden  wie  andere  Stern 
herumb  geführet  wird. 

Auch  hier  sagt  der  Verfasser  dann  zum  Schluss: 

Und  solches  aus  sonderer  Schickung  Gottes,  etwas  grosses  und  sonderliches 
damit  anzudeuten. 

Denselben  Standpunkt  wie  der  eben  besprochene  Anonymus  nimmt 
auch  Joh.  Henr.  Voigt  ein  in  seiner  Schrift:  'Christmäfsige  Betrachtung 
des  Cometen.  Im  April  Anno   1677  Auf  dem  Cometischen  Sammel- Platze 


26  Lauffer: 

im  Tauro  oder  Stier  Zu  Hamburg  observiret,  abgezeiclmet,  fürgebildet 
und  beschrieben.'  (Hamburg  1677.)  Er  gibt  erst  seine  Beobachtungen 
des  Kometen,  hängt  dann  aber  ein  eigenes  Kapitel  an  'Von  dieses  Kometen 
Bedeutung  oder  Wircknng  in  diese  untere  Welt.' 

Hecht  bezeichnend  für  die  volkstümliche  Anschauung  sagt  er: 

Abgesehen  aber  die  Neugierigkeit  vieler  Menschen,  und  daß  die  meisten  nicht 
so  bald  fragen,  ob  er  da  oder  dort  seinen  Stand  und  Lauff  habe?  Sondern  nur 
alsofort  wissen  wollen,  was-  er  doch  bedeute?  Ob  er  auch  Krieg,  Theuerung, 
Sterben  und  andere  Noth  bringen  werde?  Welchen  Potentaten,  kriegenden  Par- 
theyen,  Königreichen,  Herrschaften  und  Städten  er  am  meisten  Schaden  werde? 
und  was  der  fürwitzigen  Fragen  mehr  sind  .  .  .  Und  weil  umb  deswegen  eine 
solche  Sfhrifft,  die  nur  Astronomisch  und  nicht  Astrologisch  ist,  da  nicht  Pro- 
gnostica  anhangen,  von  denen  meisten  nur  vor  unnütz,  unverständlich,  und  kaum 
Lesenswürdig  geachtet  wird.  So  will  zwart  hievon  etwas  anhängen,  aber  darbey 
in  Christlichen  Schrancken  bleiben,  Gott  und  seinem  Worte,  seinen  Propheten  und 
Predigern  den  gebührenden  Vorzug  lassen. 

So  schreibt  er  denn  'mit  Schrecken  und  Entsetzen"  sein  Prognostikon, 
indem  er  sich  bezüglich  der  Bedeutung  der  Kometen  auf  den  griechischen 
Spruch : 

ovdfig  xojLDjTijg,  öorig  ov  y.axov  f/  fofi 

und  auf  das  deutsche  Sprüchwort  'Die  Kometen:  Schreck-Propheten'  be- 
zielit.     Er  sagt: 

Man  hat  von  ihren  Würckungen  einen  alten  Knittel-Vers: 
Fiat,  siccat  Cometa,  necat  et  tcmpora  carat. 
Wind,  Regen,  böse  Lufft,  Krieg,  theure  Zeit  entstehen, 
Wann  die  Cometen  sich  am  Himmel  lassen  sehen. 

Die  näheren  Ausführungen  zeigen  dann,  wie  man  sich  diese  bösen 
Wirkungen  zu  erklären  suchte: 

Erstlich  bringen  sie  Ungestümigkeit  der  Winde,  denn  wenn  sie  beginnen  zu 
erleschen,  bleibt  viel  Rauchs  und  Dampf  in  der  Lufl't,  gleichwie,  wann  ein  Licht 
ausgeblasen  wird,  so  gibt  dasselbig  einen  Dampf  oder  Rauch,  solcher  erwecket 
nicht  allein  in  der  LulTt  große  Winde,  sondern  wird  auch  oftmals  in  die  heimliche 
und  verborgene  Holen  der  Erden  empfangen,  daher  hernach  Erdbiedem  entstehen, 
wann  sie  ihre  Ausgänge  nicht  haben  mögen.  Darnach  so  verursachen  die  Cometen 
llitz  und  Dürre;  Hitz  in  der  Lufft,  die  durch  die  Flammen  und  Brand  der  Cometen 
erhitzet  wird;  und  Dürre  auf  dem  Erdboden,  wegen  der  erhitzten  Lufft.  Daraus 
dann  folget  Mißwachs  des  Getraids  und  anderer  F'rucht  und  also  auch  Tiieurung 
und  Land-Sterben.  Und  weil  sie  nicht  allein  die  Lufft  und  Erdboden  erhitzen, 
sondern  auch  die  Gemüther  der  Menschen  entzünden,  so  bringen  sie  gewöhnlich 
auch  Krieg,  Aufruhr  und  Empörung,  folget  also  immerdar  ein  Unglück  auf  das 
andere,  welches  dann  eine  schlechte  gute  Würckung  ist.  Fürnemlich  aber  hat  die 
Erfahrung  mit  vielen  Exempeln  bewiesen,  daß  die  Cometen  grosser  Herien  tödt- 
lichen  Abgang  und  Veränderung  der  Regimenten  ankündigen. 

Die  Zusammenstellung  der  bösen  Wirkungen  gescliielit  nun  in  der 
Weise,  dass  die  Kometen  so  ziemlich  für  sämtlichen  'Schrecken  und 
Forcht,  Schwort,  Hunger   und  Pestilenz'    verantwortlich    gemacht   werden, 


Der  Komet  im   X'olksglaiiben.  27 

die  ihnen  über  zwei  oder  drei  Menschenalter  oder  noch  länger  gefolgt 
sind.  In  diesem  Sinne  wird  auch  der  neue  Komet  ausgedeutet.  Yorsiclitig* 
setzt  aber  der  Verfasser  hinzu: 

Gott  der  Richter 

Weiss  mehr  als  wir  Dichter. 

Schliesslicli  zieht  er  sich  ziemlich  flau  aus  der  Sache  heraus,  indem 
er  sagt: 

Geistlicher  Weise  etwas  von  diesem  Cometen  zu  deuten,  so  .schlage  ein  jeder^ 
der  ihn  gesehen,  davon  gehört  oder  gelesen,  in  sich  und  denke:  Gott  habe  diesen 
Cometen  seine  und  seiner  Sünden  wegen  aufgestecket,  und  dräue  ihm  vor  seine 
Person  damit;  er  durchsuche  sein  Gewissen,  erkenne  seine  Sünden,  und  thue  mit 
Bässerung  seines  Lebens  ernstliche  und  wjihre  Busse:  alsdann  er  die  Deutung 
dieses  Cometen  am  besten  wird  getroffen  haben. 

So  sehr  aber  auch  Voigt  selber  nocli  des  Glaubens  ist  an  die  bösen 
Wirkungen  der  Kometen,  so  beginnt  um  diese  Zeit  doch  schon  ein  Um- 
schwung in  den  Anschauungen  der  Gebildeten  einzutreten.  Voigt  selber 
gibt  uns  einen  unzweideutigen  Beleg  dafür,  wenn  er  zu  seinen  schrecken- 
erregenden Prophezeiungen  die  Bemerkung  macht: 

Der  Gott-fürchtende  Leser  wird  hierüber  nicht  erschrecken  noch  murren, 
sondern  wird  sagen:  Komm  Herr!  Komm  Herr  mit  Gnaden!  Die  aber  in  irdischer 
Sicherheit  leben,  und  in  ihren  sichern  Welt-I^üsten  nicht  beunruhigt  seyn  wollen, 
die  sagen  freylich:  Wer  ist  dieser?  Was  ist  dieses?  Aber  laß  sie  sagen,  lass 
sie  lauffen,  sie  werden  wol  anlauffen  und  anstossen.  Und  so  viel  sie  lachen,  so 
viel  dörfften  vielleicht  ihre  Kinder  im  Elende  weinen. 

Diejenigen,  die  sich  durch  den  Kometen  nicht  erschrecken  Hessen, 
und  die  schon  erwähnten,  vier  Jahre  nach  Voigt  zu  Neapel  begegnenden 
'übelgesinneten  Menschen',  die  sagten,  dass  der  Komet  -natürlich"  sei, 
sollten  dann  aber  mit  ihrer  Anschauung  schliesslich  doch  durchdriugen. 
Schon  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  erheben  sich  die  ersten  Zweifel  au 
der  Richtigkeit  der  alten  Auslegung.  An  erster  Stelle  stellt  dabei,  soviel 
ich  sehe,  Tycho  Brahe.  In  seineu  'Astronomiae  instauratae  progym- 
nasmata  (Prag  1602)  I.  De  admiranda  Xova  Stella  anno  1572  exorta"  wendet 
er  sich  auf  Seite  653  gegen  Philippus  Appianus,  der  in  einem  an  den 
Landgrafen  Wilhelm  v.  Hessen  gerichteten  Schreiben  aus  Tübingen  vom 
26.  Dezember  1572  gesagt  hatte: 

Experientia  docet,  conspectos  Cometas  semper  peculiares  et  tristes  efl'ectus 
subsecutos,  quem  ad  modum  ex  multis  Historicis  et  Astrologorum  libris  ac  Obscr- 
nationibus  videre  est.  Generaliter  autem  de  his  loquendo,  portendunt  ingentem 
saepenumero  siccitatem,  turbulentes  ventos,  Terraemotum,  magnos  aestatis  ardores, 
intensaque  hyemis  frigora,  frugum  perditionem  et  penuriam,  annonae  caritatcm, 
famem,  magnam  et  subitancam  pestem,  atque  alios  graues  morbos.  bellum,  nia- 
gnorum  et  potentium  Principura  mortem,  quam  mirabiles  Regnorum  et  Politiarum 
mutationes  comitari  solent,  et  plura  eiuscemodi.  Atque  quo  diutius  uisi  fuorint  et 
magis  ßxi  manserint  (uli  ille,  de  quo  hie  aginius)  eo  uehementiores  et  diuturniores 
fore  effectus,  seque  in  aliquot  sequentes  annos  extendere  solent. 


■;^>S  Lauffer: 

Tycho  Bralic  hat  sich  von  diesen  Anschauungen  bereits  frei  gemacht. 
Er.  der  als  Sterndeuter  von  Fürsten  und  Herren  so  viel  in  Anspruch  ge- 
nommen ist,  schreibt  bezüglich  des  Kometen  dennoch  klar  und  deutlich: 
Nee  tarnen  ea  quae  post  Cometarum  atque  Ascititiorum  Siderum  procreationem 
in  Terris  eueniunt.  ab  his  omnia  dependent.  cum  procul  dubio  alias  habeant  causas 
(S.  543.) 

-  Die  entscheidende  Wendung  in  der  Beurteilung  der  Kometen  brachte 
der  Engländer  Edmund  Halley,  der  zuerst  die  Elliptizität  der  Kometen- 
bahn nachwies.  Er  behauptete  die  periodische  Wiederkehr  der  Kometen 
und  berechnete,  dass  der  Komet  von  1682  im  Jahre  1759  wiederkehren 
würde,  wie  er  denn  auch  tatsächlich  am  25.  Dezember  1758  zuerst  wieder 
beobachtet  ist. 

So  sind  es  Halleys  zutreffende  Forschungsergebnisse  vor  allen  Dingen 
gewesen,  die  den  europäischen  Kulturvölkern  einen  sicheren  Stand  gegen- 
über der  Erscheinung  der  Kometen  verschafft  und  die  damit  der  Kometen- 
fiircht  ihren  Nährboden  im  eigentlichen  Sinne  entzogen  haben ^). 

Immerhin  stand  Halley  —  von  den  Verdiensten  seiner  astronomischen 
Berechnungen  abgesehen  —  bezüglich  der  allgemeinen  Beurteilung  der 
Wirkung  der  Kometen  auch  unter  seinen  Zeitgenossen  durchaus  nicht 
mehr  allein  da.  Vielmehr  hatten  sich  die  Fachastronomen  schon  um  die 
Wende  des  17.  und  1 8.  Jahrhunderts  von  dem  Glauben  an  die  bösen  Wir- 
kungen des  Kometen  losgelöst.  So  begegnet  uns  im  Jahre  1714  ein 
Tübinger  Doktorand  Christian  Karl  Müller,  der  eine  Dissertation  'Come- 
tologia  eclectica:  De  cometarum  cauda  sive  coma  et  eorum  effectu  atque 
significatioue'  einreichte.  Darin  stellt  er  eine  Reihe  italienischer,  fran- 
zösischer, englischer  und  deutscher  Äusserungen  aus  den  80er  und  90er 
Jahren  des  17.  Jahrhunderts  zusammen,  die  sich  meist  schon  direkt  ab- 
lehnend verhalten,  z.  B.  ein  aus  Köln  datiertes  Schreiben  vom  Jahre  1682 
Spie  les  comi'tes  ne  sont  point  le  presage  d'aucun  malheur :  'Signa  tristium 
temporum  non  sunt."  Müller  selber  stellt  dann  in  dem  Abschnitt  'De 
Cometarum  effectu'  die  wissenschaftliche  Behauptung  auf,  dass  die  Kometen 
zwar  mancherlei  physische  Veränderungen  hervorrufen,  dass  sie  aber  nicht 
als  böse  Vorzeichen  zu  betrachten  seien. 

In  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  ist  in  den  astronomischen  Fach- 
kreisen die  rein  wissenschaftliche  Betrachtung  des  Kometen  und  die  ab- 
lehnende Haltung  gegenüber  dem  Glauben  an  seine  Wunderwirkungen 
schon  völlig  durchgedrungen.  So  schreibt  Christian  Gottlieb  Sem  1er, 
„Vollständige  Beschreibung  von  dem  Neuen  Kometen  des  1742.  Jahres" 
(Halle.     Renger  1742): 

Die  Gestalten  der  Cometcn  sind  entweder  erdichtete  oder  wahre.  Die  ersten 
kommen  von  den  Geschichtsschreibern  her,  welche  ofTt  ihrer  Einbildung,  oder  gar 


1)  Über  die    Belege    zum   Kometenglauben   Lei    Shakespeare  vgl.   Jolin   Bartlett, 
"Concordance  to  Shakespeare'  (London  lOOC.)  S.  254  unter  dem  Schlagwort  'comef. 


Der  Komet  im  Volksglauben.  !",> 

dem  Wahn  des  unverständigen  Pöbels  gar  zu  sehr  in  Beschreibung  der  Comcten 
gefolgt  sind.  Bald  eignen  sie  ihnen  die  Figur  einer  Kriegs-Posaune  zu,  bald  sind 
sie  wie  Brat-Spiesse  erschienen,  bald  haben  sie  einen  grossen  Bocks-,  Juden-  oder 
Capuziner-Bart  gehabt,  oder  sie  haben  wie  Pferde-Mänen  ausgesehen,  bald  sind  sie 
Schwerdter  und  Sebel,  oder  wie  Pfeile  gewesen,  andere  hatten  wie  Krieges-Schilder 
oder  gar  wie  Fässer  gesehen.  Und  wenn  ihr  die  erdichtete  Gestalt  des  jetzigen 
Cometen  wissen  wollet:  so  fraget  die  Unverständigen,  von  welchen  ihr  vernehmen 
werdet,  daß  sie  ihn  einen  Staub-Besen  oder  gar  einer  Ruthe  vergleichen.  Habt 
ihr  Lust  dergleichen  Träume  mit  vielen  Anmerkungen  von  ihren  Bedeutungen  zu 
lesen;  so  wird  euch  Plinius  (in  Historia  Natural.  Lib.  II.  Cap.  25)  oder  noch 
besser  Hevelius  (in  Cometographia)  hierinnen  dienen  können,  welcher  letztere 
euch  noch  dazu  diese  seltsamen  Gestalten  in  Kupfer  vorstellet. 

Wenn  man  zu  gleicher  Zeit  neue  Hypothesen  aufstellte,  die  uns  heute 
fast  ebenso  anmuten  wie  die  Äusserungen  des  Aberglaubens.  >venu  z.  B. 
Semler  sich  ausführlich  darüber  verbreitet,  dass  es  'höchst  wahrscheinlich 
ist,  dass  auf  der  Fläche  des  Kometenkopfes  vernünftige  Einwohner  sich 
betiuden',  so  können  wir  diese  Yorstellungsreihen  hier  nicht  weiter  verfolgen. 
Das  Wichtige  ist,  dass  seit  jener  Zeit  die  Astronomen  zu  der  modernen 
naturwissenschaftlichen  Beobachtung  und  Beurteilung  der  Kometen  über- 
gegangen sind.  Die  Kreise  der  Gebildeten  sind  ihnen  darin  gefolgt.  Aber 
das  ist  doch  nur  allmählich  und  schrittweise  geschehen.  So  setzt  auch 
der  eben  genannte  Semler  (a.  a.  0.  S.  ü3)  zwar  umständlich  auseinander, 
'wie  ungewiss,  und  schlecht  beschaffen  die  Cometen-Deuterey  sei",  aber 
dennoch  sieht  er  sich  gezwungen,  auch  die  Bedeutung  des  von  ihm  be- 
sprochenen Kometen  nach  den  Sterndeuterregeln  auszulegen,  damit  man 
nicht  etwa  sage,  die  Auslegung  von  der  Bedeutung,  des  Kometen  wäre  für 
ihn  zu  hoch  und  schwer,  und  darum  verwerfe  er  sie.  Bei  ihm  finden 
wir  dann  auch  wieder  einen  Hinweis  (S.  131),  dass  aus  dem  Laufe  der 
Kometenbahn  besondere  Schlüsse  gezogen  wurden,  wenn  er  sagt: 

Es  setzen  aber  die  Sterndeuter  von  den  Cometen,  folgende  Regel:  Ein 
Comet,  welcher  sich  von  Mittag  gegen  Mitternacht  bewegt,  bedeutet  Veränderung 
der  Gesetze  und  einen  neuen  König;  bewegt  er  sich  aber  von  Mitternacht  gegen 
Mittag,  bringt  er  Überschwemmungen  und  teure  Zeiten. 

Wer  würde  bei  diesen  Ausführungen  Semlers  nicht  erinnert  an  die 
Worte  der  Weisen  vom  Morgenlande  (Matth.  2,  2):  „Wo  ist  der  neu- 
geborene König  der  Juden?  Wir  haben  seinen  Stern  gesehen  im  Morgen- 
lande, und  sind  gekommen,  ihn  anzubeten?"  Und  so  ist  bekanntlich  auch 
die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  der  'Stern  von  Bethlehem"  in  der 
Erscheinung  des  Halley"schen  Kometen  vom  Jahre  11  vor  Christus  zu 
erkennen,  und  dass  daher  die  Geburt  Christi  elf  Jahre  eher  anzusetzen 
sei,  als  unsere  Zeitrechnung  sie  annimmt.^) 

Wie  der  Kometenglaube  in  den  weiteren  Kreisen  der  Gebildeten  im 
18.    und    zu  Anfang  des   19.  Jahrhunderts  immer  noch  nachspukte,  haben 


1)  Vergl.  Das  \Yeltall  Jahrg.  7  S.  113. 


30  Lauffer: 

wir  schon  gelegentlich  erwähnt.  Es  mag  liier  noch  daran  erinnert  sein, 
dass  auch  in  dem  bekannten  'Orbis  sensualium  pictus'  des  Joh.  Amos 
Oomenius  l)ei  dorn  Kap.  149  'Die  Vorsehung'  Gottes'  sich  ein  Kometen- 
bild findet,  von  dem  die  Unterschrift  sagt:  'Das  menschliche  Schicksal 
ist  nicht  zuzuschreiben  dem  Glück  oder  dem  Zufall  oder  dem  Einfluss 
der  Sternen,  (zwar  die  Schwantzstern,  Cometen,  pflegen  nichts  Guts  an- 
zudeuten, wie  man  insgemein  vorgiebt)  sondern  Gottes  allsehendem  Aug 
und  dessen  allregierender  Hand\^) 

Dann  aber  mehren  sich  auch  in  den  nicht  astronomischen  Schriften 
die  Stimmen,  die  die  Kometenfurcht  im  Ernst  oder  im  Spott  bekämpfen. 
Auf  Goethes  'Drohende  Zeichen"  wurde  schon  hingewiesen.  Ähnlich 
äussert  sich  Schiller  in  dem  Gedicht  'Rousseau". 

Neu  und  einzig  —  eine  Irresonne, 

Standest  Du  am  Ufer  der  Garonne, 

Meteorisch  für  Franzosenhirn. 

Schwelgerei  und  Hunger  brüten  Seuchen, 

Tollheit  rast  mavortisch  in  den  Reichen; 

Wer  ist  schuld?  —  Das  arme  Irrgestirn  I 

So  schreibt  J.  P.  Hebel  in  seinem  'Schatzkästlein  des  rheinischen  Haus- 
freundes" (Tübingen,  Cotta  1811.  S.  200): 

Der  Comet  bedeutet  ein  Unglück.  Man  darf  sicher  darauf  rechnen,  entweder 
es  entsteht  innerhalb  Jahresfrist  ein  Krieg,  oder  ein  Erdbeben,  oder  es  gehen 
ganze  Städte  und  Königreiche  unter,  oder  es  stirbt  ein  mächtiger  Monarch,  oder 
geschieht  sonst  etwas,  woran  niemand  eine  Freude  haben  kann.  Dies  ist  aber 
nicht  so  zu  verstehen,  als  wenn  der  Comet  das  Unglück  herbeyzöge,  oder  des- 
wegen erschiene,  um  wie  ein  Postreuter  es  anzuzeigen  ....  Allein  es  geschieht 
auf  dem  weiten  Erdenrund,  irgendwo,  diesseits  oder  jenseits  des  Meeres,  alle  Jahre 
so  gewiss  ein  grosses  Unglück,  dass  diejenigen,  welche  aus  einem  Cometen 
Schlimmes  prophezeihen,  gewonnen  Spiel  haben,  er  mag  kommen,  wann  er  will. 

Um  endlich  die  geschichtlichen  Zusammenstellungen  mit  demselben 
Kometen  des  Jahres  1811  abzuschliessen,  mit  dem  wir  sie  auch  begonnen 
haben,  verweise  ich  noch  auf  Karl  v.  Holtei's  Erzählende  Schriften 
Bd.  2!>  ('Vierzig  Jahre"  I.  Breslau.  Trewendt  1862)  S.  100.  Dort  sieht 
man,  wie  damals  alter  Glaube  und  aufgeklärte  neue  Erkenntnis  aufeiu- 
understiessen.     Holtei  berichtet  folgendermassen  : 

Von  dem,  was  um  jene  Zeit  die  Zeit  erfüllte,  von  dem  Zuge  des  grossen 
französischen  Heeres  und  seiner  Bundesgenossen,  ist  mir  durchaus  kein  Merkmal 
der  Erinnerung  geblieben,  wenn  nicht  die  Behauptung,  auf  die  ich  mich  noch  aus 
dem  Munde  meiner  Pflegemutter  und  ihrer  Freundinnen  besinne:  dass  der  drohende 
Krieg  durch  den  Kometen  vom  Jahre  Achtzehnhundert  Elf  veranlasst  und  herbei- 
geführt sei,  dafür  gelten  soll.  Ich  war  ein  verzweifelt  aufgeklärter  junger  Mann 
und  kämpfte  mit  den  schärfsten  Waffen  der  Physik  und  anderer  Künste,  die  man 
uns  in  der  Schule  dargereicht,  gegen  Aberglauben  und  Gespensterfurcht,  —  wohl 
verstanden,  bei  hellem  Sonnenschein,  denn  im  Dunkeln  gab  ich  klein  bei  —  und 


1)  Zweite  Aullage  (Nürnberg  1755    S.  592.     Die  erste  Auflage  erscliien  ITiC) 


Der  Komet  im  Volksglauben.  31 

deshalb  stritt  ich  auch  gegen  air  und  jede  Consequenz,  die  meine  Alten-Weiber- 
Umgebungen  aus  dem  Kometen  zu  ziehen  suchten. 

Man  sieht  hier,  wie  seit  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  die  Kometen- 
furcht allmählich  in  die  Unterschichten  des  deutschen  Geisteslebens  herab- 
sinkt, wie  das,  was  früher  ein  Teil  der  allgemeinen  Weltanschauung  ge- 
wesen war,  schliesslich  im  volkstümlichen  Aberglauben  seinen  letzten 
Niederschlag  findet.  Hier  hat  es  aber  auch  im  Laufe  des  Id.  Jahr- 
hunderts sich  weiter  von  Mund  zu  Mund  fortgepflanzt  und  ist  auch  in 
unseren  Tagen  noch  lebendig  geblieben. 

Für  ganz  Deutsehland  und  für  alle  seine  einzelnen  Teile  lässt  es  sich 
belegen,  dass  der  lieutige  Volksglaube  noch  überall  an  der  bösen  Aus- 
legung des  Kometen  festhält.  Wuttke  sagt  darüber:  Die  Kometen  gelten 
allgemein,  schon  bei  den  alten  Indern,  als  Vorboten  von  allgemeinem 
Landesunglück,  von  Krieg,  Pest,  Teuerung  usw.*)  In  Oldenburg  bedeutet 
ein  Komet  einen  Krieg  oder  eine  ähnliche  Heimsuchung.  Strackerjan 
gibt  für  die  Zeit  vom  17.  bis  ins  19.  Jahrhundert  folgende  Belege  dafür. 
Der  Oldenburger  Chronist  Winkelmann  erwähnt,  dass  im  November  1618 
ein  erschrecklicher  Kometenstern  mit  einem  langen  brennenden  Schwanz  bei 
klarem  Himmel  m  ganz  Deutschland  30  Tage  lang  gesehen  sei  als  rechter  Herold 
und  Vorbote  der  künftigen  oOjührigen  göttlichen  Strafe.  Ebenso  sieht  zu  der  Zeit 
der  Pastor  Fabricius  in  Rastede  einen  Kometen,  der  'A  Tage  gesehen  worden, 
als  Vorhersager  von  Krieg  und  Pestilenz  an.  Als  1S58  der  prachtvolle  donatische 
Komet  längere  Zeit  am  nächtlichen  Himmel  strahlte,  sprach  die  ganze  Welt 
wiederum  von  Krieg,  und  viele  glaubten  später,  er  habe  den  Zusammenstoss 
Österreichs  mit  Frankreich  und  Italien  im  Jahre  1859  angekündigt.^) 

In  Mecklenburg  sagt  man  allgemein;  'wenn  ein  Komet  erscheint, 
kommt  Krieg'. ^)  Ebenso  ist  (ter  Komet  für  Schlesien  als  vorbedeutendes 
Zeiclien  für  Krieg  und  Teuerung  bezeugt.^)  Im  badischen  Oberlande  hält 
man  die  Kometen  nach  E.  H.  Meyer  für  Zuchtruten,  die  Krieg  oder 
Teuerung  ankünden.^)  Aus  der  Pfalz  schliesslich  hören  wir,  dass  Sonnen- 
finsternisse und  Kometen,  besonders  die  letzteren,  allemal  ein  grosses 
Unglück:  Krieg.  Verheerung,  Pest.  Raupenfrass  oder  ein  Mäusejabr  be- 
deuten.^) 

Eine  besondere  Art  der  Einwirkungen,  die  den  Kometen  zugeschrieben 
wurden,    besteht  darin,  dass  man  auffällig  geformte  Hühnereier  auf  ihren 


1)  Ad.  Wuttke,  Der  deutsche  Yolksaberglaube  der  Gegenwart.»  11)00.  S.  lOO.  Be- 
züglich der  Inder  beruft  er  sich  auf  Albrecht  Weber,  Zwei  vedische  Texte  über  Omina 
und  Portenta    Abhandl.  d.  Berliu.  Akad.  d.  Wissensch.  1859)  S.  334. 

2)  Strackerjan,  Aberglaube  und  Sagen  aus  dem  Herzogtum  Oldenburg  1,  20—21. 

3)  Bartsch,  Sageu,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Mecklenburg  2,  202. 

4)  Drechsler,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  in  Schlesien  2,  l;'.5. 
5    E.  H.  Meyer.  Badisches  Volksleben  S.  515. 

G:  Kleeberger.  Volkskundliches  ans  Fischbach  in  der  Pfalz  1902  S.  46.  [Ferner  vgl. 
Zingerie,  Sitten  des  Tiroler  Volkes  1857  S.  134;  A.  John,  Sitte  in  Westböhmen  1905 
S.  234;  Sebülot,  Folklore  de  France  1,  51:  Pitre,  Usi  e  costumi  del  popolo  siciliano 
3,  3ß.  1SS9.] 


32 


fvauffei 


Eiufluss  zurückführte.  Solche  'Naturwunder'  haben  zu  verschieileuen 
gelehrten  Schriften  Anlass  gegeben.  Sie  sind  auch  wiederholt  auf  Flug- 
blättern dargestellt,  von  denen  Archenhold  a.  a.  O.  einige  abbildet.  Auch 
dieser  Glaube  lebt  noch  heute  unter  der  Oberfläche  fort.  So  wurde  im 
Jahre  1911  in  der  Nähe  von  Hamburg  ein  auffallend  windschiefes  Ki  ge- 
funden, dessen  Missgestalt  vom  Volksglauben  mit  den  Kometen  des  Jalires 
in  Verbindung  gebracht  wurde. 

Zusammenfassend  kann  man  sagen,  dass  die  böse  Vorbedeutung  des 
Kometen  immer  und  überall  als  feststehend  angesehen  wurde.  Er  er- 
scheint daher  auch  niemals  in  Weihnachtsspielen  oder  auf  älteren  Weih- 
nachtsbildern. Der  'Stern'  wird  dort  nach  biblischem  Vorbild  immer 
festgehalten.  Das  bleibt  auch  besonders  da  zu  beachten,  wo  der  Stern 
durch  einen  auf  die  Geburtsgruppe  gerichteten  Strahl  etwas  Ähnlichkeit 
mit  einem  Kometen  erhält. 

Erst  als  man  im  18.  Jahrhundert  sich  von  der  alten  Auffassung  des 
Kometen  freizumadien  begann  und  als  die  Aufk'ärung  auch  in  ihrer  Weise 
Kritik  an  der  Bibel  übte,  erst  da  begann  der  Streit  darüber,  ob  der  Stern 
der  Weihnachtsnacht  ein  Komet  gewesen  sei  oder  nicht.  So  veröffentliclite 
1742  der  Brandenburgische  Rector  Heyne  ein  'Sendschreiben  an  einen 
guten  Freund  auf  dem  Lande,  worinne  gezeiget  wird,  dass  der  Stern,  der 
den  Weisen  aus  Morgenland  erschienen,  ein  Comet  gewesen  ist',  worauf 
Semler  (Vollst.  Beschr.  1742  S.  114  ff.)  mit  einem  umständlichen  astrono- 
mischen Gegenbeweis  antwortete. 

Endlich  ist  noch  eins  zu  bemerken.  Trotz  der  schlimmen  Folgen,  die 
man  mit  der  Erscheinung  eines  Kometen  verband,  wird  dieser,  wie  es 
scheint,  doch  immer  nur  mit  Gott  selbst  als  dessen  Zuchtrute  in  Verbindung 
gebracht.  Als  Teufelswerk  erscheinen  die  Kometen,  soviel  ich  sehe,  nie- 
mals, und  so  werden  auch  des  Teufels  Dienerinnen,  die  Hexen,  denen 
doch  sonst  Unwetter,  Sturmfluten  und  böse  Naturerscheinungen  aller 
Art  in  die  Schuhe  geschoben  sind,  für  Kometen  niemals  verantwortlich 
gemacht. 

We-m  wir  mit  der  also  gewonnenen  Kenntnis  von  der  abergläubischen 
Beurteilung,  die  das  deutsche  Volk  Jahrhunderte  lang  der  Erscheinung 
eines  Kometen  entgegenbrachte,  uns  nun  noch  einmal  kurz  überlegen, 
welche  Folgerungen  sich  daraus  für  den  Geschichtsforscher  und  für  den 
Volkskundler  ergeben,  so  zeigt  sich,  dass  die  sorgfältige  Sammlung  der 
einschlägigen  Quellen  nach  mancher  Richtung  wertvoll  sein  muss.  Die 
planmässige  Zusammenstellung  geschichtlicher  Nachrichten  über  Elementar- 
ereignisse, die  der  Gesamtv erein  deutscher  Geschichts-  und  Altertums- 
vereine infolge  der  Wiener  Beschlüsse  vom  Jahre  1906  in  die  Wege  leitet, 
wird  sich  daher  auch  bezüglich  der  Kometenforschung  sehr  nützlich  er- 
weisen. Sie  wird  nicht  nur  die  Kenntnis  der  geschichtlichen  Quellen  über 
die     Beobachtungen     von     Kometen    in     mancher     Hinsicht     vermehren, 


Der  Komet  im  Volksglauben.  33 

und  sie  wird  dadurch  rieht  nur  den  Astronomen  eine  möglichst  lücken- 
lose Reihe  geschichtlicher  Nachrichten  über  die  Erscheinung  von  Kometen 
darbieten,  aus  der  sich  unzweifelhaft  für  mehr  als  eine  dieser  Himmels- 
erscheinungen die  Beobachtungsdauer  mit  annähernder  Genauigkeit  wird 
feststellen  lassen,  und  die  dann  vielleicht  auch  die  Möglichkeit  bietet,  die 
periodische  Wiederkehr  ein  und  desselben  Kometen  noch  über  die  neun- 
zehn Fälle  hinaus,  bei  denen  es  bis  jetzt  gelungen  ist,  einwandfrei  zu  be- 
rechnen. Vielmehr  werden  dabei  auch  die  geschichtlichen  und  volks- 
kundlichen Forschungen  einen  erheblichen  Gewinn  haben. 

Geschichtlich  betrachtet,  ist  es  uns  ja  klar  geworden,  dass  es  sich  bei 
den  Kometen  um  durchaus  typische  Erscheinungen  handelt,  mit  denen 
ganz  bestimmte  Beurteilungen  verbunden  waren.  So  haben  wir  es  bei 
jedem  Kometen  mit  einem  typischen  historischen  Moment  von  treibender 
Kraft  zu  tun.  Wir  kennen  die  Auffassung,  die  man  in  der  Vergangenheit 
davon  hatte,  und  die  Folgerungen,  die  die  Menschen  der  Vergangenheit 
daraus  für  die  eigene  Lebensführung  zogen.  Mit  diesen  Auffassungen  und 
mit  diesen  Folgerungen  müssen  also  unzweifelhaft  manche  geschichtlichen 
Ereignisse,  deren  Grund  wir  sonst  nicht  einsehen  würden,  in  Verbindung 
gebracht  werden,  und  so  wird  sich  von  hier  aus  manche  geschichtliche  Er- 
kenntnis ermöglichen,  die  uns  sonst  vielleicht  immer  verschlossen  bleiben 
würde. 

Endlich  aber  wird  sich  durch  die  Kenntnis  der  Ausdeutungen,  die 
die  Kometen  zu  verschiedenen  Zeiten  erfahren  haben,  auch  für  die  allge- 
meine Geschichte  des  Aberglaubens  wichtiges  Material  ergeben.  Das  wird 
vor  allem  nach  einer  ganz  bestimmten  Richtung  von  Wert  sein.  Bei  dem 
Kometenglauben  liegen  die  Verhältnisse  ja  anders  als  bei  fast  allen 
sonstigen  Arbeiten,  die  die  Geschichte  und  die  Daseinsformen  des  Aber- 
glaubens aufzudecken  suchen:  Es  ist  bekannt,  dass  der  abergläubische 
Mensch  sich  von  den  für  vorbedeutungsvoll  gehaltenen  Ereignissen  immer 
nur  die  zu  merken  pflegt,  bei  denen  er  eine  böse  Folgeerscheinung 
tatsächlich  glaubte  feststellen  zu  können.  Wieviele  gleichartige  Er- 
scheinungen er  aber  dabei  in  seiner  Statistik  übergeht,  das  lässt  sich 
so  gut  wie  niemals  ermitteln.  Bei  dem  Kometenaberglauben  liegen  die 
Dinge  anders.  Hier  ist  gerade  der  Teil,  der  sonst  zweifelhaft  bleibt,  zu- 
verlässig bezeugt.  Hier  kennen  wir  die  Zahl  der  beobachteten  Vorzeichen 
annähernd  genau.  Hier  können  wir  also  vergleichen,  welche  späteren 
Folgen  der  Aberglaube  mit  ihnen  in  Beziehung  setzt,  über  wie  lange  Zeit 
man  die  Nachwirkungen  noch  glaubte  feststellen  zu  dürfen,  und  vor  allem 
auch,  zu  welchen  Auskünften  man  griff"  in  den  Fällen,  in  denen  die  ge- 
fürchtete böse  Folgeerscheinung  scheinbar  nicht  eingetreten  war,  wie 
man  sich  dann  half,  um  die  Bösartigkeit  des  Kometen  schliesslich  doch 
anscheinend  überzeugend  in  die  Erscheinung  treten  zu  lassen. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.   Heft  1.  3 


34  Lauffer: 

So  lassen  sich  also  aus  diesen  BeoLaclituugeu  sowohl  methodisch  iüv 
die  Aberghiubeiisforschiiog  als  auch  inhaltlich  nach  der  Seite  der  Völker- 
psychologie umfangreiche  und  mannigfaltige   i^^rgebnisse  gewinnen. 


Anhangweise  möchte  ich  hier  noch  ein  paar  völkerkundliche  Nach- 
richten über  afrikanischen  Kometenaberglauben  anschliessen,  die  ich  durch- 
weg den  freundlichen  Bemühungen  meines  Kollegen  Meinhof  und  seiner 
Hilfsarbeiter  am  Hamburgischen  Kolonialinstitut  verdanke  und  die  die 
Kometenberichte  bei  R.  Andree,  'Ethnographische  Parallelen  und  Ver- 
gleiche" (Stuttgart  1878,  S.   113)  in  mancher  Hinsicht  ergänzen. 

Der  eingeborene  SprachgehilCe  Abudu  Rashid  erzählte  über  den  Kometenglauben 
der  Hausa  folgendes:  Im  Jahre  130(J  der  Hidschra  des  Propheten  sah  man  zuerst 
einen  Kometen,  d.  h.  im  Jahre  1884  christlicher  Zeitrechnung.  Als  dieser  Komet 
erschien,  fürchtete  sich  jedermann:  denn  man  glaubte,  das  Ende  der  Welt  sei 
herbeigekommen.  Da  versammelten  sich  die  Leute,  die  'Schriftgelehrten',  die 
Manner  und  die  Frauen.  Man  legte  den  Rosenkranz  nicht  mehr  aus  der  Hand, 
hielt  an  am  Gebet  und  flehte  zu  Gott.  Ein  weiser  Malam  sagte  zu  den  Leuten 
des  Hausalandes:  „Dieser  Komet  bringt  mancherlei  Kunde.  Zunächst,  dass  grosse 
Könige  der  Welt  sterben  werden.  Krankheit  und  Plage  wird  überhand  nehmen, 
Krieg  und  Veränderung  in  den  Zeitumständen.  Nicht  wird  man  mehr  kennen 
Gehorsam  noch  Erbarmen.  Die  Weiber  werden  ihren  Männern  nicht  mehr  folgen, 
Kinder  nicht  mehr  ihren  Eltern.  Sklaven  nicht  mehr  ihren  Herren,  Untertanen 
nicht  mehr  ihren  Königen."  Und  so  geschah's;  denn  mit  der  Zeit  des  Kometen 
hat  sich  jedes  und  jedes  verändert.  Der  Komet  aber  erscheint  alle  26  Jahre,  oder 
auch  alle  28.     So  ist  es. 

Die  Hausa  glauben  beim  Erscheinen  eines  Kometen,  es  gibt  Krieg:  sie  glauben, 
es  tritt  ein  Sterben  ein,  ganz  grosse  Könige  werden  sterben.  Sie  glauben,  die 
Welt  würde  umgekehrt.  Sie  glauben,  was  man  noch  niemals  erlebt  habe,  würde 
man  dann  erleben.  Krieg  wird  kommen  in  Menge  und  Seuchen,  Krieg  Zwischen 
solchen,  die  einander  die  Nächsten  sein  sollten:  Muslime  sollen  vertilgen  Muslime, 
Christen  ihre  Brüder,  die  Christen,  Heiden  ihre  Brüder,  die  Heiden.  Wir  rufen 
einem  Kometen  zu  und  pflegen  zu  sagen:  „Geschwänzter  Stern,  dein  Anblick  be- 
deutet nichts  Gutes". 

Der  Suaheli  Mtoro  bin  Mwenyi  Elbakari  aus  Bagamoyo  sagte:  Der  Komet  ist 
ein  Zeichen,  er  kommt  nicht  umsonst.  Als  in  Afrika  einer  erschien,  hiess  es: 
Fremde  werden  kommen,  Leute  aus  dem  Meer  —  die  Gelehrten  sagten:  Europäer  — 
und  werden  das  Land  einnehmen. 

HoUis,  The  Naudi  (Oxford  1909.  S.  79.  81.  100)  schreibt:  When  the  new 
moon  is  seen,  when  shoting-stars  or  a  comet  are  visible,  or  when  there  is  an 
eclipse  of  the  run  or  moon  the  Naudi  spit  and  pray  for  good  luck  .  .  .  Shooting 
Stars  and  comets  are  a  sign  of  great  ill  future  —  especially  the  latter  —  and 
when  people  see  them  they  must  spit  and  offer  up  a  prayer.  ...  A  comet  is 
regarded  as  the  precursor  of  great  misfortune.  When  one  is  seen.  war,  drought 
famine,  disease,  and  ruin  may  be  exspected  as  a  result. 

Bei  Hollis,  The  Masai  (Oxford  190.').  S.  277)  fmdet  sich  das  Folgende:  When 
the  Masai  see  a  comet,  thev  know  that  a  grcet  trouble  will  befall  them,  the  cattle 


Der  Komet  im  Volksglaiibeii.  35 

will  die,  there  will  be  a  lamine,  and  their  people  will  joiu  tiie  enemies.^)  It  is 
Said  that  a  coraet  was  once  seen  before  the  Europeans  arrived.  and  as  some 
Masai  childien  were  watering  the  cattle  at  a  pond  after  herding  them,  a  creature 
resembling  an  ox  but  green  in  colour  issued  from  the  water.  The  children  were 
frightened,  and  kiilod  ii.  They  then  disembowelled  it,  and  found  that  its  body 
was  füll  of  caul-fat  instead  of  blood.  On  returning  to  the  kraal  they  related  what 
had  occured.  When  they  raedicin-man  heard  the  story,  he  said:  'If  we  see 
another  comet,  people  who  are  green  in  colour  will  come  out  of  the  water  and 
Visit  our  country.  Should  the  be  killed,  caul-fat  instead  of  blood  will  be  seen 
issuing  from  their  bodies?  Shortly  after  the  appearance  of  the  next  comet  the 
Europeans  arrived.  Ft  was  formerly  believed  that  they  had  no  blood,  and  that 
their  bodies  were  füll  of  caul-fat. 

Der  afrikanische  Spiachgehilfe  Christian  Baumann  (Hamburg)  schreibt  mir 
über  den  Kometenglauben  der  Bergdamara  (Üeutsch-Süd- West-Afrika)  das  Folgende: 
Die  Kometen  werden  als  rnglücksbringer  nicht  gern  begrüsst.  Erscheint  ein 
solcher,  so  stehen  dem  Stamme  oder  dem  Lande  schwere  Zeiten  bevor,  oder  sie 
befinden  sich  schon  in  solchen,  in  denen  Sterbefälle  in  den  Häuptlingsfamilien 
eintreten  können,  ein  schlechter  Regenfall,  Trockenheit  und  Hungersnot,  oder 
Epidemien  aller  Arten  unter  Menschen  und  Tieren  ausbrechen.  Unglücklicherweise 
fielen  tatsächlich  mit  Kometenerscheinungen  auch  sehr  oft  in  ihrem  Volksleben 
unvergesslich  schwere  Zeiten  zusammen.  So  z.  H.  erschien  ein  Komet  im  Jahre 
der  grossen  Menschen-  und  Rinderpest.  Dann  llHÜ/11  zur  Zeit  des  Erscheinens 
des  Halleyschen  Kometen  erfolgte  der  Tod  des  letzten  Bergdamara-Oberhäuptlings 
Cornelius  Goreseb  in  Okombahe.  Diese  und  ähnliche  Fälle  befestigten  in  dem 
Bergdamaravolk  den  Glauben,  dass  ein  Erscheinen  von  Kometen  im  Zusammen- 
hang mit  unglücklichen  Zeiten  stände. 
Haiiiburir. 


Bohueulieder. 

A  (.n   Arthur  Kopp. 

Die  ^YallrscheinUcll  zunächst  im  südwestlichen  Viertel  Deutschlands 
heimische,  dort  altüberkommene  Redewendung  'Das  geht  noch  übers 
Bohnenlied'  scheint  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  infolge  des  uneinge- 
schränkten lebhaften  Verkehrs  über  das  ganze  deutsclie  Sprachgebiet 
verbreitet  zu  haben,  so  dass  man  sie  jetzt  wohl  als  jedermann  bekannt 
voraussetzen  und  als  allgemein  volkstümlich  bezeichnen  darf.  Sie  besagt 
meistenteils  etwa  'das  ist  unerhört  oder  unglaublich,  das  ist  gar  zu  närrisch 
oder  töricht,  es  übersteigt  jedes  erlaubte  Mass,  jeden  Begriff  oder  jede 
Vorstellung".  Doch  ^Yerden  die  Worte  von  vielen  auch  äusserst  unbe- 
stimmt, fliessend  und  verschwommen  angewandt,  so  dass  man  gar  keinen 
rechten  Sinn   dabei    verstehn    und    suchen,    sondern  oft    nur  eine  nichts- 


1)  The  Dinkas  (am  mittleren   Nilj  bave    a    sin.ilar    tradition.     iKauimaiiD,    Schihle- 
rungen  S.  1-22.) 

3» 


36  Kopp: 

sagende  lledensart  wie  maucli  andere  festlegen  kann,  zur  Äusserung  von 
Staunen  oder  Zweifel  oder  auch  zur  blossen  Bekundung  der  Aufmerk- 
samkeit auf  etwas  als  ausserordentlich  Vorgetragenes.  Die  meisten  ver- 
binden eben,  wenn  sie  vom  Bohnenlied  sprechen,  damit  gar  keinen  Ge- 
danken an  irgend  ein  bestimmtes,  ihnen  vertrautes  Lied.  Selbst  in  den 
umfangreichsten  Sammlungen  neuzeitlicher  so  kunst-  wie  volksmässiger 
Lieder  findet  man  kein  jetzt  noch  übliches,  in  diesen  Zusammenhang 
passendes  Bohnenlied,  und  es  dürfte  schwerlich  mehr  ein  solches  geben. 
auch  im  Volksmunde  nicht.  An  Lieder  wie  'Wenn  hier  ein  Pott  mit 
Bohnen  steht',  oder  'Trinkt,  ihr  deutschen  Brüder',  worin  es  heisst  'Lasst 
den  Türken  ihre  Bohnen',  oder  den  Kiiidersingsang  'Eine  kleine  weisse 
Bohne  führte  mich  nach  Engelland',  oder  sonstige  Verse,  worin  zufällig 
und  nebensächlich  auf  ganz  unverfängliche  Weise  der  Bohnen  gedacht 
wird,  lässt  sich  nichts  anknüpfen.  Die  meisten  wnirden  in  Verlegenheit 
geraten,  wenn  mau  sie  danach  fragen  wollte,  welches  Lied  ihnen  vor- 
schwebe bei  der  Anführung  des  Bohnenliedes  und  woher  jene  Redensart 
ihrer  Meinung  nach  eigentlich  stamme.  Nein,  vielmehr  sie  würden  sich 
nicht  in  Verlegenheit  bringen  lassen,  da  man  im  alltäglichen  Verkehr  viel 
zu  sehr  gewöhnt  ist,  alle  möglichen  Ausdrücke,  ja  Dutzende  von  eigen- 
artigen Redewendungen  ganz  gedankenlos  zu  benutzen,  ohne  dass  man 
sich  und  andern  Rechenschaft  von  Ursprung  und  Herkunft  gibt  oder 
geben  kann.  Das  trifft  häufig  sogar  die  gelehrtesten  und  gewaltigsten 
Kenner,  Meister  und  Beherrscher  der  Sprache. 

Früher  nun  gab  es  mehr  als  genug  deutsche  Bohnenlieder,  solche 
Lieder,  worin  die  Bohne  dem  Ganzen  das  eigentliche  kennzeichnende 
Gepräge  verleiht  und  gewissermassen  die  Hauptrolle  spielt;  aus  dem 
16.  Jahrhundert  sind  mehrere  derartige  noch  überliefert.  Das  bei  Schöfi'er 
und  Apiarius  ohne  Zeitangabe  zu  Strassburg  um  1536/37  erschienene 
Liederbuch  von  65  Liedern  (Goedeke,  Grundr.^  2,  32)  enthält  allein  drei 
Nummern,  die  man  unzweifelhaft  als  wirkliche  Bohnenlieder  bezeichnen 
muss:  Nr.  6  'Man  sagt  von  geld  und  grossem  gut'  in  5,  Nr.  7  'Wer  lützel 
bhalt  und  vil  verthut'  in  6,  Nr.  35  'Wer  hoffart  treibt  mit  fremdem  gut" 
in  3  zehnzeiligen  Strophen,  alle  drei  mit  gleichem  Kehrsatz  'Nun  gang 
mir  aus  den  bonen'.  Nr.  7  dieses  Liederbuchs  findet  man  auch  im  Lauten- 
buch Neusidlers,  Nürnberg  1536  'Wer  wenig  bhalt  und  vil  verthut" 
(Goedeke^  2,  29) ;  Bruchstücke  von  Nr.  6  und  7  bei  Fischart,  siehe  Ch.  A. 
Williams,  Zur  Liederpoesie  in  Fischarts  Gargantua,  Diss.  1909  S.  56. 
Ein  viertes  Lied  mit  eben  diesem  Kehrsatz  in  3  zwölfzeiligen  Strophen, 
beginnend  'Frisch  ist  mein  sin,  klein  ist  mein  gwin,  gar  tapfer  wil  ichs 
wagen'  überliefern  Ivo  de  Vento,  Newe  Teutsche  Lieder,  München  1570 
Nr.  17;  Fühler,  Teutscher  Lieder  XX,  München  1585  Nr.  12  (Goedeke- 
2,47  u.  55);  Val.  Haussmann,  Lieder  1597  Nr.  22.  Diese  Lieder  müssen 
im    17.  und  18.  Jahrhundert    verschollen    gewesen    sein.     Später  sind  sie 


Bolmenlieder.  37 

durch  neuzeitliche  Forscher  uiul  Sammler  mehrfach  wieder  gedruckt,  so 
durch  Docen  in  seinen  Miscellanea  2,  254/5  Nr.  6  und  7  des  Liederbuchs 
von  Schöffer  und  Apiarius  mit  gehaltvollen  Bemerkungen  über  das  Bohnen- 
lied, Zusätze  S.  12;  dieselben  beiden  Lieder  Uhland  Nr.  235/6;  ebenso 
Mittler  nebst  'Frisch  ist  mein  sinn  Nr.  681)— 91;  dieselben  drei  wie 
Mittler  auch  Böhme,  Altd.  Liederbuch  S.  435/6  Nr.  461  und  462a  und  b, 
dagegen  alle  drei  des  Liederbuchs  von  Schötfer  und  Apiarius  im  Lieder- 
hort 3,  97  —  99  Nr.  1174—76.  Erwähnenswert  ist  noch  ein  Lied  aus  Harnisch, 
Liedlein  1591  in  Böhmes  Altdeutschem  Liederbuch  S.  389  Nr.  307  'Was 
sol  ich  machen  dann  aus  dir",  worin  die  zweite  von  4  siebenzeiligen 
Strophen  beginnt  'Ich  sich,  du  bist  weder  heiss  noch  kalt,  drum  ge  mir 
aus  den  bonen  bald".  [Ohr.  Holländer  1575  in  Neue  ])reuss.  Provbl.  3.  F. 
8,  168.  1861.  Wickram,  Werke  2,  286  dichtete  1557  ein  Lied  im  Ton: 
Gang  mir  auß  den  bonen.  | 

Wenn  die  Redensart  vom  Bohnenlied  nach  Docen  als  in  Schwaben 
be>;<»nders  verbreitet  anzusehen  ist,  so  berichtet  Mittler  S.  521  „Der  Refrain 
in  diesen  Liedern  bezieht  sich  auf  den  im  XVL  Jahrhundert  üblichen 
Witz:  wenn  die  Bohnen  blühen,  gibt  es  viel  Narren,  und  hat  den  Sinn: 
lass  mich  in  meiner  Narrheit  ungestört,  ich  will  ein  Narr  bleiben".  .  .  . 
„So  kam  es.  dass  das  Bcdmenlied  sprichwörtlich  als  Inbegriff  aller  Narr- 
heit aufgeführt  werden  konnte,  und  noch  jetzt  hat  man  in  Hessen,  in 
Frankfurt  und  weiter  südlicli  die  Redensart:  das  geht  nocii  ül)er  das 
Bohnenlied". 

Ausser  Schwaben  und  Hessen  kommt  für  das  Bolmenlied  und  die 
davon  abgeleitete  Redensart  besonders  noch  die  Schweiz  in  Betracht. 
Vor  allem  bezieht  man  sich  auf  eine  Stelle  von  Anshelms  Berner  Chronik 
6,  107  (abgedruckt  oder  behandelt  in  den  Ausgaben  des  Nik.  Manuel 
von  Grieueisen  S.  91,  von  Bächtold  S.  CXXXI,  in  der  Einleitung  zu  seinen 
Schweizerischen  Tolksliedern  von  Tobler  S.  CXL,  in  Goedekes  Grund- 
riss'  2,339.  in  Böhmes  Liederhort  3,99.)  Danach  wurden  im  Jahre  1522 
zu  L)<H-n  zwei  Fastnachtspiele  des  dortigen  berühmten  Dichters  und  kunst- 
reichen Malers  Nik.  Manuel  öffentlich  aufgeführt,  eins,  der  Totenfresser 
'berührend  alle  Missbräuch  des  ganzen  Babstthumbs  uff  der  Pfaffen  Fass- 
nacht, das  ander  von  dem  Gegensatz  des  Wesens  Christi  Jesu  und  sines 
genanten  Statthalters,  des  römischen  Babsts  uff  die  alte  Fassnacht. 
Hiezwischen  uff  der  Eschen  Mitwuchen  ward  der  römische  Ablass  mit 
dem  Bohnenlied  durch  alle  Gassen  getragen  und  verspottet".  Diese  Nach- 
richt mit  ihren  genauen  tatsächlichen  Angaben  veranlasste  die  Frage, 
welches  Bohnenlied  hier  gemeint  sei.  Die  Frage  mag  vielleicht  nicht 
ganz  so  mttssig  sein  als  die,  welches  der  sprichwörtlichen  Redensart  zu- 
grunde liege;  doch  wird  sich  das,  falls  nicht  anderswoher  Genaueres  und 
Näheres  über  Inhalt  und  Beschaffenheit  jenes  Bohnenliedes  ermittelt  wird, 
ebensowenig  ausmachen  lassen. 


3S  Kopp: 

Drei  von  den  vier  genannten,  anscheinend  vollständig  erhaltenen 
Bolinenliedern  wollen  einen  Anlauf  nehmen  zu  kecker  Ausgelassenheit 
entsprechend  nintwilliger  Fastnachtslaune,  wonach  es  als  höchste  Weisheit 
hingestellt  wird,  nicht  zu  knausern,  sondern  alles  draufgehen  zu  lassen, 
sich  um  die  Zukunft  keine  >Sorge  zu  machen,  sich  des  Lebens  nach  Mög- 
lichkeit zu  freuen  und  es  in  vollen  Zügen  zu  geuiessen.  Aber  dieser  au- 
gestrebte Frohsinn,  diese  schalkhafte  Munterkeit,  wozu  geistige  Freiheit 
und  Überlegenheit  gehören  würde,  bleiben  unentwickelt  in  den  Ansätzen 
stecken,  die  rechte  Stimmung  witziger  Ungebundenheit  will  nicht  auf- 
kommen, man  traut  sich  nicht  und  wagt  sich  niclit  aus  sicli  selber  und 
aus  der  gewohnten  Enge  heraus.  Von  den  drei  Schöfferschen  entspricht 
nur  das  eine  'Man  sagt  vo7i  geld  und  grossem  gut"  (Nr.  (>)  einigermassen 
jener  unbekümmerten,  sprudelnden  Lustigkeit,  wie  sie  manche  späteren 
Schlemmer-  und  Fastnachtslieder  zeigen.  Aber  das  unmittelbar  folgende 
'Wer  Kitzel  bhalt  und  vil  verthut"  (Nr.  7).  warnt  als  Hegeustück  dazu 
vor  den  verderblichen  Folgen,  predigt  Massigkeit  und  mahnt  zu  ge- 
sittetem Lebenswandel  in  Zucht  und  l^jhrbarkeit:  es  ist  Avohl  von  den 
drei  Schöfferschen  als  das  jüngste  zu  betrachten,  weil  es  andre  Bohuen- 
lieder,  zu  denen  es  in  Gegensatz  tritt,  mindestens  also  <las  bei  Scliöffer 
unmittelbar  vorangehende,  bereits  als  bekannt  voraussetzt.  Ebenso  ge- 
dämpft und  vorsichtig  äussert  sich  die  Lebenslust  in  dem  dritten  Schöffer- 
schen Gedicht  'Wer  hoffart  treibt  mit  fremdem  gut",  worin  das  erste  Ge- 
sätz  vor  Verschwendung,  das  mittlere  vor  GeistesdünkeJ,  ilas  dritte  V(»r 
Unzucht  warnt.  Dies  ist  unstreitig  das  älteste  von  den  vier  erhaltenen 
Bohnenliedern.  Abgesehn  von  dem  unfreien  h^mpfinden.  der  ungelenken, 
plumpen  Ausdrucksweise  verrät  sich  auch  im  Gemäss  ein  archaistischer 
Zug.  Li  den  ältesten  Liederbüchern  gerade  finden  sich  ein  ])aar  Beispiele, 
dass  für  den  Strophenbau  Yerse  von  4  Hebungen  bei  männlichem  und 
solche  von  3  Hebungen  bei  weiblichem  Schluss  als  gleichwertig  beliandelt 
werden,  wie  hier  in  der  zweiten  und  vierten  Zeile  der  zweiten  Strophe 
das  erstere  (4  H  m),  dagegen  in  den  entsprechenden  Zeilen  der  ersten 
und  letzten  Stro])he  das  letztere  regelrechte  Mass  (3  H  w)  anzutrefTen 
ist.  Dass  letzteres  nach  dem  zugrunde  liegenden  Schema  vorausgesetzt 
werden  muss,  ergibt  sich  aus  der  Yergleichung  der  andern  Bohnenlieder. 
Das  Gemäss  in  den  drei  Schöfferschen  ist  Silbe  für  Silbe  genau  das  gleiche, 
so  dass  alle  nach  derselben  Melodie  gesungen  werden  könnten,  wie  für 
Nr.  (5  und,  vielleicht  als  Parodie  dazu  gedacht,  Nr.  7  nur  eine  Melodie 
geboten  wird.  Auch  das  Pühlersche  Schema  stimmt  im  Silbenmass  genau 
damit  überein,  nur  dass  hier,  wie  bei  den  drei  Schöfferschen  Liedern  in  der 
zweiten,  auch  in  der  vordem  Hälfte  die  Zeilen  von  4  Helmngen  aufgelöst 
sind  zu  -2  mit  einander  gereimten  Hälften  von  je  2  Hebungen  und  so  das 
bekannte  zwölfzeilige  Schema,  die  Dutzendstrophe  hervorgeht.  Beide 
Strophenformen,  die  zwölfzeilige  des  Pühlerschen  wie  die  zehnzeilige  <ler 


Bohnenlieder.  8<> 

Schöffersclieu  Bohnenlieder  •••ehören  \m  Ki.  .lahrliiindert  zu  den  aller- 
1»eliebtesten  nnd  geläufigsten.  Sie  beruhen,  bei  völliger  Übereinstimmung 
im  Silbenmass  und  blosser  Teilung  der  aelitsilbigen  Zeilen  durch  den 
Keim,  auf  jener  schon  längst  in  der  mittelalterlichen  lateinischen  wie 
deutsciien  Poesie  üblichen,  ihrerseits  durch  Yerdoppelung  eines  vierzeiligen 
Schemas  entstehenden  achtzeiligen  Strophenform,  worin  regelmässig  4hebige 
Verse  zu  8  mit  solchen  zu  7  Silben  bei  3  Hebungen  abwechseln:  4  11  m 
3  w  4  mal  ab  ab  c  d  c  d.  Zerlegt  man  hier  die  Zeilen  ö  und  7  in  ge- 
reimte Hälften,  dann  erhält  man  die  zehnzeilige  Form  der  Schöfferschen 
Lieder:  4  H  m  3  w  2  y'  2  2  m  3  w  2  X  a  b  a  b  c  c  d  o  v  d  —  zerlegt  man 
aber  wie  5  und  7  auch  die  Zeilen  1  und  3.  sonach  alle  vier  ungeraden 
Zeilen,  so  hat  man  die  Pühlorscho  Form:  2  2  ni  3  w  4X  aab  ccb 
dde  ffe. 

In  der  Melodie  zu  IS'r.  (?  und  7  des  alten  Strassburger  Liederbuches 
finden  kleine  Unterschiede  statt.  Auf  den  ersten  Yers  mit  seinen  8  Silben 
entfallen  bei  Xr.  (l  nur  11.  bei  Nr.  7  aber  13  Noten.  Diese  geringen 
Abweichungen  beschränken  sich  auf  die  vordere  Hälfte  des  Gesätzes. 
während  in  dessen  zweitem  Teil  Note  für  Note  der  Singweise  überein- 
stimmt. BeilS^r.  ß  ist  Paulus  Wüst,  bei  Nr.  7  Thomas  Sporer  als  Urheber 
der  Vertonung  angegeben.  Auch  in  dieser  Hinsicht  erweist  sich  Nr.  .'15 
desselben  Liederbuchs  als  das  früheste.  Die  von  B.  Arthopius  gesetzte 
Weise  läuft  ganz  einfach  und  altertümlich,  auf  Jede  Silbe  kommt  eine 
Note,  der  Ton  dieses  Liedes  hat  offenbar  den  beiden  andern  Liedern 
als  Vorbild  und  Grundlage  gedient,  ja,  für  die  4Iauptsache,  den  Kehrsatz, 
sind  wie  die  W^orte  so  die  den  7  Silben  entsprechenden  7  Noten  in  allen 
drei  Bohnenliedern  genau  dieselben  geblieben. 

Ausser  der  Gleichheit  in  Tonfall  und  Silbenmass  nebst  etwaiger 
Gleichheit  in  der  Singweise  finden  sich  in  den  vier  Bohnenliedern  auch 
Anklänge  des  Wortlauts.  Alle  vier  haben  denselben  Kehrreim,  der,  am 
Schluss  jeder  Strophe  nachdrücklich  wiederholt,  für  viele  bisweilen  das 
l<]inzige  bleibt,  was  sie  vom  ganzen  Liede  behalten:  'geh  mir  aus  den 
Bohnen"  —  aha,  das  Bohnenlied!  Zudem  fangen  die  drei  Schöfferschen 
alle  mit  demselben  Reim  an:  'Man  sagt  von  Geld  und  grossem  Gut",  'Wer 
lützel  bhalt  und  vil  verthuf,  'W^er  Hoff'art  treibt  mit  fremdem  Gut": 
mancher  hört  aus  alledem  auch  nur  heraus:  Gut  —  Thut  —  Gut  — , 
wobei  Neuere  vielleicht  an  den  schönen  Vers  aus  der  Jobsiade  denken 
mögen  'Hut,  Hut.  Hut.  Hut,  Hut  thut  gut",  eine  von  uns  ver- 
trauensseligen deutschen  Micheln  leider  nicht  genug  beherzigte  Nacht- 
wächterweisheit. Innerhalb  der  Lieder  fallen  auch  ähnliche  Wendungen 
auf;  so  reimt  in  der  ersten  Strophe  von  SchöfFer  Nr.  6  und  in  der  dritten 
von  Schöffer  35  witz:  spitz;  in  der  zweiten  Strophe  von  Nr.  7,  in  der 
ersten  von  35  thür:  für;  in  der  vierten  von  Nr.  6,  in  der  zweiten  von 
Pühlers  Lied  versichern  die  Poeten,  dass  bei   ihnen  'kein  Geld  schimlich 


40  Kopp: 

werden"  solle.  üie  Wiederkehr  dieser  gleichen  Ausdrücke  hängt  innig 
damit  zusainnion.  dass  Gedankengang  und  Grundstinimung  auf  denselben 
Mittelpunkt  gerichtet  sind,  die  Fastnacht.  Wenn  auch  das  eine  mehr 
den  heitern  Genuss  des  der  Lust  geweihten  Augenblicks,  das  andere 
mehr  die  nachträglichen  Folgen  als  trüben  Hintergrund  in  Vorahnung  des 
leidigen  Katzenjammers  bei  der  unausbleiblichen  Ernüchterung  im  Sinne 
hat;  so  bleibt  ihnen  doch  Zeit  und  Anlass  gemeinsam,  und  man  bemerkt 
feinere  Schattierungen  und  Färbungen  doch  erst,  wenn  man  mit  prüfendem 
urteil  und  geschärfter  Aufmerksamkeit  an  diese  Liedergruppe  herantritt, 
wälirend  man  sonst  von  den  verschiedenen  Abstufungen  kaum  etwas 
wahrnimmt.  Es  lässt  sich  behaupten,  dass  der  grossen  stumpfen  Masse  der- 
jenigen, die  damals  eins  oder  das  andre  jener  Lieder  kennen  lernten  oder 
ein  ]»aar  Strophen  sich  aneigneten,  das  Vorhandensein  mehrerer  selb- 
ständiger und  voneinander  getrennter  Singstttcke  gar  nicht  zum  Bewusst- 
sein  kam.  Wenn  jede  Strophe  des  einen  Liedes  ohne  weiteres  in  das 
andere  versetzt  w^erden  kann,  ohne  nach  Sprache,  Stoff  und  Silbenmessung 
davon  abzustechen,  wenn  einmal  diese  Strophen,  ein  anderes  Mal  jene 
vereinigt  und  als  eine  Ganzheit  zusammeugefasst  werden,  wozu  bisweilen 
im  Laufe  der  Zeit  neue,  nach  Lust  und  Laune  hinzugedichtete  treten,  so 
werden  Aussensteheude  leicht  alles  vermengen  und  nur  den  allgemeinen 
unbestimmten  Eindruck  von  Einem  Liede  gewinnen:  so  genau  wirds  dabei 
nicht  genommen.  Beispiele  für  diese  Vorgänge  des  Durcheinanderwerfens 
und  Zusammenschmelzens  oder  Durchsetzens  mit  neuen  Bestandteilen  finden 
sich  bei  Liedern,  die  nach  Form  und  Lihalt  gleichartig  sind,  im  späteren 
Volksgesang  nicht  selten.  Wenn  man  also  jetzt  noch  die  Redensart  vom 
Bohnenlied  anwendet,  obschon  man  kein  solches  kennt,  so  geht  offenbar 
dieser  schwache  Nachhall  auf  die  verschollenen  älteren  Bohnenlieder  im 
allgemeinen  zurück,  und  es  wäre  ganz  vergeblich,  ergründen  zu  wollen, 
welches  einzelne  Bohnenlied  gemeint  sei.  Jene  Lieder,  sowohl  erhaltene 
wie  verlorene  von  ähnlichem  Inhalt  und  gleicher  Form,  sind  eben  das 
Bohnenlied.  Ebenso  muss  man  auch  die  vielumstrittene  Notiz  der  Berner 
Chronik  auffassen.  W^enn  der  Ablass  mit  dem  Bohnenlied  herumgetragen 
wurde,  so  kann  es  ein  Spottgedicht  nach  der  Melodie  des  Bohnenliedes 
gewesen  sein;  kam  der  besagte  Befrain  'So  gang  mir  aus  den  bonen" 
darin  vor,  dann  mag  es  dennoch  ein  für  diesen  Zweck  neu  gedichtetes 
darstellen:  immerhin  liegt  auch  die  Möglichkeit  vor,  dass  eins  von  den 
drei  Bohnenliedern  des  in  Strassburg  erschienenen  Drucks  gemeint  sei. 
Will  man  aber  ein  bestimmtes  nennen,  so  muss  man  sich  wohl  mit 
Böhme  für  Nr.  o5  entscheiden. 

Indessen  ist  bei  jener  Notiz  noch  ein  Umstand  zu  berücksichtigen. 
Neben  dem  zur  -Verspottung  des  Ablasses  durch  alle  Gassen  getragenen 
und  vom  Volk  abgesungenen  Bohnenlied  werden  zwei  von  Nik.  Manuel 
verfasste  Fastnachtspiele    genannt,    im  Anschluss  an  welche  das  Lied  an- 


Bohiienlieder.  41 

sclieiiiend  vorgetragen  wurde,  nicht  als  Eingebung  des  Augenblicks  von 
der  hin-  und  herflutenden  Menge,  sondern  als  einstudierter  Chorgesang  in 
geordneter  Prozession.  Dann  könnte  Manuel  für  diesen  Zweck  eigens 
ein  Lied  verfasst  haben,  und,  wenn  das  der  Fall  wäre,  dieses  verloren 
oder  eins  der  noch  vorliegenden  sein,  in  letzterem  Falle  wieder  unzweifel- 
haft Nr.  o5.  ein  zu  der  sonstigen  Art  Manuels  passendes  Lied.  Es  ist 
nicht  nötig,  dass  das  Lied  sich  auf  den  Ablass  inhaltlich  bezog;  der  in 
jeder  Strophe  wiederkehrende  Satz  'nun  gang  mir  aus  den  bonen'  wie  schon 
die  blosse  Melodie  des  allbekannten  alten  Bohncnliedes,  den  Ablasskrämern 
entgegengehalten,  war  Spotts  genug.  Jedermann  kannte  damals  die  Be- 
deutung der  überlieferten  Redensart  'einem  das  Bohuenlied  singen",  und 
wo  dieses  ertönte,  wusste  man  schon  von  weitem,  dass  jemandem  der  Kehraus 
gespielt  würde,  wie  ja  dem  üblichen  Refrain  entsprechend  nur  damit 
gemeint  sein  konnte:  'Du  bist  verrückt,  mein  Kind',  'scher  dich,  pack 
dich,  troll  dich  forf.  Wenn  aber  auch  ein  beliebiges,  älteres  Bohnen- 
lied sehr  wohl  die  gewünschte  Wirkung  hervorzubringen  vermochte,  so 
scheint  Nik.  Manuel  doch  am  Berner  Bohnenlied  vom  Jahre  15'22  näher 
beteiligt  gewesen  zu  sein,  da  sich  später  im  Gedächtnis  der  Familie 
Manuel  das  Bohnenlied  auffallend  fest  behauptet  und  vermöge  familiär- 
intimer Tradition  eine  gewisse  Vorliebe  dafür  zu  herrschen  scheint.  Im  1548 
verfassten  ^Weinspiel"  von  Hans  Rudolf  Manuel,  dem  Sohne  des  Nikolaus 
(Bächtold  S.  384;  Neudr.  101/2  S.  -29).  wird  imter  besonders  volkstümlichen 
Weisen  'das  bonenlied"  erwähnt,  und  auch  im  'HochzeitsspieF  für  Albrecht 
Manuel  und  Magd.  Nägelin  wird  es  als  landläufig  vorausgesetzt,  worauf 
Bolte  zuerst  hingewiesen  hat  (Liederh.  3,  BU)- 

Die  stehende  Formel  'geli  mir  aus  den  Bohnen"  war  von  ihrem  Ur- 
sprung an  wohl  nicht  nur  auf  närrisches  Wesen  oder  fastnachtmässiges  Treiben 
eingeschränkt,  sondern  daneben  lief  stets  die  mehr  allgemeine,  mehr 
abgeblasste  Bedeutimg  4a8s  mich  ungeschoren,  bleib  mir  vom  Halse, 
geh  mir  aus  dem  Gehege:  Goedeke  hat  sich  dadurch  verleiten  lassen, 
bonen  für  gleichbedeutend  mit  'Bahnen'  zu  halten,  wie  bei  vielen  Worten, 
in  denen  jetzt  a  sich  durchgesetzt  hat,  in  früherer  Zeit  o  gebräuchlich 
war  oder  Schwanken  zwischen  a  und  o  bestand.  Goedeke  blieb  hart- 
näckig bei  seiner  Ansicht,  auch  nachdem  diese  von  Böhme  mit  Recht  als 
unhaltbar  bezeichnet  worden  war,  und  wiederholte  sie  noch  in  der  zweiten 
Auflage  seines  Grundrisses  (S.  85,  vgl.  S.  339),  obschon  er  doch  selber 
vom  'Bohnenlied'  spricht,  während  man  ein  Lied  schwerlich  'Bahnenlied' 
nennen  würde,,  selbst  wenn  im  Refrain  'bonen'  für  'bauen'  stehen  könnte. 
Im  Deutsehen  Wörterbuch  ist  auch  die  Redensart  zusammengestellt  mit 
Ausdrücken  'wie  man  auch  sagt:  einem  in  die  Erbsen,  in  die  Schoten 
gehn":  dementsprechend  sagt  man  auch  'einem  in  die  Wicken  gehn', 
obschon  hier  'in  die  Wicken  gehn'  —  wie  meist  'in  die  Binsen 
oehn"  —  öfter  für  "verloren  gehn"  gebraucht  wird.      Weshalb  die  Hülsen- 


42  Kopp : 

brächte  bei  derartigen  Ausdrücken  bevorzugt  werden,  mag  merkwürdig 
erscheinen,  vielleicht  gab  die  Bohne  den  ersten  Austoss  dazu. 

Dass  das  Bohnenlied  mit  seinem  ständigen  Kehrsatz  und  sogar  die 
Wendung  'das  geht  noch  über  das  Bohnenlied'  weit  vor  das  16.  Jahrhundert 
zurückgeht,  zeigt  eine  Stelle,  worüber  man  bei  Tobler  liest:  ..In  einem 
l>uzerner  Neujahrsspiel  aus  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  (bei 
Moiie,  Schauspiele  2,  406)  heisst  es: 

diser  sach  bin  ich  fast  müed, 

es  ist  mir  über's  bonenlied  — 

was  mehr  auf  Cberdruss  an  langweiliger  Wiederholung  als  auf  Ibermass 
der  Sache  selbst  deutet."  (Schweiz.  Yolksl.  S.  CXLI:  Grimm.  I).  W.  2. 
•226).  Schon  damals  war  das  Bohnenlied  alt,  ja,  veraltet  und  abgeleiert, 
mau  bezeichnete  damit  etwas  unsäglich  Albernes  und  Abgeschmacktes. 

Diese     Geringschätzung,     dieser    Begriff    des    Nichtigen,    Wertk»sen. 
<Tleichgültigen    konnte    desto    leichter    auf   das  Lied   übergehn    wnd    ihm, 
wofür  es  noch  andre  Belegstellen  gibt,  anhaften,  da  schon  die  Bohne  seit 
ältester  Zeit    im    gewöhnlichen    Sprachgebrauch    dieselbe  Bedeutung    hat. 
Wie  man    jetzt   noch    im    alltäglichen    lässigen  Gespräch    sagt    -nicht    die 
Bohne',  gleichbedeutend  mit  'nicht  im  geringsten',    ähnlich  wie   'nicht  <lie 
Laus,  nicht  die  Spur,  nicht  so  viel  wie  Schwarz  unter  dem  Nagel"  —  wo- 
von manches    in    gebildeter  Gesellschaft    und    im    schriftlichen    Gebrauch 
nicht  mehr  vorkommen  dürfte  —  so  wendet  schon  Walther  von  der  Yogel- 
weide  den  Ausdruck  an:  'kleiner  danne  ein  bone'  d.  i.  so  gut  wie  niolits, 
oder  an  einer  Stelle,  die  vielleicht  schon  auf  Bohnonlieder  anspielt: 
waz  eren  bat  Fro  Bone  (Frau  Boline:) 
daz  man  so  von  ir  singen  sol? 
'Nicht  eine  bone,    nicht  eine  lialbo    bone.    einer   bone(n)   wert"    lässt  sich 
aus  verschiedeneu  älteren  Schriftwerken  belegen. 

Die  deutschen  Wörterbücher  (Grimm  2,  225;  Wander.  Sprichwörter- 
Lex.  1,425  u.a.)  beschäftigen  sich  eingehend  mit  Bohne,  Bohnenlied  und 
allem,  was  drum  und  dran  hängt,  und  bringen  manches  über  die  Be- 
ziehungen der  Bohne  zur  Narrheit.  Im  Riesenwerk  der  Brüder  Grimm 
wird  unter  anderm  eine  Stelle  aus  Fischarts  Bienenkorb  angeführt  'die 
bonenblüst  gibt  vil  gecken'  und  zur  Erklärung  derartiger  Stellen  die 
Bohnenblüte  'lieblich  süss,  aber  betäubend"  genannt.  Wander  führt  u.  a.  an: 
„Die  Bohnen  blühen,  die  Narren  ziehen  —  Feves  fleuries  temps  de 
folies  —  Les  feves  sont  en  Heur,  les  fous  sont  eu  vigueur  —  Als  de 
boonen  bloeijen,  de  zotten  groeijen  —  Er  ist  in  den  Bohnen.  Im  Nieder- 
deutschen für:  er  ist  trunken,  seiner  Geisteskräfte  nicht  mächtig,  auch  für 
Geistesabwesenheit  ohne  Rausch;  er  irrt  sich,  ist  in  Verwirrung.  Die 
Bohnen,  besonders  einzelne  Arten,  sollen  während  der  Blüte  so  stark 
duften,  dass.  wer  sich  lange  darin  aufhält,  betäubt  wird.  Holl.  Hij  is  in 
de  boonen  —  Hij  is  in   de    boonen,    en    plukt  erwten".     Aus    Rüttler    ist 


Bolmenlieder.  4^ 

oben  schon  yermerkt  die  sprichwörtliche  Redensart:  "Wenn  die  Bohnen 
blühen,  gibt  es  viel  Narrend  (Wander  1.  42G:  Tobler  S.  CXLI.)  Wichtige 
Belege  bietet  Kaltf  'In  de  boonen  zijn':  Tijdschrift  v.  ndl.  taal-en  letterk.  t*. 
263—08. 

W^enn  das  bisher  bßhaudelte  Singen  und  Sagen  über  die  Bohne  fast 
ganz  nach  dem  südwestlichen  Deutschland,  hauptsächlich  nach  Schwaben 
und  Schweiz  führte,  weiter  nach  der  Mitte  zu  nur  Hessen  in  Betracht 
kam,  so  verweisen,  wie  schon  die  zuletzt  ausgehobeuen  Stellen,  die  meisten 
sonstigen  von  der  Bohne  wie  vom  Symbol  oder  Abzeichen  der  Narrheit 
ausgehenden  Redewendungen,  Formeln  und  Yerse  nach  dem  niederdeutschen, 
überwiegend  aber  nach  dem  nordwestlichen,  an  Frankreich  stossenden 
(cebiet  und  nach  dem  nördlichen  Frankreich  selbst.  Die  vermittelnde 
Brücke  zwischen  Nordwest  und  Südwest  für  manche  sprachlichen  Erschei- 
nungen wie  für  manche  Yolksgobräuehe  stellen  Elsass  und  ausser  dem 
recht  weit  hinauf  gefassten  Xiederrhein,  Burgund  her.  oder  statt  letzt- 
genanntem Hessen-Nassau.  Die  Niederlande  steuern  ein  längeres  Bohnen- 
lied bei,  das  im  Antwerpener  Liederbuch  vom  Jahre  1544  Nr.  54  zu  finden 
ist:  Yan  den  boonkens.  ühi  sotten  ende  sottinnekens,  /  ghi  meyskens  also 
net,  al  sidy  sot  van  sinnekens,  /  ghi  hoort  doch  altemet  ...  10  zwölfz. 
(Tesätze;  Kehrwort  'als  die  boonen  bloeijen,  ,i;hi  coemt  hem  veei  te  by." 
Auch  wird  zur  Bezeichnung  der  Singweise  für  ein  andres  l.iod  nngofülin: 
■Meysken  gaet  uten  boonen,  u  eerken  hangt  daer  au",  und  wieder  für 
ein  andres  -Wat  zouk  met  all  de  boonen  doen",  und  für  ein  drittes  'Boonen 
plucken',  wo  doch  überall  auch  nur  jetzt  verschollene  Bohnenlieder  ge- 
meint sein  können.  Darüber  handeln  ii.  a.  Kaltt'.  Het  lied  in  de  mid- 
deleeuw  S.  353,  vgl.  S.  470;  Böhme.  Eiederhort  ."..  100:  Fl.  v.  Dnyse.  Het 
oude  nederlandsche  lied  2,  lOTC-Sl;    vgl.  1,  150.  u.  ;3,  -ioSl. 

Bei  Kalff  und  Duyse  findet  man  auch  interessante  Bemerkungen  üher 
die  Formen,  deren  sich  der  Trieb  eingefleischter  Torheit  und  launig  an- 
genommener, vorübergehend  an-  gewissen  Festen  üblicher  Narrenfreiheit 
im  niederländischen  Gebiet  bediente,  wovon  die  Beziehungeu  der  im 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts  bereits  altbegründeten,  von  Antwerpen  damals 
nach  Brabant  eingeführten  Gilde  'Blauwe  Schulte"  zum  Narrenschitt'e  Brant.s. 
des  berühmten  Stras.sburgers,  hervorgehoben  zu  werden  verdienen.  Alte 
Yolksbräuche,  Festlichkeiten,  Umzüge  voll  ausgelassener  Lust  und  Lebens- 
freude mit  mächtigem  Aufgebot  von  allen  möglichen  Fratzen  und  Narren. 
Riesen,  Drachen,  Schiften  und  alle  den  zum  Teil  noch  altheidnischen,  zum 
Teil  altkirchlichen  Typen  und  Masken  waren  im  ganzen  Bereich  der  Nieder- 
lande, zumeist  aber  im  Süden  so  beliebt  und  allgemein  verbreitet  wie 
nirgend  sonst  und  haben  sich  bis  an  die  Schwelle  der  Gegenwart  vor  dorn 
Ausbruch  des  freventlich  entzündeten  Welibrandes  überall  in  Belgien,  selbst 
in  den  grossen  Weltstädten  wie  Brüssel  und  Antwerpen,  behauptet.  Über 
die  zum  Dreikönio-sfest  übliche  Wahl    des   Bohnenkönigs   vermöge   der   iß 


44  Kopp: 

den  Kuchen  eiugebaekenen  Bohne  geben  mehrere  der  im  vorigen  an- 
geführten (Schriften  genügend  Auskunft.  Verwiesen  sei  noch  auf  0.  Frhr. 
V.  Iveinsberg-Düringsfeld,  Das  Festliche  Jahr  (1863  S.  21  —  23  u.  ö.),  er- 
innert au  das  bekannte  'Der  König  trinkt"  (Le  roi  boit),  an  die  lustigen 
Darstellungen  dieses  wichtigen  Aktes  mit  ihren  falstaffartigen  Figuren  des 
Dolineukönigs  auf  den  Gemälden  vieler  flämischer  Künstler  (z.  B.  Steen, 
•Jorda«ns  u.  a.,  Cassel,  München,  Wien,  Paris  u.  ö.)  das  Gedicht  'Der  König 
trinkt"  unseres  in  seiner  Art  alles  umfassenden  Hans  Sachs  nicht  zu  ver- 
gessen (Xeuausg.  9:  Bibl.  d.  lit.  V.  125  S.  392). 

AVeun  aber  auch  in  Flandern,  Brabant  nnd  benachbarten  Gegenden 
iie  Bohne  meist  nur  in  ganz  allgemeinem  Sinne  die  Narrheit  kennzeichnen 
soll,  daneben  deutet  sie  vorzugsweise  die  besondre  Gattung  verliebter 
Narrheit  an.  Duyse  wendet  sich  mit  Unrecht  gegen  Böhme,  der  (Lh.  3,  99) 
gemeint  hat:  „Doch  scheint  im  niederländischen  Volksglauben  die  Bohne 
auch  Beziehung  auf  jungfräuliche  Ehre  gehabt  zu  haben."  Auf  keine 
menschliche  Neigung  wird  von  allen  Völkern  öfter  der  Ausdruck  Narrheit 
oder  Tollheit  angewandt  als  auf  Liebesraserei.  Das  erhaltene  Bohnenlied 
aus  der  Antwerpener  Sammlung  v.  J.  1544  ist  unzweideutig  erotisch  und 
wimmelt  von  derben  Zweideutigkeiten,  wie  das  ganze  Liederbuch  von 
knotigen  und  zotigen  Anspielungen  pornographischer  Art  in  einem  Grade, 
dass  unsere  hochdeutschen  Liederbücher,  in  denen  doch  auch  manches 
mitunterläuft,  im  Vergleich  dazu  für  keusch  und  engelrein  gelten  können. 
Und  jener  Liedanfang,  auf  den  Böhme  hinweist,  'Meysken  gaet  uten  boonen. 
)  eerken  hangt  daer  an"  lässt  sich  beim  besten  Willen  gar  nicht  anders 
auslegen.     Es  ist  im  Grunde  nur  Wortklauberei,  daran  zu  deuteln. 

Wichtiger  mag  die  Frage  sein,  wie  gerade  die  Bohne  zu  diesem  üblen 
Rufe  kommt.  Hier  muss  nun  zuvörderst  berücksichtigt  werden,  dass  in  den 
Zeiten,  auf  die  nachweislich  alle  jene  Redensarten,  der  Volksaberglaube  von 
den  schädlichen  Eigenschaften  und  Einflüssen  der  Bohne,  das  Bohnenlied 
nid  alle  Fäden  dieser  Art  zurückweisen,  unsre  hübschen,  bunten,  zierlichen, 
rankenden  Bohnen  völlig  unbekannt  waren,  die  erst  im  letzten  Drittel  des 
16.  Jahrhunderts  aus  dem  Orient  und  Amerika  nach  dem  Nordwesten 
Europas  eingeführt  worden  sind.  Alles  Böse  mit  aller  üblen  Nachrede 
fällt  somit  auf  die  sogenannten  Grossen,  Puff-  oder  Sau-  oder  Pferde- 
Bohnen.  Darüber  handelt  ein  trefflicher  Aufsatz  von  K.  E.  H.  Krause: 
'Die  Bohne  und  die  Vietzebohne",  Jahrbuch  d.  V.  f.  niederd.  Sprachf.  IG, 
;,3_(;5,  und  mit  Benutzung  dieses  Aufsatzes  bieten  J.  W.  Muller  en 
A.  Kluyver  in  ihrem  'Woordenboek  d.  ndl.  taal",  d.  3  (1902)  Sp.  438— 50 
zum  Worte  'boon'  einen  die  Pflanze  vom  sprachlichen,  volkskundlichen, 
literarischen  und  kulturhistorischen  Gesichtspunkt  klar  beleuchtenden  und 
fast  völlig  erschöpfenden  Abschnitt.  Nebenbei  muss  erwähnt  werden,  dass 
der  niederdeutsche  Name  'Vietzebohne'  nichts  mit  Sankt  Veit  zu  tun  hat, 
woran  wegen  der  ihr  zugeschriebenen  berauschenden  Wirkungen  gedacht 


Bohnenlieder.  45' 

werden  könnte,  sondern  einfach  die  richtige  lateinische  Benennung  vicia 
faba  für  die  Puffbohne  wiedergibt,  wogegen  die  später  eingeführte  Kletter- 
bohue,  die  meist  mit  'Vietzebohne'  gemeint  wird,  als  feineres  Gewächs 
mehr  im  Garten,  wie  jenes  gröbere  mehr  im  freien  Felde  angepflanzt,  iu 
botanischer  Sprache  Phaseolus  vulgaris  heisst.  Auch  Phaseolus  und  faseln 
stehen  in  keinem  etymologischen  Zusammenhang.  Aber  Yicia  hängt  wohl 
mit  Wicke  zusammen. 

Sobald  von  den  vornehmen  Ausländerinneu  wie  den  türkischen  Bohnen 
abgesehen  und  auf  die  viel  früher  in  Deutschland  eingebürgerten  alten  ehr- 
lichen   Puffbohnen    zurückgegriffen    wird,    erklärt    sich    manches  leichter 
und    gewinnt    an    Deutlichkeit.      Wenn  wir  von  einem  Dummkopf  sagen 
'er    hat    zu  viel  Bohnen  gegessen',    so  schreiben  wir  dieser  als  besonder* 
grob  geltenden  Kost  eine  verdummende  Wirkung    zu,    von    wo    der  Weg 
zum    Begriff   der    Torheit    oder    Narrheit  nicht  mehr  weit  ist.     Auch  der 
Ausdruck    'dumm    wie    Bohnenstroh"  dürfte  darauf  beruhen.     Der  frühere 
Volksglaube    vom    betäubenden    und    sinnverwirrenden  Einfluss  der  Blüte 
könnte    dabei  vielleicht  ganz  entbehrlich  werden  oder  als  Nebengrund  in 
Betracht  kommen,  wie  ja  nirgend  im  bunten,  vielverschlungenen  Gewebe 
des    Menschengeistes    die    Fäden    sich    einzeln    und    glatt  sondern  lassen. 
Auch  die  Geringschätzung  der  Bohne  darf  nicht  wundernehmen.     Sie  wird 
offenbar  als  gut  genug  für  Schweinemast  betrachtet,    aber    als  ungeeignet 
zur  menschlichen  Kost  —  daher  der  Name  'Saubohne";  doch  soll  'Pferde- 
bohne'   wohl    auch    die  Grösse,    neben  der  verächtlichen  Bezeichnung  als 
Viehfutter,    andeuten.     Schafsbohne  wie  blaue  Bohne,   Kaffeebohne    nebst 
Bohnen  anderer  Pflanzen  liegen  ausserhalb   dieses  Gedankenkreises,    aber 
sie    spielen    bisweilen    mit    hinein    und  stehen  in  Wechselwirkung  damit. 
Die  Puffbohne  findet  übrigens  immer  noch  selbst  in  den  vornehmsten 
Kreisen    ihre  Liebhaber  und  sagt  einem  noch  so  verwöhnten  Gaumen  zu, 
selbst    beim    schöneren    und    zarteren  Geschlecht,    wenngleich    ihrer  stets 
auch    von    ihren    treusten    Verehrern  mit  einem  leisen  Anflug  neckischer 
Laune    gedacht    wird.      Sie  reicht  bis  ins  graueste  Altertum  zurück,    war 
in    Ägypten,    Troja,    Hellas    und    Rom    vielbegehrt    und    hochverehrt,    in 
Italien    bis    in    die    Neuzeit    hinein    die    wichtigste  Hülsenfrucht  und  be- 
liebtes -Nahrungsmittel    der    breiten    Volksmassen    und    spielte    wohl    vor 
Einführung  der  Kartoffel  in  der  Kost  aller  Schichten  der  meisten  Länder 
Europas  hindurch  eine  Hauptrolle.     Aber  auch  im  Altertum  stehen  manche 
Sonderbarkeiten    mit    ihr    in    Zusammenhang.      Wem  fällt  nicht  sogleich 
das  pythagoreische  Bohnenverbot  ein?     Wander  (5,   1030  Zusätze  und  Er- 
läuterungen) gibt  hierzu  die  beiden  landläufigen  Erkläri^ngen  :  „Pythagoras 
untersagte  den  Genuss  der  Bohnen,  weil  sie  unreines  Blut  erzeugten,   die 
Heiterkeit    der    Seele    störten:    wenn    sie    im    Frühling    blühten,    erfasse 
Schwindel    die    Köpfe."    —    (Sp.  1031)    „Enthalte  dich  der  Bohnen.     Ein 
Ausspruch   des    Pythagoras,    durch    den   er  seinen  Schülern  sagen  wollte: 


4G  Aoj.p: 

Mische  dicli  nicht  in  öffentliche  Angelegenheiten,  wo  mit  Bohnen  ab- 
iiestinnnt  wurde."  (Diog.  L.  8,  .'34:  K.  J.  AVeber.  Demokritos,  8.  Ster.- 
Aiisg.  4>  -15.)  —  l'jin  beciuemes  Auskunftsmittel  in  früheren  Zeiten  war 
•es.  Unerklärliches  auf  ägyptischen  Ursprung  zurückzuführen,  so  das  pytha- 
goreische Bohneuverbot  auf  den  heiligen  Brauch  der  ägyptischen  Priester. 
(Her.  n  39-,  Schopenhauer,  Fragmeute  z.  Gesch.  d.  Philos.  §  2.)  Will 
man  aber  ganz  auf  neuzeitlicher  Höhe  stehen,  so  wird  man  vielleicht  mit 
■Chamberlain  (Grundlagen  des  19.  Jahrh.  Volksausg.  1915  S.  129)  das 
Jjohuenverbot  für  „indisches  Erbgut"  erklären. 

Dass  Bohnen  ein  wohlfeiles  tmd  bequemes  Mittel  bei  Wahlen  und 
Abstimmungen  boten,  leuchtet  ein,  und  so  kann  es  nicht  wundernehmen, 
dass  noch  über  das  Mittelalter  hinaus  die  Bohnen  in  privaten  Zirkeln, 
■Gesellschaften,  Vereinen,  Gilden  und  sogar  in  amtlichen  städtischen  und 
kleinstaatlichen  Körperschaften  für  solche  Zwecke  benutzt  wurden,  also 
desgleichen  zur  Wahl  des  Bohnenkönigs,  der,  als  Narrenkönig  ohnehin 
gedacht,  seine  Geltung  der  Bohne  verdankt  und  seinerseits  wieder  ihre 
•(reltung  als  Narrenfrncht  zu  stützen  vermag.  Ein  Beispiel  für  diesen 
Vorgang  bietet  ein  Festgedicht  auf  die  Königswahl  der  Gilde  van  den 
Witten  Beer,  Brügge  1392  (Oudvl.  Liederen  en  and.  Gedichten:  Maetsch. 
■d.  vi.  Biblioph.  II  i>,  S.  479  —  488).  worin  der  junge  Jan  van  Gruthuse 
feierlich  eingeführt  und  bei  dieser  Gelegenheit  angeredet  wird  als  'ghe- 
<'oroneert  bi  den  ghelucke  van  der  bone". 

Indes  halten  sich  die  bisher  vorgebrachten  durchweg  rein  ratio- 
nalistischen Erklärungen  zu  sehr  an  das  Ausseuwerk.  Um  tiefer  in  den 
inneren  Zusammenhang  zu  dringen,  ist  es  nötig,  die  Bedeutung  der  Bohne 
bei  manchen  Völkern,  zumal  bei  den  Römern,  im  Totenkult  zu  berück- 
sichtigen. Die  leidigen  Folgen  von  reichlichem  Bohnengenuss,  Ver- 
<lauung8beschwerden  und  quälende  Träume  führte  man  auf  die  Seelen  der 
Verstorbenen  zurück,  wie  Krankheit.  Alpdruck  im  Volksaberglauben  all- 
gemein der  Tätigkeit  solcher  dem  Grab  entstiegenen  bösen  Geister, 
(Dämonen,  Vanipyre,  Gespenster,  Mahren,  Alben  usw.)  zugeschrieben  wird. 
Man  fürchtete,  zugleich  mit  den  Bohiien  die  daran  haftenden  oder  darin 
eingeschlossenen  Unheilsmächte  der  Abgeschiedenen  in  sich  aufzunehmen. 
Vgl.  darüber  z.  B.  in  volkstümlich  anziehender  Ausführung  Reling  und 
Bohnhorst,  Unsere  Pflanzen*  1904  S.  329,  besonders  aber  in  wissenschaft- 
licher und  völlig  einleuchtender  Begründung  F.  Boehm,  De  symbolis 
Pythagoreis,  Diss.  Berlin  1905  p.   14—17. 

Auch  die  Beziehungen  der  Bohne  zur  Erotik  sind  nicht  so  wunderbar. 
Der  bei  gesunden  unverbrauchten  Leuten  stets  rege  natürliche  Trieb 
saugt  mit  verwegener  Einbildungkraft  aus  allen  Dingen  und  bei  jeder 
Gelegenheit  Nahrung  und  ist  unerschöpflich  in  der  Aufspürung  von  Bildern 
und  Gleichnissen  —  wie  sollte  da  gerade  die  sonst  so  vielgenannte  Bohne 
beiseite    gelassen    werden?      Schon    die    Form  der  mächtigen  Schote  gab 


Bohnenlieder.  47 

sicher  Anlass  zu  priapischen  Scherzeu,  uiul  kecken  Burschen  willkommenen 
Stoff,  um  verschämte  Mädchen  rot  zu  machen.     Deutlicher  zu  werden,  ist 
wohl    nicht    nötig.     Ferner  wirkt  reichlicher  Bohnengenuss  wohl  aucih  als 
Eeizmittel.      Und     wenn     man    jetzt     Erfahrungen     über     den     sinnver- 
wirrenden Einfluss  der  Blüte  nicht  mehr  sammeln  und  keine  Bestätigung 
des  Volksglaubens    mehr    finden  kann,    so  darf  man  vielleicht  auch  diese 
Redensarten    gar    nicht    wörtlich    nehmen,    vielmehr    mag  darin  nur  eine 
Ausstrahlung  des  allgemeinen  Faseins  über  die  Narrenfrucht  liegen.     Der 
neue  Lenz,    der  beginnende  Sommer,    der  wunderschöne  Mai,  die  wonne- 
same Zeit,    wenn    alles    von    Säften  und  Kräften  quillt  und  schwillt,    von 
frischen    Lebenstrieben    strotzt    und   blüht,    hat  von  jeher  für  die  Jugend 
beiderlei  Geschlechts  als  besonders  anreizend  und  verführerisch   gegolten, 
der  Mensch  kann  sich  dem  allgemeinen  Naturgesetz    nicht   entziehen,   das 
einfachere  Naturkind  zu  Zeiten  überwiegend  ländlicher  Bevölkerung  noch 
weniger    als    die    kühlen    Verstandesmenschen    der   Städte  —  so  kann  es 
nach  allem  Gesagten  weiter  nicht  befremdlich  sein,  dass  man  früher  die  für 
verschiedene  Länder  verschiedene  Zeit,  in  der  die  Leute  liebestoll  werden, 
unbestimmt    geiuig    als    die    Zeit    bezeichnet    Svenn    die  Bohnen  blühen  . 
Bohnenlieder    als    Gesänge,    worin    Albernheiten,     Ungehörigkeiten     und 
Narreteien  aller  Art  vorgestellt  werden,  haben  somit  nichts  Befremdliches. 
Durch  Zusammenstellung  von  Narrentum  und  Bohnenblüte  sollte  zunächst 
vielleicht    gar    kein    ursächlicher    Einfluss    angedeutet    werden,     sondern 
lediglich  der  Zeitpunkt,  und  gerade  die  Bohnenblüto  zur  Bestimmung  des 
nur  zeitlichen  Nebeneinandergehens  anzuwenden,   lag  vor  Einführung  der 
Kartoffel    und    anderer    Feldfrüchte    näher    als   jetzt,    weil    in    den  Jahr- 
hunderten,   als    die    Redensarten    entstanden,    die  Bohne  noch  als  Volks- 
nahrungsmittel'  viel    wichtiger    war.     wahrscheinlich     also     recht    grosso 
Flächen  mit    ihr    bebaut    wurden    und    ihre   Blüte   sich  am  stärksten  der 
Nase    und    dem    Auge    bemerkbar    machte,    sofnit    für    den    Beginn    der 
schönen,  wonnigen,    sehnsüchtig    erwarteten  Jahreszeit    als  kennzeichnend 
gelten  konnte. 

In  seinem  Liederhort  (3,100)  will  Böhme  dem  Inhalt  von  Bohnen- 
liedern noch  einen  andern  Stoffkreis  beilegen  auf  Grund  eines  kindlichen 
Fragespiels,  das  Erk  ISäS  zu  Sulzbach  an  der  Bergstrasse  hörte:  'Was 
ist  das  Bohnelied ?■  fragte  ein  hessisches  Bauernkind;  das  andere  ant- 
wortete: 'Es  laaft  e  Erwes  em  Dach  enutf'.  Dazu  bemerkt  Böhme: 
„Kiermit  ist  etwas  Unmögliches  bezeichnet"  und  vermutet  (S.  99),  „dass 
ein  bis  jetzt  unbekanntes  Fastnachtslied  oder  ein  Lied  von  unmöglichen 
Dingen,  das  viel  Albernes  und  Langweiliges  enthält,  zu  der  Redensart 
(Das  geht  noch  übers  Bohnenlied)  Anlass  gab".  Der  Schritt  von  un- 
glaublich närrischen  und  seltsamen  zu  ganz  unmöglichen  Dingen  ist  zwar 
nicht  gross,  aber  Böhme  geht  mit  seiner  darauf  begründeten  Schluss- 
folgerung   zu    weit.     Hinter    diesem    Kinderschuack    ist    nichts   weiter  zu 


48  Kopi>;    ßohnenlieder. 

suchen.  Er  mag  nun  in  der  Antwort  bestehen,  die  jemand  auf  die  Frage, 
was  eigentlich  das  Bohnenlied  sei,  scherzhaft  gab.  Dass  Kinder  und  auch 
andre  gelegentlich  nach  dem  Liede,  wovon  immer  die  Rede  geht,  sich 
erkundigen,  ist  selbstverständlich,  und  weil  niemand  ein  solches  kennt 
oder  anzugeben  und  vorzusingen  weiss,  so  mag  einmal  jemand  einem 
lästigen  Prager  mit  jenem  unw^irschen  Verweisen  von  der  Bohne  zur  Erbse, 
gewissermassen  von  Pontius  zu  Pilatus,  kurz  und  gut  gedient  haben. 
Redensarten,  worin  die  beiden  Hülsenfrüchte  zusammen  vorkommen,  gibt 
es  noch  mehr:  'Bohnen  Erbsen  sein  lassen'  sagt  man  gleichbedeutend  mit 
'krumm  gerade  sein  lassen',  'aus  den  Bohnen  in  die  Erbsen"  mit  ^aus 
dem  Regen  in  die  Traufe',  u.  a.  m.  Man  könnte  sogar  in  der  Antwort 
eine  Spur  entfernter  Erinnerung  an  die  Zeit,  in  der  die  rankende  Bohne 
neben  der  Ackerbohne  aufkam,  vermuten.  Das  Bohnenlied  wäre  so  das 
Lied  von  der  toll  gewordenen  Puffbohne,  die  gleich  der  Erbse,  ja,  hoch 
über  sie  hinweg  sich  emporzuranken  sucht,  und  "über  das  Bohnenlied  gar 
hinaus'  wäre  schon  über  die  längsten  Stangen  und  höchsten  Däclier.  Doch 
ist  es  wohl  gescheiter,  sich  dabei  zu  beruhigen,  dass  in  jeuer  Antwort 
von  der  das  Dach  hinauf  laufenden  Erbse  nur  der  Sinn  steckt:  Ein  Narr 
fragt  mehr,  als  alle  Weisen  beantworten  können.  Auch  der  lachende 
Philosoph  K.  J.  Weber  wurde  gelegentlich  nach  dem  Bohnenliede  gefragt, 
und  selbst  er  mit  all  seiner  staunenswerten  Belesenheit  in  allen  witzigen 
und  scherzhaften  Schriftwerken  wusste  nichts  darüber  zu  sagen  in  seinem 
Demokritos  2,  1.38. 

AVenn  aber  KalfF  (Het  Lied  in  de  middeleeuw.  S.  .'^54)  meint:  „Dit  is 
alles  wetenswaardig,  maar  brengt  ons  geen  stap  nader  tot  de  oplossing 
der  eigentlijke  vraag",  so  liegt  hier  zu  so  pessimistischen  Äusserungen 
kein  Grund  vor.  Kalff  hat  offenbar  nicht  zur  Genüge  bedacht,  in  wie 
hohem  Grade  das  menschliche  Wissen  Stückwerk  ist  und  wie  bei  jeder 
anscheinend  noch  so  leichten  und  einfachen  Aufgabe  meist  unlösliche 
Reste  bleiben.  Bei  volkstümlichen  Redensarten  und  verwilderten  Ranken 
uralter  Volksweisheit  oder  völkischen  Glaubens  und  Aberglaubens  nun 
gar  alles  bis  in  die  geringsten  Einzelheiten  aufklären  zu  können,  darf 
man  von  vornherein  gar  nicht  erwarten  und  muss  man  vielleicht  niclit 
einmal  wollen,  denn  das  heisst  seine  Hoffnungen  zu  hoch  spannen  und 
Unmögliches  verlangen.  Solche  geistigen  Wildlinge,  bei  deren  Entstehung 
keine  scharf  und  folgerichtig  denkenden  Köpfe  beteiligt  waren,  sondern 
trüb  und  verworren  gärendes  Massenempfinden  sich  Ausdruck  verschaffte, 
locken  den,  der  sie  bis  auf  die  letzten  Gründe  zurückverfolgen  und  ab- 
leiten will,  nur  zu  leicht  in  unergründliche  Tiefen.  So  betrachtet,  steht 
es  in  diesem  Falle  nicht  ungünstig  um  Kenntnis  und  Nachweis  der  Zu- 
sammenhänge, gewisse  Grundzüge  sind  für  eine  lange  Reihe  von  Jahr- 
hunderten festgestellt, '  und  so  dürften  auch  die  hier  gebotenen  Dar- 
legungen,   so    wenig    Neues    darin    zu    finden    sein    mag,    die    Forschung 


Bolte:  Deutsche  Märchen  aus  dem  Nachlasse  der  Brüder  Grimm.  49 

immerhin  sogar  mehr  als  einen  'Stap'  vorwärts  bringen,  womit  selbst- 
verständlich nicht  gesagt  werden  soll,  dass  andre  nicht  noch  weiter  ge- 
langen könnten. 

Marburg  in  H. 


Deutsche  Märclien 
aus  dem  Nachlasse  der  Brüder  Grimm. 

Von  Johannes  Bolte. 

(Vgl.  oben  25,  31—51.  372-380.  2(i,  19-42.) 


4.  Die  Prinzessin  im  Sarge  und  die  Schild  wachet). 

Es  war  einmal  ein  König  und  eine  Königin,  die  hatten  aber  gar  keine  Kinder; 
da  wurde  der  König  einmal  recht  böse,  und  da  rief  er:  'Nun  wollte  ich  doch, 
dass  ich  ein  Kind  hätte,  und  wenn  es  auch  der  lebendige  Teufel  wäre.'  Und 
alsbald  bekam  die  Königin  eine  Tochter,  die  war  so  schwarz  wie  ein  Rabe  und 
so  hässlich,  dass  man  ordentlich  angst  wurde,  wenn  man  sie  ansah;  und  sie 
brüllte  wie  ein  Tier  und  war  ganz  unklug.  Und  da  sie  nun  zwölf  Jahre  alt  war, 
sagte  sie  zum  König,  er  möchte  ihr  ein  Grab  mauern  lassen.  Das  wollte  er  aber 
gar  nicht  tun;  da  fing  sie  aber  so  an  zu  brüllen,  dass  er  es  aus  Angst  tat.  Und 
da  Hess  der  König  ihr  ein  Grab  mauern  in  der  Kirche  gerade  hinter  dem  Altar;  da 
legte  sie  sich  hinein,  und  es  wurde  ein  Deckel  drauf  gelegt,  den  konnte  sie  aber 
selbst  wieder  davon  werfen.  Und  alle  Nacht  mussten  sechs  Soldaten  sich  ab- 
wechseln, um  bei  ihrem  Grabe  zu  wachen,  so  hatte  sie  es  befohlen.  Wenn  man 
aber  des  Morgens  in  die  Kirche  kam,  so  hatte  die  Prinzessin  alle  umgebracht; 
und  die  andere  Nacht  mussten  wieder  sechs  andere  beim  Grabe  wachen,  und  die 
brachte  sie  wieder  um,  und  das  währte  zwei  Jahre. 

Da  ging  der  König  einmal  spazieren,  da  begegnete  ihm  ein  Junge:  da  sagte 
der  König:  'Mein  Sohn,  wo  willst  du  hin'?'  Da  antwortete  der  Junge:  'Ach,  ich 
wollte  mich  gerne  vermieten  bei  einem  Schuster  oder  Schneider.'  Da  antwortete 
der  König:  'Wie  heisst  du  denn?'  'Ich  heisse  Friedrich.'  Da  sprach  der  König: 
'Du  sollst  dich  nicht  vermieten,  sondern  du  sollst  bei  mir  Soldat  werden.  Du 
kannst  Offizier  oder  du  kannst  werden,  was  du  willst;  nur  musst  du  eine  Nacht 
bei  dem  Grabe  meiner  Tochter  wachen.'  Das  wollte  aber  Friedrich  gar  nicht 
tun;  denn  er  wusste  wohl,  wie  es  den  Soldaten  immer  erging.  Da  ihn  aber  der 
König  so  viel  quälte,  da  tat  er  es  endlich.  —  Wie  er  aber  nun  des  Abends  in 
die  Kirche  kam,  da  ward  es  ihm  so  angst  ums  Herz,  dass  er  wieder  herauslief. 
Als  er  aber  vor  das  Tor  kam,  da  stand  da  so  ein  weisses  Männchen,  das  sagte: 
'Wo  willst  du  hin,  mein  Sohn?'  Da  sagte  Friedrich:  'Ach,  ich  wollte  nur  ein 
wenig  spazieren  gehen.'  Da  sagte  das  Männchen:  'Ich  weiss  es  wohl,  du  wdlst 
desertieren,  weil  du  angst  bist,  die  Prinzess  würde  dich  auch  umbringen.  Geh 
aber   nur   wieder   zurück,    sie    soll    dir   nichts   tun.      Und  nun  will  ich  dir  auch 


1)  Steht    ohne    Überschrift    auf  vier    mit    Seideüfiiden    zusammengehefteten    Oktav- 
blcättern  unter  den  um  1818  aus  der  Familie  v.  Haxt hausen  eingesandten  Märchen. 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1917.  Heft  1.  * 


50  Bolte: 

sagen,  was  du  tun  musst.  Wenn  du  in  die  Kirche  kommst,  dann  musst  du  beide 
Arme  ausbreiten,  und  dann  musst  du  vor  den  Altar  hinknien  und  beten  und  immer 
an  Gott  denken;  und  was  dir  dann  auch  geschehen  mag,  du  darfst  gar  nicht  auf- 
sehen und  auch  nicht  von  der  Stelle  gehen.'  —  Friedrich  tat  so,  wie  ihm  das  weisse 
Männchen  gesagt  hatte.  Als  es  nun  elf  Uhr  war,  da  stand  die  Prinzess  aus  ihrem 
Grab  auf  und  nahm  einen  Säbel  und  schlug  Friedrich  so  damit,  dass  das  Blut 
immer  herunterlief;  aber  er  fühlte  gar  keine  Schmerzen  und  betete  immer  zu  Gott. 
Sie-  fing  so  fürchterlich  an  zu  brüllen,  dass  es  die  Leute  in  der  Stadt  hören 
konnten,  und  sie  sagte  ihm,  er  möchte  doch  aus  der  Kirche  gehen,  aber  er  stand 
gar  nicht  auf,  und  die  Prinzess  schlug  ihn  immerzu,  bis  es  zwölf  Uhr  war,  da 
ging  sie  wieder  in  ihr  Grab. 

Wie  nun  der  König  den  andern  Morgen  in  die  Kirche  kam  und  sehen 
wollte,  wie  es  dem  Friedrich  ergangen,  da  sass  er  noch  vor  dem  Altar  und  betete. 
Da  wunderte  sich  der  König  sehr,  und  die  ganze  Stadt  freute  sich.  Die  folgende 
Nacht  mussten  wieder  sechs  Soldaten  wachen,  die  hatte  sie  aber  alle  wieder  um- 
gebracht; und  die  dritte  Nacht  sollte  Friedrich  wieder  wachen. 

Da  er  nun  in  die  Kirche  kam,  wurde  ihm  aber  so  angst,  dass  er  schnell 
fortlief.  Vor  dem  Tore  begegnete  ihm  wieder  das  weisse  Männchen:  er  sollte 
gar  nicht  angst  sein,  heute  Nacht  aber  sollte  er  sich  in  der  Länge  vor  den  Altar 
aufs  Gesicht  legen  und  gar  nicht  aufsehen  und  immer  beten.  Und  Friedrich  ging 
auch  wieder  zurück  und  tat  alles,  wie  das  weisse  Männchen  befohlen  hatte.  Und 
als  es  elf  Uhr  schlug,  kam  wieder  die  schwarze  Prinzessin  und  fing  ganz  schrecklich 
an  zu  brüllen  und  schlug  ihn;  aber  er  betete  immer  zu  Gott,  bis  es  zwölf  Uhr 
war;  da  ging  sie  wieder  in  ihr  Grab. 

Der  König  konnte  das  Wunder  gar  nicht  begreifen,  da  er  den  Friedrich  noch 
am  Leben  sah,  und  er  versprach  ihm  viel  Gold  und  Silber,  wenn  er  noch  eine 
Nacht  bei  ihr  wachen  wollte.  Das  wollte  Friedrich  aber  gar  nicht  tun,  denn  er 
dachte:  'Heute  Nacht  bringt  sie  dich  gewiss  um,  und  lieber  will  ich  so  weit  laufen, 
als  mich  meine  Füsse  tragen  können.'  Er  ging  also  heimlich  fort;  als  er  aber 
vor  das  Tor  kam,  da  kam  das  weisse  Männchen  wieder  her  und  sagt:  'Mein 
Sohn,  heute  Nacht  musst  du  noch  beim  Grabe  wachen,  und  dann  wirst  du  deine 
Belohnung  auch  bekommen.  Wenn  die  Prinzessin  heute  Nacht  aufsteht,  so  musst 
du  dich  gleich  in  ihr  Grab  legen  und  immer  beten  und  an  Gott  denken;  und 
wenn  sie  auch  noch  so  viel  bittet,  du  möchtest  aus  ihrem  Grabe  gehen,  so  darfst 
du  es  doch  nicht  eher  tun,  bis  sie  ganz  schneehagelweiss  vor  dir  steht;  und  wenn 
sie  dann  an  zu  weinen  fängt,  so  kannst  du  aufstehen.' 

Als  Friedrich  nun  in  der  Kirche  war,  betete  er  recht  andächtig  zu  Gott. 
Und  da  es  elf  Uhr  war,  stand  die  Prinzessin  auf,  und  Friedrich  legte  sich  ge- 
schwinde in  ihr  Grab.  Da  fing  sie  so  an  zu  schmälen  und  zu  brüllen,  dass  man 
glaubte,  die  ganze  Kirche  wäre  eingesunken;  aber  Friedrich  betete  immer  zu  Gott. 
Endlich  fing  sie  an  zu  bitten  und  sagte  ihm,  er  möchte  nur  aus  ihrem  Grabe  gehen, 
sie  wollte  ihm  auch  nichts  tun.  Das  sah  er  so  ein  bisschen  auf,  da  hatte  sie  ein 
weisses  Fleckchen  über  den  Augen;  und  wie  er  wieder  aufsah,  war  die  Stirne 
ganz  weiss,  und  dann  das  ganze  Gesicht.  Da  betete  er  recht  zu  Gott,  und  als 
es  bald  zwölf  Uhr  war,  da  stand  sie  ganz  schneeweiss  vor  ihm  und  glänzte  wie 
die  Sonne  und  fing  an  zu  weinen  und  sagte:  'Stehe  nur  auf,  lieber  Friedrich! 
Ich  tue  dir  nichts  mehr,  denn  du  hast  mich  erlöst.'  Und  wie  sie  dies  sagte, 
schlug  es  zwölf  Uhr,  und  er  stand  auf.  Da  erzählte  sie  ihm,  dass  sie  vierzehn 
Jahre  wäre  verwünscht  gewesen,  weil  ihr  Vater  damals  gesagt  habe,  er  wollte  ein 
Kind  haben,  und  wenn  es  auch  der  lebendige  Teufel  wäre. 


Deutsche  Märchen  aus  dem  Nachlasse  der  Brüder  Grimm.  51 

Und  wie  sie  ihm  so  erzählte,  taten  sich  auf  einmal  die  Gräber  auf,  und  alle 
Soldaten,  die  die  Prinzessin  umgebracht  hatte,  waren  wieder  lebendig;  aber  die 
ßärte  waren  ihnen  so  lang  gewachsen,  dass  sie  bald  auf  der  Erde  schlurrten. 
Und  als  der  König  in  die  Kirche  kam,  war  sie  ganz  voll  von  Soldaten,  und  an 
der  Tür  trat  ihm  Friedrich  mit  der  Prinzess  entgegen.  Die  war  aber  so  schön, 
dass  er  gar  nicht  glauben  wollte,  dass  sie  seine  Tochter  wäre;  wie  sie  ihm  aber 
erzählte,  dass  Friedrich  sie  erlöst  habe,  gab  er  sie  ihm  zur  Frau.  Und  der  König 
liess  noch  am  selbigen  Tage  ein  grosses  Gastmahl  anrichten,  wo  alle  die  Soldaten 
mitassen;  denn  sie  waren  sehr  hungrig.  Friedrich  aber  wurde  nach  dem  Tode 
des  Königs  König. 


Das  Märchen  erinnert  an  die  oben  25,  50  erwähnte  'Braut  des  Zauberers',  aber 
die  Erlösung  der  verwünschten  Jungfrau  vollzieht  sich  hier  anders:  A.  Durch  einen 
unbedachten  Wunsch  der  Eltern  (vgl.  Grimm  Nr.  25  und  108)  ist  die  Prinzessin 
dem  Teufel  verfallen;  —  B.  Nach  ihrem  Begräbnis  verlässt  sie  nachts  ihr  Grab  in 
der  Kirche  und  erwürgt  gleich  einem  Vampir')  die  wachehaitenden  Soldaten.  — 
C.  Endlich  erlöst  sie  einer,  nicht  durch  stillschweigendes  Ertragen  von  Qualen 
(wie  bei  Grimm  nr.  92  und  93),  sondern  indem  er  sich  auf  den  Rat  eines  Greises 
auf  der  Kanzel,  am  Altar  und  im  Sarge  verbirgt. 

Aus  dem  Oberwallis  bei  Jegerlehner  1913,  S.  114  nr.  139  'Die  verwünschte  Königs- 
tochter' =  Bächtold,  Schweizer  Märchen  1916  S.  166.  Heanzisch  bei  Bunker  nr.  85 
'S  MüUpüchkint'.  Aus  Oberhessen:  Wolf,  Hausmärchen  S.  258  'Die  Leichenfresserin'. 
Bindewald,  Oberhessisches  Sagenbuch  1873  S.  142  'Gehobener  Teufelsbann'.  Aus  dem 
Rheinlande:  Simrock,  Märchen  nr.  2  'Das  Königskind'.  Aus  der  Gegend  von  Halle: 
Sommer  1846  S.  104  nr.  5  'Die  Königstochter  im  Sarge  und  der  Soldat'.  AusWaldeck: 
Curtze  S.  168  nr.  28  'Die  Königstochter  und  der  Soldat'.  Aus  Hannover:  Busch.  Ut 
61er  Welt  S.  9  nr.  2  'Die  schwarze  Prinzessin'.  Aus  dem  Harze:  Ey  S.  1  'Die  Schild- 
wache'.  Pröhle,  M.  für  die  Jugend  nr.  11  'Wache,  Wache,  Eonde  raus'.  Aus  Olden- 
burg: Strackerjan^  2,  500  zu  §  635  'Von  dem  Jüngling,  der  nicht  bange  war'  (eine 
Variante  zu  Grimm  4).  Aus  Pommern:  Jahn,  Volksmärchen  1,  90  nr.  16  'Hans  der 
Grafensohn  und  die  schwarze  Prinzessin'  und  S.  356;  danach  Zaunert  S.  189.  Blätter  für 
pommersche  Volkskunde  2,  24  'Die  verwunschene  Königstochter'  und  7,  81  'Die  Teufels- 
prinzessin'. Aus  Posen:  Knoop,  Poscner  Märchen,  Progr.  1909  S.  6  nr.  3  'Die  verhexte 
Königin'.  Aus  Ostpreussen:  Lemke,  Volkstümliches  3,  167  nr.  64  'Die  stumme  Prin- 
zessin'. —  Dänisch:  Grundtvig,  Folkejeventyr  1,  142  nr.  13  =  Leo-Strodtmann  1,  148 
'Die  Prinzessin  im  Sarge'.  Grundtvigs  hsl.  Register  nr.  138.  Kristensen,  Danske  folke- 
seventyr  1888  S.  219  nr.  33  'Prinsessen  i  kisten'.  Kristensen,  Aev.  fra  Jylland  3,  265  nr.  50 
'Vagten  i  Kirken'.  —  Norwegisch:  Skar  6,  90  'Den  svarte  Jomfruva'.  —  Isländisch: 
Arnason  2,  440  =  Poestion  S.  233  =  Rittershaus  S.  150  nr.  33  'Bängsimon'  (entstellt).  — 
Französisch:  Sebillot,  Contes  pop.  de  la  Haute-Bretagne  3,  38  als  Fortsetzung  des  zu 
Grimm  nr.  16  gehörigen  Märchens  nr.  3  'La  rose'.  Luzel,  Legendes  ehret,  de  la  Basse- 
Bretagne  2,  309  'Le  soldat  qui  dehvra  une  princesse  de  l'enfer'  (vorher  die  treulose 
Gattin,  Bolte-Polivka  1,  127).  Revue  des  trad.  pop,  7,  693  'Le  grillon,  le  hannetou, 
l'araignee'  (zuerst  Streiche  des  Meisterdiebs);  15,  641  'L'enfant  du  diable';  19,  367  'lia 
fille  Vampire'.  —  Italienisch:  Widter  -  Wolf  nr.  13  'Die  Prinzessin  im  Sarg  und  die 
Schildwache'  (Jahrbuch  f.  roman.  Lit.  7,  257);  vgl.  R.  Köhler  1,  320.  Finamore  1,  2,  16 
als  Fortsetzung  des  zu  Grimm  29  gehörigen  Märchens  nr.  56  'Le  tre  pile  de  lu  dijavule'. 
—  Rumänisch:  Obert  nr.  34  'Der  alte  Husar'  (Ausland  1858,  117).  P.  Schullerus  nr.  54 
'Die  Kirche  des  Teufels'  (Archiv  f.  siebenbürg.  Landesk.  33,  507).  §äinenu  S.  873.  — 
Serbokroatisch:    Mijat    Stojauovic,   Pucke    pripov.    S.  137    nr.  31.     Kojanov-Stefanovic 

1)  Vgl.  Hock,  Die  Vampyrsagen  und  ihre  Verwertung  in  der  deutschen  Literatur 
(1900),  auch  Jellinek,  oben  14,' 322. 

4* 


52  Bolte : 

S.  132.  Strohal  1,  109  nr.  18.  19.  2,  90  nr.  37  =  Leskien,  Balkanmärchen  nr.  35  v^vorher  die 
Blume  auf  dem  Grabe  der  Teufelsbraut:  Bolte-Polivka  2,  12G);  Strohal  2,  254  nr.  12.  Kres 
4,  350  nr.  19  =  Krauss  1,  424  nr.  93  'Das  Liebespaar'.  Zbornik  jslav.  18,  145  nr.  54.  —  Slowe- 
nisch: Gabrscek  S.  226  nr.  29.  Slov.  Glasnik  8,  31.  —  Slovakisch:  Czambel  S.  391 
§  204.  Sbornik  mus.  slov.  15,  134  nr.  6.  —  Cechisch  aus  Österr.  Schlesien:  Polivka, 
Povidky  lidu  opav.  a  bram.  S.  74  nr.  29.  Aus  Böhmen:  Nemcova,  När.  buch.  2,  19  nr.  14. 
Maly  S.  145  nr.  13.  Popelka  1880  1,  27  nr.  C.  =  1888  S.  103  nr.  8.  Hosek  2,  2,  148  nr.  20. 
Popelkovii  S.  156.  Kubin,  Podkrkonosi  zap.  nr.  27  und  137  iPubl.  der  böhmischen  Akademie 
der  Wiss.,  noch  im  Drucke).  Aus  Mähreu:  Kulda  2,  8  nr.  60.  3,  147  nr.  14.  (Jesky  Lid.  5, 
460  nr.  7.  Tille  S.  58  nr.  26a;  S.  81  nr.  29:  S.  94  nr.  34  (Narodopisny  Sbornik  7,  108. 
125.  8,  39).  Elpl  S.  40  nr.  8.  —  Wendisch:  Rabenau,  Spreewald  S.  128  =  Cerny  S.  208. 
Veckenstedt  S.  338  nr.  5.  —  Polnisch:  Veckenstedts  Zs,  f.  Volkskunde  1,  25  'Die  Tochter 
des  Schulzen  und  der  Kirchensänger'.  Mitt.  der  schles.  Ges.  f.  Volksk.  3,  6,  44.  Malinowski  1, 
29  und  70.  Zaranie  ^laskie  2,  189.  Kolberg  7,  71  nr.  151.  152  (verbunden  mit  einer 
Mahrtensage).  8,  138  nr.  55.  56.  14,  72  nr.  16.  17  (aus  Posen).  19,  228  nr.  10.  Ciszewski, 
Krak.  1,  175  nr.  128.  Mater,  antropol.  6,  150  nr.  6,  10,  269  nr.  40.  Lud  9,  182 
Chelchowski  1,  124  (vgl.  Knoop  1909  S.  7).  Zamarski  S.  106.  —  Kleinrussisch:  Drago- 
mauov  S.  267.  Sadok  Baracz  S.  137.  Etnograf.  Zbiruyk  7,  24  nr.  30.  7,  90  nr.  48.  49. 
12,  167  nr.  170.  Cubinskij  2,  27  nr.  7.  2,  410  nr.  118.  Manzura  S.  60.  Rudcenko  2,  27 
nr.  12.  Sbornik  Charkov.  istor.-tilolog.  6,  165.  Letopis  istor.-filolog.  novoross.  univ.  3, 
122.  184  nr.  5.  Hrincenko,  Mater.  2,  325  nr.  232.  Sbornik  Miller  S.  182.  —  In  anderen 
Fassungen  muss  der  Held  seine  zauberkundige  Braut  in  der  Kirche  oder  auf  dem  Fried- 
hofe hiiten  (Etnograf.  Zbirnyk  34,  140  nr.  913.  Zbiör  4,  33  nr.  3.  Sbornik  Charkov.  3, 
201.  Manzura  S.  136.  Dragomanov  S.  395.  Hrinöenko  2,  110  nr.  88.  Cubinskij  1,  200) 
oder  auch  im  Hause  der  Gestorbenen  (Hrincenko  1,  66  nr.  92.  93.  1,  284  nr.  209.  Drago- 
manov S.  71  nr.  14.  Mater.  Grodn.  2,  371  nr.  15).  Auf  Grund  der  Volkssagen  dichtete 
Gogol  seine  Erzählung  'Vij';  vgl.  daüber  N.  Th.  Sumcov  in  der  Kijevskaja  Star-ina  1892, 
Heft  3  und  K.  Nevirova  in  den  Zapysky  ukrain.  nauk.  tov.  Kijev  5,  42.  —  Weiss- 
russisch: Karlowicz  S.  29  nr.  19.  Weryho  S.  45  nr.  11.  Dobrovoljskij  1,  547  nr.  23.  1, 
554  nr.  24.  Romanov  4,  124  nr.  65.  Sejn,  Mater.  2,  66  nr.  33.  2,402  nr.  227.  Federowski 
2,  308.  —  Grossrussisch:  Afanasjev»  2,  324  nr.  207.  2,  326  nr.  208c.  =  Ralston 
p.  271  'The  headless  princess'  und  p.  274  'The  soldier's  midnight  watch'.  Chudjakov  1, 
45  nr.  11.  12.  Sadovnikov  S.  44.  309  nr.  104.  Oncukov  S.  369  nr.  152  (der  dankbare  Tote). 
Zapiski  Krasnojarsk.  1,  99  nr.  51  =  v.  Löwis  nr.  48  (statt  des  dankbaren  Toten  hilft  der 
hl.  Nikolaus,  dessen  Bild  der  Kaufmanussohn  vor  Schlägen  bewahrt  hat,  wie  bei  Radioff  1, 
329).  1,  125  nr.  63.  1,  15  nr.  3  (Nikolaus).  2,  31  nr.  9,  Etnograf.  Obozr.  53,  i'8  (Einsiedler 
anstatt  des  liL  ;^Nikolaus).  —  Litauisch:  Dowojna  Sylwestrowicz  1,  196.  2.  129  — 
Lettisch:  Treulaud  S.  244  nr.  125.  Zbior  18,  369  nr.  41.  -  Estnisch:  Kletke, 
Märchensaal  2,  60  'Die  bezauberte  Prinzessin'  -  Ausflug  nach  Ehstland  1807  (Meiningen 
1830)  S.  186  (sie  wird  zuletzt  zerhauen,  einer  Schlange  entledigt  und  zusammengefügt, 
wie  in  einigen  Märchen  vom  dankbaren  Toten).  —  Finnisch:  Aarnes  Register 
nr.  307  'Die  Prinzessin  im  Sarge'.  —  Magyarisch:  Stier-Gaal  S.  97  nr.  10  'Die  Prinzessin 
im  Sarge'.  Berze  Nagy  nr.  53  'Die  zum  Tanze  gehenden  Prinzessinnen'  und  nr.  bi  'Baka 
Janos'.  —  Zigeunerisch  aus  Serbien:  Mitt.  f.  Zigeunerkunde  2,  106.  Aus  Norduugara: 
Groome  p.  141  nr.  41.  —  Armenisch  Aus  der  Bukowina:  Wlislocki,  M.  der  Armenier 
1891  S.  89  nr.  33  'Die  Menschenfresserin'  (der  Bruder  tötet  sie,  stellt  den  Sarg  in  eine 
Kapelle  und  holt  auf  den  Rat  des  Mönches  von  der  Zauberin  einen  jene  belebenden  Gold- 
ring). —  Kafferisch:  Junod,  Ba-Ronga  p.  320  (angehängt  au  eine  Variante  zu 
Grimm  133). 

5.  Fürchten  lernen^). 

Et   was    mol    enen  Jungen,    de    wull   upt  Gruelen    reisen.     Do  seg  he  to  sin 
Moder:    'Giff  nii  en  Buelken  met  Appeln!'    —    'Dat  will    ick  dohn,    dat    will    ick 

1)    Aus    demselben    Faszikel    wie    oben  25,  32    nr.  1 ;     ohne    Überschrift.      Aus    dem 
Münsterland  vor  1816. 


Deutsche  Märchen  aus  dem  Nachlasse  der  Brüder  Grimm.  53 

dohn.'  Da  gonk  de  Junge  wull  dör  den  Wold,  he  kam  vor  son  graut  Hues: 
Klink,  klink,  klink,  klink.  'Well  is  der  vor?'  —  'Ick  sin  en  Jungen,  de  wull  upt 
Gruelen  reisen.'  —  'Dünn  kumm  men  hier!  Wi  hebt  en  Timmer,  do  spöckt  et  up.' 
—  'Dat  döt  em  nich,  dat  döt  em  nich.  Giffet  mi  en  Pötken  met  Water,  dat'k 
Appelsoppe  koken  kann!'  —  Un  as  he  de  Soppe  ferdig  hadde,  un  as  de  Klocke 
twerlwe  schlog,  do  gonk  de  Döhr  up  emoel  los,  da  keimen  twe  Kerls  herinn,  de 
hadd'n  Sark  up'n  Nacken  un  en  dauden  Kerl  derinn.  Se  settet  en  derhen.  'Ick 
will  di  lück  von  mine  Soppe  giewen;  un  löst  du  et  mi  ut  et  Muhl  laupen,  dann 
giewe  ick  die  en  vör't  Muhl.'  Nu  giff  he  em  wier  en  Liepel  vull,  dat  löt  he  ut 
et  Muhl  laupen.  Klaps,  giff  he  em  een  upt  Muhl.  Da  richtet  sick  de  Daude  up 
in't  Sark  un  seg  to  den  Jungen:  'Krieg  du  de  Schute  (Schaufel)  ut  dat  Sark.'  — 
'Dat  doh  du  sölwen!'  Da  nam  de  daude  Kerl  de  Schute  up'n  Nacken:  'Nu  folge 
mi  un  grafe  rai  en  Lock!'  —  'Dat  doh  du  sölwer!'  Un  de  Daude  gröff  en  Lock, 
do  seg  he  to  de  Jungen:  'Treck  de  drey  Pötte  met  Geld  herut!'  —  'Dat  doh  du 
sölwer!'  He  trock  drey  Pötte  met  Geld  herut:  'Eenen  is  vor  dy,  enen  vor  de 
Lüde  in  Huse,  enen  vor  de  armen  Lüde.'  Un  do  verschwant  dat  Geist.  Da  nam 
de  Junge  den  Pott  met  Geld  un  gonk  wier  to  sine  Moder:  'Do,  Moder,  hebbe  ji 
en  Pott  mit  Geld;  dat  is  von't  Gruelen  reisen,'  —  'Reise  morgen  du  men  wier 
upt  Gruelen.'  —  'Je,  et  is  alle  Dage  kene  Kermiß.' 

Dat  un  dat  is  ute, 

Nu  will  wi  es  no  Mickschen  [Marie]  gohn, 
Dat  heff  sone  schewe  Schnute. 
Gehört  zu  KHM.  nr.  4  'Von  einem,  der  auszog,  das  Fürchten  zu  lernen'  (ßolte- 
Polivka  l,-22). 

6.  Sankt  Peters  Matter i). 

Als  Petrus  im  Himmel  ankam  und  sah,  dass  seine  Mutter  noch  im  Fegefeuer 
war,  ward  er  sehr  betrübt  und  bat:  'Lieber  Herr,  erlaube  mir,  dass  ich  meine 
Mutter  aus  dem  Fegefeuer  erlöse!'  Seine  Bitte  ward  ihm  gewährt.  Als  nun 
Petrus  mit  seiner  Mutter  sich  aus  dem  Fegefeuer  erhob,  um  gen  Himmel 
zu  fahren,  da  hatten  sich  viel  arme  Seelen  an  seiner  Mutter  Rock  gehängt 
und  hofften  mit  herauszukommen.  Die  aber  war  neidisch  und  schüttelte  sich,  dass 
alle  wieder  herabfielen.  Petrus  aber  erkannte  daraus  das  böse  Herz  seiner  Mutter 
Tind  liess  auch  sie  wieder  los.  Da  fuhr  sie  wieder  hinab  ins  Fegefeuer,  wo  sie 
noch  wohl  sein  mag,  wenn  sie  sich  nicht  gebessert  hat. 

Aus  Schlesien  bei  Philo  vom  Walde  1883  S.  89  'Die  Mutter  des  hl.  Petrus'.  Aus 
dem  Böhmerwald:  oben  17,  100  'Die  .Mutter  des  hl.  Martin'.  Aus  der  deutschen  Sprach- 
insel Lusern  in  Norditalien  bei  Bacher,  Lusern  1905  S.  82  'Die  Mutter  von  St.  Peter".  — 
Schwedisch:  Selma  Lagerlöf,  Kiistuslegender,  3.  uppl.  1906  p.  185  =  Christuslegenden  1904 
S.  199  'Unser  Herr  und  der  h.  Petrus'  (Lud  U,  166).  —  Italienisch  aus  Wälschtirol: 
Schneller  1867  S.  7  nr.  4  'Die  Mutter  des  h.  Petrus'.  Aus  Friaul:  Ostermaim,  Proverbi 
friulani  1876  p.  216.  Aus  Corsica:  Ortoli  p.  235  'La  mere  de  St.  Pierre'.  Aus  Venedig: 
'Bernoni,  Leggende  nr.  8  'De  la  mare  de  San  Petro,  che  la  vien  fora  da  l'inferno  oto 
giorni  ogni  ano'.  Aus  Verona:  Balladoro,  Folklore  veronese  1900  nr.  36  'La  mare  de  san 
Piero'.  Aus  Bre£cia:  Eivista  delle  trad.  pop.  ital.  1,  856.  *Mazucchi,  Tradizioni  dell'  alto 
Polesine  1898  'La  madre  di  S.  Pietro'.  Pitre,  Novelle  pop.  tose.  nr.  2<;  'La  mamma  di 
San  Pietro'.  Gradi,  Proverbi  p.  23  undSaggio  di  letture  varie  p.  .52.  Pico  Luri  diVassano 
(L.  Passarini),  Modi  di  dire  proverbiali  1874  p,  219  nr.  452.  Bagli,  Novelle  in  dialetto 
romagnolo  1887  p.  22  'La  mamma  di  S.  Pietro'   (Atti    della  Deputazione    di   storia  patria 


vor  1816 


1)  Aus    demselben   Faszikel   wie    oben  25,  32   nr.  1;    also    aus    dem   Münsterland 


54  Bolte: 

per  le  prov.  di  Romagna  3.  serie,  5).     Aus  Benevent:    Corazzini  p.  472.     *G.  de  Giacomo, 
II  popolo  di  Calabria  1,  119  nr.  41.     Aus  Sizilien:    Pitre,    Saggio    di   fiabe    nr.  2;    Studio 
critico  sui  canti  pop.  18G8  p.  89;    Fiabe  pop.  sie.  3,  65  nr.  126    'Lu  porru  di  S.  Petru'  = 
Crane  p.  192^  vgl.  p.  362=  Mounier  p.  31. —  *Mamo,  Li  cunticeddi  di  me  nanna  1881  nr.  12. 
—  Portugiesisch:  Braga  nr.  120  'Lendada  raäe  de  sam  Pedro'.  —  Griechisch:  Tom- 
maseo    bei    Gradi.    —    Kumänisch:    Miklosich,    Wandrungen    der   Rumunen    1879    S.  9 
(Denkschriften    der    Wieuer    Akademie,    phil.  -  histor.    Cl.  30).    —    Slovenisch:    Strekelj 
Volkslieder  1,  444  nr.  413—414.    Ebd.  1,  448  nr.  419   holt   der  h.   Thomas  Vater,   Bruder, 
und  Schwester  glücklich  aus  der  Hölle,  wirft  aber  die  Mutter  zurück,    weil  sie  nach  dem 
Branntwein  verlangt.      Zwei   weisskrainische  Lieder  bei  Saselj  1,  56  nr.  17a— b.  —  Serbo- 
kroatisch: Ein  Volkslied  aus  Kroatien  bei  Strekelj  1,443  nr.  412;    aus  Istrien  in  Hrvat. 
nar.  pjesme  Mat.  Hrvat.  1,  41    nr.  22;    aus    Dalmatieu    ebd.  1,  39  nr.  21;    andre  Fassungen 
ebd.    1,    506  —  508.      Ein    Lied    aus    dem    östlichen    Serbien     bei    Vuk    Stef.    Karadzic, 
Srpske  nar.  pjesme  1891  1,  138  nr.  208  =  Kapper,  Gesänge  der  Serben  1852  2,  350  'Sanct 
Peters  eigne  Mutter'.    Fragmentarisch  vom  Amselfelde  bei  Jastrebow,  Obycaji  S.  123.    Eine 
montenegrinische  Prosalegende   bei   Rovinskij,    Cernogorija  2,  2,  496.    Andre  Volkslieder 
aus    Istrien    in    Nasa  Sloga  Abt.  6,  6  nr.  4;    ebd.  S.  5,  nr.  3   wird  Petrus'  Vater    nicht   ins 
Paradies  eingelassen.    Aus  Westungarn   bei  Kurelac  S.  130  nr.  488,  —  Bulgarisch:  aus 
Westbulgarien  im  Sbornik  min.  4,  130  nr.  2  =  Sapkarev8-9,  388  nr.  238  (Mutter  des  ver- 
storbenen Kindes).    Aus  Etropol  ebd.  4,  129  nr.3   (der  Engel  zieht  die  Frau  am  Zwiebel- 
steugel  empor).    Volkslied  aus  Mazedonien  bei  Struga  Miladinovci  S.  47  nr.  44;    aus  Prilep 
ebd.  S.  49  nr.  45;    ferner  S.  50  nr.  46    und    aus  Sofia  S.  56  nr.  49.     Colakov  S.  341  nr,  90. 
Hies  S.  104  nr.  75  (Mutter  abgewiesen).   —   Cechisch:    in  einem  Volksliede  aus  Mähren 
bei  Susil  S.  2  nr.  2  hört  König  David  von  Maria,    dass    seine  Mutter   in    der  Hölle    sitze, 
und  befreit  sie  durch  sein  Geigenspiel,   womit   er    den  Teufel  überwindet.   —   Polnisch 
aus  Posen:  Kolberg  15,  172.    Aus  dem  Gouv.  Lublin:    Kolberg  17,  207    nr.  20,    Aus    dem 
Gouv.  Plock:    Chelchowski  2,  92  nr.  75  (Petrus   zieht   seine  Mutter   dreimal   am  Zwiebel- 
stengel   aus    der   Hölle).     Aus    dem    Bez.    Wieliczka:    Mater,    antropol.    antrop.   4,    192, 
Kaleudarz  Lubelski  na  rok  1893:  'Petri  Mutter  (s.  W^isla  7,  624).  —  Kleinrussisch  aus 
Galizien:    Etnograf.  Zbirnyk  13,  101  nr.  287,  13,  254  nr.  434  (Gott  zieht  eine  sündige  Seele 
an  einem  Knoblauchstengel  empor).    Lud  9,  69  nr.  4.    Aus  Südungarn:  Etnogr.  Zb.  30,  85 
nr.  41  (Maria  zieht  die  Frau  an  den  Blättern  von  der  Tochter  Gebetbuch  empor).    Volks- 
lied von  St.  Peters  Mutter  bei  Holovackjj  2,  45.    Aus  der  Ukraine:   Kulis,  Zapiski  1,  307 
(Seher  Onysym).     Aus  dem  Gouv.  Charkov:    Etnograf.  Obozr,  13-14,  85  =  Sumcov  1893 
S.  4  (Bettler  zieht   sie    an  der  ihm  geschenkten  Zwiebel  empor).     Etnogr.  Obozr.  18,  106 
(Salomos  Mutter,   Zwiebelstengel).     Gouv.  Minsk:    Karskij,   Mater,    severnomalorus.   2,   49 
(Mutter  eines  armen  Mannes).     Gouv.  Sedlec-Lubliu:  ^ivaja  Star.  12,464  (Vater,  der  kein 
Vaterunser  gebetet  hat,   sinkt  in  die  Hölle).  —  Weissrussisch:  Kariowicz  S,  45  nr.  30a 
(fremde  Frau),    Gouv.  Minsk:  Sejn  2,  363  nr.  212  wie  bei  Kariowicz  nr.  30b  (ungenannter 
Sohn\    Federowski  3,  274  nr.  540  (Gott,  Zwiebelstengel).    Romanov  4,  32  nr.  27  ('Bruder 
Christi':    Strick  aus  Hanf  und  Spreu    reisst,    als    die  Mutter  schilt).     4,  188  nr.  47  (Haar- 
büschel bleibt  in  der  Hand  des  Sohnes).  -  Grossrussisch  nach  einer  Hs.  desl7.Jahrh. 
in  Pamjatniki  star.  rus.  literatury  1,  99-102  (der  Sohn  einer  Sünderin  betet  um  ihre  Er- 
lösuno- aus  der  Hölle,    packt    sie  au  den  Haaren  und  wirft    sie  aus  dem  Pfuhl  zur  linken 
in  das  klare  Wasser  zur  rechten).     Dagegen    gehört    das  Lied    von    der    sündigen  Mutter 
bei  Kirejevskij,  Russkije  nar.  stichi  (Moskauer  Ctenija  3,  9,  212)  nicht  zu  unsrer  Legende, 
sondern  ist  durch    das  Speculum  Magnum  veranlasst:   vgl.  Wladimirov,   Velikoje  zercalo 
1884  und  Karnejev,  Das  Lied  von  dem  barmherzigen  Weibe  (Zürn.  mm.  nar.  prosv.  1892 
6   225\    Dostojewskij,   Brüder  Karamasov  3,  cap.  7,  3   legt   die   Legende   dem   Freuden- 
mädchen Gruscheuka  in  den  Mund  (Engel,  Weib,   Zwiebelstengel).    Afanasjcv,   Nar.   rus, 
legendy  S,  30  nr.  8  (Bruder  Christi,  Strick  aus  Flachshede).     In  einem  Märchen  aus  dem 
Terekgebiete  am  Kaukasus  (Sbornik  Kavkaz.  15,  2,  135  nr.  16)   fällt  die  alte  Frau  des  an 
der  Erbsenranke  zum  Himmel  kletternden  Greises  von  seinem  Bücken  herab;    er  lässt  sich 
an  einem  aus  seinen  Almosen  zusammengesetzten  Stricke  zu  ihr  herunter,  aber  der  ^Strick 
trägt   keine   sündigen   Menschen.     Aus   dem    Gouv.  Moskau:   Ziv.    Starina  16,  5,  15   (die 


Deutsche  Märchen  aus  dem  Nachlasse  der  Brüder  Grimm.  55 

geizige  Schwieger  nagt  im  Jenseits  an  dem  Kraute,  das  sie  einst  einem  Bettler  geschenkt). 
—  Lettisch  aus  Kurland:  Treuland  S.  276  nr.  135  (der  Geist  der  Schwieger,  die  nur 
einmal  einem  Bettler  zwei  Rädchen  aus  Baumrinde  geschenkt,  wünscht  sich  Essen  von 
jenem  Tische).  —  In  einer  tscheremissischen  Sage  (Znamenskij  1S67  in  Vestnik  Jevropy 
12,62),  die  N.  Th.  Sumcow,  Die  Legende  von  der  sündigen  Mutter  (Kiew  1893  S.  71;  aus 
Kijevskaja  starina  1893)  und  Alex.  N.  Veselowskij,  Razyskanija  v  oblasti  rus.  duchov.  sticha 
5,  153  (1889)  erwähnen,  versucht  ein  Mann  den  andern  an  einer  Zwiebel  aus  der  Hölle  zu 
ziehen.  In  einer  mongolischen  bei  G.  Potaniu,  Ocerki  severozapadnoj  Mongolii  2,  An- 
merkungen S.  35  ^^  soll  der  gottlose  Reiche  von  der  Erde  verschlungen  werden,  aber  das 
Büschel  Pferdehaare,  das  er  Moses  geschenkt,  hält  ihn  mitten  zwischen  Erdoberfläche  und 
Hölle  fest. 

In  einem  Aufsatze  über  St.  Petrus  den  Himmelspförtner  vergleicht  R.  Köhler 
(Aufsätze  über  Märchen  1894  S.  48)  ein  deutsches  Gedicht  des  15.  Jahrh.  (Mones 
Anzeiger  1836,  192.  Germania  33,  270),  in  welchem  Petrus  einen  Holzhauer» 
der  wohl  fleissig  gearbeitet,  aber  sonst  nichts  Gutes  getan  hat,  auf  seine  Bitte  an 
seinem  Schlägel  in  den  Himmel  zu  ziehen  versucht.  Als  sie  aber  zur  obersten 
Staffel  kommen,  fällt  der  Stiel,  an  dem  der  Mann  sich  festhält,  aus  dem  Schlägel, 
und  er  stürzt  hinab  zur  Hölle.  Auch  ein  niedersächsischer  Schwank  bei  Scham- 
bach-Müller S.  322  'Weshalb  die  Pfarrer  keine  Perücken  mehr  tragen'  gehört 
hierher:  Petrus  will  einen  Pfarrer  in  den  Himmel  hinaufholen  und  fasst  ihn  bei 
den  Haaren;  aber  da  behält  er  die  Perücke  des  Pfarrers  in  der  Hand,  und  dieser 
fällt  hinunter. 

Die  Legende  weiss  von  St.  Peters  Frau  Perpetua  und  seiner  Tochter  Petronilla 
nicht  viel  zu  berichten;  doch  die  Volkssage  hat  sich  auch  mit  diesen  beschäftigt. 
Seine  Gattin  Petrona  führt  Hayneccius  1562  in  seiner  Komödie  'Hans  Pfriem'  vor; 
drei  Töchter  von  tierischer  Beschaffenheit  schildert  ein  dänisches  Märchen  (oben 
11,  252.  19,  314);  von  seinen  Schwestern  redet  ein  italienisches  Märchen  bei 
Schneller  nr.  3  und  ein  englischer  Nachtsegen  bei  Chaucer  (Cauterbury  Tales,  The 
milleres  tale  v.  300;    Academy  18,  64.  156.  1880). 

Berlin. 


Kleine  Mitteilunsjen. 


Wurstbetteln  uud  Wurstreime  iu  Sachsen. 

Im  November  wurde  seit  alters  bei  den  deutschen  Bauern  das  Vieh,  vor 
allem  das  Borstenvieh,  für  den  kommenden  Winter  eingeschlachtet,  um  es  nicht 
den  Winter  über  durchfüttern  zu  müssen.  An  das  Schweineschlachten,  das 
unter  Umständen  in  unseren  sächsischen  Dörfern  auch  mit  der  Kirmes  verbunden 
wird,  knüpfen  sich  eine  Reihe  Ansingelieder  der  Dorfjugend,  besonders  der 
ärmeren  Kinder,  deren  ich  in  Sachsen  mit  Hilfe  vieler  Lehrer  eine  grosse  Anzahl 
gesammelt  habe. 

Immer,  wenn  in  irgendeinem  Bauernhofe  ein  fröhliches  Fest  mit  dem  im 
bäuerlichen  Leben  dabei  beliebten  'Schmausen'  gefeiert  wurde,  fanden  sich  auch 
ärmere  Dorfgenossen  ein,  um  ihren  üblichen  Anteil  zu  heischen.  Ist  diese  Bettel- 
sitte unter  Absingen  volkstümlicher  Reime  nun  auch  meist  auf  die  Kinder  und 
vielfach  (in  Städten  noch)  auf  die  Bitte  um  Wurstbrühe  beschränkt,  so  war  sie  doch 
ursprünglich    wie  manche    andere    Sitte  ein  Ausdruck  der  alten  Dorfgemeinschaft, 


56 


Müller: 


die  die  'Nachbarn'  in  Freud  und  Leid  zusammenhielt.  Am  meisten  hat  sich  der 
alte  Brauch,  daß  die  jungen  Burschen  und  Kinder  ihren  herkömmlichen  Anteil 
an  der  Schlachtschüssel  bekommen  und  in  scherzhaften  Reimen  darum  bitten, 
noch  in  der  Wendei  erhalten.  Hier  sind  ja  teilweise  heute  noch  junge  Mädchen 
und  Burschen  in  den  Spinngesellschaften  (piaza,  pfazy)  vereinigt,  und  diese  be- 
sonders benutzen  jedes  in  der  Nachbarschaft  stattfindende  Schweineschlachten, 
um  unter  den  Fenstern  des  betreffenden  Hauses  'Wurst  zu  kreißen'  (kolbasu  stonac) 
oder  'Wurst  zu  stöhnen',  indem  sie  Geräusche  ausstoßen,  als  ob  sie  vor  Hunger 
nicht  weiter  könnten.     Dabei  singen  sie  etwa: 

1.  Ae,  ae,  ae  koibaze!  d.  h.  Ä,  ä,  il,  Würstel 

njechcece-li  nam  koibazow  dac,  Werdet  ihr  uns  nicht  Wurst  geben, 

njeb'dzemy  Wascho  Janca  brac!  werden  wir  nicht   euren  Janko  nehmen. 

Ae,  ae,  ae,  koibaze'.  (Wuttke,  Sächsische  Volkskunde  S.  35S.) 

In  manchen  Dörfern  (das  Folgende  nach  einem  Aufsatz  von  Fiedler,  Wurst- 
stöhnen bei  den  Wenden,  Luziöan  1868  S.  62  nach  der  Übertragung  von  Dr.  Pilk 
in  Pilks  handschriftl.  Sammlung  im  Archiv  f.  sächs.  Volkskunde)  begibt  sich  nur 
eine  Abordnung  der  Spinnte  unter  die  Fenster  des  Hauses  und  singt  'Stöhnverschen' 
folgender  Art: 


My  smy  sej  w  hromadze  zradzili 

a  vry  soaas  njejsce  nedzeli. 

My  smy  tu  piisti  tudy  k  warn 

mace-li  zanu  lubosc  knam, 

da  dajce  nam,  dajce  nam  stoz 

chcece  nam  dac 

a  njedajce  nam  tu  doiho  stac 

wase  warn  bioto  teptaci 

nasz  nam  crije  torhaci! 

Ach,  hdy  by  ta    hospozka   tak    dobra 

byta 
sebi  tun  nozik  wzaia 
a  tu  kotbasku  krata, 
preco  so  jej  ton  nozik  zlamit 
a  tu  koibasku  cylu  data, 
preco  so  wona  zaniolila, 
preco  tej  kotbascy  wöbe  data! 
Hospodarja  chcemy  sadzic  zablido 

karan  jom'  piwa,  wklencu  jorn'  wina, 
khocu  jom'  pjenjez  do  rukow  dac. 

Hospozku  chcemy  k  njom  prisadzic, 
cei'iku  jej  kudzeiku 


mjehku  je  catcicku 
smjetank  je  butry  do  rukow  dac. 
Jurka  pak  chcemy  won  wozenic. 
rjanu  jom  NN  ec  Marku  dac. 
Hansku  pak  chcemy  won  wozenic, 
rjanoh'  je  NN  ec  Janka  dac. 

(Usw.,  je  nachdem  der  Hausherr  Kinder  hat.) 

Auch  Einzelpersonen  kommen  manchmal  stöhnen; 

Och,  och!  ow,  ow!  Ach,  ach,  o,  o! 

Mi  chceso  tych  wasich  dobryclikolbasow!     Mich  sehnts  nach  euren 


Wir  haben  uns  zusammen  beraten, 

und  ihr  habt  uns  nicht  erwartet. 

Wir  sind  hier  zu  euch  gekommen, 

ob  ihr  einige  Liebe  zu  uns  habt, 

so  gebt  uns,  gebt  uns,  was 

ihr  uns  geben  wollt, 

und  lasset  uns  nicht  hier  lange  stehn, 

euch  euren  Kot  treten, 

uns  unsere  Schuhe  zerreissen! 

Ach,  wenn  doch  die  Hausfrau  so  gütig  wäre, 

sich  das  Messerlein  nähme 

und  hier  ein  Würstchen  schnitte, 

wenn  ihr  doch  das  Messerlein  bräche 

und  sie  das  Würstchen  ganz  gäbe, 

wenn  sie  sich  immerhin  irrte, 

immerhin  der  Würstchen  zwei  uns  gäbe! 

Den  Hausherrn  wollen    wir    setzen   hintern 

Tisch, 
ihm  einen  Krug  Bier,  ihm    ein  Glas  Wein, 
ihm    eine    Katze    voll    Geld    in  die  Hände 

geben. 
Die  Hausfrau  wollen  wir   ihm   an  die  Seite 

setzen , 
ihr  einen  feinen  Rocken, 
ihr  ein  weiches  Semmelchen, 
ihr  ein  Töpfchen  Butter  in  die  Hände  geben. 
Görgen  aber    wollen  wir  bald   verheiraten, 
ihm  die  schöne  NNs  Mariechen  geben. 
Agnes  wollen  wir  bald  verheiraten, 
ihr  den  schönen  NNs  Hans  geben. 


mten  Würsten! 


Kleine  Mitteilungeu.  57 

oder: 

4.  Ae,  ae,  ae!  ^7  ä,  ä, 

Kak  so  mirtych  wasich  koibasow  chcel       wie  michs  nach  Würsten  sehnt! 
(Luzican  1868,  62,  vgl.  auch  Haupt  und  Schmaler,  Volkslieder  der  Wenden  1,  269.) 

Die  erhaltenen  Würste  hängt  man  darauf  im  Spinnstubenhause  in  die  Esse, 
•wo  man  sie  bis  zur  'langen  Nacht',  dem  letzten  Spinnabend  vor  Weihnachten, 
hängen  lässt.  Dann  nimmt  man  sie  herunter,  bratet  und  isst  sie,  wobei  man 
■Gebäck  zuspeist  und  Kaffee  trinkt.  Auch  W.  v.  Sohulenburg  (Wend.  Volkstum 
in  Sage,  Brauch  und  Sitte,  S.  147  ff.)  führt  Wurstlieder  und  die  Sitte  des  Betteins 
der  Mädchen  aus  der  Spinnte  um  Wurst  an. 

5.  Üch,  üch,  üch,  üch  (stöhnend)  Üch,  üch,  üch,  üch, 

neb'  dzoco  zenu  wurstu  dac,  werdet  ihr  keine  Wurst  geben, 

da  neb'  dzomy  se  tu  wasu  Hanku  (oder        so  werden  wir  nicht  euer  Hannchen  (oder 
Hanska)  brac'.  Häuschen)  nehmen  (=  heiraten). 

Aus  der  preussischen  Wendel  (Gegend  von  Burg)  gibt  v.  Schulenburg  folgende 
'Wurstlieder'  an: 

6.  Wir  haben  gedacht,  sie  haben  geschlacht't. 
Wir  haben  gerochen,  sie  haben  gestochen. 
Kommt  er  nicht  raus,  kommt  sie  doch  raus 
und  bringt  uns  jedem  eine  (ein  Paar)  Wurst  (Würste)  heraus. 
Nicht  zu  gross  und  nicht  zu  klein, 
so,  dass  sie  geht  in  den  Kober  hinein, 
lasst  uns  nicht  so  lange  stehn, 
wir  müssen  noch  weiter  gehn. 

Dieses  deutsche  Liedchen  ist  allgemein  üblich.  Weniger  häufig  ist  die 
wendische  Fassung  desselben  Liedes: 

My  smy  zamysliii,  az  wy  st'o  slachtowali. 

My  smy  culi,  wy  sco  stapali. 

Njeprizo  w6n  wen,  ga  prizo  wona. 

A  priiiaso  nam  por  jeSnicow  wen. 

Nie  cu  welikich,  nie  cu  maikich, 

als  take,  az  do  kobele  zo. 
7.  Wy  SCO  zinsa  wasu  rednu  sytu  swinu         Ihr  habt  heute  euer  schönes  fettes  Schwein, 
wy  sco  zinsa  slachtowali,  Ihr  habt  heute  geschlachtet, 

jezuice  sco  gutowali,  Würste  habt  ihr  gemacht, 

CO  ga  sco  z  tym  puchai'om?  Doch  was  habt  ihr  mit  der  Blase  gemacht? 

Kusk  nam  daj.^o  Gebt  uns  ein  Stück, 

kusk  nam  dajso,  gebt  uns  ein  Stück! 

nie  se  iiezagranajso.  Redet  euch  nicht  aus. 

Dajso  nam  mafko  abo  wele,  Gebt  uns  wenig  oder  viel, 

tak  az  nekryiiomy  .sele.  so  dass  wir  nicht  ein  ganzes  Kalb  kriegen. 

Dajso  nam  kusk  jesnicy.  Gebt  uns  ein  Stückchen  Wurst, 

snaps  nam  dajso,  Schnaps  gebt  uns, 

gnaps  nam  dajso,  Schnaps  gebt  uns! 

nie  se  nezagraiiajso.  Redet  euch  nicht  aus, 

aby  wy  zenogo  doma  i'iemeli.  als  hättet  ihr  keinen  zu  Haus. 

My  smy  was  gor  dei'e  wizeli.  Wir  haben  euch  gar  wohl  gesehen, 

ako  sco  z  teju  flasku  sli,  als  mit  der  Flasche  ihr  gegangen  seid. 

net  se  wizi,  tak  aku  was.  Jetzt  zeigt  es  sich,  so  wie  bei  euch, 

net  se  wizi,  tak  nej'  nizi.  jetzt  zeigt  es  sich,  so  ist  es  nirgendwo. 

Wy  nam  dajso,  Ihr  sollt  uns  geben, 


58  Müller: 

coz  wy  ma^o.  "was  ihr  habt. 

Wy  Jane  dobre  luze,  Ihr  seid  mal  gute  Leute, 

■was  b'zomy  chwalis  precet^uzi.  euch  loben  wir  immer  überall. 

Auch  der  alte  Kettenreim  'Der  Herre  schickt  den  Jockei  aus'  (Bolte-Polivka, 
Anmerkungen  zu  Grimm,  KHM.  2,  100)  wird  in  einer  Spielart  nach  v.  Schulenburg 
als  Wurstlied  verwendet. 
1.  Der  Müller  schickt  den  Martin  aus;  (>....  der   Ochse    sollte    das    Wasser 

der  Martin  soll  den  Haber  schneiden.  saufen  usw. 

Der  Martin  schnitt  den  Haber  nicht  7.  .  .  .  der  Fleischer  sollte  den  Ochsen 

und  kam  auch  nicht  nach  Hause.  schlachten  usw. 


2.  Da  schickt  der  Herr  den  Pudel  raus. 


der  Wurstmann  sollte  die  Würste 


der  Pudel  sollte  den  Martin  beissen.  machen  usw 

Der  Pudel  biss  den  Martin  nicht,  g ^i^,.    Wurstmann     machte     die 

der  Maxtin  schnitt  den  Haber  nicht  usw.  ^.^^^^^  ^.^^^  ^^^^ 

3.  .  .  .    der   Knüppel    sollte    den  Pudel  und  kam  auch  nicht  nach  Hause. 

schlagen  usw.  Kommt    er    nicht    raus,  kommt    sie 

4.  .  .  .    das    Feuer  sollte    den    Knüppel  doch  raus 

brennen  usw.  und  bringt  nur  eine  Wurst  heraus, 

5.  .  .  .    das    Wasser    sollte     das     Feuer  nicW  zu  gross  und  nicht  zu  klein, 

löschen  usw.  dass  sie  geht  in  den  Kober  hinein. 

Pilk  bringt  in  seiner  handschriftl.  Sammlung  die  Melodie    eines   wendischen 
Stonanje-  —  d.  h.  Stöhn-  oder  Wurstwinselliedes  aus  Guttau  bei  Bautzen. 

10. 


-S[ — ^ > ^ i^ll — ^_I_^i I IS. 1— s=# — = S^- 


My  smy    tu     pris  -  li      tu  -  dy  kwam  hac  ni  -  ma  -  ce     za  -  nu     lu-bosckuam, 
Wir  sind  hier    ge  -  kom-men    zu  euch,     ob  ihr    kei  -  ne    Lie  -  be     zu    uns  habt, 

C^Z • * 8 BZI_*_,_0 0 0 — 1-0 0 0 ^- — ,_1_^^ — ^ — ^.JJ 

my  smy    sej  hro-mad- ze     zra-  dzi-  li      a        wy    so  nas    njej-sce     rad  -  zi  -  li. 
wir   ha-  ben  ucs  zu-sam  -  men  be-  ra-  ten,    und  ihrhabtsuns  nicht  ge  -  ra- ten. 

Nach  einem  Aufsatz  in  der  Casopis  Macica  Serbska  1>177  H.  30  S.  101  (so 
nach  Pilks  handschr.  Sammlung  IL  Ser.  cit.)  gab  es  in  der  Wendel  früher  sogar 
eine  Art  Vereinigung  unler  den  jungen  Burschen,  die  den  Zweck  hatte,  zu  Fastnacht 
von  Hof  zu  Hof  zu  gehen  und  um  Speck,  Wurst  usw.  zu  betteln.  Diese  'Wurst- 
brüderschaft (Kolbasnica)'  wurde  später  von  der  Obrigkeit  untersagt,  weil  sie  oft 
spektakelten  und  tagelang  verzechten,  was  sie  durch  eine  Art  'Mundschenken'  an 
Geld  für  Bier  eingesammelt  hatten.  Auch  soll  das  Tanzen  dabei  sehr  wild  ge- 
wesen sein,  häufig  hätten  die  Tänzerinnen  sogar  alles  zum  Trunk  hergeben  müssen, 
was  sie  in  ihren  Taschen  gehabt  hätten.  Das 'Wurstwinseln'  oder 'Wurstgrunzen'  ist 
auch  im  deutschen  Teile  der  Oberlausitz  weit  verbreitet  unter  Anwendung  von 
volkstümlichen  Reimen. 

10.  Winselte,  winselte,  Wurscht,  Wurscht,  nahmts  nä  iebel,  mir  seiu  groob. 

W^urscht,  Weiße  Strimp  und  schwarze  Schuh 

Wurscht,  Wurscht,  dos  is  mei  Leben,  und  gaa^  a  grüß  Stück  Wurscht  dazu, 

der  Nubbr  hoot  a  Schwein  geschlacht't  Lußt  uns  nä  gor  lange  stihn: 

und  hoot  de  Wurscht  rafcht  fett  gemacht.  mer  wulln  a  Hoisel  weiter  gihn. 
Wurscht  im  Tiegel,  Fleesch  im  Toop,  (Neukirch  =  so  nach  Pilk.) 


Kleine  Mitteilungen. 


59 


Wollte  man  einen  Wurstwinseier  necl 
satz  gefüllte  Wurst,  schickte  ihm  aber  Ta 

11.  Winselte,  winselte,  Wurscht,    Wurscht, 

Wurscht, 
bei  Ns.  da  han  se  grüßen  Durscht, 
se  han  a  fettes  Schwein  geschlacht't 
und  han  daraus  viel  Wurscht  gemacht. 
W^inselte,  winselte  Majoran, 

12.  Winsel,  winsel,  Worscht, 

mich  hungert  und  mich  dorscht, 
ich  hab  gebiert,  ihr  bot  geschlacht' 
und  mir  a  Worschtel  raet  gemacht. 
Es  de  Worscht  ne  recht  geroten. 


:en,    so    gab    man   ihm  eine  mit  Kaffee- 
gs  darauf  eine  richtige. 

wollte  gern  a  Wirschtel  han, 

nä  zu  grüß  und  nä  zu  kleene, 

vun  der  Mittelsuvte  eene. 

Wurscht  im  Tiegel,  Fleesch  im  Toop, 

nahmts  nä  iebel,  mir  sein  groob. 

(Neukirch,  Pilk.) 

so  gaat  a  Stecke  Schweinebroten. 
Weiße  Strimpe,  schwarze  Schuh, 
brengt  de  grüße  Worscht  herzu. 

(Friedersdorf  b.  Pulsnitz.) 


Winselte, winselte  Majo-ran,  hinte  sei  mer  äl-le  ran,  weiße  Strimpe,  schwarze  Schuh, 


brengtdegrußeWorscht  anzu.Wennmer  ne  de  gru-ße  krieng,  seimer  mitderkleen  zefried'n. 


wenn  mer  ne  de  klee-ne  krieng,  seimer  met  an 


Steckl  zefried'n. 

(Hauswalde  b.  Pulsnitz.) 

Var.:    1.  —  wolln  mer.  —  Zusatz:    — .       Und  wenn  mer   nich  e  Stickl    krieng,    sei 
mer  mit'm  Knittel  zefriedeu.     (Hauswalde  b.  Pulnitz;. 


W'inselte,  winselte,  Majoran, 
hinte    (=  heute)  sein  mer  olle  ran 
Weiße  Strümpfe,  schwarze  Schuh, 


14.  W^inselte,  winselte,  Majoran,  brengt  de  grüße  Worscht  herzu. 

Sein  de  W^örschte  ne  geroten, 
gat  mr  a  Stücke  Schweinebroten. 
Hauswalde  b.  Pulsnitz,  auch  Herold  i.  Erzgeb. 

Winsel,  winsel,  Majoran,  der  Fleescher  is  a  guder  Mann, 

der  Fleescher  hot  a  Schwein  drschlön,  der  uns  a  Stückel  Wurst  gän  kann. 

Friedersdorf  b.  Pulsnitz. 


16.  Winselte,  winselte,  Majoran, 
N.  hat  e  Schwein  erschlän. 


17.  Winselte,  winselte,  Majoran, 
N.  hat  a  Schwein  erschlän, 
Weiße  Strümpfe,  schwarze  Schuh, 
brengt  de  grüße  Wurscht  herzu. 

18.  W^inselte,  winselte,  Majoran, 
hinte  sei  mer  olle  ran. 

Weiße  Strümpfe,  schwarze  Schuh, 
brengt  de  grüße  Wurscht  herzu. 
N.  is  a  guter  Mann, 
den  mer  a  gebrauchen  kann. 


Mag  er  sich  bedenken 

und  mir  e  Würstel  schenken. 

Gottschdorf  b.  Kamenz. 

wenn  mer  ne  de  grüße  kriegen, 
sei  mer  mit  dr  kleen'  zefrieden. 

Geißmannsdorf  (Oberlausitz). 

Wenn  er  hot  a  Schwein  geschlacht, 
hot  er  0  an  uns  gedacht, 
hättT  ni  an  uns  gedacht, 
häfr's  0  ni  tut  gemacht. 

Hauswalde  bei  Pulsnitz. 


(30  Müller: 

19.  Winsel,  -winsel,  Majoran,  ihr  habt  gestochen, 
ihr  habt  euer  Schwein  drschlan,                       Wurst,  Wurst,  Wurst! 

wir  habens  gerochen,  Wiesa  b.  Kamenz. 

20.  Winselte,  winselte,  Majoren,  vun  der  Mittelsurte  eene. 

ich  mecht  gern  e  Werschtel  hon,  Wilschdorf  b.  Stolpen. 

ni  ze  grüß  un  ni  ze  kleene, 
Var.:  1.  Winslak,  winslak  — .  (Lückersdorf  b.  Kamenz.)  —  nur  1  u.  2.  (Ärnsdorf). 
-    Zur  'Schlächtermost'  (=  Schweinschlachten). 

21.  Reibe,  reibe,  Majoran, 

ich  will  0  e  Wirschtel  hon.         Großschweidnitz  bei  Löbau. 

22.  Winsel,  winsel,  Majoran,  Wenn  sie  ist  nicht  geraten, 
bringt  die  große  Wurst  heran.                         tuts  auch  Schweinebraten. 

Ärnsdorf. 

23.  Winsel,  winsel,  Wurscht, 

mich  hungert  und  mich  durscht. 
Ich    hab    gehört,    ihr    habt    geschlacht 
und  mir  ein  kleines  Würschtel  gemacht. 
Kamenz. 
Zusatz:  Ich  hätt'  mich  eingebeten, 

ich  bin  hierher  getreten.  Großnaundorf  h.  Pulsnitz. 

24.  Winsel,  winsel,  Wurst,  Wurst,  Wurst,  sie  wird  sichs  wohl  bedenken 
Frau  N.  hat  en  roten  Rock,  und  mir  e  Wirschtel  schenken. 

Ärnsdorf. 

25.  Winsel,  winsel,  Wurst,  Wurst,  Wurst,  Herr  N.  soll  recht  lange  leben, 
großen  Hunger,  großen  Durst.                         wenn  er  uns  tat  e  Würstel  geben. 

Ärnsdorf. 

26.  Winsel,  winsel,  Wurst,  Wurst,  Wurst,  Herr  N.    wird   so    gut   sein  und  mir  ein 
Weiße  Strumpf  und  schwarze  Schuh,  Stückchen  geben. 

und  en  Zipfel  Wurst  dazu.  Ärnsdorf. 

Wurst,  Wurst,  das  ist  mein  Leben, 

27.  Winselte,winselte,  Wurscht,  Wurscht,Wurscht,  Sin  de  Würschtc  nich  geraten, 
Wurscht  ist  mein  Leben,  gebt  e  Stückel  Schweinebraten. 
Wurscht  kinnt'r  geben.  Kamenz. 

28.  Winsel,  winsel,  Worscht,  mich  hongert  und  mich  dorscht, 
N.  hat  an  ruten  Rock,  se  greift  so  garne  an  Worschttopp, 
Do  werd  se's'ch  o  bedenken   und  mir  a  Worschtel  schenken. 

Friedersdorf  b.  Pulsnitz. 

29.  Winsel,  winsel,  Worscht,  mich  hungert  und  mich  dorscht. 

Ich  ho  gehiert,  ihr  hot  geschlacht  und  hot  mr  ane  Worscht  gemacht. 
Kommt  er  ne  raus,  kommt  sie  ne  raus, 

Do  aein's  de  geiz'gen  Leute.  Grossnaundorf  bei  Pulsnitz. 

Var.  3.      Es  de  Worscht  ne  recht  geroten,  so  gat  a  Sticke  Schweinebroten. 
Weiße  Strempe,  schwarze  Schuh,  brengt  de  grüße  Worscht  herzu. 

Friedersdorf  b.  Pulsnitz. 

2.  —  und  hat  recht  gute  Wurst  gemacht. 

3.  Sollt  de  Wurst  ne  sein  geroten,  gebt  mir  e  Stückel  Schweinebrotfn. 

Friedersdorf  b.  Pulsnitz. 

30.  Winsel,  winsel,  Wurst,  Wurst.  Wurst. 

N.  die  haben  ein  Schwein  geschlacht,  hab'n  mir  wohl  ne  Wurst  gemacht. 

Frau  N.  in  dem  roten  Rock,   die  greift  so  gern  in  Talertopp, 

wird  sich  nich  erst  bedenken  und  mir  e  Würstchen  schenken. 

Lange  Stange  übers  Haus,  gebt  mir  doch  e  Würstchen  raus.  Ärnsdorf. 


Kleine  Mitteilungen.  61 


Winsel,  winsel,  Bäuerleiu,  gebt  mir  doch  ein  Würstelein, 

nich  zu  groß  und  nich  zu  kleene,  sondern  von  der  mittelu  eene. 


Arnsdorf. 


'Wurstbrummen'. 
32.    Brumm,  brumm,  brumm,  bei  N.  hän  se  a  Schwein  geschlacht, 
brumm,  brumm,  brumm,  und  daraus  hän  se  Wurscht  gemacht. 
Brumm,  brumm,  brumm,  kimmt  ha  ne  raus,  kimmt  sie  ne  raus, 
brengts  Ma'gel  do  a  Wirschtel  raus,  brumm,  brumm,  brumm. 

Steinigtwolmsdorf. 
'Wurstgrunzen'. 
83.    Grunze,  grunze,  Wurscht,  der  Bettelmann  hat  Durscht, 

ihr  habt  e  großes  Schwein  geschlacht't  und  habt  auch  großen  Durscht  gemacht.. 

Grosspostwitz  bei  Bautzen. 

34.  Grunze,  grunze,  Wurscht,    's  fliegt  a  Vogel  übersch  Haus 
und  bringt  de  größte  Wurscht  mit  raus. 

Oberlausitz:  Walddorf  b.  Eibau. 

35.  Grunz,  grunz,  Schwein  geschlacht,  hott'r  keene  Wurscht  gemacht? 
Is  se  nich  geroten,  schenkt  mr  a  Sticke  Schweinebroten. 

Kittlitz  bei  Löbau. 

36.  Grunze,  grunze,  Wurscht,  der  Bettelmann  hat  Durscht. 
Wurscht  an  Tiegel,  Fleesch  an  Topp, 

nalimts  ne  übel,  mir  sein  grob.  Rodewitz  in  Böhmen  ^b.  Haida). 

37.  Grunze,  grunze,  Wurscht. 

Wurscht  an  Tiegel,  Fleesch  au  Tupp, 

nahmts  ne  übel,  mir  sein  grob,  Wiltheu.    Arnsdorf. 

38.  Wurst  in  Tiegel,  Wurst  in  Tiegel, 
Fleesch  in  Tupp,  Fleesch  in  Tupp, 
Friß  du  Igel,  friß  du  Igel, 

Buttermilchsupp!  Schandau.  Mitt.  Vcr.  sächs.  Vk.  3,324. 

Var.:   4.    Hopp,  hopp,  hopp!  (Folhern  b.  Großenhain).   —    4.  das  schmeckt  gut  (Gorbitz). 

39.  Wurscht  in  Tiegel,  Wurscht  in  Tiegel, 
Fleesch  in  Tupp, 

alle  Liese,  alle  Liese, 
bist  rächt  grubb. 

Grünberg  i.  S.-Altcnburg  (Frost,  Chronik  v.  Grünberg  S.  62). 

40.  Wenzelsgahle,  hupp,  hupp,  hupp, 

Fleesch  an  Tiegel,  Wurscht  an  Tupp.  Oderwitz. 

41    Wurscht  in  Tiegel,  Wurscht  im  Tiegel,  Krautsalat, 

mir  ä  bissel,  dir  ä  bissei,  das  schmeckt  delikat.     Glauchau. 
Var.:  1.    Wurschteltiegel,    Wurschtelticgel,    Fleesch   in'    Topp.      2.    Mir    ä   Stickel,  dir    e 
St.-  gut.  Weinböhla. 

42.    Ich  hab  gehört,  ihr  habt  geschlacht, 
habt  groß  und  kleine  Wurst  gemacht. 
Die  große  gebt  ihr  mir,  die  kleine  behaltet  ihr. 
Dieser  Reim  wurde  früher   auf   einem  Zettel   mit    dem  Bettelsack   in    das  Haus  ge- 
worfen, wo  gerade  .,Hausschlachten"  stattfand.  Mühltroff  i.  Vogtl. 

43.   E  e  e,  Schwein  geschlacht  und  dazu  viel  Wurst  gemacht, 
Ist  sie  nicht  geraten,  so  gebt  mr  e  Stick  Schweinebraten. 
Die  Schüssel  hat  en  golden  Rand,  N.  hat  ene  milde  Hand 
Und  wird  sich  wohl  bedenken  und  mir  e  Wirschtel  schenken. 

In  den  Wendendörfern  nördlich  und  nordwestlich  von  Löbau. 


^2  Müller: 

44.  N.  N.  haben  ein  Schwein  geschlacht,  haben  auch  große  Wurst  gemacht, 
N.  N.  werden  sich"s  wohl  bedenken  und  mir  auch  ein  Würstchen  schenken. 

Kotitz  b.  Löbau. 

45.  Herr  N.  hat  e  Schwein  geschlacht  und  hat  uns  keine  Wurst  gemacht. 

Das  soll  er  sich  bedenken  und  uns  eine  schenken.  Arnsdorf. 

Var.:    1.  Mein  Nupper  —    hat  recht    viele  W.  g.      2.  Ar  wird  sichs  wohl  b.  u.  ward 
mer  eene  seh.  (Wilschdorf  b.  Stolpen.) 

-    46.    M,  m,  m,  die  Leute  harn  e  Schwein  geschlacht,  volle  Schüssel  Worscht  gemacht, 
warn  sich  wohl  bedenken  und  uns  e  Wirschtel  schenken.      Nostitz  b.  Löbau. 

47.  K  haben  e   Schwein  geschlacht,  Wurst  gemacht,   Wurst  gemacht, 
's  Teppchen  hat  en  goldnen  Rand  [N.  hat  ne  milde  Hand], 

N.  könnens  wohl  bedenken  und  mir  och  e  Würschtel  schenken. 

Nostitz  b.  Löbau. 

48.  Ä,  ä,  Schwein  geschlacht  und  ne  grosse  Wurst  gemacht,   weisse  Strümpfe    rote 
Schuh  und  ne  große  Wurst  dazu.  Kohlwesa  b.  Löbau. 

49.  Habt  ihrne  a  Schwein  geschlacht?   Habt  ihr  ne  o  Wurscht  gemacht?   ch,  ch,  eh. 
Es  ist  uns  allen  wohlbekannt,  Frau  N.  hat  ne  milde  Hand, 

se  wird  sich  nich  lange  bedenken  und  uns  a  Stücke  Großwurscht  schenken. 

Herwigsdorf  b.  Löbau. 

50.  Ban  Bauer  N.  hon  se  e  Schwein  geschlacht,  ch,  ch,  ch. 
Der  Fleescher  hot  viel  Wurscht  gemacht,  ch,  ch,  ch. 
Schmeiß  den  Basen  übersch  Haus,  ch,  ch,  cb, 

breng  uns  ack  e  Wirschtel  raus,  ch,  ch,  ch.  Olbersdorf  b.  Zittau. 

ÖL    E,  e,  e,  Schwein  geschlacht  und  dazu  viel  Wurst  gemacht, 
is  se  nich  geraten,  so  gebt  mr  e  Stückchen  Schweinebraten. 
De  Schüssel  hat  en  golden  Rand,  N.  hat  ene  milde  Hand 
und  wird  sich  wohl  bedenken  und  mir  e  Wirschtel  schenken.    Nostitz  b.  Löbau. 

52.  Ä,  ä,  Kobasse  (wend.  kolbazy  =Würste),  der  Nachbar  hat  e  Schwein  geschlacht, 
hat  ene  Schüssel  voll  Wurscht  gemacht, 

er  wird  sich  wohl  bedenken  und  uns  e  Würschtel  schenken. 

Trauschwitz  b.  Löbau. 

53.  Ä,  ä,  Kobasse,  sein  de  Wirschte  gutt  geroten?  Gebt  mr  a  Sticke  Schweinebroten 
oder  a  Sticke  Wurscht,  Wurscht, 

Lange  Letter  übersch  Haus,  gebt    mr  doch  a  Wirschtel  raus! 

Und  der  mitn  gülden  Finger  wird  schun   dran  denken 

und  mr  a  Wirschtel  schenken.  Kittlitz  b,  Löbau. 

54.  Ich    hab    gehört  ihr   habt    geschlacht,   habt    groß    und    kleine  Wurst    gemacht. 
Gebt   mir   nur  die  großen,    die  kleinen  laßt  ihr  hängen, 

gebt  mir  Kuchen  und  Branntewein,   nachher    guck  ich    auch   zur  Tür  mit  nein. 

Rechenberg  i.  Erzg. 

55.  Ich  hab  gehört,    ihr  habt  geschlacht,    habt    große  und  kleine  Wurst  gemacht. 
Gebt  mir  eine  von  den  langen,  die  kurzen  könnt  ihr  in  die  Esse  hangen. 

Bobenneukirchen  i.  Vogtl. 

56.  Bei    Schustern    han    se    e    Schwein    geschlacht   ne  weit    vu    Schneiders  Pfütze, 
de  grüße  Wurscht,  de  grüße  Wurscht  die  kimmt  in  meine  Mütze. 

Hertigswalde. 

57.  Herr  N.  hat  ein  großes  Schwein  geschlacht, 

er  mag  sich  wohl  bedenken  und  uns  e  Würstchen  schenken. 
Frau  N.  hat  einen  roten  Rock,  sie  greift  nich  gern  in  Talertopp. 
Lauge  Stange  übers  Haus,  gebt  uns  doch  e  Würstel  raus. 

Arnsdorf. 


Kleine  Mitteilungen.  63 

58.  Frau  N.  hat  en  roten  Rock,   sie  greift  nich  gern  in  Würsteltopp, 
sie  mag  sich  nur  bedenken  und  uns  e  Würstel  schenken. 

Herr  N.  ist  e  guter  Mann,  er  hat  e    großes    Schwein    geschlacht. 

Rote  Strümpfe,  schwarze  Schuh,  gib  uns  e  Stückchen  Wurst  dazu.     Arnsdorf. 

59.  Lange  Stange  übers  Haus,    gebt    mr    doch  e  Würstel   raus, 

nich  zu    groß  und  nich  zu  kleene,  von  der  Mittelsorte  eene.  Arnsdorf. 

Var.  mit  Zusatz:  3.  Wurst,  Wurst,  das  ist  mein  Leben,  das  muß  unser  Bauer  geben. 

Winsel,  Winsel,  Majoran,  möchte  gern  e  Würstel  ham.  Arnsdorf. 

GO.   N.  is  a  guter  Mann,  den  wir  o  gebrauchen, 

Wenn'r  bot  a  Schwein  geschlacht,   hot'r    o  an  uns  gedacht. 

Hot'r  ne  an  uns  gedacht,  hot'r  o  kees  tut  gemacht.     Hauswalde  b.  Bischofswerda. 

(51.    Bei  unnern  Nachbar  warsch  halt  schien,    die  ham   e  Sau  geschlacht, 
die  ham  e  grüße  Worscht  gemacht,  dös  war  e  wahre  Pracht. 

Ülsnitz  i.  Vogtl. 

62.  Ich    hab  gehört,   ihr  habt  geschlacht,  habt   große   und  kleine  Wurst   gemacht. 
Die   großen  gebt  mir,  die  kleinen  behaltet  ihr.  Altenburg. 

63.  Ich   hab  gehört,   ihr  habt  geschlacht,   habt   kurze   und   lange  Wurst  gemacht. 
So  gebt  mir  eine  lange,  die  kurzen  lasset  hangen.  Vogtland. 

64.  Ich  hab   gehört,  ihr  habt  geschlacht,  das  hat  mir   vielen  Spaß  gemacht. 

Und  weil  das  Schwein  recht  fett  gewesen,  bekommt  Bettelmann  auch  gute  Spesen, 
die  allerschönste  Kleukerwurst  die  stillt  den  Hunger,  Bier  den  Durst. 

Arnsdorf. 

65.  Der  Teller  hot  an  gilden  Rand,  der  Votter  ,'od.  d.  Nupper)  bot  anne  milde  Hand. 
Er  wird  sich  schön  bedenken  und  mir  a  Wirschtel  schenken. 

Kittlitz,  Nostitz,  Trauschwitz  b.  Löbau. 

66.  Im  Eigenschen  Kreise  ladet  man  die  Nachbarn  gern  auch  mit  altherkömmlichen 
Reimen  ein; 

Heut  ist  geschlachtet  ein  Riesenschwein. 

Gefüttert  ist's  mit  Leberwurst  und  Lein, 

Drum  ist  das  Schweinchen  auch  nicht  zu  klein. 

Es  wiegt  genau  zehn  Pfündeleiu. 

Ich  lade  freundlich  ein  zum  fetten  Schwein. 

Kiesdorf  a.  d.  Eigen,  (b.  Ostritz). 

67.  An  euerm  Hause  hing  ein  Schwein,  das  haben  wir  gesehen, 
Da  dachten  wir  in  uusern  Sinn,  dort  möchten  wir  hingehen. 
Der  Schulze  ist  ein  guter  Mann,  den  man  gebrauchen  kann. 
Denn  wenn  er  hat  ein  Schwein  geschlacht,  hat  er  an  uns  gedacht. 

Kamenz. 
68.    Wir  stehn  uf  eire  Steene,  uns  frieren  unsre  Beene, 
Wir  haben  gerochen,  ihr  habt  gestochen. 
Raus,  raus,  Schweinewürstel  raus. 
Wurscht,  Wurscht,  Wurscht  in'n  Tiegel, 
Fleesch  in'n  Topp 
Schmeckt  nich  ibel. 
Ihr  seid  grob. 

Rute  Strümp  und  schwarze  Schuh 
Und  ne  große  Wurscht  dazu.  Löbauer  Gegend. 

69.    Bittel,  battel,  Leinewand,  gib  mr  was  in  meine  Hand, 

laß  mich  nich  ze  lange  stehn,  muß  a  Häusl  weiter  gehn. 
Lange  Leiter  übersch  Haus,  werft  mir  nur  ne  Grützwurscht  raus. 

Nostitz  b.  Löbau. 


Q4.  Müller: 

70.  Morng  früh  halbachte,  wenn  de  Bauern  schlachte, 

loß  iech  mir  e  Wörschtel  gam,  häng  iech's  na  an  meeu  Tannebaam. 

Lugau  i.  Erzgeb. 

71.  Guten  Tag,  Frau  Pote,  menne  Mutta  söte, 

•wenn  se    täten  Schweine  schlachten,  selln  se  mir  a  Werschtl  machen, 
wenns  ni  ins   Kerbl  gäng,  selln  se's  uffn  Buckl  häng'n. 

Friedebach  i.  Erzgeb.     Kechenberg  i.  Erzg. 

Im  Yogtlande  findet  beim  Schlachtfest  das  sogenannte  'Einhängen'  statt,  indem 
verkleidete  Burschen  und  Mädchen  einen  an  einem  Stab  befestigten  Sack  durch 
das  heimlich  geöffnete  Fenster  schieben  und  dabei  den  Reim  sagen: 

72.  Schön    guten   Abend,    ihr  Schlachtfestgäste,   sitzt  ihr  denn  noch  hart  und  feste? 
Hättet  ihr  mich  zur  Schlachtschüssel  gebeten,  so  wäre  ich  nicht  vor  das  Fenster 

getreten. 
Gebt  mir  was  von  eurem  Schwein,  doch  es  darf  zu  klein  nicht  sein. 

Wallengrün  im  Vogtl. 

73.  Die  Rosa  is  net  su  genau,  die  gibt  uns  was  von  ihrer  Sau. 

Schön  guten  Nahmt,  ihr  lieben  Gäste,  gebt  uns  was  von  eurem  Feste, 
gebt  uns  keine  Kuöchelein,  wir  haben  ein  stumpfes  Messerlein. 

Planschwitz  i.  Vogtl. 
An  anderen  vogtländischen  Orten  herrschte  (nach  einer  Zeitungseinsendung 
im  'Vogtland.  Anzeiger'  14.  Februar  1903)  die  Sitte  des  sogenannten  'Spiess- 
reckens'  beim  Schweinschlachten.  Die  Kinder  gingen  gegen  Abend  in  das  Haus, 
wo  Schlachtfest  war,  und  stellten  dort  heimlich  ein  Gefäss  ein,  in  dem  ein  Zettel 
möglichst  mit  einem  Gedicht  lag,  so  z.  B.  mit  dem  Reime: 

74.  Wir  recken  heut  en  Spieß,  einer  Wujst  sind  wir  gewiß, 

und  will  uns  wohl  das  Glück,  setzt's  auch  vom  Fleisch  ein  Stück. 

Das  Sauerkraut  schmeckt  auch  gar  fein,  drum  muß  es  stets  beim  Schlachtfest  sein, 

gebackne  Kloß  und  Meerrettig,  nein,    etwas  Bess'res  gibt    es  uich. 

Nun  schönen  Dank  im  voraus  noch  und  dazu  euch  ein  "donnernd  Hoch". 
Nach  ungefähr  einer  Stunde  stellten  sich  die  Kinder  wieder  ein,  um  möglichst 
unbemerkt  den  Krug  zu  holen,  der  mit  Wurstsuppe,  wohl  auch  mit  Wurst  oder 
Fleisch,  Kraut  oder  Klössen  gefüllt  war,  am  reichlichsten,  wenn  die  Spender  be- 
freundete Kinder  vermuteten.  Manchmal  gab  es  auch  zum  Schabernack  statt  der 
erhofften  Genüsse  Asche  mit  Wasser  vermischt  oder  als  Wurst  ein-  Stück  Holz 
im  Kruge  oder  überhaupt  gänzlich  leere  Gefässe.  —  Im  westlichen  Erzgebirge 
und  im  Vogtlande  heißt  das  Schlachtfest  „Krummbä"  =  Krummbein  nach  dem 
Krummholz,  an  dem  das  Schwein  mit  den  Hinterbeinen  aufgehängt  wird.  Auch 
hier  spricht  sich  die  alte  Nachbarsitte  in  einem  Liede  aus.  Man  singt  gern,  wenn 
das  Wellfleisch,  das  Sauerkraut  und  die  Klöße  aufgetragen  werden: 

75.  Allegro.  ^_^ 

Geh    mer  mol  rü-ber,  geh  mer  molrü  -  her,  geh  mer  mol    rüber  zum  Schmied.  Der 


^ 


— ä. 


'Schmi'ed  der    hat     ne        Saugeschlacht  und  aus      'n  Schwanz  ne  Wurst  ge  -  macht. 

Geh  mer    mol    rü  -  ber,   geh    mer  mol    lü  -  ber,  geh  mer  mol  rüber  zum  Schmied, 

Kirchberg  i.  Erzgeb. 


Kleine  Mitteilungen.  ß5  ■ 

Das  Mittelstück  des  Liedchens  erscheint  in  verschiedener  Fassung:  der  hat 
ne  grüße  Sau  geschlacht  und  hot  en  Zentner  Wurscht  gemacht.  (Affalter  i.Erzgeb.) 
—  der  Schmied    der   hot   e  Sau  geschlacht,    der  Schuster  hat  de  Wurst  gemacht. 

(Rotschau  bei  Reichenbach.) 

Auch  mehrstrophig  erscheint  das  Lied: 

76.    1.  Geh  liier  mol  rieber,  geh  mer  mol  rieber, 
geh  mer  mol  rieber  zum  Schmied. 
Der  Schmied,  der  hot  e  Kanepee, 
und  wenner'sch  draufsetzt,  do  huppst  de  in  der  Höh. 
Geh  mer  mol  rieber,  geh  mer  mol  rieber, 
geh  mer  mol  rieber  zum  Schmied. 
2.  Geh  ....  Schmied. 

Der  Schmied  der  hot  e  Sau  geschlacht 
un  hot  seiner  Frau  kene  Wurst  gemacht. 
Geh  ....  Schmied. 

3.    Geh  ....  Schmied. 

Der  Schmied  der  bot  drei  Töchterlein, 

die  wollten  gern  verheirat  sein. 

Geh  ....  Schmied.  Zwickauer  Gegend. 

In  den  wendischen  Dörfern  der  Lausitz,  vor  allem  nach  Preussen  zu,  wird 
auch  die  Fastnacht  gern  durch  Schweineschlachten  ausgezeichnet.  Auch  dabei 
geht  man  singend  Gaben  heischen,  die  Jugend  geht  'zembern'  oder  'zerapern', 
wobei  es  auf  die  Würste  besonders  abgesehen  ist.  Mehrere  solche  Bettelreigen 
zu  Fastnacht,  leider  ohne  bestimmte  Ortsangabe,  bringt  Braunsdorf  in  einem  Auf- 
satz 'Das  Zempern  in  der  wendischen  Lausitz'.     (Gebirgsfreund  1897,  Nr.  5,  1./3.): 

77.    Wir  honn  gedacht,  jeh  honn  geschlacht; 
wir  honn  gerochen,  jeh  honn  geschtochen. 
Kommt  he  nich  raus?    Kommt  he  doch  raus 
und  brängt  uns  eene  Worschc  heraus. 
Müllers  Vetter  (der  Hauswirt),  guder  Mann, 
schneid  uns  doch  die  lange  an. 
Müllers  Muhme,  gude  Frau, 
seid  doch  nicht  so  sehre  genau. 
Wir  honn  gedacht,  jeh  honn  geschlacht 
un  honn  uns  keene  Worscht  gebracht. 
Brängt  Worscht,  Worscht,  Worscht I 

In  einigen  Spreewaldorten  sollen  auch  die  Kinder  mit  dem  sogenannten  'Fast- 
nachtsspiess'  zempern  gehn,  einem  oben  zugespitzten,  mit  bunten  Bändern  ge- 
schmücktem Stocke,  an  dem  mehrere  kreuzweis  stehende  spitze  Querhölzer  be- 
festigt sind.    Hierbei  lautet  das  Ansingeliedchen: 

78.  Fastnacht  ist  hier,  sechs  Dreier  zu  Bier, 

sechs  Dreier  zu  Speck,  gehn  wir  gleich  wieder  weg. 

Oben  in  den  Forschte  (Firste,  bei  der  Feueresse)  hängen  zwei  Wörschte, 

die  lange  gib  mir,  die  kurze  behalt  dir. 

Schneid  weg,  schneid  weg,  ein  groß  Stück  Speck; 

schneid  Raum,  schneid  Raum  und  nicht  in  den  Daum. 

79.  Zemper,  zemper,  Donnerstag,  morgen  is  Freitag, 
oben  in  der  Forschte  hängen  viel  Wörschte, 

gebt  mir  doch  die  lange  Worscht,  laßt  die  kurze  hängen. 
Ich  stehe  uf  en  Steenchen,  mich  frieren  meine  Beenchen. 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.   Heft  1.  5 


56  Müller: 

Laßt  mich  nicht  zu  lange  stehn,  ich  muß  noch'n  Stickchen  weiter  gehn. 

Gebt  mir  een  paar  Eier,  spring  ich  wie  der  Geier, 

gebt  mir  een  Stück  Speck,  oder  ich  springe  über  eire  Hausschwelle  weg. 

Vor  den  Kaufmannsläden  singt  die  Schar: 

80.  Zemper,  zemper,  Gasse,  Bier  in  der  Flasche, 
Eier  in  den  Kober,  Geld  in  die  Tasche, 
Oben  in  der  Forschte  hängen  eure  Wörschte, 
gebt  mir  die  langen,  laßt  die  kurzen  hangen. 

Ich  bin  der  kleine  König,  gebt  mir  nicht  zu  wenig. 

Laßt  mich  nicht  zu  lange  stehn,  ich  möchte  noch'n  Häuseben  weitergehn. 

Ich  möchte  hin  nach  Polen, 

Polen  ist  ein  weiter  Weg,  seht  ihr  nich,  daß  dunkel  wird? 

Auch  in  der  sächsischen  Oberlausitz  auf  deutschem  Sprachgebiete  begegnen 
uns  ähnliche  'Zemperlieder': 

81.  Semper,  Semper,  Donnerstag,   morgen  ham  ma  Feiertag. 
Oben  in  der  Firste  hängen  die  Bratwürste. 

Gebt  uns  nur  Stangen,  daß  wir  sie  erlangen. 

Wir  können  nicht  lange  stille  stehn,  wir  müssen  ein  Haus  weitergehn. 

Dittersbach  bei  Ostritz. 

Das  'Spiessrecken'  beim  Schweineschlachten,  und  zwar  gern  in  irgend  einer 
Vermummung  (daher  auch  dafür  der  Ausdruck  'Masch'kra'  gehen,  d.h.  Maskerade  g.) 
finden  wir  auch  in  der  Oberpfalz  wieder  (Mitt.  u.  Umfragen  z.  bayr.  Volkskunde 
1898,  nr.  4,  S.  3): 

82.  Ich  reck,  ich  reck  an  Spieß, 

a  Trumm  (=  Stück)  Fleisch  und  Wurscht  is  ma  g'wiß. 

83.  Ich  hab  gehört,  ihr  habt  geschlacht 
und  habt  recht  große  Wurst  gemacht, 
drum  bitt'  ich  den  Herrn  und  seiue  Frau, 

sie  möchten  mir  geben  ein  Stück  von  der  Sau, 

den  Sausack  (d.  i.  Preßwurst)  will  ich  nicht  begehr'n, 

den  ißt  Herr  und  Frau  selber  gern. 

Die  Gaben  werden  an  den  Haken  des  Spiesses  gehängt.  [Ebenso  in  Deutsch- 
böhmen; vgl.  Unser  Egerland  4,  18.  7,  11.  24.  40.  8,  IG.J 

Erzgebirgischer  Wurstbettel  reim. 

84.  Oben  in  der  Firste  hängen  frische  Würste, 

Die  dünnen  laßt  dort  hängen,  die  dicken  gebt  mir! 

Ich  steh  auf  Euerm  Steinchen  (=  Türschwelle),  mich  friert  an  meinen  Beinchen, 

Laßt  mich  nicht  so  lanjie  stehn,  ich  muß  ein  Häusel  weiter  gehn. 

Macht  ein  bißchen  fix,  ich  bin  ein  kleiner  Klix  (=  Wicht). 

Gebt  mir  nicht  zu  wenig,  ich  bin  ein  kleiner  König. 

Eier  in  den  Kober,  Bier  in  die  Flasche, 

Blanke  Pfennigstücke  in  die  Tasche 

Und  ein  Stückchen  Speck,  dann  spring  ich  von  eurer  Türschwell  weg. 

Gegend  v.  Olbernhau. 

Niederlausitzer  Zemperlied. 

85.  Zemper,  zemper,  Donnerstag,  morgen  ist  der  Feiertag. 
Oben  in  der  Ferschte  häng'n  gebrot'ne  Werschte. 

Laßt  uns  nicht  zu  lange  stehn,  wir  müssen  weiter  zempern  gehn. 

Zemper  in  der  Kasse,  Bier  in  der  Flasche, 

Eier  in  den  Kober.  [Luckau.  Vgl.  Niederlausitzer  Mitteilungen  S,  ^Oö.] 


Kleine  Mitteilungen.  67 

"Wenn  wir  uns  nach  fernerliegenden  Parallelen  umschauen,  so  finden  vfir  zu- 
nächst in  Meyers  Deutscher  Volkskunde  S.  214  nur  einen  kurzen  Hinweis,  dass  in  der 
Eifel  maskierte  Burschen  im  Christmonat  bei  Bausschlachtungen  auftreten  mit 
dem  Spruch: 

86.    Wurstle  heraus,  Wurstle  heraus,  's  isch  e  brave  Fra  im  Haus. 

Manchmal  strecken  die  heischenden  Burschen  auch  ein  Säckle  durch  das 
Fenster  mit  solchen  'Wurstliedle'. 

Aus  Grossschwabhausen  (um  1870)  führt  Schläger  (oben  17,  4U2)  ein  hierher 
gehöriges  Ansingelied  an: 

87.  Ich  hab  gedacht,  ihr  habt  geschlacht, 
habt  groß-  und  kleine  Wurst  gemacht, 
drum  bitte,  bitte,  bitte, 

gebt  mir  ne  recht  groß-  und  fett-  und  dicke 
rein  in  meine  kleine  Ficke. 

Aus  Hessen  liegen  'Rlowessprüche'  vor,  die  auch  Wurstreime  sind,  da  die 
'Klowese',  maskierte  Kinder,  mit  solchen  Sprüchen  am  6.  Dez.,  am  Klowesabend, 
bei  den  Metzgern  um  Wurst  betteln.  (Lewalter,  Dtsch.  Kinderlied  und  Kinder- 
spiel S.  216.) 

88.  Ich  hab  gehört,    ihr  hälft  geschlacht,   ihr    hätt't  für    mich    ne  Wurst  gemacht, 
nicht  so  groß  und  nicht  so  klein,   damit  will  ich  zufrieden  sein. 

89.  Ich  hab  gehört,  ihr  habt  geschlacht  und  für  mich  ne  Wurst  gemacht, 
nicht  so  klein  und  nicht  so  dünn,   ganz  genau  nach  meinem  Sinn. 

90.  Ich  hab  gehört,  ihr  habt  geschlacht,  habt  so  große  Würste  gemacht, 
habt  so  große  und  so  kleine,  sind  als  wie  die  Mühlensteine. 

91.  Da  oben  in  der  Forschte,  da  hängen  lange  Wörschte. 
Gebt  mir  eine  lange,  die  kleinen  die  laßt  hangen! 
Gebt  mir  ein  Stück  Speck,  dann  geh  ich  wieder  weg. 

Bei  der  'Metzgete'  in  der  Schweiz  sind  folgende  Reime  gebräuchlich  (Züricher, 
Kinderlied  und  Kinderspiel  im  Kanton  Bern  S.  70): 

92.  Gnyppi,  gnappi,  gnou,  gät  mer  vo-n-öuer  Sou, 

nid  gar  weni,  nid  gar  vil,  vo  de-n  Ohre  bis  zum  Stil. 

93.  Ich  stande-n-uf  em  ehalte  Stei,  gät  e  mer  e  Batze  so  cha-n-i  hei. 

94.  Mueter,  lueg  da,  's  isch  e  Bueb  da,  huderyady,  huderyady,  hudery. 
Mueter,  gib  im  Wurst,  's  isch  e  brave  Burscht,  h.,  h.,  h. 

Mit  den  oben  angeführten  Zemperliedern  aus  der  Lausitz  berühren  sich  die 
Fastnachtsreime  bei  Frischbier,  Preuß.  Yolksreime  und  Volksspiele  nr.  792.  797; 
Böhme,  Kinderlied  u.  Kdsp.  nr.  1623.  1663,  1716—1718;  Simrock,  Kinderbuch 
890;  Erk-Böhme,  Liederhort  3,  1216.  [Für  Basel  weist  die  Sitte  des  Wurst- 
bettelns  um  die  Neujahrszeit  E.  Hoffmaun-Krayer  (Schweiz.  Archiv  f.  Volkskunde 
7,  103;  Schweizer  Volkskunde  2,  2)  bereits  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  nach; 
Luther  erzählt  in  seinen  Tischreden  (Ausg.  y.  Förstemann  2,  168),  wie  er  als  Knabe 
in  der  Fastnacht  vor  den  Türen  gesungen  habe,  Würste  zu  sammeln;  in  Hebels  'Statt- 
halter von  Schopfheim'  (Werke  ed.  E.  Keller  2,  58)  schickt  der  Friederli  drei  Räuber 
seiner  Bande  zum  Ueli,  der  ein  Schwein  geschlachtet  hat,  und  heisst  sie  'ums  Würstli 
singen'.  Über  das  'Karrideln'  in  Treuenbrietzen  vgl.  oben  12,  470;  über  das 
Wurstsammeln  der  Schmiede  in  Gcseke  in  Westfalen  Zs.  f.  rhein.  Volksk.  10,  64.] 

Löbau  i.  Sa.  Gurt  Müller. 


68 


PoHvk£ 


Nachträge  zu  den  Personifikationen  von  Tag  und  Nacht. 

(Oben  26,  313  ff.) 

1.  Das  weisse  und  das  schwarze  Knäuel  (S.  317  f.). 

Den  von  mir  zusammengestellten  Märchen  ist  noch  eine  armenische  Fassung, 
die  im  ganzen  zu  Grimm  KHM.  nr.  111  zu  rechnen  ist,  anzureihen.  (Revue  des 
trad.  pop.  19,  337  ff.)  Als  am  dritten  Abend  das  Feuer  verlöscht,  geht  der  jüngste 
Bruder  Feuer  suchen,  das  er  auf  dem  Gipfel  eines  Berges  erblickt.  Unterwegs  trifft 
er  einen  überaus  alten  Greis,  der,  auf  der  Spitze  des  Berges  sitzend,  ein  Knäuel 
schwarzen  Zwirnes  abwickelt,  neben  sich  ein  grosses  Knäuel  weissen  Zwirnes. 
Der  Greis  sagt  ihm,  er  sei  die  Zeit,  er  wickle  bei  Nacht  den  schwarzen  Zwirn,  . 
bei  Tag  den  weissen  Zwirn  auf.  Der  Held  nimmt  dem  Greise  das  schwarze 
Knäuel  aus  den  Händen  und  lässt  es  den  Berg  hinabrollen;  er  solle  das  Knäuel 
von  neuem  anfangen,  damit  die  Nacht  länger  dauere.  Er  kommt  zu  einem  regel- 
rechten Kessel,  worin  sieben  Rinder  kochen,  mit  einem  Dämon  dabei,  und  39  da- 
neben, die  schlafen.  Er  schiebt  den  Kessel  bei  Seite,  nimmt  alles  Feuer  und 
kehrt  zu  dem  Bruder  zurück.     Der  Greis  wird  hier  also  nicht  gefesselt. 

2.  Der  weisse  und  der  schwarze  Widder  (S.  318  f.). 

Bei  der  Bearbeitung  einer  Übersicht  des  slowakischen  Märchenschatzes 
fand  ich  in  dem  hs.  Heft  sign.  XlUa  des  Museums  in  Türe.  Sv.  Martin  (Ober- 
ungarn) noch  eine  hierher  gehörige  Fassung  des  Märchens  von  der  Entführung 
der  Prinzessinnen  in  die  Unterwelt.  Es  wurde  von  H.  Pivko  im  Dialekt  von 
Neutra  in  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrh.  erzählt. 

Abweichend  von  dem  oben  angeführten  cechischen  und  serbokroatischen 
Märchen  sind  erst  bei  der  Hochzeitsfeier  nacheinander  die  aus  Gold  und  Silber 
erbauten  Schlösser  samt  den  jungen  Frauen  verschwunden,  und  zwar  gleichfalls 
um  Mitternacht  unter  grossem  Getöse.  Der  jüngere  Prinz  geht  mit  seinen  Dienern, 
das  Schloss  zu  suchen,  und  kommt,  der  Blutspur  folgend,  zu  einem  tiefen  Brunnen. 
Unten  erblickt  er  die  beiden  Schlösser  und  hört  von  seiner  Frau,  dass  sie  der 
Riese  hierher  gebracht  habe  und  dann  zu  dem  roten  Meere  gegangen  sei,  um  seine 
tiefen  Wunden  zu  heilen.  Sie  gibt  ihm  einen  goldenen  Apfel;  wenn  er  nur  sagt: 
„Spring,  Schloss,  in  den  Apfel",  so  wird  er  das  Schloss  wegtragen  können.  Einen 
ebensolchen  Apfel  bekommt  er  von  seiner  Schwägerin.  So  lässt  er  beide  von 
seinen  Dienern  hinaufziehen.  Während  dessen  erblickt  er  zwei  Widder,  einen  weissen 
und  einen  schwarzen  und  läuft  ihnen  nach,  bis  er  zu  einem  alten  Weibe  kommt. 
Das  Weib  rät  ihm,  die  Schlösser  zu  Hause  aufzustellen  und  dann  zum  roten  Meer 
zu  eilen,  wo  jener  Riese  schläft,  um  ihn  zu  töten,  solange  er  noch  im  tiefen 
Schlafe  ist.  Auf  der  rechten  Seite  hat  er  ein  Gläschen  mit  stärkendem  Wasser, 
in  der  linken  eins  mit  einschläferndem  Wasser;  aus  dem  ersten  soll  er  trinken 
und  dann  beide  Gläschen  vertauschen;  wenn  er  den  Riesen  umgebracht,  soll  er 
zurückkommen,  den  weissen  Widder  fangen,  nicht  den  schwarzen,  denn  das  sei  der 
Teufel,  und  der  würde  ihn  in  die  Hölle  bringen.  Mit  einem  Pfeifchen,  das  er  von 
der  Alten  bekommen,  ruft  er  die  Diener  herbei,  lässt  sich  hinaufziehen,  stellt  die 
Schlösser  auf,  gibt  die  Äpfel  seiner  Frau  und  eilt  zum  roten  Meer  zum  Riesen. 
Den  überwindet  er  leicht  nach  dem  Rate  der  Alten  und  wirft  ihn  in  das 
rote  Meer.  Dann  sucht  er  die  Widder  auf.  Der  weisse  entwischt  ihm,  der 
schwarze  springt  ihm  in  die  Hände,  xmd  so  wird  er  in  die  Hölle  getragen.  Die 
Teufel  bringen  ihn  zu  Luzifer.  Luzifers  Tochter  verliebt  sich  in  ihn,  und  der 
Prinz  muss  einwilligen,  sie  zu-  heiraten,  denn  sonst  wäre  er  auf  dem  feurigen 
Bette  verbrannt  worden,    und    er   wird    nun  von  den  Teufeln    wie  ein  König  ver- 


Kleine  Mitteihxngen.  69 

ehrt.  Als  er  einmal  mit  seiner  Frau  in  den  Garten  geht,  sieht  er  dort  viele  frucht- 
bare Bäume;  einer  trägt  nur  eine  sehr  schöne  Birne,  die  aber  nach  dem 
strengen  Befehl  Luzifers  niemand  essen  darf.  Luzifers  Tochter  sagt  ihm,  dass, 
wer  die  Birne  aufesse  und  das  Kerngehäuse  hinter  sich  werfe,  sich  dort  befinden 
werde,  wo  er  wolle.  Als  er  nun  nach  einer  Weile  allein  ist,  klettert  er  auf 
den  Baum,  isst  die  Birne  und  wirft  das  Gehäuse  hinter  sich;  da  bricht  ein 
grosser  Sturm  los,    und    in    einer  kurzen  Weile  ist    er    daheim    bei    seiner  Frau. 

Als  Luzifers  Tochter  erfährt,  dass  er  zu  Hause  ist  und  sie  vergessen  hat, 
dringt  sie  in  ihren  Bruder,  ihm  wieder  die  Schlösser  und  die  Frauen  zu  rauben. 
In  der  Gestalt  eines  Königs  kommt  er  in  das  Schloss,  verwandelt  sich  nachts  in 
einen  Käfer  und  dann  in  eine  Mücke  und  findet  die  zwei  goldenen  Äpfel;  er  ver- 
schwindet durch  das  Fenster,  lässt  die  Schlösser  mit  den  Frauen  in  die  Äpfel 
springen,  geht  zum  roten  Meer  und  hängt  sie  dort  hoch  oben  auf. 

Der  Prinz  sucht  nun  wieder  jenes  alte  Weib  auf,  erfährt  von  ihm,  wo  die 
Schlösser  sich  befinden,  dass  Luzifers  Sohn  in  ihnen  wohnt  und  die  Äpfel  in 
einem  Eimer  hinablässt;  das  Weib  gibt  ihm  einen  Kater,  der  springt  in  den 
Eimer  und  fängt  die  Äpfel.  Der  Kater  will  mit  den  Äpfeln  weglaufen,  der  Prinz 
schiesst  nach  ihm  und  verwundet  ihn.  Gleich  wird  aus  dem  Kater  ein  Jüngling. 
Der  Prinz  bekommt  die  Äpfel,  lässt  die  Schlösser  hineinspringen,  kehrt  nach  Hause 
zurück,  stellt  die  Schlösser  auf  den  alten  Ort  und  lebt  nun  glücklich  mit  der  Frau 
und  seinem  Bruder. 

Die  slowakische  Fassung  stimmt  ziemlich  stark  mit  der  von  B.  Nemcova  be- 
arbeiteten cechischen  Erzählung  überein,  viel  mehr  als  mit  der  serbokroatischen, 
aber  ein  direkter  Zusammenhang  ist  kaum  anzunehmen.  Das  Motiv  mit  dem 
helfenden  alten  Weib  ist  durchgeführt;  es  steht  dem  Helden  schon  in  der  Hölle 
bei,  bei  B.  Nemcova  wird  er  schliesslich  erlöst;  die  slowakische  Fassung  weiss 
nichts  davon.  In  der  cechischen  Fassung  werden  nur  die  goldenen  Dächer  ge- 
raubt, und  der  Held  findet  in  ihnen  zwei  schöne  Mädchen,  die  Töchter  des  Riesen, 
die  ihm  ziemlich  dasselbe  wie  das  alte  Weib  der  slowakischen  Fassung  sagen.  Eher 
beruhen  diese  und  die  Vorlage  der  cechischen  Erzählerin  auf  einer  gemeinsamen 
Quelle.  Die  serbokroatische  Fassung  ist  eine  verblasste  und  verderbte  Wieder- 
gabe derselben.  Einen  direkten  Zusammenhang  mit  der  cechischen  Erzählung 
möchte  ich  nicht  mehr  voraussetzen. 

Prag.  Georg  Polivka. 


Zu  Bd.  25,  314:  Zachariae,  Ein  Salomonisches  Urteil. 

DieErzählung  aus  dem'Buch  der  Frommen'  wird  von  Strack  mit  folgenden  Worten 
wiedergegeben:  „In  dem  'Buch  der  Frommen'  von  Jehuda  ben  Samuel  dem  Frommen, 
der  um  1200  in  Regensburg  lebte,  wird  zur  Begründung  der  Vorstellung,  dass 
Eltern  und  Kinder  auch  in  physischer  Hinsicht  einen  Körper  bilden,  folgendes  mit- 
geteilt (Ausgabe  Bologna  1538,  §232;  ebenso  Basel  1581):  Ein  reicher  Mann  fuhr 
mit  seinem  Diener  über  das  Meer  und  nahm  eine  grosse  Summe  Geldes  mit. 
Bald  darauf  starb  er  in  der  Fremde.  Da  bemächtigte  sich  der  Diener  aller 
Schätze,  indem  er  sich  für  den  Sohn  ausgab.  Kurze  Zeit  nach  der  Abreise  des 
Mannes  aber  hatte  die  schwanger  zurückgebliebene  Frau  einen  Sohn  geboren.  Als 
dieser  herangewachsen,  wendete  er  sich  an  den  Gaon  Saadja  (in  Sura,  lebte  892 
bis  942).  Der  Gaon  riet  ihm,  zum  König  zu  gehen.  Der  König  beauftragte  Saadja, 
die  Sache  zu  entscheiden.  Diese  Hess  beiden  zur  Ader  und  legte  dann  einen  aus 
des  Vaters  Grabe  geholten  Knochen  in  das  Blut  des  Dieners;  jedoch  der  Knochen 


70  Jacoby,  Leumann-Bolte:    Kleine  Mitteilungen, 

saugte  das  Blut  nicht  auf.  Wohl  aber  geschah  dies,  als  der  Knochen  in  das 
andere  Blut  gelegt  war;  denn  sie  waren  Ein  Körper.  Da  gab  Saadja  das  Ver- 
mögen dem  Sohne"  ^). 

Ich  hatte  s.  Z.  bereits  auf  die  Erzählung  der  Gesta  Romanorum  aufmerksam 
gemacht  und  damit  verglichen  chinesischen  Glauben:  „Zur  Agnoszierung  des 
Skeletts  ihrer  Eltern  lassen  auf  dasselbe  die  Kinder  ihr  Blut  fallen:  dringt  dies  in  die 
Knochen  ein,  so  sind  es  die  elterlichen.  Durch  Waschen  derselben  mit  Salzwasser 
kann  das  Gelingen  der  Probe  verhindert  werden.  Zwei  Verwandte  müssen  bei 
der  Blutprobe  sich  einen  Stich  beibringen  und  das  Blut  in  Wasser  lassen.  Sind 
sie  Vater  und  Kind,  Mutter  und  Kind,  Mann  und  Frau,  so  fliesst  das  Blut  zu- 
sammen, sonst  nicht"  ^).  Diese  Mitteilung  stimmt  mit  der  Blutprobe  der  von 
Zachariae  gesammelten  Erzählungen  auffallend  überein  und  gibt  wesentlich  mehr 
als  der  dort  erwähnte  tonkinesische  Brauch. 

Luxemburg.  A.dolf  Jacoby. 


Zum  Doruröschen-Märchen. 

Bolte  und  Polivka  schreiben  im  ersten  Band  ihrer  Anmerkungen  zu  Grimms 
Märchen  (1913  S.  441),  dass  Dr.  Reinhold  Spiller  sich  in  seinem  dem  Dorn- 
röschen gewidmeten  Programm  von  1893  bei  Erörterung  der  Herkunft  dieses 
Märchens  noch  auf  die  Seite  Grimms  gestellt  habe.  Demgegenüber  glaubt  Spiller, 
der  kürzlich  verstorben  ist,  in  einer  hinterlassenen  Notiz  darauf  aufmerksam 
machen  zu  müssen,  dass  er  sich  vielmehr  bestrebt  habe,  wenigstens  die  direkte 
Herleitung  des  gekannten  Märchens  aus  den  Edda-Sagen  als  unmöglich  zu  erweisen 
und  Entlehnung  aus  Indien  vorläufig  wahrscheinlich  zu  machen. 

Strassburg  i.  E.  Ernst  Leumann. 

Durch  ein  bedauerliches  Versehen  habe  ich  Spillers  Ansicht  über  das  Märchen 
von  Dornröschen  unrichtig  wiedergegeben.  Seitdem  ist  auch  Panzer  (Studien  zur 
germanischen  Sagengeschichte  2,  137.  1912)  entschieden  gegen  die  Grimmsche 
Ansicht  vom  Zusammenhange  des  Märchens  mit  der  Siegfriedsage  aufgetreten, 
während  Petsch  (Paul-Braunes  Beiträge  42,  8  )— 97.  1916)  wieder  eine  Einwirkung  der 
kürzeren  Fassung  des  Märchens,  die  er  für  die  ursprüngliche  hält,  auf  die  Helden- 
sage annimmt.  Kampers  (Mitt.  der  schles.  Ges.  f.  Volksk.  17,  181  —  187.  1915) 
kann  ich  augenblicklich  nicht  nachschlagen. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


1)  H.  L.  Strack,    Blutabei  glauben  bei  Christen  nnd  Juden.     2.  Abdruck  1891   S.  37. 

2)  Schweizer  Volkskunde,  3,  46  nach  Neuburgcr  und  Pagel,  Handbuch  der  Geschichte 
der  Medizin  1,  34. 


Berichte  und  Besprechungen.  71 

Berichte  und  Besprechungen. 


K.RhamnijUrzeiUicheBauernhöfe  im  germanisch-slawischen  Waldgebiet. 

Ein  Buchauszug. 
(Fortsetzung,  vgl.  üben  26,  385-399.) 

n.  Abschnitt: 
Die  urnordische  Wohnung  und  der  Übergang  von  dem  Saal  zur  Stofa.  • 

(S.  377—536.) 

7.  Kapitel.     Die  urnordische  Saalwohnung. 

(S.  377-419.) 

Nach  einer  kurzen  Kennzeichnung  seiner  Hauptquellen,  'Om  Privatboligen  pä 
Island  i  Sagatiden'  des  isländischen  Philologen  Gudmundsson  und  'Kunst  og  Hand- 
vaerk  i  Norges  Fortid'  des  norwegischen  Architekten  Nicolaysen,  beginnt  Rh  am  m  zu- 
nächst mit  der  Darstellung  der 

skandinavischen  Wohnung  in  der  Sagazeit 
d.  h.  in  der  Zeit  von  etwa  1000  bis  in  die  Mitte  des  13.  Jh.  n.  Chr.  Für  diese 
Zeit  ist  nämlich  die  isländische  Sagaliteratur  gleichzeitig  und  daher  besonders  zu- 
verlässig, und  kurz  vor  diese  Zeit  (874)  fällt  auch  die  Besiedlung  Islands  durch 
die  Norweger  und  damit  die  Übertragung  der  altskandinavischen  Wohnung  nach 
Island.     Sie  bestand  im  wesentlichen  aus  drei  Teilen:  stofa,  eldhüs  und  skali. 

Die  stofa,  der  eigentliche  Wohn-  und  Gästeraum,  ist  sehr  geräumig  (fasst  bis 
100  Personen)  und  dreischiffig.  Im  Mittelschiff  befinden  sich  mehrere  längliche 
Feuerstätten  arinn,  auf  denen  das  geheiligte  Feuer  brennt,  das  einerseits  der  Be- 
leuchtung, andererseits  aber  besonders  auch  dem  Weihen  der  Speisen  und  Ge- 
tränke dient,  die  über  das  Feuer  zugereicht  werden.  Die  Feuerstätten  stehen  un- 
mittelbar auf  dem  gestampften  Lehmboden.  Die  drei  Schiffe  werden  durch  die  Hoch- 
säulen {sula)  geschieden,  die  in  zwei  Reihen  den  Raum  durchziehen  und  das 
Firstdach  tragen,  in  dessen  Mitte  sich  die  Lichtöffnung  {Ijori)  befindet.  Die  Seiten- 
schiffe zerfallen  in  Querräume,  die  durch  je  zwei  Hochsäulen  begrenzt  werden 
und  Stabgolfe  heissen.  Sie  bestehen  aus  Bretterbühnen  imllr,  von  denen  die 
vordersten  an  dem  Mittelschiff  niedere  Stufen  (Dielen)  für  die  Füsse  bilden, 
während  man  auf  den  höheren  rückwärtigen  sass  und  lag.  Die  mittleren  Stab- 
golfe in  beiden  Seitenschiffen,  die  vom  Lichte  der  Dachöffnung  besonders  bei  der 
alten  Ost-Westrichtung  der  utofa  am  meisten  getroffen  waren,  enthielten  die  ein- 
ander gegenüberliegenden  Ehrensitze     (S.  383). 

Das  eldhus,  Feuerhaus,  ist  in  diesem  Zeitraum  ausschliesslich  Küche  und 
enthält  den  Kochherd  {eldgrö/,  gröf  =  Feuergrube,  eldsti  =  Feuerplatz)  und  den 
Backofen.  Der  Kochherd  ist  nicht  nur  in  unserem  Zeitraum  vom  geselligen  und 
geheiligten  Feuer  des  arinn  der  stofa  scharf  zu  unterscheiden,  sondern  er  war 
nach  Rh.s  Ansicht  auch  schon  vor  dem  Aufkommen  der  stofa  in  der  Saalperiode 
vom  arinn  geschieden.  Die  uralten  Sitten,  die  sich  an  den  arinn  knüpfen  (das 
Zureichen  und  Weihen  der  Getränke  über  ihn)  schliessen  es  nach  Rh.  völlig  aus, 
dass  er  auch  einmal  Kochherd  gewesen  sei.  Diese  Auffassung  des  Verfassers  ist 
insofern  wichtig,  als  er  daraus  für  die  Folgezeit  den  Schluss  zieht,  dass  die  heu- 
tige norwegische  arestue  direkt  aus  der  altnordischen  stofa,  die  rggoimstue  aber  aus 
dem  eldhus,  das  bereits  eine  engere  Verbindung  von  Kochherd  und  Backofen  auf- 
weist, hervorgegangen  sei. 


72  Berichte  und  Besprechungen. 

Die  skali  (Schlafraum)  war  ganz  wie  die  stofa  gebaut,  nur  enthalten  hier  die 
Seitenschiffe  die  Schlafverschläge,  welche  aber  hier  nicht  pallr,  sondern  set  ge- 
nannt werden.  Einer  von  ihnen,  der  hvilugolf,  war  besonders  abschliessbar,  ge- 
legentlich auch  mit  einem  unterirdischen  Gang  versehen  und  den  Hauswirten  vor- 
behalten. In  der  ersten  Zeit  nach  der  Landnahme  (874)  finden  wir  übrigens  auf 
den  Bauernhöfen  die  skali  noch  nicht  ausgebildet;  damals  schlief  vielmehr  das 
Gesinde  auch  im  eldhus,  und  Rh.  meint,  dass  damals  der  Herd  mit  dem  Backofen 
an  einem  Ende  des  Mittelschiffes  gestanden  sei. 

Nicht  nach  Island  mitübernommen  wurde  ein  viertes  Gebäude,  dass  die 
Norweger  neben  diesen  drei  in  der  skandinavischen  Heimat  besassen,  das  'Bauer', 
bur  oder  skemna.  Es  war  zweigeschossig,  wobei  das  Obergeschoss  Qoptr  =  Boden) 
den  Schlafraum  für  den  Hausherrn  und  den  Nähraum  für  die  Frauen  enthielt. 
Im  übrigen  diente  es  als  Getreide-  und  Pleischspeicher.  Dieses  Gebäude 
ist  ungemein  weit  verbreitet:  In  Norwegen  (und  zwar  in  Telemarken)  ist 
es  noch  1844  nachweisbar,  aber  auch  in  Schweden,  Smaaland,  Dänemark,  England, 
Fühnen  und  Altniedersachsen  (als  jungfrubur  der  Vornehmen),  dann  aber  auch  in 
Finnland  und  Russland  finden  sich  seine  Spuren.  Ob  es  von  den  Norwegern  nur 
im  Sommer  oder  auch  im  Winter  benutzt  wurde,  ist  zweifelhaft.  Nach  Island 
wurde  es,  wie  gesagt  (Rh.  nimmt  an,  aus  Mangel  an  Holzmaterial),  nicht  mitge- 
nommen; dort  finden  wir  es  vielmehr  in  seine  Teile  zerlegt,  wobei  der  Schlafraum 
des  Hausherren  dem  eldhus  angegliedert  wurde,  wodurch  sich  dessen  Bedeutung 
erhöhte.  (—  S.  391.) 

Die  Wohnung  der  Saalzeit. 
Wie  sah  nun  die  Wohnung  aus,  aus  der  sich  diese,  aus  den  Quellen 
recht  klar  ersichtliche  Wohnung  der  Sagazeit  entwickelte?  Rh.  stimmt  da 
zunächst  mit  Gudmundsson  überein,  wenn  dieser  die  Trennung  der  stofa  und  des 
eldhus  für  die  älteste  Zeit  für  unmöglich  hält.  Auch  bei  den  übrigen  Germanen 
kommt  eine  solche  Scheidung  nicht  vor.  Allein  für  die  älteste  Einrichtung  ist 
Gudmundsson  das  wallisische  Sippenhaus  des  12.  Jahrhunderts  entgangen,  das  uns 
in  seiner  Einrichtung  ganz  in  die  Urzeit  versetzt.  Es  besteht  aus  senkrechten 
Baumstämmen  und  Flechtwerk,  ist  oben  mit  den  Wipfeln  zusammengebunden, 
enthält  aber  bereits  einen  dreischiffigen  Saal.  Ähnliche  Formen  werden  auch  in 
der  Edda  geringschätzig  erwähnt.  Im  Gegensatz  zur  Sagazeit  kennt  die  Edda  nur 
ein  einheitliches  Gebäude,  den  Saal  (salr),  die  Halle  (Aö//),  mit  einer  einfachen, 
aus  geschlagenem  Lehm  bestehenden  Einrichtung,  die  zum  Schlafen  und  zum 
Sitzen  dient,  dem  ßet.  Das  JJet  bezeichnet  deutlich  die  seitlichen  erhöhten  Bühnen 
im  Gegensatz  zum  golf,  dem  vertieften  Fussboden  des  Mittelschiffes.  Grössere 
Schwierigkeiten  bringt  aber  das  im  selben  Zusammenhang  vorkommende  Wort 
bekkr  (Bank).  Der  Ansicht  Gudmundssons,  dass  ein  und  dieselbe  Einrichtung 
beide  Namen  führte,  je  nachdem  ob  man  darauf  sass  oder  lag,  widerspricht  Rh. 
Es  bleibt  die  Frage,  ob  mit  bekkr  nicht  eine  auf  das  flet  gestellte  Bank  gemeint 
war.  Rh.  findet  die  Erklärung  im  schon  genannten  Walliser  Sippenhaus  des 
12.  Jahrhunderts.  Auch  dessen  Seitenschiffe  enthielten  die  Schlafstätten,  da  aber 
dort  der  vordere  Rand  dieser  Schlafbühnen  zum  Sitzen  diente,  so  ist  die  Analogie 
für  den  salr  sehr  naheliegend;  nach  Rh.  ist  also  bekkr  der  vordere,  vielleicht 
durch  Bretter  abgemarkte  Teil  des  üet.  Allerdings  deutet  einiges  darauf  hin, 
dass  später  im  Ehrengolf  (nndoeyi.)  erhöhte  Ehrensitze  aufgebaut  wurden.  Nach 
Gudmundsson  wäre  dieser  Rand  des  flet  das  set  gewesen.  Rh.  (S.  401—405) 
führt  dem  entgegen  aus,  dass  das  set  erst  später  für  die  Bezeichnung  dieses  ganzen 
Randes,  der  ursprünglich  durchwegs   bekkr  geheissen   habe,    angewendet    worden 


Berichte  und  Besprechungen.  73 

sei.  Zuerst  habe  es  aber  nur  die  Randverzimmerung  (seisiücke)  und  vor  allem  die 
Randverzimmerung  der  Schlafstätten  des  bür  bedeutet.  —  Noch  eingehender  be- 
schäftigt sich  (S.  406—419)  der  Verfasser  mit  dem  .70//'.  Dieses  Wort  kommt  in 
drei  Bedeutungen  vor,  erstens  als  Fussboden  schlechthin,  zweitens  als  Raumabteil 
(stafgolf)  und  drittens  als  die  erste,  nächst  der  Tür  gelegene  Abteilung  des  salr. 
In  sehr  schönen  Nachweisen  aus  zahlreichen  Stellen  der  altnordischen  Dichtung 
und  Prosa  bringt  der  Verfasser  namentlich  für  die  letztgenannte  Bedeutung  des 
golfes  interessante  Belege.  Auch  weist  er  das  Vorkommen  des  golfes  in  dieser 
Bedeutung  für  Schweden,  Finnland  und  Grossrussland  (als  golbec)  nach.  Er 
kommt  zum  Schluss,  dass  das  Wort  ursprünglich  überhaupt  jeden  vertieften 
Raumabteil,  also  'Bucht'  bedeutet  habe  und  dass  sich  diese  Bedeutung  dann 
einerseits  auf  den  gegen  das  erhöhte  flet  vertieften  Boden  des  Mittelschiffes  und 
dann  auf  die  'Buchten'  (als  Raumabteilungen)  überhaupt  übertragen  habe.  Es 
hätte  also  ganz  ähnliche  Bedeutungswechsel  wie  unsere  Worte  'Flur'  und  'Boden' 
durchgemacht. 

8.  Kapitel.     Das  Aufkommen  der  stofa  und  ihre  Stellung  in  der  Wohnung  der  Sagazeit. 

(S.  419—464.) 

Im  Gegensatz  zu  Gudmundsson,  der  auch  für  die  Eddazeit  schon  die  stofa 
als  das  eigentliche  Wohnhaus  ansieht  und  die  Bezeichnungen  fiöllr  und  sab-  nur 
für  dichterische  Ausdrücke  hält,  ist  Rh.  der  Anschauung,  dass  die  stofa  aus  einem 
Nebengebäude,  nämlich  aus  der  Badestube  entstanden  und  erst  um  die  Wende 
des  Jahrtausends  in  Skandinavien  eingedrungen  sei.  Er  stützt  sich  dabei  be- 
sonders auf  die  alten  norwegischen  Gesetze  (Norges  Garale  Love  IV)  aus  der 
Mitte  des  12.  Jahrhunderts,  die  auch  in  dieser  Zeit  an  erster  Stelle  noch  immer 
deutlich  ein  salhus  nennen  und  den  Ausdruck  sto/a  geflissentlich,  eben  als  etwas 
von  geringerer  Abkunft,  umschreiben  (S.  422).  In  sehr  ansprechenden  Beleg- 
stellen aus  verschiedenen  alten  Sagen  (S.  422—427)  sucht  der  Verfasser  nachzu- 
weisen, dass  auch  in  der  Sagenzeit  noch  viele  'nach  alter  Art'  gebaute  'Hallen' 
mit  Schlafstätten  vorkamen  und  ausdrücklich  in  Gegensatz  zu  etwas  Neuem,  näm- 
lich eben  zur  neuen  stofa,  bzw.  zur  '■hirdstofa'  (der  königlichen  Stube)  gesetzt 
werden.  —  Gudmundsson  ist,  wie  gesagt,  der  gegenteiligen  Ansicht;  er  glaubt,  dass 
der  Name  'höU'  erst  im  12.  Jahrhundert  an  die  Stelle  der  alten  hirdutofu  (Königs- 
halle) getreten  sei.  Nach  ihm  hätte  also  die  alte  stofa  das  bedeutet,  was  nach 
Rh.  der  salr  war,  also  auch  das  jlet  enthalten.  Aus  diesem  flet  der  stofa  hätte 
sich  nach  Gudmundsson  einerseits  das  set  und  andererseits  der  pallr  entwickelt. 
Abgesehen  von  seiner  überhaupt  gegenteiligen  Ansicht  hält  Rh.  auch  diese  Ab- 
leitung des  pallr  aus  dem  flet  für  unmöglich:  Das  flet  habe  eine  flache  ungedielte, 
der  pallr  aber  eine  stufenförmig  aufsteigende  und  vor  allem  gedielte  Über- 
fläche gehabt.  Noch  heute  bezeichnet  210I  bei  den  Kleinrussen  die  Schlafbühne 
und  bei  den  Grossrussen  den  gedielten  Fussboden.  Diese  Tatsache  ist  nun  ent- 
scheidend für  Rh.s  Auffassung  von  der  'stofa  überhaupt.  Nach  ihm  war  der  palr 
ursprünglich  das  erhöhte  stufenförmige  Schlafgerüst  in  der  Badstube.  Nach  ihm 
ist  ferner  aus  dieser  Badstube  die  skandinavische  stofa  entstanden,  wie  dies  auch 
auf  dem  ganzen  deutschen  Gebiet  der  Fall  war  (Nachweise  aus  der  lex  Alam.  und 
Bajuv.).  In  dieser  Annahme  befindet  sich  Rh.  zunächst  in  voller  Übereinstimmung 
mit  allen  neueren  Hausforschern,  auch  mit  Meringer.  Aber  nun  folgt  der  Abschnitt 
in  Rh.s  Theorie,  der  ihn  eben  in  scharfen  Gegensatz  besonders  zum  letztge- 
nannten Forscher  bringt.  Während  Rh.  nämlich  für  Deutschland  zugibt,  dass 
dort  das  Entscheidende  bei   der  Erhebung  der  Badestube  zur   -Stube'   der  Ofen 


74  Berichte  und  Besprechungen. 

war,  ist  er  für  den  Norden  der  Ansicht,  dass  dort  das  Entscheidende  der  pallr 
war.  Nicht  der  Ofen  der  Badstube  sei  in  die  nordische  stofa  übergegangen  und 
habe  ihr  den  Namen  gegeben,  sondern  das  stufenförmige  Gerüst,  der  pallr.  Die 
stofa  kenne  im  Gegensatz  zum  ehi/ms  keinen  Ofen,  sondern  nur  das  rituelle  offene 
Herdfeuer.  Sie  hat  also  den  Ofen  der  Badestube  nicht  mitübernommen.  Ebenso 
ist  Rh.  der  Ansicht,  dass  der  pallr  der  Badestube  nicht  von  Russland  aus  nach 
Norwegen,  sondern  umgekehrt  mit  der  Badstube  von  Skandinavien  aus  nach  Finn- 
laßd  und  Russland  gewandert  sei.  Als  Beweis  dafür  dient  ihm  eben  der  Name 
pal/r,  da  das  Wort  bei  einer  Entlehnung  aus  dem  Slawischen  von  der  slawischen 
Form  polok  abgeleitet  sein  müsste.  Rh.  hält  also  jmllr  (=  Pfahl)  ebenso  wie 
Pflug  für  ein  altgermanisches  Wort'). 

Diese  Annahmen  geben  dem  Verfasser  auch  Anhaltspunkte  für  die  Zeit,  in  der 
die  stofa-Wohnung  in  Skandinavien  eingedrungen  sein  muss:  die  Entlehnung  der 
Worte  istuba  (von  stofa)  und  bmija  (von  badstofa)  muss  nach  Rh.  in  der  Zeit  vor 
den  grossen  Wanderungen  der  Slawen  stattgefunden  haben;  das  heisst:  die  stofa- 
Wohnung  muss  sich  schon  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung 
bei  einem  germanischen  Stamm  im  Innern  Russlands  gefunden  haben. 

Zusammenfassend  ergeben  sich  dem  Verfasser  für  die  nordische  Urzeit  also 
als  skandinavische  Wohnungsbenennungen  hüll,  salr  und  eldhus:  hüll  =  Halle  des 
Königs  oder  Fürsten,  salr  =  die  Wohnung  des  freien  Mannes;  eldhiis  (im  alten 
Wortsinn)  aber  werden  in  dieser  Zeit  beide  Gebäude  und  überhaupt  jeder  mit 
Herdfeuer  versehene  Bau  genannt.  —  Es  ist  nun  naheliegend,  anzunehmen,  dass 
aus  dieser  urnordischen  Wohnung  alles  das  in  die  neue  stofa-Wohnung  über- 
nommen worden  ist,  was  von  den  alten  Einrichtungen  dem  neuen  Räume  an- 
passungsfähig wTa\  An  die  Stelle  des  salr  tritt  die  stofa  mit  dem  pallr,  an  jene 
der  höU  die  hirdstofa  und  drykkjustofa,  das  salhüs  schlechthin  aber  wurde  zum 
blossen  eldhus  oder  zur  eldaskali  herabgesetzt,  das  gegenüber  dem  alten  salhus 
eine  blosse  Küche  war.  In  längeren  Auseinandersetzungen  (—  S.  456)  sucht  der 
Verfasser  unter  Hinweis  auf  interessante  Stellen  der  alten  Sagen  und  Gesetze 
darzulegen,  wie  dieses  eldhus  oder,  wie  es  auch  genannt  wurde,  die  eldaskali  nun 
in  Kampf  mit  der  stofa  tritt  und  wie  sich  diese  neuen  Räume  gegendweise  ver- 
schieden entwickeln.  So  lässt  sich  ein  eigenes  Schlafhaus  (skali)  für  diese  Zeit 
nur  auf  Island  nachweisen,  während  in  Norwegen  seine  Stelle  eine  eigene  dnjkk- 
juskäli  ('Trink'-  oder  'Gästehaus')  vertritt,  die  aber  gewöhnlich  schon  jetzt  dnjkL- 
jusiofe  genannt  wird.  In  der  Königshalle  erfolgte  die  Scheidung  zwischen  alten 
und  neuen  Einrichtungen  schärfer  und  deutlicher,  sie  zeigt  schon  in  der  Über- 
gangszeit entweder  die  alte  saalartige  oder  die  neue  stofa-Form.  Im  Bauernhof 
aber  findet  sich  noch  lange  die  eldhus-Form  neben  der  stofa,  die  am  Bauernhof 
anfänglich  wohl  nur  mehr  als  besonderer,  sozusagen  als  Prunkraum  Eingang  fand. 
Es  fragt  sich  nun,  ob  das  flet  und  die  eldgrof  (der  Kochherd)  erst,  wie  Gud- 
mundsson  meint,  in  der  späteren  Zeit,  wo  die  eldaskali  zur  blossen  Küche  ward, 
in  diese  Aufnahme  fand,  ober  ob  sie  schoiT  früher  neben  den  alten  arinn  im  salhus 
vorhanden  waren.  Im  Gegensatz  zu  Gudmundsson  ist  Rh.  der  letzteren  Ansicht. 
Er  nimmt  an,  dass  im  ersten  stafgolf  neben  der  Tür  bereits  der  Kochherd,  und 
zwar  schon  in  Verbindung  mit  dem  Backofen  bestand,  und  stützt  sich  dabei  vor 
allem  auf  die  Tatsache,  dass  in  späterer  Zeit  in  Island  die  getrennten  Formen 
des  neuen  eldhus  (mit  Kochherd  und  Backofen)  und  der    skali    (Schlafhaus)    ein- 


1)  Vgl.  zu  dieser  Ableitung  oben    20,    33'2— 3o6    u.    449—450    die    Besprechung    von 
0.  Schrader. 


Berichte  und  Besprechungen.  75 

fach  dadurch  entstanden  seien,  dass  man  diesen  ersten  stafgolf  vom  übrigen 
Raum  abschnitt,  wodurch  er  zur  Küche  und  der  übrige  Teil  zum  Schlafhause 
wurde.  Er  hält  es  für  unmöglich,  dass  das  alte  rituelle  arirm-Feuer  jemals  auch 
als  Kochfeuer  benutzt  wurde  und  der  Kochherd  (eldgrof)  also  etwa  erst  durch  das 
Aufkommen  der  stofa  entstanden  sei.  (Polemik  gegen  Meringer  S.  463— 4G4,  der 
die  Urbedeutung  des  arinn  als  Feuergrube  und  Kochherd  fasst.) 

9.  Kapitel:  Rückstände  des  Saales  in  der  stofa-Wohnung. 

(S.  46J-53G.) 

Die  von  Rh.  angenommene  Verbindung  von  salhus  und  Küche  schon  in  der 
Eddazeit  (die  er  übrigens  nur  für  das  Haus  dos  Gemeinfreien,  nicht  für  das  der 
Vornehmen  behauptet)  wird  ihm  durch  eine  Betrachtung  des  heutigen  jütischen 
'aö/,s'  noch  sicherer.  In  Jütland  bezeichnet  heute  noch  der  Ausdruck  sah  ent- 
weder das  Vorhaus  mit  der  Küche,  oder  direkt  die  Küche  oder  den  Backofen- 
und  Brau-Raum.  Hier  sehen  wir  also,  wie  sogar  das  Wort  sals,  das  ursprünglich 
den  ganzen  Raum  bedeutet,  durch  das  Eindringen  der  stofa  (in  Jütland  stow)  auf 
den  Küchenteil  beschränkt  wurde,  so  dass  also  der  letztere  unbedingt  sehen  im  sals 
enthalten  gewesen  sein  rauss.  Dasselbe  entnimmt  Rh.  auch  einer  Schilderung 
Linnes  von  den  alten  Rauchstuben  in  Schonen,  wo  neben  der  Stube  (mit  dem 
deutschen  Hinterlader  —  bilaegger)  ein  bis  unters  Dach  offenes  Vorhaus  mit  Herd, 
Rauchmantel  und  Backofen  unter  dem  Namen  '■forstofa''  oder  '■fremmers''  besteht, 
nach  Rh.  eben  ein  Rest  des  alten  vom  e/fM(/s-Saal  abgeschnittenen,  mit  Kochherd 
und  Backofen  versehenen  1.  stafgolf  es.  Das  Wort  fremmers  ist  ihm  für  seine  An- 
sicht ein  neuer  Beweis;  er  leitet  es  von  framlms  (Vorhaus)  ab,  stellt  sich  also 
(S.  475)  vor,  dass  es  schon  in  der  Saalzeit  unmittelbar  neben  dem  beim  Giebel- 
eingang gelegenen,  mit  der  eldgrof  ausgestatteten  1.  stafgolf  als  wirkliches  Vor- 
haus bestanden  habe.  In  der  stofa-Zeit  ist  dann  der  Hauptabschnitt  des  Saales  mit 
den  rituellen  Langfeuern  von  der  stofa  mit  Beschlag  belegt,  der  kleine  Abschnitt 
des  ersten  stafgolfes  aber  mit  dem  framhus  zu  einem  eigenen  Küchenraum 
{fremmers)  vereinigt  und  wie  die  stofa  mit  einer  eigenen  hjre  (Rauchloch)  ver- 
sehen worden. 

Im  folgenden  (S.  477 — 492)  befasst  sich  Rh.  eingehend  mit  den  Feuerstätten 
der  stofa-Wohnung,  dem  skorstev,  pisel  und  bilaegger.  Es  fragt  sich  vor  allem,  ob 
die  stofa  nach  der  Abtrennung  der  Küche  ihre  alte  arinn  nun  ein  halbes  Jahr- 
tausend, nämlich  bis  zum  Auftauchen  der  neuen  .Feuerstätte,  beibehielt,  die  erst 
im  12.  Jahrhundert  (im  nordwestlichen  Fjordland  als  Rauchofen,  im  Süden  als 
Kamin  mit  Rauchabzug  =  skorste?i)  eindringt.  Für  den  Süden  (Südschweden  und 
Jütland)  bejaht  dies  der  Verfasser,  da  es  sich  ihm  aus  Glossen  und  späteren 
archivalischen  Nachrichten  (S.  477—480)  deutlich  zeigt,  dass  dort  der  skorsten  bei 
seinem  Eindringen  direkt  auf  die  alte  offene  arhm  traf,  die  dann  unter  seinem 
Einfluss  an  die  Wand  gedrückt  und  kaminartig  ausgestaltet  wurde.  Noch  viel 
später  findet  sich  für  den  skorsten  geradezu  die  Bezeichnung  arne  (vgl.  S.  489). 
Auf  seiner  langsamen  Wanderung  nach  Norden  hatte  der  skorsten,  den  wir  im 
13.  Jahrhundert  in  Gotland  finden,  die  Nordspitze  von  Jütland  noch  nicht  erreicht, 
als  er  vom  deutschen  Hinterlader  eingeholt  und  rasch  verdrängt  wurde.  Wir 
finden  diesen  dann  als  sjyis,  peis.,  jnsel  ursprünglich  in  stumpfwinkliger  Form  und 
etwas  von  der  Wand  abgedrängt  und  später  auch  in  Übergangsformen,  die  ihn 
stellenweise  der  Gestalt  des  skorsten  näher  bringen  (S.  492). 

Im  folgenden  (S.  493—501)  bespricht  dann  Rh.  das  dänische  framhus,  das  er 
als  selbständiges  Vorderhaus  erkennt,  und  den  jütischen  pesel,  sowie  überhaupt  die  Ent- 


76  Berichte  und  Besprechungen. 

wickhing  des  jütischenSaalhauses(S.  497— 501).  Schliesslich  kommt  er  wieder  auf  seine 
bereits  besprochene  Theorie,  dass  beim  Hause  der  Gemeinfreien  der  vorderste  Teil  des 
sah-  als  Küche  gedient  habe,  zurück  (S.  501—506)  und  führt  als  weitere  Beweise  hier- 
für noch  die  Tatsachen  an,  dass  bei  der  heutigen  Aneinanderreihung  von  Küche 
und  Stube  in  Norwegen  und  Schweden  die  Küche  noch  immer  an  der  Giebelseite 
neben  der  Giebeltüre  liegt,  ebenso  wie  in  der  rßgstue  der  norwegischen  Westküste 
der  rogovn  mit  seiner  grue  immer  noch  dieselbe  Stelle  innehat.  —  Dafür,  dass 
die -Küche  nur  bei  den  Gemeinfreien  im  Saal  selbst  war,  bei  den  Vornehmen 
aber  ein  eigenes,  vom  alten  Saal  oder  eldhus  getrenntes  Gebäude  war,  dient  dem 
Verfasser  das  aus  Dänemark  (besonders  aus  Jütland)  überlieferte  stekarehun  (Brat- 
haus) als  Beweis,  das  sich  heute  noch  in  der  Bezeichnung  siegem  erhalten  hat 
(S.  513). 

In  ausführlicherer  Weise  befasst  sich  dann  Rh.  mit  einem  nach  seiner  An- 
nahme ebenfalls  aus  der  Saalzeit  stammenden  Rückstand,  nämlich  mit  dem  Golf 
in  Schleswig.  Dort  heisst  nämlich  heute  noch  das  schmale,  zwischen  Wohn- 
und  Wirtschaftsräumen  durchgehende  Vorhaus  framgulv.  Da  sich  nun  die  Gulf- 
einteilung  auch  bei  den  Friesen,  Juten  Qfremers')  und  Finnen  erhalten  hat,  so  ist 
wohl  anzunehmen,  dass  die  Bezeichnung  gulv  in  dem  mitten  zwischen  diesen 
liegenden  Schleswig  auf  die  alte  Bedeutung  als  Raumteil  zurückgeht.  Rh.  be- 
kämpft daher  (S.  518—521)  die  von  Lauridson  (Gm  tysk  og  dansk  Bygningsskik 
i  Sönderjylland)  vertretene  Ansicht,  wonach  der  im  Gebiete  von  der  Eider  bis 
zur  Arlaa  und  von  Husum  bis  Schleswig  als  gvh-  oder  lo  bezeichnete  und  zugleich 
auch  als  Tenne  dienende  Mittelraum  ein  alter  Herdraum  wäre.  Vielmehr  ist  Rh. 
der  Ansicht,  dass  in  den  genannten  Gegenden  sächsische  Einflüsse  gewirkt  und  den 
alten  hier  wie  in  Schleswig  bestehenden  framgulv  mit  der  alten  Kammertenne  (lo) 
nach  dem  Vorbilde  des  sächsischen  Mittelschiffes  zu  einem  ausgeweiteten  Raum 
zusamraengefasst  hätten.  Er  beruft  sich  dabei  besonders  auf  Mejborg  (Nordiske 
B0ndergaarde  .  .  .),  der  aus  alten  schleswigschen  Häusern  und  Nachrichten  ausdrück- 
lich die  nebeneinander  bestehenden  Räume  lo  und  framgulv  nachweist.  Rh. 
stellt  sich  also  die  Sache  so  vor  (S.  523—527),  dass  die  stofa  hier  auf  westgerma- 
nisch-dänischem Boden  zu  einem  inneren  Teil  des  Saales,  also  in  den  Saal 
hineingebaut  wurde,  wobei  der  alte  Vorraum  des  Saales  als  framgulv  überblieb 
und  die  Küche  bildete  (Nachrichten  aus  der  Insel  Lolland  und  Arrö);  ganz  im 
Gegensatz  zum  nordgermanisch-skandinavischen  Gebiet,  wo  die  stola  ihr  eigenes 
Vorhaus  aus  der  Badestube  mitübernommen  und  auch  der  späteren  Wohnstube 
übergeben  hat.  Das  führt  Rh.  zu  einem  Exkurs  über  diese  Wohnstube,  den  y?/.»?/ 
(S.  527—531).  In  Übereinstimmung  mit  Meringer  und  im  Gegensatz  zu  Lauffer 
gehört  nach  seiner  Ansicht  zum  Wesen  des  Pisels  nicht  nur  die  Geräumigkeit, 
sondern  auch  die  Heizbarkeit.  Der  Urpisel  sei  bei  den  Langobarden  in  Italien 
(leges  Langob.  'furnum  in  pisale')  zu  suchen  und  sei  von  dort  aus  samt  seinem 
Kachelofen  nach  Norden  in  die  Stube  und  in  die  dörns  übergegangen.  Er  teilt 
dazu  eine  Nachricht  aus  einem  Schwaizwaldtal  mit,  wo  der  Kachelofen  geradezu 
als  phiesel  bezeichnet  wird.  —  Es  fragt  sich  nun  (S.  531—536),  ob  die  innere 
Übereinstimmung  zwischen  dem  jütischen  fremers  und  dem  schleswigschen  fram- 
gulv (beide  sind  ursprünglich  Vorhäuser)  auch  für  die  beiderseitigen  Haupträume, 
den  schleswigschen  pisel  und  den  jütischen  sioiv  Geltung  hat.  Allein  es  ergeben 
sich  hier  mancherlei  Widersprüche,  die  aber  Rh.  dadurch  aufzuklären  sucht,  dass 
er  annimmt,  der  pisel  habe  auf  seiner  Wanderung  nach  Norden  in  Schleswig  un- 
mittelbar den  Saal  angetroffen,  während  er  an  der  Grenze  nach  Jütland  schon 
auf  die  im  Vordringen  nach  Süden  begriffene  nordische  atofa  gestossen  sei. 


Berichte  und  Besprechungen.  77 

III.  Abschnitt: 
Die  altnordische  Wohnung  in  der  stofa-Zeit. 

(S.  537—83.) 

(0.  Kapitel.     Das  Baugerüst  (Ansdach  und  Sparrendach). 

(S.  537-589.) 
Nach  der  Definition  der  beiden  Dachgattungen  (Ans-  oder  Firstdach)  und 
Sparrendach  setzt  sich  der  Verfasser  in  sehr  breiter  Weise  ( — S.  556)  mit  Nico- 
laysen  auseinander,  der  das  Sparrendach  für  die  altskandinavische  Form  heilt, 
während  Rh.  das  Ansdach  für  heimisch  in  den  Nordländern  erklärt.  Sein  Haupt- 
bevveis  sind  jütische  Quellen,  aus  denen  er  nachweist,  wie  dort  das  von  Deutsch- 
land hereindringende  Sparrendach  immer  mehr  das  alte  First-  oder  Ansdach  ver- 
drängte, so  dass  es  schliesslich  als  altertümliche,  rohe  Form  verspottet  wurde. 
Jenseits  des  Sundes  finden  wir  das  Firstdach  aber  noch  jetzt.  Dass  das  dänische 
Sparrendach  aus  Deutschland  eingedrungen  ist,  beweisen  ihm  zahlreiche  Kon- 
struktionsbezeichnungen (Rem,  lede,  streband,  spaend,  hanebielke  u.  a.).  In  Nor- 
wegen aber  erwähnen  die  ältesten  Quellen  durchaus  die  Bestandteile  des  Ansdaches 
(«'<.s-  und  raptr)  und  erst  die  vom  13.  Jahrhundert  ab  auch  die  des  Sparrendaches 
(sperra).  Bei  der  eingehenden  Beschreibung  des  heutigen  skandinavischen  Daches 
(S.  55G— 563)  findet  Rh.  in  der  Einrichtung  des  naamtrod  (d.  i.  die  riegeiförmige 
Gestaltung  des  untersten,  auf  die  Seitenwände  des  Hauses  aufliegenden  Dach- 
Langholzes)  einen  neuen  Beweis  für  das  Alter  des  Ansdaches.  Dieser  naamtrod, 
der  das  Herabgleiten  der  Dachhölzer  und  des  Grassodenbelages  verhindern  muss, 
hat  eigentlich  beim  Sparrendach,  wo  die  Dachhölzer  ohnehin  an  den  Sparren  fest- 
gehalten werden,  keinen  Sinn.  Da  er  aber  dennoch  auf  den  heutigen  Sparren- 
dächern überall  angewendet  wird,  so  sieht  Rh.  darin  eben  ein  Überbleibsel  des  alten 
Ansdaches,  welches  den  naamtrod  haben  musste.  Im  folgenden  (S.  563—574) 
befasst  sich  Rh.  eingehend  mit  dem  nordischen  Rauch-  und  Lichtloch,  der  Ijore, 
die  von  Nicolaysen  für  seine  Annahme  eines  alten  Sparrendaches  ins  Treffen  ge- 
führt wird.  Rh.  ist  der  Ansicht,  dass  dieses  Lichtloch  (genaue  Beschreibung  aus 
den  ragstuen  des  18.  Jahrhunderts  S.  5G5— 568)  mit  seinem  verschliessbaren  Deckel 
in  allerältester  Zeit  nicht  am  First  selbst,  sondern  in  dem  der  Sonne  zugekehrten 
Dachabhang  angebracht  gewesen  sei.  Solche  haben  sich  in  sehr  alten  schwe- 
dischen Häusern  noch  erhalten  (S.  574).  Als  es  dann  später  auf  den  First  hinauf- 
rückte, hat  ihm  dennoch  das  Firstdach  keine  unüberwindlichen  Schwierigkeiten 
bereitet.  Vielmehr  sieht  Rh.  in  der  isländischen  Einrichtung  der  'Zwergstützen' 
und  der  Auswechslung  des  Firstbalkens  durch  Beifirste  die  auch  beim  Firstdach 
leicht  mögliche  und  tatsächlich  durchgeführte  Lösung.  Das  Folgende  (S.  574—589) 
bringt  Beispiele  von  Übergangsformen,  eine  weitere  Polemik  gegen  Nicolaysen 
und  die  Beschreibung  (S.  583—589)  der  äusseren  Dachbekleidungen,  Firstlinien, 
Dachreiter  und  Giebelzierden. 

II.  Kapitel.     Die  setstofa  und  ihre  Einrichtung. 

(S.  589-660.) 
Aus  den  altnordischen  Quellen  wissen  wir.  dass  sich  König  Olaf  Kyrre 
(Ende  des  11.  Jahrhunderts)  mit  der  Umgestaltung  der  Königshallen  befasste. 
Diese  bestand  vor  allem  in  der  Verlegung  des  Ehrensitzes  (öndvegi)  auf  die 
Giebelseite  und  die  Vertauschung  des  offenen  Herdes  durch  einen  in  die  Ecke 
gesetzten  Rauchofen.  Spätere  norwegische  Gesetze  belehren  uns,  dass  diese 
Änderungen  auch  ins  bäuerliche  Haus  übergingen  und  dass  die  neueingerichtete 
stofa  nun  überall  setstofa  genannt  wurde.     Rh.  betrachtet  nun  die  heute   noch  be- 


Yg  Berichte  und  Besprechungen. 

stehenden  alten  nordischen  Rauchstuben,  die  im  wesentlichen  noch  auf  dem  Boden 
der  selstofn  stehen.     Deren  gibt  es  nun  zweierlei  Arten:  die  rogoi-nstiieyi   im  west- 
lichen Küstenstriche  Norwegens,    besonders    in    Bergen    und  Drontheira,    und    die 
<irestiiei}  im  Süden  und  in  der  Mitte  des  Landes,   heute  meist  vom    Peisofen  ver- 
drängt.    Wo  die  arestuen  heute  noch  vorkommen,  werden  sie  durchwegs  auch  als 
Küche  benützt,  sind    also    heute    zum    reinen    ildhus    (Peuerhaus)    herabgesunken. 
Dagegen  hat  sich  bei  den  rogovtistuen  noch    heute    die    Trennung   von    stofa    und 
eJilfuis  erhalten.     Es  folgt  nun  (S.  596—635)   eine  genaue   Darstellung  der  setsfofa 
in  Norwegen,  die  mit  einer  in  alle  Details  eingehenden  Beschreibung  des  Auf- 
baues der  Rauchstuben  eingeleitet  wird.   (S.  600—603  ein  sehr  lehrreicher  Exkurs 
über  die  Türen:  Drischbel  und  Hecketür.)     Mit  Nicolaysen  hält  Rh.   dafür,    dass 
die  setstofa  gegen  die    alte  stofa  um  90  Grade  gedreht  worden  sein  müsse,    da 
auch  hier  der  jetzt  auf  die  Giebelseite  verlegte  öndvegi  der  Sonne  entgegengesehen 
habe.     In  der  Westseite  der  setstofa  befand  sich  ihre    einzige   Türe,    die   in    ein 
Vorhaus  (forstue)  führte.     Hinter  diesem  Vorhaus  lag   eine   von    ihm    abgetrennte 
Kammer  (kleve),  die  eine  Schlafstätte  enthielt,   aber    (besonders    im    eldhus)    auch 
Speisekammer  war.     An  den  Aussenseiten  der  einen  oder  beider  Langwände  zog 
sich  ein  Umgang  (skot)  hin»),    der  heute  bis  auf   geringe   Überreste    überall    ver- 
schwunden ist.     Der  rogovn  wird  auf  S.  608—610  eingehend   beschrieben  und  in 
zwei  Bildern  dargestellt.      Die  übrige  Einrichtung  besteht  aus  der  Hochsitzbank 
an  der  Langwand,    dem  'andvegen'  an   der  einen    türlosen    Giebelwand    und    dem 
vor  ihm  stehenden   Langtisch,    der    quer   über    die    ganze    Stube    reichte    und    in 
mehreren  Fällen  eine  aufhängbare   Platte    war    (Rh.    hält    ihn    für    eine    deutsche 
Einrichtung).      Mehrere  Nachrichten  weisen  darauf  hin,  dass  die  setstofa   in    den 
Erdboden  vertieft  war.  —  Ihre  Einrichtung  hat  sich,  wie  gesagt,  im  wesentlichen 
in  der  mgomstue,  aber,  wenn  wir  den  Herd  ausnehmen,  auch  in  der  arestue    er- 
halten. (Beschreibung  der  letzteren  mit  Bildern  S.  613—618.)    Es  handelt  sich  nun 
um  die  Frage,  ob  die  Benennung  setstofa  von  set  als  Sitz,  oder  von  set  als  Schlaf- 
platz (wie  wir  ihn    in    der    isländischen    Schlafskali    finden)    hergeleitet    ist.     Zu- 
nächst weist  Rh.  in  interessanten,  zum  Teil  selbst  gesammelten  Nachrichten  für  Nor- 
wegen, Schweden  und  das  westliche  Finnland  deutliche   Spuren   eines   ehemaligen 
Schlafgerüstes  in  den  Stuben  (laß)   nach.      Da   sie  im  östlichen   Finnland  fehlen, 
ist  er  der  Ansicht,  dass  sie  nicht    von    der    russischen    polati,    sondern    aus    dem 
Westen  hergekommen  sein  müssen.     Nun  finden    wir    sie    aber    auf   Island    auch 
schon  für  die  Sagazeit    bestätigt.     Wenn    also    das    loft    aus    der   heidnisch-islän- 
dischen skali  in  die  setstue  übergangen  ist,  so  dürfen  wir  dasselbe    auch    für    die 
sonstigen  Schlafstätten  annehmen,  und  deshalb  ist  Rh.  der  Ansicht,  dass  die  set- 
stofa ihren  Namen  von  set  als  Schlafstätte   habe.     Es   folgt  dann  die  Betrachtung 
der  setstofa  auf  Island  (S.  627—635).     Auch  hier  folgte   auf  die  alte   heidnische 
Pallstofa  eine   Stube  ganz  anderer  Art,  nämlich  zunächst  die  bactstofa.     Diese  be- 
sass    einen    Badstubenofen,    demgegenüber    sich    das    mmßet,    ein    unansehnliches 
Lager,  befand.     Doch  scheint  der    alte   j^allr    daneben   noch    lange    fortbestanden 
zu  haben,  da  sich  noch  in   einem  Inventar    von    1615    zwei   palle   vorfinden.     Im 
grossen  und  ganzen  aber  dringt  auch  hier  die  neue  Einrichtung  Olaf  Kyrres  durch. 
Mit  der  Einführung  des  Ofens  geht    die    Bevorzugung    der    Hinterwand    Hand    in 
Hand.     Der  Fussboden  wird  hier  erhöht   und    der    Ehrensitz    unter    dem    Namen 
hdsaeli  (Hochsitz)  hierher  verlegt.     Der  isländische  Ofen  war  ein  steinerner  Bad- 
stubenofen (nicht  zu  verwechseln  mit  dem  aus  Lehm  geformten  Backofen).    Er  ist 
ebenso    wie  der   Hochsitz    in    der    isländischen    Stube    wenigstens    in    deutlichen 


1)  Vgl.  darüber  oben  25,  197 --205. 


Berichte  und  Besprechungen.  7!) 

Resten  bis  heute  erhalten  geblieben.  Die  auf  diesem  Hochsitz  erwähnten  lokrekja 
hält  Eh.  für  Schrankbetten.  Im  Mittelraum  zwischen  Hochsitz  und  Ofen  befand 
sich  eine  Verzimmerung  mit  erhöhter  Stufe,  nach  Rh.  eben  der  alte  set,  der  zu- 
nächst nur  als  umlaufende  Stufe  (skar)  aus  der  alten  skali  übernommen  wurde, 
wonach  die  isländische  hadstofa  auch  skarabochtofa  genannt  wurde. 

Die  setstofe  in  Schweden  (S.  635—652).  Sie  unterscheidet  sich  von  der 
norwegischen,  aber  auch  von  der  isländischen  dadurch,  dass  hier  an  die  Stelle  der 
arinn  nicht  ein  rogovn,  sondern  ein  regelrechter  Backofen  (entnommen  aus  dem 
alten  stekareJms  =  Brathaus)  trat.  Aus  den  Beschreibungen  von  Linne  und  Hylten- 
Cavallius  sehen  wir,  dass  die  schwedische  setstofa  in  drei  Teile  zerfiel:  Neben  der 
Tür  stand  der  Backofen  und  die  fjrufva  (Feuerherd),  denen  sich  in  neuerer  Zeit 
häufig  der  spis  zugesellt.  Diesem  Teil,  in  dem  sich  auch  das  Federvieh  aufhält, 
folgte  der  Mittelteil,  mit  Langbänken,  auf  denen  auch  geschlafen  wurde.  Der 
letzte  Abschnitt  ist  die  eigentliche  gute  Stube  mit  Hochsitz,  Tisch  und  gallhänk. 
Heute  enthält  sie  die  Schlafstellen  der  Wirte,  trägt  aber  noch  immer  den  Namen 
saetesio/a.  Für  das  verschiedene  Ansehen  dieser  drei  Raumteile,  die  auch  in  der 
gemeinsamen  Decke  abgemarkt  waren,  führt  Rh.  sehr  interessante  altschwedische 
Gesetzesstellen  aus  Heisingen  an,  die  für  den  Totschlag  verschiedene  Bussen  an- 
setzen, je  nach  dem  Raumteil,  in  welchem  er  verübt  wurde.  Daran  schliesst  sich 
ein  Exkurs  über  die  Sitzordnung  (S.  644  f.)  und  dann  ein  langer  Exkurs  über  den 
schwedischen  Speicher,  in  dem  der  Verfasser  die  Ansicht,  dass  die  schwedische 
gallhänk  aus  dem  loft  übernommen  sein  könnte,  ablehnt.  Er  führt  auch  eine  Reihe 
persönlich  gesammelter  Mitteilungen  an,  aus  denen  hervorgeht,  dass  sich  diese 
Einrichtungen  nicht  nur  auf  die  von  Hylten-Cavallius  und  Linne  beschriebenen 
Gebiete,  sondern  auch  über  das  schwedische  Nordland  erstreckt  hatten.  (Vergleich 
zwischen  den  allschwedischen  s/af/iae?!^:  und  den  steiriscben  Kinder-Schiebebetten).— 

Gemeinsamkeiten.  (S.  652—666.)  In  allen  spätmittelalterlichen  skandina- 
vischen Stuben  finden  wir  also  einerseits  die  Benennung  setstofa  und  anderseits 
die  beherrschende  Stellung  der  Giebelseite.  Dagegen  wird  der  Feuerungsraum 
mit  dem  Ofen  (entgegen  der  altheidnischen  Heiligkeit  des  Feuers)  zu  einem 
minderen  Alltagsraum  herabgedrückt.  Trotz  der  Vielen  Verschiedenheiten  (z.  B. 
arestue  und  rogovnstue)  müssen  wir  also  für  die  Entwicklung  dieser  Gemeinsam- 
keiten doch  ein  und  denselben  Anstoss  annehmen,  und  diesen  sieht  Rh.  eben  in 
den  Neuerungen  Olaf  Kyrres.  Dabei  ist  freilich  der  set  für  das  Mittelstück  eine 
Annahme,  die  vielen  (vom  A^erfasser  ehrlich  besprochenen)  Schwierigkeiten  be- 
gegnet, doch  sieht  er  für  dessen  einstiges  Vorhandensein  doch  noch  spätere 
deutliche  Spuren  (z.  B.  in  Mügges  Reiseskizzen  aus  dem  Norden  18U). 

12.  Kapitel:  Das  Alter  der  setstofa  und  Ihr  Verhältnis  zur  pallstofa. 
(Langpall  und  Querpall,  das  fiel  der  setstofa?) 

(S.  661—718.) 
Der  erste  Teil  dieses  Kapitels  (S.  661—669)  ist  der  Polemik  gegen  Nicolaysen 
gewidmet,  dessen  Theorie  der  Ansicht  des  Verfassers  allerdings  völlig  entgegen 
steht.  Nicolaysen  hält  nämlich  dafür,  dass  die  Bauernstube  schon  in  heidnischer 
Zeit  den  Hochsitz  auf  der  Giebelseite  gehabt  hätte,  dass  der  seitliche  öndvegi  mit 
seinen  Antwegsäulen  nur  für  die  Königshalle  und  das  Gästehaus  anzunehmen  sei 
und  dass  der  pallr  dieser  heidnischen  Bauernstube  nur  aus  schmalen  Langbänken 
bestanden  habe.  Letzteres  ist  nun  für  Rh.  nicht  nur  wegen  seiner  Ableitung  des 
slavischen  Schlafgerüstes  (polati)  vom  pallr  der  nordischen  stofa  unmöglich,  sondern 
er  sucht  es  auch  aus  der  skandinavischen  und  isländischen  Sagaliteratur  zu  wider- 


30  Berichte  und  Besprechungen. 

legen  und  weist  darauf  hin,  dass  das  Wort  noch  heute  in  der  Bedeutung  Sitzphitz, 
Erdbank  und  Giebehvand  vorkomme.'  Auch  nennen  die  alten  norwegischen  Ge- 
setze den  ("nidvegi  überall,  auch  in  Bauernhäusern,  als  Sitzplatz  des  Hausvaters. 
Neuerdings  zieht  er  sodann  die  rituelle  Bedeutung  des  Herdfeuers  heran,  die  es 
in  heidnischer  Zeit  unmöglich  gemacht  habe,  den  Ehrensitz  auf  die  Giebelseite  zu 
verlegen.  Auch  der  durch  die  ganze  Breite  reichende  Langtisch  der  setstofa  habe 
nur  als  sklavische  Nachahmung  des  alten  öndvegi  einen  Sinn  gehabt,  wie  er  denn 
auch  heute  bereits  überall  zu  einem  Ecktisch  zusammengeschrumpft  ist.  Wenn, 
wie  Nicolaysen  behauptet,  die  beiderseitigen  pallr  nur  schmale  Wandbänke  gewesen 
seien,  dann  sei  eine  behagliche  Unterhaltung  über  die  Herdfeuer  hinweg  durch  die 
Breite  des  Mittelraumes  (20  Fuss)  gar  nicht  denkbar.  Nur  wenn  der  pallr  eben  ein 
breites  Lager  war,  dann  wurde  der  Mittelraum  so  eng,  dass  die  an  den  Rändern 
des  pallr  einander  Gegenübersitzenden  miteinander  gemächlich  sprechen  konnten.  — 
Doch  gibt  Rh.  die  grossen  Schwierigkeiten,  die  sich  im  Verhältnis  von  setstofa 
und  pallstofa  ergeben,  zu  und  widmet  ihnen  im  Folgenden  neuerlich  eingehende 
Betrachtungen.  Zu  diesen  Schwierigkeiten  kommt  noch  die  Verwirrung,  die  sich 
aus  den  Gegensätzen  zwischen  Lang-  und  Querpall  ergeben.  Rh.  hält  dafür,  dass 
sich  die  Scheidung  zwischen  Lang-  und  Querpall  erst  im  Laufe  der  Entwicklung, 
und  zwar  auf  Island  vollzogen  habe.  In  Norwegen  aber  zeigt  die  heutige  Be- 
deutung vonimll  als  Giebelwand  ebenso  wie  z.  B.  die  Redensart:  ^Die  Braut  vom 
pall  lösen",  sowie  die  Verbindung  des  Ausdruckes  pall  mit  andwege,  dass  dort  die 
Fäden  noch  mehr  durcheinanderlaufen.  Auch  in  Schweden  zeigen  sich  ähnliche 
Schwierigkeiten.  Ja  Rh.  selbst  macht  (im  Gegensatz  zu  den  nordischen  Forschern, 
die  diese  Einrichtung  für  eine  spätere  Entstehung  halten)  darauf  aufmerksam 
(S.  693—705),  welche  Schwierigkeiten  sich  weiter  aus  der  im  südlichen  Norwegen 
häufigen  Langtür  für  seine  Annahme  des  Langpall  ergeben.  Obwohl  es  seiner 
Annahme  günstig  wäre,  hält  er  nämlich  deren  Ablehnung  für  die  ältere  Zeit  nicht 
für  so  einfach  und  weist  auf  Fälle  hin,  wo  sich  ausser  der  Türe  auf  der  Lang- 
seite auch  noch  turmartige  Vorbauten  (Barfrö-  und  Ramloftstuben)  befinden.  Vor 
allem  aber  beweist  ihm  die  von  Eilert  Sun  dt  aus  dem  Ostlande  mitgeteilte 
Tatsache  (S.  705—711),  wonach  dort  die  Stuben  grössere  Tiefe  als  Breite  haben, 
so  dass  also  die  Giebelwände  gleichsam  zu  Langwänden  weiden,  das  Alter  der 
Querpallstuben.  Vielleicht  hängt  mit  dem  Vorherrschen  dieser  Querpallstuben 
im  Osten  zusammen,  dass  hier  auch  das  Firstdach  vorherrscht,  während  bei  den 
Langpallstuben  im  Nordwesten,  die  der  Säulenreihe  nicht  entraten  konnten,  das 
Sparrendach  überwiegt.  Rh.  gibt  also  zu,  dass  in  den  alten  Bauernstuben  wahr- 
scheinlich der  Querpall  überwogen  habe,  sodass  bei  ihnen  die  Kyrreschen  Neue- 
rungen ausser  dem  Ofen  nur  eine  Erhöhung  dieses  Querpalles  zur  Folge  gehabt 
hätten.  Allein  neben  diesem  Querpall  habe  auch  bei  ihnen  ein  Langpall  bestanden, 
und  das  dadurch  sehr  breite  Gebiet  der  pall-Einrichtung  in  den  alten  Stuben  be- 
weist ihm  eben  neuerdings  deren  Wichtigkeit  und  gibt  ihm  für  seine  Theorie  von 
der  Entlehnung  der  stofa  durch  die  Slaven  und  deren  Benennung  nach  dem  Haupt- 
stück dieser  stofa  (dem  pallr)  nur  um  so  grössere  Sicherheit.  Er  weist  noch  auf  die 
von  Fritzner  (im  'Ordbog  over  det  gamle  norske  Sprog')  gemachte  Unter- 
scheidung von  zwei  Gattungen  pallr  hin,  wonach  ä  pall  (=  auf  dem  pall)  eben  den 
Querpall  und  i  pall  (=  in  dem  pall)  eben  den  Langpall  bedeute.  Am  Schlüsse  dieses 
Kapitels  betrachtet  Rh.  nochmals  das  altnordische  flet.  (S.  711—718).  Im 
Gegensatz  zu  Gudmundsson  ist  er  der  Ansicht,  dass  auch  das  flet  in  die  setstofa, 
und  zwar  als  umlaufende  Erdstufe  des  set  übernommen  worden  sei.  Er  führt 
nicht  nur  eine  Anzahl  stehender  Redensarten  (ganga  ä  flet,  fara  a  flet,  i  flat  a 
foelugh  u.  a.)  sondern  auch  zwei  interessante  Gesetzstellen  an,  die  deutlich  auf  das 


Berichte  und  Besprechungen.  81 

Vorhandensein  des  llet  auch  in  der  mittelalterlichen  Bauernstube  des  Nordens 
hindeuten.  Gerade  diese  stehenden  Verbindungen  des  Wortes  flet  bringen  den 
Verfasser  dann  wieder  auf  weitere  Gedanken  über  die  Geschichte  des  flet;  er  deutet  auf 
Zusammenhänge  mit  lappländischen  Häusern  der  Urzeit  und  auf  die  Möglichkeit  hin, 
dass  das  Küchenflet  des  Saales  zur  Zeit  der  stofa  (als  die  eigentliche  Hochflet- 
einrichtung  verschwand)  in  den  Vordergrund  trat  und  sich  in  dieser  Gestalt  als 
flacher  Fussboden  an  der  Feuerstelle  behauptete.  Der  häufige  Fall  in  der  An- 
wendung des  pars  pro  toto  würde  dann  die  im  Deutschen  zu  beobachtende  Be- 
deutung des  flet  als  Herdraum  schlechthin  erklärlicher  machen. 

13.  Kapitel:  Die  Naclitherbergen,  die  Hofordnung,  Sohlusswort. 

(S.  718—803.) 
Die  Xachtherbcrgen  (Gaden Wirtschaft)  (S.  718—744).  Ausser  den  schon 
besprochenen  Hauptwohnräumen  finden  sich  in  den  Nordländern  allenthalben  auch 
noch  gadenartige  Nebengebäude,  Speicher,  und  zwar  in  drei  Arten:  1.  Zeug-  und 
•Gewandspeicher,  bei  denen  das  Gewand  an  den  Stangen  des  Gebälkes  aufgehängt 
ist;  diese  dienen  bei  den  Finnen  und  Slaven,  auch  beim  geraeinen  Bauern,  im 
Sommer  auch  als  Schlafräume  für  die  jungen  Leute,  weshalb  Rh.  diese  Einrichtung 
auch  für  das  alte  Skandinavien  annimmt.  Aus  den  nordischen  Quellen  ist  die 
Gepflogenheit,  im  (oft  des  gadens  zu  schlafen,  freilich  nur  für  den  Adel  und  die 
grossen  „Odelbauern"  nachweisbar.  Neben  dem  Zeugspeicher  finden  wir  dann  2. 
den  Kornspeicher,  der  wegen  Feuersgefahr  meistens  vom  Haus  weiter  abseits  liegt, 
und  3.  den  Mehlspeicher  mit  den  täglichen  Speisevorräten.  In  Norwegen  sind 
diese  drei  Speicher  gewöhnlich  in  zwei  Gebäude  zusammengezogen :  das  seiigebod  oder 
■loft,  ein  langgestrecktes,  zweigeschossiges,  unterkellertes  Gebäude  mit  den  Türen 
auf  den  Langseiten,  aussen  angebrachten  Stiegenaufgängen  und  einen  das  Ober- 
geschoss  (den  eigentlichen  loß)  auf  drei  Seiten  umgebenden  Aussengang  und  das 
madhod  oder  stalmr,  ein  kleines,  quadratisches,  auf  Pfosten  aufgestelltes,  einge- 
schossiges Gebäude,  das  die  Speisevorräte  birgt.  Das  Hauptgewicht  liegt  auf  dem 
sengebod,  das  die  Hauptwertgegenstände  des  Hauses  in  sich  bewahrt  und  dessen 
loft  als  wahres  Staats-  und  Herrenzimmer  gilt  und  mit  prächtigen  Zimmermanns- 
zieraten  geschmückt  ist.  Dietrichsson  hält  daher  das  ^/ö/'«/-  überhaupt  nicht 
für  altertümlich,  sondern  für  eine  jüngere  Erscheinung.  Rh.  ist  der  gegenteiligen 
Meinung,  indem  er  auf  die  ausserordentlich  weite  Verbreitung  dieses  durch  seine 
Pfosten  vor  Ungeziefer  geschützten  kleinen  Gebäudes  über  finnisches,  slavisches 
•und  deutsches  Gebiet  hinweist.  —  Nun  spielt  die  erstgenannte  Speicherart,  das 
loft,  wie  schon  erwähnt,  auch  als  Schlafgemach  eine  grosse  Rolle,  woraus  sich 
auch  erklärt,  dass  es  in  den  Quellen  so  viel  erwähnt  wird.  Vor  allem  ist  die 
Sitte,  das  /"/'/  ausser  für  die  Haustöchter  auch  für  die  Gäste  als  Schlafgemach  zu 
benutzen,  sehr  weit  verbreitet;  die  alte  Zeit  nahm  daran  keinejlei  Anstoss.  In 
Telemarken,  aber  auch  in  Russland  dient  es  übrigens  auch  als  Ehegemach  und 
Wochenbettzimraer.  Seine  Hauptbedeutung  aber  bleibt  seine  Benutzung  als 
Sommerwohnraum  für  die  Töchter.  In  den  Sagas  erscheint  es  geradezu  als  das 
„Boudoir"  der  Töchter.  Da  sich  nun  der  dafür  im  Nordischen  häufig  gebrauchte 
Ausdruck  skemna,  nach  Rh.s  Ansicht  auch  im  kamnio  der  kleinen  finnischen 
Kleiderspeicher  (ebenfalls  Sommerschlafgemächer)  wiederfindet  und  anderseits  die 
nicht  nur  in  Skandinavien,  sondern  auch  in  Deutschland  und  in  der  Schweiz  ver- 
breitete Sitte  der  Nachtfreierei,  Kilt-  und  Gasseigänge  eigene  getrennte  Schlaf- 
stellen für  die  Töchter  voraussetzt,  so  sieht  Rh.  in  all  dem  uralte,  frühgermanische 
Zusammenhänge.  Der  im  Nordischen  für  das  loft  auch  übliche  Ausdruck  jnng- 
frubur  ist  ihm  ein  weiterer  Hinweis  für  diese  Ansicht. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft  1.  6 


^■2  ]?erichte  und  Bespreclumgen. 

Die  Hofordnung. 

Allgemeines  über  den  s  k  an  di  im  vischen  Hof.  (S.  7-14 — 758.)  Nach 
den  übereinstimmenden  alten  Nachrichten  aus  Norwegen,  Schweden  und  den 
Inseln  Island,  Üland  und  Gotland  war  der  skandinavische  Bauernhof  in  Stuben- 
hof und  Wirtschafts-  bzw.  V^iehhof  geteilt.  Beide  sind  im  Viereck  gestellt,  aber 
durch  einen  Zaun  getrennt.  Die  Namen  für  den  Wohn-  oder  Stubenhof  sind: 
sjuer/.vd  (Üsterdal),  mangard  (üland),  storpard  (Gotland),  uppijnrd  (Smaaland). 
Er  enthält  die  Innenhäuser  (lud/nts):  Stuben,  Herbergen,  Loft,  Gaden.  Der 
Wirtschafts-  oder  Viehhof  heisst  naritgard  (üsterdal),  ladiujard  (Üland),  lillgard 
(Gotland),  fdgard  (Schweden,  Smaaland)  und  enthält  die  Aussengebäude  (ndlnts): 
Ställe  und  Wirtschaftsgebäude.  Diese  alten  Benennungen  haben  sich  meist  bis 
heute  erhalten,  auch  wo,  wie  dies  häufig,  z.  B.  in  Dänemark  immer,  der  Fall  ist, 
der  Zwiehof  nicht  mehr  besteht.  Besonders  in  den  noch  heute  in  Schweden  und 
Norwegen  gebräuchlichen  Bezeichnungen  i7i/niK  und  ndlms  sieht  Rh.  (im  Gegen- 
satz zu  Gudmundsson)  deutliche  Hinweise  auf  dieses  alte  Zwiehhofsystem.  Mit  Nach- 
druck weist  der  Verfasser  auf  den  grundlegenden  Unterschied  zwischen  dieser  alt- 
nordischen und  der  altdeutschen  Hofeinrichtung  hin.  In  Deutschland  ein  Zusammen- 
wohnen mit  dem  Vieh  unter  einem  Dach,  in  Skandinavien  ein  System,  das  deutlich 
aus  dem  Wunsche,  das  Vieh  von  der  Menschenwohnung  möglichst  abzusondern, 
hervorgegangen  ist.  Wie  wir  aber  sehen,  stimmt  mit  dieser  skandinavischen  Hof- 
anlage die  friesische  überein  (mit  ihren  getrennten  fölmx^  nntlma  etc.)  und  noch 
deutlicher,  wie  der  vierte  Abschnitt  zeigen  wird,  die  Hofanlage  der  südöstlichen 
Zentral-Alpen,  besonders  in  Kärnten  und  Steiermark. 

Der  Stall  (S.  758—772.)  In  allen  skandinavischen  Gebieten  ist  der  Viehsiall 
im  wesentlichen  gleich  eingerichtet:  Das  Vieh  steht  in  Ständen  (und  zwar  in  Nor- 
wegen und  Schweden  je  ein  Tier,  in  Dänemark  ihrer  zwei),  den  Kopf  gegen  die 
Wand  gerichtet.  Futtergang  besteht  keiner.  Die  Stände  waren  ursprünglich  durch 
Bretterwände  voneinander  geschieden  und  gedielt.  Nur  diese  Stände  (nicht  aber  der 
ganze  Stall)  heissen  bas,  baase.  Auch  diese  Einrichtung  zeigt  sich,  wieder  im  Gegen- 
satz zum  niedersächsischen  Haus,  in  Friesland  (wo  sich  übrigens  auch  Spuren  des 
Sprachgebrauches  von  6oo.s  finden).  Dies,  sowie  gewisse  andere  Zusammenhänge 
in  der  angelsächsischen,  friesischen,  cimbrischen  und  skandinavischen  Stallein- 
richtung, vor  allem  der  Gegensatz  in  der  Bezeichnung  hus  (Häuser)  ^^q^^qw  die  Be- 
zeichnung stall  (von  Stelle)  lässt  Rh.  einen  alten  grundlegenden  Wirtschaftsgegensatz 
zwischen  den  nordgermanischen,  ingväonischen  Stämmen  und  den  Westgermanen 
erkennen. 

Die  Scheune  (S.  772— 7öO).  Soweit  die  skandinavische  Scheune  als  ge- 
trenntes Gebäude  auftritt,  nimmt  in  ihr  in  der  Regel  die  Dreschtenne  die  Mitte 
zwischen  den  seitlichen  Banseräumen  ein.  Diese  Dreschtenne  aber  ist  nicht  zum 
Einfahren  geeignet,  sondern  über  den  Banseräumen  oft  sehr  beträchtlich  (bis  zur 
Augenhöhe)  erhöht  und  ausserdem  durch  hohe  Schwellen  von  der  Aussenwelt  ge- 
trennt. Das  Getreide  wird  durch  Luken  unmittelbar  in  die  Banseräume  abgeladen. 
Diese  Erhöhung  der  Tenne  ist  nicht  überall  gleich,  in  Südschweden  und  Dänemark 
z.  B.  viel  weniger  deutlich  durchgeführt.  Auch  findet  sich  im  gebirgigen  Nor- 
wegen eine  mit  Tennbrücke  ausgestattete  Einfahrtstenne.  Eine  mit  den 
schwedischen  Einrichtungen  auffallende  Übereinstimmung  zeigt  die  Tenne  im  alten 
Nordturingo,  die  ebenfalls  (im  Sachsenspiegel  eigens  erwähnte)  hohe  Scheide- 
wände (bislag)  besitzt,  die  sie  von  den  Banseräumen  trennt. 

Die  Zäune  (S.  780—783).  Während  im  übrigen  Deutschland,  auch  schon 
für    dJs  Mittelalter,  überall    der    mühsam    geflochtene   Etterzaun    nachweisbar    ist,. 


Berichte  und  Besprechimf^en.  §3 

herrscht  in  Skeindinavicn  und  in  den  deutschen  Alpen  der  Band-  oder  Ringzaun 
vor.  Er  besteht  aus  Pfostenpaaren,  die  in  gewissen  Abständen  voneinander  in  den 
Boden  gerammt  sind  und  an  weiche  die  schräg  zwischen  sie  gelegten  Bretter  oder 
Stangen  mit  Weiden-  oder  gedrehten  Nadelholzringen  angebunden  sind.  Besonders 
in  Gotland  iässt  sich  dieser  Zaun  sehr  weit  zurüclvverfolgen.  Der  deutsche  ge- 
flochtene Etterzaun  findet  sich  heute  noch  ab  und  zu  in  Deutschland  (in  Alt- 
bayern als  nur  im  Oberteil  geflochte  Abart  des  ,Wide'-  oder  ,Stecken'-Zauncs) 
und  besonders  im  südwestslawischon  Gebiet  (bei  den  Slowenen  und  am  Balkan). 
Der  Vierkant  (S.  783 — 801).  Während  die  Hofanlage  im  heutigen  Norwegen 
und  ebenso  im  nördlichen  und  mittleren  Schweden  ganz  regellos  ist,  hat  sie  sich 
auf  Üland  und  Gotland  so  erhalten,  dass  dort  die  Gebäude  des  ladugard  stets  zu 
einem  in  der  Richtung  zum  mangard  geöffneten  Vierkant  zusammengebaut  sind. 
In  Dänemark,  Jütland  und  bis  Schleswig  hinein  ist  dieser  Vierkant  durch  die 
Anschiebung  des  Wohnhauses  ganz  geschlossen.  Rh.  vertritt  die  Ansicht,  dass 
dieser  geschlossene  Zwiehof-Vierkant  in  vorgeschichtlicher  Zeit  als  der  alte 
Bau  der  gotischen  Stämme  das  ganze  alte  Götarike  (mittlere  Schweden)  er- 
füllt habe.  Kommt  er  doch  heute  noch  auf  Üland  und  am  benachbarten  Festland- 
teil (dem  westlichen  Götaland),  aber  auch  in  Gotland  vor.  Erst  die  Abwanderung 
der  Goten  nach  Süden  und  das  Nachdrängen  nördlicher  Stämme  hat  die  allmähliche 
Zersetzung  dieses  Baues  mit  sich  gebracht.  (Hinweise  auf  altgotische  Gesetzes- 
Stellcn  S.  787/8).  Auch  die  starke  und  noch  heute  wirksame  Verbreitung  des 
Vierkants  im  Dänischen  (Pläne  aus  Halland,  Seeland,  Fünen  S.  789 — 792)  spricht 
für  die  einstige  Bedeutung  dieses  Baues.  In  Übereinstimmung  mit  Mejborg 
wendet  sich  daher  Rh.  gegen  Lauridsons  Ansicht,  dass  der  Vierkant  erst  spät 
in  Dänemark  aufgekommen  sei;  er  stützt  sich  dabei  auf  die  auffallende  Schmalheit 
der  dänischen  Wirtschaftsgebäude,  auf  die  überall  nachweisbare  Hauptzufahrt 
unter  fortlaufendem  Dachstuhl,  auf  die  von  Gudmundsson  und  P.  v.  Möller 
beigebrachten  Quellenbelege  aus  dem  13.  und  lö.  Jahrhundert  und  auf  die  gerade 
in  Dänemark  deutlich  nachweisbaren  alten  vierkantigen  Burg-  und  Stadthof- 
Anlagen. 

Schlussbetrachtung  (S.  8U1 — 803).  Es  ergibt  sich  für  die  alte  Zeit  eine 
bedeutende  wirtschaftliche  Überlegenheit  des  skandinavischen  gegenüber  dem 
deutschen  Bauern.  Im  ersten  Bande  hat  sich  gezeigt,  dass  die  altskandinavische 
Landhufe  die  deutsche  Landhufe  derselben  Zeit  um  das  Doppelte  übertraf.  Hier 
sehen  wir  dasselbe  für  die  Hofanlase;  denn  der  altskandinavische  Zwiehof  ist 
doppelt  so  gross  als  der  deutsche  Bauernhof.  Endlich  zeigt  sich,  dass  der  Saal 
in  Skandinavien  bis  in  geschichtliche  Zeiten  hinein  die  ausschliessliche  Wohnung 
der  Gemeinfreien  ausmachte  (auch  in  der  *7o/W  blieb  neben  den  verhältnismässig 
geringfügigen  Änderungen  die  alte  DreischifTigkeit),  während  in  Deutschland  der 
Saal  um  dieselbe  Zeit  schon  überall  auf  die  Kreise  des  Adels  und  der  Hochfreien 
zurückgedrängt  is^  und  die  Bauern  sich  mit  dem  bescheidenen  Fletz  und  Ären 
begnügen  müssen." 

(Schluss  folgt.) 

Graz.  Victor  v.  Geramb. 


84  Büclieranzeigen. 

Bücheranzeigen. 

Schweizerisches  Archiv  für  Tolkskuiitle,   herausgegeben  von  Ed.  Hoff- 
mann-Krayer  und  A.  Rossat.    20.  Jahrgang.     (Festschrift  für  Eduard 
Hoffmann-Krayer,     herausgegeben     im    Auftrage     des    Vorstandes    von 
'Hanns    Bächtold.)     Strassburg    i.    E.,    Karl    J.    Trübner    1916.    YII, 
539  S.,  gr.  8°. 
Von  den  vielen  volkskundlichen  Zeitschriften,  die  seit  der  Begründung  unseres 
Organs  ins  Leben  getreten  sind,  nimmt  neben  den  Hessischen  Blättern  für  Volks- 
kunde  das   Schweizerische  Archiv  ohne  Zweifel   die  erste  Stelle   ein.     So   darf  es 
als  berechtigt  erscheinen,  den  "20.  Jahrgang  dieser  Zeitschrift,  der  von  einer  grossen 
Reihe    von    Gelehrten    ihrem    Begründer   und    Herausgeber    Eduard    Hoffmann- 
Krayer  als  Festgabe  dargebracht  und  von  Hanns  Bächtold  herausgegeben  worden 
ist,  eine  längere  Anzeige  zu  widmen.    Über  eine  Inhaltsangabe  kann  diese  bei  dem 
Umfange   des  Bandes    im    allgemeinen    nicht  hinausgehen.     Aber  auch  schon  eine 
solche  dürfte  ein  Bild  von  dem  hohen  Werte  dieses  schönen  Werkes  geben. 

Einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  schweizerischen  Volkskunde  liefert  H.  Dübi 
in  Auszügen  aus  dem  hsl.  Nachlass  Jacob  Samuel  Wyttenbachs,  die  sich  besonders 
auf  die  körperlichen  Typen  und  Charaktereigenschaften  der  verschiedenen  Be- 
völkerungsteile der  Schweiz  (Bergländer,  Plattländer  usw.)  beziehen. 

L  Rütimeyer  behandelt  'Einige  archaistische  Gerätschaften  und  Gebräuche 
im  Kanton  Wallis  und  ihre  prähistorischen  und  ethnographischen  Parallelen'.  Haus- 
und Eigentumszeichen,  Kerbhölzer,  Steinlampen,  Kinderspielzcug,  Ornamentik, 
Kesselkctte,  Kerbbalken  statt  Treppe,  Speicherpfahl  bauten,  Masken  und  Masken- 
bräuche werden  in  dem  sehr  umfangreichen,  mit  zahlreichen  vorzüglichen  Ab- 
bildungen versehenenen  Aufsatz  besprochen.  Die  beigebrachten  Parallelen  aus 
Vorgeschichte  und  Ethnographie  sind  in  höchstem  Grade  bemerkenswert.  Alter- 
tümliche Gebräuehe  und  Gerätschaften,  sowie  allerlei  Sagen  der  Hirten  schildert 
B.  Ginet-Pilsudzki  in  'Almenviehzucht  im  Tatragebirge  in  Polen'.  Derselbe 
gibt  in  einer  französisch  geschriebenen  Abhandlung  eine  von  Abbildungen  begleitete 
Typologie  der  in  letzter  Zeit  vielfach  behandelten  litauischen  Kreuze,  ihre  Geschichte 
und  ihren  Zusammenhang  mit  heidnischen  Vorstellungen.  Mehr  ins  Gebiet  des 
Volksglaubens  fällt  der  Aufsatz  'Landbau  und  Altes  Testament'  von  A.  Bertholet, 
in  dem  mannigfache  mit  dem  Ackerbau  zusammenhängende  Gebräuche  und  Volks- 
meinungen  der  alten  Juden  als  Reste  der  vorjahvistischcn  Religion  nachgewiesen 
werden.  Proben  von  den  Erzeugnissen  eines  waadtländischcn  Volkskünstlers,  naive 
und  doch  mit  sicherem  Stilgefühl  geschnittene  Silhouetten,  veröffentlicht  Th.  De- 
lachaux  mit  Abbildungen  und  Tafeln. 

C.  W.  von  Sydow  weist  als  volkstümliche  Grundlage  für  Perraults  Kunst- 
märchen 'Riquet  a  la  houppe'  das  Rumpelstilzchenmärchen  nach.  A.  Rossat 
teilt  in  Fortsetzung  seiner  'Foles'  das  Märchen  von  Aladin  mit  der  Wunderlampe 
in  der  Mundart  des  Berner  Jura  mit.  Zahlreich  sind  die  Beiträge  zur  Volks- 
dichtung: A.  Aarne  berichtet  über  die  Organisation  und  Bezugsverhältnisse  der 
finnischen  A^olksliederausgabe.  Einige  Soldatenlieder  aus  der  Zeit  der  Zuzüger 
(1792—1798,  Zusammenziehung  der  Schweizer  Truppen  in  Basel)  bringt  der  in- 
zwischen verstorbene  R.  Forcart-Bachofen,  ein  portugiesisches  Volkslied  (Ver- 
gleich der  Geliebten  mit  einer  Rose)  J.  Leite  de  Vasconcellos.  Eine  umfang- 
reiche   Untersuchung   widmet   John  Meier   dem    Soldatenlied  'Ein  Schifflein  sah 


Bücheranzeigen.  85 

ich  fahren,  Cnpilän  und  Leutenanl';  er  weist  die  einzelnen  Bestandteile  des  Liedes 
(Einleitungsstrophe,  die  aus  dem  in  mehreren  Fassungen  bekannten  Schäferlicd 
'Schäfer,  sag,  was  willst  Du  essen?'  entstandene  Frage:  'Was  sollen  die  Soldaten 
essen?'  usw.  und  der  Refrain)  und  deren  Herkunft  nach.  Aus  dem  Volkslieder- 
schatz der  Berner  Stadtbibliothek  bringt  0.  von  Greyerz  Proben  aus  den  Dich- 
tungen des  in  Bütschwil,  Bezirk  Alt-Toggenburg,  geborenen  und  in  der  zweiten 
Hälfte  des  IG.  Jahrhunderts  tätigen  Berner  Oberländer  Dichters  Bendicht  Gleiting, 
sowie  mehrere  volkstümliche  Behandlungen  des  Themas  vom  'alten  und  neuen 
Eidgenossen',  in  denen  das  Reislaufen  und  Pensionenunwesen  bekämpft  wird.  Eine 
bisher  ungedruckte,  sehr  derbe  Versnoveile  des  Schweizers  Jörg  Zobel  (15.  Jahr- 
hundert) 'Der  geäffte  Ehemann'  teilt  J.  Bolte  mit  und  verweist  auf  andere  Be- 
arbeitungen dieses  beliebton  Themas:  in  einem  besonders  grotesken  Einzelzuge 
stimmt  die  vorliegende  Passung  merkwürdigerweise  mit  der  altindischen  der 
('ukasaptati  übercin.  Eine  rätoromanische  Ballade  von  dem  wider  ihren  Willen 
verlobten  Mädchen  bringt  C.  Decurtins  in  Urtext  und  Übersetzung  mit  einigen 
erklärenden  Anmerkungen.  Über  volkstümliche  Theateraufführungen  im  Oberwallis, 
das  Verhältnis  von  Schul-  und  Volksdrama,  die  Rollo  des  Narren  und  anderes 
berichtet  Mathilde  Eberle.  Aus  einer  handschriftlichen  'Copia'  vom  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts  veröffentlicht  E.  Wymann  eine  witzige  Beschreibung  einer  1696 
in  Gersau  abgehaltenen  Karfreitags-Prozession,  in  der  die  Teilnehmer  mit  sonder- 
baren Attributen  in  parodistischer  Absicht  aufgezählt  werden.  Ein  besonders  für 
die  jetzige  Zeit,  in  der  allerlei  Kriegsaberglauben  reichlich  wuchert,  interessantes 
Thema  behandelt  A.  Becker  in  einem  Aufsatz  über  Gebetsparodien.  Von  allen 
zu  diesem  Gegenstand  mir  bekannten  Abhandlungen  zeichnet  sich  die  vorliegende 
durch  reichhaltigste  Literaturangaben  aus.  Allerlei  Anekdoten  und  Schwanke  aus 
dem  Sarganser  Land  erzählt  A.  Zindel-Krcssig,  mundartliche  Schnurren  von 
der  im  Siinmenland  volkstümlichen  Person  des  Lugitrittli  H.  Zahler.  H.  Mercier 
plaudert  über  Genfer  Kinderspiele,  besonders  das  Seilhüpfen  der  Mädchen,  und 
teilt  zahlreiche  dabei  gesungene  Spielreime  mit.  Eine  320  Nummern  umfassende 
Sammlung  alter  schweizerischer  Sprichwörter  hat  S.  Singer  aus  der  gleichzeitigen 
Literatur  unter  Hinzuziehung  einiger  lateinischer  Handschriften  zusammengestellt 
und  mit  Nachweisen  versehen.  Sprichwörter  enthält  auch  der  Aufsatz  von 
K.  Bohnenberger  über  die  Ennetberger  Walliser,  d.  h.  die  Bewohner  der 
deutschen  Sprachinseln  im  Pogebiet,  von  denen  ausserdem  allerlei  Volkstümliches, 
besonders  volksläufige  Lieder,  mitgeteilt  werden,  die  der  Verfasser  bei  seinen 
Arbeiten  über  die  Grammatik  der  deutschen  Walliscr  (1913)  und  sonstigen  noch 
zu  erwartenden  Darstellungen  gesammelt  hat.  Unter  anderem  wird  einiges  Neue 
über  Gressoney  gebracht  (vergl.  oben  25,  2U6  ff.};  interessant  sind  die  Reste  einer 
Geheimsprache,  die  die  viel  umherziehenden  Gressoneyer  früher  unter  sich  zu 
gebrauchten  püegten. 

Allerlei  persönliche  Erlebnisse  aus  dem  Gebiet  des  schweizerischen  Aber- 
glaubens teilt  E.  Buss  mit,  Unglück  prophezeiende  Vögel  und  andere  Tiere,  heilige 
Pflanzen,  Hexen-,  Teufel-,  Gespenster-,  Zwergengeschichten,  Vorzeichen,  Zauberei. 
Interessantes  Aktenmaterial  zur  Schalzgräberei  im  Kanton  Zürich  im  IG.— 18.  Jahr- 
hundert bringt  E.  Stau  bei;  verwiesen  sei  besonders  auf  einen  ausführlich  be- 
handelten Fall  der  Anwendung  des  sogenannten  Chri^toffelgebetes  (vergl.  Schw. 
Arch.  21,  38).  Li  Erweiterung  von  A.  Dieterichs  Aufsatz  über  den  Ritus  der  ver- 
hüllten Hände  (Kl.  Schriften  S.  440  ff.)  bringt  E.  Fehrle  Beispiele  aus  dem 
deutschen  Volksglauben  für  diese  Sitte  bei.  In  allen  diesen  F'ällen  dürfte  nach 
Fehrle's  Meinung    der  Zweck    der    sein,    zauberkräftigen  Gegenständen    durch    die 


86  Bücheranzeigen. 

Berührung  mit  der  hlossen  Hand  nicht  ihre  Kraft  zu  nehmen.  Weit  ausführlicher 
wird  derselbe  Brauch  von  H.  Bächtold  untersucht.  Besonders  verbreitet  ist  die 
Sitte  in  den  Hochzcitsritualien  (Brauttaschentuch,  Auflegen  der  Stola),  wo  sie  als 
ein  Rest  der  ursprünglichen  velatio  sponsorum  zu  betrachten  ist.  Bächtold's  Satz, 
dass  die  Sitte  der  Händeverhüllung  im  Volksbrauch  ausschliesslich  mit  kirchlichen 
Zeremonien  verknüpft  und  bei  uns  daher  wohl  kirchlicher  Ursprung  anzunehmen 
sei,  kann  nach  den  von  Fehrle  beigebrachten  Beispielen  nicht  in  vollem  Um- 
fange beigestimmt  werden.  Über  das  Meer  im  jütischen  Volksglauben  plaudert 
H.  F.  Feilberg,  Entstehung  des  Salzgehaltes  im  Meerwasser,  Mittel  gegen  Sturm- 
fluten und  Sandstürme,  Schifferaberglauben,  Meinungen  über  Ebbe  und  Flut.  Eine 
besondere  Erscheinung  im  Zauberaberglauben  behandelt  K.  Helm,  nämlich  die 
Häufung  der  Zaubormittol,  die  sich  besonders  bei  Amuletten  feststellen  lässt,  die 
oft  wahre  Kollektionen  der  verschiedensten  zauberkräftigen  Gegenstände  darstellen. 
Eben  dahin  gehören  die  Zusammenstellung  zahlreicher  Heiligenbilder  in  Schutz- 
briefen, die  Anlegung  ganzer  Segensamnilungen.  In  gewohnter  Reichhaltigkeit 
stellt  P.  Sartori  Beispiele  aller  Zeiten  und  Völker  für  den  Glauben  zusammen, 
dass  im  Zauber  gewisse  Gegenstände  nur  dann  wirken,  wenn  sie  gestohlen  sind. 
Einen  kurzen  Beitrag  liefert  A.  de  Cock  über  die  Anschauungen  des  Volkes, 
zumal  in  den  Niederlanden,  über  das  'weerog'-  (Gerstenkorn),  das  man  sich  nach 
allgemeinem  Volksglauben  zuzieht,  wenn  man  angesichts  von  Sonne,  Mond  oder 
Sternen  seine  natürlichen  Bedürfnisse  verrichtet,  was  auch  aus  einer  Anzahl  von 
INamen  und  sprichwörtlichen  Redensarten  hervorgeht,  die  sich  auf  diese  Augen- 
krankheit beziehen.  Gleichfalls  ins  Gebiet  der  Volksmedizin  schlägt  der  Aufsatz 
von  H.  Höhn  über  den  Kropf  (Struma):  besonders  wird  hier  auf  die  Heilmittel 
eingegangen,  unter  denen  sich  auch  Segensformeln  befinden. 

In  einer  sehr  gehaltvollen,  auch  volkspsychologisch  und  politisch  interessanten 
Skizze  'Volksbräuche  und  Volkswohlfahrt'  schildert -C.  Pult  eine  Reihe  von  Ge- 
bräuchen des  wirtschaftlichen  und  geselligen  Lebens  aus  dem  bündnerischen  Gebiet, 
in  denen  sich  die  Charaktereigenschaften  der  Bewohner,  Sinn  für  Würde,  feste 
Organisation  und  gegenseitige  soziale  Verpflichtungen  einerseits,  Frohmut  und 
neckisches  Wesen  andererseits  aussprechen.  Mit  Recht  bedauert  er  bürokratische 
Massregeln  gegen  diese  schon  an  und  für  sich  vor  der  modernen  Kultur  immer 
mehr  zurückweichenden  Gebräuche.  Einen  Überblick  über  die  heute  noch  be- 
stehenden oder  erst  seit  kurzem  erloschenen  Gebräuche  im  Kreislauf  des  festlichen 
Jahres  in  Wil  (St.  Gallen)  gibt  G.  Kessler.  In  dem  'Deux  paillasses'  betitelten 
Beitrag  von  L.  Gauchat  wird  ein  Versuch  gemacht,  die  verschiedenen  über- 
lieferten Bedeutungen  der  waadtländischen  Patois-Form  'patifou'  (Komische  Person 
bei  Maiumzügen,  Gemeindebeamter,  Abtrittfegcr,  Vogelscheuche,  heute  =  alberner, 
nicht  recht  zurechnungsfähiger  Mensch)  in  ihrem  Zusammenhang  zu  erklären.  Die 
Beziehung  auf  dt.  'Bettelvogt'  ist  vielleicht  nicht  abzuweisen,  doch  scheint  es  mir 
wenig  glaublich,  in  der  Bedeutung  'komische  Person'  das  Ursprüngliche  zu  sehen. 
Da  bei  übermütigen  Frühlingsumzügen  öfters  auch  Genieindebeamte,  Büttel, 
Polizisten  usw.  als  Spassmacher  auftreten,  möchte  man  eher  die  amtliche  Bedeutung 
an  den  Anfang  der  Reihe  setzen.  Was  sich  hinter  dem  ersten  Bestandteil  der 
rätselhaften  Bezeichnung  verbirgt,  wird  leider  nicht  untersucht.  Dagegen  gibt 
Gauchat  im  2.  Abschnitt  seiner  Arbeit  aus  dem  ihm  vorliegenden  Material  für  das 
Glossaire  romand  eine  Erklärung  des  bisher  nicht  gedeuteten  Wortes  'prevai'  in 
einem  waadtländischen,  früher  im  Archiv  verölfentlichten  Lied.  Es  bedeutet  Bett- 
stroh oder  -heu.  Sehr  interessant  sind  die  von  K.  Brandstetter  in  dem  Auf- 
satze 'Die  Ratze  im  Schweizerdeutschen  und  im  Indonesischen'  gezogenen  sprach- 


lUicheranzeigen.  87 

liehen  und  volkskundlichen  Parallelen.  Einen  eigentümlichen,  einst  in  ganz  Italien 
verbreiteten  und  auch  heute  noch  nicht  ausgestorbenen  Brauch  untersucht  R.  Corso 
in  einem  'La  scapigliata'  überschrieboncn  Aufsatz.  Er  besteht  darin,  dass  der  B^eier 
eines  Mädchens,  besonders  wenn  die  Eltern  gegen  die  Verbindung  sind,  versucht, 
dieses  vor  der  Kirche  zu  küssen  und  ihr  gleichzeitig  eine  Haarsträhne  abzuschneiden 
(daher  der  Name)  oder  ihr  das  Kopftuch  oder  andere  Teile  der  Oberkleidung  zu 
rauben,  worauf  im  allgemeinen  jeder  Widerstand  der  Eltern  aufhört,  da  andern- 
falls das  Mädchen  auf  sonstige  Verheiratung  nicht  hoffen  darf.  Corso  sieht  hierin 
nicht,  wie  Pitre  u.  a.  Spuren  einer  Raubehe,  sondern  gewissermassen  ein  abge- 
kürztes Verfahren  in  der  Vollziehung  der  für  eine  regelrechte  Eheschlicssung 
üblichen  Formalitäten.  In  ein  ähnliches  Gebiet  gehört  P.  Geigers  Untersuchung 
über  den  'Kiltgang'.  Es  werden  die  verschiedenen  Formen  dieser  eigentümlichen 
Sitte  behandelt  und  mit  ähnlichen  Gebräuchen  aus  aller  Welt  zusammengestellt, 
sowie  ein  Versuch  gemacht,  die  verschiedenen  Wurzeln  des  Brauchs  aufzudecken. 
Den  Verlauf  einer  amerikanischen  Hochzeit  in  New  York  schildert  Frau  Sarasin- 
Von  der  Mühll;  die  Gebräuche  unterscheiden  sich  w'enig  von  den  in  Deutschland 
üblichen.  Bemerkenswert  ist  höchstens  das  an  die  antiken  Katachysmata  erinnernde 
Bestreuen  des  jungen  Ehepaares  mit  Reiskörnern.  In  einem  kurzen  Aufsatz  über 
die  blaue  Farbe  bei  Totenbräuchen  sucht  P.  Geiger  als  den  Grund  für  deren 
Verwendung  apotropäische  Bedeutung  nachzuweisen. 

In  Umfang  und  Inhalt  geht  0.  Wasers  Beitrag  'Volkskunde  und  griechisch- 
römisches  Altertum'  weit  über  die  einem  Zeitschriftenaufsatz  im  allgemeinen  ge- 
stockten Grenzen  hinaus.  Er  gibt  zunächst  einen  Überblick  über  die  Geschichte 
der  antiken  Volkskunde,  wobei  er,  wie  billig,  von  Albrecht  Dieterich  ausgeht,  und 
über  die  wichtigste  einschlägige  Literatur.  Indem  er  sich  weiterhin  an  das  von 
Hoffmann-Krayer  vorgeschlagene  Einteilungsschema  anschliesst,  bespricht  er  die 
einzelnen  Seiten  antiken  Volksiebons,  zeichnet  mit  umfassender  Quellenkenntnis 
das  bisher  Geleistete  und  verweist  auf  noch  nicht  gelöste  Aufgaben  und  noch  nicht 
genügend  ausgeschöpfte  antike  Quellen,  aus  denen  er  selbst  zahlreiche  besonders 
ke-nnzeichnende  Proben  bringt.  Auf  Einzelnes  einzugehen,  ist  hier  unmöglich; 
jedenfalls  ist  diese  Abhandlung  ein  wahrer  Schatz  für  jeden  auf  diesem  Gebiet 
Tätigen,  und  die  junge  Wissenschaft  der  Volkskunde  des  Altertums  darf  stolz 
darauf  sein,  dass  der  inhallreichste  und  wertvollste  Beitrag  des  ganzen  Bandes 
ihrem  Gebiete  entnommen  ist  und  von  einem  so  hervorragenden  Gelehrten  ge- 
schrieben wurde.  Dass  die  Arbeit  in  Hoffmann-Krayers  Zeitschrift  und  in  seinem 
Ehrenbandc  erscheinen  konnte,  beweist  zugleich,  dass  das  Schweizerische  Archiv 
und  sein  Herausgeber  von  jeder  engherzigen  Beschränkung  weit  entfernt  ist.  Dass 
die  Zeitschrift  sich  in  diesem  Geiste  zum  Nutzen  der  wissenschaftlichen  A'olks- 
kunde  weiter  entwickle,  ist  der  Wunsch,  den  wir  dem  verdienstvollen  Gelehrten 
zum  20.  Jahrgange  widmen. 

Berlin-Pankow.  Fritz  Boehm. 


Eugen  Fehrle,    Deutsche  Feste  und  Volksbräuche.     Leipzig    und   Berlin, 
B.  G.  Teubner.  1916.    (Aus  Natur  und  Geisteswelt  Nr.  älS.)    107  S.    S». 
Geh.  1,25,  geb.  1,50  Mk. 
Die  als  ein  früheres  Bändchen  der  Teubncrschen  Sammlung  erschienene  Dar- 
stellung deutscher  Volksfeste  und  V^olkssitten    von    H.  S.  Rehm    wird    durch    die 
vorliegende,    auf  der  Höhe  der  Wissenschaft    stehende  Neubehandlung    in    erfreu- 
lichster Weise  ersetzt.    In  zwei  Hauptteilen  werden  zunächst  die  Jahresfeste,  dann 


g^  P.üclieranzoigen. 

die  wichtigsten  Eteig-nissc  im  Menschenleben  behandelt.  Bei  einem  in  den  Bahnen 
Albrecht  Dieterichs  wandelnden  Gelehrten,  wie  es  Fehrlc  ist,  versteht  es  sich  \on 
selbst,  dass  nach  Massgabe  des  knappen  Raumes  auch  auf  die  Entstehung  unserer 
deutschen  Volksfeste  und  -brauche  eingegangen  und  auf  besonders  auffallende  Gegen- 
stücke anderer  Völker  hingewiesen  wurde.  Mit  besonderem  Nachdruck  und  Erfolg 
ist  dies  in  dem  ersten  Teile  des  Buches  geschehen;  gewisse,  immer  wieder  her- 
vorgehobene Grundgedanken,  z.  B.  das  Bestreben,  beim  Beginn  eines  neuen  grösseren 
Zeitabschnittes  Übel  abzuwehren,  Segen  zu  gewinnen  und  die  Zukunft  zu  erfahren^ 
bieten  eine  Art  Richtlinie  in  der  Fülle  der  Einzelerscheinungen  und  ein  metho- 
disches Mittel  zu  ihrer  Erkenntnis,  man  vgl.  etwa  die  Ausführungen  über  Weih- 
nachten, Neujahr  und  Dreikönig  (S.  11  — -29).  Auch  im  zweiten  Teile  begnügt  sich 
P.  meist  nicht  mit  der  einfachen  Aufzählung  von  Meinungen  und  Bräuchen,  sondern 
sucht  sie  zu  deuten  und  unter  gemeinsame  Gesichtspunkte  zu  bringen.  Manche 
Erklärung  würde  hier  vielleicht  noch  überzeugender  wirken,  wenn  sie  etwas  ein- 
gehender hätte  begründet  werden  können;  dazu  aber  mangelte  es  bei  der  gerade 
für  diesen  Abschnitt  erdrückenden  Stoffmenge  offenbar  an  Raum.  Besonders- 
erfreulich sind  die  zum  grossen  Teile  auf  eigene  Aufnahmen  zurückgehenden  Ab- 
bildungen. Dies  schöne  Werk,  das  für  die  Verbreitung  grundlegender  volkskund- 
licher  Kenntnisse  und  damit  vertiefter  Heimatliebe  wie  wenige  geeignet  ist,  in  so 
gegenwaits-  und  zukunftsschwerer  Zeit  fertiggestellt  zu  haben,  sichert  dem  Ver- 
fasser wie  dem  Verleger  gleicherweise  warmen  Dank. 

Berlin-Pankow.  Fritz  Boehm. 


Walther  Hofstaetter,  Deutschkunde.  Ein  Buch  von  deutsclier  Art  untl 
Kunst.  Mit  2  Karten,  32  Tafeln  und  8  Abbildungen.  Leipzig  und  Berlin, 
B.  G.  Teubner  1917.  172  S.  gr.  8«.  geb.  3  Mk. 
'Deutschkunde',  ein  an  und  für  sich  weiter  Begrilf,  ist  auch  in  der  von  dem 
Herausgeber  des  Buches  gewollten  Beschränkung  nicht  zweifelsfrei  umrissen.  Er 
sieht  in  ihr  die  Zusammenfassung  des  Wissens,  das  im  einzelnen  für  Geschichte^ 
Kirchen-  und  Literaturgeschichte  und  Geschichtliches  in  der  Erdkunde  auf  den 
Schulen  vermittelt  wird.  Er  will  eine  Grundlage  geben  für  die  notwendigsten 
Kenntnisse  aus  der  Vorgeschichte  der  Volks-  und  Literaturkunde,  Kunst-  und 
Musikgeschichte;  die  Deutschkunde  soll  nach  ihm  den  klaren  Überblick  über 
unsere  Gesamtentwicklung,  die  Einsicht  in  die  inneren  Zusammenhänge  unserer 
Kultur  und  die  Erkenntnis  geben,  was  in  all  dem  deut-ch  ist.  Dieser  Zielsetzung 
entspricht  in  dem  Buche  selbst  ein  gewisses  Schwanken  zwischen  Betrachtung  und 
Darbietung,  ein  Mangel,  der  noch  dadurch  verstärkt  wird,  dass  es  sich  nicht  um 
das  Werk  eines  einzelnen,  sondern  um  Aufsätze  von  fast  einem  Dutzend  ver- 
schiedener Verfasser  handelt.  Freilich  dürfte  es  nur  wenige  geben,  die  allein 
Einzelkenntnisse  und  Genie  genug  besässen,  um  eine  solche  Deutschkunde  zu 
liefern.  Ein  schönes  Beispiel  solcher  umfassenden  Betrachtung  ist  der  letzte 
Aufsatz,  in  dem  Rob.  Petsch  die  geistige  Entwicklung  in  ihren  Hauptzügen  be- 
handelt. Und  je  näher  diese  geistreiche  Darstellung  dem  Ziel  kommt,  um  so 
weniger  kann  sie  sich  bei  Einzelheiten  aufhalten.  Deshalb  dürfte  auch  das  heran- 
wachsende Geschlecht,  dem  der  Herausgeber  sein  Buch  gern  in  die  Hand  geben 
will,  gerade  seinen  besten  Abschnitten  doch  ratlos  gegenüberstehen,  und  selbst 
unter  den  Männern  und  Frauen,  denen  es  in  Stunden  rückschauender  Betrachtung 
ein  Weggenosse  sein  will,  wird  es  verhältnismässig  nur  wenige  geben,  die  einer 
solchen  kulturphilosophischen  Betrachtung   mit  vollem  Verständnis  folgen  können. 


Notizen.  3<) 

Der  Volkskunde  ist  ein  vergleichsweise  grosser  Raum  gewidmet,  in  dem 
Dr.  Emil  Lehmann  über  Märchen,  Sagen,  Religion,  Brauch  und  Sitte,  der  Heraus- 
geber über  ländliche  Siedelung,  Bauernhaus  imd  äussere  Formen  des  gesellschaft- 
lichen Lebens  handelt.  Dass  dieser  volkskundliche  Teil  zu  den  besten  der  Samm- 
lung gehöre,  kann  leider  nicht  gesagt  werden;  die  Schwierigkeit,  auf  so  be- 
schränktem Raum  zugleich  reichlichen  Stoff  zu  bieten  und  diesen  von  hoher  Warte 
aus  zu  betrachten,  ist  hier  doch  wohl  übergross  gewesen,  zumal  fast  die  gesamte 
Entwicklung  des  gesellschaftlichen  Lebens,  Mönchstum,  Ritterwesen,  Bauern-  und 
Bürgertum,  sogar  Waffen-  und  Heerwesen  behandelt  werden.  Über  eine  sum- 
marische Darstellung  des  Tatsächlichen  kommt  der  Verfasser  hier  selten  hinaus. 
Sehr  befremdend  ist  es,  dass  vom  Volkslied  so  gut  wie  gar  nicht  die  Rede  ist, 
obwohl  doch  gerade  in  ihm  die  Eigenart  des  deutschen  Wesens  am  besten  zum 
Ausdruck  kommt.  Auch  in  dem  von  H.  Abort  verfassten  Aufsatz  über  die  deutsche 
Musik  ist  diese  empfindliche  Lücke  nicht  ausgefüllt;  was  hier  (S.  14«)  über  das 
Lied  gesagt  wird,  gehört  entschieden  zu  den  schwächsten  Teilen  des  Aufsatzes; 
zur  Unterscheidung  von  Volkslied,  volkstümlichem  Lied  und  Kunstlied  wird  nicht 
einmal  ein  Versuch  gemacht. 

Der  Herausgeber  sieht  in  dem  Buch  einen  Versuch.  Dass  er  gelungen  ist, 
dass  er  bei  einem  so  gewaltigen  Ziel  in  der  vorliegenden  Form  überhaupt  gelingen 
kann,  scheint  bei  aller  Anerkennung  für  den  Eifer  des  Verfassers  und  seiner  Mit- 
arbeiter, sowie  des  um  die  Buchausstattung  sichtlich  bemühten  Verlages,  sehr 
zweifelhaft. 

Berlin-Pankow.  Fritz  Boehm. 


Notizen. 

J.  Bendel,  Zur  Volkskunde  der  Deutschen  im  Böhmerwalde.  Sitten  und  Gebräuche, 
Sagen,  Lieder  und  Volksschanspiele.  Mit  Abbildungen  von  M.  Liebenwein.  \Yien  und 
Prag,  k.  k.  Schulbüchpr-Verlag  1915.  190  S.  -eb.  3,50  Kr.  —  J.  Bendel,  Zur  Volks- 
kunde der  Deutschen  im  östlichen  und  nördlichen  Böhmen.  Sitten  und  Gebräuche, 
Sagen,  Lieder  und  Märchen.  Mit  Abbildungen  von  0.  Schneider  und  J.  Wagnor.  Ebd. 
1915.  184  S.  geb.  3,50  Kr.  —  Die  beiden  enipfeJiIenswerten  Jugendschriften  sollen  die 
Heimatliebe  der  Deutschböhmen  durch  eine  kurze  Übcrsiciit  ihrer  Herkunit  und  Geschiclite 
und  einen  Einblick  in  ihr  Volksleben  fördern;  und  das  geschieht  in  durchweg  anschaulicher 
Weise  durch  Schilderung  besonderer  Volksfeste,  Sagen. von  der  weissen  Frau  und  Rübe- 
zahl, Lieder,  Märchen  und  Schauspiele,  wie  des  Höritzer  Passionsspielcs,  des  bayrischen 
Kiesels  und  der  Genovefa.  Nur  für  das  Märchen  hätten  wir  einen  besseren  Vertreter 
als  die  nach  Milcnowsky  erzählten  'Drei  Hunde'  gewünscht.  —  (J.  B.) 

J.  K.  Brechenmacher,  Drei  Fabeln  unseres  Lntcrklassenlescbuchs  stoffgeschiclitlich 
untersucht:  1.  Der  Fuchs  und  der  Rabe.  2.  Stadimaus  und  Feldmaus.  3.  Mütterliche 
Liebe  eines  Storches  Magazin  für  Pädagogik  79,  17—33.  Stuttgart  191<i).  —  St.  Augustin 
und  das  mecransscliöpfende  Knäblein,  eine  stoffgeschichtlichc  Untersuchung  (ebd.  79, 
134-141).  Nützliche  Zusammenstellung;  vgl.  oben  K;,  90.  42G.  21,  336.  —  Allerhand 
Spiegelungen  eines  Gedankens:  volle  Ähren  neigen  sich  (ebd.  7,  298 f.\  —    J.  B.) 

Franz  Cuniont,  Die  orientalischen  Religionen  im  römischen  Heidentum,  deutsch 
von  Georg  Gehrich.  Zweite,  verbesserte  und  veimehrte  Auflage.  Leipzig  und  Berlin, 
B,  G.  Teubner  1914.  XXVIII,  347  S.  8".  5  'Slk.  —  Bei  dem  engen  Zusammenhange 
zwischen  Religionswissenschaft  und  Volkskunde  halten  wir  es  für  unsere  Pflicht,  auch 
au  dieser  Stelle  auf  das  ausgezeichnete  ^^'erk  des  belgischen  Forschers  hinzuweisen,  dessen 
zweite  Auflage,  textlich  von  der  ersten  nicht  wesentlich  abweichend,  in  den  Anmerkungen 
und  Literaturangaben    nach  dem  heutigen  Stand  der  Wissenschaft  vei vollst ändigt  in  vor- 


«)0  Notizen. 

nclimem  Gewamic  vorliegt.  Es  ist  ein  wahrer  Genus«,  diese  geistreichen  und  tiefen  Vor- 
träge zu  lesen,  deren  Übersetzer  es  vorzüglich  verstanden  hat,  die  scharf  pointierte 
Sj)rache  des  Originals  wiederzugeben.  Ein  volles  Verständnis  der  religiösen  Bewegungen 
des  römischen  Weltreiches  und  damit  auch  des  Christentums  ist  unmöglich  ohne  Kenntnis 
vom  Wesen  der  siegreich  eindringenden  orientalischen  Kulte,  und  dies  vielseitige  Problem 
kann  auch  einem  weiteren  Leserkreis  kaum  klarer  und  gründlicher  nahegebracht  werden 
als  durch  Cumonts  Darstellung.  —  (F.  R 

Johanna  W.  P.  Drost,  Het  nederlandsch  kinderspel  voor  de  17.  eeuw.  's-Graven- 
hage,  M.  Nijhoff  191-i.  XVI,  173  S.  8".  —  Währen!  über  das  vlämische  Kindcr.-piel  ein 
Yortreffliclies  achtbändiges  Werk  von  A.  de  Cock  und  J.  Teirlinck  (1902  —  1908)  vorliegt, 
besitzen  die  Holländer  noch  keine  ähnliche  Arbeit.  Dicsi  ni  Mangel  sucht  die  Verf.  des 
vorliegenden  tüchtigen  Buches,  einer  Leidener  Doktordissertation,  wenigstens  teilweise 
abzuhelfen,  indem  sie  die  durch  niederländische  Zeugnisse  des  Mittelalters  und  des  IG.  Jahrh. 
beglaubigten  Kinderspiele  schildert.  Sie  benutzt  dazu  Dichtungen  und  Prosawerke  wie 
auch  Wörterbücher  dieser  Zeit  und  AVerLe  der  bildenden  Kunst  und  zieht  zur  Deutung 
die  Literatur  der  Nachbarländer  Deutschland,  Frankreich  und  England  in  ausgedehntem 
Masse  heran,  ohne  die  Grenze  des  Jahres  IGOO  streng  innezuhalten;  denn  nicht  immer 
erhellt  die  Art  des  Spieles  sogleich  aus  dessen  Namen.  Sie  scheidet  sechs  Gruppen: 
Lauf-  und  Fangspiele,  Spring- und  Tummelspiele,  Wurfs|)ielo,  Spiele  mit  Marmeln,  Nüssen, 
Knöcheln,  Münzen,  Nachahmungsspielc  und  verschiedene  Spiele  mit  Geräten.  Die  ein- 
gehende und  anschauliche  Darstellung  wird  durch  die  Reproduktion  einiger  Bilder  von 
Brueghel  d.  Ä.  und  andrer  und  ein  Register  unterstützt.  Da  die  Verf.  selber  über  die 
Vollständigkeit  ihrer  Liste  sehr  bescheiden  denkt,  so  möchte  ich  mir  den  Hinweis  er- 
lauben, dass  das  S.  125  angeführte  Breviarium  Grimani  auf  Taf.  50  der  Peiinischen  Aus- 
gabe von  1862  in  der  Marter  Christi  das  Spiel  darstellt,  das  im  Egerer  Fronleichnams- 
spiele (oben  19,  384)  'Kop  auf  ins  Licht'  genannt  wird,  und  dass  E.  van  Heurcks  und 
Boekcnoogcns  Imagerie  populaire  flamande  (1910)  einige  Abbildungen  von  Kinder- 
belustigungen enthält.  Möchte  das  solide  Büchlein  bald  eine  die  folgenden  Jahrhunderte 
durchmusternde  Fortsetzung  cihalten!  —  (J.  B.) 

Rudolf  Eckart,  Der  Wcbrstand  im  Volksmund.  München,  Militärische  Verlags- 
anstalt 1917.  Mit  9  Holzschnitten  von  Jost  Amman  1573.  VII,  124  S.  8'.  3  Mk. 
(Numerierte  Fürstenausgabe  23  Mk.).  —  Mit  geschickter  Hand  hat  der  Herausgeber  aus 
der  Fülle  volkstümlicher  Äusserungen  über  den  Krieg  und  den  Kiiegersfand,  die  sich  in 
Sprichwörtern,  Soldaten-,  Volks-  und  Kinderliedern,  Geschütz-  und  Waß'eninschriften 
iinden,  aus  den  grossen  Sammelwerken  (,Wander,  Wunderhorn  u.  a.)  eine  Reilie  besonders 
bezeichnender  Beispiele  ausgewählt.  Zumal  unsere  Kämpfer,  für  die  das  Buch  in  erster 
Linie  bestimmt  ist,  werden,  wenn  sie  es  in  einer  ruhigen  Stunde  durchblättern,  ihre  Freude 
an  diesen  Kernworten  haben,  in  denen  sich  deutscher  Sinn  und  deutsches  Gemüt  so  viel 
unmittelbarer  ausdrücken  als  in  vielen  tauben  Blüten  unserer  Kriegspoesie.  Besonders  zu 
loben  ist  die  äussere  Ausstattung,  die  kernigen  Lettern  und  die  trefflichen  Holzschnitte 
Ammans.  Mit  Recht  hat  der  Kriegsminister  v.  Stein  dem  Verleger  geschrieben,  dass  das 
'wunderschöne  Buch  jedem  Soldaten  Freude  machen  muss'.  Gewiss  auch  dem  Nicht- 
soldaten! —  (F.  B.i 

G.  W.  Leibniz,  Deutsche  Schriften,  hsg.  von  W.  Schmicd-Kowarzik.  Mit  einem 
Bildnis.  1.  Band:  Muttersprache  und  völkisclie  Gesinnung.  (Philosophische  Bibliothek 
Bd.  161.)  Leipzig,  F.  Meiner  191 G.  XL,  112  S.  8\  Geh.  2  Mk.,  geb.  2,60  Mk.  -  Zum 
200.  Todestage  von  G.  W,  Leibniz  tritt  der  Verlag  mit  dem  Plan  einer  8  Bände  um- 
fassenden Ausgabe  der  deutschen  Schriften  des  Pliilosophen  hervur.  Der  1,  Band,  hsg.  vom 
Privatdozenten  Dr.  Walther  Schmied-Kowarzik,  liegt  bereits  vor.  Unter  dem  Sammel- 
begriff Muttersprache  und  völkische  Gesinnung  sind  folgende  Schriftchen  vereinigt:  Er- 
mahnung an  die  Deutschen,  Unvorgreifliche  Gedanken,  Eine  deutschliebende  Gesellschaft, 
Denkschrift  von  der  Aufrichtung  einer  Akademie  in  Deutschland;  beigefügt  sind  Teile 
aus  den  Schriften  zur  Gründung  der  Berliner  Wissenschafts-Akademie,  Gedichte;  ferner 
Übersetzungen  aus  lateinischen  und  französischen  Schriften,  die  Muttersprache  und  Deutsch- 
tum betreffen,    Stücke    aus  Abhandlungen ;    sachliche    und   8i)rachlichc  Anmerkungen    be- 


Notizen.  91 

scliliesscn  den  112  Seiten  umfassenden  Band.  —  Mit  Freude  linden  wir  den  deutsch- 
■völkischcn  Gedanken  bei  dem  grossen  Philosophen  in  einer  Zeit  vor,  die  in  Deutschland 
selten  National^efülil  aufkommen  liess:  dass  dieser  Gedanke  aber  nicht  der  zentrale  des 
Polyhistors  war,  darüber  dürfen  wir  uns  nicht  täuschen.  Die  Einleitung  hätte  das  stärker 
betonen  müssen:  durch  die  an  sich  berechtigte  Zusammenstellung,  die  aber  in  der 
■wägenden  Beurteilung  kein  genügendes  Gegengewicht  findet,  macht  sich  das  Büchlein 
eines  ähnlichen  Fehlers  Echuldig  wie  Eugen  Reicheis  Gottschedzusammenfassungen.  Die 
wichtige  Frage,  wie  das  Deutschtum  sich  bei  L.  entwickelte,  welche  Bedeutung  da  fein 
Aufenthalt  in  Leipzig,  in  Mainz,  in  Frankfurt,  in  Hannover,  in  Berlin  hatte,  wird  nicht 
berührt.  Einige  oft  wiederholte  Irrtümer  hätten  nicht  weiter  verbreitet  werden  sollen: 
Thoniisius  hat  nicht  ali  erster  deutsche  öfl'entliche  Vorlesungen  gehalten;  über  Job. 
Valentin  Andrea  und  die  Rosenkreuzerei  sind  die  Akten  noch  nicht  geschlossen.  —  Trotz 
dieser  Ausstellungen  wird  die  Samnilung  deutscher  Schriften  I-eibnizcns  empfohlen  werden 
können.  —  (Fritz  Bohrend.) 

Karl  Heiterer,  Altsteirisches.  Mit  Abbildungen.  Graz,  Deutsche  Vereinsdruckerei 
und  Verlagsanstalt  J91G.  104  S.  gr.  8".  ;>.50  Kr.  —  ^Yie  di.i  früher  erschienenen 
R.s  (Älplerblut  1902,  Waldbauernblut  1910,  Ennstalcrisch  1913;  zeichnet  sich  auch  die 
vorliegende  Sammlung  durch  Frische  und  Unmittelbarkeit  der  Beobachtung  aus.  Bei 
seiner  langjährigen  Schultätigkeit  hat  der  Verf.  Gelegenheit  gehabt,  das  Volk  gründlich 
kennen  zu  lernen,  ausserdem  hat  er  sich,  wie  er  dankbar  hervorhebt,  der  Mitarbeiter- 
scliaft  seiner  Frau  in  reichlichem  Masse  zu  erfreuen  gehabt.  Wie  in  den  genannten 
früheren  Schriftoi  reiht  er  in  bunter  Folge  seine  Schilderungen  vom  Lelen  und  Denken 
der  Steirer  aneinander.  Mit  Bedauern  s-tellt  er  fest,  dass  auch  in  diesem  Lande  alte 
Sitten  und  Bräuche  durch  die  neuzeitliche  Entwicklung  reissend  schnell  verdräuj^t  werden. 
Besonders  Avertvoll  sind  die  zahlrtichen  mitgeteilten  mundartlichen  Bezeichnungen.  — 
(F.  B.) 

0.  Stiehl,  Unsere  Feinde.  9ü  Cbarakterköpfe  ;ius  deutschen  Kriegsgefangenen- 
lagern. Stuttgart,  J.  HüfTmann  [191G].  32 -(- 96  S.  8'.  1,20  Mk.  —  Die  hier  getotene 
Auslese  von  Typen  der  gegen  uns  unter  AVaffen  stehenden  Völker  mit  ihren  bunt- 
gemischten  Hilfskräften  ist  nidit  nur  von  allgemeinem,  sondern  auch  von  besonderem 
Interesse  für  Ethnographie  und  Volkskunde.  Die  Abbildungen,  die  der  Verf.  in  seiner 
Tätigkeit  als  Offizier  in  einem  Durchgargs-Gefangenenlager  aufgenommen  hat,  sind 
mustergültig  ausgeführt.  —  (F.  B.) 


Aus  Jen 

Sitzuiigs-Bericliten  des  Vereins  für  Yolkskiinde. 

Freitag,  den  26.  Jannar  1917.  Der  Vorsitzende,  Hr.  Geh.  Reg.-Rat  Prof. 
Dr.  Roediger,  erstattete  den  Jahresbericht  und  dankte  dem  Kultusministerium  für 
den  wiederum  gewährten  Zuschuss  von  GOO  Mk.  zur  Herausgabe  der  Vereins- 
zeitschrift. Der  Schatzmeister,  Hr.  Franz  Trcichel,  gab  den  Kassenbericht  und 
■wurde  mit  dem  Dank  der  Versammlung  für  seine  Mühewaltung  entlastet.  Der 
Kassenprüfung  hatte  sich  der  Obmann  des  Ausschusses,  Hr.  Geh.  Reg.-Rat. 
E.  Friedel,  in  dankenswerterweise  unterzogen.  Die  Zahl  der  Vereinsmitglieder 
beträgt  zurzeit  193.  Die  hierauf  vorgenommene  Neuwahl  des  Vorstandes  ergab 
dieselbe  Zusammensetzung  wie  bisher.  Das  von  Hrn.  Direktor  Dr.  Georg  Minden 
gestiftete  Dankzeichen  für  Verdienste  um  die  Volkskunde  (Satzung  s.  oben  2G,  427) 
wurde  alsdann  mit  einer  Ansprache  des  Vorsitzenden  erstmalig' für  das  Jahr  1917 
dem  hochverdienten  zweiten  Vorsitzenden,  Hrn.  Prof.  Dr.  Johannes  Bolle,  über- 
reicht, der  mit  herzlichen  Worten  dem  Verein  und  dem  hochherzigen  Stifter 
dankte.  Dann  hielt  Frl.  Rose  Julien  einen  durch  Lichtbilder  und  Vorlagen  er- 
läuterten Vortrag  über  Volkstum  und  deutsche  Kultur  in  der  Bukowina. 


92  Brunner: 

Freitag,    den    23.  Februar  1917.     Her    Yorsitzciulc,    (ich.   Rat  Roodigcr, 
widmete    den    verstorbenen    Mitgliedern   Prof.  Axel  Olrik,  Kopenhagen,    und  Frl. 
Marie  Rehsoner,  Freiburg  i.  Br.,    warme  Gedenkworte    (vgl.    auch  oben  26,  429 
bis  430).  —  Dann  sprach  Hr.  Oberlehrer  Dr.  Oskar  Ebermann  über  das  Thema: 
Eine  geistliche  Deutung  der  Schwurhand.     Schon  bei  primitiven  Völkern  wird  die 
Hand    beim  Schwur  erhoben,    gleichsam  als  Anrufung  der  Gottheit,    die    zu    allen 
Zeiten  als  Rächerin  des  verborgenen  Meineides  gilt.     In  der  Literatur  zur  Volks- 
kunde sind  die  Fälle  zahlreich,  wo  sofortige  göttliche  Strafe  des  Meineides  in  der 
selbstgewählten  Form    den  Schuldigen  trifft.     Zahlreich    sind    auch    die  volkstüm- 
lichen Mittel  zur  Abwendung  solcher  Strafe  und  die  Redewendungen,  die  sich  auf 
den  Schwur  beziehen,  wie   z.  B.    'Etwas    auf   die  Gabel    nehmen',    'Von  sich  weg 
schwören' usw.     Ein  i.  J.  1698  geschriebenes  Heft,    das    eine  Auslegung    des  Eid- 
schwures  mit  Deutung    der    Schwurhand    durch    religiöse    Bezeichnungen    enthält, 
wurde  eingehend  besprochen.     Der  Inhalt    scheint    von    einer  gedruckten  Vorhige 
abgeschrieben  zu  sein,    und    es    fand  sich  auch  in  der  Kgl.  Bibliothek  ein  älterer 
Einblattdruck,  dessen  Inhalt  teilweise  übereinstimmt.    Die   Handschrift  dürfte  von 
einem    Geistlichen    herrühren    und    hatte  ebenso  wie  jene  Drucke  den  Zweck,  das 
Volk    von  Meineiden   abzuschrecken.     In    der  Besprechung    des  Vortrages    wurde 
darauf  hingewiesen,  dass  aus  dem  Grabe  wachsende  Hände,  die  in  Sagen  eine  Rolle 
spielen,    nicht    nur  als  Meineidszeichen,    sondern    besonders    auch    als  Folge    und 
Warnung    vor  Widerstand    gegen    die  Eltern   ausgelegt    werden.     Das  Öffnen    der 
Fenster    soll  das  Volk  vor  dem  Meineide  abschrecken,    und  schon  im  klassischen 
Altertum  finden   sich   gewisse   Bestimmungen,    die  vielleicht    einen   ähnlichen  Sinn 
haben.     Was    die    meist    sngenhaften  abgehauenen  Hände   betrifft,    so    dürften    sie 
nicht  durchaus  als  Zeugnisse  für  Meineidsstrafen  betrachtet  werden,  sondern  auch, 
vielleicht    als    sog.  Leibzeichen,    die    in  Registraturen    aufbcwahtt  wurden.  —  Hr. 
Dr.    Erich    Gutmacher    gab    alsdann    unter    Zugrundelegung    der    kürzlich    bei 
E.  Diederichs    erschienenen    Sammlungen    von    P.  Kretschmer    und    P.  Hambruch 
Beiträge  zur  Märchenforschung  aus  dem  Bereiche  der  neugriechischen  und  Südsee- 
märchen.    Das    neugriechische  Märchen    ist    oft  teilweise  aus  dem  altgricchischen 
abgeleitet,    gemischt    mit    türkischen    und    anderen  Elementen.     Typisch    sind  die 
Drachenmärchen,  das  Motiv  der  schwachbärtigen  Leute  usw.    Hambruch  in  seinen 
'Südscemärchen'    schildert    die    Schwierigkeit    der    Erforschung    bei    den    Wilden. 
Hüterinnen   des  Märchenschatzes   ahui    dort   alte  Frauen,    von   denen  die  Mädchen 
schon  in  früher  Jugend  ausführlich  unterrichtet  werden.    Besonders  wichtig  für  die 
Ausgestaltung    und    das   Studium    der  Märchen  ist  der  Traum.     D.r  Alptraum    ist 
einer  der  wirkungsreichsten.    Die  Kenntnis  des  Personennamens  spielt  im  Märchen 
der    sogenannten  Primitiven    eine  bedeutende  Rolle.     Wer  den  Namen  weiss,    hat 
die  Macht  über  die  Seele  des  Menschen.    Daher  ist  schon  im  Alten  Testament  ver- 
boten,   den  Namen  Gottes    auszusprechen;    man    braucht    dafür    mannigfache  Um- 
schreibungen,   wie  Elohim,  Adonai  usw.     Vergleichbar    sind    tabuistische    Voi  Stel- 
lungen   bei    den  Ozeanicrn    und    anderwärts      Allgemeine  Motive    kommen  in  den 
Südscemärchen  mehrfach  vor,   z.  B.  die  Mühle  zum  Salzmahlen,    um  das  Meer  zu 
salzen,    die    auch    in    der  Edda    und   bei  den  Finnen  begegnet.     Am  Schlüsse  der 
Südscemärchen  wird    häufig    die  naive  Bemerkung  hinzugefügt,    man    brauche    es 
aber  nicht  zu  glauben.     Hr.  Direktor  Dr.  Minden  knüpfte  an  den  Voitrag  einige 
Bemerkungen    über    die    weitere    Verbreitung    mancher    Märchenmotive,    z.  B.  die 
ursprüngliche  Stummheit,  wie  bei  Brutus  und  Parnval,  und  —  mit  Hinblick  auf  ein 
in  Tonga    verbreitetes   merkwürdiges  Napoleonsmärchen  —  den  bei  Chamisso  ge- 
nannten 'Napoleon  der  Südsce'.     Bezüglich   des  Traumes    erinnert  er  an  die  Auf- 


Sitzungs- Berichte.  93 

fassung  Karls  von  den  Steinen,  dass  er  der  Ursprung  des  Cnstorblichkeitsglaubens 
sei.  Hr.  Geh.  Rat  Roediger  vertrat  die  Meinung,  dass  das  Märchen  nicht  aus 
dem  Traum  entstanden  sein  könne.  Denn  man  träume  nicht  Neues,  sondern  nur 
Erlebtes  und  Gedachtes. 

Freitag-,  den  23.  31ärz  1917.   Der  A'orsitzende,  Hr.  Geh.  Rat  Roediger,  legte 
ein  neu  erschienenes  Buch  von  Prof.  Dr.  Joh.  Bolte  vor,  betitelt:    Alte  flämische 
Lieder  im  Urtext  mit  den  Singweisen,  Leipzig,  Insclverlag.   Dann  sprach  Frl.  Rose 
Julien  als  Ergänzung  zu  ihrem  Vortrage  in  der  Januarsitzung  über  volkstümliche 
Helden  und  Feste    der  Ruthenen.     In  den  Volksliedern  der  Ruthenen,    die  Lyrik 
und    Epik    vereinen,    werden    die    Volkshelden    besungen    und    die    Kämpfe    des 
18.  Jahrh.  zwischen  Kosaken  und  Polen,  welche  die  Grossrussen  zur  Unterjochung 
der  ersteren  ausnutzten.    Auch  spielen  in  den  Liedern  eine  Rolle  die  rusalha  oder 
Wassernixen  und  die  rilen  genannten  Waldgeister.  Aus  dem  Feslkalenderder  Ruthenen 
wurde  erwähnt  das  Weihnachtsfest  mit  seinen  Umzügen  und  sog.  KoJladeuhcdern, 
die  zur  Spendung  von  Esswaren  auffordern.    An  diesem  Feste  wird  der  Tisch  mit 
Heu    bestreut.     Am  Grünen  Donnerstag    wird    als  Symbol    des  Winters    'die  Alte' 
verbrannt.     Die    strenge    401ägige    Fastenzeit    vor    Ostern    sucht    man    durch    das 
überreiche  Osteressen,  paska,    weltzumachen,    für    das  lange  vorher  gerüstet  wird 
und   wofür    man    oft    wertvollen  Besitz    verschleudert.     Auch   herrscht  bei  diesem 
Essen    grosse    Gastfreiheit,    und    die    Osterglocken    klingen    ununterbrochen    Tage 
hindurch.     Die  jungen  Männer    stellen  Osterpyramiden  und  springen  zwischen  die 
Mädchen  herab.    Am  5.  Mai,  dem  üeorgstage,  wird  bei  den  Ruthenen  und  Huzulen 
das  sogen.  lebendige  Feuer  erzeugt,    das  Vieh  über  die  Asche  gejagt  und  auf  die 
Weide  gelassen.     Am  Johannistage  stellt  man  Bäumchen  herum  und  springt  über 
angezündete  Feuer.     Der  Eiiastag  im  Juli  ist  ein  Feiertag,  ebenso  der  Demetrius- 
tag,  der  zur  Erinnerung  an  die  Schlacht  auf  dem  Amselfclde  begangen  wird.    Bei 
den  Huzulen  gibt  es  auch  einen  Wieselfeiertag.   Die  Ruthenen  sind  übrigens  sehr 
höfliche  Leute,  und  ihr  Gruss  ist  recht  zeremoniell.    Man  kennt  auch  spinnstuben- 
artige  Zusammenkünfte,    in    denen    die  Volksüberlieferungen    gepflegt   werden.  — 
Hr.  Geheimrat  Roediger  hielt  hierauf  einen  Vortrag,  betitelt:  Etwas  von  den  An- 
fängen unserer  volkstümlichen  Dichtung.     Behandelt  wurden  nicht  die  allerersten, 
sondern  Erzeugnisse  von  der  Zeit  an,  wo  Kunst-  und  Volksdichtung  sich  scheiden, 
schon    mit    dem  Eindringen    des    Christentums,    deutlicher    zur    Zeit    Karls  d.  Gr. 
Ursprünglich   ist  nur  die  schriftlosc  Volksüberlieferung  Trägerin  solcher  Dichtung, 
und  nur  Zufall  ist  es,  wenn  einmal  volkstümliche  Poesie  in  alter  Zeit  aufgezeichnet 
wurde.     So    ist  uns  ein  althochdeutsches  Lied  auf  den  heiligen  Georg  überliefert, 
•das  etwa  um  900  entstanden  und  um  1000  aufgezeichnet  wurde.    Der  Redner  trug 
es  in  Übersetzung  vor,  um  zu  beweisen,  dass  es  volkstümlichen  Stil  zeigt.    In  dem 
schmucklosen  Liede  fehlt  der  sonst  zur  Legende  gehörige  Drachenkampf,    der  ihr 
aber  keineswegs  ursprünglich    zukommt.     Sie    gehört    vielmehr    zu    den  Legenden 
vom    unzerstörbaren  Leben.      Die    späteren   bänkelsängerischen   Kirchenlieder    des 
17.  Jahrh.  behandein  den  Drachenkampf  als  Hauptsache.     Etwa  50  Jahre  älter  ist 
das  Loblied  auf  den  heiligen  Gallus,    von  Ratbert  nach  mündlicher  Überlieferung 
gedichtet  und  von  Ekkehard  IV^.  in  lateinischer  Übersetzung  erhalten.     Es  war  für 
den  Gesang  des  Volkes  bestimmt,  hat  in  seiner  Daistellung  die  grösste  Ähnlichkeit 
mit  dem  Georgslied  und  zeigt  einige  Formeln,  die  noch  nach  Jahrhunderten  wieder- 
kehren.    Diese  christlichen  Heldenlieder  nähern  sich  den  Lobliedern,    die    uns  in 
der  Form    der    Totenklagen    aus    alter    Zeit    bezeugt    sind    (Jordanes,    Beowulf). 
Im  älteren  Spervogelton    haben    wir    Klage-,  Lob-  und  Scheltlieder    in  einfachster 
.Form.     Ein  altes  Spottlied  ist  das  von  Liebwins  Brauen  bei  der  Vermählung  seiner 


C)^  P)rimner: 

Tochter,  woran  Hildebrand  nicht  gedacht  hat,  als  er  das  Kcsselliedchen  der  Kinder 
als  altes  Elochzeitslicd  erweisen  wollte.  Die  Frcudenlicder  haben  in  Bayern  und 
Österreich  noch  eine  Erinnerung  in  den  volkstümlichen  Ausdrücken  Gaudi  und 
Lätizel  zurückgelassen.  Für  volkstümliche  Tanz-  undBallspiellieder  gibt  es  Belege 
in  den  Carmina  burana  des  13.  Jahrh..  die  auch  für  die  alte  volkstümliche  Liebes- 
lyrik heranzuziehen  wären.  Doch  wollte  der  Vortragende  auf  sie  nicht  näher 
eingehen. 

'  Freitag,  den  27.  April  1917.  Der  2.  Vorsitzende,  Prof.  Dr.  Joh.  Bolte, 
eröffnete  in  Vertretung  des  durch  eine  Reise  am  Erscheinen  verhinderten  1.  Vor- 
sitzenden die  Sitzung  und  sprach  über  das  angebliche  Berliner  Weihnachtsspiel 
von  1597.  Der  Vortrag  wird  später  in  der  Zeitschrift  abgedruckt  werden.  Literatur- 
Torlagen:  A.  v.  Löwis  of  Menar,  Ostsee  und  Ostland  Bd.  5,  Die  Baltischen  Provinzen^ 
Märchen  und  Sagen.  Berlin-Charlottenburg  1!>16.  Robert  Petsch,  Das  deutsche 
Volksrätsel,  Strassburg  1917.  C.  Zi'brt,  Koüzelny  proutck  (Zauberrute),  Prag  o.  J. 
Berliner  Haushaltungs-Calender  von  1779  und  Anhänge  zu  dem  Historisch-  und 
Geograph.  Calender  auf  das  Jahr  1737  u.  ff.  Berlin.  —  Der  Unterzeichnete 
sprach  an  der  Hand  einer  noch  ungedruckten  mundartlichen  Beschreibung  von 
P.  N.  Jacobsen  in  Nottfeld  (1908)  über  Altanglisches  Bauernleben.  Über  das  Bauern- 
haus in  Angeln,  das  im  Norden  dänisch-friesischen,  im  Süden  sächsischen  Einfluss 
zeigt,  haben  bereits  Meiborg  in  seinem  trefflichen  Werke,  Das  Bauernhaus  im 
Herzogt.  Schleswig,  und  Pessler  in  der  Zeitschrift  Deutsche  Erde  7,  18  alles  Nötige 
mitgeteilt;  über  den  Garten  und  die  übrige  Wirtschaft,  ferner  über  die  Volkstracht, 
das  Dorfleben,  die  bäuerlichen  Feste,  alte  Sitten,  Gebräuche  und  Volksglauben 
konnten  aber  noch  weitere  Mitteilungen  gemacht  werden,  die  weniger  bekannt 
sind,  obwohl  über  einige  Punkte,  z.  B.  über  den  Erntegebrauch  der  Vock,  bei 
Kück  und  Sohnrey,  Feste  und  Spiele  des  deutschen  Landvolks  S.  159  bereits 
Aufklärung  gegeben  ist  und  auch  in  der  Kieler  Zeitschrift  'Die  Heimat'  sich 
manche  Darstellungen  aus  dem  Angliter  Volksleben  finden.  Die  einzigen  landes- 
kundlichen Schriften  über  Angeln,  nämlich:  H.  N.  A.  Jensen,  Angeln,  Flensburg  1844, 
und  F.  W.  Otte,  Bemerkungen  über  Angeln  i.  J.  1791,  Schleswig  1792,  bringen 
wenig  über  die  Volkskunde  der  Landschaft.  Die  erstere  soll,  wie  verlautet,  neu 
herausgegeben  werden  und  wird  hoffentlich  diese  Lücke  ausfüllen,  wozu  die  Hand- 
schrift von  Jacobsen  nützliche  Dienste  leisten  könnte.  Auch  für  ein  Schleswig- 
Holsteinisches  W^örterbuch  dürften  hier  wertvolle  Beiträge  entnommen  werden 
können;  denn  das  alte  holsteinische  Idiotikon  von  Schütze  bedarf  wohl  mancher 
Ergänzung.  Durch  eine  Mitteilung  des  Herrn  F.  Treichel  über  Löffelopferung 
im  Schwarzwalde  entspann  sich  eine  Erörterung  über  die  Bedeutung  des  Löffels 
in  der  Volkskunde,  deren  Ergebnis  war,  dass  die  Verwendung  gerade  des  Löffels 
als  Opforgabe  von  Zahnlcidenden  unerklärt  ist. 

Freitag,  den  18.  Mai  1917.  Der  2.  Vorsitzende,  Prof.  Bolte,  widmete  dem 
am  10.  April  1916  verstorbenen  A^olksforscher  Giuseppe  Pitre  in  Palermo  herzliche 
Worte  des  Gedenkens.  Der  Vortragsraum  war  reich  geschmückt  durch  eine  grössere 
Anzahl  von  Studienblältern,  die  von  der  Malschule  des  Vereins  der  Künstlerinnen  unter 
Leitung  des  Hrn.  Maler  Karl  Wendel  während  des  Winters  in  den  Räumen 
der  Kgl.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  gemalt  worden  waren.  —  Hr.  Prof. 
Dr.  Eduard  Kück  sprach  über:  Walther  von  der  Vogelweide  und  seinen  Spruch: 
'Ich  hört  ein  wazzt  r  diezen'.  Der  Vortrag  wird  später  in  der  Zeitschrift  abgedruckt 
erscheinen.  —  Hr.  Prof.  Dr.  Joh.  Bolte  sprach  zum  Einschmelzen  unserer  Kirchen- 
glocken unter  Hinweis  auf  den  am  Schluss  dieses  Heftes  abgedruckten  Aufruf 
des  Verbandes  Deutscher  Vereine  für  Volkskunde,    der  zur  Feststellung   aller  auf 


Sitzungs-Berichte.  'J5- 

unsere  Kirchenglocken  bezüglichen  Sagen  und  Gebräuche,  auch  der  neueren,  und 
ihrer  Inschriften  auffordert.  Schon  A^or  500  Jahren  licss  Friedrich,  der  erste 
Rohenzoller  in  der  Mark,  Kirchenglocken  zu  Kanonen  umgiessen;  auch  Feter  d.  Gr. 
und  die  erste  französische  Republik  verschafften  sich  so  Kanonenmetall.  Während 
die  eigentliche  Glockentaufc  als  feierlicher  Akt  galt,  hat  der  Volksmund  den 
Glocken  oft,  besonders  in  Berlin,  humoristische  klangdeutende  Namen  gegeben. 
Sonst  trugen  sie  vielfach  lateinische  Namen  und  wurden  nach  ihrem  Gebrauch 
benannt.  Nach  dem  Volksglauben  lieben  die  Glocken  die  Heimat  und  werden 
wegen  ihres  frommen  Zweckes  vom  Teufel  heftig  angefeindet.  Übrigens 
wurden  auch  Kanonen  zu  Glocken  umgegossen.  So  sollen  die  Glocken  der 
Marienkirche  in  Berlin  aus  Kanonenmetall  gegossen  sein,  und  in  neuerer  Zeit 
wurde  bekanntlich  die  grosse,  im  Ton  etwas  missratene  Doraglocke  von  Cöln  aus 
1870  erbeuteten  französischen  Kanonen  hergestellt.  Hr.  Rektor  Monke  teilte  noch 
mit,  dass  man  im  Havellande  glaube,  durch  Glockenläuten  das  Gewitter  beeinflusse:-» 
zu  können,  ähnlich  wie  durch  das  sogen.  AVetterschiessen  im  Alpenlande.  Auf  die 
Anfrage,  woher  Goethe  den  Stoff  zu  seiner  Dichtung  von  der  wandelnden  Glocke 
entnommen  habe,  erwiderte  Hr.  Prof.  Bolte,  man  erzähle  in  Weimar  eine  Anekdote 
von  Goethes  Sohn,  die  eine  Erklärung  dafür  liefere.  —  Zum  Schlüsse  sprach  ein. 
Flame,  Hr.  Herbert  Märten s,  über  das  Hämische  Wanderlied.  Erst  in  diesem 
Kriege  ist  der  Name  Flanderns  als  eines  alten  germanischen  Landes  viel  genannt. 
Aus  der  Vermischung  alter  germanischer  Stämme  entstanden  die  Flamen.  Ihre 
Literatur  war  in  älterer  Zeit  meist  Übersetzung  aus  dem  Französischen,  wie  ja 
auch  Heinrich  von  Veldeke  im  12.  Jahrh.  seine  Eneide  mehr  nach  französischem 
als  vergilischem  Muster  dichtete.  In  der  Mitte  des  19.  Jahrh.  verklang  das  flämische 
Volkslied,  und  die  Flandern  eigentümlichen  Volkssänger  starben  aus.  In  der 
alten  Zeit  wurde  Karl  d.  Gr.  im  flämischen  Liede  viel  besungen,  1260  wurde  das 
Epos  Reinhart  Fuchs  gedichtet,  und  um  1520  erschien  in  Antwerpen  der  flämische 
Eulenspiegcl.  Verbreitet  ist  das  Märchen  vom  Schmiede,  der  den  Teufel  prellt, 
und  die  ergreifende  Ballade  vom  Blaubart,  der  im  flämischen  Gebiete  Ritter 
Haiewein  heisst.  Der  Redner  las  in  dankenswerter  Weise  eine  Anzahl  Dichtungen 
in  seiner  uns  vertraut  klingenden  flämischen  Mundart  vor. 

Berlin.  Karl  Brunner. 


Gedenket  iinsrer  Glocken! 

In  den  nächsten  Monaten  wird  eine  grosse  Zahl  von  Kirchenglocken  in  Deutsch- 
land zu  militärischen  Zwecken  beschlagnahmt  werden.  Und  wenn  dabei  auch  die 
durch  Alter,  Kunstwert  und  schönen  Klang  hervorragenden  Glocken  verschont 
bleiben  sollen,  so  werden  doch  viele  andre  verschwinden,  die  vordem  die  Herzen 
vieler  Geschlechter  in  festlich  frohen  und  ernsten  Stunden  erbaut  und  gerührt 
haben.  Darum  tritt  an  alle  Freunde  des  deutschen  Volkstums  die  Mahnung  heran, 
ihr  Andenken  festzuhalten  und  sowohl  die  Sprüche,  mit  denen  sie  geziert  waren, 
als  die  mannigfachen  Bräuche  und  Sagen,  die  sich  in  den  einzelnen  Ortschaften 
an  sie  knüpfen,  sorgsam  aufzuzeichnen. 

In  den  meisten  Bundesstaaten  werden  auf  Anregung  der  betrefl'enden  Kultus- 
ministerien die  Generalkonservatoren,  Provinzialkonservatoren  und  deren  Ver- 
trauensmänner vor  der  Zerstückelung  der  Glocken,  die  zumeist  oben  im  Glocken- 


<)(^  Gedenket  unsrcr  Glocken! 

stuhl  geschehen  wird,  für  die  Abforuiung  des  Bildschmuckes  und  der  Schrift- 
zeichen durch  Glockengiesser  und  Former  sorgen  Natürlich  werden  sie  an  so 
bemerkenswerten  Inschriften  wie  dem  alten,  durch  Schillers  Gedicht  berühmt 
gewordenen  Vers 

„Defunctos  plango,  vivos  voco,  fulgura  frango" 

nicht  vorübergehen;  aber  auch  die  jüngeren  lateinischen  und  deutschen  Spruch- 
inschriften sind  der  Beachtung  und  Aufzeichnung  im  örtlichen  wie  im  all- 
gemeinen Interesse  würdig.  Hierbei  mitzuwirken  sind  der  Geistliche  und  der 
Lehrer  des  Ortes  in  erster  Linie  berufen.  Sie  sind  auch  besser  als  irgend  jemand 
geeignet,  eine  Sammlung  der  Bräuche  und  Sagen  vorzunehmen,  da  diese  eine 
längere  Befragung  der  Landleute  und  eine  Vertrautheit  mit  ihren  Anschauungen 
erfordert,  die  man  bei  einem  Ortsfremden  nicht  voraussetzen  darf.  An  diese 
Herren,  ebenso  aber  auch  an  alle  sonstigen  Freunde  der  deutschen  Volkskunde, 
ergeht  daher  unsre  herzliche  Bitte,  durch  Umfrage  alsbald  festzustellen: 

1.    welche  Bräuche    bei    der    Taufe    der  Glocken,    der  Aufhängung  und  Ab- 
nahme geübt  werden, 
•2.    ob   eine  besondere  Läuteart  (ßeiern,   Bimmeln,   Kieppen)    bei  bestimmten 
Gelegenheiten,    in    der  Weihnacht,    Neujahrsnacht    oder    vor    Allerseelen, 
üblich  ist, 

3.  die  im  Volksmunde  üblichen  Namen  einzelner  Glocken,  die  Deutung  ihrer 
Rufe  und  Gespräche, 

4.  den  Glauben  an  ihren  Schutz  vor  Unwetter,  Krankheit  und  bösen  Mächten 
oder  an  ihre  vorbedeutende  Kraft, 

5    Sagen  von   Glocken,    die    in    der  Karwoche    auf  Reisen    gehen;    von  ge- 
raubten und  geretteten,  versunkenen  und  aus  dem  Wasser  oder  der  Erde 
emporsteigenden  Glocken;    von  dem  beim  Glockenguss  ermordeten  Lehr- 
buben usw. 
Was    die    rege  Phantasie    unseres  Volkes    im  Nachsinnen    über    diese   Wahr- 
zeichen des  christlichen  Gottesdienstes  seit  Jahrhunderten  hervorgebracht  hat,  und 
was  bei  der  lebhaften  Teilnahme,    mit    der    vielerorten    das  Volk  den  Schicksalen 
seiner  Kirchenglocken    folgt,    an    bemerkenswerten    neuen    Sagen    und    Bräuchen 
auftaucht,    wolle    man    nicht    für  leer  und    bedeutungslos   halten,  sondern  als    ein 
Zeugnis  seines  Geisteslebens    aufschreiben    und    einem    der    Unterzeichneten,    der 
Königlichen  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  in  Berlin  (Klosterstr.  36)  oder  der 
Geschäftsstelle  des  Verbandes   Deutscher  Vereine  für  Volkskunde  in  Freiburg  i.  Br. 
(Silberbachstr.  13)  einsenden. 

Namens  des 
Verbandes  Deutscher  Vereine  für  Volkskunde: 

Professor  Dr.  Bohnenberger  (Tübingen).  —  Professor  Dr.  J.  Bolte  (Berlin).— 
Geheimrat  Professor  Dr.  Kuhn  (München).  —  Professor  Dr.  Fr.  von  der  Leyen 
(München).  --  Professor  Dr.  John  Meier  (Freiburg  i.  Br.).  —  Professor  P.  Sartori 
(Dortmund).  —  Pfarrer  0.  Schulte  (Grossen  Linden  bei  Giessen).  —  Hofrat  Pro- 
fessor 0.  Seyffert  (Dresden).  —  Geheimer  Regierungsrat  Professoi  Dr.  Siebs 
(Breslau).  —  Professor  Dr.  M.  Wingenroth  (Freiburg  i.  B.). 


Ganga  til  frettar. 

Von  Rudolf  3Ieis8ner. 

(Sclüuss  zu  S.  1—13.) 

Die  nordischen  Berichte  erzählen  oft  von  Männern  und  besonders 
von  Frauen,  die  übernatürliches  Wissen  besitzen,  deren  Blick  Dinge  er- 
schaut, die  den  andern  verborgen  sind;  an  sie  wendet  man  sich  [ganga  til 
frettar),  wenn  man  Zukünftiges  oder  sonst  Verhülltes  erfahren  will.  Das 
Vorauswissen  künftiger  Dinge  erscheint  vielfach  als  eine  Gabe,  die  be- 
sondere Mittel  der  Zukunftserforschung  überflüssig  macht.  So  erkennt  der 
Seher  oft  schon  beim  Anblick  eines  Menschen,  ob  er  im  allgemeinen  zum 
Glück  oder  Unglück  bestimmt  ist,  er  kann  aber  auch  einzelne  Geschicke 
ohne  weiteres  voraussehen.  Daneben  gibt  es  besondere  Handlungen,  die 
von  dem  spdmadr  oder  der  spdkona  vorgenommen  werden,  um  zukünftiges, 
zu  erfahren.  Die  Auskunft  aber,  die  uns  unsere  Quellen  über  diese 
Handlungen  geben,  ist  nicht  ausreichend,  die  Einzelheiten  der  DivinatioDs- 
bräuche  klarzustellen.  In  framuynn  wie  in  framdss  wird  gewöhnlich  durch 
fram-  die  Zukunft  bezeichnet,  in  die  der  Begabte  hineinsieht,  von  der  er 
Kenntnis  hat.  Ob  ursprünglich  fvain-  räumlich  aufgefasst  wurde?  Jeden- 
falls ist  aus  sijnn  zu  schliessen,  dass  der  Weissager  ursprünglich  etwas- 
sah, entweder  den  Vorgang  selbst  oder  Zeichen  irgendwelcher  Art,  die 
er  deutete.  Hier  ist  am  ehesten  eine  Anknüpfung  an  die  Divination 
möglich,  wie  sie  in  Schottland  und  auf  den  Hebriden  bezeugt  ist.  Im 
Kap.  46  der  grossen  Saga  von  Olaf  Tryggvason  (Fornm.  s.  1,  76)  wird  er- 
zählt, wie  die  alte  Mutter  des  Königs  Valdamar  von  Gardariki  prophezeit^ 
dass  ein  vor  kurzem  geborener  norwegischer  Königssohn,  der  zu  gewaltigen 
Taten  bestimmt  sei,  als  Kind  au  den  Hof  Valdamars  kommen  und  dort 
aufwachsen  würde.  Dass  es  eine  russische  Seherin  ist,  von  der  die  Saga 
erzählt,  kommt  nicht  in  Betracht.  Die  Alte  ist  gebrechlich  und  liegt 
immer  zu  Bett,  aber  sie  ist  framsßn  af  fitons  anda.  Am  ersten  Julabend 
wird  sie  in  die  Königshalle  vor  den  Hochsitz  des  Königs  getragen  und 
von  ihm  gefragt,  ef  hün  sa'e  nokkura  ütlenda  hofdingja  edr  hermenn 
vilja  dgirnast  riki  hans.  Die  Alte  findet  dafür  kein  Anzeichen,  en  pö  se 
ek  mikla  s;jn  ok  mikils  verda;  nun  folgt  die  Weissagung  über  Olaf.  Hier 
ist  also  der  Vorstellung,  dass  wirklich  Gesehenes,  mit  dem  Auge  Er- 
fasstes  verkündet  oder  gedeutet  wird,  sehr  klar  Ausdruck  gegeben. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1Ö17.   Heft  2.  7 


2S  Meissner: 

Die  Erforschung  der  Zukunft  durch  Träume,  die  im  Leben  der  Nord- 
germanen  so  wichtig  ist,    kann   ich   im  folgenden  unberücksichtigt  lassen. 
Frett,  ganga  til  frettar  kommen  öfters  in  Verbindung  mit  seidr  vor.   Er 
wird    nach  Snorri    den  Äsen    durch   Freyja    gelehrt  als    eine    den  Wanen 
eigentümliche    Kunst:     hon    kendi   fyrst    med   Asum  seid,    sem    V<muvi    var 
titt.    Yngl.  s.  kap.  4.    Er  wird  verwendet  at  vita  orlog  manna  {fatum,  urlag 
Notker  Boethius  280,  14  Pip.)  ok  öordna  hluti,  svd  ok  at  gera  monnum  hana 
eda   öhami7igju    eda    canheileiidi,    svä   ok   at   taka  frd  monnum  vit  eda  afl  ok 
gefa  odrum,  Yngl.  kap.  7.    Der  seidr,  der  eine  Einwirkung  irgendwelcher 
Art  bezweckt,    kann    hier  übergangen  werden,     Snorri  sagt,   der  seidr  sei 
den  Göttinnen  zugewiesen  worden,  weil  die  Männer  der  Götterwelt  dieses 
Treiben    für    ihrer    nicht  würdig  angesehen  hätten.     Freilich  Odin  selbst 
ist  auch  ein  Meister  in  dieser  Kunst.     Snorri  will  erklären,    warum    der 
seidr  meist  von  Frauen  ausgeübt  wird,  er  weiss  nicht,  dass  hierin  uralter 
Brauch    sich    erhalten    hat.     Über    den    seidr    handeln  ausführlich  Finnur 
Jönsson    (prjär   ritgjördir    für  Päll  Melsted  S.  5ff.),    Gering    (Über  Weis- 
sagung und  Zauber  im  nord.  Altertum,  Kiel  1902),  und  über  die  berühmte 
Stelle  der  Eirikssaga  Magnus  Olsen    in    Maal    og    Minne  1916,   1  ff.     Die 
Schilderung  in  der  Eirikssaga,  ein  Glanzstück  isländischer  Erzählungskunst, 
ist  so  ausführlich  und  klar,    dass  man  sich  auch  besonders  merken  muss, 
was  hier  nicht  berichtet  wird.    Thorkell  lädt  die  späkona  auf  seinen  Hof, 
um  sie  über  die  Landesnot  zu  befragen.   Die  Antwort  wird  erteilt,  indem 
von    der  späkona    ein  seidr  veranstaltet    wird    (16,  H;  16,  8  Storni).     Das 
geschieht  im  Hause,    am  Tage;   porbjnrg,    die  späkona,   sitzt  dabei  d  seid- 
hjaUinum,  die  Frauen  des  Hofes  schliessen  einen  Kreis  um  sie,  und  Gudridr 
spricht  das  Zauberlied,    das  zum  seidr  notwendig  ist,    die  vardlokur.     Die 
späkona  erklärt,  dass  viele  Wesen  (nättürur^)    hinzugekommen    seien  und 
sich  an  dem  Liede  erfreut  haben,    die  vorher  unhold  waren,    nun    könne 
sie  Dinge  leicht  erkennen,  die  ihr  vorher  verborgen  gewesen  seien.     Die 
Seherin    empfängt    also   ihre    Weisheit    durch    mystische  Verbindung    mit 
Wesen,    die  durch  ein  Zauberlied,   das  sie  nicht  selbst  spricht,  angezogen 
werden.    Olsen  a.  a.  0.  nimmt  an,  dass  vardloka  ursprünglich  bedeute  'das 
die  Geister  Einschliessende',    d.  h.    einen  die   Seherin  umgebenden  Kreis 
singender  Personen  {raddlid). 

Gudridr  ist  zwar  eine  Christin,  aber  noch  herrscht  das  Heidentum  in 
Grönland.  Es  ist  also  festzustellen,  dass  hier  beim  seidr  keine  Mitwirkung 
der  Götter  erbeten  wird,  kein  Opfer  stattfindet.  Auch  ist  nicht  davon  die 
Rede,  dass  die  späkona  in  der  Nacht  vorher  sich  drausseu  in  geheimnis- 
vollem Tun  vorbereitet  {ätiseta).  Die  einzige  Vorbereitung,  die  erwähnt 
wird,    ist,    dass    sie    am  Abend  vorher  bestimmte  Speisen    zu  sich  nimmt 


1)  Die  Anwendung  dieses  Wortes  zeigt,  dass  der  Erzähler  von  dem  ursprüngliclieu 
Wesen  der  wissenden  Geister  keine  Vorstellung  mehr  hatte.  Auch  dass  diese  Wesen 
durch  das  Zauberlied  erfreut  werden,  ist  Ausdeutung. 


Ganga  til  frettar.  99 

([{erzen  von  verschiedenen  Tieren).     Sie    muss    eine  Nacht  auf  dem  Hof 
geschlafen  haben,    ehe    der  seidr  veranstaltet  werden  kann,    aber  Träume 
liegen  ihrer  Weissagung  nicht  zugrunde.    Der  seidr  besteht  hier  also  darin, 
dass    die  Seherin    einen    magischen  Kreis    herstellt,    zu    dem    die  Geister 
durch  ein  Zauberlied   gelockt  werden.     Von  ihnen  erfährt  die  rolva,    was 
sie  wissen  will.     Die   schon   erwähnte   Schilderung  der  Vatnsd.  s    (S.  19) 
ist  nicht  so  klar,   vor    allem   ist   der  Satz  peir  Tngjaldr  efna  par  seid  eptir 
fornum  sid  til  pess  at  menn  leitadi  eptir  forhguvi  sinum  zunächst   auffallend. 
Dass  die  spdkona  auf  den  Hof  gekommen  ist,  wird  erst  im  nächsten  Satz 
gesagt.     Doch  darf  man  das  eftia  wohl    in  dem  Sinne  verstehen,    dass  sie 
veranlassen,  dass  ein  seidr  vorgenommen  wird,  Zukünftiges  zu  erfahren. 
Dafür  spricht,    was   dann    weiter  erzählt  wird.     Die  Seherin  Heidr  in  der 
Orvar-Oddss.  (kap.  2)    führt   ein  raddlid  von    15  Knaben  und  15  Mädchen 
mit   sich,  pn-iat  par  skijldi  kvedandi  vnkil,  sem  hon  rar.    Ingjaldr  lädt  sie  auf 
seinen  Hof  und  bewirtet  sie.     Der  weitere  Verlauf  ist  hier  aber  ein  ganz 
anderer  als  in  der  Eirikssaga.    Während  die  Bewohner  des  Hofes  schlafen 
gehen,  begibt  sich  die  v^lva  mit  ihrem  raddlid  ins  freie  nk  efldi  seid.    Am 
Morgen  darauf  fragt  Ingjaldr,    hrersu  seidri?ui  hefdi  gengit.     Die  vnlca  ant- 
wortet, sie  glaube  jetzt  der  Dinge  gewiss  zu  sein,  die  zu  erkunden  Ingjaldr 
ihr  aufgetragen  habe.     Sie    nimmt    dann    ihren  Sitz    ein  und  die  Männer, 
Ingjaldr    zuerst,    ganga   til  frettar.     Hier    findet    also    die  Zauberhandlung 
wählend    der  Nacht  draussen    im  Freien  statt,    ohne    dass    die  Fragenden 
zugegen  sind.    W^as  die  volca  draussen  vornimmt,  wie  sie  zu  ihrem  Wissen 
gelangt,    wird  nicht  gesagt;    da  sie   aber    ihren  Chor  bei  sich  hat,    ergibt 
sich,  dass  auch  hier  Zauberlieder,  wir  dürfen  ohne  weiteres  sagen  vardlokur^ 
ein  wesentlicher  Bestandteil  des  seidr  sind. 

Wenig  ist  aus  der  bekannten  Szene  in  der  Saga  Hrolfs  kraka  zu  ent- 
nehmen (Kap.  3).  Die  seidkona,  rolva  Heidr  sitzt  in  der  Halle  des  Königs 
Frödi  auf  dem  scidlijallr.  Der  König  hat  ihr  eine  bestimmte  Frage  vor- 
gelegt; er  will  wissen,  was  aus  den  beiden  von  ihm  vergeblich  gesuchten 
Söhnen  seines  Bruders  Halfdan  geworden  ist  und  wo  sie  sich  aufhalten. 
Die  Seherin  gibt  ihre  Antworten  in  Versen.  Zu  beachten  ist,  dass  sie  sich 
in  einem  starken  Erregungszustande  befindet  (shrr  pä  i  snndr  kjoptimuni 
ok  geispar  mjok  ok  rard  lienni  pä  Ijöd  d  mimni).  Signy,  die  Schwester  der 
beiden  Halfdansölme,  die  unerkannt  in  der  Halle  sitzen,  wirft  der  Seherin 
einen  Goldring  zu,  weil  sie  merkt,  dass  die  nächsten  Worte  der  Heidr  zur 
Entdeckung  der  Brüder  führen  müssen.  Nun  will  die  rglra  nicht  fort- 
fahren und  widerruft,  was  sie  gesagt  hat;  der  König  zwingt  sie  aber  durch 
Drohungen,  ihm  nocli  deutlicher  Auskunft  zu  geben:  hün  gapir  pä  mjok., 
ok  rerdr  erfidr  seid  rinn  ok  nu  kvad  Intn  visu.  Hier  wird  also  mit  seidr 
nicht  eine  Zauberhandlung  bezeichnet,  die  der  eigentlichen  Weissagung 
vorausgeht,  sie  ermöglicht,  sondern  seidr  ist  die  Handlang  des  Auskunft- 
erteilens  selbst  und  bezieht  sich  auch  auf  den  Zustand,    aus    dem    heraus 


IQQ  Meissner: 

die  volva  unter  Zeichen  starker  Erregung  ihre  Sprüche  formt.  Dass  dieser 
Schilderung"  eine  lebendige  Anschauung  von  dem  eigentlichen  Wesen  des 
seidr  zugrunde  liegt,  ist  nicht  anzunehmen.  Die  Darstellungen  in  der  <  )rvar- 
Oddssaga  und  Eirikssaga  sind  unbedingt  bedeutsamer. 

Kenningar  wie  scerda,  vignt  seidr  für  Schlacht,  in  denen  sädr  wie 
sonst  galdr  gebraucht  wird,  sprechen  dafür,  dass  beim  seidr  das  Zauber- 
lied die  Hauptsache  ist.  Vergleicht  man  die  Darstellung  der  Eirikssaga 
mit  der  der  Qrvar-Oddssaga,  so  kann  wohl  kein  Zweifel  darüber  sein,  dass 
beim  seidr  weder  Zeichen  noch  Opfer  in  Frage  kommen  können,  die 
Seherin  gewinnt  ihr  Wissen  von  unsichtbaren  Wesen,  die  durch  ein  Zauber- 
lied gezwungen  werden,  es  ihr  auf  geheimnisvolle  Weise  mitzuteilen. 
In  der  Orvar-Oddssaga  aber  vernimmt  die  vQica  diese  Stimmen  in  der 
Nacht  und  au  einsamem  Orte.  Das  Eigentümliche  hierbei  ist  die  Mit- 
wirkung des  raddlid.  Wenn  sonst  in  der  Xacht  und  draussen  Zauber 
geübt  wird,  um  Verhülltes  in  Erfahrung  zu  bringen,  ist  der  Fragende 
allein. 

Die  ütiseta,  das  sifja  üti  wird  in  den  nordischen  Quellen  oft  er- 
wähnt; welche  Handlungen  vorgenommen,  ob  Zaubersprüche  angewandt 
werden,  auf  welche  Weise  der  draussen  Sitzende  sein  Wissen  erlangt,  er- 
fahren wir  dabei  nicht.  Das  Christenrecht  der  norwegischen  Gesetze  ver- 
bietet die  ütiseta,  das  isländische  Gesetz  erwähnt  sie  nicht  unter  den  ver- 
botenen heidnischen  Gebräuchen.  Aus  dem  Wortlaut  des  norwegischen 
Verbots  geht  hervor,  dass  auch  hier  wie  beim  seidr  Geister  gezwungen 
werden,  ihr  Wissen  mitzuteilen,  ütisetu  at  vekia  troll  upp  at  fremia  heidni 
med  Jwi  (iGn\a\ängs\oY  32)  Ngl  1,  19,  und  darnach  in  andern  Gesetzen 
wiederholt,     vtisetinnenii  er  troll  veckia  Ngl  2,  497. 

Es  ist  anzunehmen,  dass  die  ütiseta  zunächst  dazu  bestimmt  ist,  die 
Verstorbenen  dazu  zu  zwingen,  ihr  höheres  Wissen  mitzuteilen.  Wie 
die  Vorstellungen  vom  Zustande  der  Verstorbenen  verschieden  sind  und 
sich  wandeln,  wird  auch  die  ütiseta  verschiedene  Formen  gehabt  haben. 
Setzt  der  Leichnam  im  Hügel  eine  Art  von  Leben  fort,  so  erzwingt  der 
Zauber    körperliche  Erscheinung    des  Toten').     Sind    die  Seelen  von  den 


1)  Eine  ganz  eigentümliche  Totenbefragung  ist  bei  Saxo  geschildert  (1,  3S  Müller). 
Der  Zauberspruch  wird  auf  ein  Ilolzstück  geritxt,  das  dem  Toten  unter  die  Zunge  ge- 
schoben ^vird  und  ihn  zum  Spreclien  zwingt.  Die  Toten  können  unter  Umständen  durch 
ihre  blosse  Erscheinung  erkennen  lassen,  was  der  Beschwörer  zu  erfahren  wünscht.  So 
ist  es  bei  der  Totenbeschwörung,  die  Thrandr  von  Gata  vornimmt.  (Fa^r.  s.  Kap.  40).  Er 
will  wissen  und  vor  Zeugen  feststellen,  auf  welche  Weise  Sigmund  und  seine  Gefährten 
ums  Leben  gekommen  sind.  Von  den  Toten  erscheinen  zwei  in  triefenden  Kleidern,  sie 
gehen  möglichst  nahe  an  das  Herdfeuer  heran  und  strecken  ihre  Hände  danach  aus  - 
sie  sind  ertrunken;  der  dritte,  Siegmund,  tritt  blutbespritzt  herein  und  trägt  seinen  Kopf 
im  Arm  -  er  ist  erschlagen  worden.  Die  Beschwörung  wird  hier  innerhalb  des  Hauses 
vorgenommen.  Um  das  Herdfeuer  stellt  Thrandr  ein  im  Viereck  geschlossenes  Gehege, 
innerhalb  dessen  er  Platz  nimmt  (r/rindr  fjörar  hetr  haiin  gera  med  fjoriim  honium). 
Das  Gehege    wird    mit    neun  Linien    umzogen    (»/«    reiict    ristr  prdudr  alla  irr/n  >it  frd 


Ganga  til  frettar.  101 

Körpern  gelöst,  so  ist  anziinehmoii,  dass  sie  unter  dem  Zauber  in  Tier- 
gestalt erscheinen  oder  auch  ganz  unsichtbar  bleiben  und  auf  ge- 
heimnisvolle Weise  dem  Fragenden  sich  mitteilen.  —  Yerblasst  die 
Vorstellung  der  ursprünglich  befragten  Wesen,  so  wendet  sich  der  Zauber 
an  alles  Geisterhafte,  was  in  der  dunklen  Nacht  auflebt,  im  Flüstern  der 
Blätter,  dem  Rauschen  des  Wassers,  in  Zeichen  aller  Art  zu  dem  Ver- 
stehenden spricht.  —  Dass  die  ntiseta  auch  im  Norden  —  vielleicht 
ursprünglich  allein  —  an  Gräbern  vorgenommen  wurde,  ist  an  sich 
glaublich  im  Hinblick  auf  die  bekannten  Zeugnisse  aus  den  andern 
germanischen  Gebieten.  Eine  nordische  Stelle  ist  in  diesem  Zusammen- 
hange erwähnenswert:  hinn  fijrva  lut  af  sinnar  var  Iiann  heidinn  oc 
hofdingi  annarra  Uhirkia,  hinn  fnrgazti  at  utisetum  ok  alhkonar  ödädum 
Heil,  manna  s.  2,  411,  15.  Der  Übersetzer  hat  hier  in  eigentümlicher 
Weise  seine  Vorlage  umgebildet,  denn  liinn  fragazti  at  ütisetum  gibt  das 
lat.  sejmkhronim  violator  wieder  (hie  autem  primo  gentilis  fuit,  latronum 
maaimus  et  scpulchrorum  violator,  atque  in  ornnibus  flagitiis  opinatissimus) . 

Auch  i[\eütiseta  kann  mit  einer  bestimmten  Fragestellung  vorgenommen 
werden:  snl  segja  menn,  at  Gunnhildr  .  .  .  k'fi  sitja  üti  til  sigrs  Hdkoni: 
en  fjat  ritradi,  at  peir  skyldi  berjask  cid  Inga  um  nött,  en  aldrigi  um  dag. 
Heimskr.  Hak.  Herd.  Kap.  16  (2.  Hälfte  des  12.  Jahrb.).  Diese  Stelle 
zeigt,  wie  fest  das  norwegische  Volk  diesen  Brauch  bewahrte.  Es  ist 
charakteristisch,  dass  Skidi  auf  seiner  nächtlichen  Traumreise  an  der  Küste 
Norwegens  mit  einem  Manne  in  Streit  gerät,  der  vtiscta  ausübt: 

ütisetuna  eftir  lianyi 

ok  (ctlar  spädöms  leita. 
Skidar.  56.  Sveinn  brjöstreip,  der  stafnbüi  des  Orkneyjarls  Fall  übt 
unter  Christen  den  heidnischen  Brauch  der  ütiseta.  Er  wird  daher,  wie 
das  in  christlich  gefärbter  Erzählung  öfter  vorkommt,  als  ein  Mann  von 
dunklem,  unheimlichem  Äusseren  geschildert  (Fiat.  b.  2,  448  fP.).  Er 
erfährt  durch  die  ütiseta  zukünftige  Dinge,  nach  der  Meinung  der  Christen 
vom  Teufel   selbst.     Als    er    getötet    ist,    erklärt  der  Bischof  das  für  eine 

grindunumj.  Dass  Thrandr  eine  Beschwörungsformel  gebraucht,  wird  nicht  gesagt.  Er 
verbietet  den  Anwesenden,  ihn  anzureden,  und  sitzt  eine  Zeitlang  da,  bis  die  Toten  er- 
sclieineu.  Nach  Beendigung  der  Zauberhandlung  ist  er  ermattet:  ok  eptir  petta  ri'ss 
/»■(indr  at  st'-iiniim  ok  varpar  maniUga  ondunni.  Die  neun  Linien  sollen  natürlich  zum 
Schutze  des  Beschwörers  dienen.  Wenn  der  Sitz  der  isländischen  Richter  von  solchen 
Linien  umzogen  wird,  deren  tberschreiten  Unbefugten  bei  Strafe  rcrboten  ist,  so  darf 
man  auch  hier  an  die  Nachwirkung  der  magischen  Bedeutung  denken;  noch  mehr  gilt 
das  von  der  Umgrenzung  des  Kampfplatzes  beim  Holragang,  Zwei  eingeritzte  Linien  um- 
geben den  Platz  der  Richter:  peir  scolo  rista  reito  11  fyrir  i'da»  pat  er  dijmendr  sitja 
Grägäs  72  cod.  reg.  Der  feldr,  auf  dem  der  Zweikampf  stattfindet,  wird  durch  drei  im 
Viereck  geschlossene  Linien  eingehegt,  das  äusserste  Viereck  ist  ausserdem  durch  vier 
Stäbe  bezeichnet:  prir  reitar  skidu  umhvcrps  feldinn  fds  hreidir,  iH  frd  reif  um  skulu  veru 
ste>i(fr  JV  ok  heita  pat  hQshir  Kormakss.  Kap  10.  Eine  neunfache  Umkreisung  findet  sich 
bei  der  Beschwörung,  die  Romuald  vornimmt  (s.  unten  die  Stelle  aus  der  Mariusaga). 


102  Meissner: 

Landreinigung.  Hiermit  ist  eine  weitere  Entwicklung  der  vtiseta  sclion 
angedeutet,  sie  wird  zur  Teufelsbeschwörung;  dabei  tritt  dann  die  Er- 
fragung zukünftiger  Dinge  mehr  in  den  Hintergrund,  der  Beschwörer  sitzt 
draussen  in  der  Nacht,  um  sich  Reichtum,  Zaubergewalt  u.  a.  zu  ver- 
schaffen. 

Der  ütisefa  entsprechen  gleiche  Bräuche  im  deutschen  Altertum,  die- 
sich  in  mannigfacher  Umbildung  bis  in  die  Gegenwart  erhalten  haben, 
besonders  das  Draussensitzen  auf  Kreuzwegen  (Grimm,  Dt.  Myth." 
Ö.  1069;  Koegel,  Literaturgesch.  1,29;  Wuttke,  Yolksaberglaube^  §359: 
E.  H.  Meyer,  Mythologie  d.  Germanen,  Strassburg  1903,  S.  308;  Golther^ 
Handb.  d.  germ.  Myth.  S.  644  ff).  In  Ideotharsazzo.  hleodarsizzeo,  7iegro- 
manticus  (Gloss.  1,  215,  33)  ist  einmal,  wie  in  ütisefa  das  Sitzen  aus- 
gedrückt, zweitens  wird  angedeutet,  dass  das  Gehör  bei  dieser  Zukunfts- 
erforschung hauptsächlich  beteiligt  ist. 

Auch  bei  den  Japanern  gibt  es  eine  Art  von  Divinatiou  auf  Kreuz- 
wegen. Sie  wird  am  Abend  vorgenommen.  Auf  einem  Kreuzweg  stösst 
der  Frager  einen  Stock  in  den  Boden,  Neben  ihm  nimmt  er  seinen 
Stand  und  sucht  nun  aus  den  Bemerkungen  Vorübergehender,  die  er  er- 
lauscht, die  Antwort  ^auf  seine  Fragen  zu  entnehmen.  Gegen  die  Ein- 
wirkung böser  Geister  schützt  man  sich  durch  ausgestreuten  Reis  (Hastiugs, 
Encyclopaedia  of  Religion  and  Ethics  4,  802  b). 

Eine  ganz  eigentümliche  Divination  wird  im  gäl.  mit  taghainn  be- 
zeichnet. Schon  J.  Grimm  erwähnt  sie  unter  den  Arten  der  Zukunfts- 
erforschung, Dt.  Myth.  *  2,  934.  Eine  poetisch  ausgestaltete  Beschreibung 
gibt  W.  Scott  (The  Lady  of  the  lake  4,  4—5): 

It  is,   because  last  evening-tide 
Brian  an  augury  hath  tried, 
of  that  dread  kind  which  must  not  be 
unless  in  dread  extremity, 

the  taghairm  call'd 

Duncraggan's   milk-white  bull  they  siew. 

bis  reeking  hide 

they  stretch'd  the  cataract  beside, 
whose  waters  their  wild  tumult  toss 
adown  the  black  and  craggy  boss 
of  that  huge  cliff,   whose  ample  verge 
tradition  calis  the  Hero's  Targe. 
Couch'd  on  a  shelve  bencath  its  brink, 
close  where  the  thundering  torrcnts  sink, 
rocking  beneath  their  headlong  sway, 
and  drizzled  by  the  ceaseless  spray, 
midst  groan  of  rock,  and  roar  of  stream, 
the  wizard  waits  prophetic  dream. 
Vgl.    ferner    Mac    Culloch,    The  religion   of  the  ancient  Celts  p.  249: 
Halliday,   Greek  divination  p.  131.     Dalyell   (The   darker   superstitions   of 


Ganga  til  frettar.  103 

Scotland.     Glasgow  1835,  S.  495)   gibt  folgende  Schilderung,    die   in    den 
wesentlichen  Zügen  mit  der  Beschreibung  bei  W.  Scott  übereinstimmt: 

here  the  querent  was  wrapped  in  a  cow's  hide,  his  head  alone  remainin^ 
free,  and  carried  by  assistants  to  a  solitary  spot,  er  left  under  the  arch  formed 
by  the  projected  waters  of  a  cataract;  where  he  continued  during  night,  while 
other  beings  seeming  to  flit  around  him,  he  derived  that  Inspiration  from  them, 
which  he  delivefed  as  an  oracular  reponse  to  his  comrades,  on  the  following  day. 

taghainn  wird  mit  Widerhall,  Echo,   übersetzt.     Darf  man  annehmen, 
dass  auch  hier  die  Offenbarung    durch  das  Gehör  vermittelt  wird?     J.  G. 
Campbell  freilich  (Superstitions  of  the  Highlands  and  Islands  of  Scotland 
p.  311)  gibt  taghait'vi  mit  spirit-call,  the  calling  of  spinU  from  the  vastjj  deep 
wieder.    Der  Verfasser  bemerkt,  dass  diese  Art  der  Divination  jetzt  völlig 
vergessen  ist.  —  Mit  taghairm  wird,    so  berichtet  er  p.  304fF.,    auch    eine 
grässliche  Art  der  Teufelsbeschwörung  bezeichnet,  die  darin  besteht,  dass 
der  Beschwörer  lebende  Katzen    über    dem  Feuer  brät,    bis    der  Böse    in 
Katzengestalt  erscheint,   auf  die  gestellten  Fragen  Antwort  gibt  oder  sich 
zu    den    verlangten  Leistungen  verpflichtet  {gicing  his  supper  to  the  devil). 
Hierzu  vgl.  Roskoff,  Geschichte   des  Teufels  1,  327.     Ein  Meisterlied  dos 
H.  Sachs  im  schwarzen  Tone  Klingsors  erzählt  von  einem  Nigromanticus, 
der  mit  einem  Bürger  wettet,  alle  Katzen  der  Stadt  eines  Nachts  auf  dem 
Markt  zusammenzubringen.   Er  bindet  eine  alte  Katze  an  einen  Bratspiess 
und  zündet  Feuer  um  sie  an,  alle  Katzen  kommen  zusammengelaufen  und 
heulen  mit  der  gequälten.     Hier    ist    die  Beschwörung    zu   einem    'Spass' 
geworden,  freilich  heisst  es  noch:   'und  darnach  sein  peschwerung  sprach' 
(H.  Sachs,  Schwanke  5,  239  ed.  Goetze).     Alle  Wahrscheinlichkeit  spricht 
dafür,  dass  das  Wort  taghairm  auf  diese  Zauberhandlung  erst  übertragen  ist. 
In    hohem   Grade    altertümlich    dagegen    erscheint    die    Divinations- 
handlung,  die  unter  dem  Wasserfall  vorgenommen  wird. 

Die  Verwendung  der  Tierhaut  ist  auch  sonst  vielfach  bezeugt,  besonders 
bei  Incubationsriten,  vgl.  Halliday  a.  a.  O.;  Deubner,  De  incubatione, 
Lpz.  1900,  p.  27.  Der  Fragende  überträgt  auf  sich  die  in  der  Haut 
steckende  magische  Kraft.  Sitzen  auf  der  Tierhaut  bei  einer  ntiseta  be- 
zeugt die  bekannte  Stelle  aus  dem  19.  Buch  der  Canonensammlung  des 
Burchard  v.  Worms:  vel  in  bivio  sedisti  supra  taurinam  cutem,  ut  et  ibi 
futura  tibi  intelligeres  (Friedberg,  Aus  deutschen  Bussbüchern  S.  84). 
Die  Handlung  wird  hier  in  der  Neujahrsnacht  vorgenommen,  die  ja 
überall  als  besonders  zur  Divination  geeignet  gilt.  Unmittelbar  vorher 
wird  das  Sitzen  auf  dem  Dach  erwähnt:  aut  supra  tectum  domus  tuae 
sederes,  ense  tuo  circumsignatus,  nt  ibi  videres  et  intelligeres  quid  tibi 
in  sequenti  anno  futurum  esset.  Abwehrendes  Schwert  und  Tierhaut  finden 
wir  in  einer  nordischen  Legendenübersetzung^): 


1)  Vgl.  S.  IX  in  Ungers  Einleitung.    Die  Legende  fehlt  in  den  von  ihm  eingesehenen 
lateinischen  Sammlungen.  —  Auch  mir  ist  es  bisher  nicht  gelungen,  die  lat.  Vorlage  dieser 


104:  Meissner: 

pd  er  pü  ceiluzt  at  fara  til  hardaga  imöt  lieidmnn  monnum,  pd  ferr  pü  Hl 
sköcjar  nockrs,  Pess  er  nähegr  er  borg  Pinni,  ok  med  per  pjönn  pinn  einn,  sä  er  veit 
med  per  gloep  pinn.  Pü  hdr  pd  bJodga  eina  nautshüd  petiia,  ok  eptir  pat  gjorir 
pü  med  blödreßi  pess  sverdz,  er  pii  ert  gyrdr  nin  reita  iLmhverfis  hüdma  ok  kcedr 
par  yfir  galdra  yßr  peim  reitum.  Eptir  pat  setz  pü  ä  hüdma  ok  koedr  Par  galdra, 
par  til  er  fjändinn  sjdlfr  sf/nilzt  per  ok  vueler  vid  pik  ok  segir  per  pd  hluti,  er  pü 
vilt  rita,  ok  eptir  pat  veitir  kann  p>'r  si7m  krapt,  til  pess  at  pü  sigrizt  i  bardaga  ü 
(h'inutn  ]>ininn.     Mariusaga  730,  11. 

Hier  finden  wir  die  neun  Bannkreise  wieder,  durch  die  aach  Thrandr 
sicli  schützte. 

Ausführlich  und  in  mehreren  Beziehungen  lehrreich  ist  die  Schilderung 
des  Divinationsverfahrens  bei  Jon  Ärnason,  pjödsögur  1,  436.  Die  Zeit  ist 
die  Neujahrs-  oder  Johannesnacht,  der  Ort  ein  Kreuzweg,  von  dem  aus  vier 
Wege,  ohne  sich  weiter  zu  teilen,  zu  vier  Kirchen,  d.  h.  zu  vier  Friedhöfen 
führen.  Ein  uraltertümlicher  Zug  ist  es,  dass  die  Toten  es  sind,  die  ihr  Wissen 
mitzuteilen  gezwungen  werden.  Der  Beschwörer  liegt  wie  beim  taghainn 
eingehüllt  in  eine  Tierhaut  (Rind  oderWalross),  er  hat  eine  Axt  bei  sich,  die 
er  zwischen  den  Händen  hält.  Er  muss  so  bis  zum  Morgengrauen  liegen, 
ohne  sich  zu  rühren,  in  unverbrüchlichem  Schweigen,  stets  auf  die  Schneide 
der  Axt,  nicht  rechts  oder  links  davon  sehen.  Der  alte  Sinn  der  bösen 
Zauber  abwehrenden  Waffe  scheint  hier  vergessen,  man  könnte  fast  denken, 
dass  eine  hypnotisierende  Wirkung  beabsichtigt  ist.  Es  kommen  nun  aus 
den  Friedhöfen  alle  Verwandten  des  Beschwörers,  die  dort  begraben  liegen, 
und   erzählen  ihm,  was  er  wissen  will^). 

Die  Form  des  taghairm,  dass  der  Fragende  unter  den  Bogen  eines 
Wasserfalles  gelegt  wird,  erklärt  sich  aus  dem  uralten  und  weit  ver- 
breiteten Glauben   an    die    wissenspendende    Macht    des  Wassers^).     Über 


Legende  zu  linden,  so  dass  unsicher  bleibt,  was  au  der  Schilderung  der  ütiseta  nordisch 
ist.  Die  Erzählung  geht  aber  jedenfalls  zurück  auf  die  vita  S.  Barbati  (Acta  Sanctorum. 
Februar  o,  139;  krit.  Ausgabe  von  Waitz  in  den  Script,  rerum  Langob.  p.  555). 

1)  Bei  Anzengruber  sitst  der  Schatzgräber  in  der  gleichnamigen  Erzählung  bei  der 
Teufelsbeschwörung  mit  blankem  Schwert  auf  der  Kuhhaut;  ausser  dem  Schwert  hat  er 
noch  zum  Schutz  eine  geweihte  Kerze  bei  sich  (Werke  4,  55).  Interessant  ist  die  Schil- 
derung der  ütiseta  in  Hammershaimbs  F;crosk  Anthologi  (1,  34-2  .  Zweck  der  Beschwörung 
ist  die  Erlangung  von  Reichtümern,  sonst  erinnert  manches  an  die  iHiscta  in  den  islän- 
dischen Volkssagen.  Der  Beschwörer  sitzt  auf  einer  Kalbshaut,  die  er  auf  einen  Kreuz- 
weg gelegt  liat.  Er  muss  eine  Axt  ununterbrochen  schleifen,  darf  seine  Augen  nicht  von 
der  Axt  wegwenden,  was  er  auch  von  den  Trollen  gefragt  wird,  nichts  anderes  sagen  als: 
eg  l-vöki,  cg  kvöki  (ich  schleife,  ich  schleife).  Die  Trolle  versuchen  dann  die  Haut  am 
Schwanz  fortzuziehen:  da  muss  er,  ohne  sich  umzuwenden,  mit  der  Axt  den  Schwanz  ab- 
schlagen, und  die  Axt  darf  niclit  schartig  werden.  Gelingt  ihm  das,  sind  die  Schätze  sein, 
die  von  den  Trollen  um  ihn  aufgehäuft  werden. 

2)  Auch    das  Meer    ist  wissend.     Nach    irischem  Glauben    kann    der  Kundige*  vom 
Strande  aus  einen  Zauber  auf  die  Wogen  legen    und    versteht  dann,    ob  das  Meer    einen 
Toten    beklagt   oder    ein    grosses  Ereignis   verkündet.    Mac  CuUoch,   The  religion  of  the 
ancient  Celts  p.  179.     In  den  schönen  Versen  des  Ynglingatal 
ok  aiistmarr  Gi/mia  Ijöd 

'ofri  soenskum       at  gainni  krcdr 


Gauga  til  fiettar.  1()5 

Incubation  an  heiligen  Quellen  im  Altertum  vgl.  Halliday,  Greek  divi- 
iiation  p.  128  ff.  Zum  taghainn  verweist  er  auf  die  Schilderung  der 
Faunusquelle  bei  Yergil  (Aen.  7,  81  ff.).  Hier  findet  sich  der  magische 
Gebrauch  der  Tierhaut  (des  Opfers  freilich)  wieder: 

huc  dona  sacerdos 
cum   tulit  et  caesarum  ovium  sub  nocte  silenti 
pellibus  incubuit  stratis. 

Die  vseitere  Ausdeutung  gehört  dem  Dichter  an,  der  wohl  überhaupt  hier 
Fremdes  übertrcägt  (Heiuze,  Yergils  epische  Technik  ^  S.  176,  2).  Ein 
Wachen  an  Quellen  wird  bei  den  Angelsachsen  verboten:  si  quis  sortilegia 
vel  divinationes  exerceat,  vel  vigilias  suas  ad  fontem  aliquem  (bis  wa:ccan 
rct  ffinigum  wylle  ha-bbe),  vel  ad  aliam  quamcunque  creaturam,  praeter 
at  Dei  ecclesiam,  habeat.  Ecgberti  Poenitentiale  4,  19.  Zum  Sinn  von 
creatura  vgl.:  ad  fontem  aliquem,  vel  ad  lapidem,  vel  ad  arborem  vel  ad 
alias  quaslibet  creaturas.    2,  22. 

Die  Bewegung  des  Wassers  ruft  die  Vorstellung  eines  bewegenden 
NYesens  hervor.  So  ist  die  aus  der  Erde  rinnende  Quelle,  der  brausende 
Wasserfall  die  Stätte,  wo  man  mit  diesen  Wesen  in  Yerbin-dung  tritt: 
at  ti'üa  d  lundva-ttir  at  sc  /  lundiwi  wda  haugum  ada  forsovi  svd  ok  üti- 
sa'ttar  at  spyria  orlaga  NgL  2,  308  (neueres  Christenrecht  des  Gulap).  Die 
Erwähnung  der  ütisetu  an  dieser  Stelle  weist  darauf  hin,  dass  man  sich 
auch  im  Norden  an  die  im  Wasserfall  Hausenden  fragend  wandte.  Ein 
isländischer  Wasserfallverehrer  ist  porsteinn  raud;nefr:  liann  hlötadi  forsinii 
....  liami  rar  ok  framspin  mjok.     Landn.  110,   15  F.  I. 

Wie  der  Seher,  so  empfängt  auch  der  Dichter  oder  ^lusiker  seine 
Gabe  vom  Wasser  oder  den  an  das  Wasser  gebundenen  Wesen.  Der  norw. 
Fossegrim,  der  das  Geigenspiel  lehrt,  wohnt  im  Wasserfall.  Ganz  an  den 
gälischen  Brauch  des  taghainn  erinnert  die  leider  lückenhaft  überlieferte  Stelle 
am  Anfang  der  Jömsvikingadräpa  des  Bischofs  Bjarni  Kolbeinsson,  und  es 
ist  wohl  kein  Zufall,  dass  dies  Zeugnis  gerade  von  den  an  der  schottischen 
Küste  gelegenen  Orkneys  stammt: 

vaskak  f[rödrj  und  forsinn 
fdrk  aldregi  at  goldrum. 

Hier  wird  das  Wissen  wie  beim  taghairni  durch  das  Sitzen  unter 
dem  Wasserfall  erworben,  es  ist  eine  Zauberhandlung,  bei  der  die  Yor- 
stellung  eines  im  Wasserfall  hausenden,  menschenähnlich  gedachten 
Wesens  nicht  vorausgesetzt  zu  werden  braucht. 

liegt  wohl  mehr  als  die  moderne  Vorstellung  vom  'Lied  der  Wogen'.  Das  Lied  hat 
wirklich  einen  InhaU,  der  von  dem  Toten  in  seinem  Grabe  am  Strande  verstanden  wird. 
Wie  bei  den  Gewässern  des  Landes  wird  auch  beim  Meer  dann  das  Wissen  übertragen  auf 
die  im  Wasser  lebenden  Wesen,  vgl.  die  nordischen  Sagen  vom  murinennill. 

Bonn. 


106  Schläger: 

Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung. 

Von  Georg  Schläger. 

Yorbemerkung. 

Bei  den  Vorarbeiten  zu  einer  knappen,  grundrissmässigen  Darstellung 
des  Kinderliedes  und  -Spieles  empfand  ich  bald,  welche  Schwierigkeit 
es  bereiten  würde,  die  grundlegenden  Fragen  in  der  geforderten  Kürze 
und  doch  verständlich  zu  behandeln.  So  viel  nämlich  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten besonders  von  Philosophen  und  Anthropologen  für  die  Erforschung 
des  Spiels  geleistet  worden  ist,  so  fehlt  es  doch  an  einer  kürzeren  Zu- 
sammenfassung des  weitschichtigen  Stoffes  unter  dem  Hauptgesichtspunkt, 
von  den  gewonnenen  Grundlagen  aus  den  Weg  zur  Beurteilung  der 
einzelnen  volkskundlich  wichtigen  Spielgruppen  so  deutlich  wie  möglich 
zu  bezeichnen.  Ich  habe  mich  deswegen  entschlossen,  zur  Entlastung  mei- 
ner späteren  Arbeit  ein  paar  vorbereitende  Aufsätze  zu  schreiben  und  sie 
den  Lesern  dieser  Zeitschrift  zu  unterbreiten. 

I.   Über  Wesen  und  Ursprung  des  Spieles. 

Die  wissenschaftliche,  auf  den  Kern  des  Wesens  zielende  Betrachtung 
des  Spiels  scheint  mit  Kant^)  zu  beginnen.  In  der  nachgelassenen  Schrift 
über  Pädagogik  (§§  64,  66)  bezeichnet  Kant  treffsicher  zwei  Merkmale, 
die  sich  auf  lange  hinaus  als  besonders  bedeutsam  erwiesen  haben:  das 
Spiel  ist  freie,  selbstgewählte  Beschäftigung,  und  es  ist  Selbstzweck. 
Dahin  gehört  z.  B.  das  Spazierengehen:  wer  nur  im  Gehen  selbst  Zweck 
und  Genuss  sucht,  wird  sich  auch  Zeit  nehmen  und  behaglichen  Um- 
weg nicht  scheuen,  wem  aber  Arbeit  oder  erwartete  Gesellschaft  das  Ziel 
vorschreibt,  der  wird  gern  den  kürzesten  Weg  wählen.  —  Und  in  der 
Kritik  der  Urteilskraft  finden  wir  wenigstens  andeutungsweise  einen  der 
wichtigsten  Zusammenhänge  aufgewiesen.  Der  ästhetische  Sinn,  dem  Kant 
seinen  Platz  zwischen  Erkenntnis-  und  Begehrungsvermögen  anweist,  hat 
mit  diesen  beiden  nichts  zu  tun,  sondern  'beruht  lediglich  in  Lust  und 
Unlust:  er  forscht  nicht,  er  fordert  nicht,  er  urteilt  in  reiner  Betrachtung, 
ohne  Zweckvorstellung,  mit  „freiem  und  uninteressiertem  Wohlgefallen". 
Besonders  scharf  bezeichnet  sich  die  Grenze  gegen  die  Welt  der  sittlichen 
Forderungen.  Die  moralische  Denkungsart  „enthält  ein  Gebot  und  bringt 
ein  Bedürfnis  hervor,  da  hingegen  der  sittliche  Geschmack  mit  den  Gegen- 
ständen des  Wohlgefallens  nur  spielt,  ohne  sich  an  eines  zu  hängen" 
(§  5,  Schluss).  Hier  ist  mit  genialem  Tiefblick  die  innere  Verwandtschaft, 
ja  Wesensgleichheit  von  Spiel  und  Kunst  erkannt. 


1)  Vgl.  K.  Fischer,  Geschichte  der  neueren  Philosophie  ö'*,  Heidelberg  1S99,  S.  410  bis 
447.  —  Über  die  nachkantischen  Auffassungen  Tgl.  R.  Eisler,  Wörterbuch  der  philosophi- 
schen Bpgriffe^  Berlin  1910,  unter  'Spiel'. 


Einige  CTi-undfragen  der  Kinderspielforschung.  107 

Kants  Andeutungen  hat  Schiller^)  in  den  Briefen  über  die  ästhetische 
Erziehung  des  Menschen  weitergebiklet.  Es  gibt  zwei  gegensätzliche 
Grundtriebe  unserer  sinnlich-vernünftigen  Natur,  die  jeder  für  sich  unser 
Leben  einseitig  anspannen:  der  sinnliche  Trieb  (Sachtrieb)  gibt  sich 
der  Natur  mit  ihren  Kräften  hin,  der  Form  trieb  will  Gesetz  und  Not- 
wendigkeit in  die  ungestalte  Masse  der  'Empfindungen'  bringen,  sie  be- 
herrschen. Aus  ihrem  gleichstarken  Wirken  gegeneinander  ergibt  sich 
aber  sofort  ihre  Versöhnung  in  einem  mittleren,  dem  'ästhetischen'  Zu- 
stande, den  wir  einem  dritten,  vermittelnden  Triebe  verdanken,  dem  Spiel- 
trieb. Dieser  ästhetische  Zustand,  der  frei  und  uninteressiert  in  reiner 
Betrachtung  aufgeht,  lässt  sich  bildlich  so  darstellen,  dass  beide  Wagschalen 
nicht  etwa  leer,  sondern  mit  gleichem  Gewichte  beschwert  einander  gleich- 
schweben; Ergebnis  und  zugleich  ausschliesslicher  Gegenstand  ist  die 
Schönheit.  In  diesem  freien  Spiele  der  Phantasie  mit  der  blossen  Form 
der  Dinge  erhebt  sich  der  Mensch  aus  der  einseitigen  Herrschaft  der  bei- 
den Gruudtriebe,  aus  Ideenzwang  und  Sinnenrausch  zur  Freiheit,  zur 
wahren  'Menschheit'.  Dieser  Zustand  ist  freilich  nirgends  rein  vorhandeu. 
aber  das  Spiel  („alles  das,  was  weder  subjektiv  noch  objektiv  zufällig  ist 
und  doch  weder  äusserlich  noch  innerlich  nötigt"  Brief  15)  kommt  ihm 
am  nächsten.  So  gipfelt  Schillers  Gedankenreihe  in  dem  berühmten  Aus- 
spruch: „Der  Mensch  spielt  nur.  wo  er  in  voller  Bedeutung  des  Worts 
Mensch  ist,  und  er  ist  nur  da  ganz  Mensch,  wo  er  spielt"  (Brief  15} 
Über  Kant  hinaus  sucht  Schiller  von  der  blossen  Wesensbestimmung 
zu  den  W^urzeln  des  Spieles  -vorzudringen.  Er  hat  auf  den  Kraftüber- 
schuss  hingewiesen  (Brief  "27)  —  ausdrücklich  zwar  nur  für  das  Tier — .  und 
damit  einen  weiteren  Angelpunkt  späterer  Forschung  vorausbezeichnet. 

Betrachten  wir  Schillers  geschlossene  Gedankenkette,  so  ist  es  deut- 
lich, dass  er  das  gesamte  Reich  der  Kunst  und  vornehmlich  die  Dicht- 
kunst vor  Augen  hat:  man  halte  zu  dem  angeführten  Ausspruch  sein  ge- 
legentliches Wort:  „Der  Dichter  ist  der  einzige  wahre  Mensch,  und  der 
beste  Philosoph  ist  nur  eine  Karikatur  gegen  ihn"  ^).  Ob  er  das  eigent- 
liche Kinderspiel,  ja  überhaupt  das  Spiel  im  landläufigen  Sinne  der  Be- 
achtung für  w^ert  hält,  ist  eine  andere  Frage  („Freilich  dürfen  wir  uns 
hier  nicht  an  die  Spiele  erinnern,  die  in  dem  wirklichen  Leben  im  Gange 
sind  und  die  sich  gewöhnlich  nur  auf  sehr  materielle  Gegenstände  richten; 
aber  in  dem  wirklichen  Leben  würden  wir  auch  die  Schönheit  vergebens 
sucheii,  von  der  hier  die  Rede  ist"  Brief  15);  er  denkt  weit  mehr  an  die- 
Erziehung  des  Wilden  zur  Kultur,  den  „Eintritt  in  die  Menschheit"  (Brief  ^i)) 
als  an  den  Entwicklungsgang  des  Kindes  zur  Reife,  und  es  seheint,    dass 


1)  Vgl.  K.  Fischer,    Schiller  als    Philosoph  2,   Heidelberg  1892,  S.  306—310;    Groos 
Spiele  der  Tiere  ^  S.  2. 

2)  E.  Kühnemann,  Schiller  \  Münclicn  1908,  S.  395. 


108  Schläger: 

■er  das  Kind  nur  vergleichsweise  heranzieht  („In  seinem  [des  Geschmacks] 
Gebiete  miiss  auch  der  mächtigste  Genius  sich  seiner  Hoheit  begeben  und 
zu  dem  Kindersinn  vertraulich  herniedersteigen"  Brief  27).  An  die  aller- 
ersten Kinderspiele  aber,  von  denen  eine  entwicklungsgeschichtliche  Be- 
trachtung otfenbar  ausgehen  muss,  hat  Schiller  überhaupt  nicht  gedacht, 
sie  würden  für  ihn  sicherlich  unter  den  sinnlichen  Trieb  fallen,  der  ja  zu- 
erst wirksam  wird  (Brief  20,  Anfang).  Und  doch:  betrachten  wir  die  lösende, 
beruliigende  Wirkung  auch  der  ersten  Spiele,  den  Zustand  völliger  Aus- 
gleichung des  Gemüts,  so  fordert  uns  Schillers  Gedankengang  unwillkürlich 
zur  Weiterfüln^ung  auf.  Wir  können  nicht  dabei  stehen  bleiben,  dass  der 
Spieltrieb  erst  mit  dem  Erwachen  des  Bewusstseins  wirke,  wie  es  für 
Schillers  idealistisch-selbstherrliche  Denkweise  der  Fall  sein  muss  (Brief  20): 
wohl  aber  scheint  es  ganz  einleuchtend,  dass  schon  im  unbewussten  Spiel- 
zustand die  Beunruhigung  durch  äussere  Eindrücke  und  die  erste  gestaltende 
Verarbeitung  einander  aufs  glücklichste  die  Wage  lialten.  Auf  das  ent- 
wickelte Kinderspiel  gar  lässt  sich  Schillers  Deutung  ohne  allen  Zwang 
anwenden.  Hier  ist  in  der  Tat  der  Stoff  ohne  einseitige  Anspannung 
bewältigt,  „der  Stoff  durch  die  Form  vertilgt"  (Brief  22):  die  spielen- 
den Kinder  fülilen  sicli  ebensowohl  als  Empfangende  wie  als  Gebende  und 
ünden  so  immer  wieder  volles  Genügen,  während  man  doch  erwarten  könnte, 
dass  die  beständige  AViederkehr  sie  langweile.  Man  beobachte  ein  Kind, 
das  in  ein  noch  unbekanntes  Spiel  Idneingezogen  wdrd:  eine  kurze  Zeit 
lang  spielt  es  noch  nicht,  sondern  lernt  in  erkennbarer  Spannung,  dann 
aber  ist  ihm  das  Neue  sogleich  völlig  zum  inneren  Eigentum  geworden, 
so  dass  es  binnen  kurzem  vergessen  haben  kann,  wie  neu  die  Bekannt- 
schaft ist  —  was  den  nachspürenden  Sammler  oft  genug  in  Verlegenheit 
bringt.  A\'ie  wenig  der  bekannte  Stoff  den  Reiz  des  Spieles  mindert,  das 
zeigt  sich  besonders  deutlich  an  den  Rätselspielen;  wie  wenig  das  Kind 
dem  Stoff  unterworfen  ist,  das  beweist  die  Art,  wie  es  in  jedem  Augenblick 
aus  dem  Schein  zur  Wirklichkeit  zurückkehren  kann. 

Mag  also  Schillers  vermittelnder  'Spieltrieb',  nändich  seine  Entstehung 
aus  oder  sein  Verhältnis  zu  den  beiden  'Grundtrieben"  nicht  ganz  klar  her- 
ausgearbeitet sein,  und  müssen  wir  auch  den  Ausgangspunkt  und  die  selbst- 
herrliclie  Begrenzung  al>lehneu,  so  hat  Schiller  doch  die  spätere  Erkennt- 
nis gefördert  wie  kein  anderer.  Für  die  neueren  Untersuchungen  über 
das  Wesen  der  Kunst  hat  sich  die  Gleichsetzung  von  Spiel  und  Kunst  als 
besonders  fruchtbar  erwiesen i).  ^ 

1)  E.  Grosse,  Die  Anfänge  der  Kanst,  Freiburg  und  Leipzig  1894,  fasst  das  Spiel 
als  eine  Übergangsform  zwischen  praktischer  Tätigkeit  und  Kunst,  setzt  aber  Spieltrieb  und 
künstlerischen  Trieb  im  wesentlichen  gleich  S.  40,29-4;.  Folgericiitiger  bezeichnen  K.  Lange, 
Das  Wesen  der  Kunst,  Berlin  1901,  und  K.  Groos,  Der  ästhetische  Genuss,  Giessen  190'2, 
die  Kunst  als  ein  besonders  entwickeltes,  verfeinertes  Spiel.  Vgl.  dazu  die  naheliegenden, 
iibcr  nicht  durchschlagenden  Einwände  W.  Wundts,  Grundzüge  der  physiologischen  Psycho- 


Einige  (Trundf ragen  der  Kinderspielforscliung.  109 

Völlig  von  den  beiden  Leitgedanken  des  Kraftüberschusses  und  der 
Nachahmung  beherrscht  ist  H.  Öpenceri)  (Prinzipien  der  Psychologie 
§§  533  f.,  dazu  Prinzipien  der  Soziologie  §§  48,  56),  der  übrigens  auch  die 
Verwandtschaft  des  Spieltriebes  mit  dem  ästhetischen  Triebe  gelten  lässt. 
Die  richtige  Beobachtung,  dass  im  Tierreich  das  Spiel  wesentlich  den 
höheren  und  höchsten  Gattungen  eignet,  führt  Spencer  zu  der  Annahme, 
dass  diese  nicht  alle  ihre  so  vielseitig  ausgebildeten  Kräfte  auf  einmal  zur 
Erhaltung  des  Lebens  beschäftigen  können  und  demnach  in  langen  Ruhe- 
zeiten grosse  Vorräte  an  Lebenskraft  aufspeichern,  die  aucli  olme  ernsten 
Aulass  zur  Betätigung  drängen  und  sich  im  Spiel  entladen.  Das  Spiel 
aber  stellt  sich  nach  Spencer  als  eine  Nachahmung  der  ernsthaften  Be- 
tätigung der  Kräfte  dar:  so  spielt  das  Kätzchen  mit  dem  Knäuel,  als  wenn 
es  eine  Maus  wäre,  und  so  sind  die  Kinderspiele  „lauter  Dramatisierungen 
der  Tätigkeiten  Erwachsener". 

Dass  Spencers  —  übrigens  sehr  wichtige  und  fruchtbare  —  Leitgedan- 
ken nicht  an  die  Wurzeln  des  Spieles  rühren,  lässt  sich  rasch  dartun.  Auch 
auf  ermüdete  und  zwar  vom  Spiel  ermüdete  Tiere  übt  derselbe  Reiz  immer 
wieder  eine  anfeuernde  Wirkung  aus;  und  Kinder,  die  vom  langen  Marsche 
schwer  ermattet  waren,  sind   am   Rastziel  fast  augenblicklich   für  ein  an- 


logie»  3,  Leipzig  1911,  S.  18G  f.  Auch  was  Wuudt  im  3.  Bande  seiner  Völkerpsychologie  % 
Leipzig  'l908,  über  die  'bewusste  Selbsttäuscliung'  sagt,  scheint  mir  die  Frage  zu  kurz  ab- 
zutun.  Während  er  zunächst  /S.  76)  den  Widerspruch  zwischen  Phantasie  und  Wissen 
beim  Kinde  vollständig  anerkennt,  will  er  weiterhin  ,S.  81  f.;  überhaupt  keine  Selbsttäuschung 
gelten  lassen:  „Das  dem  Spiel  dienende  Phantom  unterliegt  weder  einer  täuschenden  Um- 
wandlung, noch  soll  es  ein    stellvertretendes  Zeichen  sein,  sondern  es  wirkt  lediglich  als 

ein  Reiz,  der  das  dem  wirklichen  Gegenstand  anhaftende  Gefühl  auslöst Dazu  muss 

allerdings  eine  wenn  auch  noch  so  lose  Beziehung  lu  dem  Gegenstand  exis'tieren''.  So  wäre 
dem  Puppenmüttercheu  das  Stück  Holz,  an  das  es  seine  Zärtlichkeit  verschwendet,  gar 
kein  Abbild  des  Kindes  oder  auch  nur  der  Puppe?  Soll  man  wirklich  annelimen,  dass 
es  einen  so  starken  Reiz  ausüben  kann  lediglich  weil  es  Ifinglich  ist,  oder  weil  es  sich 
etwa  in  Tücher  einwickeln  lässt  —  was  übrigens  doch  wohl  die  Umgestaltung  durch  die 
Phantasie  schon  voraussetzen  würde?  Mir  scheint  umgekehrt,  dass  der  Anreiz  von  der 
Phantasievorstellung  ausgeht,  und  dass  eben  die  strömende  Gefühlswärme,  die  Wundt  mit 
Recht  betont,  stark  genug  ist,  um  dem  formlosen  Holzstück  die  wohlbekannten  Züge  zu 
verleihen.  Koramt  es  doch  sogar  vor,  dass  ein  Kind  das  Nichts  zum  Spielzeug  erhebt, 
z.  B.  bloss  die  Arme  schaukelnd  bewegt:  wo  soll  da  die  „Beziehung  zu  dem  Gegenstand", 
der  „Reiz  des  Phantoms"  zu  linden  sein?  Grade  diese  Beobachtung  macht  es  mir  unmög- 
lich, mit  Wundt  (ebenda  S.  lOi*;  den  Unterschied  zwischen  Spiel  und  Kunst  darin  zu  suchen, 
dass  jenes  nur  unmittelbar  der  Umgebung  entnommene  Gegenstände  oder  „Erzeugnisse 
einer  ausserhalb  liegenden  Kunstfertigkeit"  verwende,  während  diese  ihre  Gegenstände 
selber  schaffe.  Dies  tut  auch  das  spielende  Kind,  aber  es  bleibt  bei  dem  inneren  Bilde 
stehen,  weil  es  eine  treue  äussere  Nachbildung  weder  herstellen  kann  noch  überhaupt  braucht. 
1)  Vgl.  bes.  Groos,  Spiele  der  Tiere«  S.  3-22.  —  H.  A.  Carr  The  survival  values 
of  play,  Univ.  Colorado  1902;  dazu  Groos,  Das  Seelenleben  des  Kindes  S.  58ff.)  ersetzt 
den  Kraftüberschuss  durch  die  im  jugendlichen  Alter  besonders  ausgeprägte,  von  innen 
heraus  gespeiste  Erregbarkeit  (Groos  erinnert  an  den  Typus  'Zappelphilipp').  Beim 
Tiere  leuchtet  aber  diese  Erklärung  nicht  recht  ein.  Im  Grunde  führt  sie  nicht  weiter  als 
die  allgemeinere  aus  dem  Betätigungsdrange. 


110  Schläger: 

strengendes  BeweguDgsspiel  zu  liaben,  wie  jeder  erfahrene  Lehrer  bestäti- 
gen wird.  Hier  versagt  die  Erklärung  aus  dem  Kraffcüberschuss.  Ander- 
seits können  die  ersten  Spiele  der  jungen  Tiere  und  Säuglinge  unmöglich 
unter  die  Nachahmung  im  eigentlichen  Sinne  gehören,  weder  unter  die 
-eigner  vorausgegangener  Ernsthandlungen  noch  unter  die  des  Treibens 
Erwachsener.  Somit  enthüllt  sich  hier  der  Hauptmangel  der  älteren  For- 
schung: sie  ist  zu  einseitig  vom  entwickelten  Spiele  der  grösseren  Kinder 
und  der  Erwachsenen  ausgegangen,  das  in  Wahrheit  nichts  weniger  als 
•einheitlich,  vielmehr  aus  den  mannigfaltigsten  Lebensäusserungen  zusammen- 
geflossen ist.  Der  Kraftüberschuss  gibt  sicherlich  eine  besonders  günstige 
Stimmung  für  das  Spiel,  und  die  Nachahmung  bringt  den  Spielanfängen 
neue  Entwicklungsraöglichkeiten,  genau  wie  auch  den  anderen  Zweigen 
des  Geisteslebens;  weiter  aber  reicht  ihre  Bedeutung  nicht. 

Die  „Nachahmung  zwecktätiger  Willenshandlungen''  stellt  auch 
W.  Wundt  (Vorlesungen  über  die  Menschen-  und  Tierseele*,  Hamburg 
und  Leipzig  1906,  Yorl.  24)  in  den  Vordergrund;  er  würde  damit  den 
Bereich  des  Spieles  seltsam  einschränken,  wenn  er  nicht  anderseits  dem 
Begriff  der  Nachahmung  eine  unerwünschte  Ausdehnung  gäbe.  Wundt 
spricht  von  einer  „unbewussten  und  unbeabsichtigten"  Nachahmung  und 
lässt  somit  eine  ganze  Reihe  auf  ererbten  Anlagen  beruhender  Spiele 
gelten,  indem  er  sie  als  Reflexe  von  Ernsthandlungen  der  Vorfahren  er- 
klärt^). —  Als  natürliche  Folgerung  ergibt  sich,  dass  das  Spiel  jünger 
sein  muss  als  die  ernsthaften  Triebäusserungen;  an  anderer  Stelle  hat 
Wundt  hierfür  das  Wort  geprägt,  das  Spiel  sei  „das  Kind  der  Arbeit". 
Hierüber  wird  noch  zu  handeln  sein,  s.  S.  113  Anm.  2. 

Neben  die  Erklärung  des  Spiels  aus  dem  Kraftüberschuss  sind  später 
zwei  andere,  weniger  bedeutungsvolle  getreten:  J.  Seh  all  er  (Das  Spiel 
und  die  Spiele,  Weimar  18(Jl).  M.Lazarus  (Über  die  Reize  des  Spiels, 
Berlin  1884),  H.  Steinthal  (Zu  Bibel  und  Religionsphilosophie,  N.  F. 
Berlin  1895.  S.  249f.)  nehmen  die  Erholung  zum  Ausgangspunkt;  K.  Lange 
(Das  Wesen  der  Kunst,  Berlin  1901,  '2,  Kap.  16)  erblickt  in  Spiel  und 
Kunst  eine  Ergänzung  zu  den  einseitigen  Anforderungen  des  Lebens. 
Beide  Auffassungen  gelten  nicht  oder  nur  wenig  für  das  Spiel  des  kleineren 
Kindes,  das  sich  von  der  Arbeit  noch  nicht  gesondert  hat^). 


1)  Wundts  Wortgebrauch  kann  zu  Unklarheiten  führen,  zumal  er  sonst  (ebenda 
Vorl.  27)  die  Nachahmung  nur  zu  den  erworbenen,  nicht  zu  den  angeborenen  Instinkt- 
handlungen rechnet.  —  Als  wenig  empfehlenswerte  Einengung  erscheint  es  mir  auch, 
dass  Wundt  die  Tierspiele  lediglich  als  Kampfspiele  gelten  lassen  will.  Wie  schnell  und 
unmerklich  kann  reine  Stimmungsäusserung  zum  Spiele  werden  I  Warum  das  fröhliche 
Herumjagen  eines  Hundes  weniger  Spiel  sein  soll  als  wenn  ein  zweiter  hinzukommt 
(a  a.  0.  S.  427),  vermag  ich  nicht  einzusehen.  —  Für  die  ganze  Frage  vgl.  Groos,  Spiele 
der  Tiere*  S.  9,  Spiele  der  Menschen  S.  491  f. 

2)  Spiele  der  Menschen  S.  471  ff.,  Spiele  der  Tiere  »  S.  16. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  111 

Ganz  neue  Anregungen  brachte  die  planmässige  Kinderbeobachtung, 
wie  sie  vor  allem  seit  W.  Preyers  bahnbrechendem  Buch  1882  eingesetzt 
hat^).  Abgesehen  von  der  grossen  Fülle  zuverlässigen  Stoffes,  hat  sich  der 
ennvicklungsgeschichtliche  Gedanke  als  ungemein  fruchtbar  erwiesen.  Das 
Augenmerk  richtete  sich  auf  das  Spiel  im  Verhältnis  zur  Entwicklung  des 
Einzelwesens  und  der  Gattung,  kurz  gesagt,  auf  die  biologische  Be- 
deutung des  Spiels.  Auf  diesem  Boden  sind  die  neueren  Hauptwerke  über 
das  Spiel  erwachsen:  K.  Groos,  Die  Spiele  der  Tiere,  Jena  1896,  ^1907; 
Die  Spiele  der  Menschen,  Jena  1899^). 

Groos'  biologische  Erklärungsweise,  dieYor-  oder  Einübungstheorie, 
gipfelt  in  folgender  Gedankenreihe.  Bei  den  höchststehenden  Lebe- 
wesen sind  die  angeborenen  Anlagen  an  sich  nicht  mehr  stark  genug,  um 
sich  ohne  weiteres  den  Forderungen  des  Lebens  anzupassen;  eine  besondere 
Ausbildung  gewährt  ihnen  unter  dem  Schutze  der  Elternpflege  die  'Jugend- 
zeit'). Innere  und  äussere  Anreize  wirken  so  zusammen,  dem  Einzel- 
wesen immer  neuen  Erwerb  zuzuführen.  ,.Wo  das  heranwachsende  Indi- 
viduum ....  aus  eigenem,  inneren  Drang  heraus  und  ohne  aussen- 
liegende  Zwecke  seine  Anlagen  zur  Betätigung,  Entfaltung  und  Höher- 
entwicklung bringt,  da  haben  wir  die  ursprünglichste  Erscheinung  des 
Spieles  vor  uns"  (Sp.  d.  Tiere  S.  74).  Den  inneren  Antrieb  verstärken 
mannigfaltige    Lustgefühle*)    und     der    im    jugendlichen    Alter    so    aus- 


1)  Hauptwerke:  ^Y.  Prej-er,  Die  Seele  des  Kindes  ',  Leipzig  1908;  K.  Groos,  Das  Seelen- 
leben des  Kindes,  Berlin  190-1;  W.  Stern,  Psychologie  der  frühen  Kindheit  bis  zum  sechs- 
ten Lebensjahre,  Leipzig  1914,  mit  Literaturverzeichnis:  auch  G.  Compayrö,  Die  Entwick- 
lung der  Kindesseele^,  übers,  von  Chr.  Ufer,  Altenburg  1900:  J.  SuUy,  Untersuchungen 
über  die  Kindheit,  übers,  von  J.  Stimpfl,  Leipzig  1897. 

2)  'Weiterhin  abgekürzt:  Sp.  d.  T.,  Sp.  d.  M.  Daiu  noch  K.  Groos,  Der  Lebenswert 
des  Spiels  (Vortrag),  Jena  1910:  G.  A.  Colozza,  Psychologie  und  Pädagogik  des  Kinder- 
spiels .  .  .,  übersetzt  und  durch  Zusätze  und  Anmerkuugen  ergänzt  von  Chr.  Ufer,  Altenburg 
1900:  ferner  die  schon  genannten  Werke  über  das  Seelenleben  des  Kindes. 

3)  Sp.  d.  T.  S.  66  f.,  Sp.  d.  M.  S.  484  f.:  Stern  S.  214  f. 

4^.  Sp.  d.M.S.493ff.  Die  Lust  gilt  von  jeher  als  das  psychologische  Hauptkennzeichen  des 
Spiels,  ja  —  nicht  immer  ohne  Unklarheit  —  als  sein  einziger  Zweck,  während  der  Lustwert  der 
Arbeit  im  Erfolge  liegt  ^Th.  Ziegler,  Das  Gefühl*  S.  236;  Groos,  Der  ästhetische  Genuss  S.  14). 
Die  Frage  verwickelt  sich  aber,  wenn  wir  nach  dem  Ursprung  der  Spiellust  forschen. 
Sicherlich  im  Unrecht  ist  Wundt,  wenn  er  an  der  oben  S.  109  angeführten  Stelle  den  Zweck 
des  Spiels  „in  der  Erweckung  ähnlich  erfreuender  Aflekte"  sucht,  „wie  solche  als  Neben- 
erfolge auch  an  die  ursprünglichen  Handlungen  gebunden  sind".  Wenn  ein  Kind  im  Spiel 
Arznei  schluckt  oder  sich  als  Schüler  prügeln  lässt,  so  liegt  der  Lustwert  sicherlich  nicht 
in  der  Ernsthandlung,  er  kann  sich  erst  mit  ihrer  spielerischen  Nachalimung  einstellen  und 
muss  besonders  erklärt  werden  —  in  diesem  Falle  grad  aus  der  inneren  Erhebung  über  die 
mit  der  Ernsthandlung  verbundenen  Gefühle.  —  Groos  (S.  494  f.)  möchte  das  Spiel  im 
psychologischen  Sinn  erst  dann  beginnen  lassen,  wenn  die  Wiederholung  der  trieb- 
mässigen  Bewegung  zum  Bewusstseiu  der  begleitenden  Lustgefühle  geführt  hat,  sodass 
die  Bewegung  um  dieser  willen  fortgesetzt  wird.  Das  ist  sicherlich  ein  sehr  beachtens- 
werter und  gesunder  Gedanke,  trotz  den  naheliegenden  Einwänden,  dass  man  beim  ganz 
kleinen  Kinde  besser  noch  nicht  von  'Bewusstsein'  sprechen  sollte,  und  dass  man  hier- 
nach beim  einzelnen  Säugling  nicht    unzweideutig    feststellen    kann,  wo  die    triebmässige 


112  Schläger: 

geprägte  Betätigungs-^),  dazu  noch  ein  allgemein  vorhandener  AVieder- 
holuugsdrang*).  Zu  den  höheren  Spielformen  führt  besonders  die  Xacli- 
ahmung^),  die  sich  teils  helfend,  teils  zurückdrängend  zu  den  Instinkt- 
regungen gesellt;  in  dieser  entwickelt  sich  die  phantasievolle  Beseelung 
der  Umwelt*)  und  als  feinste  Übergangserscheinung  die  'bewusste  Selbst- 
täuschung''). Einen  besonderen  Spieltrieb')  braucht  man  nicht  an- 
zunehmen. 

Es  muss  anerkannt  werden,    dass  Groos    den    mannigfaltigen  Fragen, 
vor  die  uns  das  Spiel  stellt,  gründlich  und  allseitig  gerecht  wird,  so  viele 


Ernsthandlung  aufhört  und  das  gleichfalls  noch  triebmässige  Spiel  beginnt:  diese  Ver- 
wischung der  Grenzlinien  liegt  eben  im  Wesen  des  Spieles, s.  o.  S.  llu.  Hier  hätten  wir  also 
bestimmt  anzunehmen,  dass  die  Ernsthandlung  dem  Spiele  vorausgeht,  und  es  leuchtet  ohne 
weiteres  ein,  wie  innig  hier  Spiel  und  Wiederholung  verschwistert  sind  (s.  unten 
Anra.  2;.  Ob  aber  auf  höherer  Stufe,  wenn  Bewusstsein  und  Wahl  die  Oberhand  über 
den  blinken  Trieb  erhalten  haben,  das  zeitliche  Verhältnis  zwischen  Ernsthandlung  und 
Spiel  immer  dasselbe  bleiben  muss,  ist  eine  andere  Frage.  Und  schon  für  jene  Anfänge 
erscheint  es  sicher,  dass  die  spielerische  Wiederholung  gewaltig  fördern  und  jeder  weiteren 
Ernsthandlung  derselben  Art  neuen  höheren  Inhalt  verleihen  muss. 

1)  Oben  S.  109  Anm.  1;  Sp.  d.M.  S.  4S8  f.  497;  E.  Meumann,  Vorlesungen  zur  Ein- 
führung in  die  experimentelle  Pädagogik  M,  Leipzig  1911,  S.  028  f. 

2)  Baldwins  'Zirkuläre  Keaktion',  auch  Selbstnachahmung  genannt,  wobei  der  An- 
reiz lieh  aus  der  Bewegung  ständig  erneut:  Sp.  d.M.  S.  474  f.  494  f.;  Seelenleben  des 
Kinde»  S.  45  f.;  Stern  S.  48;  Compayre- Ufer  S.  222.  Über  die  Wichtigkeit  der  Wieder- 
holung auch  oben  S.  111  Anm.  4  Gute  Beispiele  bei  Preyer  S.  193  f.;  besonders  bezeichnend 
daselbst  die  Beobachtung,  wie  sein  Sohn  im  Alter  von  14  Monaten  ohne  jede  Pause,  also 
doch  wohl  taktmässig,  den  Deckel  einer  Kanne  79  mal  auf-  und  zuklappt  und  dabei  ge- 
spannte Aufmerksamkeit  verrät.  Letzteres  scheint  auf  den  ersten  Blick  gegen  den  Spiel- 
charakter der  Bewegung  zu  sprechen.  Indes  enthüllt  sich  darin  nur  das  Doppelwesen 
solcher  Tätigkeit:  auf  der  einen  Seite  steht  die  Tergnüglich  genossene,  fast  selbsttätig  sich 
abwickelnde  Spielbewegung,  auf  der  auderen  Seite  wird  durch  sie  das  Seelenleben  mächtig 
gefördert,  der  kindliche  Spürsinn  auf  das  Rätsel  von  Ursache  und  Wirkung  hingewiesen.  — 
Auch  die  etymologische  Bedeutung  des  Namens  'Spiel"  lügt  sich  gut  zu  dieser  scharfen 
Betonung  der  Wiederholung:  s.  Deutsches  Wörterbuch  unter 'Spiel';  F.  Kauffmann,  Zeitschr, 
f.  deutsche  Phil.  1916. 

3)  Sp.  d.  M.  S.  360  ff.  486  f.  Sp.d.  T.  S.  70  ff.  Seelenleben  S.  42  f. ;  oben  S.  109  Anm.  1 
unten  S.  114  Anm.  1;  Groos,  Der  ästhetische  Genuss  S.  53  If.  203  f.  stellt  neben  und  vor  die 
äussere  Nachahmung  eine  innere,  die  jene  vielfach  erst  ermöglicht  und  auf  höherer  Stufe 
den  Übergang  zur  'ästhetischen  Einfühlung'  vermittelt;  dazu  Sp.d.   M.  S.  416ff. 

4)  Sp.  d.  M.  S.  498  ff.;  Stern  S.  185 ff.;  Lange  S.  24ff.:  Meumann  S.  .526  ff.  Gute 
Beispiele  auch  bei  Preyer  S.  171  und  Sully-Stimpfl  S.  42 f. 

5)  Langes  Leitgedanke,  s.  o,  S.  110:  Sp.  d.  M.  S.  385.  499  f.;  Stern  S.  158 ff.;  Meumann 
S.  519  f.  Vortreffliches  Beispiel  der  bewussten  Selbsttäuschung  beim  Kinde:  C.  u. W.Stern, 
Die  Kindersprache,  Leipzig  1907,  S.  103  (ein  Kind  von  2  Jahren  und  5  Monaten  gebraucht 
den  Ausdruck  'so  tun'  nicht  nur  bei  spielerischen  Bewegungen,  z.  B.  'so  tun  putzen  beim 
Herumwischen  an  einem  Stuhle,  sondern  bescheidet  sich  sogar  dabei,  Avenn  es  etwa  die 
gewünschte  Schokolade  nicht  bekommt).    S.  a.  Sully-Stimpfl  S.  44 f. 

6)  Er  wird  nach  Groos  durch  die  'Jugendzeit'  ersetzt.  Sp.  d.  M.  S.  488.  Sp.  d.  T. 
S.  69  f.  Seelenleben  S.  67  f.  Auch  Wundt,  Vorlesungen  S.  429  f.  verwirft  den  Spieltrieb; 
anders  Stern  S.  215.  Die  Frage  ist  nicht  zu  trennen  von  dt  r,  ob  Spiel  oder  Ernsthandlung 
das  Frühere,  worüber  S.  111  Anm.  4  und  später  S.  113. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  113 

Zweifel  und  Schwierigkeiten^)  auch  noch  bestehen  und  sich  wohl  nie- 
mals restlos  auflösen  werden.  Wenn  der  Spielbegriff  auch  bei  ihm  nicht 
völlig  eindeutig  heraustritt,  sondern  fliessende  Grenzen  behält,  so  liegt  das 
im  Gegenstande  selbst,  das  Spiel  ist  aus  seinen  Grenzgebieten  nicht  reinlich  zu 
sondern.  Seine  Eigenart  liegt  eben  weit  mehr  in  der  Form  als  im  Stoff;  es 
gibt  in  Wahrheit  kaum  eine  Lebensbetätigung,  die  nicht  zum  Spiele  wer- 
den könnte.  So  ist  es  längst  bemerkt  worden,  dass  die  Arbeit  zum  Spiele 
wird,  wenn  sie  lediglich  um  des  Genusses  willen  betrieben  wird,  den  sie 
aus  sich  selbst  gewährt.  Aber  auch  in  diesem  Fajle  bleibt  sie  doch  in 
erster  Linie  Arbeit.  Ja,  man  darf  sogar  sagen,  dass  für  das  kleinere  Kind 
Spiel  und  Arbeit  noch  nicht  als    getrennte    Betätigungen   bestehen^).     Im 

1)  Wie  weit  es  sich  um  ererbte  oder  vom  einzelnen  erworbene  Triebe,  Anlagen  und 
Eigenschaften  handelt,  wird  je  nach  der  Stellung  zum  Darwinismus  und  seinen  Fortbil- 
dungen (Lamarck,  Weismann)  verschieden  beurteilt.  Vgl.  bes.  Sp.  d.  T.  Kap.  2.  Seelen- 
leben S.  36fF.;  Wundt,  Vorlesungen  S.  468  ff.  —  Mit  den  Vererbungsfragen  steht  in  engem 
Zusammenhang  die  'phylogenetische'  Auffassung,  die  hauptsäclilich  in  Amerika  durch  Stanley 
Hall  u.a.  ausgebildet  worden  ist  ('s.  Seelenleben  8.(39  f.):  dass  uralte,  längst  verschollene 
Kulturformen  im  Spiel  atavistisch  durchschlagen  sollen.  Ich  kann  das  nicht  nachprüfen, 
da  mir  die  wichtigsten  Schriften  über  dieses  Gebiet  nicht  zugänglich  sind;  jedenfalls  scheint 
mir  der  Ausdruck  unglücklich  gewühlt,  denn  es  würde  sich  doch  viel  eher  um 
eine  —  freilich  staunenswerte  —  Zähigkeit  der  Überlieferung,  also  eine  soziale  Wirkung, 
handeln  als  um  einen  Kückschlag,  und  überdies  müssen  sich  in  der  kindlichen  Entwicklung 
ganz  von  selbst  Ähnlichkeiten  mit  der  der  Naturvölker  einstellen  (s.  a.  Sterö,  Psycho!. 
S.  231).  Das  Gesichtbeschmieren  der  Kinder  ist  keine  Nachwirkung  des  Tätowiercns 
uralter  Vorfahren,  sondern  eine  aus  Indianergeschichten  stammende  Spielerei  —  wenn  es 
sich  nicht  vielmehr  auf  ganz  urwüchsige  Spieläusserungen  des  Einzelwesens  (Überraschen, 
Erschrecken)  gründet.     Über  die  'Überlebsel'  wird  später  zu  handeln  sein. 

2)  Spiel  und  Arbeit:  oben  S.  110.  Für  die  Herleitung  des  Spieles  aus  der  Arbeit  tritt 
am  kräftigsten  W.  Wundt  ein.  Ethik*  1,  Stuttgart  1912,  S.  176—180:  Das  Spiel  ist  in 
seinen  vollkommenen  Formen  durchaus  ein  Kind  der  Arbeit."  Das  von  mir  Gesperrte 
gibt  indes  sofort  eine  wichtige  Einschränkung.  W.  lässt  unabhängig  von  der  Arbeit  aus 
eingeborneu  „natürlichen  ästhetischen  Motiven  (besonders  dem  „Gefallen  am  Rhythmus,  am 
Schall  und  Klang,  an  Glanz  und  Farbe"  Lebensäusserungen  erwachsen,  die  man  „in  ge- 
wissem Sinne  als  die  primitiven  Spiele  bezeichnen"  kann,  und  „aus  deren  Verbindung  mit 
den  verschiedensten  Lebensverrichtungen  dann  erst  die  entwickelten  Spiele  hervorgegangen 
Bind-*:  dahin  gehört  vor  allem  der  Tanz,  ,das  ursprünglichste  aller  Spiele",  der  u.  a.  auch 
die  .Arbeitsrhythmen  erzeugt.  So  bekommt  die  ursprünglich  „von  der  Not  des  Lebens 
erzwungene"  Arbeit  Lustwert,  „der  zu  spielender  Wiederholung  antreibt.  Hiermit  entsteht 
die  erste  und  wahrscheinlich  verbreitetste,  jedenfalls  die  dauerndste  Form  des  Spiels : 
das  Arbeitsspiel".  Mir  erscheint  dieser  Gedankengang  erzwungen.  Ich  sehe  nicht 
.recht,  wie  aus  der  Arbeit  auf  diese  Weise  andere  als  die  ganz  eigentlichen  Arbeitsspiele, 
ein  nicht  überwiegend  grosser  Teil  der  Nachahmungsspiele,  erwachsen  sollen  —  es  sei 
denn,  dass  man  unter  'Arbeit'  jede  Ernsthandlung  begreift.  Was  aber  zur  Nachahmung 
der  Arbeit  treibt,  soll  doch  erst  wieder  aus  dem  Spielestammen:  das  verträgt  sich  schlecht 
mit  dem  schlagwortmässig  bezeichneten  Ursprung  des  Spieles  aus  der  Arbeit.  So  kann 
ich  nicht  finden,  dass  die  Arbeit  vor  anderen  spielerisch  nachgeahmten  Betätigungen  etwas 
voraushat.  Soll  es  denn  in  dem  von  W.  gekennzeichneten  Urzustand,  als  die  Arbeit 
nur  Zwang,  nicht  Freude  war,  gar  keine  „entwickelten  Spiele"  gegeben  haben?  Und  hätten 
etwa  die  griechischen  Herrensöhne  mit  Vorliebe  die  Sklaven  in  ihren  Spieleu  nachgeahmt  ? 
Gegenüber  dieser  Herleituug  des  Spieles  aus  der  Arbeit  (und  anderen  Ernsthandlungen) 
ist  es  sehr  bemerkenswert,  dass  K.  Bücher,  der  in  seinem  grundlegenden  Werk  'Arbeit  und 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1917.  Heft  2.  8 


112  Schläger: 

geprägte  Betätigungs-^),  dazu  noch  ein  allgemein  vorhandener  Wieder- 
holungsdrangs).  Zu  den  höheren  Spielformen  führt  besonders  die  Nach- 
ahmung^), die  sich  teils  helfend,  teils  zurückdrängend  zu  den  Instiukt- 
regungen  gesellt;  in  dieser  entwickelt  sich  die  phantasievolle  Beseelung 
der  Umwelt*)  und  als  feinste  Übergangserscheinung  die  'bewusste  Selbst- 
täuschung"*).  Einen  besonderen  Spiel  trieb')  braucht  man  nicht  an- 
zunehmen. 

Es  muss  anerkannt  werden,  dass  Groos  den  mannigfaltigen  Fragen, 
vor  die  uns  das  Spiel  stellt,  gründlich  und  allseitig  gerecht  wird,  so  viele 

Ernsthandlung  aufhört  und  das  gleichfalls  noch  triebmässige  Spiel  beginnt:  diese  Ver- 
\yischung  der  Grenzlinien  liegt  eben  im  Wesen  des  Spieles, s.  o.  S.  110.  Hier  hätten  wir  also 
bestimmt  anzunehmen,  dass  die  Ernsthandlung  dem  Spiele  vorausgeht,  und  es  leuchtet  ohne 
weiteres  ein,  wie  innig  hier  Spiel  und  Wiederholung  verschwistert  sind  (s.  unten 
Anra.  2\  Ob  aber  auf  höherer  Stufe,  wenn  Bewusstsein  und  Wahl  dio  Oberhand  über 
den  blinken  Trieb  erhalten  haben,  das  zeitliche  Verhältnis  zwischen  Ernsthandlung  und 
Spiel  immer  dasselbe  bleiben  muss,  ist  eine  andere  Frage.  Und  schon  für  jene  Anfänge 
erscheint  es  sicher,  dass  die  spielerische  Wiederholung  gewaltig  fördern  und  jeder  weiteren 
Ernsthandlung  derselben  Art  neuen  höheren  Inhalt  verleihen  muss. 

1)  Oben  S.  109  Anm.  1;  Sp.  d.M.  S.  4S8  f.  497;  E.  Meumann,  Vorlesungen  zur  Ein- 
führung in  die  experimentelle  Pädagogik  M,  Leipzig  1911,  S.  J28  f. 

2)  Baldwins  'Zirkuläre  Reaktion',  auch  Selbstnachahmung  genannt,  wobei  der  An- 
reiz sich  aus  der  Bewegung  ständig  erneut:  Sp.  d.M.  S.  474  f.  494  f.;  Seelenleben  des 
Kindeg  S.  45f.;  Stern  S.  48;  Compayre- Ufer  S.  222.  Über  die  Wichtigkeit  der  Wieder- 
holung auch  oben  S.  111  Anm.  4  Gute  Beispiele  bei  Preyer  S.  193  f.;  besonders  bezeichnend 
daselbst  die  Beobachtung,  wie  sein  Sohn  im  Alter  von  14  Monaten  ohne  jede  Pause,  also 
doch  wohl  taktmässig,  den  Deckel  einer  Kanne  79  mal  auf-  und  zuklappt  und  dabei  ge- 
spannte Aufmerksamkeit  verrät.  Letzteres  scheint  auf  den  ersten  Blick  gegen  den  Spiel- 
charakter der  Bewegung  zu  iprechen.  Indes  enthüllt  sich  darin  nur  das  Doppelwesen 
solcher  Tätigkeit:  auf  der  einen  Seite  steht  die  tergnüglich  genossene,  fast  selbsttätig  sich 
abwickelnde  Spielbewegung,  auf  der  anderen  Seite  wird  durch  sie  das  Seelenleben  mächtig 
gefördert,  der  kindliche  Spürsinn  auf  das  Rätsel  von  Ursache  und  Wirkung  hingewiesen.  — 
Auch  die  etymologische  Bedeutung  des  Namens  'Spiel"  lügt  sich  gut  zu  dieser  scharfen 
Betonung  der  Wiederholung:  s.  Deutsches  Wörterbuch  unter 'Spiel';  F.  Kauffmann,  Zeitschr. 
f.  deutsche  Phil.  1916. 

3)  Sp.  d.  M.  S.  360  ff.  486  f.  Sp.  d.  T.  S.  70  ff.  Seelenleben  S.  42  f. ;  oben  S.  109  Anm.  1 
unten  S.  114  Anm.  1;  Groos,  Der  ästhetische  Genuss  S.  53  £F.  203  f.  stellt  neben  und  vor  die 
äussere  Nachahmung  eine  innere,  die  jene  Tielfach  erst  ermöglicht  und  auf  höherer  Stufe 
den  Übergang  zur  'ästhetischen  Einfühlung'  vermittelt;  dazu  Sp.  d.   M.  S. 416  ff. 

4)  Sp.  d.  M.  S.  498  ff.;  Stern  S.  185 ff.;  Lange  S.  24ff.:  Meumann  S.  526  fl\  Gute 
Beispiele  auch  bei  Preyer  S.  171  und  Sully-Stimpfl  S.  42f. 

5)  Langes  Leitgedanke,  s.  o.  S.  110:  Sp.  d.  M.  S.  385.  499  f.:  Stern  S.  158 ff.;  Meumann 
S.  519  f.  Vortreffliches  Beispiel  der  bewussten  Selbsttäusciiung  beim  Kinde:  C.  u. W.Stern, 
Die  Kindersprache,  Leipzig  1907,  S.  103  (ein  Kind  von  2  Jahren  und  5  Monaten  gebraucht 
den  Ausdruck  'so  tun'  nicht  nur  bei  spielerischen  Bewegungen,  z.  B.  'so  tun  putzen"  beim 
Herumwischen  an  einem  Stuhle,  sondern  bescheidet  sich  sogar  dabei,  wenn  es  etwa  die 
gewünschte  Schokolade  nicht  bekommt).    S.  a.  Sully-Stimpfl  S.  44 f. 

6)  Er  wird  nach  Groos  durch  die  'Jugendzeit'  ersetzt.  Sp.  d.  M.  S.  488.  Sp.  d.  T. 
S.  69f.  Seelenleben  S.  67  f.  Auch  Wundt,  Vorlesungen  S.  429  f.  verwirft  den  Spieltrieb; 
anders  Stern  S.  215.  Die  Frage  ist  nicht  zu  trennen  von  dir,  ob  Spiel  oder  Ernsthandluug 
das  Frühere,  worüber  S.  111  Anm.  4  und  später  S.  113. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  113 

Zweifel  und  Schwierigkeiten^)  auch  noch  bestehen  und  sich  wohl  nie- 
mals restlos  auflösen  werden.  Wenn  der  Spielbegriff  auch  bei  ihm  nicht 
völlig  eindeutig  heraustritt,  sondern  fliessende  Grenzen  behält,  so  liegt  das 
im  Gegenstande  selbst,  das  Spiel  ist  aus  seinen  Grenzgebieten  nicht  reinlich  zu 
sondern.  Seine  Eigenart  liegt  eben  weit  mehr  in  der  Form  als  im  Stoff;  es 
gibt  in  Wahrheit  kaum  eine  Lebensbetätigung,  die  nicht  zum  Spiele  wer- 
den könnte.  So  ist  es  längst  bemerkt  worden,  dass  die  Arbeit  zum  Spiele 
wird,  wenn  sie  lediglich  um  des  Genusses  willen  betrieben  wird,  den  sie 
aus  sich  selbst  gewährt.  Aber  auch  in  diesem  Fajle  bleibt  sie  doch  in 
erster  Linie  Arbeit.  Ja,  man  darf  sogar  sagen,  dass  fflr  das  kleinere  Kind 
Spiel  und  Arbeit  noch  nicht  als    getrennte    Betätigungen  bestehen^).     Im 

1)  Wie  weit  es  sich  um  ererbte  oder  vom  einzelnen  erworbene  Triebe,  Anlagen  und 
Eigenschaften  handelt,  wird  je  nach  der  Stellung  zum  Darwinismus  und  seinen  Fortbil- 
dungen (Lamarck,  Weismann)  verschieden  beurteilt.  Vgl.  bes.  Sp.  d.  T.  Kap.  2.  Seelen- 
leben S.  36fF.;  Wundt,  Vorlesungen  S.  468  ff.  —  Mit  den  Vererbungsfragen  steht  in  engem 
Zusammenhang  die  'phylogenetische'  Auffassung,  die  hauptsächlich  in  Amerika  durch  Stanley 
Hall  u.  a.  ausgebildet  worden  ist  's.  Seelenleben  S.  G9f.):  dass  uralte,  längst  verschollene 
Kulturformen  im  Spiel  atavistisch  durchschlagen  sollen.  Ich  kann  das  nicht  nachprüfen, 
da  mir  die  wichtigsten  Schriften  über  dieses  Gebiet  nicht  zugänglich  sind;  jedenfalls  scheint 
mir  der  Ausdruck  unglücklich  gewählt,  denn  es  würde  sich  doch  viel  eher  um 
eine  —  freilich  staunenswerte  —  Zähigkeit  der  Überlieferung,  also  eine  soziale  Wirkung, 
handeln  als  um  einen  Rückschlag,  und  überdies  müssen  sich  in  der  kindlichen  Entwicklung 
ganz  von  selbst  Ähnlichkeiten  mit  der  der  Naturvölker  einstellen  (s.  a.  Sterö,  Psychol. 
S.  231).  Das  Gesichtbeschmieren  der  Kinder  ist  keine  Nachwirkung  des  Tätowierens 
uralter  Vorfahren,  sondern  eine  aus  Indianergeschichten  stammende  Spielerei  —  wenn  es 
sich  nicht  vielmehr  auf  ganz  urwüchsige  Spieläusserungen  des  Einzelwesens  (Überraschen, 
Erschrecken)  gründet.     Über  die  'Überlebsel'  wird  später  zu  handeln  sein. 

2)  Spiel  und  Arbeit:  oben  S.  110.  Für  die  Herleitung  des  Spieles  aus  der  Arbeit  tritt 
am  kräftigsten  W.  Wundt  ein.  EthikM,  Stuttgart  1912,  S.  176—180:  Das  Spiel  ist  in 
seinen  vollkommenen  Formen  durchaus  ein  Kind  der  Arbeit."  Das  von  mir  Gesperrte 
gibt  indes  sofort  eine  wichtige  Einschränkung.  W.  lässt  unabhängig  von  der  Arbeit  aus 
eingeborneu  , natürlichen  ästhetischen  Motiven  (besonders  dem  „Gefallen  am  Rhythmus,  am 
Schall  und  Klang,  an  Glanz  und  Farbe"  Lebensäusserungen  erwachsen,  die  man  „in  ge- 
wissem Sinne  als  die  primitiven  Spiele  bezeichnen-'  kann,  und  „aus  deren  Verbindung  mit 
den  verschiedensten  Lebensverrichtungen  dann  erst  die  entwickelten  Spiele  hervorgegangen 
sind":  dahin  gehört  vor  allem  der  Tanz,  „das  ursprünglichste  aller  Spiele",  der  u.  a.  auch 
die  .\rbeitsrhythmen  erzeugt.  So  bekommt  die  ursprünglich  „von  der  Not  des  Lebens 
erzwungene"  Arbeit  Lustwert,  „der  zu  spielender  Wiederholung  antreibt.  Hiermit  entsteht 
die  erste  und  wahrscheinlich  verbreitetste,  jedenfalls  die  dauerndste  Form  des  Spiels : 
das  Arbeitsspiel".  Mir  erscheint  dieser  Gedankengang  erzwungen.  Ich  sehe  nicht 
.recht,  wie  aus  der  Arbeit  auf  diese  Weise  andere  als  die  ganz  eigentlichen  Arbeitsspiele, 
ein  nicht  überwiegend  grosser  Teil  der  Nachahmungsspiele,  erwachsen  sollen  —  es  sei 
denn,  dass  man  unter  'Arbeit'  jede  Ernsthandlung  begreift.  Was  aber  zur  Nachahmung 
der  Arbeit  treibt,  soll  doch  erst  wieder  aus  dem  Spielestammen:  das  verträgt  sich  schlecht 
mit  dem  schlagwortmässig  bezeichneten  Ursprung  des  Spieles  aus  der  Arbeit.  So  kann 
ich  nicht  finden,  dass  die  Arbeit  vor  anderen  spielerisch  nachgeahmten  Betätigungen  etwas 
voraushat.  Soll  es  denu  in  dem  von  W.  gekennzeichneten  Urzustand,  als  die  Arbeit 
nur  Zwang,  nicht  Freude  war,  gar  keine  „entwickelten  Spiele"  gegeben  haben?  Und  hätten 
etwa  die  griechischen  Herrensöhne  mit  Vorliebe  die  Sklaven  in  ihren  Spielen  nachgeahmt  ? 
Gegenüber  dieser  Herleitung  des  Spieles  aus  der  Arbeit  (und  anderen  Ernsthandlungen) 
ist  es  sehr  bemerkenswert,  dass  K.  Bücher,  der  in  seinem  grundlegenden  Werk  'Arbeit  und 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1917.  Heft  2.  8 


114  Schläger: 

Spiele  vollzieht  sich  ja  auch  die  Öelbstausbilduiig^)  des  Kindes:  spielend 
übt  es  seine  Muskeln  und  wird  seiner  Bewegungen  Herr,  lernt  es  sitzen, 
kriechen,  stehen,  gehen,  springen,  spielend  befestigt  es  seine  Eindrücke, 
erweitert  es  seinen  Vorstellungskreis,  erwirbt  es  Bewusstsein  und  übt  es 
den  Willen,  spielend  gewinnt  es  die  Herrschaft  über  Stimme  und  Laut- 
form und  bildet  es  sein  Gefühl  für  Rhythmus  und  Klang  aus.  Dabei  lässt 
sich  überall  als  Wirksamstes  die  Wiederholung  erkennen;' das  Vereinzelte 
'vermag  nicht  zu  fördern.  Somit  sollte  sich  die  Untersuchung  über  den  Spiel- 
trieb noch  mehr  als  bisher  auf  diese  beherrschende  Erscheinung  richten: 
seine  Wurzeln  dürften  von  denen  des  Wiederholungsdranges  nicht  zu  trennen 
sein.  Wer  das  Spiel  erst  aus  der  Ernstbetätigung  hervorgehen  lässt,  braucht 
den  Spieltrieb  nicht.  Sieht  man  aber,  wie  das  Spiel  die  ganze  Entwicklung 
des  Kindes  geleitet  und  zum  Teile  leitet,  so  drängt  sich  die  Frage  auf, 
ob  ohne  es  überhaupt  ein  Portschritt  denkbar  wäre,  und  ob  wir  nicht  das 
Spiel  vielmehr  zu  den  allerersten  Lebensäusserungen  rechnen  müssen,  die 
noch  über  die  Ausbildung  der  landläufig  sogenannten  Instinkte  hinaufreichen. 


Eine  strenge  Einteilung  der  Spiele  ist  ungemein  schwierig.  Groos 
ist  es  bisher  am  besten  gelungen,  die  unübersehbare  Fülle  der  Formen, 
in  der  sich  die  treibenden  und  gestaltenden  Seelenkräfte  aufs  vielfältigste 
durchkreuzen  und  oft  kaum  einzeln  aufzuweisen  sind,  wenigstens  unter 
leitende  Gesichtspunkte  zu  bringen.  An  seine  reiche  Darstellung  schliessen 
sich  die  folgenden  Andeutungen  in  allem  Wesentlichen  an. 

Das  eben  geborne  Kind  steht  völlig  unter  der  Herrschaft  angeborner 
Triebe  und  Bedürfnisse;    indem  es  diesen    folgt,    hat  es  seine    ersten  Er- 


Rhythmus'  (4.  Aufl.  Leipzig  u.  Berlin  1909)  die  Arbeit  so  stark  und  einseitig  in  den  Vor- 
dergrund geschoben  hat,  sich  neuerdings  ui  unserer  Frage  im  entgegengesetzten  8inne 
äussert  (Die  Entstehung  der  Volkswirtschaft^  Tübingen  18i>8,  S.  32—34):  ,Das  Spiel  ist 
älter  als  die  Arbeit,  die  Kunst  älter  als  die  Nutzproduktion".  „Je  weiter  wir  sie  [die 
Arbeit  der  Naturvölker]  zurück  verfolgen,  um  so  mehr  nähert  sie  sich  n-ach  Form  und 
Inhalt  dem  Spiele".  —  Arbeit  als  Spiel:  Groos,  Seelenleben  S.  53:  .A.  Allin,  Play  (The 
Univers,  of  Colorado  Studies,  Boulder,  1)  S.  62.  —  Zur  Scheidung  von  Spiel  und  Arbeit 
8.  Stern,  Psychologie  S.  2,  ein  sehr  wertvolles  Beispiel  S.  229:  ein  fünfjähriger  Knabe 
baut  mit  Leidenschaft  oft  mehrere  Stunden  hintereinander  und  seufzt  dabei  mitunter: 
Ist  das  aber  eine  schwere  Arbeit!  Will  man  ihn  aber  zu  einer  anderen  Beschäftigung 
bringen,  so  ist  er  höchst  unglücklich  und  beteuert,  er  müsse  erst  fertig  bau^n,  denn  .,ich 
bau  doch,  weil  ich  mich  so  freue,  wenn  ich  ein  schönes  Gebautes  habe".  Der  Ausdruck 
■Arbeit'  besagt  natürlich  nichts;  dass  aber  dem  Kinde  der  Erfolg  als  Grund  zur  Freude 
bewusst  ist,  zeigt,  dass  es  sein  Spiel  nicht  mehr  rein  als  solches  empfindet,  sondern  dabei 
ist,  die  Vorstellung  der  Arbeit  in  sich  auszubilden  —  wenngleich  eine  solche  Scheinarbeit 
darum  nicht  aufhört,  Spiel  zu  sein.  —  Spiel  die  einzige  Arbeit  des  Kindes:  E.  Dühring, 
Der  Wert  des  Lebens ^  S.  94. 

1)  Seelenleben  S.  51  ff.  71;  Preyer  S.  194;  auch  (Wichtigkeit  der  Wiederholung) 
Compayre-Ufer  S.  167  f.  —  Zu  diesem  Gewinn  kommt  in  den  geselligen  Spielen  die 
Weitergabe  des  Kulturbesitzes:  Sp.  d.  M.  S.  515  f  und  (besonders  für  die  Wichtigkeit  der 
Nachahmung  bei  dieser  'sozialen  Vererbung')  S.  362. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  115 

lebnisse,  tat  die  Seele  ihre  ersten  tastenden  Schritte.  Der  Unlustschrei, 
mit  dem  das  Neugeborne  in  seine  Umwelt  eintritt,  der  gebieterische  Drang, 
der  es  veranlasst,  den  in  die  hohle  Hand  gelegten  Finger  zu  umklammern 
oder  an  dem  zwischen  die  Lippen  gesteckten  Bleistift  zu  saugen  unter 
deutlichen  Zeichen  der  Empfindung,  ja  des  Behagens i),  sie  geben  unzwei- 
deutig von  innerem  Leben  Kunde.  Hier  liegen  zugleich  schon  die  Wurzeln 
des  Spiels,  denn  offenbar  sehr  bald  setzt  die  triebmässige  Wiederholung 
ein,  beginnt  das  'spielende  Experimentieren",  und  überall,  wo  dabei 
der  Reiz  als  solcher  wohlig  ausgekostet  wird,  haben  wir  das  Merkmal  des 
echten   Spiels. 

In  der  spielenden  Betätigung  seiner  Gliedmassen  übt  das  Kind 
Muskeln  und  Gelenke  auf  die  späteren  zweckvollen  Bewegungen  ein.  Im 
Strampeln,  Greifen,  in  Entdeckungsreisen  am  Körper,  in  den  ersten  trieb- 
mässigen  Gehbewegungen  ^),  dann  im  Rutschen,  Kriechen,  Emporrichten, 
aber  auch  in  den  unendlich  mannigfaltigen  Stimm-  und  Lautübungen  ge- 
winnt es  eine  gewisse  Herrschaft  über  seinen  Körper.  Ältere  kommen 
zu  Hilfe:  so  wächst  es  in  die  Fülle  der  Fingerspiele  und  anderer  Kose- 
schorze,  der  Schoss-  und  Kniereiterliedchen  hinein,  die  ihm  nun  auch 
den  Reiz  des  Wortrhythmus  eröffnen,  nachdem  es  schon  gelernt  hat, 
sich  an  taktmässigen  Geräuschen  zu  ergötzen  und  selbst  welche  hervor- 
zubringen'). Denn  vom  eignen  Körper  ist  das  Kind  bald  zu  allerlei  Gegen- 
ständen übergegangen,  mit  denen  es  gleichfalls  die  mannigfaltigsten  s])ie- 
lerischen  Versuche  anstellt:  Zerknittern  von  Papier,  Wasserplanschen,  Auf- 
schlagen mit  einem  Löffel,  unermüdliches  Herauswerfen  eines  Hölzchens 
oder  Püppchens  aus  seinem  Wagen  vermitteln  ihm  die  Freude  des  'Ursache- 
seins'*) ebenso  und  besser  als  die  Klapper  und  anderes  überall  ver- 
breitetes Spielzeug.  Nun  wird  auch  die  Neugier  ein  mächtiger  Hebel: 
sie  treibt,  dem  Verhältnis  von  Ursache  und  Wirkung  immer  weiter  nach- 
zuspüren, aber  auch  Zusammensetzung  und  inneren  Bau  zu  ergründen  und 
in  kindlicher  Zerstörungslust  mit  gleicher  Gemütsruhe  etwa  einen  Puppen- 
balg und  ein  lebendes  Tierchen  zu  zerpflücken.  Doch  werden  auch  die 
Bewegungen  der  Vögel,  der  Käfer,  der  Schnecken  mit  Liebe  beobachtet, 
und  vor  allem  freut  sich  das  Kind  an  dem  Auffliegen  oder  dem  Aus- 
strecken und  Einziehen  der  Tasthörner,  wenn  es  auf  sein  Geheiss  zu  ge- 
schehen scheint;  auch  hierbei  greift  die  Umgebung  ein  und  vermittelt  dem 
Kinde  die  Menge  der  Ansingev^erse,  die  sein  inneres  Verhältnis  zur 
Schöpfung  bereichern.  So  werden  immer  höhere  Geisteskräfte  in  den 
Bereich  des  Spieles  einbezogen  und  helfen  selbst  neue  Spiele  schaffen. 
Frühzeitiof  schon  führt  der  Reiz  der  Erwartung  und  des  Wiedererkenneus 


1)  Preyer  S.  59.  135.  154  f. 

2)  Preyer  S.  165.  167;  Sp.  d.  M.  S.  98. 

3)  Sp.  d.  M.  S.  24. 

4)  Preyer  S.  83.  193  f.:  Sp.  d.  M.  S.  497  f.;  Stern,  Psychol.  S.  55. 

8* 


IK-;  Schläger: 

zu  dem  schelmischen  „Kukuk"-  und  Versteckspiel^);  die  zunelimende 
Schärfe  des  Verstandes  und  der  Phantasie  ermöglicht  die  verschiedensten 
Ratespiele;  und  selbst  die  Willenskraft  wird  zum  Gegenstand  spielerischer 
Versuche,  wenn  in  gewissen  Spielen  das  Lachen,  der  Ausdruck  des  Schmer- 
zes, die  Mitbewegung  („Alles,  was  Federn  hat,  fliegt"),  in  Sprachscherzen 
die  Neigung  der  Zunge  zum  Ausgleiten  unterdrückt  werden  muss"). 
\yieder  ein  anderes  Gebiet  ist  das  kindliche  Fabulieren,  die  Vorstufe 
zum  Lügenmärchen,  bei  dem  freilich  oft  schwer  zu  entscheiden,  wie  weit 
noch  Gedankenflucht  und  Mangel  an  Urteil,  wie  weit  schon  bewusstes 
spielerisches  Anreihen  und  Ausspinnen  vorliegt^}. 

AVie  sich  aus  den  ersten  Anfängen  die  verwirrende  Fülle  von  Spiel- 
formen allmählich  herausbildet,  das  ist  ein  ungemein  anziehendes,  aber 
auch  rätselvolles  Gebiet.  Zwei  gleichfalls  angeborne  Triebäusserungen, 
Kampfinstinkt  und  Nachahmung,  scheinen  den  Hauptanteil  zu  haben, 
während  der  Geschlechtstrieb,  der  das  Spiel  des  Tieres  so  stark  mit- 
bestimmt, ins  Spiel  des  Kindes  wohl  nur  ganz  abgeblasst  und  mittelbar 
hineinklingt.  Der  Kampf  trieb  zeigt  sich  zunächst  in  der  Freude  an  der 
Überwindung  von  Schwierigkeiten,  auch  selbstgeschaffenen,  dann  aber  als 
spielerischer  Wetteifer,  der  bis  zu  wilder  Eifersucht  ausarten  kann;  durch 
ihn  bekommt  das  einfache  spielerische  Versuchen  ein  schärferes  Gepräge 
und  weit  mehr  Förderungskraft.  Hier  liegen  die  Wurzeln  der  vielen  Be- 
wegungsspiele mit  Hindernissen,  des  Hüpfens  und  Hickelns,  der  ver- 
wickelten Ballspiele,  der  Wurfspiele  mit  bestimmtem  Ziel,  aber  auch  <ler 
mit  schwierigen  Lautverbindungen  spielenden  Sprach  sc  herze  und  des 
übertrumpfenden  Streitgespräches*).  —  Der  Nachahmung  aber  scheint 


1)  Stern,  Psjchol.  S.  .')G— 65;  Sp.  d.  M.  S.  182.  Dieses  Spiel  scheint  das  Kind  aus 
sich  selbst  heraus  erfinden  zu  können,  wenn  es  natürlich  auch  der  Mitwirkung  anderer  be- 
darf. Leider  ist  noch  wenig  beobachtet  worden,  ob  und  wie  das  kleine  Kind  sich  mit 
seinem  Spiegelbilde  beschäftigt. 

2)  Sp.  d.  M.  S.  211  ff.  Es  ist  doch  wohl  eine  Verirrimg,  wenn  man  in  Spielen  wie 
*Das  Lachen  Verhalten'  u.a.  (Böhme  2,  587.  591  usw.)  Nachklänge  alter 'Tabu'vorstelhuigen 
hat  erkennen  wollen. 

3)  Sp.  d.  M.  S.  169.  172  ff.  Seelenleben  S.  128  ff.;  dazu  Grosse  S.  246  ff.;  Phantasie 
und  'Kinderlügeu'  Meumann,  Vorlesungen  S.  532  ff.  Beachtenswert  die  Kindererzählungen 
Sp.  d.  M.  S.  173.  178;  die  letztere,  sichtlich  frei  erfunden,  erinnert  doch  deutlich  an  das 
'Verwunderungslied'  und  andere  Lügenmärchen  (Böhme  1,  1248  ff".,  Lewalter  und  Schläger 
Nr.  493).    Vgl.  a.  Sul]y-Stin)ptl  S.  307. 

4)  Sp.  d.  M.  S.  216  ff'.  S.  236  findet  sich  ein  lehrreiches  Beispiel  eines  Streit- 
gesprächs. Ein  vierjähriger  Knabe,  der  sich  über  seinen  Oheim  geärgert  hat,  beginnt 
nach  einiger  Zeit  des  Schniollens:  „Onkel,  ich  sperre  dich  im  Zimmer  ein,  dass  du  gar- 
nicht  mehr  heraus  kannst".  —  „Dann  steig  ich  zum  Fenster  hinaus".  —  „Dann  mache 
ich  die  Läden  zu".  —  „Die  mach  ich  halt  wieder  auf.  —  „Ich  nagle  sie  aber  zu" 
....  usw.,  bis  der  Oheim  das  Spiel  verloren  gibt.  —  Hier  erkennen  wir  deutlich,  v>ie 
sich  im  Spiele  die  Verstimmung  löst,  und  zwar  liegt  der  Lustwert  anfänglich  in  einer 
gewissen  Befriedigung  des  Rachegefühls,  dann  aber  lediglich  in  der  Anspannung  der 
Phantasie  und  im  Übertrumpfen.  Besonders  bemerkenswert  i«t  jedoch,  dass  sich  hier, 
augenscheinlich  ganz  urwüchsig,  eine  bestimmte  Spielform  herausstellt,  wie  wir  sie  formelhaft 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  117 

überall  das  letzte  Wort  zu  gehören.  Sie  entwickelt  beim  Knaben  das 
eigentliche  Kampfspiel,  vorwiegend  beim  Mädchen  die  Pflegespiele; 
in  diesen  und  den  vielen  anderen  'dramatischen  Spielen'  bildet  sich  als 
feinste  Blüte  der  Spielstimmung  jener  Übergangszustand  zum  ästhetischen 
Genuss  heraus,  in  dem  die  'Einfühlung',  die  'bewusste  Selbsttäuschung' 
eine  so  entscheidende  Rolle  spielen.  Wie  das  Kind  sein  Pferdchen,  seine 
Puppe  als  ein  beseeltes  Wesen  betreut,  ohne  doch  die  Wirklichkeit  ganz 
zu  vergessen,  wie  es  die  beobachtete  Arbeit  der  W^aschfrau,  des  Tischlers 
mit  Feuereifer  stundenlang  nachahmt  und  auch  seine  Puppen  dazu  an- 
hält, wie  es  im  Zimmer  die  schönsten  Reisen  mit  bekanntem  Ziel  unter- 
nimmt und  dabei  eine  Menge  gut  beobachteter  Einzelheiten  als  wichtigste 
Dinge  zu  verwerten  weiss,  wie  dann  weiterhin  Familienfeste  mit  grosser 
Andacht,  und  wirklicher  Ergriffenheit  begangen  werden')—  das  gehört 
zu  den  reizvollsten  und  lehrreichsten  Beobachtungen,  die  es  für  den  Kinder- 
freund überhaupt  gibt.  Auch  die  Ansätze  des  Kindes  zu  zeichnerischer 
und  plastischer  Darstellung,  zum  eignen  Reimen  und  Musizieren,  die 
mancherlei  Bau-  und  Form  spiele  gehören  überwiegend  in  diese  Ent- 
wicklungsstufe, wenngleich  ihre  ersten  Anfänge  schon  unter  den  Versuch- 
spielen zu  beobachten  sind").  Ihre  wichtigste  Aufgabe  jedoch  erfüllt  die 
Nachahmung  erst,  wenn  das  Kind  aus  dem  engen  Kreise  der  Familie  in 
die  Spielgemeinschaft ^)  hinaustritt  und  in  den  unendlichen  Reichtum  der 
in  gesellschaftlicher  Überlieferung  fortgepflanzten  Nachahmungs-  und 
Reigenspiele,  Abzählreime,  Neckereien,  Schulscherze  usw.  unter- 
taucht. Damit  erst  bekommt  es  seinen  Anteil  an  der  Bewahrung  und  Fort- 
bildung des  Volksliedes  und  der  anderen  damit  zusammenhängenden  Volks- 
überlieferungen. 

Meine  gedrängten  und  in  keiner  Hinsicht  erschöpfenden  Ausführungen 
werden  immerhin  eins  ergeben  haben:  vieles,  was  wir  im  Kiuderlied  und 
-spiel  als  einen  Niederschlag  aus  Brauch,  Spiel,  Lied  und  Scherz  der  Er- 
wachsenen anzusehen  gewohnt  sind,  kann  sich  sehr  wohl  frei  aus  dem 
kindlichen  Vorstellungskreise,  in  selbständiger  Verarbeitung,  gestaltet  haben. 
Nichts  liegt  mir  ferner,  als  die  überragende  Wichtigkeit  der  Nachahmung 
im  Seelenleben  des  Kindes  leugnen  zu  wollen.  Aber  die  unvoreingenommene 
Beobachtung  zeigt,  dass  die  Nachahmung  (ich  nehme  das  Wort  hier  immer 
im  vollen  Sinne:  Willenshandlung,  nicht  Reflex)  ein  wohlbereitetes  Feld, 
schon  erstarkte  Seelenkräfte  vorfindet.  Sie  führt  die  Entwicklung  mit 
Riesenschritten  weiter,  aber  das    eben    beweist,    dass  die    vorher    tätigen 


und  rhytlimisch  verfestigt  in  den  häufig  an  das  'Klostermönch-  und  Nonnenspiel'  angehäng- 
ten Streitstrophen  (Böhme  2,  269  usw.:  Lewalter  und  Schläger  Nr.  271)  finden.  Ob  es  sich 
hiernach  noch  verlohnt,  den  Ursprung  der  letzteren  in  alten  Raubehebräuchen  zu  suchen? 

1)  Schilderung  einer  Puppentaufe:  Sp.  d.  M.  S.  395  f. 

2)  Vgl.  z.  B.  Lange  2,  33. 

3)  Vgl.  S.  114  Anm.  1:  Sp.  d.  M.  S.  430  ff. 


118  Schläger: 

Seelenkräfte  mit  und  in  ihr  weiterwirken,  ja  mau  darf  wohl  sagen,  das 
Beste  und  Grösste  zu  diesem  Fortschritt  beitragen.  Mir  wenigstens  scheint 
es  zweifellos,  dass  die  blosse  Nachahmung  weit  mehr  in  die  Breite  als 
in  die  Tiefe  wirkt.  Der  von  vorn  Herein  zur  Mittelnlässigkeit  bestimmte 
Mensch  mag  ihr  die  Hauptsache  verdanken;  wie  aber  soll  sie  zu  eignem 
Urteil  und  Selbstbestimmung  führen?  Und  gerade  das  Kind  ist  denn  doch 
vom  Philister  am  weitesten  entfernt.  Man  kann  es  wohl  auch  so  aus- 
drücken: neben  der  bloss  affenmässigen  iSTachahmung  gibt  es  eine  schöpfe- 
rische. Aber  wie  soll  sich  diese  anders  unterscheiden  als  durch  das  Vor- 
wiegen der  eingebornen   Seelenkräfte  über  die  äusserliche  Aneignung? 

Wird  das  zugestanden,  so  gelangen  wir  zu  der  methodischen  Forderung, 
dass  im  Kinderspiel  und  in  allem,  was  damit  zusammenhängt,  mehr  als 
bisher  auf  die  eigene  Schöpferkraft  des  Kindes  geachtet,  ihr  Anteil  von 
der  nachahmenden  Weitergabe  übernommener  Formen  abgehoben  werden 
muss.  Ob  uns  das  in  allen  oder  auch  nur  in  vielen  Fällen  gelingen  wird 
und  kann,  ist  freilich  eine  ganz  andere  Frage;  aber  versucht  werden  muss 
es.  Wir  werden  oft  bei  Möglichkeiten  stehen  bleiben  müssen.  Indes  scheint 
mir  schon  viel  gewonnen,  wenn  man  aufhören  wird,  für  Dinge,  die  sich 
ungezwungen  aus  kindlicher  Anschauung  und  kindlichem  Vermögen  her- 
leiten lassen,  ferne,  nebelhafte  Ursprünge  zu  suchen. 

Dabei  kann  es  nicht  ausbleiben,  dass  wir  uns  mit  der  einen  oder  anderen 
wissenschaftlichen  Modeströmung  auseinanderzusetzen  haben.  Es  kann  hier 
nicht  meine  Aufgabe  sein,  dergleichen  Einzelfragen  ausführlicher  zu  be- 
handeln; indes  liegt  es  mir  am  Herzen,  wenigstens  auf  eine  Gefahr  auch  grund- 
sätzlich aufmerksam  zu  machen,  nachdem  ich  oben  schon  gelegentliche  Seiten- 
blicke darauf  geworfen  habe.  Die  Neigung,  altgermanische  oder  gar  indo- 
germanische Mythen  in  die  harmlosesten  Kinderverschen  hineinzudeuten, 
darf  ja  wohl  als  überwunden  gelten,  wenn  sie  gleich  in  den  Schriften 
wohlmeinender  Liebhaber  noch  heute  spukend  umgeht.  Dafür  ist  aber  ein 
neuer  Götze  auf  den  Thron  gehoben  und  mit  wissenschaftlichem  Mäntel- 
chen angetan  worden,  das  Üb  erleb  seP).  Ich  möchte  sofort  erklären, 
•dass  ich  Richtigkeit  und  W^ichtigkeit  der  wissenschaftlichen  Auffassung, 
die  sich  in  diesem  Schlagworte  kundgibt,  durchaus  nicht  antasten  will;  und 
zweifellos  hat  sie  auch  für  das  Kinderspiel  ihre  Bedeutung.  Ein  sicheres 
Beispiel  für  viele:  das  Spiessruten- oder  Gassenlaufeu,  als  ernsthafte  Strafe 
für  das  Entlaufen  der  Soldaten  seit  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  ver- 
schwunden, hat  sich  im  Kinderspiel  weit  in  das  Jahrhundert  hinein  er- 
halten, w^ie  aus  einem  Spielverzeichnis  aus  Ellenberg  in  L.  Parisius'  nach- 


1)  E.  B.  Tylor,  Primitive  Culture,  London  1871,  1,  Kap.  3.  Die  Anwendung  auf  das 
Kinderspiel  haben  neuerdiniss  weitergeführt  S.  Singer,  Deutsche  Kinderspiele  (Aufsätze 
und  Vorträge,  Tübingen  1912,  S.  1  ff.,  schon  vorher  Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volksk.  13,  49  ff. 
167  ff.)  und  U.  Giemen,  Der  Ursprung  einiger  Kinderspiele  (Zeitschr.  d.  Vereins  f.  rhein. 
u.  westfäl.  Volkskunde  13,  161  ff".). 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  119 

gelasseneu  Papieren  hervorgeht,  und  der  dazu  gehörige  Vers  dauert  ohne 
<ien    Spielbrauch  vielfach    noch  heute,    s.  Böhme    S.  253  nr.    1181;    Erk 
u.    Böhme    3,  294,  o-,    Lewalter    u.    Schläger  nr.    186.      Hier    haben     wir 
festen    Boden    unter    den    Füssen,    und    von    solchen    Fällen    aus    dürfen 
wir  sicherlich    auch    weiter    schliessen.     Der  Vollständigkeit  wegen  seien 
aber  auch  ein  paar  Gegenbeispiele    angeführt,    die   mir  bezeichnend  vor- 
kommen.    Als    Kind    hab    ich    —    und    sicher    nicht    ich    allein    —   A^er- 
gnügen  daran  gefunden,  einen  Bindfaden  an  einem  Ende  mit  den  Zähnen 
festzuhalten,  am  andern  mit    der  linken    Hand  anzuziehen,    und  ihn  dann 
mit  einem  Finger  der  rechten  Hand  in  Schwingungen  zu  versetzen,  wobei 
denn  der  eigne  Kopf   als    Schallkörper   diente    und  ein    ziemlich  starker, 
nervenreizender,  aber  nur  für  den    Spieler    deutlich    vernehmbarer  Klang 
zustande  kam,  der  durch  abwechselnde  Verkürzung  und  Verlängerung  auch 
in  der  Tonhöhe  abgewandelt  werden  konnte.     Nun  belehrt  mich  W.  Wundt 
(Elemente  der  Völkerpsychologie,    Leipzig    1912,  S.  97),  dass    dieses  sehr 
ursprüngliche  Saitenspiel  noch  heute  bei  den  Buschmännern  mit  der  Bogen- 
sehne betrieben  wird;  Wundt    denkt    sich    die    ausgebildeteren,    auch  für 
andere  wirksamen  Saitenspiele  erst  aus  diesem  erwachsen,  indem  die  Saiten- 
zahl vermehrt  und  an   die    Stelle  des    Menschenkopfes    der    (häufig    noch 
menschenähnlich  gestaltete)  Kürbiskopf,  an  die  Stelle  der  Zähne  ein  Holz- 
steg getreten  sei.     Welch  prächtiges  Überlebsel    aus  unserem  'primitiven' 
Zeitalter  könnte  das  sein!     Und  doch    wird  kein    halbwegs    nüchtern  Ur- 
teilender jenen  kindlichen    Zeitvertreib    anders    deuten    als  aus   einer  zu- 
fälligen   Wiederholung    derselben    Entdeckung.     Solche  Nüchternheit  des 
Urteils  wird  aber  auf  diesem  Gebiete  nur  zu  oft  vermisst:    mancher  For- 
scher ist  mit  der  einmal  zur  Mode  gewordenen  Annahme  eines  Überlebsels 
allzu  schnell  bei  der  Hand,  wo  man  mit  der  einfacheren  und  natürlicheren 
einer  zufällig  gleichen  Entwicklung  sehr  wohl  auskommen  kann.     So  ver- 
hält es  sich  z.  B.  mit  einem   der  meistberufenen   'Überlebsel'    im  Kinder- 
spiele, dem  Bohrfeuer,  das  bekanntlich  auf  niedrigen  Kulturstufen  eine 
grosse  Rolle  spielt.  Nach  Edward  B.  Tylor,  Primitive  Culture  2,  London  1871, 
S.  68  ist  der    Feuerbohrer  in  der    Schweiz   als    Kinderspielzeug    gefunden 
worden;  Tylor  bezieht  sich  auf  Grimms  Deutsche  Mythologie'  S.  573  (4.  Aufl. 
3,  174).     Die  Tatsache  wird  nicht  anzufechten  sein;  aber  stimmt  es.  auch 
mit  dem  Überlebsei?  W.  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte M,  5 18 ff.  berichtet, 
dass  das  Notfeuer  zur  Reinigung  bei  Seuchen  oder  auch  zur  Vertreibung 
schädlicher  Feldgeister  noch  vor  kurzem  nur  auf  diese  uralte  Weise  her- 
gestellt werden  durfte,  und  zwar  gerad  auch  in  der  Schweiz  nach  Rochholz, 
Deutscher  Glaube  und  Brauch  2,  145  ff.     So  fanden  die  Kinder  das  Werk- 
zeug vor  und  konnten  sich  damit  ein  neues  Spiel  schaffen,  das  demnach 
nicht  in  ursächlichem  Zusammenhang  mit  dem  alten  Brauche  stehen  muss. 
In    ähnlicher  Weise    wird    sich    noch    manches  erklären  lassen.     Anderes 
kann    auf  Entlehnung    beruhen,    wie    es    sicher  bei  dem  Bumerang,    dem 


120  Schläger: 

Wurfholze  mancher  Öüdseestämme,  der  Fall  ist.  Die  Schleuder,  auf  die 
Tylor  S.  66  Gewicht  legt,  mag  ihren  Platz  im  Kinderspiel  der  biblischen 
Erzählung  von  David  und  Goliath  verdanken. 

Jedenfalls  also  heisst  es  auch  hierbei  Mass  und  Ziel  bewahren,  sonst 
sind  wir  gegen  früher  um  nichts  gebessert.  AVenn  man  heute  überall  die 
Nachklänge  längst  verschollener  Kulturformen  erkennen  will,  so  hat  das- 
'für  uns,  die  wir  alle  den  Einfluss  der  Entwicklungs-  und  Vererbungslehre 
erfahren  haben,  etwa  dieselbe  Überzeugungskraft,  wie  sie  die  mythologische 
Ausdeutung  noch  vor  einem  Menschenalter  besass;  und  eben  darum  liegt 
der  Zweifel  nahe,  wie  viel  davon  nach  einem  weiteren  Menscheualter  noch 
vorhanden  sein  wird.  Erkennt  man  gar  bei  genauerem  Zusehen,  wie  in 
der  Vererbungslehre  selbst  noch  alles  im  Fluss,  wie  ungeklärt  z.  B.  die 
wichtige  Frage  nach  der  Vererbung  erworbener  Eigenschaften  ist,  so  darf 
man  billig  zweifeln,  ob  es  zulässig  ist,  dergleichen  zum  durchgehenden 
Erklärungsgrimd  zu  erheben  und  wohl  gar  den  Fachleuten  der  Natur- 
wissenschaft ins  Handwerk  zu  pfuschen. 

Welcher  Unfug  wird  heutzutage  mit  dem  'Atavismus'  getrieben  (vgl. 
auch  oben  S.  113  Anm.  1)!  Ich  erinnere  mich,  in  einer  ernsthaften 
Schrift  gelesen  zu  haben,  der  Kulturmensch  von  heute  setze  sich  im  Wirts- 
hause darum  so  gern  mit  dem  Rücken  gegen  die  Wand,  weil  schon  der 
Affenmensch  bei  seinen  Urwaldkämpfen  am  liebsten  den  Rücken  durch 
einen  Baum  gedeckt  habe.  Im  Grunde  liegt  ein  gröblicher  Denkfehler 
vor:  man  baut  eine  gradlinige  Entwicklungsreihe  ins  Blaue  hinein,  während 
kaum  mehr  vererbt  sein  wird  als  der  dunkle  Trieb,  die  Umwelt,  und  zu- 
mal die  gefahrdrohende,  nicht  aus  den  Augen  zu  lassen,  sodass  die  einzelne 
Betätigung  denn  doch  aus  dem  Seelenleben  des  einzelnen  Menschen  er- 
wächst und  erklärt  werden  muss. 

Nicht  ganz  dasselbe,  aber  vergleichbar  ist  es,  wenn  die  heute  beliebte 
Erklärungsweise  möglichst  hinter  jeder  Dunkelheit  oder  Schrulle  des 
Kinderspiels  alte,  verschollene  Kultbräuche  wittert.  Nur  zweierlei  sei  hier 
erwähnt.  Fangspiele  mit  Erschwerung  durch  Augenverbinden  oder 
Hüpfen  auf  einem  Bein  werden  heute  gern  als  Nachklänge  alter  Dämonen- 
und  Gespenstertäuze  oder  -spiele  erklärt.  Das  mag  im  einzelnen  Falle 
noch  so  einleuchtend  klingen,  im  ganzen  kommt  es  doch  darauf  hinaus, 
dass  das  Gegenteil  nicht  nachgewiesen  werden  kann:  genau  die  Über- 
zeugungskraft also,  die  auch  der  mythologischen  Erklärungsweise  nicht 
abzusprechen  ist.  Nun  haben  wir  oben  gesehen,  dass  die  Überwindung 
vorgeschriebener  oder  selbstgewählter  Schwierigkeiten  schon  bei  den  Ver- 
suchspielen kleiner  Kinder  eine  wichtige  Zutat  ist.  Weiter  werden  die 
drollig-rätselhaften  Eingänge  unserer  Abzählreime  u.  dgl.  häufig  auf  alte 
Zauberformeln  zurückgeführt.  Wir  werden  aber  in  einem  späteren  Auf- 
satz darlegen,  dass  viele  dieser  Formeln  ihre  Vor-  und  Urbilder  in  den 
Lallspielen  ganz  kleiner  Kinder  haben  und  also  sehr  wohl  im  Kindermund 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  l'ü 

entStauden  sein  können.  Wo  ein  solcher  Erklärungsgrund  ausreicht,  da, 
mein  ich,  sollte  man  nicht  uralte  Zeiten  und  nebelhafte  Bräuche  herauf- 
beschwören. Ich  kann  es  nicht  ohne  Besorgnis  ansehen,  wenn  immer 
wieder  das  schwerste  volkskundliche  Geschütz  gegen  Harmlosigkeiten  auf- 
gefahren wird.  Schliesslich  kann  kein  kleines  Mädchen  mehr  bei  Sonnen- 
schein mit  aufgespanntem  Regenschirm  herumlaufen,  können  sich  ein  paar 
Buben  am  heissen  Tage  nicht  mehr  mit  Wasser  bespritzen,  ohne  dass  man 
iu  ihrem  Tun  geheimnisYoll  ererbten  Nachklang  vorzeitlichen  Regenzaubers 
wittert.     Man  s^ebe  dem  Kinde  wieder,  was  des  Kindes  ist! 


Die  weiteren  Aufsätze  dieser  Reihe  sollen  die  oben  gewonnenen  metho- 
dischen Grundsätze  nach  einer  bestimmten  Seite  hin  anwenden:  auf  das 
Kinderspiel  nämlich,  soweit  es  seinen  Spielstoff  in  der  Sprache  findet, 
vor  allem  in  der  rhythmisch  und   musikalisch  gebundenen  Sprache. 

Freiburo-  i.  Br. 


Walther  in  Tegernsee. 

Ein   Exkurs  über  altdeutsche  Tischsitten. 
Von  Edward  Schröder. 


Man  seit  mir  ie  von  Tegerse, 

ivie  ivol  daz  hüs  mit  eren  ste: 

dar  k-erie  ich  mir  dan  eine  m/le  von  der  strdze. 

ich  bin  ein  wunderlicher  man, 
f)  daz  ich  mich  selben  niht  enkan 

verstun  und  mich  so  vil  an  frömde  Hute  ICizc, 

ich  schiltes  niht,  tvan  got  gendde  uns  beiden. 

ich  nam  da   loazzer: 

also  nazzer 
10  muost  ich  von  des  münches  tische  scheiden. 

Walther  v.  d.  Vogelweide  ed.  Lachmann-Kraus  104,  23-02. 

Nachdem  Burdachs  Versuch^),  die  Spitze  dieses  Spruches  von  dem 
ungastlichen  Kloster  abzuwenden  und  gegen  diejenigen  zu  richten,  welche 
ihm  den  Besitz  der  Bozener  Weinberge  streitig  machten,  durch  den  Nach- 
weis Erbens  im  Neuen  Archiv  20,  359  ff.  als  gescheitert  gelten  muss,  be- 
steht über  das  Ziel  der  Schelte  kein  Zweifel  mehr.  Der  geringschätzige 
Ausdruck  'Mönch'  gegenüber  dem  vornehmen  Abt  von  Tegernsee  (vgl. 
Lachmanns  Anmerkung)  hätte  einen  solchen  nie  sollen  aufkommen  lassen. 

Aber  was  hat  der  Dichter  in  Tegernsee  erlebt?  Worin  bestand  die 
Unfreundlichkeit,    die  man  ihm  in  dem  um  seiner  Gastlichkeit  willen  be- 


1)  Walther  v.  d.  Vogel  weide  1,  76.  295. 


12-J  Schröder: 

rQliiuten  (V.  2)  bayrischen  Kloster  erwies?  Man  hat  ihm  Wasser  statt 
Wein  vorgesetzt,  meint  Simrock,  der  das  Gedicht  (5.  Aufl.  der  Über- 
setzung Nr.  74  und  ebenso  Ausgabe  Nr.  74)  mit  'Böser  Trank'  über- 
schreibt, und  Koppmann  (Die  Sprüche  W.s.  v.  d.  Y.  ins  Neuhochdeutsche 
übertragen,  Hildesheim   1893,  S.  64)  folgt  ihm,  indem  er  überträgt: 

Ich  bin  kein  Prasser. 

Doch  mit  Wasser 

Nur  verstand  der  Mönch  den  Gast  zu  ehren. 

Dass  sich  die  Zeile  8  ich  nam  da  wazzer  auf  den  Gebrauch  des  Haud- 
wassers  bei  Tisch  beziehe,  wird  von  Simrock  (Ausgabe  S.  89)  ausdrücklich 
abgelehnt;  Pfeiffer  will  den  Ausdruck  nur  als  'Anspielung'  gelten  lassen 
und  bleibt  ausdrücklich  dabei,  dass  der  Dichter  Wasser  statt  Wein  'er- 
hielt'; Wilmanns  und  Paul  finden  sich  zwar  mit  dem  AVaschwasser  ab, 
fügen  aber  hinzu,  dass  Walther  'ohne  Gastgeschenk  nach  Tische  entlassen 
wurde'  (Wilmanns),  oder  'sonst  nichts  geschenkt  bekommen  hat'  (Paul). 
Zuletzt  kommt  dann  Wallner,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  dtschn.  Spr.  u.  Litt. 
33,  51  ff.  und  erblickt  in  dem  Gedicht  einen  'Scherz',  eine  Anspielung 
auf  den  wässrigen  Klosterwein;  die  Wendung  also  nazzer  werde  ihre  Er- 
klärung durch  den  mimischen  Vortrag  erhalten  haben. 

So  wenig  ich  mir  diese  Auffassung  zu  eigen  machen  kann,  mit  seinem 
Einwand  gegen  das  Haudwasser  muss  Wallner  zunächst  gehört  werden; 
er  findet  es  ebenso  unverständlich,  'dass  der  Gast  abziehen  musste,  als  er 
sich  eben  zu  Tische  setzen  wollte,  wie  wenn  er  gleich  nach  Tische  das 
Stift  verlassen  musste,  ohne  Geschenk  oder  ohne  die  erhoffte  Nacht- 
herberge zu  finden'.  Jedenfalls  müssen  wir  uns  darüber  Klarheit  ver- 
schaffen, ob  es  sich  um  die  Waschung  vor  Tische  handelt,  wie  Pfeiffer, 
oder  nach  Tische,  wie  Wilmanns  und  Paul  annehmen.  Nachdem  Brenner 
in  der  Beilage  zur  Allgem.  Zeitung  1901  Nr.  2(3  unter  Hinweis  auf 
Schraeller-Frommanu  1,  68  für  also  nazzer  die  richtige  Übersetzung  'nass 
wie  ich  war',  'noch  nass'  festgelegt  hat,  mag  die  Auffassung  sich  allge- 
mein Wilmanns  und  Paul  zuneigen.  Wenn  aber  Wallner  hinzufügt:  'in 
beiden  Fällen  hätte  sich  der  Dichter  auch  ganz  anders  ausgedrückt',  so 
muss  ich  dieser  Art  Zensierung  aufs  entschiedenste  widersprechen;  ich 
höre  aus  dem  Spruche,  so  harmlos  lässig  er  eingeleitet  ist,  eine  gründliche 
Verärgerung  heraus,  und  jedenfalls  hat  der  Abt  von  Tegernsee,  falls  ihm 
die  Verse  je  zu  Ohren  kamen,  keineswegs  über  den  'Scherz'  gelächelt 
—  mit    diesem  hohen  Prälaten  hatte  es  Walther  für  alle   Zeit  verdorben! 


Der  Brauch  des  Handwassers  bei  Tisch,  in  erster  Linie  vor  der 
Mahlzeit,  ist  ein  alter  Bestandteil  griechischer  Kultur,  der  sich  frühzeitig 
auf  die  Römer  vererbte.  Die  klassische  Stelle  dafür  ist  Odyssee  I,  136  f. 
Ausser  dem  Weisser  selbst  (;^«^)'<(/' —  malluviae)  gehörte  dazu  die  Kanne 
(.-i^o;^oo,- —  gutturnium),  das  Becken  (y'.f/]'»?? — lebes,  pelvis,  malluvium)  und 


Waltlier  in  Tegernsee.  123 

das  Handtuch  (/eiouiiaxTgoi —  nia])pa,  maiitile).  Auf  deutschem  Boden 
treffen  wir  die  drei  Gegenstände  z.  B.  bei  Konrad  von  Würzburg  im 
,Partonopier'  zusammen:  giezvaz  984.  1084  —  beckin  986.  1085  —  twehel 
9911  lOScS. 

Wann  die  Tischsitte,  die  in  Italien  in  den  bessern  Kreisen  gewiss 
niemals  ausser  Brauch  gekommen  ist,  nach  Deutschland  gelangte,  lässt 
sich  schwer  feststellen.  An  den  Höfen  der  Völkerwanderungszeit  ist  sie 
nicht  bezeugt:  am  Hofe  Attilas  kennt  sie  weder  der  tatsächliche  Bericht 
des  Priscus  (Corpus  script.  bist.  Byz.  1,  "202  fF.)  noch  die  ausmalende 
Phantasie  Ekkehards  I.  (Waltharius  V.  288  ff  ).  Das  erste  mir  bekannte 
historische  Zeugnis,  Weihnachten  1031:  K.  Konrad  H.  lässt  dem  Bischof 
Bardo  von  Mainz  an  der  königlichen  Tafel  priori  aquam  in  manibus  dari 
(Vita  Bardonis  maior,  MG.  SS.  XI,  335,  11),  fällt  nahezu  zusammen  mit 
dem  frühesten  literarischen  Belegt)  im  'Rudlieb'.  Hier  heisst  es  einmal 
am  Schluss  des  Mahles,  das  die  Mutter  dem  heimgekehrten  Helden  be- 
reitet hat : 

XI  "J4  f.     Fercula  jjost  itiulta  2)0iii  pocula  totqiic  secuta 

Tunc  hera  poscit  aquam,  camcrarius  attidit  illam  — 

und  weiter  beim  Beginn  der  Tafel  im  Hause  der  'hera': 

XIII  59  f.      Tunc  hera  poacit  aqualm,  quam  saniere  iussit  herilo)!. 
Et  post  hns2)itibus  datur.   ultime  srd  sihi  post  hos. 

In  der  geistlichen  Poesie  ist  naturgemäss  selten  Gelegenheit,  den 
Brauch  zu  schildern  oder  auch  nur  zu  erwähnen,  obwohl  die  naive  Trave- 
stierung des  Mittelalters  sich  nicht  scheut,  ihn  in  die  Vorgänge  des  Alten 
wie  des  Neuen  Testaments  hineinzutragen.  So  hat  um  1170  ein  nieder- 
rheinischer Dichter  (der  'Wilde  Mann')  die  Entstehung  des  Christus- 
bildnisses dargestellt:  der  Heiland  fordert  die  Veronica  auf  'ein  lutzilimbiz 
machi  mir  (Y.  175),  und  dann  heisst  es  he  Isch  wazzer  undi  bigundi  sich 
dvd?i,  unde  alse  he  dit  hadde  geddn,  he  drugide  sich  an  dat  düch  (Y.  181  ff". ); 
die  dv'le  dat  antlitze  inphinc  geschahen  als  die  godis  sun  ginc  (Y .  187  f.).  und 
ein  niederdeutscher  Dramatiker  des  15.  Jahrhunderts,  Arnold  Immessen 
in  seinem  'Sündenfall',  bringt  das  Handwasser  sogar  auf  die  Bühne, 
Y.  2373  f  (Salomon  vor  Beginn  des  Festmahles:)  Gi  schdlen  hir  to  deme 
water e  gdn     Und  alle  juwe  hende  twdti. 

Seit  dem  Beginn  einer  reicheren  Überlieferung  weltlicher  Poesie  haben 
wir  eine  lange  Reihe  von  Zeugnissen  dafür,  dass  der  Gebrauch  des  Hand- 
wassers vor  wie  nach  Tische  gleich  üblich  und  in  allen  Kreisen  der  Ge- 
sellschaft durchgedrungen  war.  Man  hat  wiederholt  darauf  hingewiesen, 
dass  die  Notwendigkeit  dieser  doppelten  Waschung  mit  dem  Mangel  der 
Gabel  zusammenhänge  (vgl.  Marquardt-Mau,  Rom.  Privataltertümer  S.  322), 
wie  sie   denn   mit  dem  Durchdringen  dieses  wichtigen  Essgeräts   (das  erst 

1)  Hyvomvl  V.  4,  wo  für  den  Gast,  der  von  der  Reise  kommt,  Feuer,  Kost,  Kleidung 
und  zuletzt  Waschwasser  und  Handtuch  gefordert  werden,  gehört  natürlich  nicht  hierher. 


]24  Schröder: 

1379  in  Frankreich  auftaucht)  allmählich  verschwindet.  In  der  Neuzeit 
ist  das  Handwasser  nach  Tisch  wieder  in  Brauch  gekommen,  und  so 
möchte  man  umgekehrt  annehmen,  dass  es,  als  das  notwendigere,  auch 
zuerst  üblich  gewesen  sei.  Aber  einen  festen  Anhaltspunkt  dafür  hab  ich 
nicht  gefunden.  Es  muss  immerhin  hervorgehoben  werden,  dass  die 
früheste  ritterliche  Anstandslehre,  der  'Wälsche  Gast'  des  Thomasin  von 
Zircläre,  da,  wo  man  es  erwartet  (V.  480),  kein  Wort  von  der  Waschung 
vor  Tisch  sagt,  wohl  aber  Y.  519  f.  der  wirt  nach  dem  ezzen  soldazwazzer 
gehen,  daz  stdt  wol;  und  ebenso  heisst  es  200  Jahre  später  in  dem  letzten 
Werke  dieser  Art,  dem  'Ritterspiegel'  des  Johannes  Rothe  Y.  2065  ff.: 
geh  ivazzer  nach  dem  tische  dem  fromen  ritter  ober  sine  hant.  an  eine  reinen 
twelen  her  sich  wische.  Wenn  im  scheinbaren  Gegensatz  dazu  nicht  nur 
Freidank  89,  12  {die  bcesen  cezeji  ungetivagen,  solte  in  laster  nieviaii  sagen), 
sondern  die  Tischzuchten  ausnahmslos  nur  von  dem  Waschen  vor  Tisch 
reden  (Moritz  Geyer,  Altdeutsche  Tischzuchten  S.  3,  Y.  11  f.  S.  11^ 
Y.  Ulf.  S.  12,  Y.  11  f.  S.  14,  Y.  9  f.  S.  24,  Y.  41  f.)  bis  auf  Seb. 
Brant  herab  (Narrenschiff  UOa,  15  f.  Ah  die  nit  iveschen  dunt  ir  hend 
Wann  sie  zu  disch  sich  setzen  loend),  so  ist  die  Erklärung  dafür  leicht  zu 
finden.  Unter  einfachen  Yerhältnissen  blieb  das  Händewaschen  vor  Tische 
dem  Einzelnen  überlassen  —  darum  mussten  es  die  Anstandsiehren  ein- 
schärfen; nach  Tische  wurde  das  Handwasser  vom  Wirte  geliefert,  dem 
es  Thomasin  und  Rothe  als  Pflicht  einprägen,  während  die  Tischzuchten 
die  Übung  des  Brauches  übergehen  dürfen.  Wir  müssen  die  Tatsache 
aber  im  Auge  behalten,  um  den  Sprachgebrauch  zu  verstehn,  wie  er  sich 
frühzeitig  herausgebildet  hat.  Wir  können  ihn  schon  bei  den  ältesten 
Zeugnissen  in  deutscher  Sprache  beobachten,  ohne  ihn  aber  hier  gleich 
festnageln  zu  wollen. 

In  der  deutschen  Kaiserchronik  (um  1150)  Y.  4761  f.  (Lucretia)  heisst 
es  nach  Tisch:  Alsd  daz  wazzer  wart  gegeben  daz  man  die  tische  solte  heben, 
und  in  dem  wenig  jüngeren  König  Rother  lesen  wir  Y.  1259  Also  man  daz 
wazzer  genam  und  Y.  2381  do  man  daz  ivazzer  '  ge)nam,  beidemal  vor 
Tische^). 

An  einer  vornehmen  Tafel  wird  das  Wasser  vor  Tisch  sowohl  wie 
nach  Tisch  gegeben  und  genommen,  es  kann  also  der  Ausdruck  ?üa22gr 
nemen  und  ebensogut  der  Ausdruck  wazzer  geben  bei  beiden  Yorgängen 
gebraucht  werden,  und  tatsächlich  ist  das  auch  der  Fall.  Aber  die 
historische    Entwickelung,    die    ich   oben    andeutete,   hat  es  bewirkt,    dass 


1)  V.  125i»  ist  die  Situation  nicht  ganz  klar,  aber  Rückert  behält  Recht:  das  Mahl 
hat  noch  nicht  begonnen;  der  Löwe  hat  den  Knechten  nur  das  Brot  wegnehmen  können 
(1148.  1290),  dieses  aber  wurde  vorher  aufgelegt,  noch  ehe  das  Wasser  gereicht  war, 
vgl.  'Frauentrost'  von  Sifrit  d.  Dorfer  (Zs.  f.  d.  Alt.  7,  100  ff.)  V.  493 ff.:  die  vrouwe  die 
was  (jar  gerncit,  im  n-art  daz  hröt  nf  gelcit.  si  ivolte  im  selber  wazzer  (jebeii ;  'Reiher" 
(Gesamtab.  Mr.  XXXI)  V.  147  f.  Herrin:  -ist  daz  ezzm  bereit?'  Magd:  'ja,  rrouire,  daz 
brät  ist  i'tf  geleit.'' 


Walther  in  Tegernsee.  125 

man  vom  12.— 14.  Jahrhundert  mit  icazzer  nemen  sogut  wie  ausschliesslich 
die  erste  Waschung  bezeichnete,  während  wazzer  gehen  doppelwertig  blieb, 
wenn  es  auch  hier  und  da  auf  die  zweite  Waschung  beschränkt  zu  sein 
scheint. 

Ich  führe  das  vollständige  Material  vor,  das  ich  gesammelt  habe: 

wazzer  nemen 

^yQX  Tisch:  Rother  1259.  2381.  —  H.  v.  Veldeke,  Eneit  6203  doe  nam  he  water 
ende  dicoech.  —  Nib.  A  561,  1  E  daz  der  voit  von  R/ne  loazzer  dö  genam.  —  Wolfram, 
Parzival  237,  4  der  ivirt  du  selbe  icazzernam;  622,  14  f.  Gdwän  und  diu  herzoghi  mohfenz 
wazzer  selbe  nemen.  —  Gottfried,  Tristan  4093  mi  hetc  man  wazzer  genomcn;  13162  f.  nu 
daz  daz  czzen  was  bereit  und  daz  gesinde  ivazzer  nam.  —  Albrecht  v.  Halberstadt  hei 
Wickram  (Werke  7,  207)  Metam.  4,  1477  .SVe  namen  wasser  uff  die  hend.  —  Herzog 
Ernst  B  3176  der  künic  mit  ir  wazzer  nam.  —  [Ulrich  v.  Eschenbach]  Herzog  Ernst  D  2732 
er  nam  ivazzer  unde  sazt  sich  dö.  —  Konrad  v.  Würzburg,  Otte  48  daz  er  da  wazzer 
nfnne,  158  und  hete  ivazzer  da  genomcn.  —  Loliengrin  Str.  93,  7.  —  Heinrich  v.  Frei- 
berg,  Tristan  607.  612.  892.  5265.  -  Virginal  240,  3.  924,  2.  965,  3.  —  Reiher  (Gesabt. 
Nr.'^XXXI)  229.  —  Treue  Magd  (Gesabt.  Nr.  XLIl)  301.  —  Ruprecht  v.  Würzburg,  Zwei 
Kaufleute  (Gesabt.  Nr.  LXVIIl)  209.    —    Kasseler  Facetus  Str.  101  (C.  Schröder  S.  185). 

b)  nach  Tisch:    Myst.  I  24,  22.  —  Kaspar  v.  d.  Roen,  Dietrich  u.  s.  Gesellen  Str.  75: 
das  hantirasser  man  do  nemen  tet. 
wazzer  geben 

a)  vor  Tisch:  Strassb.  Alexander  6042.  —  Wolfram,  Parz.  809, 15.  —  Rudolf  v.  Ems, 
Wilhelm  v.  Orlens  l;3o04.  —  Stricker,  Bloch  478.  —  Herzog  Ernst  B  3220.  —  Ulrich 
V.  Eschenbacli,  Herzog  Ernst  D  2723:  Wilhelm  v.  Wenden  1471.  7430.  —  Heinrich  v.  Frei- 
berg, Tristan  2574.  —  Sifrit  d.  Dorfer,  Fraueutrost  495. 

b)  nach  Tisch:  Kaiserchronik  4761.  —  Wälscher  Gast  520.  —  Ulrich  v.  Eschen- 
bach, Wilhelm  v.  Wenden  1554.  —  H.  v.  Freiberg,  Tristan  1292.  —  Virginal  970,  1. 
1090,  4.  —  Neidhart  m.  d.  Veiel    MSH.  III  2981)  V.  282.    —   Rothe.    Ritterspiegel  2065. 

Synonyme  Ausdrücke  sind 
wazzer  (dar.,  für)  tragen 

a)  vor  Tisch:  Nib.  A.  560,2  (für).  1835,  3.  —  Wolfram,  Parz.  550,  11  (dar).  312,  2. 
—  Wigamur  410  ijür).  —  Pleier,  Meleranz  5347;  Garel  910.  4775:  Tand.  9588  (immer 
dar).  —  Virginal  1008,  5  (rfflr  . 

b)  nach  Tisch:  Wigamur  4552  (für). 

iiazzer  bieten 
■d)  vor  Tisch:  Müncli.  Oswald  120.  —  Virginal  1012.1.  1054,12. 
b)  nach  Tisch:  — . 

wazzer  giezni 
a    vor  Tisch:    Wolfdietrich  B  811. 
b)  nach  Tisch:    Ulrich  v.  Liechtenstein,  Frauendienst  7,  13ff. 

[wazzer  reichen,  Belege  erst  neuhochdeutsch,  s.  u.| 
Dass  die  erste  Waschung  weit  häufiger  erwähnt  wird  als  die  zweite, 
ergibt  schon  ein  Blick  auf  diese  Listen;  der  Eindruck  würde  noch  ver- 
stärkt werden,  wenn  man  alle  die  Fälle  aufzählte,  die  für  die  uns  zunächst 
interessierende  Wortwahl  nichts  hergeben.  Der  Grund  ist  ein  doppelter: 
einmal  legt  der  Erzäliler  natürlich  auf  den  Beginn  der  Mahlzeit  einen 
stärkeren  Akzent  als  auf  ihren  Abschluss,  und  dann  bietet  sich  hier  die 
beste  Gelegenheit,  den  Wirt  seinen  Reichtum  und  Prunk  entfalten  zu  lassen. 


126  Schröder: 

Der  fast  ausschliessliche  Gebrauch  von  irazzer  nemen  für  die  Waschung 
vor  Tisch  aber  steht  fest  und  bedarf  keiner  anderen  Erklärung  als  der 
oben  gegebenen.  Wenn  Walther  also  von  seinem  Besuch  in  Tegernsee 
berichtet:  icli  navi  da  ivazzer.  also  nazzer  muost  ich  von  des  mi'/nches  tische 
scheiden,  so  ist  er  erstens  zum  Essen  überhaupt  nicht  gekommen;  ja  man 
hat  ihm  zweitens  nicht  einmal  die  'twehel',  das  Handtuch  zum  Abtrocknen 
.gereicht;    mit  nassen  H<änden    hat    er    das    ungastliche   Kloster    verlassen. 

Es  ist  selbstverständlich  nicht  nötig,  dass  sich  der  Vorgang  wirklich 
so  abgespielt  habe,  wie  es  hier  der  Dichter  darstellt:  die  überflüssige 
Waschung,  die  ungetrockneten  Hände  sind  eben  nur  das  Symbol  für  die 
ihm  entgangene  Mahlzeit;  die  Verse  sagen  weiter  nichts,  als  dass  man  in 
dem  als  gastlich  gepriesenen  Kloster  für  ihn  keine  Aufforderung  zu  Tische, 
keinen  Bissen  und  keinen  Trunk  übrig  gehabt  habe  —  aber  sie  sagen  es 
eben  in  der  Sprache  eines  Dichters:  zugleich  verhüllt  und  höchst  drastisch. 
Nun,  wer  Lust  hat,  mag  sich  immerhin  vorstellen,  wie  Walther  vor  dem 
Brunnen  im  Klosterhofe  steht  und,  die  nassen  Hände  ausgespreizt,  ver- 
geblich nach  einem  Handtuch  ausschaut^). 

Als  der  Metzer  Archidiakon  Albero,  der  spätere  Erzbischof  von  Trier, 
im  Jahre  1126  nicht  zu  seiner  Freude  erfuhr,  dass  man  ihn  zum  Bischof 
von  Halberstadt  wählen  wollte,  befand  er  sich  gerade  zu  Besuch  bei  einem 
vornehmen  sächsischen  Herrn,  dem  Kämmerer  Konrad  .  .  .  ciim  iam  sui 
111  anus  ahluere  cepissent,  ituri  ad  prandium,  e.v  improviso  equu7n  ascen- 
dit  suoscjue  se  subito  sequi  precepit;  et  sie  aufugit  (Gesta  Alberonis  auctore 
Balderico,  MG.  SS.  VHI  248,  14f.).  Die  Gefährten  mussten  die  Rosse 
besteigen  —  ^alsn  nazze'.  —  Anders  macht  es  die  Bäuerin  Eis  auf  der 
Hochzeit  zu  Lappenhausen:  sie  musste  sich  waschen,  weil  sie  beim  Hasten 
zu  Tisch  in  den  Dreck  gefallen  war,  aber  ein  Handtuch  hatte  sie  nicht, 
ihr  Hemd  wollte  sie  schonen,  die  Hände  an  der  Luft  zu  trocknen,  war  ihr 
zu  langweilig  —  und  so  stürmte  sie  ungetrocknet  zum  Mahle  zurück:  tind 
kam  gelaufen  also  naz  (Wittenweilers  Ring  35,  6)^). 


1)  Die  Schildonini:  eines  ^z.  tlichen   Klosters    gibt  d  r  Eingang   des  Schwankes  vom. 
'Möach  und  Gänslein",  Zs.  f.  d.  Alt  8,  95: 

Ich  hörte  sagen   ein   ninre, 

icie  ein  klöster  wiere 

rieh  Hilde  erb  u  wen  irol, 

als  von  rehte  ein  Idöster  sol. 
5  />•  gasthi'is  tinde  ir  spital 

heten  niJit  gesazti u  nnil, 

wan  ze  sicelhen  ziteii   dir  i)ia)i 

geriten   ode  gegange  n  kam, 

der  vant  daz  ezzen  ie  bereit. 
10  minnecliche  und  unverseit 

gap  man  siraz  si  mohten   hän 

2)  Die  Stelle  ist  schon  von  Wallner  a.  a  0.  aiigelülirt   worden,    der   aber   ihre  Ver- 
wertuntr  ablehnt. 


Walther  in  Tegernsee.  \'2T 

Als  Zubehör  zum  Handwasser  habe  ich  oben  giezvaz,  becken  und  ta-eJiet 
genannt.  Das  giezvaz  kommt  freilich  nur  auf  dem  Zauberschloss  der 
Meliur  (Partonopier  984.  1084)  und  bei  einem  goldenen  Automaten  vor 
dem  unterirdischen  Schlosse  des  Zwerges  Billung  (Wolfdietrich  B  811) 
vor.  —  Au  Stelle  von  giezvaz  und  hecken  treten  offenbar  die  zwei  becken 
Heinr.  v.  d.  Türlin,  Krone  28791;  Fleier,  Tandarois  9790.  Garel  4779 
(Hr.  becher).  Weitere  Erwähnung  der  hecken  Nib.  A  560,  1;  Krone  •29279; 
Herzog  Ernst  B  3177;  Herzog  Ernst  D  2718;  Wilhelm  v.  Wenden  1457. 
—  Die  wtzen  twehele  werden  genannt  Wilder  Mann,  Yeronica  186;  Parz. 
286,  29.  237,  10;  Herz.  Ernst  B  3182;  Krone  28788.  29279;  Herz.  Ernst 
D.  2719;  Wilhelm  v.  Wenden  1458;    Fleier  Garel  4781.  Tand.  9592. 

An  Fürstenhöfen  wie  überhaupt  in  vornehmen  Haushaltungen  fiel  die 
Aufgabe  des  wazzergehens  dem  Kämmerer  zu,  der  ja  auch  das  Wasch- 
wasser ins  Schlafgemach  zu  bringen  hatte  (Konrads  Flore  4330ff'.).  Nach 
dem  Rudlieb  XI  25  begegnet  uns  der  Kämmerer  Nib.  A  560,  1 ;  Parz. 
236,25.  809,  15;  Krone  29275:  H  Ernst  B  3178;  H.  Ernst  D  2717; 
Wilhelm  v.  Wenden  1456:  Wiganiur  4440f.  4552;  Yriolsheimer,  Der  ent- 
laufene Hasenbraten  (Gesabt.  Nr.  XXX)  85.  Von  besonderem  Interesse 
ist  hier  der  Lohengrin: 

Str.  1!)T,  1   drr  kamfrar  cfcip  ira~^er  riir  — 

198,  3  sC  ist  von  Brandenburc  ein  kamenere, 

denn  diese  Stelle  gründet  sich  auf  das  Landrecht  des  Schwabenspiegels,. 
Kap.  130  (vgl.  Zeumer,  Die  Goldene  Bulle  1.  30):  Der  dritte  ist  der  marc- 
grdve  von  Brandenhurch,  des  rtches  kamerwre,  der  sol  dem  künge  wazzer  geben. 
In  einfacheren  Verhältnissen,  beim  Landadel,  den  Bürgern  und  Bauern 
sorgte  wohl  meist  jeder  für  sich  selbst,  nachdem  die  Aufforderung  dazu 
ergangen  war  Qnemet  water,  des  is  tid' :  'Treue  Magd'  Y.  301;  vgl.  Yir- 
ginal  924,  2  '•nement  wazzer  sdzehant!'  Der  Junker  u.  d.  treue  Heinrich  1895f. 
man  hiez  die  heren  ungebeit,  die  hende  da  twahen;  Arnold  Immessen  2373f. 
^Gi  schuUeJi  hir  to  deme  watere  gdn  Und  alle  jun-e  hende  tirdn),  wenn  nicht 
etwa  der  Wirt  oder  die  Wirtin  selbst  dem  Gaste  eine  besondere  Höflich- 
keit erwiesen,  indem  sie  ihm  das  Wasser  reichten  {dö  gab  im  wazzer  zeliant 
sin  geoater  diu  wtse,  Strickers  Bloch  478),  oder  die  Frau  dem  Manne  zum 
besonderen  Zeichen  der  Unterordnung  diesen  Dienst  leistete  (si  ivolte  im 
selber  wazzer  geben  Frauentrost  4  95).  Jedenfalls  galt  in  diesen  Kreisen 
die  Darreichung  des  Handwassers  als  ein  niederer,  ja  zuletzt  als  der  nied- 
rigste Dienst;  von  daher  sciireibt  sich  die  Redensart:  einem  nidit  das 
Wasser  reichen,  die  Luther  schon  ganz  geläufig  war  (DWB.  8,  590),  wäh- 
rend in  mhd.  Zeit  selbst  der  Ausdruck  wazzer  reichen  noch  fehlt;  Burkard 
Waldis  brauchte  in  dieser  Wendung  noch  handicasser,  Aesop  III  84,  22 
So  er  doch  selb  7iit  so  viel  töcht,  das  er  im  das  handu-asser  brächt.  Dies 
Kompositum  ist  vor  dem  15.  Jh.  (Kaspar  v.  d.  Ron,  s.  o.)  nicht  bezeugt, 
war  aber  dem   16.  Jh.  ganz  geläufig  (DWB.  4,  2,  423),    und    so   ist  es  aus 


130  Kück: 

den  Meissner  eitleren,  "NVilnianns,  der  ein  auf  die  Bienenkönigin  bezüg- 
liches mittelalterliches  Zitat  als  Parallele  beibringt  {apes  absque  duce  non 
vimint),  Hildebrand,  der  unter  den  'Königen  von  Gewürm  und  Ungeziefer' 
mit  Berufung  auf  unsere  Stelle  den  künic  der  mucken  nennt  (D.Wb.  5,  1700), 
haben  Walther  ebenso  verstanden. 

Aber,  was  für  den  Bienenschw^arm  gilt,  trifft  noch  nicht  auf  den 
Mückenschwarm  zu.  Die  Mücken  schwärmen,  wie  übrigens  bisweilen 
auch  die  Bienen  (die  sogen,  'w^eisellosen'  Schwärme),  ohne  Führer.  Einen 
'Mückenkönig'  kennt  die  Naturwissenschaft  nicht.  Auch  das  Yolk,  das  in 
der  Naturauffassung  ja  oft  seine  eigenen  Wege  geht  und  sich  sonst  (in 
Sprichwörtern,  Rätseln,  Wetterregeln)  vielfach  mit  dem  kleinen  Tier  be- 
schäftigt, weiss  von  einem  solchen  Wesen  nichts. 

So  scheint  denn  etwas  an  der  Stelle  nicht  in  Ordnung.  Der  Zweifel 
wird  dadurch  erheblich  verstärkt,  dass  der  'Mückenköuig'  auch  bei  einer 
inhaltlichen  Zergliederung  nicht  standhält.  Walther  nennt  zunächst  nach 
der  hergebrachten  Einteilung  die  vier  Tierreiche,  die  Fische,  die 
kriechenden,  die  fliegenden  und  die  auf  der  Erde  gehenden  Tiere:  keins 
dieser  AA' esen  lebt  ohne  Kampf: 

daz  will  und  daz  gewürme 
die  stritent  ftiarke  stürme, 
sani   tnonl  die  voqel  nvder  in. 

Die  letzten  Worte  zeigen  deutlich,  dass  der  Dichter  die  Kämpfe  in 
den  einzelnen  Tierreichen  (zwischen  den  verschiedenen  Arten)  im  Auge 
hat.  Dann  fährt  er  fort,  indem  er  den  Boden  der  Wirklichkeit  verlässt 
und  das  ideale  Gebiet  der  Tiersage  betritt:  trotz  aller  Kämpfe  sind  sie 
(die  Tiere  jedes  Reiches)  in  einem  vernünftig,  sie  schaffen,  um  nicht  zur 
Bedeutungslosigkeit  herabzusinken,  starkes  Gericht,  sie  küren  Könige  und 
Recht,  sie  setzen  Herren  und  Knecht  ein.  —  Fragen  wir,  an  welche 
Herrscher  der  Dichter  gedacht  haben  mag,  so  sind  als  Könige  der  Vier- 
füssler  der  Löwe  oder  der  Bär  allbekannt,  über  Königswahlen  der  Fische 
vgl.  Dähnhardt,  Natursagen  4,  201  f.,  bei  den  Kriechtieren  kommt  besonders 
die  mit  dem  Krönchen  geschmückte  Ringelnatter  in  Betracht  und  bei  den 
Vögeln  der  Adler  oder  der  bereits  dem  klassischen  Altertum  als  König 
(ßaoi/.ioxog,  reguhts)  und  bei  uns  schon  in  ahd.  Zeit  als  kuning  oder  kunichli 
bezeichnete  Zaunkönig,  der  sich  beim  Wettfliegen  auf  die  Flügel  des 
Adlers  setzte.  —  Unmittelbar  auf  die  Schilderung  des  geordneten  Lebens 
in  den  Tierkönigreichen  folgt  nun  unsere  Stelle: 

sä  icr   {A  oice)   dir,  tinschiu  ziniye, 
wie  siel  diu  urdentinge, 
daz  nfi  diu  mugge  etc. 

Man  beachte  das  nie.  das  über  die  Mücke  Bemerkte  muss  sich  in  den 
durch  die  vier  Königreiche  angedeuteten  Rahmen  fügen.     Daher  darf  der 


Der  'Mückenkönig'  Waltherß  v.  d.  Vogelweide.  131 

König  der  Mücke  nicht  beim  Mückenschwarm,  sondern  muss  unter  den 
Beherrschern  der  Tierreiche  gesucht  werden;  da  aber  die  Mücke  ein 
fliegendes  Tier  ist,  so  kann  nur  der  Adler  oder  der  Zaunkönig  ge- 
meint sein^'. 

Die  Auffassung  der  Mücke  als  eines  geflügelten  Wesens  ist  nun  nicht 
nur  nach  dem  Zusammenhang  notwendig  und  beseitigt  zugleich  den  an 
sich  anfechtbaren  Mückenkönig,  sie  hat  auch  den  Vorzug,  volkstümlich  zu 
sein.  Das  Volk  betrachtet  diese  und  ähnliche  Lebewesen  nicht  als 
'Insekten',  als  Tiere  mit  einem  in  Kopf,  Brust  und  Hinterleib  eingekerbten 
Körper,  sondern  beobachtet  in  erster  Linie  ihr  Flugvermögen.  Die  Fliege 
hat  ihren  Namen  vom  Fliegen  und  ist  schon  für  Phädrus  (V  3)  eine 
volucris  parvula,  der  Schmetterling  heisst  weithin  der  Boddervagel,  der 
Marienkäfer  das  'Herrgottsvögelchen',  'Johannesvögele',  'Kathrin evögele'; 
mhd.  vogel  bezeichnet  auch  das  fliegende  Insekt.  Im  mecklenburgischen 
Rätsel  'Die  sieben  Vögel",  dessen  Trümmer  Wossidlo  (Meckl.  Volks- 
überl.  1,  82f.)  gesammelt 'hat,  treten  als  'Vögel'  u.a.  auf:  der  Mistkäfer, 
die  Biene,  die  Fliege  und  —  die  Mücke  {fleegen  Vogel,  hett  keen  Bloot), 
und  neben  ihnen  als  Beherrscher  der  Vögel  der  Zaunkönig  (steü  cewer  de 
annern  all)\  Immerhin  wird  hier  die  Zugehörigkeit  der  kleinen  Wesen 
zum  Vogelreich  als  etwas  Eigenartiges  gefühlt,  erscheint  als  ein  Problem, 
das  dem  Verstände  vorgelegt  wird,  aber  mit  voller  Naivität  führt  uns  das 
Märchen  vom  'Zaunkönig  und  Bären'  (Grimm  Nr.  102)  die  Mücken,  Bienen 
und  andere  derartige  geflügelte  Tierchen  als  Mitglieder  dieses  Reiches 
handelnd  vor. 

Diese  Beispiele  werden  genügen.  Die  Mücke  in  dem  Spruche  ist 
also  die  Untertanin  des  Vogelköuigs.  Dass  der  Dichter  sie  nun  als 
schwaches,  winziges  Wesen  anführt,  leuchtet  ohne  weiteres  ein.  Wohl 
aber  erhebt  sich  die  Frage,  ob  das  Untertanenverhältnis  des  kleinen 
Tieres  zum  König  der  Vögel  nur  auf  einem  Schluss  des  Dichters  beruht 
(denn  wenn  die  Vögel  sich  einen  König  gewählt  haben,  so  ergibt  sich 
daraus  leicht,  dass  auch  die  Mücke  als  fliegendes  Wesen  ihren  König  hat) 
oder  auf  einer  Volksüberlieferung  fusst.  Da  Walther  an  der  ganzen  Stelle 
auf  dem  Boden  der  Tierfabel  steht  und  ihr  einen  Zug  nach  dem  andern 
entnimmt  {si  diVden  etc.,  si  kiesent  etc.,  si  setzent  etc.),  erscheint  es  aus- 
geschlossen, dass  er  in  diese  anschaulichen  Züge  einen  derartigen  Syllo- 
gismus eingeflochten  und  der  trockene  Verstand  hier  plötzlich  die  Phantasie 

1)  Nebenher  drängt  sich,  bei  einer  Einbezieliung  der  später  genannten  Fürsten  in 
den  Gedankengang,  diese  Schlussfolgerung  auf:  da  Walther  für  ein  starkes  Königtum  im 
Gegensatz  zu  den  übermächtigen  Fürste«  eintritt  {die  cirhd  sini  zc  hi're),  so  kam  als 
Beispiel,  wenn  ein  Missverständnis  vermieden  werden  sollte,  nur  eine  Tiergattung  in 
Betracht,  die  nicht  ihren  besonderen  Herrscher  besitzt,  sondern  unmittelbar  dem 
Könige  dient  (z.  B.  die  Biene  war  wegen  des  Weisels  ausgeschlossen).  So  sprechen  denn 
die  Worte  daz  nu  diu  mugge  etc.  nicht  etwa  für  einen  Mückenkönig,  sondern  zeigen  im 
Gegenteil,  dass  der  Dichter  einen  solchen  nicht  gekannt  liat. 

9* 


132  Kück: 

des  Künstlers  abgelöst  haben  sollte.  Ich  schliesse  also:  die  Verbindung 
der  Mücke  mit  dem  König  der  Vögel  war  für  den  Dichter  bereits  durch 
die  Tierdicbtung  gegeben;  er  nimmt  hier  auf  ein  Märchen  Bezug,  in  dem 
die  Mücke  und  ihr  König  eine  Rolle  spielen  und  dessen  Bekanntschaft  er 
auch  bei  seiner  Zuhörerschaft  voraussetzt. 

An  diese  vorausgesetzte  Erzählung  sind  nun,  bei  behutsamer  Ver- 
wertung der  beim  Dichter  vorliegenden  spärlichen  Andeutungen,  folgende 
Forderungen  zu  stellen: 

1.  Die  Mücke  muss  darin  als  kleines  Wesen  auftreten,  da  der  Spruch 
sie   ausdrücklich    in   einen  Gegensatz  zum  grossen  deutschen  Volke  stellt. 

2.  Sie  muss  die  Untertanin  des  Vogelkönigs  sein. 

3.  Da  nach  der  Gründung  der  Tierkönigreiche  die  zerrüttete  Ordnung 
des  römischen  Reiches  erwähnt  und  ihr  das  Verhältnis  der  Mücke  zu  ihrem 
König  gegenübergestellt  wird,  so  muss  die  Erzählung  die  vom  König  bis 
zur  Mücke  hinabreichende  mustergültige  Ordnuno-  des  Vogelstaates  betreffen. 

4.  Was  die  Mücke  getan  hat  (denn  die  Tiere  pflegen  in  den  Erzählungen 
zu  handeln),  bleibe  dahingestellt:  jedenfalls  würde  zwischen  der  kleinen 
Mücke  und  dem  grossen  deutschen  Volke,  auf  deren  Gegenüberstellung  es 
ja  abgesehen  ist,  sich  der  wirkungsvollste  Gegensatz  ergeben,  wenn  jene 
in  der  Erzählung  nicht  nur  die  Untertanin  ihres  Königs  wäre,  sondern  auch 
im  Verhältnis  zu  ihm  etwas  vollbrächte,  was  das  deutsche  Volk  zur  Zeit 
nicht  vermag. 

5.  Die  Erzählung  muss  sehr  bekannt  gewesen  sein:  das  darf  aus  der 
kurzen,  nur  leicht  andeutenden  Form  des  Hinweises  geschlossen  werden. 
Gerade  dieser  Gesichtspunkt  hat  mich  denn  auch  besonders  zum  Suchen 
ermutigt,  und  ich  glaube  gefunden  zu  haben. 

In  dem  schon  erwähnten  Märchen  vom  'Zaunkönig  und  Bären'  oder, 
wie  es  auch  genannt  wird,  dem  'Krieg  der  Vögel  mit  den  Vierfüsslern' 
sagen  (nach  der  Grimmschen  Fassung,  Nr.  102)  der  Zaunkönig  und  die 
Frau  Königin  dem  Bären,  der  ihre  Kinder  als  unehrlich  gescholten  hat, 
blutigen  Krieg  an;  der  Bär  beruft  alles  vierfüssige  Getier,  der  Zaunkönig 
aber  'berief  alles,  was  in  der  Luft  fliegt,  nicht  allein  die  Vögel  gross  und 
klein,  sondern  auch  die  Mücken,  Hornissen,  Bienen  und  Fliegen  mussten 
herbei'.  Nun  schickt  der  Zaunkönig  Kundschafter  aus,  und  'die  Mücke 
war  die  Listigste  von  allen,  schwärmte  bald  im  Walde,  wo  der  Feind 
sich  versammelte,  und  setzte  sich  endlich  unter  ein  Blatt  auf  dem  Baum, 
wo  die  Parole  ausgegeben  wurde'.  Dann  'flog  sie  wieder  heim  und  verriet 
dem  Zaunkönig  alles  haarklein'.  Auf  Grund  ihrer  Mitteilungen  und  durch 
das  Eingreifen  der  Hornisse,  die  den  feindlichen  General,  den  Fuchs, 
unter  dem  Schwanz  sticht,  wird  von  den  Vögeln  die  Schlacht  gewonnen; 
obendrein  muss  der  Bär  bei  den  Königskindern  Abbitte  tun. 

Dieses  Märchen  erfüllt  alle  oben  aufgestellten  Forderungen. 


Der  "Mückenkönig'  Walthers  v.   d.  Vogelweide.  133 

1.  Die  Mücke  wird  hier  als  kleines  Wesen  eingeführt  oder  genauer 
als  kleinstes  unter  den  kleinen,  denn  die  Fabel  will,  wie  schon  die 
Grimmsche  Ausgabe  bemerkt,  den  Sieg  der  klugen  Kleinen^)  über  die 
grossen  Starken  schildern. 

2.  Die  Mücke  ist  die  Untertanin  des  Yogelkönigs. 

3.  Im  Vogelreiche  herrscht  eine  vorbildliche  Ordnung.  Es  umfasst 
nicht  nur  alle  fliegenden  Tiere,  sondern  diese  stellen  sich  auch  sämtlich 
bis  auf  die  kleinsten,  auf  den  Kuf  des  Königs  zur  Hilfe  ein. 

4.  Die  kleine  Mücke,  die  so  treu,  klug  und  tapfer  für  ihren  König 
und  dessen  Ehre  eintritt,  und  der  es  mit  in  erster  Linie  zu  danken  ist, 
dass  das  Königtum  derYögel  nicht  nur  geschirmt,  sondern  auch  Yon  neuem 
Glanz  umstrahlt  wird,  ergibt  zugleich  einen  ausgezeichneten  Gegensatz^) 
zum  grossen  deutschen  Volke,  das  im  Begriffe  ist,  sich  sein  Königtum 
durch  seine  Uneinigkeit  und  Unentschlossenheit  nehmen  und  seine  'Ehre 
zergehen'  zu  lassen.  Jetzt  erkennen  wir  auch  den  Gedankengang  des 
Dichters  noch  schärfer:  die  Betrachtung  der  Tierkönigreiche,  bei  deren 
Gründung  die  Absicht  der  eignen  Stärkung  massgebend  war  (si  dühten 
sich  ze  nihte  etc.),  führt  ihn  auf  das  Märchen  vom  Sieg  der  A^ögel  über  die 
Yierfüssler,  in  diesem  Staate  zieht  dann  das  schwächste  Wesen  den  Dichter 
an,  und  dieses  kleine  Ding  benutzt  er,  um  den  Gegensatz  zwischen  den 
verständigen  Tieren  und  dem  deutschen  Volke  noch  sn^'^rfer  zu  betonen, 
indem  er  den  Schluss  a  minori  ad  malus  (wan  daz  nabent  einen  sin  etc.) 
zu  einem  solchen  a  minimo  ad  maximum  steigert. 

Um  das  Dargelegte  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Wahrscheinlichkeit 
zusammenzufassen:  es  wäre  wirklich  ein  merkwürdiger  Zufall,  wenn 
Wal'ther,  indem  er  für  das  bedrohte  Königtum  eintritt  und  dieses  dem 
Herrscherhause  erhalten  sehen  möchte,  der  Gleichgültigkeit  Deutschlands 
gegenüber  unmittelbar  nach  einer  lobenden  Erwähnung  der  Tierkönig- 
tümer und  an  einer  Stelle,  an  der  die  Benutzung  eines  Tiermärchens  von 
vornherein  wahrscheinlich  ist,  sich  auf  die  Mücke  und  ihren  König  berufen 
haben  sollte,  ohne  das  Märchen  vom  bedrohten  und  tapfer  verteidigten 
Königtum  der  Vögel  zu  kennen,  ohne  von  der  ihrem  König  treu  ergebenen 
kleinen  Mücke  gehö»-:  zu  haben.  Und  w^enn  er  ferner  einerseits  die 
musterhafte  Ordnung    des  Vogelstaates   gelobt  haben  und  andrerseits  die- 


1)  Dieser  Idee  entspricht  denn  auch  der  kleine  Herrscher;  vgl.  auch  Bolte  und 
Polivka  (an  der  noch  anzuführenden  Stelle)  'der  Zaunkönig  ist  der  Herrschende,  weil  die 
Sage  das  Kleinste  wie  das  Grösste  als  Herrscher  anerkennt'. 

2)  Auch  das  Verhalten  der  Mücke  zu  dem  ,Mückenkönig'  zeigt  zwar  einen  solchen, 
da  dem  von  diesem  (vermeintlich)  angeführten  Mückenschwarm  die  Klugheit  und  Folg- 
samkeit der  sich  eine  Königin  wählenden  und  ihr  geliorsameu  Bienen  beigelegt  wird,  aber 
mit  dem  Mückenkönig  fällt  auch  dieser  Gegensatz.  Die  Mücke  des  Märchens  und  ihr 
Verhalten  zum  König  der  Vögel  bietet  jedoch  vollen  Ersatz,  ja  ihr  auf  freier  Selbst- 
bestimmung beruhendes  Handeln  steht,  mit  menschlichem  Massstab  gemessen,  höher  als 
das  angenommene  instinktive  Verhalten  der  Mücke  zu  ihrem  augeblichen  Sonderherrscher. 


134  Kück:    Der  'Mückenkönig'  Walthers  v.  d.  Vogelweide. 

jeiiige  Erzählung,  in  der  gerade  die  Organisation  dieses  Tierstaates  den 
höchsten  Triumph  feiert,  ihm  unbekannt  gewesen  sein  sollte! 

Dazu  kommt  nun  noch,  dass  das  Märchen,  wie  aus  den  in  ver- 
schiedenen Gegenden  Deutschlands  aufgezeichneten  Fassungen  folgt,  sich 
einer  weiten  Verbreitung  erfreut  haben  muss;  selbst  in  andern  Ländern 
Europas  ist  der  Stoft'  mit  kleineren  oder  grösseren  Abweichungen  bekannt 
(s.'Bolte  u.  Polivka,  Anmerkungen  2,  435 f.).  Hervorgehoben  sei,  dass  die 
uns  hier  besonders  angehende  Mücke  und  ihr  folgenreicher  Aufklärungsflug 
nicht  nur  in  Hessen  (bei  Grimm),  sondern  auch  in  Niederdeutschland 
begegnet:  so  im  Waldeckischen  (doo  is  äwwer  bie  den  vüggelen  sau  'ne 
kleine  mügge  e''west,  dee  häd  sick  hinne  macht  un  häd  sick  upp  en  laufblaad 
satt  etc.  Curtze,  Volksüberlieferungen  S.  172)  und  in  Pommern  (Bl.  f. 
pomm.  Volksüberl.  8,  148;  Haas,  Rügensche  Sagen  u.  Märchen  Nr.  134); 
selbst  in  vlämischen  Überlieferungen  des  Märchens  (Dähnhardt  4,  201  f.) 
finden  wir  diese  kleine  Spionin. 

Dass  das  Märchen  in  verhältnismässig  alte  Zeit  zurückreicht,  ahnte 
der  feinfühlige  Wilhelm  Grimm:  ein  'schönes'  Märchen  nannte  er  es  und 
nahm  einen  Zusammenhang  mit  den  Reineckegeschichten  an,  ohne  den 
Nachweis  eines  so  hohen  Alters  zu  führen.  Die  Heimat  der  Erzählung 
hat  man  dann  in  Niederdeutschland  suchen  zu  müssen  geglaubt,  besonders 
auf  Grund  der  vorzugsweise  diesem  Teile  Deutschlands  angehörenden 
Aufzeichnungen  (s.  Dähnhardt  4,  199f.).  Wenn  der  hier  versuchte  Nachweis 
gelungen  sein  sollte,  so  wird  mit  der  Feststellung,  dass  um  1200  ein 
grosser  Dichter  Süddeutschlands  und  seine  Zuhörer  das  Märchen  gekannt 
haben,  zugleich  in  das  unsichere  Dunkel,  das  die  Geschichte  dieser  Volks- 
überlieferung bisher  umgibt,  neues  Licht  fallen. 

B  e  rl  i  n  -  L  i  c  h  t  e  r  f  e  1  d  e. 


Kleine  Mitteilungen.  ]35 


Kleine  Mitteilungen. 

<Die  Scheune  brennt!'  oder  die  sonderbaren  Namen. 

Der  oben  26,8—18  von  R.  Petsch  vortrefflich  erläuterte  Schwank  geniesst 
■eine  so  weite  Verbreitung,  dass  ich  mir  erlauben  möchte,  noch  einmal  darauf  zu- 
rückzukommen. Ich  nutze  dabei  die  wertvollen  Nachweise,  die  A.  Wesselski 
(oben •26,  370)  und  G.  Polivka  (brieflich)  über  die  romanischen  und  slawischen 
Passungen  lieferten^). 

Gemeinsam  ist  allen  Fassungen  die  schadenfrohe  Meldung  von  einem  durch 
die  Katze  verursachten  Scheunenbrande,  mit  der  ein  ßursch  den  Hausherrn  weckt; 
er  verwendet  da  die  rätselhaft  verblümten  Ausdrücke  für  Katze,  Feuer,  Scheune, 
Wasser  usw.,  die  der  Hausherr  ihm  früher  eingeprägt  hat.  In  der  ältesten  Fassung 
■des  1481  verstorbenen  Baseler  Chronisten  Johannes  Knebel  z.  J.  1479  (oben  26,  10) 
ist  es  offenbar  ein  Knecht,  dem  die  Worte  in  den  Mund  gelegt  sind: 

Der  Gewaltigist  [Herr]  stond  uff  von  uwerm  Lieberich  [Frau],  tretten  von  uwerui 
Senfterich  [Bett],  stossen  uwer  Sparfuß  [SchuheJ  an;  wan  Mattliged  [Katze]  hat  Arshitz 
[Feuer]  enpfangen,  und  ist  Hochmatis  [Scheuer]  angaugen. 

Bei  dem  Italiener  Straparola  (Piacevoli  notti  9,4.  1553.  Oben  26,370)  da- 
gegen nimmt  ein  Paduaner  Student,  der  Bauernsohn  Pirino,  auf  solche  Weise  Rache 
an  dem  aufgeblasenen  Dorfpfarrer  Papiro  Sehizza.  Dieser  hatte  ihn,  wie  er  von 
der  hohen  Schule  heimkehrte,  bei  einer  auf  Wunsch  des  Vaters  abgehaltenen 
Prüfung  im  Latein  schmählich  durchfallen  lassen,  indem  er  seine  richtigen  Ant- 
worten zurückwies  und  neuerfundene  Vokabeln  eigener  Mache  verlangte,  und  hatte 
dem  Bauern  geraten,  den  Jungen  lieber  die  Schweine  hüten  zu  lassen.  Darauf  band 
Piruio  der  Katze  des  Pfarrers  brennenden  Werg  an  den  Schwanz,  und  als  sie  in 
die  Flachskammer  lief,  rief  er  dem  Pfarrer  zu: 

'Prestule,  Prestnle  [Priester],  surge  de  reposorio  [Bett]  et  vide,  iie  cadas  in  gaudiuin 
ITisch],  quia  venit  saltagraffa  [Katze]  et  portavit  carniscoculum  [Feuer],  et  nisi  succurres 
domum  cum  abundaatia  [Wasser],  non  restabit  tibi  substantia  [Vermögen]'. 

Da  Papiro  sich  seiner  eigenen  Ausdrücke  nicht  mehr  erinnert,  versteht  er  die 
Warnung  nicht  und  kommt  mit  dem  Löschen  zu  spät.  Straparolas  ausführliche 
Erzählung  geht  auf  einen  Studentenwitz  vom  selbstgemachten  maccaronischen 
Latein'-)  zurück,  der  auch  der  21.  Novelle  des  um  1544  verstorbenen  Franzosen 
B.  Des    Periers    (oben  26,370)  zugrunde    liegt^'),   aber  vermutlich  jünger  ist  als 

1)  Herr  Prof.  Dr.  Polivka  sandte  mir  freundlichst  einen  Auszug  aus  seinem  Auf- 
satze 'Eine  russische  Anekdote  und  deren  europäische  Quelle^  (Jubilej  Sbornik  Vser. 
Millera,  Moskau  1900  S.  163-168)  und  fügte  weitere  Parallelen  hinzu. 

2)  Vgl.  dazu  etwa  Polivka,  Zs.  f.  österr.  Volkskunde  11,  158  und  oben  16,  449^  — 
Zu  dem  oben  26, 11  erwähnten  Spott  über  die  schwülstige  Ausdrucksweise  der  Pedanten 
vgl.  A.  Graf,  Attraverso  il  Cinquecento  1888  p.  207.  In  Giordano  Brunos  Komödie  II 
candelajo  (II,  1.  1582)  ruft  ein  bestohlener  Pedant  'Involatore,  Surreptore,  Fure\  statt 
den  gewölinlichen  Ausdruck  'Ladro'  zu  gebrauchen,  und  die  Anwesenden  lassen  den  Dieb 
entwischen  (Ru»,  Giornalc  storico  16,266). 

3)  Des  Periers  Novelle  ist  vermutlich  wiederholt  in  den  Discours  facetieux  et  tres- 
recreatifs,  Ronen  1610  p.  16. 


186*  Bolte: 

die  Baseler  Anekdote  von  1479.  Beide  Passungen  haben  sich  im  Volksmunde  bi& 
heut  fortgepflanzt.     [Samotschiner  Zeitung  1906,  30.  Mai,  Beilage  S.  18.] 

Den  oben  26,  16  besprochenen  vlämischen  Schwank  hat  auch  Teirlinck, 
Contes  flamands  1896  p.  112  'Le  domestique  stupide'  mitgeteilt,  der  weiter  ver- 
weist auf't  Daghet  in  den  Oosten  1887,  76.  108;  Leroy,  'Mijnheer  Hosperatus'  und 
Belpaire  en  Hilda  Ram,  'Geloude'.  —  Zu  den  dänischen  Seitenstücken  (oben 
26,17)  gehört  Kamp,  Danske  folkeseventyr  1,154  nr.  14  'Pruen,  der  skulde  va^re 
fin  paa  det");  Skattegraveren  5,19,  'S«re  Navne'^)  und  7,  107  'De  ssere  Navne'^*) 
Kristensen,  Äventyr  fra  Jylland  2,  377  nr.  57  'Pilleripave'*)  und  2,  379  nr.  58  'De 
s«re  Navne'  (ähnlich  Kamp;  nur  heisst  die  Katze  Fissigom  und  das  Feuer 
Ratterej);  Kristensen,  Bindestuens  Saga  S.  136  nr.  19  'De  stere  Navne' ^5).  Einige 
hsl.  Passungen  aus  der  Kopenhagner  Folkemindesamling  führt  S.  Grund^ig  in 
seinem  hsl.  Märchenregister  nr.  9.S  'De  underlige  navne'  an,  doch  ohne  den  oben 
15,  74  erwähnten  Schwank  von  dem  listigen  Knecht  mit  den  verschiedenen  Namen 
davon  zu  trennen.  —  In  England  hat  Jacobs,  English  fairy  tales  1,  220  nr.  42 
'Master  of  all  masters'  verschiedene  Aufzeichnungen  bei  Mayhew,  London  poor 
3,  391  und  in  den  Notes  and  Queries  7.  series  3,  45.  89.  157.  397  (1887)  zu- 
sammengefasst.  Hier  ist  es  eine  gewissenhafte  Magd,  die  den  Hausherrn  mit  den 
Worten  weckt: 

Master  of  all  masters,  get  out  of  your  barnacle  [Bett]  and  put  on  your  squibs  and 
Crackers  [Beinkleider].  For  white-faced  simming  [Katze]  has  got  a  spark  of  bot  cocka- 
loruin  [Feuer]  on  its  tail,  and  unless  you  get  some  pondalorum  [Wasser],  high  topper 
mountain  [Haus]  will  be  all  ou  bot  cockalorum. 

Schottisch  im  Polk-lore  Journal  7,  166  (1889)  'The  clever  apprentice': 

Master  above  all  masters,  start  up  and  jump  iuto  your  struntifersJHosen],  and  call 
upoü  Sir  John  the  Great  [den  Sohn  Johnny]  and  the  fair  Lady  Permonmadani  [die  Frau], 
for  Carle  Gropus  [Katze]  has  caught  hold  of  Fire  Evangelist  [Feuer],  and  he  is  out  to 
Mount  Potügo  [Torfhaulen],  and  if  you  don't  get  help  from  the  Fair  Fountain  [Brunnen],, 
the  whole  of  Castle  Mungo  [Baus]  will  be  burned  to  the  ground. 


1)  Landsfrue  og  Landsherre!  sove  I?  Hallo-hej  [Hund]  tog  Rompe-dvej  [Katze]  og 
kastede  harn  ind  i  Firre-gon  [Feuer] ;  saa  sprang  Kompe-drej  ud  af  Firre-gon  og  Iv^b  ud 
i  Volle-mon  [Scheune],  og  uu  staar  hele  VoUe-mon  i  en  Firre-gon. 

2)  Kongen  af  Fil  [Hund]  smed  Dronningen  of  Bil  [Katze]  i  Vra  [Feuer],  og  der  kom 
Yrk  i  dronningens  hale.  Dronningen  lab  ud  i  Gla^den  [Scheune],  og  der  kom  Vrä  i 
Glajden,  og  kommer  Inu  ikke  op  til  jer  Pevende  [Brunnen],  sä  har  jer  Glsede  snart  ende,, 
og  nu  ta'r  jeg  eu  af  jere  Filipaver  [Pferd]  og  sä  ser  I  mig  aldrig  mer  i  jere  daver'. 

3)  Hr.  Prysvos,  stej  dej  op!  ta  Taprispojes  [Beinkleider]  pä,  tej  Drejs  'LRockj  til 
fru  Mynker,  Aggerfol  [Hund]  l0b  efter  Rubis  [Katzt],  Rubis  lob  op  i  det  hellige  Isgnat 
[Feuer],  det  hellige  Höhof  [Gehöft]  stär  i  lys  lue. 

4)  Hej,  Va!rt  og  Viertinde !  stat  op  og  tag  jere  Fodspottrer  [Holzschuhe]  paa. 
Trokna3gt  [Hund]  og  Kismuskej  de  slides  oni  ?e  Slesfedt  [Nierenfett],  Trokna-gt  ta'r  Kis- 
muskej  og  kyler  heud'  op  o  Rovnet  [Feuer],  Kismuskej  ta'r  Rovnet  o  Rumpen  og  render 
ind  i  Gteden  [Scheune],  og  hvis  der  er  nu  ikke  Vand  i  Travandtum  [Brunnen],  saa 
brajnder  al  hele  Glasden  af,  hver  Stikke  og  Stage.  Saa  sa?ttcr  a  ms  o  mi  lille  Pilleripav' 
[Pferd],  saa  ser  I  rare'  aaller  mer  i  mi  Dav'. 

5)  Husbond-Braat!  tal  til  Fru-Gaat,  Mark-om  f?ejj  [Hund]  og  Fru-b;pjj  [Katze]  er 
kommen  op  at  slaas  om  Kaallenfjset  [Kohl],  og  der  er  kommen  Lidt-for-hjiiet  [Feuer]  i 
Fra-baijj,  og  hun  er  sprungen  ud  af  Morgenlys  [Fenster],  og  kommer  du  indt  op  til  Aat 
[Brunnen],  saa  gaar  Glee-hold-for-wand  [Scheune].  Og  nu  er  a  kommen  op  p»;i  Pille- 
graww  [Pferd],  og  nu  ser  I  meg  aldrig  mer  i  jer  Daww. 


Kleine  Mitteilungen.  13  T 

Irisch  in  Folk-lore  2,130  (1891)  'Master  of  all  masters': 

King  of  the  house,  be  sitting  up.  The  trottiug  [Hund]  Las  eaten  the  comfort  of  the 
soles  [Schuhe],  there  is  heavj  sleep  on  Aillin  [Haushälterin],  the  glor}'  [Feuer]  is  in  the 
buttock  of  the  comfort  [Winkel  des  Hauses].  If  the  plenty  [Wasser]  will  not  save.  thy 
kingdora  will  he  burned. 

In  den  italienischen  Passungen,  die  S.  Prato  im  Archivio  delle  tradizioni 
popolari  (i,  62— G8  genauer  verglichen  hat,  wirkt  mehrfach  Straparolas  Novelle 
sichtbar  nach.  So  in  einer  Variante  aus  den  Abruzzen  (Archivio  5,  216  nr.  9  = 
6,48)  und  in  einer  aus  Genua  (ebd.  6,  49);  in  der  zweiten  lautet  die  Rätselrede: 
Surge,  Prestor,  quia  venit  saltingraffa  [Katze]  portans  caruiscoculura  [Feuer]  inter 
capillos  terrae  [Heu],  ac  nisi  venerit  abundantia  [Wasser],  peribit  omnis  sabstantia  [Ver- 
mögen]. 

In  der  ersten  schreibt  der  Junge,  den  der  Vater  auf  Zureden  des  Erzpriesters 
aus  dem  Seminar  genommen  hat,  einen  fast  gleichen  halblateinischen  Spruch  auf 
einen  Zettel,  den  er  der  Katze  des  Priesters  um  den  Hals  hängt. 

In  einer  Fassung  aus  Spoleto  (Archivio  6,  13)  sind  italienische  Bezeichnungen 
an  die  Stelle  der  maccaronischen  getreten: 

Sor  Domine-Domine,  alzatevi  dal  santo  riposo  [Bett],  mettitivi  le  cianfrante  [Schuhe], 
attento  a  li  mali  incuntri  [Stühle],  andate  giii  pe^  li  pendenti  [Treppe],  che  lu  chiappa- 
surci  [Katze]  ha  portato  T  cocicarne  [Feuer]  giii  a  pili  dl  la  madre  terra  [Heu],  e  si  nun 
currite  pri  Fabbundanza  [Wasser],  pri  lu  ciferu  [Esel]  nun  c'  e  piü  speranza. 

Ähnlich  aus  Nocera  (Archivio  6,  44),  wo  der  Bursch  von  dem  geizigen  Priester, 
der  mit  ihm  eine  Zornwette  geschlossen  hat,  bei  jeder,  falschen  Bezeichnung 
Prügel  erhält : 

Currite,  Sor  Don  Doadolo,  dal  santo  arriposagolo  [Bett],  che  pappalardo  [Katze]  ha 
dato  foco  a  la  stanza  de  la  misticanza  [Hnusboden],  currite  coir  abbonnanza  [Wasser], 
se  volete  sarvä  la  stanza,  e  nun  badate  a  mcttere  li  sfringolamenti  [Strümpfe]  coUe 
ciampagole  [Schuhe]  e  badate  giü  pel  saliscendi  [Treppe],  che  c'e  il  coriolo  [Tischchen], 
che  non  ve  rempa  li  stinchi. 

Aus  Livorno  ebd.  G,  46  'ü  anciUu  domini".  Aus  den  Marken  ebd.  8,  402; 
hier  ruft  die  Magd  dem  Priester  zu: 

S'alzi  il  sussudomine  [Priester]  coUa  signora  Gloria  [Haushälterin],  ch"  metta  i  miri 
miri  [Brille],  i  tiritiri  [Stiefel],  i  ciribiri-coccoli  [Hut],  ch'veda  sui  salimonti  [Treppe], 
ch'  beda  i  malincontri  [Stolpern],  che  riferaff  [Katze]  e  git  dall'  allepranza  [Feuer], 
sabbruscia  el  cacciapel  [Esel]  e  la  misticanza  [Heu]. 

In  einer  Erzählung  bei  Pitre,  Novelline  popolari  toscane  p.  289  nr.  61 
'Vocaboli'  ist  der  Geschädigte  kein  Geistlicher,  sondern  ein  wunderlicher  Bürger, 
der  dem  neuen  Knechte  eine  Reihe  von  sonderbaren  Bezeichnungen  beibringt. 
Dieser  bindet  nachts  der  Katze  brennenden  Werg  an  den  Schwanz  und  weckt  den 
Herrn  mit  den  Ruf: 

Cincilla  d'  omini  [Herr],  mettiti  taccoli  [Schuhe]  e  zoccoli  [Strümpfe],  esci  dal  ripo- 
sorio  [Bett],  lascia  le  mie  glorie  [Frau  und  Kinder].  Ruüo-raffo  [Katze]  gli  ha  preso 
allegria  [Feuer],  e  gli  e  andato  in  capanna  e  brucia  mescolania  [Heu],  e  io  me  ne  vado 
via  con  brutta-])ezza  [Esel]  e  San  Domenico  [Schinken]  e  la  sua  compagnia  [Würste]. 

Eine  sardische  Lesart  bei  Mango,  Novelline  popolari  sarde  nr.  7  'II  padrone 
e  il  servo'  ist  nur  durch  die  Verbindung  mit  dem  oben  S.  136  erwähnten  Schwank 
vom  Knecht  mit  den  verschiedenen  Namen  bemerkenswert.  Zwei  sicilische 
Passungen  verdanken  wir  Pitre  (Otto  habe  nr.  7  =  Propugnatore  6,  2,  120.  1873 
und    Piabe  siciliane  3,  120  nr.  143).     Die  zweite  macht  aus  dem  Schelmenstreich 


38  Bolte: 

■eine  rohe  Mordtat^).  Von  der  ihres  wunderlichen  Mannes  überdrüssigen  Frau 
verlockt,  wirft  der  Knecht  nachts  einen  brennenden  Schwefelfaden  in  den  Flachs- 
speicher, weckt  den  Hausherrn  und  schliesst  ihn,  als  er  in  den  brennenden  Raum 
läuft,  dort  ein.  Eigentlich  entspricht  also  seine  Erzählung  von  der  Entstehung 
des  Feuers  nicht  der  Wahrheit: 

Sil  patruni,  sü  patrunil  Scinriiti  di  Farripusanti  [Bett],  mittitivi  li  zucculanli  [Pan- 
toffeln], dati  a  cura  pi  li  'mpidugghianti  [Stühle]!  Tippiti  nnäppiti  [Katze]  si  tirau 
l'allegra-populu  [Lampe],  si  nni  iju  'nimenzu  la  vesti-populu  [Flachs],  e  si  nun  curriti  pri 
l'abbunnanzia  [Wasser],  addiii  si  nni  va  tutta  la  sustanzia. 

Zwei  spanische  Varianten  aus  Estremadura  (Archivio  6,  70)  'El  cura  y  el 
ordenado'  und  aus  Andalusien  (Folk-lore  andaluz  1,  134  =  Archivio  G,  59) 
schliessen  ähnlich  wie  die  toskanische  mit  dem  Raub  der  Würste 2). 

Aus  Portugal  bringt  Prato  im  Archivio  6,  60  ebenfalls  zwei  Aufzeichnungen 
nach  Vasconcellos,  Tradicöes  p.  70  und  Coelho,  Jogos  e  rimas  infantis  1883 
p.  40  bei^).  Eine  rumänische  verdeutscht  Gaster,  Magazin  f.  d.  Lit.  des  Aus- 
landes 1879,  595  'Der  überlistete  Spötter'  nach  Ispirescu,  Snove  sau  povesti  popu- 
lär! 1875  p.  89:  'Die  Schnurrende  [Katze]  hat  den  Trost  [Feuer]  ergriffen  und  ist 
in  den  Erfolg  [Scheune]  gerannt;  lauft  mit  der  Nässe  [Wasser]'!  In  einem  serbo- 
kroatischen Schwank  aus  Belgrad  (Bos.  Vila  9,  269.  1894)  ruft  der  Reisende 
dem  Gastgeber  zu:  'Die  Reinheit  [Katze]  nahm  die  Schönheit  [Feuer]  und  trug  sie 
auf  die  Höhe  [Boden]:  gib  schnell  die  Güte  [Wasser],  daß  wir  die  Schönheit 
umbringen!' 

Dagegen  klingt  eine  bulgarische  Erzählung  aus  Südmazedonien  (Vodena. 
Sbornik  min.  4,  o,  143)  an  Straparola  an.  Der  Schüler,  den  der  Vater  wieder  die 
Schweine  hüten  lässt,  weil  er  in  der  Prüfung  des  Bischofs  durchgefallen  ist,  rächt 
sich  an  letzterem,  indem  er  den  griechischen  Brief  des  Patriarchen  beim  Vorlesen 
absichtlich  verdreht  und  dem  Bischof  mitteilt,  er  solle  dem  Patriarchen  Frösche 
(statt  Fische)  schicken.  Wenn  hier  die  brandstiftende  Katze  fortgefallen  ist,  so 
fehlt  sie  doch  nicht  in  einem  polnischen  Schwanke  (Lud  2,  43).  Ein  Bauern- 
junge, der  Geistlicher  werden  möchte,  vermag  des  Pfarrers  Fragen  nicht  zu  be- 
antworten: 1.  Was  ist  bystrosr  (Schnelligkeit,  Feuer;,  2.  radosc  (Freude,  volle 
Scheune),  3.  obfitosc  (Reichtum,  Wasser),  4.  bystrowidz  (Scharfauge,  Kater)? 
Nach  einiger  Zeit  kommt  er  zum  Pfarrer  gelaufen  und  meldet:  'Scharfauge  Qoh 
mit  der  Schnelligkeit  zur  Freude,  und  wenns  nicht  Reichtum  gibt,  wirds  mit  der 
Freude  zu  Ende  sein.' 

In  den  übrigen  slawischen  Passungen,  deren  Kenntnis  ich  sämtlich  der  Güte 
von  G.  Polivka  verdanke,    ist    an    die  Stelle  des  gefoppten  Geistlichen   immer  ein 


1)  Auch  in  den  umbrischeu  Varianten  aus  Spoleto  und  Nocera  (Archivio  6,  43  f.) 
stürzt  der  Priester  die  Treppe  hinunter  und  bricht  sich  den  Hals;  aber  dieser  Ausgang 
ist  vom  Burschen  nicht  absichtlich  herbeigeführt. 

2)  Die  erste  lautet:  0  Scnor  Don  Piquis-miquis!  Tu  que  estäs  en  potestate  [Bett], 
ponte  los  chirlos-mirlos  [Schuhe],  tambien  los  garabitates  [Hosen];  que  el  ave  que  papa 
las  ratas  [Katze]  va  cargado  de  esperencia  [Feuer];  y  si  no  acudes  con  clarencia  [Wasser], 
te  se  quemarä  el  bitoque  [Heuschober].  Adios,  que  nie  llevo  los  jiliclos  [Würste]  y  los 
jiliclocles  [Schinken]. 

3)  Die  ausführlichere  zweite  Lesart  lautet:  Levantai-vos,  populus  dei,  que  lä  vae  o 
papa-in-rate  [Katze]  por  a  iümacia  [Ofen]  acima  com  o  escaramulo  [Feuer]  ao  rabo. 
Se  näo  acudis  com  abundancia  [Wasser],  esta  perdida  a  ganancia  [Vermögen].  Cal^ae 
as  vossas  tiras  e  viras  [Strümpfe?]  e  as  vossas  salperqnitates  [Schuhey|.  Abundancia, 
senhor! 


Kleine  Mitteilungen.  139 

wunderlicher  Bauer  getreten,  während  die  Rolle  des  Helden  teils  einem  Studenten, 
teils  einem  alten  Soldaten  (aber  nicht  einem  Knechte)  zufällt.  Eine  cechische 
Erzählung  aus  Mähren  (Mensi'k,  Jemnic.  S.  176  nr.  54)  berichtet,  wie  ein  Prager 
Student  in  den  Ferien  beim  Grossvater,  der  inzwischen  Dorfschulz  geworden  ist, 
dessen  neue  Namengebung  lernen  muss;  er  sieht,  wie  in  der  Küche  der  naschenden 
Katze  eine  Kohle  auf  den  Rücken  fällt,  und  ruft:  'Grossvater,  die  Hitze  (palclivost, 
Feuer)  sprang  auf  die  Schnelligkeit  (bytrost,  Katze),  und  die  Schnelligkeit  lief 
damit  in  die  Freude  (radost,  Scheune);  habt  Ihr  nicht  genug  Frische  (cerstvost, 
Wasser),  so  werdet  Ihr  um  die  Freude  kommen.'  In  dem  weissrussischen 
Schwanke  bei  Pederowski  3,  215  nr.  427  belehrt  ein  Bauer  seinen  aus  der  Schule 
nach  Haus  gekommenen  Sohn,  dass  das  Feuer  auf  lateinisch  zyzatä  (Hitze),  ^  der 
Kater  Markitün  und  die  Ofenkrücke  kacubä  heisse;  der  Bursch  bindet  dem  Kater 
einen  Brand  an  den  Schwanz  und  sagt:  'Vater,  der  Markitün  nahm  zyzyta  und 
trug  sie  in  die  Höhe  (na  vysatü\' 

Anderwärts  wird  der  Hader  zwischen  Student  und  Bauer  weitläufiger  aus- 
geführt. In  einem  gross  russischen  Schwanke  aus  dem  Gouvernement  Minsk 
(Sejn  2,  308  nr.  143)  prahlt  der  wandernde  Student,  den  der  Bauer  unterwegs  auf 
seinen  Wagen  genommen  hat,  mit  seinem  Wissen  vom  Donner  und  Blitz,  der 
eine  Art  Elektrizität  sei,  und  wird,  als  sie  an  einen  Fluss  kommen,  vom  Bauern 
aufgefordert,  er  solle,  da  er  so  gelehrt  sei,  absteigen  und  trocken  durch  das  Wasser 
kommen.  Der  Student  kriecht  aufs  Pferd,  zerschneidet  die  Riemen  und  reitet 
hinüber.  Nach  langer  Mühe  kommt  der  Bauer  heim  und  findet  dort  den  Studenten 
schon  vor.  Er  lädt  ihn  zum  Essen,  nimmt  aber  nachher  eine  Peitsche  zur  Hand 
und  prügelt  den  Fremden,  weil  er  seine  Fragen  nach  den  Namen  der  Katze,  des 
Feuers,  Wassers  und  der  Pritsche  nicht  beantworten  kann.  Als  der  Bauer  früh 
morgens  zum  Dreschen  gegangen  ist,  jagt  der  Student  den  Kater  mit  dem  Feuer- 
brande in  den  gedörrten  Flachs.  —  Eine  andere  Fassung  ebd.  2,  310  Anm.  — 
Bei  Hrincenko  2,  284  nr.  192  (Kreis  Cyhyryn)  bittet  ein  seinem  Herrn  entlaufener 
Hirt  den  Bauern,  ihn  in  seinem  Ochsengespann  mit  über  den  Fluss  zu  fahren. 
Da  der  Bauer  ihm  nur  gestattet,  sich  auf  einen  Ochsen  zu  setzen,  zieht  der  Bursch 
mitten  im  Fluss  die  Stange,  die  das  Joch  mit  der  Deichsel  verbindet,  heraus, 
schwimmt  mit  dem  Ochsen  ans  Ufer^)  und  gelangt  in  das  Haus  des  Bauern.  Als 
dieser  später  dort  anlangt,  peinigt  er  den  Burschen  durch  die  bekannten  Fragen, 
und  dieser  ruft  ihm  morgens  beim  Abschiede  zu:  'Alter,  die  Reinheit  trug  die 
Schönheit  auf  die  Höhe;  wenn  Gott  nicht  den  Segen  gibt,  wirst  du  Alter  nicht 
in  dem  Hause  sitzen.'  —  In  der  voraufgehenden  Erzählung  (2,  2«3  nr.  191  aus 
dem  Gouv.  Jekaterinoslav)  nimmt  der  Bauer  den  Schüler  (skol:<r)  auf  den  Wagen, 
weil  er  einen  Glaser  (sklär)  braucht,  und  jagt  ihn  hinunter,  als  er  seinen  Stand 
erfährt.  —  Bei  Manzura  S.  121  (Gouv.  Jekaterinoslav)  reitet  der  Schüler  mit  den 
Ochsen  fort:  es  folgt  die  Rache  des  Bauern  und  die  Vergeltung  des  Schülers, 
der  auch  den  Schweinsmagen  mitnimmt  und  sich  mit  den  Worten  verabschiedet: 
'Leb  wohl,  Hausherr,  bleib  bei  den  Heiligen  (Würsten),  ich  gehe  mit  Gott  (dem 
Schweinsraagen);  schau,  es  nahm  die  Reinheit  die  Schönheit  und  trug  sie  auf 
die  Höhe.'  —  In  einem  kleinrussischen  Schwanke  aus  Galizien  (Drohobyez 
Etnograf.  Zbirnyk  6,  99  nr.  264)  spannt  der  Student  ebenfalls  die  Ochsen  aus, 
wird  vom  Bauern  gepeinigt  und  jagt  nachts  den  Kater  auf  den  Dachboden,  worauf 
er  ruft:  'Bauer,  der  Schnurrende  (marmota,  Kater)  kroch  in  die  Höhe  (vysota, 
Boden),  machte  Hitze  (spekota,  Feuer),  der  Berg  (hora,  Haus)  brennt.'  Vorher 
hat  er    schon    durch    eine  Rätselrede  angekündigt,    dass    er  den  Gänsebraten  mit- 

1)  Nur  dieser  erste  Teil  kehrt  bei  Hrinöenko  2,  287  nr.  193  wieder. 


140  Bolte,  Eyhan: 

nehmen  werde:  'Abends  kommt  Husakov«kyj  (hus,  Gans)  aus  Makitrovyc  (makitra,, 
Schüssel)  nach  Torbynyc  (torba,  Ranzen). 

Statt  des  Studenten  erscheint  in  grossrussischen  Varianten  auch  ein  be- 
urlaubter Soldat,  der  sich  ebenso  gewitzt  zeigt.  Bei  Afanasjev  ^  2,  436  nr.  146^^** 
legt  ein  Bauer  dem  um  ein  Nachtquartier  bittenden  Soldaten  drei  Rätselfragen 
vor:  1.  "Was  ist  die  Reinheit  (cistota),  2.  die  Wohltat  (blagodat'),  3.  die  Schönheit 
(krasota)?  und  gibt  ihm,  da  er  nicht  die  richtige  Antwort  (die  Katze,  das  Wasser, 
das  Feuer)  weiss,  jedesmal  eine  gewaltige  Ohrfeige.  Um  sich  zu  rächen,  bindet 
nachts  der  Soldat  der  Katze  Werg  an  den  Schwanz,  zündet  es  an  und  jagt  sie 
auf  den  Dachboden.  Dann  ruft  er  den  Hauswirt  und  legt  ihm  sein  gereimtes 
Rätsel  vor:  'Die  Reinheit  nahm  die  Schönheit  und  brachte  sie  auf  die  Höhe; 
fängst  du  nicht  die  Wohltat,  wirst  du  nicht  in  der  Hütte  leben.'  —  Ähnlich  aus 
dem  Gouvernement  Jenisejsk  in  Zapiski  Krasnojarsk.  1,  49  nr.  31,  wo  noch  der 
Ofen  'Wärme'  und  der  Rauch  'Gottes  Sohn'  genannt  wird.  —  Eine  Fassung  aus- 
dem  Gouv.  Smolensk  bei  Dobrovoljskij  ],  331  fügt  ein  weiteres  Motiv  hinzu:  der 
Gast  nimmt  einen  Reiher  aus  dem  im  Ofen  stehenden  Topfe,  steckt  ihn  in  seinen 
Ranzen  und  legt  einen  Bastschuh  an  die  Stelle:  beim  Abschied  sagt  er:  'Dein 
Kurlynskij  (kurlan,  Reiher)  liegt  im  Sumynskij  (suma,  Ranzen)  hinterm  Rücken 
(za  plecinskim),  und  in  der  Gorsinskoj  (gorske,Topf)  liegt  der  Lapotinskij  (lapot\ 
Schuh)  und  der  Skovorodinskoj  (skovoroda,  Pfanne)  und  steht  im  Ofen  (u  pecins- 
koj').  —  In  einer  verwandten  Erzählung  aus  dem  Gouv.  Jekaterinoslav  im  Sbornik 
Charkov.  6,  182  hat  der  Soldat  nachts  die  gebratene  Gans  in  seinen  Ranzen  ge- 
steckt und  einen  Schuh  dafür  in  die  Pfanne  gelegt.  Der  Bauer  fragt  morgens, 
ohne  den  Sachverhalt  zu  ahnen,  scherzend:  'Warst  du  schon  in  der  Stadt  Skovo- 
rodynskoje  (Pfanne)?'  Ich  war.  'Und  ist  dort  noch  der  Herr  Husynskyj  Gou- 
verneur (Hus,  Gans)?'  Ach,  der  Herr  Husynskyj  ist  nach  Torbjun^kyj  (torba, 
Ranzen)  versetzt,  und  in  Skovorodynskoje  sitzt  der  Herr  Postolyn.^kyj  (postil, 
Schuh).' 1)  -  Ähnlich  aus  Ostgalizien  im  Etnograf.  Zbirnyk  6,  117  nr.  396.  —  In 
einer  Fassung  aus  der  Ukraina  bei  Symcienko  S.  22  nimmt  der  Soldat  den  Schweins- 
magen 'Gott'  und  hundert  Rubel  mit,  die  der  Bauer  hinter  die  Heiligenbilder  ge- 
steckt hatte;  erruft,  ähnlich  wie  in  dem  toskanischen  Schwanke  oben  S.  137:  'Ver- 
bleibt mit  den  Heiligen,  ich  gehe  mit  Gott.'  —  Die  Würste  heissen  Apostel  in. 
einem  ähnlichen  Schwanke  aus  Ostgalizien  (Hnatjuk,  Geschlechtleben  2,  6  nr.  15). 
—  Über  eine  in  Aarnes  Register  nr.  1940  erwähnte  finnische  Variante  der 
'sonderbaren  Namen'  fehlt  mir  Kunde. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  die  seltsame  Namengebung  in  all  diesen 
Fassungen,  denen  gewiss  noch  manche  angereiht  werden  können,  näherer  Be- 
trachtung unterziehen.  Doch  darf  wohl  hervorgehoben  werden,  dass  neben  den. 
parodistischen  Bezeichnungen  einer  überspannten  Sprechweise  (oben  26,  10)  auch 
hübsche  voiksmässige  Umschreibungen  im  Stile  des  Märchens  vom  Hausgesinde 
(Grimm  nr.  140)  auftreten.  So  heisst  die  Katze  Reichhaart,  Ratzenfänger,  nid. 
snaterebakkes,  snatterbosch,  kale  jonker,  dän.  rompe-drej,  kismuskej,  engl,  white- 
faced  simming,  ital.  saltingraffia,  rifferafCe,  tippiti  nnappiti,  chiappa-surci,  pappa- 
lardo,  span.  papa  las  ratas,  poln.  Scharfauge,  cechisch  Schnelligkeit,  russisch  Rein- 
heit, Schnurrende;  der  Hund  nid.  bluffer-blaffer,  kale  grijze,  taterebakkes,  dän. 
troknaegt,  mark-om-fsejj,   hallo-hej;    das  Feuer    gaudium,    gloria  in  excelsis,    dän. 


1)  Vgl.  daiu  Wossidlo,  Mecklenburgische  VolksüberlieferuDgen  1,  250  nr.  99«  'Geu«raJ 
Spigans';  auch  die  oben  erwälmte  galizischc  Variante  und  Rogasener  Familienblatt  1914 
S.  11  (Pan  Speklinski  zog  aus  Topfowo  nach  Torbowo).  Wackcrnagel.  Kl.  Schriften  3, 135, 
K.  Köhler,  Kl.  Schriften  1,  62,  421. 


Kleine  Mitteilungen.  141 

ratterej,  ital.  allegria,  allegra-populu,  cocicarne,  cocicrudo,  span.  esperencia,  clari- 
tate,  port.  escaramulo,  rumän.  Trost,  polnisch  Schnelligkeit,  russ.  Schönheit;  die 
Scheune  Fülle,  hohe  Wonne,  dän.  glsede,  engl,  glory,  cech.  poln.  Freude;  Heu 
ital.  mescolanza,  pili  de  la  madre  terra;  Flachs  ital.  vesti  populu;  das  Wasser 
•engl,  plenty,  ital.  abbondanza,  span.  violencia,  clarencia,  poln.  Reichtum,  cech. 
Frische,  luss.  Wohltat;  ferner  das  Bett  Senfterich,  ndl.  legamus,  engl,  fortune, 
barnacle,  ital.  arriposagolo,  riposatorio,  span.  jorgansia,  port.  aconstancia;  die 
Stühle  ital.  raali  incontri,  impiddughianti;  die  Tür  nid.  dradioni,  ital.  apri-e-serra; 
die  Treppe  ndl.  loopop,  ital.  va  e  vien,  saliscendi,  scendi-e-sale,  li  pendenti;  die 
Beinkleider  engl,  squibs  and  Crackers,  ital.  triccoli  e  traccoli;  Stiefel  Sparfuss, 
Stieblestiibli,  ir.  comfort  ofthesoles,  ital.  tiritiri,  patlic  e  patlac  (Pantoffeln),  span. 
chirlos-mirlos  usw. 

Schliesslich  möchte  ich  noch  auf  eine  mittelalterliche  Erzählung  hinweisen,  in 
der  ein  grosser  Brand  auf  ähnliche  Weise  durch  ein  Tier  verursacht  wird.  Der 
Augsburger  Konrad  Derrer  erzählt  um  1343  (Zs.  des  histor.  Vereins  für  Schwa- 
ben 31,  102  nr.  4  'De  mirabili  combustione'),  wie  in  Wimpfen  einst  ein  Esel,  dem 
«in  Vogel  (aga)  in  den  After  kriecht,  rasch  aufspringt  und  an  einem  Feuer  vorbei 
in  die  Scheune  rennt;  da  die  Federn  des  flatternden  Vogels  Feuer  gefangen  haben, 
^erät  die  Scheune  in  Brand,  und  bald  steht  die  ganze  Stadt  in  Flammen. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


Deutsche  Volkslieder  aus  der  Dobrudscha  und  Südrussland i). 

Die  49  hier  verzeichneten  Lieder  deutscher  Kolonisten  stammen  aus  drei 
Orten  der  Dobrudscha,  nämlich  19  Nummern  aus  dem  Dorf«  Cogelac  an  der 
südlichen  Grenze  des  Kreises  Tulcea,  wo  ich  sie  einem  1899—1901  von  Robert 
Radke  geschriebenen  Liederhefte  entnahm,  12  aus  Malcoci  bei  Tulcea  (1898  bis 
19U1  gesungen)  und  IG  aus  Caramurad  im  Kreise  Constanta  (1905).  Drei 
weitere  Texte  erhielt  ich  1905  aus  dem  Dorfe  Freudental  bei  Odessa.  Die 
oft  stark  verwilderte  Schreibweise  musste  geregelt  werden.  Die  nötigsten  Ver- 
weise hat  Herr  Prof.  J.  Bolte  hinzugefügt. 


Ij  Im  Jahre  1915  unternahm  ich  eine  Eeise  durch  verschiedene  deutsche  Siedlungs- 
hezirke  Südosteuropas.  In  Westungarn  besuchte  ich  die  Heidebauern  in  Wieselburg,  in 
Nordungarn  die  Zipser  in  Kremuilz,  Neusohl,  I.euterhau,  Iglo,  Leibitz,  Kesmark,  Heia, 
Poprad;  in  Südungarn  im  Banat  und  in  der  Batschka  die  Schwaben  in  Gyertyanios, 
Grosskikinda,  Maiienfeld,  Temeschvar,  Apatin,  Priglevitza-Szent-Ivan,  Weisskirchfn,  Pan- 
tschova;  in  Slawonien  und  Syrmien  Esseg,  Runia  und  India;  sodann  in  Siebenbürgen 
Mühlbach,  Hermannstadt,  Hehau,  Michelsberg,  Schässburg,  Kronstadt.  In  der  Dobrudscha 
verweilte  ich  in  den  meist  schwäbischen  Dörfern  (m  einigen  wohnen  auch  Westprenssen 
Anadolkjöj,  Caramurad,  Cogelac,  Tariverde,  Tscliukur«jva,  Atniadschä,  Babadäg,  Mal- 
coci, in  denen  ich  z.  T.  schon  in  früheren  Jahren  öfters  gewesen  war.  —  In  der  Buko- 
vina  lernte  ich  nur  Rosch  bei  Czernowitz  kennen,  in  Wolynien  Luzk  und  Roschischtsclie, 
im  Gouv.  Cherson  die  Kolonien  Gross-  und  Klein-Lifbeiital,  Lustdorf,  Freudenlal,  Peters- 
tal; im  Gouv.  Taurien  Herlitzenberg,  Engenfeld,  Kaisertal,  Hochstädt,  Halbstadt,  Prischib, 
Naiman,  Hocbheim.  Ich  habe  aus  diesen  Orten  Aufzeichnungen  über  die  wirtschaft- 
lichen Verhähuisse,  Hausbau,  Trachten  u.  dgl.  mitgebracht,  ausserdem  auch  Volkslieder 
u.  ä.  aus  Kesmark,  Iglo,  Marienfeld,  Ruraa,  India,  Caramurad,  Freudental.  Handschrift= 
liehe  Liedersammlungen  erhielt  ich  zur  Abschrift  in  India,  Cogelac,  Malcoci.  —  Vgl.  oben 
26,  ;'>35:  Deutsche  Volkslieder  aus  Ungarn. 


142  Byhan: 

A.  Weltliche  Lieder. 

Als  der  Wirt  nach  Hause  kam  (3  Str.).  Aus  Cogelac.  —  Nach  Fr.  L.  W.  Meyer, 
'Ich  ginr^  in  meinen  Stall'  (1789).  Erk-Böhme,  Liedarhort  nr.  900  und  3,  872. 
Meisinger,  Volkslieder  aus  dem  badischen  Oberlande  1913  nr.  315. 

Als  die  Schneider  beisammen  waren  (4'.  Aus  Cogelac.  —  Erk-Böhme  nr.  1635. 
Köhler-Meier,  VI.  von  der  Mosel  nr.  331. 

Als  ich  morgens  früh  aufsteh  (4).     Aus  (Jarämuräd.  —  Erk-Böhme  nr.  121. 

Auf,  ihr  jungen  deutschen  Brüder  (2).  Aus  Carärauräd.  —  Abschied  der  zum  Krifge 
Einberufenen. 

Brüder,  tut  euch  wohl  besinnen  (4).     Aus  Copelac.  —  Unten  nr.  IV. 

Brüder,  wir  ziehen  in  den  Krieg  (6).  Aus  Cogelac  und  Carämuräd.  —  Erk-Böhme 
nr.  1344.     J.  E.  und  P.  S.,  VI.  der  Wolgakolonien  1914  nr.  140. 

Der  ein  faules  Gretchen  hat  (4).  Aus  Cariimuräd.  —  Erk-Böhme  nr.  1556.  Dunger, 
VI.  aus  dem  Vogtlande  1915  S.  185. 

Der  König  von  Baieren,  der  große  Boute  [Leute?]  braucht  (6).     Aus  Carämuräd. 

Die  Reise  nach  Jütland,  die  fällt  mir  so  schwer  [8).  Aus  Malcoci.  —  Erk-Böhme 
nr.  14:29.     Meisinger  nr.  154.     Wolgakolonien  nr.  154 

Dieses  ist  aller  Weibsleut  ihre  List  (3^  Aus  Carämuräd.  —  Nach  J.  C.  Günthers 
Lied  'W'ie  gedacht'  (Erk-Böhme  2,  522.  Kopp,  Deutsches  Volks-  und  Stu- 
dentenlied S.  72  . 

Edle  Freiheit,  du  mein  Leben  (4).  Aus  Malcoci.  —  Erk-Böhme  nr.  14ri0.  Köhler- 
Meier  nr.  269. 

Eigen  Heim  muß  ich  verlassen  (5).  Aus  Cogelac.  —  Wanderetrophen  von  Abschicds- 
liedern. 

Ei  Lust  und  Freud  steht  mir  ius  Feld  (7).     Aus  Malcoci.  —   Unten  nr.  IIL 

Ein  altfs  Weib,  das  bucklig  ist.     Aus  Carämuräd.  —  Spottreirae. 

Eine  Heldin  wohl  erzogen  (9).  Aus  Cogelac.  —  Von  G.  K.  Pfeffel  (1779\  Erk- 
Bölinie  nr.  1470.     Köhler-Meier  nr.  15. 

Einst  stand  ich  im  Eisengitter  (5).  Aus  Freudental.  —  Erk-Böhme  ur.  727.  Mei- 
singer 1913  nr.  44.  Dunger  S.  119.  Hess.  Bl.  f.  Vk.  9,  37.  Wolgakolonien 
nr.  72.     J.  Meier,  Volksliedstudien  1917  S.  1-lOG. 

Es  hat  ein  Bauer  ein  Kalb  erzogen  (8).  Ans  Malcoci.  —  Ditfurth,  Fränkische  VI.  2, 
60  nr.  69.     Hess.  Bl.  f.  Volkskunde  9,  84. 

Es  war  einst  ein  schwarzbrauner  Schlossergesell  (10).  Aus  Malcoci.  —  Erk-Böhme 
nr.  129.     Hceger,  VI.  aus  der  Rheinpfalz  nr.  46.     Wolgakolonien  nr.  35. 

Es  wollt  ein  Jäger  jagen  (7).  Aus  Carämuräd.  —  Ähnlich  Erk-Böhme  nr.  144U, 
Schluss  abweichend. 

Frisch  auf,  ihr  Brü  ler  von  der  Höh  (5).     Aus  Cogelac.  —  Schlossar  nr.  282. 

Frisch,  Soldaten,  ins  [!]  Blut  (4).  Aus  Malcoci.  —  Erk-Böhme  nr.  1354.  Köhler- 
Meier  nr.  285.    Oben  15,  262. 

Heute  scheid  ich,  heute  wandr  ich  (6).  Aus  Malcoci.  —  Von  Maler  Fr.  Müller 
1776.     Erk-Böhme  nr.  1376.     Wolgakolonien  nr.  144. 

Ich  stand  auf  hohem  Berge  ;8).  Aus  Cogelac.  —  Erk-Böhme  nr.  89.  Oben  18,  394. 
19,  194.     Dunger  S.  1.     Wolgakolonien  nr.  28. 

Ich  weiß  nicht,  bin  ich  reicli  oder  arm  (4).  Aus  Malcoci.  -  Erk-Böhme  nr.  1374. 
Meisinger  1913  nr.  155. 

In  der  Blüte  meiner  schönsten  Jugend  (1),     Aus  Carämuräd.  —  Entstellt. 

Jetzt  gang  ich  ans  Brünnele  (5  und  6).  Aus  Cogelac  und  Malcoci.  —  Erk-Böhme 
nr.  203.     Heeger  nr.  iiS.     Wolgakolonien  nr.  42. 

Jetzt  han  ich  mein  Schimmel  verkauft  (5).  Aus  Carämuräd.  —  Hruschka-Toischer, 
VI.  aus  Böhmen  1891  S.  266  nr.  297.  Schlossar,  VJ.  aus  Steiermark  nr.  215. 
Oben  15,  270  nr.  17. 

Jetzund  fangt  mein  Trauern  an  (5).     Aus  Carämuräd. 

Keine  Rose  ohne  Dornen  (2).     Aus  Cogelac.  —  Erk-Böhme  nr.  680. 

Laß  nur  die  Leut  rede  (3  \     Aus  Carämuräd.  —  Unten  nr.  L 


Kleine  Mitteilnngen.  143 

Merket  auf,  ihr  Christen,  was  ich  euch  erklär  (5).  Aus  Cogelac.  —  Sztachovics' 
Brautsprüche  auf  dem  Heidehoden  in  Ungarn  1867  S.  42. 

Mit  Laus  da  war  das  Land  gesegnet  (3).     Aus  Carämuräd.  —  Unten  nr.  VIII. 

Morgens,  wenn  ich  früh  aufsteh  (5).     Aus  Cogelac.  —  Unten  nr.  II. 

Nun  ist  die  Zeit  und  Stunde  da  (4).  Aus  Cogelac.  —  Nach  S.  Fr.  Sautter.  Erk- 
Böhme  nr.  795.     Meisinger  1913  nr.  119.     Wolgakolonien  nr.  114. 

0  Hansel,  wie  steht  es  mit  dir  (2'.     Äug  Carämuräd.  —  Dialog. 

0  Himmel,  wie  lang  soll  ich  noch  (2).     Aus  Carämuräd.  —  Erk-Böhme  nr.  544. 

0  wilde  Walachei  (1).     Aus  Carämuräd.  —  Unten  nr.  VII. 

0  wunderbares  Glück  (5).  Aus  Cogelac.  —  Nach  Schubart.  Erk-Böhme  nr.  1402. 
J.  Meier,  Kunstlieder  im  Volksmunde  1906  nr.  550. 

So  schön  wie  eine  Rose  (4).    Aus  Cogelac.  —  Erk-Böhme  nr.  714.    Heeger  nr.  190. 191. 

Wenn  es  einmal  zum  Scheiden  kommt  (5).     Aus  Malcoci.  —  Unten  nr.  V. 

Wie  siehts  aus  im  fernen  Osten  (11.     Aus  Freudental.  —  Unten  nr.  VI. 

ß.  Geistliche  Lieder. 

Den  König,  welcher  Blut  und  Leben  (1).  Aus  Cogelac.  —  Von  E.  G.  Woltors- 
dorf  1767  (A.  Fischer,  Kirchenlieder-Lexikon  1878  1,  98j. 

Fang  dein  Werk  mit  Jesu  an  (4).  Aus  Cogelac.  —  Bekanntes  Kirchenlied,  seit  1725 
nachweisbar. 

Laß  mich  diese  Nacht  empfinden  (2).     Aus  C"gelac.     Nachtgebet. 

Macht  eure  Lampen  fertig  (4).     Aus  Freudental.     Versammlungslied. 

Sehn  wir  uns  wohl  einmal  wieder  (4).     Aus  Cogelac. 

Was  traurig  und  von  Herzen  treibt  mich  zum  Singen  au  6).  Aus  Cogelac,  Das 
jüngste  Gericht. 

C.  Hochzeitssprüche. 

Friede  sei  in  diesem  Hause.     Hochzeitsladung  aus  Cogelac. 

Liebe  Leute,  haltet  eure  Mäuler  stilL     Vor  dem  Kirchj^ange,  ebendaher. 

\.  Liebesversicherung. 

1.  Laß  nur  die  Leut  rede,  2.  Jetzt  laß  icli  mir  mache 

Laß  belle  die  Hund;  Ein  Fenster  in  mein  Herz  [drin]. 

Und  wenn  du  mich  liebest.  Auf  daß  du  reinsegest, 

So  werd  ich  wieder  gesund.  Wie  gttreu  ich  dir  bin. 

3.  Jetzt  Inß  ich  mir  negen 

Ein  Bündlein  an  mein  Degen, 

Ein  Sträußlein  an  mein  Hut, 

Ein  Tüchlein  in  meine  Tasche 

Für  mein  Äuglein  mit  abzuwasche.  Aus  Carämuräd. 

IL   Der  Bettelmusikant. 

1.  Morgens,  wenn  ich  früh  aufsteh,  3.  Zu  Haus  hab  ich  lahmer  Bu 
Nehm  ich  mir  mein  Stecken,  Ein  Blinden  und  ein  Scheelen. 

Henke  meine  Geige  um  Und  wenn  du  es  nicht  glauben  wilht. 

Und  auch  zwei  leere  Säcke.  So  komm  und  iu's  besehen!     Dieses.  .  . 

Dieses  hat  mir  leid  getan 

Über  alle  Maßen;  4.  Zu  Haus  hab  ich  ein  altes  Weib, 
0  ich  armer  Geigersniann,  Sie  geht  schon  an  den  Stecken. 

Ich  bin  schon  ganz  verlassen.  Und  wenn  ich  ja  nach  Hause  komm. 


Langt  sie  mir  an  den  Säcken. 
Sind  sie  voll,  dann  ist  sie  froh, 


Als  ich  zu  dem  Nachbar  kam. 

Verlang  mir  eine  Gabe,  ^^  ,  .  ,  ,     ,  „. 

jr         i.  A      ^■^T^  I.      -i.   A        ci.     i  I  angt  gleich  an  zu  lachen.     Dieses 

Kommt  der  Wirt  mit  dem  Stecken  raus,  ^    ^ 

Muß  alles  selber  kaufen.     Dieses  .  .  . 


144 


Byhan: 


5.  Als  ich  auf  die  Landstraß  kam, 
Kams  ein  Jud  gefahren, 
Nahm  mirs  ineine  Geige  ab; 
Ach  Gott  möcht  sich  erbarmen.     Dieses  . 

III.  Soldatenleben. 


Aus  Cogelac. 


1.  Ei    Lust    und    Freud    steht    mir    es  ius 

Feld'), 
Drum  hat  mich  Gott  erschaffen. 
Soldatenleben  mir  besser  gefällt, 
Icli  tausch  mit  keinem  Pfaffen. 

2.  Ei  laßt  mir  Pfaffen  Pfaffen  seini 
Keinen  Krieg  können  sie  nicht  führen, 
Der  Teufel  soll  ihr  Oberster  sein, 

"s  Regiment  zu  kommandieren. 


4.  In  England  ists  Wasser  so  teuer^), 
Wir  habens  am  besten  erfahren, 
Und    wenn    wir   wieder   ins  Deuttchland 

kommen, 
Kein  Geld  wollen  wir  nicht  sparen. 

b.  Und  wenn  wir  auch  hätten   ein'n  Keller 
voll  Wein 
Und  auch  ein  Kist  voll  Taler, 
Da  müßt  auch  alles  versoffen  sein 
Beim  Kreuzer  und  beim  Taler. 


6.  In  unsrer  Kirch  da  läutet  man  zusammen 
Mit  Glocken  und  mit  Stangen*); 
Und  wer  ein  solches  Läuten  will   hören, 
Der  muß  sich  manchmal  bücken. 


)j.  England  ist  weit  und  breit*). 
Darin  gibts  enge  Gassen, 
Da  muß  ein  mancher  junger  Soldat 
Sein  jungfrisch  Leben  lassen. 

7.  Wenn  ich  einmal  gestorben  hin, 
Wer  wird  dann  für  mich  trauern? 
Auf  grüner  Heid  da  hab  ich  mein  Freud, 
Dort  wird  raein  Leib  verfaulen. 

Aus  Malcoci.  —  1)  Zum  Anfange  vgl.  Erk-Böhmc  nr.  1314:  Ich  habe  Lust  ins  weite 
Feld.  —  2)  Zu  b"tr.  3-6  vgl.  Schlossar  nr.  288,  1:  ]\Iarschiren  wir  ins  Ungarn  hinein  — 
2:  In  Ungarn  ist  das  Wasser  teuer  —  4:  In  unsrer  Pfarrkirchen  läutens  zusammen  mit 
Trumpsel,  Trumpeten  und  Stucken. 

IV.  Der  Winterfeldzug  1812. 


1.  Brüder,  tut  euch  wohl  besinnen! 
Denn  das  Frühjahr  rücket  an. 
Wo  werden  wir  zusammenbringen 
Fünfmalbunderttausend  Mann, 
Daß  wir  werden  ins  Feld  ziehen. 
Viele  fremde  Länder  sehen? 
Denn  das  Frühjahr  ist  vorbt  i 
Und  die  schönste  Sommerszeit. 

2.  Endlich  kommt  der  schnelle  Winter, 
Plötzlich  war  die  Kalt  zu  groß; 
Die  Kosacken  müssen  reiten, 
Reiten  schnell  auf  Deutsche  los. 


Viele  müssen  Hungers  sterben, 
Viele  müssen  so  verderben 
Und  erfrieren  in  dem  Schnee, 
Das  tut  Deutschland  großes  Weh. 

3.  Es  hat  ein  mancher  treuer  Vater 
Sein'n  herzliebsten  Sohn  im  Feld, 
Hofft,  er  werd  ihn  wiedersehen; 
Er  ist  nicht  mehr  auf  der  Welt. 
Ach,  wie  bringts  dfm  Vaterheizen 
So  und  so  viel  tausend  Schmerzen, 
Weil  ihm  sein  getreuer  Sohn 
In  dem  Schnee  verloren  schon! 


4.  :,:  „Rußland,  dir  will  ichs  gedenk»  n, 
Du  hast  mich  vom  Thron  gebracht. 
Wenn  sich  soll  der  Himmel  senken, 
Sag  ich  Moskau  gute  Nacht."  :,: 


Aus  Malcoci. 


Wenn  es  einmal  zum  Scheiden  kommt 
Mit  unsern  jungen  Leut, 
So  heißts:  Mein  Schatz,  mein Engelskiud 
Jetzt  muß  ich  fort  als  wie  der  Wind, 
Drum  ist  mein  Herz  betrübt. 


Aus  dem  Befreiungskriege  1813. 

2.  Und  wenn  wir  schon  gezwungen  sein 
Zu  dieser  Nation, 

So  marschieren  wir  wohl  über  den  Rbein, 
Bis  daß  wir  bei  den  Russen  sein, 
Dort  warn  wir  gar  zu  gern. 


Kleine  Mitteilungen. 


145 


Und  als  wir  zu  den  Russen  kommen, 

So  rufen  wir  Hurrah, 

So  rufen  wir  Hurrah,  vivat 

Und  schlagen  auf  Paris  die  Schlacht. 

Alexander  lebe  wohl! 


4.  Ihr  Brüder,  fasat  euch  frischen  Mut! 
Alexander  lebe  wohl! 
Friedrich  "Wilhelm  wird  bei  uns  sein. 
Er  wird  ja  unser  Helfer  sein. 
Er  steht  uns  Deutschen  bei. 


Was  fangen  die  armen  Mädchen  an? 
Sie  bekommen  keinen  Mann, 
Da  ist  der  Herr  Napoleon  schuld. 
Drum  seind  sie  voller  Ungeduld, 
Drum  ist  ihr  Herz  betrübt. 


Aus  Cogelac. 


VI. 

Mel.: 


Der  russisch-japanische  Krieg. 

0  wie  dunkel  siud  die  Mauern. 


1.  Wie  siehts  aus  im  fernen  Osten 
Wo  der  Krieg  so  wüten  tut? 
Manches  Leben  tut  es  kosten, 
l'nd  wie  manches  juuge  Blut, 
Wo  sie  [sind  da]  hingerissen 
Bei  der  mörderlichen  Schlacht, 
Und  kein  Mensch  kanns  wissen, 
Wann  Gott  dort  ein  Endo  macht. 

'2.  Wieviel  Eltern  müssen  weinen 
Um  ihr  heißgeliebtes  Kind, 
Das  wohl  nicht  mehr  wird  erscheinen. 
Wann  der  Krieg  ein  Ende  nimmt! 
Der  mit  Sorgen  (?]  ward  erzogen 
Und  mit  Armut  durchgebracht, 
Ist  so  «chnell  dahingeschlagen, 
Läßt  sein  Leben  in  der  Schlacht. 

3.  Manches  Schwesterlein  wird  fragen: 
,,Wo  bleibt  denn  das  Brüderlein  V 
Ist  er  schon  vom  Feind  erschlagen 
Oder  wird  or  lebend  sein?"' 
Manches  Kind  wird  täglich  fragen; 
„Wo  ist  doch  der  Vater  mein?" 
Und  die  Mutter  muß  dann  sagen: 
„Er  wird  schon  erschossen  sein". 

4.  Mancher  hat  den  Tod  gefunden 
In  des  Meeres  tiefem  ürund. 

Und  noch  vor  ganz  wenig  Stunden, 

War  er  lebend  und  gesund. 

Ach,  so  schnell  büsst  dort  der  Krieger 

Sein  80  junges  Leben  ein; 

Und  wer  weiss,  wer  wohl  der  Sieger 

Bei  dem  Ende  noch  wird  sein! 

b.  Gott,  gib  doch  dem  lieben  Kaiser 
Seiner  Macht  ein  guten  Mut! 
Könnten  wirs  da  machen  weiser, 
Dass  er  doch  eins  siegen  tut? 
Und  wir  wollen  fleissig  bitten, 
Die  im  Heimatlande  sind; 
Denn  in  mancher,  mancher  Hütten 
Weint  ein  armes  Waisenkind. 
Zoitschr.  fl.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft 


G.  Ach,  wie  siud  wir  arme  Leute, 
Wenig  spüren  noch  vom  Sieg! 
Hingeschlachtet  sind  viel  Leute 
In  dem  fürchterlichen  Krieg. 
Manches  Weib  niuss  bitter  weinen 
Um  den  vielgeliebten  Mann, 
Und  da  sind  die  lieben  Kleinen 
Bei  der  Mutter  hinten  dran. 

7.  Ist  schon  manche  Lück  gerissen. 
Wo  der  Ehstand  schön  geziert; 
Mancher  Mann  wird  scheiden  müssen, 
Wo  das  Weib  ihn  nimmer  sieht. 
Und  auch  von  den  lieben  Kleinen 
Wird  so  manches  Waise  sein, 

Wird  kein  Vater  mehr  erscheinen, 
Bleibt  die  Mutter  mit  allein. 

8.  Wer  kann  all  das  Elend  wägen 
Jetzt  in  selber  schwerer  Zeity 
Und  wer  wird  die  Kleinen  pflegen. 
Wann  der  Vater  muss  in'n  Streit? 
Gott,  lass  Deine  Gnade  walten! 
Denn  wir  Menschen  sind  zu  schwach; 
Du  kannst  alles  wohl  crlialten 

In  dem  grossen  Weh  und  Ach. 

9.  Liebe,  weine  nicht  beim  Scheiden, 
Weil  ich  auf  den  Kriegsplatz  muss! 
Soll  ich  auch  den  Tod  jetzt  leiden. 
Einmal  ist  der  feste  Schluss. 

Als  Soldat  bin  ich  geboren, 
Hab  mein  Leben  eingesetzt, 
Hab  dem  Kaiser  zugeschworen, 
Und  vollziehen  muss  ichs  jetzt. 

10.  Vater,  Mutter,  alle  Lieben, 

Weib  imd  Kinder  gross  und  klein, 
Warum  wollt  ihr  euch  betrüben? 
Es  muss  einmal  doch  so  sein. 
Wenn  wir  eins  den  Feind  besiegen. 
Kommen  wir  ja  wieder  heim. 
Dann  wird  keiner  schlafen  liegen. 
Dann  wird  grosse  Freude  sein. 
10 


140  Byhan.  Andiee-Eysn: 

11.  „Weuu  nucli  viele  Tausend  fehlen, 
Wo  schon  längst  im  Grabe  ruhn 
Und  sich  auch  zur  Heimat  zählen, 
üies  ist  alles  Gottes  Tun. 
Ihre  Kosen  sind  versclnvunden 
Von  der  NVangen  schöner  Pracht, 
Doch  sie  haben  überwunden. 
Allen  Freunden  gute  Nacht!" 

Aus  Freudental  1905.  —  Im  russisch-japanischen  Kriege  kämpfte  auch  eine  Menge 
deutscher  Kolonisten  aus  Südrassland  mit.  Die  Melodie  'ü  wie  dunkel'  ist  dieselbe  wie 
'Stehe  ich  am  Eisengitter  (Erk-Böhme  nr,  727)  oder  'Einst  stand  ich  im  Eisengitter' 
(oben  S.  ~). 

VII.  Die  neue  Heimat. 

0  wilde  Walachei,  o  schöne  Walachei! 

Die  Häuser  seind  mit  alte  Dächer, 

Driu  so  schön  große  Löcher. 

Der  Richter  und  der  Schinder 

Sind  lauter  Geschwisterkinder, 

Der  Dieb  ist  galgenfrei. 

O  wilde  Walachei! 

Der  ein  spricht  über  die  andern  seltc, 

[Denn]  Schweine  seind  sie  selber. 

0  wilde  Walachei,  o  schöne  Walachei  1  Aus  Caiämuräd. 

VIII.  Die  Sauberkeit  dort. 

1.  Mit  Laus  da  war  das  Land  gesegent,         2.  Die  gröste  sein  wie  die  Gerstekerner, 
Die  find  mer  überall  [1.  allerwegen],  Die  mittlere  sein  wie  die  Haferkerner„ 

Im  Hemd,  im  Bett,  im  Haus,  Die  kleinste  wate  kugelrund, 

Do  find  mer  nix  als  Laus  auf  Laus.  Und  viere  wogeu  ein  Vertelpfund. 

3.  Und  do  hat  mer  nix  aufzuhange. 

Da  seh.    .    .   die  Hühnlein  auf  d  Stange, 
Wo  mer  Sach  aufhange  soll; 

Do  sein  die  Kleider  von  voll.  Ebendaher. 

Hamburg.  Arthur  Byhan. 


Zu  den  Totenkroneii. 

Mit  2  Abbildungen.) 

Im  vorigen  Jahrgange  dieser  Zeitschrift  (2G,  225— 24G)  berichtet  Otto  Lauffer 
eingehend  über  den  volkstümlichen  Gebrauch  der  Totenkronen  in  Deutschland  und 
bildet  verschiedene  Formen  solcher  Kronen  ab. 

Ais  Ergiinjiung  zu  diesen  Bildern  mögen  zwei  weitere  dienen,  da  sie  voll- 
kommen rerschieden  von  den  besprochenen  sind. 

Abb.  1  zeigt  ein  nur  A^/^  cm  im  Durchmesser  haltendes  Krönchen,  hergestellt 
aus  haarfeinen,  mit  dunkelgrüner  Seide  übersponnenen  Metallfäden.  Über  seine 
Herkunft  schreibt  der  verstorbene  Dr.  Bamberg  in  Lockwitz  bei  Dresden  in  einem 
hinterlassenen  Manuskript: 

,,Im  Vorraum  einer  seit  einem  halben  Jahrhundert  nicht  mehr  benutzten 
Familiengruft  auf  dem  St.  Johannis-Goltesackcr  in  Zeitz  (Prov.  Sachsen,    zum  so- 


Kleine  Mitteilungen. 


147 


Abb.  1. 


Abb.  2. 


10* 


24,s  xVndree-Eysn,  Müller-Rüdersdorf : 

genannten  Osterland  gehörig)  fand  ich  an  der  Wand  zwei  schmale  schwarze 
Schaukästen  mit  erblindeten  Scheiben,  in  dem  einen  ungefähr  12—15  grössere,  in 
dem  anderen  zahlreichere  kleine  Krönchen,  die  nur  5—7  cm  im  Durchmesser  hatten. 
Diese  kleinen  grünen  Krönchen  waren,  wie  aus  der  verwitterten  Inschrift  auf  dem 
Kasten  zu  entnehmen  war,  einem  1787  verstorbenen  6jährigen  Mädchen  namens 
Crist.  Coral.  Ottin  gewidmet.  Im  Museum  zu  Annaberg  sah  ich  dann  noch  zwei 
den  oben  genannten  grösseren  ähnliche  Kronen,  die  aus  einer  nahen  Dorfkirche 
stammten." 

Diese  winzigen  grünen  Zeitzer  Totenkroneu  haben  grosse  Ähnlichkeit  mit  den 
braunschweigischen  Brautkronen,  von  denen  Richard  Andree^)  sagt: 

„Solche  Brautkronen  erhielten  junge  Mädchen  frühzeitig  angefertigt,  die  sie 
—  noch  lange  nicht  Bräute  —  selbst  bei  der  Konfirmation,  beim  Gevatterstehen 
trugen,  und  die  dann  bei  der  Trauung  ihren  eigentlichen  Zweck  erfüllten,  später 
sorgfältig  aufbewahrt  wurden,    so  dass  sie  jetzt  in  den  Museen  sich  befinden." 

Abb.  2  zeigt  ein  altes  Ölgemälde,  das  Dr.  Bamberg  in  der  Kirche  zu  Lockwitz  auf- 
fand. Es  ist  das  lebensgrosse  Bildnis  des  Hans  Georg  von  Osterhausen,  des  Gründers 
der  ersten  evangel.  Kirche  zu  Lockwitz,  der  1G27  starb  und  in  der  Sophienkirche 
zu  Dresden  beigesetzt  wurde.  Der  Tote  ist,  im  Sarge  liegend,  in  der  Tracht  des 
ausgehenden  IG.  Jahrhunderts,  mit  einem  mächtigen  Korbdegen  im  Arm  und  einer 
Totenkrone  auf  dem  Haupte  dargestellt;  zu  seinen  Füssen  sitzt  ein  Engel,  derein 
Medaillon  mit  folgender  Inschrift  aufrecht  hält: 

„Der  weiland  wohledle,  gestrenge  und  feste  Hans  Georg  von  Osterhausen  auf  Ritter- 
gut Reinhardsgrimnia,  Ober-  und  Niederlockwitz,  auf  Nickern,  churfürstl.  Durchl.  zu 
Sachsen,  wohlbestallter  Ober-Kammer-  und  Bergrat  und  der  Landrentenkammer  Rector 
ist  den  1.  Nov.  1027  früh  um  2  Uhr  christlich  und  selig  entschlafen,  seines  Alters  49  Jahre 
24  Wochen.     Gott  Gnad." 

Die  Totenkrone  ist  auf  dem  Bilde  mit  weisser  Farbe  gemalt,  war  also  höchst 
wahrscheinlich  aus  Silberspitzen,  die  auf  Krone  und  Manschette  gleich  sind; 
das  Muster  derselben  weist  ganz  entschieden  auf  Lahn-Spitzen2),  wie  sie  in  katho- 
lischen Ländern  früher  sehr  viel  zum  Ausputzen  von  Kissen,  Madonnenkleidern, 
Reliquien  u.  dergl.  verwendet  wurden  und  heute  noch  in  Sachsen  (Annaberg, 
Freiberg  und  Leipzig),  auch  in  Nürnberg,  hauptsächlich  für  den  Orient  hergestellt 
werden. 

München.  Marie  Andree-Eysn. 


Das  Kind  im  Aberglauben  des  Isergebirges. 

Von  den  vielen  Kapiteln  des  Aberglaubens  ist  das  vom  Kind  und  seiner  Fliege 
eines  der  eigenartigsten  und  reichhaltigsten.  Ihm  zugehörig  sind  die  nachstehenden 
Ergebnisse  eingehender  volkskundlicher  Erforschung. 

Neugeborene  Kinder  lässt  man  vielfach  in  den  Stall  sehen,  da  man  glaubt, 
dass  sie  besondere  Glücksbringer  für  die  Viehzucht  seien.  Von  Kindern, 
die  in  der  Nacht  zwischen  zwölf  und  ein  Uhr  geboren  wurden,  meint  man, 
sie  könnten  alle  Geister  schauen  und  stets  auf  Erfüllung  ihrer  Träume  rechnen. 
Einem  Kinde,  das  sich  schon  am  ersten  Tage  seines  Daseins  viel  umsieht,  sagt  man 
ein  baldiges  Ende  voraus.   Verschiedentlich  warnt  man  davor,  einem  Neugeborenen  in 


1)  In  einem  Briefe  an  Dr.  Bamberg. 

2)  Lahn  =  gewalzter  Metalldraht. 


Kleine  Mitteilungen.  149 

den  ersten  drei  Tagen  zu  fluchen  oder  eine  böse  Vermutung  betreffs  seiner  Zukunft 
auszusprechen,  weil  man  glaubt,  solche  Worte  würden  sich  erfüllen.  Damit  das 
Kind  später  die  zehn  Gebote  gut  hält,  soll  man  ihm  während  der  ersten  drei  Lebens- 
tage ein  Gesangbuch  unter  das  Kopfkissen  legen.  Will  man  das  Neugeborene  für 
die  Zeit  seines  Lebens  gegen  starke  Kälte  und  Hitze  sichern,  so  soll  man  es  vor 
dem  ersten  Bade  mit  kaltem  Wasser  besprengen.  Als  Mittel  zu  späterem  Reich- 
tum betrachtet  man  ein  in  das  erste  ßadewasser  geworfenes  Geldstück.  Damit 
das  Kind  stets  gut  schlafen  kann,  achtet  man  darauf,  dass  niemand  die  leere 
Wiege  schaukelt.  Weint  und  schreit  es  viel  an  einem  Tage,  so  rechnet  man  auf 
starken  Wind.  Wer  dem  Säugling  ein  langes  Leben  bewirken  will,  soll  es  zum 
erstenmal   im   zeitigen  Frühjahr    hinaustragen  und   dabei   sprechen:  „Gott  walt's!" 

Soll  ein  Kind  nicht  so  leicht  den  Schnupfen  bekommen,  so  darf  bei  seiner 
Taufe  keiner  von  den  Patenleuten  schnupfenkrank  sein.  Von  dem  Täufling,  der 
an  dem  Tage,  da  ein  Begräbnis  im  Orte  stattfindet,  getauft  wird,  sagt  man,  er  sterbe 
frühzeitig.  Damit  er  kein  Trinker  wird,  soll  man  mit  ihm  nicht  in  ein  Wirtshaus 
gehen.  Ist  der  Täufling  ein  Mädchen,  so  darf  kein  Fräulein  bei  ihm  Pate  stehen. 
Man  sagt,  nur  wenn  dieses  Patin  eines  Knaben  sei,  könne  es  auf  einen  Ehemann 
rechnen.  Manche  Leute  lassen  das  Kind  nach  der  Taufe  in  den  Patenbrief  sehen, 
in  dem  Glauben,  dass  es  dann  klug  werde.  Von  einem  Paten,  der  nach  Ausferti- 
gung des  Patenkästchens  dieses  noch  einmal  öffnet,  heisst  es,  er  mache  aus  dem 
Täufling  einen  Dieb. 

Will  man  bei  dem  Kinde  einen  vollen  und  reichen  Haarwuchs  erzielen,  so 
soll  man  ihm  den  Kopf  mit  Fliesswasser  w^aschen.  Eltern,  die  ihrcKleinen  vor  Krämpfen 
bewahren  wollen  und  dafür  sorgen  möchten,  dass  ihnen  das  Zahnen  nicht  zu  schmerz- 
haft wird,  gibt  man  den  Rat,  sie  in  den  geheizten  Backofen  sehen  zu  lassen.  Auch 
soll  man,  damit  die  Zähne  leicht  kommen,  dem  Kinde  einen  lebendigen  Fisch 
durch  den  Mund  ziehen  und  sprechen:  „Im  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes  und 
des  Heiligen  Geistes".  Den  benutzten  Fisch  muss  man  alsdann  wieder  ins  Wasser 
setzen.  Als  vorzügliches  Mittel  zum  Sprechenlernen  der  Kleinen  betrachtet  man- 
che Mutter  das  Verabreichen  von  Bettlerbrot.  Von  zwei  Kindern,  die  noch  nicht 
ein  Jahr  alt  sind  und  sich  ansehen,  sagt  man,  sie  bekämen  schwer  ihre  Sprache. 
Damit  das  Kind  nicht  mondsüchtig  wird,  soll  man  es  nicht  während  der  ersten 
zwölf  Monate  seines  Lebens  in  den  Mond  blicken  lassen.  Misst  man  vor  Ablauf 
dieser  Zeit  den  Kopf  eines  Kleinen,  so  wächst  er  nicht  mehr.  Damit  die  Kinder 
rechtshändig  werden,  soll  man  ihnen  stets  den  rechten  Kleidärmel  zuerst  anziehen. 
Gegen  die  Gelbsucht  empfiehlt  man  ein  unverhofftes  Übergiessen  des  Kranken  mit 
kaltem  Wasser  oder  ein  Erschrecken  desselben  im  Dunkeln.  Durch  Einreiben  der 
Haut  und  Gelenke  mit  Knorpelkraut  sucht  man  das  Kind  vor  Ausschlag  zu  schützen 
und  ihm  Gelenkigkeit  zu  geben.  Will  man  Sommersprossen  beseitigen,  so  reibt 
man  das  Gesicht  mit  dem  ersten  Löwenzahn  oder  einer  schwarzen  Schnecke  ein. 
Als  eine  Ursache  dieses  Übels  bezeichnet  man  den  Regen,  den  das  Kind  vor  Voll- 
endung seines  ersten  Jahres  ins  Gesicht  bekommt.  Ist  der  Säugling  noch  nicht 
ein  Jahr  alt,  dann  soll  man  vor  ihm  auf  den  Tisch  Geld  und  Brot  legen.  Greift 
er  nach  dem  Geld,  so  meint  man,  er  werde  zu  einem  sparsamen  Menschen  lieran- 
wachsen.  Nimmt  er  das  Brot,  so  weissagt  man  ihm  Verschwendungssucht.  Von 
einem  kleinen  Kinde,  das  man  in  den  Spiegel  sehen  lässt,  meint  man,  es  werde 
eitel.  Will  man  Kinder  vor  häufigen  Zahnschmerzen  bewahren,  so  darf  man  ihnen 
nicht  Freitags  die  Fingernägel  beschneiden.  Ein  Beschneiden  der  Nägel  am  Sonn- 
tag bezeichnet  man  als  Ursache  von  Gedankenlosigkeit.  Gegen  Nasenbluten  giesst 
man  kaltes  Wasser  auf  den  Nacken  oder  legt  einen  Schlüssel  auf  denselben.    Auch 


J50  Miiller-Rüdersdorf,  Schell: 

empfiehlt  man  zur  Stillung  des  Blutes  um  den  kleinen  Finger  einen  Zwirnfaden 
zu  wickeln  oder  den  Zeigefinger  hochzuhalten.  Kommt  das  Blut  aus  dem  rechten 
Nasenloche,  so  muss  es  der  Zeigefinger  der  rechten  Hand  sein,  andernfalls  der  der 
linken  Hand.  Vielfach  dientauch  ein  in  die  betreffende  Nasenöffnung  gesteckter  Kar- 
toffelbovist zur  Stillung.  Überhaupt  verwendet  man  diesen  Pilz  gern  als  Heilmittel 
bei  Blutungen. 

Ein  Kind  soll  man  nie  als  'Ding'  bezeichnen,  da  es  sonst  drei  Tage  lang  nicht 
wachse.  Auch  glaubt  man  das  Wachstum  der  Kleinen  zu  beeinträchtigen,  wenn 
man  ihnen  an  den  Kopf  schlügt  oder  über  sie,  falls  sie  spielend  auf  der  Erde 
liegen,  hinwegsteigt.  Den  Kindern  selbst  verbietet  man,  durch  einen  Stuhl,  ein 
Fenster  usw.  zu  kriechen.  Ist  jemand  nur  mit  einem  Schuh  bekleidet  oder  hat  er 
verschieden  hohe  Fussbekleidung  an,  so  meint  man,  er  'rerliere  das  Mass',  d.  h., 
er  nehme  an  Körpergewicht  ab.  Dasselbe  gilt  von  dem,  der  über  'das  Kehrschel' 
(zusammengefegter  Schmutz,  Ivehricht)  läuft.  Ist  ein  Kind  magerer  und  schwächer 
geworden  und  schmeckt  ihm  das  Essen  nicht,  so  holt  man  jemand  in  das  Haus, 
der  ihm  das  'verlorene  Mass'  durch  seine  'Geheimkunst'  wiedergeben  soll.  Er  kommt 
dann  dreimal  und  misst  jedesmal  seinen  Patienten  mit  einem  Faden  vom  Kinn  bis  zur 
Fussspitze.  Dazu  flüstert  er  andachtsvoll  und  unverständlich  ein  Sprüchlein.  Nach 
dem  letzten  Messen  verbrennt  er  den  Faden.  Das  Ganze  geschieht  ohne  Beisein 
eines  Dritten  und  wird  —  in  dem  Glauben,  dass  es  sonst  vergeblich  sei  —  ver- 
schwiegen. Damit  der  Gemessene  Erfolg  hat,  darf  er  erst  acht  Tage  nach  der 
letzten  Behandlung  über  ein  Wasser  gehen.  Die  Stelle,  an  der  er  beim  Messen 
stand,  wird  sorgsam  abgefegt.  Eines  guten  Erfolges  meint  man  auch  sicher  zu 
sein,  wenn  man  zu  dem  weggehenden  Wundermanne  spricht:  „Kumm  nich  wied'r!" 

Charlottenburg.  Wilhelm  Müller-Tlüdersdorf. 


Bergische  Arbeitsreime  (Arbeitsliedchen). 

Im  allgemeinen  darf  man  wohl  behaupten,  dass  die  Dichtkunst  des  Volkes 
zum  Feiertagsgewande  gehört.  Alles,  was  aus  dem  Rahmen  des  Alltagslebens 
fällt,  reizt  das  Volk  zum  Dichten  und  Singen  an.  Aber  vereinzelt  wird  auch  die 
Arbeit  von  Erzeugnissen  der  volkstümlichen  Dichtkunst  begleitet,  verschmilzt  mit 
ihnen  und  empfängt  durch  sie  sogar  Regelung  und  Belebung.  Es  sind  die  so- 
genannten Arbeitslieder,  besser  wohl  Arbeitsreime  genannt,  da  ein  liedartiges 
Gefüge,  die  Aneinanderreihung  von  Strophen,  in  den  meisten  Fällen  fehlt.  Zu 
Liedern  erweiterte  Arbeitsreime  gliedern  sich  aber,  da  sie  meist  Wechselgesänge 
bieten,  doch  wieder  in  kleine,  von  den  Strophen  zu  unterscheidende  p]inheiten. 
Dass  wir  ferner  streng  zu  unterscheiden  haben  zwischen  Arbeitsreimen  (oder 
Arbeitslicdchen)  und  den  zur  Arbeit  gesungenen  (Unterhaltungsliedern)  oder  den 
zu  ihrem  Preise  entstandenen  Liedern  (Handwerksliedcrn;  vgl.  u.  a.  0.  Schade, 
Handwerkslieder,  Leipzig  1864)  oder  endlich  den  zu  ihrer  Verspottung  gedichteten 
Liedern  (vgl.  z.  B.  A.  Keller.  Die  Handwerker  im  Volkshumor,  Leipzig  11)12),  ist 
selbstverständlich. 

Ein  weiteres  Eingehen  auf  Zweck,  Wesen,  Form,  Inhalt,  Melodie,  Ursprung, 
Alter  usw.  unserer  Arbeitsreime  erübrigt  sich  nach  den  bedeutenden  Arbeiten  von 
K.  Bücher  (Arbeit  und  Rhythmus.  4.  Aufl.  1909),  Ad.  Schullerus  (Unsere  A^olks- 
dichtung),    K.  Reuschel    (Volkskundliche   Streifzüge,    190:;),     W.    Uhl    (Winiliod, 


Kleine  Mitteilungen.  151 

1908  u.  1913)  und  ü.  Böckel  (Einleitung  zu  den  deutschen  Volksliedern  aus  Ober- 
hessen, 1885  und  Psychologie  d.  Volksdicht.  ^  [191.15]  S.  13  f.),  ebenso  wie  ein  Nach- 
weis über  die  Notwendigkeit,  auch  diese  Gebilde  der  Volksdichtung  zu  sammeln. 
Wenn  diese  Sammeltätigkeit  recht  fruchtbringend  sein  soll,  muss  sie  sich  auf  einen 
kleinen  Bezirk  erstrecken,  dessen  Beschränkung  allerdings  durch  das  Wandern  der 
Gesellen  wieder  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aufgehoben  wird. 

Mit  Bücher  und  andern  Forschern  unterscheiden  wir  für  unsere  Reime  drei 
Arten  der  Arbeit:  Einzelarbeit,  die  doch  zu  gleicher  Zeit  von  mehreren  ausgeübt 
werden  kann,  Arbeit  im  Wechseltakt  und  Arbeit  im  Gleichtakt.  Haben  wir  so 
die  Scheidung  nach  oben  vollzogen,  sie  gegen  das  Volkslied  abgegrenzt,  so  müssen 
Avir  auch  nach  unten  —  gegen  das  Kinderlied,  Spiellied  usw.  —  eine  Grenzlinie 
feststellen.  Das  ist  nicht  leicht,  da  die  Übergänge  sich  hier  besonders  leicht  ver- 
wischen. So  dürfen  wohl  viele  Kinderlieder  (Rummelpottslieder  und  Lieder, 
welche  zum  Pfänderspiel  gesungen  werden,  wie:  Droben  auf  grüner  Heid;  vom 
Topf,  der  ein  Loch  hat  usw.^)  hierher  gerechnet  werden.  Die  Arbeit  löst  sich 
leicht  ins  Spiel  auf  (z.  B.  Bastlösereime,  Reime  beim  Blumenpflücken.  Blumen- 
orakel usw.),  und  so  wird  eine  feste  Umgrenzung  erschwert. 

Beginnen  wir  bei  der  Landwirtschaft;  dann  mögen  die  verschiedenen  Hand- 
werke und  endlich  die  Jugend  mit  einigen  Proben  folgen. 

1.  Dreschen.  Das  Dreschen  mit  seinem  regelmässigen  Takte^),  der  bei  der 
gemeinschaftlichen  Arbeit  aufs  peinlichste  gewahrt  werden  muss,  forderte  geradezu 
zur  Bildung  von  begleitenden  Versen  heraus,  welche  sich  nur  dem  ^rhythmischen 
Arbeitstakt"  anzupassen  brauchten.  So  schlicsst  sich  das  Drescherlicd  aufs  innigste 
dem  Gang  der  Arbeit  an,  ^aber  nicht  an  den  Gleichtakt,  sondern  an  den  Wechsel- 
takt"').     Die  Dreschmaschine  hat  hier  viel  altes  Volksgut  vernichtet. 

Aus  dem  Bergischen  ist  folgendes  Drescherliedchen  zu  verzeichnen: 

Lustig  im  Walzertakt 
Flegel  £?ehn  auf  und  ab: 
Einer  dem  andern  nach 
Schlagen  wir  auf  und  ab: 
Klipp  de  klapp,  klipp  de  klajtp!*) 

Vorzüglich  passt  das  daktylische  Versmass  zum  Dreschtakt. 

2.  Schwingtag.  W.  Uhl  bemerkt  1,  176:  „Dem  Untergang  nahe  ist  die 
Tätigkeit  des  Flachsreffens,  und  auch  die  Flachsrefflieder,  von  denen  noch  weit 
grössere  Reste,  etwa  nur  sog.  'Rudimente'  erhalten  sind,  dürften  dann  fast  gar  nicht 
mehr  als  solche  bekannt  sein."  Bücher  fällt  über  unsere  westlichen  Provinzen  fol- 
gendes Urteil  (S.  '.»<)):  ,. Flachsred lieder  finden  sich  noch  zahlreich  in  Westfalen 
und  im  Rheinland.  Sie  werden  beim  Abstreifen  der  grünen  Samenknoten  des 
Flachses  gesungen,  einer  ziemlich  mühsamen  Arbeit,  welche  mittels  eiserner,  in 
die  Balken  der  Scheunenwände  eingelassener  Kämme  geschieht,  durch  welche  die 
Flachsstengel  handvollwcise  hindurchgezogen  werden.  In  der  Regel  versammeln 
sich  dabei  die  Burschen  und  Mädchen  des  Dorfes  zur  freiwilligen  Hilfeleistung, 
und    die  Lieder,    welche    sie    zu    dem    taktmässigen  Surren    des   Kammes    singen, 

1)  Bücher  S.  90  f. 

2;  Arbeit  im  Weclisellakt:    durchweg  im  Bergischen  'Dreischlag'  genannt. 

3)  E.  H.  Meyer,  Deutsche  Volkskunde  1898  S.  ai5. 

4)  Aus  Windrath  bei  Langenberg;  mitgeteilt  von  Landwirt  Ernst  Kipp.  Literatur 
bei  Sartori,  Sitte  und  Brauch  2,  99;  Uhl,  Winiliod  1,  182 f.,  184;  H.  Zschalig,  Mitt.  d. 
Ver.  f.  Sachs.  Volksk.  2,  242 fl.:    Bücher  S.  148.  32G. 


152  Schell: 

tragen  den  Charakter  ausgelassener  Neckerei.  Aber  sie  schliessen  sich,  manchmal 
mit  ausgesprochener  Nachahmung  des  Kammschwirrens,  unmittelbar  dem  Rhythmus 
des  Reffens  an."  Uhl  fügt  hinzu:  „Es  liegt  also  im  Flachsrefflied  ein  echtes, 
altes  winiliod^)  vor.  Alle  Merkmale  eines  solchen  stellen  sich  ein:  rhythmischer 
Arbeitstakt  der  Melodie,  Neckverse,  Wechselgesang,  Improvisation  mit  Namens- 
Einsetzung.  Das  gleiche  gilt  auch  von  den  Flachsbrechliedern,  die  noch  dazu  von 
Mädchen  und  Frauen  gesungen  werden,  wodurch  der  Charakter  des  winiiiod  noch 
strenger  gewahrt  erscheint^)." 

Im  Bergischen  legte  man  auf  das  Schwingen  des  Flachses  besondern  Nach- 
druck. Die  von  Uhl  oben  gegebene  Kennzeichnung  trifft  auch  auf  das  einzige 
Schwingtagsliedchen,  welches  wir  aus  dem  Bergischen  anführen  können,  voll- 
kommen zu.     Montanus^)  hat  es  aufgezeichnet;    es  lautet: 

Wo  geht  sich  denn  der  Mond  auf? 

Blau,  blau  Blümeleinl 

Oberm  Lindenbaum,  da  gelit  er  auf. 

Blumen  im  Tal,  Mädchen  im  Saal! 

0,  du  tapfere  Rosel 

Einige  Anklänge  hat  dieses  Liedchen  an  das  im  Bergischen  noch  ziemlich 
bekannte  Pfingstlied*).  Montanus  bemerkt  dazu:  „Nachdem  die  Schwingerinnerr 
sich  in  Reihen  vor  ihren  Schwingstöcken  geordnet  und  die  klappernde  Arbeit  be- 
gonnen haben,  die  Zungen  durch  Anisbranntwein  gelöset  sind,  wird  der  Schwing- 
tag mit  einem  feierlichen  Liede  in  Molltönen  eröffnet,  welches  anhebt:  „Wo  geht 
sich  denn"  usw.  Diese  Strophe  wird  so  oft  wiederholt,  als  Sängerinnen  anwesend 
sind,  und  das  Haus,  der  Wohnort  einer  jeden,  wird  als  Aufgangspunkt  des  Mondes^ 
bezeichnet.*^ 

Die  weiterhin  von  Montanus  als  Schwingtaglieder  angeführten  Gesänge  sind 
allgemeine  Volkslieder.  In  neuerer  Zeit  wurde  auf  den  Schwnngtagen  nach  den 
Angaben  alter  Leute  vom  Lande  überhaupt  nicht  mehr  gesungen. 

Vielleicht  dürfen  noch  hierher  gerechnet  werden: 
Es  flog  eine  weisse  Taube!* 
oder: 

Das  Manschen  auf  der  Schüren  sass*^). 

Es  mag  auch  mit  Vorsicht  aufgenommen  werden,  was  Montanus  über  die 
Schwingtaglieder  im  allgemeinen  sagt  (S.  44). 

Ein  Spinnerlied  aus  Westfalen  bringt  H.  Hartmann"),  Zurmühlen**)  dagegen 
zwei  vom  Niederrhein. 

3.  Viehhüten'»).  Noch  in  den  GOer  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  neckten 
sich  die  die  Kühe   im  Herbst  hütenden   Bauernjungen  bei  Elberfeld,  Neviges  usw. 

1)  [^S^-  jedoch  die  von  Bolte  oben  19,  237  gegen  die  Gleichsetzung  von  Winiiiod 
und  Arbeitslied  erhobenen  schwerwiegenden  Einwände.] 

2  Ein  Bergisches  Flachsrefflied  (Flachsroepen)  befindet  sich  in  v.  d.  Höh,  Briefe  usw. 
S.  45;  Der  Sperbel  flog  eröm  on  töm.     Weitere  Literatur  b.  Sartori  2,  115  Anm.  j:i. 

3  Die  deutschen  Volksfeste  1854  S.  44;    vgl.  Erk-Böhme  2  nr.  441. 

4)  Firmenich,  Germ.  Völkerstimmen  1,  443.  Ein  R^pplied  bei  Firnienich  1,  268, 
vgl.  3,  175.  Woeste,  Volksüberlieferungen  in  der  Grafschaft  Mark  1848  S.  2!) ff.: 
Reifferscheid,  Westfäl  Volkslieder  1879  S.  94ff.,  ISSff.;  Jahrb.  d.  Ver.  f.  niederd.  Sprach- 
forsch. 1877  S.  152ff. 

5)  Montanus  S.  47.  —  6)  Ebenda  S.  48.  —  7)  Bilder  aus  Westfalen  1871  S.  207; 
Bücher  S.  88.  —  8;  Niederrheinische  Volkslieder  1879  Nr.  IG.  113;  vgl.  dazu  Erk-Böhme 
1,  435  f.,  472.  —  9)  Bücher  schliesst  sie  aus,  weil  es  keine  'echten  Taktlreder'  sind. 


Kleine  Mitteilungen.  153 

wenn  sie  sich  in  grösseren  Entfernungen  voneinander  befanden,  namentlich  wenn, 
ein  Tal  sie  trennte,  mit  dem  laut  gesungenen  Zuruf: 

Heloloh! 

De  füle  Kuhhiai  tlo! 

Woeste^)  bringt  ähnliche  Hirtenrufe  aus  den  angrenzenden  Landstrichen  und 
bemerkt  dazu:  „Die  schon  bei  v.  d.  Steinen  vorkommende  Sago  von  einem  alt- 
sächsischen Hirtengotte  Loe^)  ist  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen.  Könnte  es 
nicht  Loki  (Lohho)  gewesen  sein?  V^gl.  das  Dänische:  Locke  treibt  seine  Geisse 
aus."  Diese  Vermutung  Woestes  mag  auf  sich  beruhen  bleiben.  In  seinem 
Wörterbuch  der  Westfälischen  Mundart  (1S82)  schreibt  derselbe  Verfasser:  'helo 
he,  heissa!  engl,  hilliho!  Christmas  carol.  mnd.    heilo  =  hei  o,  o  heil!' 

An  der  Agger  (im  Bergischen)  lautet  der  Hirtenruf  beim  Heimtrieb  des  Viehs: 

Hern,  Kueli,  hem! 
Stalldühr  opi 
Die  Kueb,  die  kütt, 
Die  Kiieh  es  satt, . 
Sie  mag  ken  Blatt. 
Jöh,  hem,  ho!^) 

Auf  eine  andere  Deutung  bringt  uns  der  Hirtenruf,  den  Woeste  von  Lüden- 
scheid in  folgender  Form  aufzeichnet: 

Elo  lo  (Marlisbet)  o!  ba  hoste  o? 
Antwort: 

Elo  lo  ^Mariktrin)  o!  ek  haue  (da  und  da) 

un  maren  hau  ik    da,  und  da). 

Hier  haben  wir  zweifelsohne  eine  ursprünglichere,  vollkommnere  Form  des  Hirten- 
rufs vor  uns,  einen  kurzen  Wechselgesang  zwischen  Hirt  und  Hirtin,  um  ein  Zu- 
sammentreffen zu  ermöglichen*). 

Der  reiche  Gehalt  an  voUtonigen  Vokalen  in  den  Bergischen  (und  anderen) 
Hirtenrufen  ermöglicht  es,  sie  auf  grössere  Entfernungen  verständlich  zu  machen, 
was  gerade  hier  sehr  stark  ins  Gewicht  fällt'). 

4.  Melken.    In  Flandersbach  bei  Wülfrath  singt  die  Bäuerin  oder  Magd  beim 

Melken : 

Stripp,  strapp,  stroU, 

Es  da  Emmer  noch  nit  voll?") 

.'>.  Fuhrmann.  Bezüglich  ihrer  Auffassung  als  Arbeitslieder  stimmen  wir  mit 
Bücher  überein,  wenn  er  bemerkt  (S.  145):  „Ebenso  soll  an  die  deutschen  Fuhr- 
mannslieder, denen  man  in  den  Sammlungen  ziemlich  häufig  begegnet,  bloss  er- 
innert werden.    Die  Veränderung  der  Verkehrsverhältnisse  erschwert  uns  das  Ver- 

1)  Volksüberlieferungen  in  der  Grafschaft  Mark  S.  21f.;  E.  H.  Meyer  Dt.  Volkskd. 
S.  147.  [Bolte-Polivka,  Anmerkungen  zu  Grimms  Märchen  2,  3Sl;  Schrammer,  Volks- 
lieder aus  dem  Eulengebirge  1912  nr.  189—192.]  —  2  Vgl.  u.  a.  E.  H.  Meyer,  Germ. 
Myth.  1891  S.  193. 

3)  Monatsschrift  des  Berg.  Gesch.-Vereins  1910  S.  91. 

4)  Vgl.  Böckel,  Psychologie  der  Volksdichtung  "  S.  81. 

5)  Sartori,  Sitte  und  Brauch  2,  15:>  Anm.  8  bringt  reiche  Literatur;  vgl.  ferner 
Firmenich  1,  268.  347.  348.  3,  175.  177.  193.  693.  694.  695.  696 Ef.  88(;:  Ihl,  Winiliod  1, 
65.  116. 

6)  Mitgeteilt  von  Lehrer  W.  Simon  in  Flandersbach.  Vgl.  Grimm  KHM.  nr.  45: 
Sartori  2,  143  Anm.  8;  Uhl  S.  180f.:  Firmenich  1,  269.  [Lewalter,  Kinderlieder  S.  302 
zu  nr.  120.] 


154  Schell; 

ständnis  dieser  Dinge  ungemein."     Am  ersten  möchte  hierher    folgendes  Liedchen 

zu  rechnen  sein: 

Sollen  rasch  die  Pferde  fahren, 
Soll  man  nicht  den  Hafer  sparen; 
Schnell  läuft  das  Rad, 
\Yenn  man's  geschmiert  hat: 

Nicht  gerade  nach  der  Nase, 

Sondern  krumm  läuft  auch  die  Strasse. 

Schnell  läuft  das  Rad, 

Wenn  man"s  geschmiert  hat*  . 

Angeführt  sei  noch  das  aus  einem  alten  Fuhrmannslicd    des    17.  Jahrhunderts  zu- 
sammengezogene, sehr  verbreitete,  meist  als  Kehrvers  bei  Rundliedern  gesungene 

Liedchen : 

Zieh,  Schimmel,  zieh. 

Vom  (Im)  Dreck  bis  an  die  Knie. 

Morgen  woirn  wir  Hafer  dreschen, 

Soll  der  S^chimmel  Häcksel  fressen. 

Zieh,  Schimmel,  zieh. 
<;.  Böttcher.  Man  muss  zwischen  dem  Arbeitsgeräusch  des  Böttchers  und 
dem  des  Dreschers  eine  gewisse  Übereinstimmung  zugeben,  welche  um  so  grösser 
und  auffallender  ist,  wenn  mehrere  Böttcher  an  ein  und  demselben  I^'ass  die  Reifen 
antreiben.  Aber  die  Schallwirkung  ist  doch  eine  andere,  und  dieser  tragen  die 
Arbeitsreime  des  Böttchers  mit  ihrer  dumpfen,  stumpfen  Klangfarbe  in  geschickter 
Weise  Rechnung.     In  Elberfeld  singt  der  Böttcher: 

Der  Böttcher  macht  bum,  bum. 

Und  schlägt  den  Reifen 

Um  et  Küwen  ganz  herum! 

Ein  zweites  Böttcherlied  aus  Elberfeld  lautet: 

Ich  bin  der  Böttcher  Bum,  Bum,  Bum, 
Geht  es  mir  auch  manchmal  krumm, 
Is  mir  ganz  pomade. 
Es  wird  schon  wieder  grade. 
Laut  schallt  es  rings  herum: 
Ich  bin  der  Böttcher  Bum,  Bum,  Bum. 
Woeste    hat    wohl    das  westfälische,    bedeutend    kürzere  Böttcherlied    mit   ebenso 
Irelflicher  Klangwirkung  in  seinem  Westfälischen  Wörterbuch  (S.  44)  festgehalten: 
de  stampen  hemers  makt  bum,  bum,  bum! 2; 
7.  Zimmermann.    Der  Zimmermann  erfährt  beim  Balkenziehen  eine  wesent- 
liche Förderung  seiner  Arbeit  durch  ein  genau  geregeltes,  taktmässiges  Zusammen- 
wirken.    Darum  kann  sein  Arbeitsreim  nur  kurz  sein.     Es    ist  ein  Ruf,    der    sich 
dem  Kommando  nähert.     Kr  ruft  in  Elberfeld: 
Holz  kömmt! 

oder: 

Ein,  zwei  —  Holz  kömmt:-*] 


1)  Dieses  Liedchen  wurde  von  Lehrer  Friedr.  Fütterer  in  Mach,  einem  sehr  ab- 
gelegenen Gebirgsdorfe,  aufgezeichnet;  vgl.  Des  Knaben  Wunderhoru,  Reclamsche  Aus- 
gabe, S.  352;  Erlach,  Volkslieder  der  Deutschen  1834-18^7,  2,  549.  557;  Erk  -  Böhme  3, 
1572f.;    Böckel,  S.  80:    Firmenich  1,  42G  u.  a.  m. 

2)  Vgl.  ferner  zum  Arbeitsgeräusch  des  Böttchers  Keller,  Die  Handwerker  im  Volks- 
-humor  1912  S.  25.  —  3i  Vgl.  Uhl,  Winiliod  S.  189ff.:  Keller  S.  25. 


Kleine  Mitteilungen.  155 

8.  Weber.  Ob  ein  Arbeitslied  der  Weber  im  Bergischen  im  Umlauf  war, 
erscheint  mir  fraglich;  immerhin  ist  es  möglich.  Arbeitslieder  der  Weber  dürften 
im  allgemeinen  selten  sein.  Firmenich  hat  (2,  512)  ein  solches  aus  Mühlhausen 
im  Oberelsass  aufgezeichnet,  ein  anderes  aus  Strassburg  (2,  525). 

Das  zum  Weben  aber  unentbehrliche  Spulen  hat  einen  Reim  gezeitigt: 
Dat  Spulerad, 
Dat  Spulerad, 
Dat  ärgert  meck 
Den  ganzen  Dag!')  i^Elberfeld.) 

9.  Maurer.  Der  Maurer  wird  gern  vom  Volk  als  träge  hingestellt;  darum 
pflegt  man  zu  sagen:  En  Luat  Mürerschwett  kost'n  Kruandäler-).  Da  die  Maurer 
vorzugsweise  aus  dem  Hamburgischen  in  die  grossen  Wuppertalstädte  und  andere 
Industriestädte  einwandern,  ist  das  Maurerliedchen  in  dieser  Mundart  gedichtet: 

Hie  —  Ha  —  Han  mer  dech  emool ; 
Han  mer  dech  emool  erwe.scht! 
Han  mer  dech  nit, 
Dann  kriege  merr  dech  doch, 
Schloon  dech  met  dem  Trüffel  — 
Hie  —  Ha  usw.') 

Ganz  aus  dem  Geiste  geboren,  der  den  Maurer  gern  als  arbeitsmüde  hinstellt, 
sind  einige  Arbeitsliedchen,  welche  zu  seiner  Verspottung  entstanden,  aber  doch 
hierher  zu  zählen  sind.     So  singt  man  in  Barmen: 

Wiess  —  Quass,  hen  on  her! 

Ech  woll,  dat  et  als  Owend  wöar. 

Wemmer  ooch  nocli  nit  öössen, 

Wemmer  doch  als  do  söössen! 

Eine  geringe  Abweichung  bietet  die  Elberfolder  Lesart: 

Quiesskwass  hen  on  her. 

Eck  wünsch,  dat  et  Meddag  wör. 

On  dat  vie  dätten  eten, 

Odder  schlüpen  lögen. 
In  Gräfrath  heisst  es: 

Wiessquästchen  liin  on  lier, 

Nu  wohl  ech,  dat  et  Owend  wörl 

10.  Schuster.  Als  Arbeitsreim  der  Schuhmacher  darf  man  vielleicht  den 
folgenden  Vierzeiler  ansprechen: 

Vie  (Sie;^  läppen,  vie    sie)  pappen. 

Schient  kräftig  op  de  Penn; 

Denn  all  die  Schusterjonges 

Hant  ömmer  fruaen  Senn!*)  Elberfeld.) 

11.  Schreiner.     Dem  Schreiner  schreibt  man  folgenden  Arbeitsreim  zu: 

Das  Schicksal  setzt  den  Hobel  an 
Und  hobelt  alles  gleich  I 

Diese  Zeilen  entstammen  bekannntlich  der  ersten  Strophe  des  durch  Kreutzers 
Vertonung  allgemein  bekannten  Hobelliedes  aus  dem 'Verschwender  von  Ferdinand 
Raimund  (1833) 

Da  streiten  sicli  die  Leut  herum. 


1)  Vgl.  Uhl,  Winiliod  S.  188*.  —  2)  Ebenda  S.206f.;  Keller  S.  51  f.  -  3)  Fr.  Storck, 
Je  länger  je  lewer  1876  2,  8G.  Das  Liedchen  ist  noch  im  Volksmund  bekannt.  Firmenich 
dürfte  kein  Maurerliedchen  enthalten.  —  4    Vgl.  Uhl  S.  104:    Keller  S.  24. 


156  Schell: 

Als  Arbeitsreim  der  Schreiner  ist  folgender  ohne  Zweifel  wertvoller: 
Ich  bin  der  Sclireiner  Hobelglatt, 
Ich  hoble  hin  und  her. 
Ich  hoble  krumm  und  schief  und  platt, 
Als  wenn"s  geplättet  wärl  (Elberfeld.) 

12.  Scherenschleifer.  Bei  ihm  ist  natürlich  von  vornherein  das  eigentliche 
Lied,  das  Scherenschleiferlied i)  auszuscheiden.     Bei  Elberfeld    sangen    sie   früher: 

Scherenschleifen,  das  kann  ich, 
Das  versteh'  ich  meisterlich  1 

13.  Postillon.  Wenn  der  Postwagen  früher  in  scharfem  Trabe  über  die 
Strasse  fuhr  und  die  Fenster  der  kleinen  bergischen  Häuser  klirrten,  dann  riefen 
die  Kinder  demselben  nach: 

Extra  Langenberg,  extra  Post! 
Fuhrmann,  fahr'  aus  dem  Weg, 
Sonst  kriegst  du  de  Vott  voll  Schlag! 
Fuhrmann,  fahr'  aus! 

Später  wurde  das  Liedchen  in  folgender  Weise  abgeändert: 
Extra  Langenberg,  extra  Post! 
Hast  mir  was  mitgebracht, 
Was  mir  nichts  kost't! 

Die  zugrunde  liegende  Melodie  bewegt  sich  ausschliesslich  in  den  Tönen  des 
Dreiklangs,  entsprechend  dem  Hornsignal.  Ein  ganz  ähnliches  Motiv  hat  u.  a. 
Fr.  Ruhlau  in  Heibergs  'Elfenhügel'  verwertet^). 

14.  Wiegenliedchen.  Es  beschäftigt  sich  naturgemäss  mit  der  Tätigkeit 
des  AViegens,  nicht  mit  dem  Kinde;    es  lautet  in  Elberfeld: 

Die  Wieg  die  get  de  krick  de  krack  — 
Schlöp  du  dicke  Querksack  (Norksack). 

15.  Schlittenfahren.  Das  schnelle  Hinabsausen  des  Schlittens  am  Berg- 
hang,, das  immerhin  mit  einem  gewissen  Rhythmus  erfolgt,  brachte  verschiedene 
Ruf  liedchen  hervor,  welche  man  füglich  in  diese  Reihe  aufnehmen  darf. 

Barmen : 

Aftin  doo! 

Wennste  falls, 

Dann  liasse  do!^) 
Mettmann : 

Pento!*) 

We  nitt  süht. 

De  leit  dol 

IG.  Bastiösereime^)  (Huppenlieder).  Auch  die  Bastlüsereime  müssen  hier 
angeführt  werden,  wenn  es  sich  auch  vorzugsweise  um  eine  spielende  Beschäfti- 
gung (aber  nicht  ausschliesslich)  der  Kinder  handelt.  Im  Ur-Quell  habe  ich  die 
Bergischen  Bastlösereime  gelegentlich  einer  Umfrage  veröffentlicht.  Hier  seien 
dieselben  nochmals  zusammengestellt. 


1)  UM  S.  187 ff.  —  2)  Vgl.  Uhl  S.  32(1.  —  :T  Gemarker,  Wichelkus"  Kapp  ^  S.  99.  — 
4)  Wohl  aus  'affin  doo'  entstanden. 

ä)  Uhl  S.  ISO;  W^oeste,  Mark  S.  20.  Des  Verf.  Umfrage  im  Ur-Quell  3,  203,  294. 
4,97.  Auf  die  überreiche  Literatur  soll  hier  nicht  weiter  eingegangen  werden;  vgl.  u.a. 
Am  Ur-Quell  3,  204.  Hier  kommt  namentlich  Mnntanus -Waldbrüh],  Vorzeit  1,  248 ff.  in 
Betracht. 


Kleine  Mitteilunsren. 


157 


1.  Hüppken,  Hüppken,  Oligskrüt, 
Kützken  liep  der  Düar  herüt. 
Wenn  dat  Kätzken  wiader  kömmt, 

Dann  es  dat  Hüppken  fädig,  ja  fädig,  ja  fädig. 

2.  Hüppken,  Hüppken,  Monekrüt, 
Dat  Kätzken  löppt  der  Düar  herüt. 
Es  dat  Hüppken  fädig  woer, 

Kom  dat  Kätzken  wioder. 

3.  Pipken,  Pipken,  Säpe, 
De  Möller  sot  om  Dake. 
Pipken  usw.  wie  Nr.  1. 


4.  Hüppken,  Hüppken,  Säpe, 
De  Möller  sett  om  Däke. 
He  s  .  .  .  hcraf, 

He  dr  .  .  .  heraf, 

He  fällt  mit  der  V  .  .  .  en"t  Wäter! 

5.  Piepken,  Piepken,  Saapholt! 

De  Möller  kiekt  tom  Daake  ruut, 

Met  der  Witten  Mütschen, 

He  woU  dat  I^isken  bietzen  (bötzen) 

Met  dem  ruaden  Dooke, 

He  wolt  dat  Piepken  maaken. 

Ein,  twei,  drei! 

Dann  mott  dat  Piefken  feedig  sin. 

(5.    Pippken,  Pippken,  Säp; 
Der  Möller  sot  om  Däk. 
Pippken,  Pippken,  Muarenkrüt, 
Dat  Kätzken  liap  der  Düren  riit, 
Dat  Uönken  liep  em  no, 
Do  woaren  se  tigliks  do. 
Äff,  äff,  äff, 
Do  giet  die  Huppe  äff. 

7.  Huppe,  Huppe,  gcss  de  loss! 

Ech  schmiessen  dcch  en  de  Roben! 

8.  Sippe,  Sappe,  Sunne, 

Mi  Mauder  es  en  Nunue, 

Mi  Vader  es  en  Pape; 

Da  kaun  so  gode  Flcutepiepen  maken. 

Doa  koam  da  diecke  Hesse 

Met  dat  blanke  Messe, 

Wol  den  Toan  (=  Turm)  ropklatern. 

Toan  ropklatern  is  wol  gedoahn; 

Fleutepiepen,  nu  mos  se  oapen  gähn. 

i).    Siege,  siege,  sage,  wei 

^Yollen  ein  Flöttschen  maken; 
Flöttschen  woll  nit  duren, 
Do  smete  wei  et  in  de  Rühre, 
Ut  de  Ruhr  bös  in  de  Rhin, 
Wollet  wacker  ein  Flöttschen  sin. 


(Elberfeld.) 


(Elberfeld.) 


(Elberfeld.) 


(Elberfeld.) 


(Remscheid.'» 


(Cronenberg.) 


(Rosbach  a.  d.  Sieg.) 


(Essen.) 


(Duissern  bei  Duisburg.) 


]58  Scliell,  Schmidt: 

17.  Rummclpottslicder.  M.  vgl.  hierfür  u.  a.  des  Verf.  Ausführungen 
oben  13,  2'26f.  und  Sartori,  SB.  3,  4G.  59.  7!l.  98.  160.  269,  wo  auch  die  haupt- 
sächlichste Literatur  angeführt  ist. 

Die  Melodie  tritt  in  ihrer  Bedeutung  entschieden  zurück  hinter  den  Text 
der  Arbeitsreinie  und  Arbeitsliedchen,  weit  mehr  z.  B.  wie  bei  den  Tanzliedern. 
Die  Reime  werden  vielfach  „in  einer  zwischen  Singen  und  Sprechen  die  Mitte 
haltenden  Art  rezitiert",  wie  es  bei  den  meisten  Kinderliedern  der  Fall  ist. 

Elberfeld.  Otto  Schell. 


Märkische  Berge  iu  der  Sage. 
Ein  Beitrag  zur  Sagenkiiude  der  Mark  Brandenburg. 

Neben  der  Geschichte  ist  die  Natur  die  mächtigste  Sagenschöpferin.  Auch 
für  die  Mark  Brandenburg  gilt  dieser  Grundsatz,  den  mit  Beispielen  zu  belegen 
ich  in  meinem  Sagenbuche^),  insbesondere  für  die  beiden  Landschaften  Barnim 
und  Uckermark,  reichliche  Gelegenheit  hatte. 

Der  Volksglaube  hat  an  unseren  märkischen  Bergen  mancherlei  Eigentümlich- 
keiten entdeckt,  und  im  Vergleich  mit  deutschen  Landschaften  rein  gebirgiger 
Natur  können  wir  eine  besonders  liebevolle  und  eingehende  Beschäftigung  mit 
ihnen  feststellen.  Das  liegt  wohl  hauptsächlich  darin,  dass  in  der  Mark  Branden- 
burg der  wirklichen  'Berge'  nicht  allzuviele  sind.  Wo  sie  aber  vorhanden,  spricht 
das  Volk  mit  einem  gewissen  Stolz,  ja,  z.  T.  sogar  mit  Ehrerbietung  von  ihnen. 

Die  Entstehung  der  Berge  denkt  sich  der  Volksglaube  vorwiegend  als 
Zufall,  wobei  allerdings  die  Riesen,  die  auch  sonst  immer  im  Zusammenhang  mit 
den  Bergen  erscheinen,  ihre  Hand  im  Spiele  haben.  Der  Teufelsberg  bei  Landin 
(V/^sthavelland)  verdankt  der  Bequemlichkeit  zweier  Liebenden  aus  dem  Ge- 
schlecht der  Hünen  sein  Vorhandensein.  Um  das  zwischen  ihnen  liegende  grosse 
Luch  geradenwegs  zu  durchschreiten  und  alle  Umwege  zu  sparen,  wurde  der  Berg 
mitten  in  der  Sumpfgegend  von  dem  Riesenfräulein  mit  wenig  Mühe  aufgebaut^). 
Als  störend  empfand  auch  eine  Riesenjungfrau  einen  See  in  ihrer  Nähe;  sie  be- 
schloss  ihn  zuzudämmen.  Als  sie  mit  der  Durchführung  dieser  Arbeit  begriffen  war, 
zerriss  ihr  kurz  vor  ihrem  Ziel  das  Schürzenband,  und  der  Sand,  den  sie  in  der 
Schürze  trug,  fiel  heraus.  So  entstand  der  schöne  Berg  unweit  des  Werbellinsees 
bei  Herzberg  (Kreis  Ruppin).^)  Es  ist  merkwürdig,  dass  diese  Sage  bei  ihrer 
Weiterentwickelung  ein  christliches  Gewand  angenommen  hat  und  ein  Engel  das 
Schürzenband  zerschnitt,  damit  das  Riesenfräulein  nicht  zu  ihrem  Ziel  gelange 
und  eine  alte  liebe  Gewohnheit  eines  geistlichen  Herrn  unterbinde.*)  Mit  der 
Entstehung  des  Gollenbergs  bei  Stölln  (Westhavelland)  steht  sogar  Frau  Harke 
in  Verbindung.     Sie    ist    nicht    nur    an    die  Stelle    des  Riesenfräuleins  getreten^), 


1)  Märkisches  Sagenbucli.  Sagen  und  Geschichten  aus  Barnim  und  Uckermark. 
Berlin  1909. 

2)  Kunzendorf,  Sagen  der  Provinz  Brandenburg  (Cottbus  1911)  S.  133,  vergl.  auch 
Schwartz,  Sagen  und  alte  Geschichten    der   Mark    Brandenburg  (Berlin  1903    S.  42. 

3)  Engelien  und  Lahn,  Der  Volksmnnd  in  der  Mark  Brandenburg  Berlin  186>s) 
S.  63  u.  83  (Pieseberge  an  der  Oder)  und  Kuhn  (vergl.  Anmerkung  7)  (Berg  bei  Wachow 
im  Havelland). 

4)  Haase,  Sagen  aus  der  Grafschaft  Ruppin  uud  Umgegend  (Neu-Ruppin  1887)  S.  28. 

5)  Kuhn  und  Schwartz,Nor(ldeutsche  Sagen,  Märchen  u.  Gebräuche  (Leipzig  1848)  S.  110. 


Kleine  IMitteilungen.  159 

sondern  gehört  geradezu  zur  Familie  der  Riesen^)  und  wohnt  als  solche  im  Frau- 
Harkenberg  (Westhavclland).  Sie  leitet  uns  über  zu  den  mit  unseren  Bergen 
in  innigster  Verbindung  stehenden  Riesen. 

Die  Berge  sind  von  den  Riesen  oder  Hünen  gebaut,  wie  der  bei  Knob- 
loch (Osthavelland) ^);  sie  wohnen  in  oder  auf  den  Bergen,  wie  z.  B.  auf  den 
Klinkower  Bergen  unweit  von  Prenzlau').  Ganze  Familien  von  Riesen  auf  solchen 
Hügelketten  sind  beobachtet  worden,  so  auf  den  Fuchsbergen  bei  Brandenburg 
a.  Havel  ^)  und  auf  dem  Harkenberg  bei  Camcrn  im  Havcllande.^)  Und  wo  benachbart 
wohnende  Riesen  in  Streitigkeiten  geraten,  gibt  es  grimme  Schlachten.  Bekannt 
ist  die  Riesenschlacht  bei  Netzeband  im  Ruppiner  Land«),  wo  an  dem  dortigen 
dreifachen  Wallberg  'noch  jetzt  Spuren  wahrzunehmen  sind',  und  die  grosse  Müggel- 
l)ergschlacht,  in  der  'sie  sich  mit  grossen  Felsblöcken  geworfen  haben'").  Wir 
spüren  hier  bereits  den  Anklang  an  die  prähistorischen  Fundstätten  und  erkennen 
die  Erzählungen  von  den  Hünengräbern. 

Im  Hünenbett  bei  Rotzis  im  Teltow  liegt  der  gefallene  Ricsenkönig**)  und 
im  Seddiner  Königsgrab .  der  heidnische  König  Hinst«),  aufgebahrt  in  dreifacher 
Sargverwahrung,  golden,  silbern  und  eisern,  wie  der  Riesenkönig,  der  bei  Kemnitz 
in  der  Priegnitz  schläft.*")  Um  das  Grab  des  Riesenkönigs  bei  Mollen  unweit 
Lenzen  liegen  viele  Grabhügel  und  Steinkreise,  'in  denen  wohl  seine  Helden  be- 
graben liegen'.")  Diesem  Sagenkreise  folgend,  kommen  wir  allmählich  in  die 
geschichtliche  Zeit,  in  die  Zeit  der  Germanen-  und  Wendenkämpfe,  die  weiter- 
hin überleiten  zu  den  Schlachten,  die  in  der  Mark  zwischen  Brandenburgern  und 
Mecklenburgern  geschlagen,  die  in  der  Wenden-  und  Hussitenzeit,  ja  sogar  im 
3()jährigen  Kriege  spielen.  Aus  den  Gräbern  der  gefallenen  Tempelherrn  in  den 
Sandbergen  bei  Zellin  a.  d.  Oder  sprossten  von  selbst  Königskerzen  hervor.*-') 
Auf  der  höchsten  Spitze  des  Freiberges  bei  Ogrosen  (Kr.  Calau)  liegt  in  einem 
dreifachen  Sarge,  aus  Eichenholz,  Zinn  und  Silber  der  letzte  Wendenkönig"),  und 
ähnliches  wird  in  dem  reichen  Sagenschatz  des  Schlossberges  bei  Burg  im  Spree- 
wald erzählt.'^)  Auch  der  Marienberg  bei  Lenzen  in  der  Priegnitz  erinnert  an  die 
Wendenzeit.*")  Der  Name  des  Vivalberges  bei  Eberswalde  erinnert  an  den 
schrecklichen  Einfall  der  Litauer  und  Polen  im  ersten  Viertel  des  H.Jahrhunderts 
Die  Brandenburger  siegten,  und  von  den  'V'ivatsrufen  der  Brandenburger  hat  dann 
der  Berg  seinen  Namen  erhalten'.**)  Bis  auf  den  Schanzenberg  bei  Dubrow  (Kr. 
fjobus)  soll  eine  Schar  Hussiten  vorgedrungen,  dort  aber  von  den  Frankfurter 
Bürgern  empfindlich  aufs  Haupt  geschlagen  worden  sein.  Noch  heute  findet  man 
dort  verrostete  Waffen  und  Panzerteile.*')  Unser  Weg  führt  uns  zu  den  Räuber- 
bergen und  den  Burgsagen,  die  jedoch  hier  nicht  berührt  werden  sollen. 

Unsere  Berge  beherbergen  aber  auch  das  Gegenteil  der  Riesen:  die  Zwerge, 
die  auch  die  Unterirdischen,  oder,  wie  namentlich  in  der  Lausitz,  die  Lutchen 
genannt  werden.  Sie  bilden  ein  besonderes  Kapitel,  das  hier  nur  insoweit 
interessiert,  als  es  unmittelbar  mit  den  Bergen  zusammenhängt.  In  ihnen  wohnen 
ja  die  Zwerge  hauptsächlich,  und  manche  dieser  ürtlichkeiten  führen  sogar  den 
Namen  Zwergberg,    wie  z.  B.    bei  Oderberg    und  bei  Lützlow  (Kr.  Angerraünde). 


1)  ebenda  S.  112.  —  2)  Kuhn,  Märkische  Sagen  und  Märchen  (Berlin  1843)  S.  14'2.  — 
:!)  ebenda  S.  216.  —  4  Der  Bär  3,  15G.  —  5)  Kuhn  u.  Schwartz  S.  112.  —  6)  Haase  S.  88. 
—  7)  Schwartz  S.  25.  —  8)  Kuhn  S.  110.  —  1»)  Kunzendorf  S.  166.  —  10)  Kuhn  S.  230. 
11)  ebenda  S.  234.  —  12)  Handtmann,  Neue  Sagen  aus  der  Mark  Brandenburg  (Berlin  1883) 
S.  162.  —  13)  Bär  2,  7.  —  14)  A.  Götze,  Der  Schlossberg  bei  Burg,  Prähistorische  Zeit- 
schrift 4,  H.  3-6.  —  15)  Handtmann  S.  13.  —  16)  R.  Schmidt  S.57.  —  17)  Brandenburgia- 
Monatsblatt  19,  71). 


KiO  Schmidt: 

In  beiden  '•hielten  sich  vor  alter  Zeit  Zwerge  aufV)  und  im  Hindenberg  unweit 
Grünhof  (Ruppin)  liegt  sogar  der  König  der  Zwerge  in  einem  goldenen  Sarg  be- 
graben. 2)  Viele  Geschichten  sind  im  Schwange  von  den  Zwergen  im  Hohen 
Berge  bei  Zechow  (Ruppin) 2)  und  den  Luttchen,  Heinchen  oder  Judelchen  in  der 
Niederlausitz*)  sowie  den  'Ludgenbergen'  bei  Lieberose. ^)  Der  Charakter  dieser 
Erdgeister  ist  überall  derselbe:  gutmütig  aber  reizbar.  Häufig  schon  haben  sie 
die  Menschen  in  das  Bergesinnere,  in  die  unermesslichen  Höhlen  geführt,  in  denen 
sie  selbst  wohnen.  •*)  Frau  Harke  hat  in  einer  ßerghöhle  'wilde  Schweine,  Hirsche, 
Rehe,  Hasen  und  andere  Tiere  gehabt,  die  hat  sie  des  nachts  hinein  und  morgens 
hinaus  auf  die  Weide  getrieben'^). 

'Mächtige  Räuberbanden'  wohnen  in  den  Höhlen  der  Bohnenberge  bei 
Zechlin**),  wie  überhaupt  das  Räuberwesen  in  ständiger  Verbindung  mit  den  Bergen, 
namentlich  wenn  eine  Räuberburg  darauf  steht  (Liebenwalde,  Prenzlau  usw.),  genannt 
wird.  Ein  besonderes  Erlebnis  hatte  der  Fähnrich  Sinclaire  in  einer  Höhle  der 
Beitz'schen  Berge  (Lausitz).  'Eine  grosse  Höhle,  die  er  am  Tage  nicht  gesehen, 
tat  sich  vor  ihm  auf,  in  deren  Hintergrunde  eine  lange  Reihe  von  Kriegern,  im 
Kostüm  des  oüjährigen  Krieges,  um  eine  mit  Speise  und  Trank  wohlbesetzte  Tafel 
gelagert,  grosse  Becher  von  Hand  zu  Hand  gehen  lassen'^). 

Am  häufigsten  aber  ist  die  Höhle  oder  überhaupt  der  Berg  selbst  mit 
Schätzen  angefüllt.  In  einer  Höhle  des  Wallberges  bei  Blankenburg  (Kreis 
Angermünde)  standen  'in  einem  grossen  Saale  gewaltige  Reihen  von  Fässern,  alle 
bis  zum  obersten  Rande  mit  blanken  Goldstücken  gefüllt'.  Am  Johannistag  hat 
einmal  hier  ein  armer  Tagelöhner  sein  Glück  gemacht,^")  während  ein  anderer  bei 
dem  nahen  Dorfe  Lützlow  infolge  seiner  allzugrossen  Schüchternheit  nicht  so 
glücklich  war.  Der  Schatz  im  Hohenberge  bei  Zechow  (Ruppin)  wird  von 
Zwergen  bewacht^^),  und  im  Linern  des  Kapellenberges  am  Golm  (Teltow)  liegt 
«ine  ungeheure  Summe  Geldes  in  einer  Braupfanne,^")  während  im  Teufclsberg  bei 
Oderberg  das  Gold  im  Berginnern  in  Fässern  aufbewahrt  wird^^)  Auf  dem  Berge 
bei  Burg  (Kr.  Cottbus)  wühlten  Schweine  einst  einen  Schatz  aus;  der  noch  unge- 
hobene Schatz  im  Katzenberge  bei  Halbendorf  (Spreewald)  und  auf  dem  Merker 
Sandberg  bei  Raschen  (Lausitz)  sind  vergrabene  Kriegskassen,  und  der  Schatz  im 
Georgenberge  bei  Spremberg  ist  durch  das  Dazwischenkommen  eines  dreibeinigen 
Hasen  bisher  ungehoben. '*)  Oft  werden  die  Leute  auf  das  Vorhandensein  eines 
Schatzes  im  Berge  durch  ein  eigenartiges  Brennen  an  der  betr.  Stelle  aufmerksam 
gemacht.  Der  böse  Geist  lockt  durch  das  Geldbrennen'^),  und  wenn  jemand  gar 
zu  aufdringlich  ist,  hebt  'ein  gewaltiger  Wirbelwind  ihn  in  die  Höhe',  um  ihn 
vom  Schatzort  zu  verscheuchen.'®)  Zu  heben  sind  die  Schätze  in  den  Bergen  nur 
in  der  Johannisnacht  ")  und  ohne  dass  dabei  auch  nur  das  geringste  gesprochen 
wird.^*)  Vielfach  hat  auch  die  Wünschelrute  gute  Dienste  getan,  zumal  bei  der 
Auffindung  des    eigentlichen    Schatzortes. ^'*)     Wer  indes    seine    Habgier   allzusehr 


1)  Kuhn  und  Scliwartz  S.  49.  —  2)  Haase  ö.  44.  —  3)  ebeüda  S.  34.  —  4  Gander, 
Niederlausitzer  A^olkssageu  .Berlin  1896)  S.  40.  —  5)  Krüger,  Alt-Lieberose  1904,  S.  8,  — 
6)  Haase  S.  35.  —  7)  Kuhn  u.  Schwarfz  S.  113.  —  8)  Eugelieu  u.  Lahu  S.  Gl.  —  9)  Haupt, 
Sagenbuch  der  Lausitz  S.  164.  —  lOj  Kuhn  u.  Schwartz  S.  50f.  —  11)  Haase  S.  39.  — 
12)  Engelien  u,  Lahn  S.  5.  Die  Braupfanne  erscheint  auch  im  Spreewald  wieder.  fSchulen- 
burg.  Wendisches  Volkstum  (Berlin  1882)  S.  88  und  Bär  2,  7).  —  13)  Schwartz  S.  130.  — 
14)  Schulcnburg  S.  3,  89,  92.  —  15)  Gander  bringt  mehrere  Beispiele,  auch  bezüglich  der 
Kriegskassen  S.  67—69.  —  16)  Kuhn  S.  105.  —  17)  Haase  ö.  61,  71;  Kunzendorf  S.  143.  — 
18)  Schmidt  S.  51;  Engelien  u.  Lahn  S.  40.  —  19)  Engelien  u.  Lahn  S.  40:  Schulenburg 
■S.  88u.  93:  Haase  S.  61. 


Kleine  Mitteilungen.  161 

merken  liisst,  wird  allemal  bestraft.^)  Hier  und  da  gelten  noch  besondere  Be- 
stimmungen: Der  Schatz  im  Hohenberg  bei  Zechow  (Ruppin)  kann  nur  'um 
Mitternacht  durch  eine  unbescholtene  Jungfrau  stillschweigend  mit  silberner 
Laterne  und  silbernem  Schlüssel  und  unter  Abbetung  von  drei  Vaterunsern'  ge- 
hoben werden. 2)  Den  Schatz  im  Schlossberge  bei  Jänickendorf  unweit  Lucken- 
walde 'kann  nur  der  heben,  welcher  fünfmal  in  einem  Atem  um  den  Berg  läuft. 
Bis  jetzt  ist  das  aber  noch  keinem  gelungen'.^)  Sogar  Verzeichnisse  von  klingen- 
den ScIiiKzen,  die  noch  der  Hebung  bedürfen,  bewahren  unsere  Archive  auf.  In 
eniem  alten  Verzeichnis  im  Spremberger  Stadtarchiv  steht  folgende  Notiz:  'Es  sind 
vergraben  aufm  Georgenberge  unter  einer  Linde*)  zwei  Ellen  tief  21000  Tlr. 
hinter  der  Kirche  drei  Ellen  tief  20000  Tlr.,  in  vier  Gewölben  da,  sieben  Ellen 
tief  .'^OOOO  Tlr.,  beim  Altar  in  drei  Kasten  vier  Ellen  tief  50000  Tlr.,  bei  einem 
Fenster  drei  Ellen  tief  •24000  Tlr..  von  diesem  sieben  Schritt  entfernt  40000  Tlr., 
in  der  Stadtkircho  beim  Altar  an  zwei  Orten  in  zwei  Kasten  lOOüOO  Tlr.,  in  einem 
Pfeiler  10000  Tlr."  Wann  und  durch  wen  .dieser  ungeheure  Geldschatz  vergraben 
sein  soll,  verrät  das  Aktenstück  nicht.  Herzog  Christian  von  Sachsen-Merseburg, 
der  längere  Zeit  in  Sprcmberg  residierte,  hat  nach  dem  Gelde  erfolglos  suchen 
lassen.  —  Ähnliches  berichtet  die  Eberswaldcr  Chronik^).     , 

Ein  Mann  aus  Liepe  bei  Oderberg  hat  im  dortigen  Teufelsberg  'eine  grosse 
schöne  Stadt'  gesehen'*),  und  der  Alchimist  Kunkel  hat  einst  seinen  dankbaren 
Schülern  und  Freunden  im  Panbergc  bei  Potsdam  ein  Schloss  gezeigt,  darin  die 
verzauberte  Gräfin  zu  sehen  war.")  Aus  Potsdam  stammt  auch  die  Kunde  von 
der  Prinzessin,  die  auf  den  elf  Bergen  um  die  Stadt  heimisch  war  und  den 
Brauliausberg  als  ihren  Lieblingssitz  erkor.**)  Sonst  handelt  es  sich  meist  um  ver- 
wunschene Prinzessinnen,  die  erlöst  sein  wollen.  So  können  z.  B.  die  von  den 
Müggclbergcn  bei  Cocpenick  und  auf  dem  Schlossberge  bei  Biesenthal  nur  erlöst 
werden,  wenn  man  sie  auf  den  Armen  ohne  zu  sprechen  nach  der  Kirche  trägt. 
Das  ist  aber  noch  keinem  gelungen,  immer  trat  ein  Zwischenfall  ein**).  Hierher 
gehören  auch  die  Jungfernberge  mit  ihren  Sagen  und  Geschichten. 

Es  ist  auffällig,  dass  hier  immer  die  Dreizahl  wiederkehrt.  Durch  die  Nach- 
lässigkeit einer  allen  Fiau,  deren  wichtigstes  Merkmal  der  Besitz  einer  schwarzen 
Katze  war,  sind  die  drei  Jungfrauen,  die  allmitläglich  vom  Schlossberge  in  Liebe- 
rose i")  herabstiegen,  um  sich  im  Quell  zu  waschen,  bis  heute  unerlöst  geblieben. 
Am  Fusse  des  Oderberges")  liegen  drei  Prinzessinnen  begraben.  Die  drei  Sanddünen 
am  Wege  unweit  von  Liesenkrüz  bei  Eberswalde^'-)  hcisscn  die  Jungferngräber; 
ilort  liegen  die  letzten  drei  Klostcrschwestern  von  dem  einst  am  Noinienfliess 
belegenen  Kloster.  In  der  Johannisnacht  öfl'net  sich  alljährlich  der  Scharfenberg 
bei  Wittstock  und  aus  der  hohen  Wölbung  reitet  auf  prächtigem  Rappen  eine 
schöne  Jungfrau  Der  Jüngling,  der  mutig  genug  ist,  sich  zu  ihr  aufs  Ross  zu 
schwingen,  erhält  sie  zur  Gemahlin  und  ein  Königreich  dazu.''*)  Nach  der  Erntezeit 
zeigen  sich  am  Budenberg  unweit  Rauen  (Kr.  Lebus)  alljährlich  zwei  weisse 
Jungfern,  die  erlöst  sein  wollen.  Die  eine  trägt  einen  Stab,  an  dem  sich  ein 
.goldener  Ring  befindet,  die  andere  ein  Bund  Schlüssel.  Beides  leichen  sie  dem 
Vorübergehenden  zu  Er  soll  sie  erlösen.  Aber  bis  jetzt  hat  es  noch  niemand 
tun  wollen.  (Bisher    unveröffentlichte    Sage.)     Alle  100  Jahre    zeigt    sich  auf  dem 

1)  Schwartz  S  l.",Ü.  —T  Haase  S.  :i9.  —  3)  Kiilin  S.  102.  —  4)  vgl.  S.  ICO  Anm.  14.  — 
5)  Eberswalde  Heiniatsblättcr  ISr.  111.  —  G)  Kuhn  u.  Scliwartz  S.  41.  —  7;  Reinhard, 
Sagon  und  Miihrclieu  aus  Potsdams  Vorzeit  (Potsdam  1S37)  S.  182.  —  8)  Schwartz  S.  3(),  — 
It  Kuhn  S.  113;  Schwartz  S.  il6.  —  10)  Krüger  S.  G.  -  11)  iJär  2,  104.  —  12)  Schmidt 
.S.58.  —  13)  Hrell,  Heimatkunde  der  Ostpricgnitz  190.")  S.  13. 

/..irschr.  .1.  Vereins  f.  Volkskuiuic     1917     Heft  2.  11 


](;-J  Schmidt: 

Marienberg  bei  Schlepzig  (Spreewald)  eine  Jungfrau,  die  verzaubert  ist  und  nur 
erlöst  werden  Kann,  wenn  ihr  drei  warme  Brote,  die  in  drei  Backöfen  gebacken 
sind  und  mit  der  Rückseite  aneindetstossen,  genau  zu  der  Stunde  ihre?. 
Erscheinens  gebracht  werden,  ausserdem  fünf  schwarze  Hühner,  die  keinen  Flecken' 
aufweisen.  Als  die  Jungfrau  zuletzt  erschien,  war  sie  bis  zur  Hälfte  ihres  Körpers 
schon  aus  dem  Berge  hervorgekommen.  Leute,  die  gerade  vorbei  gingen,  sahen 
sie  und  brachten  ihr  das  Gewünschte.  Da  aber  kam  ein  Wagen  gefahren,  und  es 
erschien  eine  hinkende  Pilante  (Gans),  die  schrie  immer:  'Kutsche  wit,  Kutsche 
wit,  bald  einholen'.  Der  Kutscher,  statt  zu  schweigen,  fing  an  zu  reden  —  da 
verschwand  die  Jungfrau  plötzlich.  Man  hörte  ein  Geräusch  wie  'klirr,  klirr',  und 
sie  sank  in  die  Tiefe.  In  der  Tiefe  konnte  man  ein  sehr  schönes  Schloss  wahr- 
nehmen, ein  schöner  Greis  sass  dort  und  schlief,  und  alle,  die  man  sah.  schliefen. 
Schöne  Geräte  standen  daselbst,  besonders  schöne  eiserne  Töpfe.  Aber  nur  einen' 
Augenblick  —  da  war  alles  wieder  verschwunden  und  der  Berg  verschlossen.') 

Eng  verwachsen  mit  unseren  Bergen  ist  die  Vorstellung  von  der  weissen 
Frau,  die  wir  in  anderer  Verkleidung  auch  schon  oben  angetroffen  haben.  Be- 
zeugt ist  ihr  Erscheinen  ohne  besondere  Eigenheit  für  den  Rietzer  Berg  bei 
Brandenburg  a.  H.  und  den  Kapellenberg  bei  Blankensce  im  Kreise  Jüterbog- 
Luckenwalde  -)  An  letzterem  Ort  lässt  sich  aber  auch  statt  der  weissen  Frau 
öfters  ein  Reiter  auf  weissem  Ross  sehen.  Charakteristisch  ist  das  Schlüsselbund, 
das  die  weisse  Frau  zeigt  (Räuberberg  bei  Phoeben  im  Havelland,  Hausberg  bei 
Eberswalde^)),  und  ihr  Erscheinen  im  Traum  des  Menschen,  die  Aufforderung^ 
an  diese,  sie  zu  erlösen,  unter  dem  Versprechen  der  Zuwendung  grosser  Schätze- 
(Burgwälle  bei  Teschendorf  und  Wildberg  im  Ruppincr  Land).  Die  Wildbergcr 
Juno'frau  kann  freilich  erst  erlöst  werden,  wenn  der  Kampf  mit  einem  weissen^ 
Bullen  siegreich  beendet  ist>)  Die  weisse  Frau  auf  den  Bergen  bei  Ortwig  inv 
Oderbruch  trägt  eine  strahlende  Krone,  ist  aber  den  Menschen  äusserst  gefährlich, 
und  die  Begegnung  mit  ihr  bringt  re.;elmässig  den  Tod.-^)  Den  Menschen  irgend- 
wie Streiche  zu  spielen,  ist  ihr  ein  Vergnügen.  Den  Niederfinower  Fischern- 
zerriss  sie  oft  ihre  Netze,  den  Freienwaldern  schmeisst  sie  die  Heuwagen  um.^) 
Nur  ein  ungetauftes  Kind  kann  sie  erlösen  (Phöben  im  Havelland).  Die  weisse 
Frau,  auch  Flachsjungfer  genannt,  die  im  Flachsberg  bei  Deetz  (Zauch-Belzig)  sitzt, 
zeigt  sich  nur  alle  hundert  Jahre;  und  die  Burgfräulein  im  Burgwall  bei  Lichtenow 
im  Friedeberger  Kreise  haben  diese  Zeit  gar  auf  tausend  Jahre  ausgedehnt.') 
Übrigens  zeigt  sich  gelegentlich  auch  die  schwarze  Frau,  wie  vom  Pilatsch  bei' 
Rathenow  überliefert  ist.^) 

Die  merkwürdigsten  Gestalten  begegnen  uns  bei  verschiedenen  Bergen.  Beim 
Eckerberg  unweit  Rurow  im  Lande  Ruppin^)  leitet  ein  Mann  ohne  Kopf  die  Vor- 
übergehenden irre.  Ein  Vogel  mit  sieben  Köpfen  erscheint  alle  Jahr  im  Spree- 
wald und  führt  einen  durch  das  Los  nach  einem  bestimmten  Berge  Hinbestellten 
mit  sich  fort.'")  Aufhocker  in  Gestalt  eines  Kalbes  gibt  es  am  Spökberg  bei 
Rägelin  (Ruppin),  in  Gestalt  eines  Bären  am  Färberg  bei  Bärenklau  in  der  Nieder- 
lausitz.'i)  ^ni  Markgrafenberg  bei  Rathenow  lässt  sich  zeitweise  ein  Pferd  sehen. 
dem  Feuer  aus  MauPund  Nase  sprüht.^-) 


1)  Assolmann,  Volkssagon  aus  dorn  Untersprcewald  (Franlifurt  a  0. 1898,  Privatdruck\ 
2)  Engelien  u.  Lahn  S.  5;  Bär  3,  111.  -  3)  Scli^artz  S.  G2  u.  108.  —  4)  H«ase  S.  70^ 
u.  77.  —  5)  En-clion  und  Lahn  R.  88.  —  6)  Srliwartz  S.  132  u.  113.  —  7)  Mnllor,  Sagen- 
schatz des  Lan  les  Friedeberg  1909,  S.  3  -  8)  llug.lien  u.  I.alm  S.  37.  Vergleiche  die 
'schwarze  Pamo'  in  Bralitz.  Neumark,  Ebcrswalder  HeimatbliUter  "Nr.  30.  —  ^'  Haase- 
S.  50.  —  10)  Schulenburg  S.  32.  —  11)  Haase  S.  89;   Gander  S.  110.  —  12-  Kuhn  ?.  l4n-_ 


Kleine  Mitteilungen.  Iß3 

Hülle,  Teufel  und  Hexen  lieben  die  märkischen  FiergeW  und  die  wilde  Jagd 
zieht  mit  Vorliebe  über  sie  hin  und  bringt  in  ihrer  Nähe  die  Menschen  in  Auf- 
regung-). Als  Gerichtsplätze  stehen  manche  Berge  in  scheuer  Erinnerung  im  Volk, 
wie  z.  ß.  der  Ratsberg  bei  Sommerfeld  i.  Lausitz,  wo  schon  'die  alten  Deutschen 
ihr  Gericht  abgehalten'  haben. ^)  Auf  dem  Spitzberg  bei  Langerwisch  im  Havel- 
lande wurde  der  Räubeihauptmann  Kurt  gehenkt,  und  'noch  lange  war  dort  sein 
von  der  Sonne  gebleichtes  Gebein  ein  Spiel  der  Winde  und  ein  Schrecken  der 
Wanderer'.*) 

Über  das  Innere  mancher  Berge  geht  die  Sage,  dass  sie  mit  Wasser  oder 
Feuer  gefüllt  sind  und  eines  Tages  losbrechen  werden,  wie  das  vom  Drachenkopf 
bei  Eberswalde  erzählt  wird.^) 

Den  Beschluss  mögen  drei  in  unseren  Sagenbüchern  noch  nicht  veröffent- 
lichte Sagen  machen: 

1.  Die  Menschenopfer  in  den  Kauenschen  Bergen  bei  Fürstenwalde.") 

Das  Volk  der  Lebuser  diente  eitlen  Götzen.  Nahe  der  Stadt  Fürstenwalde 
<»uf  den  Höhenzügen  der  Rauenschen  Berge  war  es  nie  recht  geheuer.  Dort  be- 
fand sich  auch  ein  den  Götzen  geweihter  Hain.  Blutige  Menschenopfer  wurden 
dort  dargebracht,  um  den  Zorn  der  Götter  zu  beschwichtigen.  Aus  jener  Zeit 
sind  noch  einige  Opfersteine  vorhanden.  Auf  diesen  zeigen  sich  oft  merkwürdige 
Gestalten.     Überhaupt  spukt  es  auf  den  Rauenschen  Bergen. 

2.  Der  schlafende  .Schuster  im  Reitweiner  Schlossberge.') 

Als  einst  an  einem  schwülen  Sommertage  ein  Schuster,  von  der  Messe  in 
Frankfurt  a.  0.  heimkehrend,  in  der  Nahe  des  Reitweiner  Schlossberges  sich  ge- 
lageit  hatte,  vernahm  er  plötzlich  eine  wunderbare  Musik.  Ein  reichgekleideter 
Diener  trat  an  ihn  heran  und  lud  ihn  aufs  Schloss  ein.  Der  Schuster  kam  mit, 
wurde  reichlich  mit  Speise  und  Trank  erquickt  und  schlief  dann  ein.  Als  er  auf- 
wachte, sass  er  wieder  auf  seinem  Ausgangsplatz.  Gedankenvoll  trat  er  den  Heim- 
weg an.  Zu  Hause  kam  ihm  aber  alles  fremd  vor.  Niemand  kannte  den 
Fremdling  mehr,  keine  Spur  seiner  Familie  war  mehr  zu  entdecken.  Er  hatte 
100  Jahre  verschlafen. 

3.  Die  verwünschte  Prinzessin. 

Einst  hütete  ein  Schäfer  unterhalb  der  Ruinen  auf  dem  Reitweiner  Schloss- 
berg seine  Herde.  Plötzlich  stand  ein  wunderlieblichcs  Ritterfräulein  vor  ihm. 
Nachdem  sich  der  Schäfer  von  seinem  Erstaunen  erholt  hatte,  erzählte  ihm  das 
Fräulein,  dass  es  eine  verzauberte  Prinzessin  sei,  der  nur  alle  hundert  Jahr  Ge- 
legenheit gegeben  sei,  sich  erlösen  zu  lassen.  Ein  Jüngling  mit  kräftigen  Armen 
müsse  sie  schnell  den  Berg  hinauftragen,  ohne  zu  sprechen  und  ohne  rechts  oder 
links  zu  sehen.  Unermessliche  Reichtümer  erwarten  den  Erlöser.  Schon  hat  der 
mutige  Schäferjüngling  die  Prinzessin  erfasst,  und  ruhig  trägt  er  seine  Last  nach 


1)  Schulenburg  S.  14;  Kuhn  S.  154;  Braudenburgia- Monatsblatt  Bd.  17,  504.  — 
2)  Gander  S.  121;  Schwartz  S.  20.  80.  —  3)  Gander  S.  131.  —  4)  Reinhard  S.  116.  — 
5)  Schmidt  S.  55.  —  6)  Mündliche  Überlitferung  aus  Fürstenwalde.  —  7j  Diese  und  die 
folgende  Sage  hat  Otto  Fehr  in  dem  zu  Spandau  erscheinenden  'Anzeiger  für  das  Havel- 
land' (Jahrgang  1914)  veröffentlicht.  In  dieser  Tageszeitung  dürften  sie  aber  der  Ver- 
gessenheit anheimfallen,  weswegen  ich  fie  hier  vollständig  mitteile.  Ahnliche  Mitteilungen 
und  Andeutungen  bei  Krüger  S.  6  ff. 

11* 


]ß4  ^'-  Jezewski,  Podszuweit: 

oben.  In  der  Mitte  des  Berges  abei-  braust  die  wilde  Jagd  heran,  tobt  es  und  wettert 
hinter  ihm,  als  sei  die  Hölle  los.  Zitternd  sieht  sich  der  Schäfer  um  —  seine 
Last  ist  in  demselben  Augenblick  entschwunden.  Nun  muss  die  Prinzessin  wieder 
hundert  Jahre  warten. 

Eberswaldc.  Rudolf  Schmidt. 


Aus  dem  Jahre  1848. 

Die  hochbelagte,  aus  dem  Dorfe  Closewitz  bei  Jena  stammende  Frau 
Friederike  Salzmann  besitzt  noch  einige  Erinnerungen  an  das  Revolutionsjahr  l>i4H. 
Sie  befand  sich  damals  in  Apolda,  wo  sie  nach  dem  frühen  Tode  ihrer  Eltern  im 
Hause  eines  Gendarmen  als  Pflegekind  erzogen  wurde.    " 

Für  den  Pflegevater  war  es  natürlich  eine  gefährliche  Zeit.  Wenn  er  fort- 
reiten musste,  blieb  seine  Frau  in  grösster  Sorge  um  ihren  Christian,  so  hiess  er, 
zurück.  Hörte  man  nach  langem,  bangem  Warten  dann  den  'Hans",  das  heim- 
kommende Pferd,  von  ferne  „juxen'' ^),  so  sagte  die  Pflegemutter  aufatmend: 
„Gott  sei  Dank!     Hans  kommt.     Da  wird  Ciiristian  doch  wohl  auch  kommen". 

Auch  ein  zusammenhängendes  Geschichtchen  aus  jenen  Tagen  weiss  Frau 
Salzmann  zu  erzählen.  Es  sei  hiermit  wiedergegeben,  und  zwar  im  ^V^ortlaut, 
ihrem  mündlichen  Berichte  treu  und  unmittelbar  nachgeschrieben: 

„Unser  alter  Großherzog  Friedrich  "•*),  der  unten  Zwätzen  gegründet  hat,  was 
die  Ackerbausihule  ist^J,  der  Mann  von  der  Marie  Pauloone''^,  der  hat  Achtund- 
vierzig müßt  flüchten  in  der  Revolution.  Da  hat  er  sich  in  einem  Forslhause 
aufgehalten  unbekannt.  Der  Forstgehilfe  (im  weiteren  Verlauf  der  Erzählung 
auch  'Forstläufer'  genannt)  hat  ihn  aufgenommen  und  die  Frau  Oberförsterin.  Der 
Oberförster  hat  typhuskrank  gelegen.  Der  P^orstgehilfe  hat  den  Großherzog  mit 
in  Wald  genommen  so  gut  wie  einen  alten  Handwerksburschen,  und  da  hat  er 
sollen  bischen  mit  arbeiten,  und  da  hat  er  nichts  verstanden.  Da  hat  der  Forst- 
gehilfe zu  ihm  gesagt:  „Aber  du  hast  gar  kee  Geschick  zum  Arbeiten".  Da  hat 
er  gesagt,  er  wäre  Bogenschreiber  gewesen  beim  Advokaten.  Ein  Förster  im 
Walde,  der  sich  schon  als  neuer  Oberförster  gedacht  hat,  hat  ihn  einen  Faulenzer 
geheißen.  Und  der  hat  Auktion  angestellt  und  hat's  Holz  verkauft.  Der  angebliche 
Faulenzer  hat  da  den  Forstgehilfen  gefragt,  wie  der  Förster  es  anfinge,  daß  er 
Auktion  anstellte,  wo  doch  jetzt  die  Regierung  nicht  da  war! 

Einmal  hat  der  'neue  Oberförster'  den  Forstläufer  gefragt,  was  der  kranke 
Oberförster  machte.  Da  hat  der  geantwortet:  Er  wäre  'auf  dem  W^ege  der 
Besserung'.  Und  da  hat,  der  sich  als  neuer  Oberförster  gedacht  hat,  gesagt:  „Es 
wäre  besser  gewesen,  er  wäre  kaput  gegangen'". 

Nachher,  da  haben  sie  mal  weiße  Bohnen  gehabt  und  Schöpsenfleisch.  Und 
da  ist  der  Sohn  (des  Oberförsters)  gekommen  mit  den  Freischärlern  und  haben 
den  alten  Handwerksburschen,  den  Herzog,  wollen  schlagen.  Und  da  hat  der 
Forstgehilfe  geschrieen:  „Herrgott,  da  kommen  ja  die  Gendarmen!"  Da  sind  sie 
alle  durchs  Fenster  gesprungen,  da  sind  sie  geflucht!  Dadurch  ist  der  Alte  gerettet 
worden,  daß  sie  ihn  nicht  geschlagen  haben. 

1)  freudig  wiehern. 
'  2)  Gemeint   ist    Karl    Friedrich,  Grosaherzog   von    Sachsen-Weimar,  der  Sohn  Karl 
Augusts,  der  Vater  Karl  Alexanders  und  Augustas,  der  ersten,  deutschen  Kaiserin. 

3)  Zwätzen  b.  Jena,  bekannter  Ausflugsort,  Dorf  mit  Ackerbauscliule. 

4)  Maria  Paulowna,  russische  Grossfürstin  von  Geburt. 


Kleine  Mitteilungen.  [ß5 

Nachlier  sind  wieder  Männer  gekommen  und  haben  in  der  Oberförsterei  wollen 
auspfänden,  und  da  bat  der  alte  Handwerksbursche  sich  ilmen  entgegengestellt 
und  sie  gefragt,  wer  sie  geschickt  hätte.  Zum  Auspfänden  war'  doch  keine  Zeit 
jetzt!  Da  hat  ihn  der  eine  von  den  Auspfände-Männern  wollt  vor  die  Wand 
werfen.  Da  hat  der  alte  Handwerksbursche  vorne  auf  der  Brust  den  Kittel  hoch- 
gehoben, da  hat  das  Gold  drunter  geglänzt,  und  da  haben  sie  sich  verneigt  und 
sind  fort. 

Und  der  alte  Handwerksbursche  ist  eines  Tages  auch  foit  aus  der  Ober- 
försterei. Da  sind  eine  Zeit  danach  plötzlich  die  Husaren  gekommen  Tom  Hofe 
in  Weimar  und  haben  bestellt:  Weiße  Bohnen  und  Hammelfleisch!  Nachher  ist 
der  Hofwagen  gekommen,  hat  Tische  und  Stühle  gebracht  und  Geschirre  zum 
Kochen  —  und  haben  bestellt,  daß  nachher  Königliche  Hoheit  käme  zum  Essen. 
Und  wie  er  gekommen  ist,  da  hat  er  seinen  Kittel  ausgezogen,  und  da  hat  sich 
der  alte  Handwerkshursche  herausgepuppt  als  der  Großherzog  von  Sachsen-Weimar." 

Bis  hierher  fliesst  die  Rede  von  selbst.  Auf  Befragen  gibt  Frau  S.  noch 
folgendes  an: 

^Der  Porstgehilfe  oder  Forstläufer,  der  den  Großherzog  während  der  gemein- 
samen Arbeit  im  Walde  klug  gemacht  und  ihm  gesagt  hat,  wie's  im  Lande  steht, 
ist  später  Diener  bei  ihm  geworden.  Dagegen  hat  man  den  schlimmen  Förster, 
den  'neuen  Oberförster',  verhaftet  und  nach  Weimar  gebracht.  Dort  ist  ihm  auf 
der  Amtsstube  im  Beisein  der  Schreiber  der  Landesvater  noch  einmal  als  Hand- 
werksbursche gegenübergetreten,  um  sich  dann  zu  erkennen  zu  geben."  Auf  die 
Erkundigung  nach  dem  weiteren  Schicksal  des  Verhafteten  gibt  die  wahrheits- 
liebende Greisin  die  Auskunft:  „Das  kann  ich  wirklich  nicht  mehr  sagen.  Und 
lügen  will  ich  nicht.'" 

Jena.  Käthe  v.  Jezewski. 


Litauische  Naturbeseeluug. 

Sinniges  Empfinden,  feinfühlendes,  verständnisvolles  Beseelen  und  Deuten 
des  treu  Beobachteten  sind  der  litauischen  Naturbetrachtungsweise  eigen,  wovon 
folgende  Proben  Zeugnis  ablegen  mögen. 

Wenn  im  Frühling  in  den  erwärmten  Teichen  und  Sümpfen  die  Frösche 
wieder  erwachen,  führen  sie,  der  eine  mit  hoher,  der  andere  mit  tiefer  Bass- 
stimme die  Zwiesprache: 

.,Kuma'::'-'  (PateO  —  „Kou?-'  (Na?)  —    .,Miri  Waiks?"    Starb  der  Junge?    — 
..Miri!^    Starb:»'). 

Der  Rabe,  der  im  nahrungsarmen  Winter  dem  Pferdedünger  auf  Wegen  und 
Chausseen  öfter  Besuch  abstaltete,  rief  sich  dabei  überzeugend  zu: 

..Piraksl    Piraks!"     (Krapfen!   Krapfen!) 
Jetzt  schreit  er  im  neuen  Lenz  verächtlich  beim  Anblick  der  frühern  Kiapfen: 
„Pui,  kaka!     Pui,  kakal"     (Pfui,  Unrat ! -) 
Die    Lerche,    die    auf  dem  Felde  dem  Landraann  bei  der  Frühjahrsbestellung 
zuschaut,  singt  ihm  aus  blauer  Luft  jubelnd  zu: 

„Tai  ma  graszu,  tai  ma  graszn,  kad  Wirai  are  kerauge!" 
Das  gefällt  mir,  wenn  die  Männer  pfliigen,  eggen. 

1)  Y^\.  Wossirtlo,  Mecklenburgische  Volksüberliefnuiigcn  1-10  nr.  1051-51. 

2)  Vgl.  Wossidlo  2,  lOG  nr.  TOl-TOG. 


IQQ  Podszuweit,  Kopp: 

Das  hott  die  Schwalbe,  die  den  Menschen  näher  zu  kennen  glaubt,  weil  sie 
bei  ihm  zu  Hause  wohnt  und  ihn  deshalb  am  frühen  Morgen  oft  ungewaschen 
und  ungekämmt  hat  rumlaufen  sehen,  und  teils  um  der  Lerche  zu  widersprechen, 
teils  um  dem  Menschen  eins  auszuwischen,  zwitschert  sie: 

Kat  tu  pamatitum,  Wenn  Du  nur  niöthst  sehen, 

Kat  tu  pamatitum 

Kaip  jr  to  keile  Wie  sie  beim  Aufstehn 

Susiweile,  V  erfilzt  ausselin, 

Bjaurus !  Gräulich!^) 

Ein  anderer  Vogel  (litauisch  Scholpjowios,  wörtlich  Grasmäher)  zieht  die 
Grasmäher  auf,  die  ohne  ihr  Quantum  Branntwein  nicht  arbeiten  können,  indem 
er  beständig  ruft: 

Wiss,  \y']s,  wis,  Stets,  stets,  stets, 

Quaterka  penki  Graschei!  Das  Quartmaß  für  fünf  Groschen! 

Vor  allen  andern  Vögeln  aber  schwatzen  die  Stare  viel  schnurriges,  dummes 
Zeug  zusammen,  besonders  wenn  sie  im  Vollen  leben,  also  in  der  Zeit,  wo  sie 
nicht  wissen,  ob  sie  uns  die  Kirschen  im  Garten  stehlen  oder  dem  Weizen-  und 
Roggenfeld  einen  Besuch  abstatten  sollen.  Da  kann  man  sie  laut  und  frech 
zanken  hören: 

Kraß,  kraß  Warsdikäsl  Schutt',  schütt'  Weißkäs ! 

Nc  turu  Habe  kein 

Däschäs  Gefäß 

I  RuKUsI  Im  Roggen! 

Ka  winei?  Was  hast  gekocht? 

Kukullus:  Brotknödel: 

Doak  ir  mal  Gib  auch  mir! 

Ne  gallu,  Kann  nicht  sein. 

Per  szkannu!  Schmeckt  zu  fein! 

Äßk,  äßk  ir  prariek!  Friß,  friß  und  vcrschluck's: 

Vielleicht  denken  die  unverschämten  Stare  an  die  beliebte  litauische  Kirschen- 
knitsche  (zerdrückte  Kirschen  mit  Milch  und  Brotscheibchen),  wenn  sie  beim 
Kirsch enstibitzen  noch  von  Weisskäso  und  Brot  schwatzen. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  dreisten  Vögeln  ist  das  Huhn  höchst  bescheiden. 
Hat  es  ein  Ei  gelegt,  so  verringert  es  die  Schockzahl  auf  zehn,  indem  es  ruft: 

Kapa,  kapa  Ein  Schock,  ein  Schock 

Däschemt!  Ist  zehn! 

Und  wenn  es  das  Nest  aufsucht  und  findet,  dass  die  vortags  gelegten  Eier  wieder 
fortgenommen  sind,  gackert  es  bedauernd  vor  sich  hin: 

Kai  ])adedu,  Kaum  liegts  am  Ort, 

Ir  atimma!  Nimmt  man  es  fort! 

Eines  besonderen  Ansehns  erfreut  sich  bei  den  Litauern  der  erste  Storch,  der 
eine  ähnliche  prophetische  Rolle  spielt  wie  der  Kuckuck,  der  beim  ersten  Rufen 
jedem  die  Lebensjahre  vorzählt.  Auf  den  ersten  Storch  gibt  der  Litauer  genau 
acht,  denn:  Sieht  man  ihn  im  Frühjahr  zum  ersten  Mal  fliegend,  so  wird  man  das 
ganze  Jahr  hindurch  fix  und  fleissig  sein;  sieht  man  ihn  dagegen  stehend,  so  wird 
man  das  ganze  Jahr  hindurch  faul  sein,  und  es  gelingt  einem  nichts;  sieht  man 
ihn  auf  seinem  Nest  sitzend,  wird  man  das  Jahr  hindurch  bettlägerig  und  kiank 
sein,  und  endlich:  hört  man  ihn  stehend  klappern,  so  wird  man  viel  Scherben 
haben:  und  sicher  trifft  es  sich,  dass  man  in  solchem  Jahre  viel  zerschlägt. 


1)  Vgl.  Wossidio  2,  102  nr.  674-(;98. 


Kleine  Mitteilungen.  167 

Wenn    der    Bauer    mit  schwer  beladenem  Wagen  zur  Stadt  fahrt,  schwer  be- 
laden mit  Getreide  oder  Gemüse,  und  die  Wagenräder  sind  nicht  geschmiert,  dann 
quietscht  und  knarrt  der  Wagen  langsam,  bedächtig  und  voll  Hoffnung: 
Nnpirks  —  pateps,  Er  kauft  —  er  schmiert, 

Napirks  —  pateps!  Er  kauft  —  er  schmiert! 

Aber  der  Bauer  hat  seine  Ladung  verkauft,  jedoch  keine  Schmiere  gekauft,  ge- 
schweige denn  den  Wagen  geschmiert.  Und  die  Pferde  greifen  heimwärts  schnell 
iius.  die  Räder  drehen  sich  huitig  und  knarren  hastig  voll   Unmut  und  Ärger: 

Nei  pirkii  —  Nicht  kauft  er  — 

Nei  tepe!  Nicht  schmiert  er! 

Nei  pirku  — 

Nei  tepc! 

Leider    kommt    der    Bauernwagen    jetzt    nicht    so  oft  beladen  zur  Stadt,   man 
kann  ihn  nur  andauernd  schimpfen  hören: 

..Nicht  kauft  er,  nicht  schmiert  er, 

Nicht  kauft  er.  nicht  schmiert  er!*^ 
Im   Felde.  Johannes   Podszu weit. 


Nachtrag  zu  den  Bolinenliedern 

(vgl.  oben  S.  HT). 

Zur  Bestätigung  der  Tatsache,  dass  das  Bohnenlied  im  äussersten  Nordosten 
Deutschhmtls  nicht  unbekannt  war,  kann  ausser  der  angeführten  Stelle  der 
X.  Preuss.  Provinzialblätlor  auch  eine  solche  von  H.  Braun  in  seinem  Buch  'Alte 
•und  neue  Bilder  aus  Masuren  —  Gesch  d.  St.  u.  d.  Kr.  Angerburg'  l-sss  S.  1-23 
dienen,  woselbst  aus  einem  der  alten  in  dortiger  Kirchenbibliothek  befindlichen 
Liederbücher  u  a.  zwei  Strophen,  die  der  dritten  und  vierten  des  bei  Schöffer 
Nr.  ()  befindlichen  Bohnenliedes  entsprechen  (vgl.  Böhmens  Liederhort  3,  '.»7 
Nr.  11T4),  geboten  werden: 

Auf  meiner  weiß  will  ich  hinauß 
Mild  laß  die  vöüleiii  sorjren. 
in  meinem  hauß  keni  ratz  noch  mauß: 
der  Wirt  der  muß  mir  borgen. 
Hab  ich  nit  viacli 
auf  meinem  tisch, 
gwonete  speiß  thiit  wole, 
so  friß  ich  kraut, 
fült  mir  d'  hundshaut, 
nun  geh  mir  auß  den  honen. 

Wils  Gott  so  sol  ins  alter  kein 
gelt  bei  mir  nit  scliimlicht  werden, 
räum  auf,  spar  nichts,  das  ist  mein  sitt 
und  ist  mein  brauch  auf  erden. 

Es  gilt  dir  ein, 

helt  sieben  stein, 
und  kost  er  gleich  ein  krönen, 

so  sing  ich  doch 

mein  liedlein  noch, 
nun  geh  mir  aus  den  honen. 


Ißg  Kopp,  Schläger;    Kleine  Mitteilungen. 

Die  letzten  G  Reimzeilen,  bei  Braun  4  zeilig  abgeteilt,  entsprechen  dem  Schluss 
des  Liedes  bei  Schöffer:  Str.  5  Z.  5—10.  Die  Fassung  bei  Braun  gibt  wohl  nicht 
genau  die  Vorlage  wieder  und  ist  mehrfach  falsch  abgeteilt,  aber  auch  seine  Vor- 
lage zeigt  sich  arg  entstellt:  Z.  3  u.  4  gibt  Böhme  Str.  3  Z.  3  u.  4  in  der  Form 
,,Und  frölich  sein  nur  überaus/ Vom  abend  an  bis  morgen".  Sodann  weiter:  „Auf 
meinem  tisch/obschon  nit  fisch/und  köstlich  speis  thun  wohnen, /SO  iß  ich  kraut,/ 
füllt  mir  die  haut,/  sing:  Gang  mir  aus  den  bonen".  —  Das  Folgende  bei  Braun 
wäre  richtiger  zu  lesen  „Wüs  Gott  so  sol  ins  alter  nit/gelt  bei  mir  schimlicht 
werden".  Böhme  4,  1  —  4  „Will  Gott,  so  muß  kein  geld  bei  mir/durch  alter 
schimmlig  wcrden./raum  auf!  leib  nichts!  ist  mein  bcgier./viel  glück  ist  noch  auf 
erden. 

Lübeck.  Arthur    Kopp. 


Der  König  tou  Iloni. 

Der  schnurrige  Spielreim,  auf  den  zuerst  Hildebrand  188"^,  später  Wehrhan 
1911  aufmerksam  gemacht  hat,  und  den  ich  in  meinen  Anmerkungen  zu  Lewalters 
Deutschem  Kinderlied  und  Kinderspiel  unter  Nr.  252  (S.  334,  41Sj  behandelt  habe 
—  zu  den  Nachweisen  an  dieser  Stelle  kann  ich  jetzt  fügen  Dudweiler  und 
Worringen  a.  Rh.,  Zeitschr.  f  rhein.  u.  westf.  Volksk.  8,  140.  10,  50,  aus  dem  Gross- 
herzogtum Hessen,  Deutsches  Volksliederarchiv  A  501.S.  5740.  5775,  ferner  Köihen 
1910  im  Nachlass  des  inzwischen  gefallenen  Dr.  Müller  in  Dessau—,  harrte  noch 
immer  der  Uerleitung  aus  einem  bestimmten  geschichtlichen  Licde.  Und  doch 
lliesst  die  Quelle,  wie  sie  mir  der  Zufall  soeben  entdeckt  hat,  näher  als  man 
darnach  denken  sollte.  In  Ditfurlhs  Historischen  Volksliedern  lbl5— ISGG  steht 
unter  Nr.  28  ein  1840  in  Kassel  mündlich  aufgenommenes  Lied  auf  den  Tod  des 
Herzogs  von  Reichstadt  mit  folgenden  zwei  Eingangsstrophen:  1.  Napoleon  sein 
Sohn,  Der  König  von  Rom,  Der  ist  noch  zu  klein,  um  Kaiser  zu  sein.  2.  Wird's 
werden  auch  nicht,  Die  Zeit  ihm  gebricht.  Muß  jung  noch  an  Jahren  Zur  Grube 
schon  fahren. 

Wunderlich  bleibt  die  Verknüpfung  mit  dem  Tanzreim,  der  selbständig  noch 
bei  Adamek,  Deutsche  Volkslieder  und  Sprüche  aus  dem  Netzegau  Nr.  230  zu 
finden  ist. 

Freiburg  i.  Br.  Georg  Schläger. 


Bücheranzeigen.  •  lß9 

Büclieranzeigeii. 


A.  Maurizio,   Die  Getreidenahruug  im  ^yan(lel  der  Zeiten.     Zürich.   Orell 
Füssli  191(3.    -267  S.  mit  53  Abb. 

Die  Volkskunde  hat  alle  Veranlassung,  dem  kenntnisreichen  und  fleissigen 
Verlasser  für  dies  reichhaltige  und  übersichtliche  Werk  über  das  schwierige, 
wenig  bearbeitete  und  doch  so  hochwichtige  Gebiet  dankbar  zu  sein.  Nicht  als 
ob  nun  in  jeder  Beziehung  alle  Fragen  gelöst  wären:  das  wird  der  Verfasser  ganz 
sicher  selbst  nicht  meinen;  hier  ist  vielmehr  ein  staunenswert  reichhaltiger,  methodisch 
gesicherter  und  wissenschaftlich  unanfechtbarer  Reichtum  von  Beobachtungen  zu- 
sammengetragen und  in  klarer  und  übersichtlicher  Ordnuug  niedergelegt,  wie  ihn 
ein  einzelner  Beobachter  nur  unter  den  günstigsten  Umständen  mit  grösster  Geduld 
und  sorgfältigstem  Fleisse  zusammenbringen  konnte. 

Gerade  weil  dem  YerL  persönliche  Anschauung  aus  der  Heimat  Graubümlen 
mit  ihren  eigenartigen  Verhältnissen  und  den  so  hochinteressanten  und  so  wenig 
bearbeiteten  Ivarpathen  zu  Gebote  stehen,  möchte  ich  der  deutschen  Volkskunde, 
die  das  Zwischengebiet  bearbeitet,  das  kleine,  aber  ausseiordenllich  reichhaltige 
Werk  recht  ans  Herz  legen,  das  die  grosse  Fülle  seines  Stoffs  noch  durch  zahl- 
reiche gut  gewählte  Abbildungen  unterstützt. 

Was  die  klare  und  verständige  Einteilung  des  Stoffes  angeht,  so  verfolgt  das 
Buch  in  den  beiden  ersten  Kapiteln  den  Weg  der  Menschheit  aufwärts  vom 
Sammeln  der  Nahrung,  besonders  der  Wildgräser  durch  den  Hackbau  und  die 
Breipflanzen.  —  Maurizio  ist  doch  vollauf  berechtigt  auch  für  die  heutige  Zeit 
—  man  denke  nur  an  die  Rollo,  die  der  Reis  in  China,  der  Buchweizen  in  Tirol 
und  Russland,  der  Mais  in  der  Form  der  Polenta  im  Miltelmeergebict  spielt  — , 
wenn  er  gelegentlich  von  weltbeherrschenden  Breipflanzen  spricht.  Aus 
Reis  kann  ja  z  B.  Brot  eigentlich  gar  nicht  gebacken  werden!  Im  dritten  Kapitel 
werden  dann  noch  die  interessanten  Seitenstrassen  des  Gebiets  zum  Aufguss  und 
zur  Suppe  und  zu  dem  dünnen,  süssen  und  erfrischenden  Getränk  neben  dem 
stärkeren  Bier  (und  dem  Branntwein,  den  der  Verf.  in  giösstcm  Umfange  aJs  einen 
Abweg  der  Menschheit  ansieht)  besprochen. 

Um  einmal  eine  abweichende  Meinung  zu  erwähnen,  möchte  ich  anführen, 
dass  ich  in  den  gerösteten  Körnern,  die  man  in  allen  vorgeschichtlichen  Fundun 
immer  wieder  nachweisen  kann,  Spuren  eines  Ernteverfahrens  sehen  möchte,  von 
dem  wir  uns  kaum  noch  eine  Vorstellung  machen  können,  bei  dem  nämlich  das 
Feuer  eine  Rolle  hatte!  Auch  bin  ich  nicht  ganz  so  ausgesprochen  der  Ansicht 
des  Verf.,  dass  der  Weg,  den  er  sich  baut  über  das  dünne,  ungesäuerte  Fladenbrot 
und  das  Sauerteigbrod  zum  Elefegebäck  aus  Weizen,  der  unbedingte  Aufstieg  zum 
einzig  richtigen  Ziel  ist  und  sein  wird.  Aber  das  sind  schliesslich  Abweichungen, 
die  sich  auf  einem  so  ungeheuren  Gebiet  auch  bei  Gleichsttebendcn  überall  finden 
und  die  gegenüber  der  Anerkennung,  ja  Bewunderung  und  der  Dankbarkeit  gegen- 
über dem  reichen  Stoff,  den  wir  dem  Verf.  zu  danken  haben,  wenig  bedeuten. 
Jedenfalls  wird  man  mit  gutem  Grund  die  weitesten  Kreise  der  Volkskundler  auf 
den  reichen  Schatz  aufmerksam  machen  dürfen  und  müssen,  der  hier  mit  zahl- 
reichen Anregungen  nach  allen  Seiten  von  einem  bewährten  Fachmann  für  uns 
zusammengetragen  und  durchgearbeitet  ist. 

Berlin.  Eduard  Hahn. 


1 70  Bücheranzeigen. 

Jos.    Schrijnen,      Nederlandsche    Volkskunde.      1.—-2.    Deel.       Zutplien, 
W.  J.  Thieme  &  Cie.    [1915—1916].    XX,  316.  VIII,  361  S.  8°.   7,50  fl. 

Bereits  vor  acht  Jahren  versuchte  H.  W.  Heuvel  in  Holland  für  die  Volks- 
kunde Interesse  zu  wecken;  doch  erfuhr  man  aus  seinem  dicken  Buche  wenig 
Positives  über  den  'Volksglauben  und  das  Volksleben'  im  heutigen  Holland  (oben 
i>(t,  119).  Weit  besser  gerüstet  tritt  der  ütrechter  Universitätslehrer  J.  Schrijnen 
.mit  seiner  zweibändigen  Niederländischen  Volkskunde  auf  den  Plan;  denn  wenn 
er  auch  bescheiden  bekennt,  er  müsse  sich  vielfach  begnügen,  ein  System  mit 
vielen  Schubfächern  zur  Einordnung  der  einzelnen  Tatsachen  und  eine  Erklärung 
der  wichtigsten  Erscheinungen  zu  geben,  so  führt  er  doch  ein  reiches  Material 
vor,  das  zum  Teil  auf  den  durch  die  Lehrer  in  Limburg,  Nordbrabant  und 
Gelderland  ausgefüllten  Fragebogen  beruht.  Hinsichtlich  der  volkskundlichen  Vor- 
arbeiten stehen  freilich  die  nördlichen  Niederlande  hinter  den  südlichen,  wo  der 
verdienstvolle  A.  de  Cock  und  andere  wirkten,  weit  zurück. 

Die  systematische  rationelle  Erforschung  des  Untergrundes  der  Kultur  tso 
definiert  S.  die  Volkskunde)  beginnt  mit  den  ältesten  Bewohnern  des  Landes  und 
den  bei  Ausgrabungen  zutage  getretenen  Spuren  keltischer,  germanischer  und 
•römischer  Siedelungen.  Es  folgen  die  Dorfanlagen  und  die  Haustypen  des 
sächsischen,  friesischen  und  fränkischen  Stammes  mit  Grundrissen,  zu  denen  sich 
die  Isethnen-Karte  im  2.  Bande  S.  347  gesellt,  die  körperliche  und  seelische  Eigenart 
und  die  Besonderheiten  der  Tracht,  namentlich  die  friesischen  Ohreisen  und  die 
Seeländer  Spangen.  Das  2.  Kapitel  behandelt  die  Ge.stalten  des  Volksglaubens, 
Elfen,  Zwerge,  Hexen,  Gespenster,  Riesen  und  Teufel,  und  die  Feste  des  Jahres 
-mit  ihren  Umzügen,  Liedern,  Gebacken  und  andern  Bräuchen.  Das  ö.  Kapitel 
führt  das  Privatleben  von  der  Geburt  an  bis  zum  Tode  vor,  bei  den  Kinder- 
■spielen,  der  Hochzeit,  der  Geselligkeit,  Ackerbau  und  Viehzucht  verweilend.  Eine 
nordholländische  Sitte  ist  es  z.  B.,  zu  Pfingsten  unbeliebten  oder  leichtfertigen 
3Lidchen  eine  Strohpuppe  (Dorhoed)  aufs  Dach  zu  setzen  (1,  24  t). 

Besonderes  Interesse  verdienen  in  dem  der  Sprache  gewidmeten  4.  Kapitel 
■die  P)eraerkungen  über  die  Eigentümlichkeiten  der  Volksraundarten  in  Wortschatz, 
Wortbildung  und  Bedeutungslehre.  Der  Verfasser  mahnt  aber,  neben  der  Volks- 
sprache, die  'Kultursprache'  der  Gebildeten  nicht  zu  unterschätzen,  und  meint,  die 
Flamländer  hätten  in  ihrem  Kampfe  gegen  die  französische  Kullursprache  besser 
g-etan,  sich  auf  die  allgemeine  niederländische  Sprache  als  auf  ihren  Dialekt  zu 
stützen  (2,  2).  Die  Amsterdamer  Mundart  ist  sogar  in  den  einzelnen  Stadtteilen 
ziemlich  verschieden  (2,  LS).  Unter  den  nach  ihrem  Ursprünge  gruppierten  Orts- 
namen erscheint  eine  lange  Liste  von  Spottnamen  (2,  68).  Volksdichtung  und 
Kunst  werden  im  5.  Kapitel  besprochen;  durch  Proben  veranschaulicht  werden 
die  Rätsel,  die  der  Vf.  in  beschreibende,  ci'zählende,  Vexierfragen  und  Rätsel- 
niärchen  einteilt,  die  Sprichwörter,  Spottreime,  Märchen,  Sagen  und  Legenden, 
■endlich  die  Volkslieder,  unter  denen  die  Kinderlieder  den  meisten  Raum  bean- 
spruchen, weil  die  übrigen  Gattungen  stark  in  Vergessenheit  geraten  sind.  Dem 
Abschnitte  über  die  Baukunst  und  dekorative  Kunst  fehlen  leider  ausreichende 
Abbildungen;  berücksichtigt  sind  hier  auch  die  Haasinschriften  und  Bilderbogen 
des  Volkes.  Das  G.  Kapitel  endlich  wendet  sich  dem  Wissen  des  Volkes  zu, 
iiämlich  der  Volksetymologie,  der  Heilkunde,  Natur-  und  Wetterkunde  und  der 
Botanik.  Die  Darstellung  ist  klar  und  durch  Beispiele  belebt;  in  den  Verweisen 
auf  die  neuere  Literatur  hält  der  Vf.  das  rechte  Mass,  auch  hat  er  nicht  versäumt, 
jedem  Bande  ein  ausführliches  Register  beizugeben. 

Berlin  Johannes  Bolte. 


Bücheranzeigen.  171 

Wilhelm  Stade,  Die  Gespenstergeschichten  des  Peta  Yatthu:  Unter- 
suchungen, Übersetzung  und  Pali-Glossar.  Leipzig,  Harrassowitz  1914. 
1-2-2  S.  8°.  3  Mk. 
Unter  dem  PaUwort  Peta,  sanscr.  Preta,  vorsteht  man  den  Geist  eines  Dahin- 
geschiedenen, der,  schattenhaft  gedacht,  sich  namentlich  zur  Nachtzeit  und  im 
Traume  zum  Lebenden  in  Beziehungen  zu  setzen  vermag.  Das  Peta-Vatthu. 
sanscr.  Pretavastu,  ist  eine  Sammlung  von  solchen  Geistersagen.  Es  gehört  zu 
den  jüngeren  Teilen  des  buddhistischen  Kanons  und  ist  in  den  Khuddakanikäya 
des  Suttapitaka  eingegliedert.  Seiner  Form  nach  ist  es  eine  Liedersammlung. 
„Diese  Lieder  sind  eine  in  Versform  abgefasste  Erzählung,  die  in  dramatischer 
Weise  zunächst  die  Begegnung  eines  Mönchs  .  .  .  mit  einem  Gespenst  (weiblicher 
oder  männlicher  Art)  .  ,  .  schildert,  darauf  den  sich  zwischen  beiden  abwickelnden 
Dialog  und  die  endliche  Erlösung  des  Gespenstes  durch  eine  Gabe,  die  der  Ge- 
meinde des  Buddha  zugewendet  wird.  Fast  immer  schliesst  ein  solches  Lied  mit 
einer  Ermahnung  des  Peta  zu  gutem  Wandel,  als  Lehre,  die  aus  seinem  Schicksal 
zu  ziehen  ist."  —  Stades  Buch  gibt  von  diesen,  wie  man  sieht,  poetisch  wenig 
wortvollen,  aber  sachlich  interessanten  kleinen  Litcraturerzeugnisson  nur  einen 
Teil,  nämlich  die  wörtliche  Übersetzung  der  beiden  ersten  Bücher  (S.  59— lU)), 
zudem  eine  sehr  ausführliche  und  gründliche  Voruntersuchung  über  das  Peta 
Vatthu  als  Literaturwerk  (S.  11—20)  und  als  Geisteswerk  (S.  21— 56).  Es  wird 
darin  eine  Definition  des  Begriffs  der  Preta  gegeben;  ihr  Zustand,  Attribute,  Ort 
und  Zeit  ihres  Erscheinens,  die  Welt,  in  der  sie  leben,  und  ihre  Beziehungen  zum 
Diesseits  und  zum  Jenseits  werden  behandelt,  über  ihre  Berührungspunkte  niitGruppen 
seliger  Geistor  (Yakkha's)  und  ihre  Stellung  in  der  buddhistischen  Moralphilo- 
sophie sowie  über  eine  Anzahl  anschliessender  Fragen  wird  gesprochen.  Das 
Material  dos  Textes  ist,  wie  man  sieht,  von  dem  Übersetzer  sehr  gründlich  und 
erfolgreich  verarbeitet.  Wir  pflichten  ihm  im  vollsten  Masse  bei,  wenn  er  auf 
den  Wert  seines  Stoffes  für  philologische  Zwecke  wie  für  die  der  vergleichenden 
Sagen-  und  Märchenforschung  hinweist  (S.  9);  zugleich  müssen  wir  des  Ver- 
dienstes gedenken,  das  sich  der  Bearbeiter  um  die  Religionsgeschichte  erworben 
hat.  wiewohl  wir  es  bedauern,  dass  seine  Version  nicht  vollständig  ist,  und  dass 
er.  wo  er  Parallelen  bietet,  sie  zu  selten  dem  nächstgelegenen  Gebiet  der  Sanskrit- 
literatur entnimmt.  (Die  gegebenen  Hinweise  auf  die  deutschen,  namentlich 
Grimms  Märchensammlungon  scheinen  mir  übrigens  gleichwohl  wortvoll  und 
überzeugend  zu  sein.)  An  tiefgründigen  Kenntnissen  fehlt  es  dem  A^erf.  auf  diesem 
Boden  zweifellos  noch. 

Auf  Einzelheiten  einzugehen,  verbietet  sich  hier  leider.  Auf  das  kultur- 
geschichtliche Literesse,  welches  der  gebotene  Stoff  in  hohem  Masse  zeitigt,  sei 
gleichwohl  kurz  hingewiesen.  Die  überaus  reichen  Angaben  der  Jätaka  finden  in 
dem  Peta  Vatthu  eine  nicht  unwichtige  Ergänzung.  Unwahrscheinlich  -ist  es  mir, 
dass  (S.  14)  die  Pctas  sich  dem  Könige  im  Traume  offenbaren.  In  der  Nacht 
schwärmen  die  Dämonen  auch  vor  den  Augen  des  Wachenden.  Die  Kleinheit 
ihres  Mundes  führt  sich  leicht  auf  die  Geringfügigkeit  ihrer  Nahrungsaufnahme 
y-urück  (S.  26). 

Von  besonderem  Interesse  und  ein  bisher  unerschlossones  Gebiet  eröffnend 
wären  die  Beziehungen  der  buddhistischen  zu  der  ältesten  neupersischen  Literatur. 
Meine  mohrfach  ausgesprochene  Vermutung,  dass  vorzugsweise  Sa'di  vieles  von 
dem  -besten  und  schönsten,  was  er  in  seinem  Bostän  und  Gidistän  bringt 
buddhistischen  Quellen    entlehnt    hat,    wurde    mir    beim  Durchlesen    von   Stades 


172  Bücheranzeigen. 

Arbeit  von  noueni  zur  Gewissheit.  Wenn  beispielsweise  im  Strafliodex  des  Peta 
Vatthu  als  erste  der  5  Hauptstrafen,  die  dort  aufgezählt  werden,  das  'Ausgiessen 
von  glühendem  Kupfer'  genannt  wird,  und  andererseits  der  Grausigkeit  dieser 
Strafe  die  überreiche,  der  geringsten  Edeltat  verheissene  Belohnung  gegenüberlritt, 
so  bietet  sich  hier  von  selbst  als  Parallele  die  versifizierte  moralisierende  Fabel 
des  Bostiln,  die  ich  wie  folgt  übersetzen  möchte: 

Den  ewigen  Richtplatx  sah  ein  Mann  im  Schlaf: 
Die  Erde  glühendem  Kupfer  gleich;  es  traf 
Der  Menschheit  VVehgeschrei  des  Himmels  Rund. 
,  Die  Hitze  brannte  das  Gehirn  ihr  wund. 

Ein  einiiger  nur  freut  sich  des  Schattens  Kühle: 

Ein  himmlisch  Kettlein  schützt  ihn  vor  der  Schwule. 

Der  Schläfer  fragte:  „Schmuck  der  Erde!  sprich! 

In  dieser  Drangsal —  wer  beschirmte  dich?" 

„Eini-t  war  ein  Rebstock  meinem  Haus  entsprossen, 

Der  Schatten  auf  ein  müdes  Haupt  gegossen. 

In  dieser  Zeit  der  Not  bat  der  Gerechte 

Für  meine  Sünden  bei  dem  Herrn  der  Mächte; 

„Dem  Manne,  Gütiger,  winke  Gnade  zu. 

Der  einst  dem  müden  Wanderer  schenkte  Ruh." 

Solche  Poesien  sind  auch  als  Zeugnisse  dafür,  dass  die  nüchterne  und  pedan- 
tische, ja  oft  oberflächliche  Morallehre  des  Buddhismus  der  religiösen  und  künst- 
lerischen Vertiefung  sich  als  durchaus  zugänglich  erweist,  von  grossem  Interesse.  — - 
Von  besonderer  Anmut  sind  namentlich  die  Erscheinungen  der  Baumgotlheiten. 
Ursprünglich  machten  sie  jeden,  später  nur  den  Schatten  spendenden  Baum  un- 
antastbar (zu  S.  42  Anra.  vgl.  meinen  „Traumschlüssel  des  Jagaddeva"  S.  246 
Anm ).  —  Für  die  Abhängigkeit  der  buddhistischen  von  der  altbrahmanischen 
Ethik  ist  die  Verdammung  des  Verbrechens  gegen  das  keimende  Leben  (S.  b4 
und  ü6)  bezeichnend  (vgl.  sanskr.  garbhahatya;  bhrünahatyri  usw.). 

Als  Druckfehler  notierte  ich  S.  21  Z.  1  des  zweiten  Abschnitts:  'im'  statt 'ein'; 
S.  54  Z.  1.;:  candfili  statt  candält;  S.  b5  Z.  14  1.  musäväda;  S.  90  Z.  2  des  Textes  1  : 
'Ufer'  statt  'Afer'. 

Königsberg  i.  Pr.  Julius  von  Negolein. 


Ludwig  Wilsei*,  Deutsche  Vorzeit.  Einführung  in  die  germanische  Alter- 
tumskunde. Steglitz,  Peter  Hobbing  1917.  VIII,  232  S.  8^  32  Tafeln. 
Geb.  4  Mk. 

Das  mit  warmer  Liebe  für  die  Vorzeit  unseres  Volks  geschriebene  Buch  soll 
nach  dem  Vorwort  gewissermassen  das  literarische  Testament  des  Verfassers  dar- 
stellen. Er  wendet  sich  darin  an  einen  grösseren  Leserkreis  und  hat  daher  auf 
alles  gelehrte  Beiwerk  verzichtet.  Eingeteilt  ist  die  Schrift  in  zwei  Bücher; 
1.  Land  und  Volk  und  2.  Kunst  und  Sitte.  In  ersterem  spricht  Verfasser  in  zehn 
Abschnitten  über:  ].  Germanenheimat,  2.  Himmel  und  Boden,  3.  Fruchtbarkeit, 
4.  Tierwelt,   .').  Menschenart,    <>.  Sprachverwandtschaft,   7.  Stämme  und  Mundarten 

8.  Nachbarvölker,  9.  Wanderungen,  10.  Neue  Reiche;  im  zweiten  von:  L  Acker- 
bau und  Viehzucht,  2.  Haus  und  Hof,  3.  Waffen  und  Gewand,  4.  Schiffahrt  und 
Handel,  5.  Zeit  und  Zahl,    G.  Schrift,    7.  Heilkunst  und  Recht,   8.  Sang  und  Sage, 

9.  Götterglaube,  10.  Bekehrung.  Eigentümlich  ist  Wilser  die  Verquickung  der 
Ergebnisse  der  anthropologischen,  archäologischen  und  linguistischen  Wissenschaft 


Bücheranzeigen.  173 

zu  einem  Phantasiebild  der  germatiisciien  Urzeit.  Südschweden  ist  die  Heimat 
der  hellfarbigen  und  Jangköpfigen  Menschen,  des  Homo  europaeus,  und  auch  das 
Ausstrahlungsgebiet  des  indogermanischen  Sprachstammes.  Diese  arische  Urheimat 
wird  uns  in  einem  auf  die  Nachrichten  antiker  Schriftsteller  und  die  Ergebnisse 
der  archäologischen  Bodenforschung  fussenden  Idealbild  vorgeführt.  Verfasser 
stellt  die  Ausbreitung  des  Homo  europaeus  über  Europa  und  Asien  in  einem  bis 
in  die  feinsten  Aste  verzweigten  Stammbaum  dar.  Neben  Völkern  mit  indo- 
germanischen Sprachen  erscheinen  darin  anch  Kaledonier  und  Skoten,  Pelasger 
und  Tyrsener  neben  Sarmaten  und  Parthorn.  Das  europäische  arisch-germanische 
Urvolk  wird  uns  in  seinen  Lebensgewohnheiten,  seiner  Kultur,  seiner  Kleidung, 
Bodenvvirtschaft  usw.  dargestellt.  Wo  die  archäologischen  Funde  für  die  Beweis- 
führung des  Verfassers  nicht  ausreichen,  nimmt  er  auch  seine  Zuflucht  zu  sprach- 
lichen Gleichungen.  Eine  der  überzeugendsten  dürfte  wohl  die  Ableitung  unseres 
Wortes  'Wurst'  von  gotisch  vanrxtr  'Werk'  sein  (S.  114).  Offenbar  war  also  die 
Wurstbereitung  bei  den  Urgermanen  die  Tätigkeit  y.ai  t'SoyJjv.  In  dem  Abschnitt 
'Schrift'  des  2.  Buches  kommt  Wilser  auch  auf  das  germanische  Runenalphabet 
zu  sprechen,  das  nach  ihm  in  die  indogermanische  Vorzeit  zurückgeht,  freilich  nur 
zum  Teil,  nämlich  in  den  18  Zeichen  des  älteren  Fulharks.  Aus  diesen  Urruncn 
entsteht  auf  dem  Wege  über  Kreta  das  phönikische  Alphabet.  Das  griechische 
ist  nicht  aus  diesem  abgeleitet,  wie  die  Forschung  bisher  annahm,  sondern  ein 
selbständiger  Spross  des  gemeinsamen  Mutteralphabets.  Aus  diesen  wenigen 
Proben  ersieht  man,  dass  Verfasser  in  der  vorliegenden  Schrift,  wie  auch  in  seinen 
früheren  Schriften,  eine  ganze  Anzahl  origineller  Ansichten  vorträgt,  die  er  aller- 
dings weniger  mit  zwingenden  Beweisen  als  mit  warmem  Appell  an  die  Liebe 
zur  herrlichen  Vergangenheit  unseres  Volks  zu  stützen  pflegt.  Gegen  Schriften,  in 
denen  mehr  an  das  Gefühl  wie  an  den  scharf  zergliedernden  Verstand  appelliert 
wird,  ist  es  unnütz  zu  polemisieren.  Denn  niemals  werden  gefühlsmässige  Über- 
zeugungen von  verstandesmässigen  widerlegt  werden  können. 

Berlin.  Sii^^mund  Feist. 


Notizen. 

W.  Ahrens,  Studien  über  die  'magischen  Quadrate'  der  Araber  (Der  Islam  7,  18G 
bis  25U.  Strassburg  1916).  —  Derselbe,  Helträische  Amulette  mit  magischen  Zahlen- 
quadraten. Erweiterter  Abdruck  aus  der  Monatsschrift  'Ost  und  West'  10.  Berlin. 
L.  Lamm  191G.  19  S.  —  Ahrens,  dessen  interessante  und  anschauliche  Darlegungen  über 
die  magischeu  Zahlenquadrate  oben  2(5,  oOTi  angeführt  wurden,  hat  seitdem  mehrere 
Artikel  über  deren  abergläubische  Verwendung  veröffentlicht,  die  ich  zur  Vervollständigung 
unserer  knappen  Übersicht  heranzuziehen  bitte.  Durch  Orientalisten  unterstützt,  weist  er 
das  neunzellige  Quadrat  mit  den  arabischen  Zahlen  1-9  bei  Geber,  dem  arabischen  Alchi- 
misten des  8.  Jahrb.,  und  H.  C.  Agrippas  Planetentafeln  bei  dem  1225  verstorbenen 
al-ßuni  nach.  Die  oben  26,  :'.08  erwähnten  Kuptertassen  wurden,  wie  sich  aus  den  In- 
schriften ergibt,  nicht  zur  Wahrsagung,  sondern  zur  Darreichung  von  Arzneien  benutzt. 
Von  den  hebräischen  Amuletten  werden  verschiedene  in  guten  Abbildungen  wiedergegeben. 
Auf  zwei  LSS3  aufgefundene  Saturn- Amulette  im  Egerer  Stadtmusoum  wies  übrigens 
A.  John  im  (5.  Jahrgange  von  'unser  Egerland',  Beilage  hin.  —  (J.  B.) 

W.  Ahrons  und  A.  Maaß,  Etwas  von  magischen  Quadraten  in  Sumatra  und  Celebes 
(Zeitschrift  f.  Ethnologie  1916,  232—25:5).  —  Das  bekannte  neunzellige  Quadrat  wird  auch 
von  den  Malaien  als  Talisman  auf  Ringen  gebraucht.  In  einigen  Fällen  sind  die  Zahlen 
von  den  Graveuren  missverstanden.  Auch  25 zellige  Quadrate  mit  Götternamen  in  Wahr- 
sagekalendorn  aus  Sumatra  zeigen  dieselbe  Struktur.  —  (J.  B.) 


174  Notizen. 

Berichte  aus  dem  Knopf- Museum  Heinricli  Waldes,  Pra^-Wrschowitz 
(Sammlung  von  Kleider-Verschlüssen  aller  Art(n  und  Zeiten)  Jahrgang  2,  Heft  1.  Pra^r, 
Waldes  &  Co.  1917.—  Bei  der  Nachricht  von  der  Begründung  eines  'Knopf-Museums'  mag 
manch  einer  zunächst  erstaunt  den  Kopf  geschüttelt  liaben.  Das  vorliegende  1.  Heft  der 
im  2.  Jahrgang  wesentlich  erweiterten  Muscums-Zcitschrift,  deren  vornehme  Ausstattung- 
man  in  der  Zeit  der  Papiernot  nicht  ohne  gewissen  Neid  betrachtet,  zeigt,  dass  es  >ich 
nicht  um  eine  snobistische  Absonderlichkeit,  sondern  um  ein  ernstes  wissenschaftliches 
Unternehmen  handelt,  an  dessen  Forschungsergebnissen  auch  die  Volkskunde  nicht  achtlos 
vorübergehen  darf.  Wie  der  Untertitel  besagt,  ist  hier  der  Kleider- Verschluss  im  weitesten 
8iiinc  zum  Gegenstand  einer  wissenschaftlichen  Behandlung  gemacht  worden:  die  enge 
Berührung  dieses  in  seiner  Art  freilich  einzig  dastehenden  Sondergeliietos  mit  der  Trachten- 
kundc  liegt  auf  der  Hand.  Nähere  Auskunft  über  Zweck  und  Mittel  des  Museums  gibt 
der  eitileitcnde  Aufsatz;  die  Namen  der  für  weitere  Veröffentlichungen  gewonneneu  Mit- 
arbeiter bürgen  ebenfalls  für  die  ■wissenschaftliche  Solidität  der  UnttmchnauDg.  —  F.  B.) 
H.  Beucker,  Die  Entscheidungsschlacht  des  europäibchen  Krieges  am  Birkeubaume. 
oder:  Birgt  die  Avestfälische  proplietische  Sage  in  sich  Wahrheit  und  Werty  Mit  einer 
Zeichnung  in  Lichtdruck.  Dortmund,  Ruhfus  1917.  IV,  224  S.  8».  —  Die  alte  und  ver- 
breitete Weissagung  vou  der  Schlacht  am  Birn-  oder  Birkenbaum  hat  auch  in  der  Nähe 
von  Unna  in  Westfalen  Halt  gefunden.  L<ikalpatriotisclie  Überschätzung  führte  den  Verf., 
der  in  Hobensyburg  Pfarrer  ist,  zu  eiuer  Prüfung  des  Wertes  dieser  Sage,  wobei  er 
weniger  ihre  Geschichte  als  ihre  psychischen  Grundlagen  und  ihr  Verhältnis  zu  Prophetie 
im  alttestamcntlichen  Sinn  und  zur  Apokalyptik  aufzudecken  bemüht  ist.  Aus  dem  in 
Westfalen  verbreiteten  Hellsehen  leitet  er  die  dortigen  Formen  der  Prophezeiung  ab  und 
findet  ihre  Ei'füUung  durch  den  jetzigen  Weltkrieg  im  Werden,  wobei  ihn  gewaltige 
Unterschiede,  vor  allem  schon  des  Kriegsgebietes,  nicht  stören.  Diese  Auseinander- 
setzungen füllen  das  erste  Viertel  des  Buches.  Man  liudet  darin  u.  a.  eine  neun  Seiten 
lange  Charakteristik  der  israelitischen  Prophetie,  beruhend  auf  Auszügen  aus  den  Werken 
berufener  Forscher,  einen  kürzeren  Abschnitt  über  Apokalyptik,  und  mancherlei  Brauch- 
bares zusammengetragen  in  den  umfänglichen  Anmerkungen  zu  diesem  ersten  Teile.  In 
den  übrigen  drei  Vierteln  des  Buches  will  der  Verf.  den  nationalen  Inhalt  der  Prophe- 
zeiung darlegen,  verliert  sich  aber  ganz  in  politische  Betrachtungen  über  unsern  Ab- 
wehrkrieg, aus  denen  die  Weissagung  nur  selten  auftaucht.  Er  gibt  hier  gut  geordnete 
Früchte  einer  ausgedehnten  politischen  Lektüre,  wie  auch  der  erste  Teil  für  seine  Be- 
lesenheit zeugt.  Jedoch  über  die  Sage  haben  andere  besser  gehandelt,  und  wer  sich  über 
die  Ursachen  und  Ziele  des  Krieges  unterrichten  will,  braucht  uicht  gerade  auf  dieses 
Buch  verwiesen  zu  werden,  —  ^Max  Roediger ) 

Friedrich  zur  Bonseu,  Die  Prophezeiungen  zum  Weltkrieg  11*14—1916.  Köln, 
J.  P.  Bachern  1916.  79  S  8".  Geh.  1,80  Mk.,  geb.  2,60  Mk.  —  Mit  den  Weissagungen 
über  Ausbruch,  Verlauf  und  Abschluss  des  Weltkrieges  haben  sich,  wie  bekannt,  Gläubige 
und  Ungläubige,  Propheten  und  Skeptiker,  schon  mehrfach  beschäftigt  (s.  oben  S.  21  (> 
und  die  obige  Notiz  über  die  Schrift  von  Beucker).  Die  vorliegeude  Schrift  des  auch  au» 
ähnlichen  Gebieten  tätigen  Verfassers  ('Die  Völkerschlacht  am  Birkenbaum',  'Das  Zweite 
Gesicht')  gibt  eine  Übersicht  über  die  wichtigsten  und  am  meisten  in  die  Öffentlichkeit 
gedrungenen  Zukunftestimmen  dieser  Art.  Der  Verf.  steht  augenscheinlich  ^uf  dem 
Standpunkt,  dass  die  Möglichkeit  von  Vorahnungen  und  sogar  von  bestimmteren  Voraus- 
sagungen nicht  grundsätzlich  abzulehnen  sei.  Auch  wer  diese  Ansicht  nicht  teilt,  wird 
das  durchaus  in  wissenschaftlichem  Geiste  geschriebene  Buch  mit  grossem  Interesse  lesen. 
Bemerkenswert  ist  es,  dass  die  Prophezeiungen,  die  den  Tatsachen  am  nächsten  kommen, 
nicht  aus  dem  Kreise  der  zünftigen  'Propheten'  hervorgegangen  sind  (soweit  es  sich  nicht 
um  offensichtliche  Fälschungen  post  eventum  handelt),  sondern  sich  in  den  Werkt-n  dich- 
terischfr  Phantasie  und  in  Äubserungen  einsichtsvoller  Politikt-r  finden.  S.  40  muss  es 
heissen:  'Grand- Carteret'.  —  (F.  B.) 

S.  Eitrem,  Ein  Sklavenkauf  aus  d^r  Zeit  des  Antoninns  Pius.  Mit  1  Tafel.  (Viden- 
skapselskapets  Forhandlinger  1916  Nr.  2)  Kristiania,  Jac.  Dybwad  1916.  24  S.  gr.  8".  — 
la    seinem    Hauptteil    behandelt    der    Aufsatz    eine    in  mehrfacher  Hinsicht  interessante 


Notizen.  1 75 

Papyrusurkunde  aus  Ägypten.  Volkskundlich  wichtig  ist  der  Anhang  über  die  Sitte  der 
Kömer,  den  über  See  gekommenen  Sklaven  die  Füsse  mit  Kreide  oder  Gips  zu  weissen, 
clie  sie  zum  Verkauf  ausgestellt  wurden  ('gypsalis  pedibus'  .  E.  sieht  darin  eine  magische- 
Vorsichtsmassregel  für  den  Verkäufer  wie  für  den  Käufer,  einen  rite  de  passagc,  der  dem 
Fremden,  dessen  Füsse  besonders  tabu  sind,  alles  Gefährliche  benehmen  soll.  Zahireidie 
Stellen  lür  die  Bedeutung  der  Fasse  und  der  weissen  Farbe  im  Volksglauben  werden  an- 
geführt, um  diese  Deutung  zu  stützen,  der  gleichwohl  eine  zwingende  Kraft  fehlt.  In  dem 
Kinders])iei  Ostrakinda,  in  dem  auch  schwarz  und  weiss  eine  Kollc  spielt,  Spuren  einer 
DiimonenÜucht  zu  sehen,  scheint  mir  unbegründet.  —  (F.  B.) 

A.  Eliasberg,  Sagen  polnischer  Juden,  ausgewählt  und  übertragen.  München. 
»ieorg  Müller  1916.  22U  S.  —  Die  50  hier  mitgeteilten  Sagen  sind  aus  jiddischen  An- 
dachtsbüchern der  Chassidim  übersetzt,  einer  Ton  dem  17G0  bei  Brody  verstoßenen  Rabbi 
Israel  Baal  Schcm  begründeten  religiösen  Kichtung  der  osteuropäischen  Jude  i  die  neben- 
pantheistischeu  und  pietistischen  Lohren  einen  starken  Wunderglauben  aufweist.  Wunder- 
taten d-'s  Rabbi  Baal-Schcm  und  seiner  Nachfolger,  der  Zaddikim,  werden  d  rin  ver- 
lierrlicht.  Ein  solcher  Zaddik  (Gorechter)  vermag  Kinderlosen  Kinder  zu  geben,  Kranke 
zu  heilen,  Tote  zu  erwecken,  er  kennt  die  verborgensten  Dinge,  auch  die  zukünftigen,  ja 
er  kann  sogar  einen  Prozess  wider  Gott  selber  einleiten:  seine  Macht  ist  also  naJi  der 
Übcrzeugunir  des  Volkes  fast  unbeschränkt.  Auch  niittelaltirlichc  Sagenstoffe  tauchen 
liif'r  iu  wunderlicher  Verkappung  auf;  die  17.  Erzählung  'Blutschande'  geht  auf  die 
Gregoriuslegendc  zurück,  die  drei  l^ehren  des  Rabbi  Levi-Jizchok  (nr.  -18)  erneuern  die 
Fabel  d.  s  Ruodlieb  (Seiler  S.  51:  Gesta  Piomauorum  c.  103;  oben  6,  170;.  —  (J.  B.) 

Michael  Habcrlandt,  Völkerkunde.  I.  Allgemeine  Völkerkunde.  P>.  verm.  und  verb. 
Aufl.  ^lit  ;)'.)  Abb.  (Sammlung  <Jöschen  Nr.  73).  Berlin  und  Leipzig,  G.  J.  Göschen. 
l'.)17.  1:18  S  kl.  8'^  geb.  1  .Mk.  —  Um  dem  in  den  letzten  zehn  Jahren  gewaltig  ange- 
wacbsonen  ^laterial  gerecht  zu  werdin,  hat  der  Verf.  bei  der  Neubearbeitung  seines 
nützlichen  Buches  eine  Teilung  in  zwei  Bände  vorgenommen.  Der  vorliegende  beschränkt 
sich  auf  die  allg'-meincn  Fragen  der  Völkerkunde,  während  dem  zweiten  die  beschreibende 
Darstellung  vorbehalten  ist.  Trotz  dieser  Erweiterung  des  Raumes  ist  selbstverständlich 
nur  ein  kurzer  Überblick  über  die  zahlreichen  Probleme  möglich  geworden;  für  tiefere 
Eindringen  weist  eine  vorausgeschickte  Literaturübersicht  die  AVege.  —  (F.  B.) 

I*.  .Michael  Hub  er  0.  S.  B.,  Die  Wanderlegendc  von  den  Siebenschläfern,  einft^ 
literargeschichtliche  Untersuchung.  Leipzig,  0.  Harrassowitz  1910.  XXf,  574,  32  S.  8''. 
—  1883  verfasste  John  Koch  eine  über.'^ichtlich  angelegte  Studie  über  den  Ursprung  und 
die  Verbreitung  der  Siebcnschläferlegende,  die  freilich  manche  Lücke  der  Überlieferung 
durch  VerniutuDgtn  zu  überbrücken  suchte.  27  Jahre  später  liess  Huber  auf  Grund  eines- 
giössercn  Materials,  zu  dessen  Vermehrung  er  selber  durch  verschiedene  TexlpuMikationen 
lieigetragi-n  hatte,  eine  weit  umfänglichere  und  von  bewundernswertem  Fleiss  zeugende 
Untersuchung,  die  leider  erst  jetzt  zur  Anzeige  gelangt,  erscheinen.  In  den  ersten  beiden 
Teilen  behandelt  er  die  syrische,  arabische,  persische,  koptische,  armenische,  griechische- 
und  lateinische  Überlieferung  der  Legende,  ihre  Bezeugung  durch  Chroniken,  Liturgie 
und  Kunstdenkmäler  sowie  ihr  Fortleben  in  der  europäischen  und  der  arabischen  I-iteratur. 
Im  dritten  Teile  sucht  er  die  Entstehung  folgendermassen  darzulegen:  es  wurden  viel- 
leicht sieben  Leichname  in  einer  Höhle  bei  Ephesus  aufgefunden,  in  denen  man  Christen 
vermutete  und  denen  man  bald  nach  450  nach  dem  Vorbilde  der  jüdischen  Erzählungen 
von  Daniel,  von  den  Söhnen  des  Matathias  und  von  dem  Schlafe  des  Abimclech  fine 
Geschichte  andichtete.  Für  den  ältesten  Text  der  Legende  möchte  H.  den  lateinischen 
halten  und  seine  Übereinstimmung  mit  dem  griechischen  am  liebsten  durch  die  Abfassung 
beider  in  demselben  Kloster  erklären.  Dieser  Versuch,  die  in  di-r  Tat  recht  verwickelte 
Geschichte  der  Legende  lu  entwirren,  wird  nicht  viele  kritische  Leser  überzeugen  und 
hat  auch  nicht  die  Beistimmung;  eines  so  ausgezeichneten  Kenners  wie  Delehaye  (D.  Lz. 
1912,  27)  gefunden.  Der  Hauptwert  des  Buches  liegt  aber  in  der  Sammlung  und  Ord- 
nung des  weitschichtigen  Materials  und  in  der  V^erfolgung  der  einzelnen  Motive  und  ihrer 
Berührung    mit    ähnlichen    Sagen.     Zu    den    späteren   Bearbeitungen  lässt  sich  natürlich 


17()  Notizen. 

iiianclies  nachtragen:  S.  147  lOUl  Tag  8,  21-J  (Prcnzlau  1828\  —  S.  181  EijikeLs  Welt- 
chronik cd.  Strauch  1892  v.  2482.').  —  S.  180  Zingcrle,  SB.  der  Wiener  Akad.  64,  KJt).  — 
S.  301)  Der  Islam  5,  370  (1914)  'Das  Siebenschläler-Amiiletf.  —  S.  393  R.  Köhler,  Kl. 
Schriften  2,  2:^9.  226.  —  Tatarisch:  Wcyh,  ZdinG  65,  289.  Malaiisch:  Wijk,  Tijdschr. 
vour  ind.  Taalknnde  36,  638.  Bretonisch:  Melusine  1,  201.  Dänisch:  Nordisk  Tidskr. 
n.  r.  ö,  173.  Jcsuitenaufführnngen  in  Innsbruck  1615,  Ingolstadt  1625,  München  1628, 
Luzern  1640,  Amberg  1716.  M.  du  Cygiie,  Comoediae  XII,  Leodii  1679:  'Dormientes'. 
C.  Kolczawa,  Exercitatioups  ejiicae,  Pragae  1706  ]).  378.  Vjschr.  f.  Gesch.  von  Glatz 
5,  89.  Schulenburg,  Wendische  Volkssagen  S.  63.  Dcecke,  Lübeckische  Geschichten  1852 
S.  134  usw.  —  (J.  Ji.) 

Hummel,  Hummel.  Negcn  un  vertig  ole  Sprekwörd  for  usc  Soldaten  und 
Mariuers.  Berlin,  Bülowstr.  74,  L.  Görlitz  1916,  2  Mk.  (Luxusausgabe  50  Mk.)  Ein 
Buch,  das  —  wie  der  Titel  sagt  —  49  Sprichwörter  dem  niederdeutschen  Sprachschatze 
«ntnoinmen  hat,  Sprichwörter,  die  sich  in  den  bekannten  Sammliingeu  von  Wander,  Höfer, 
Eckart  vorlinden.  Das  eine  und  andere  Wort  indessen  hat  der  Ztisammensteller,  der  sich 
nicht  nennt,  selbst  aus  dem  Volksmunde  gehört  oder  von  befreundeter  Seite  zugf-tragcn 
bekommen.  Diese  Sprichwörter  sind  vielfach  recht  kräftigen  Ausdrucks,  aber  sie 
sind  ja  auch  nicht  für  Erziehungsanstalten  der  weiblichen  Jugend  gedacht.  Einen  be- 
sonderen Wert  verleihen  dem  Buche  die  an  Wilhelm  Busch  gemahnenden  22  Zeichnungen. 
Dirt  Ankündigung  der  ersten  Ausgabe,  Ende  vorigen  Jahres  erschienen,  spricht  von  einem 
'geschätzten  Künstler',  ohne  ihn  weiter  zu  nennen.  Die  dritte  nennt  ihu  urs.  Es  ist 
H.  E.  Linde-Walther  aus  Lübeck,  in-  der  Berliner  Kunstwelt  wohl  bekannt.  Das 
Büchlein  ist  für  unsere  tapferen  Krieger,  aber  auch  für  die  Feinschmecker  literarisch- 
künstlerischer Gerichte  bestimmt.  Die  von  dem  Künstler  mit  der  Hand  ausgemalte 
Luxusausgabe  ist  fast  vergriffen.  Ich  bekenne,  dass  ich  dem  nach  einem  Haml)urger 
Volksoriginal  benannten  Büchlein,  schon  seiner  Eigenart  wegen,  Beachtung  und  Be- 
trachtuug  gerne  geschenkt  habe.  —  (Franz  Weioitz.) 

Alois  John,  ein  lUld  seines  geistigen  Schaffens,  anlässlich  seiner  oOjährigon  Tätia- 
ktit  1886-1916.     Egor,  Selbstverlag  1916.     89  S.  mit  Bildnis  und  Schriftenverzeichnis. 

Ludwig  Kümmel,  Alte  und  neue  Prophezeiungen  über  den  W'cltkricg  und  sein  für 
Deutschland  siegreiches  Ende.  Gesammelt  u.  herausgegeben.  3.  Aufl.  Strüm])felbach  i.  R. 
(Württ.),  T;.  Kümmel  o.  J.  IG  S.  16".  —  Gläubige  Aufzählung  einer  Reihe  von  'Weis- 
sagungen" ohne  nähere  Quellenangabe,  wie  sie  aus  der  Schrift  Zur  Bonsens  (s.o.  S.  194) 
bekannt  sind,  die  offenbar  von  dem  Verf.  benutzt  ist.  Die  Pro])liezeiung  von  Altötting 
(S.  12)  ist  inzwischen  längst  als  grobe  Fälschung  erwiesen  (s.  Zur  Bonsen  S.  57  f.)  —  F.  B. 

A.  von  Löwis  of  Menar,  Märchen  und  Sagen.  Berlin -(-harlottenburg,  Felix  Leh- 
mann 1916.  XVIII,  172  S.  4  Mk.  Die  Baltischen  Provinzen,  hsg.  von  0.  Grantoff 
l\([_  5)_  _  Eine  Reihe  von  Autoren  hat  sich  unter  der  Leitung  des  Kunsthistorikers 
Grautoff  zusammengetan,  um  Landesart  und  Kunstpflege,  Literatur  und  Geschichte  der 
Ostseeproviuzen,  die  uns  durch  das  blutige  Ringen  der  letzten  Jahre  soviel  näher  gerückt 
wurden,  anschaulich  vorzuführen.  Im  vorliegenden,  durch  R.  von  Hoerscheltnann  mit 
netten  Federzeichnungen  geschmückten  Bande  bietet  sich  uns  Dr.  v.  Löwis  of  Menar  als 
längst  bewähr, er  Führer  in  die  Sagen-  und  Märchenwelt  seiner  Heimat  an.  An  gut  ge- 
wählten Beispielen  zeigt  er,  wie  die  Sa-en  der  germanischen,  finnischen  und  baltu- 
slawischen  (^lettischen)  Einwohner  geschichtliche  Erinnerungen  seit  der  Ansiedlungszeit 
und  den  Stadtgründuugen,  die  Empfindungen  des  eigenen  Seeleniebons  und  die  Eindrücke 
der  umgebenden  Natur  widerspiegeln.  Auf  einen  Auszug  des  estnischen  Volksepos 
Kalewipoeg  folgen  sodann  verschiedene  estnische  und  lettische  Märchen  und  Schwanke, 
welche  neben  der  eigenen  Begabung  einen  starken  Einschlag  deutschen  Sagengutes  ofi"en- 
baren,  so  der  Feldzug  der  sieben  Schneider  (S.  127,  oben  4,  434),  und  die  drei  lispelnden 
Schwestern  (S.  118),  die  bereits  1555  in  einem  Meisterliede  des  Hans  Sachs  vFabeln  6, 
nr.  953.  erscheinen.  Den  Märchenschatz  der  deutschen  Balten  bezeichnet  der  Heraus- 
geber als  identisch  mit  der  Grimmschen  Sammlung.  —  (J.  B. 


Notizcii.  177 

A.  N.,  Das  Brauhaus  und  die  Braiitätigkeit  in  früheren  Zeiten  (Woclienschrift  für 
Brauerei  34,  163  f.  Berlin  1917).  —  Das  Brauwesen  des  Amtes  Werdau  1547—1700 
(ebd.  34,  177—179.     186-188). 

F.  E.  Peiser,  Das  Gräberfeld  von  Pajki  bei  Prassnitz  in  Polen,  untersucht  und  be- 
schrieben. Altertumsgesellschaft -Prussia- Sonderschrift  N.  K.  I,  Königsberg  i.  Pr.  1916. 
7,50  Mk.,  für  Mitglieder  der  Prustia  3  Mk.  —  Das  Gräberfeld  gehört  der  Zeit  etwa  um 
100—200  n.  Chr.  an  und  ist  von  ungefähr  3—4  Generalionen  im  Laufe  eines  Jahrhunderts 
belegt  worden.  Es  handelt  sich  vielleicht  um  die  Reste  einer  im  Osten  Sadruga  genannten 
Familiengemeinschaft  von  20-30  Köpfen.  In  der  Übersicht  der  Bestattungen,  durch- 
gehends  mit  Leichenbrand,  fällt  das  Grab  15  auf,  dessen  Urne  ausser  den  Resten  eines 
jungen  Weibes  Knochen  von  4  —  6  mittelgrossen  Vögeln  und  einem  jungen  Pferde,  ferner 
ein  Goldberlock,  Bronzeteile,  Reste  eines  eisenbeschlagenen  Kästchens,  Haarkamm,  Perlen, 
Knochennadel  und  Spinnwirtel  enthielt.  Im  allgemeinen  entsprechen  die  Funde  sowohl 
in  der  Keramik  als  in  den  Beigaben  denen  des  westlicheren  Deutschlands  und  dürfen 
wohl  als  germanisch  betrachtet  werden,  wenn  wir  auch  nicht  den  Namen  des  betr. 
Stammes  feststellen  können.  Die  Reste  slawischer  Bevölkerung  pflegen  doch  ganz  anders 
auszusehen.  —  (K.  Brunner.) 

Johannes  Pesch,  Aberglaube  und  Kriegsaberglaube  (Frankfurter  Zeitgemässe 
Broschüren  Bd.  35  Heft  10).  Hamm,  Breer  &  Thiemann  1916.  31  S.  8".  0,50  Mk.  — 
Einer  allgemeinen,  für  den  Gegenstand  etwas  lang  ausgesponnenen  Betrachtung  über  das 
Wesen  des  Aberglaubens  lässt  der  Verf.  eine  Übersicht  über  verschiedene  Erscheinungen 
des  auf  den  Weltkrieg  bezüglichen  Aberglaubens  folgen.  ^Mit  besonderer  Ausführlichkeit 
sind  die  heut  eigentlich  seltener  auftauchenden  Bergentrückuugssagen  und  die  Pro])he- 
zeiungeu  behandelt.  Hier  folgt  der  Verfasser  im  wesentlichen  der  Darstellung  F.  zur 
Bonsens  s.  oben  S.  194).  Zur  Sage  vom  Nachtwächter  von  Szillen,  deren  poetische 
Formi.ng  durch  Charl.  Wüstendörfer  mitgeteilt  wird,  vgl.  oben  25,  400.  26,  89.  211.  —  (F.  B.) 

F.  Peterlechner,  Stille  Nacht,  heilige  Nacht.  Die  Geschichte  eines  Volksliedes 
Linz,  Qu.  Haslinger  (1917).  S.S  S.  mit  Bildern  und  Facsimiles.  —  Zu  Weihnachten  1918 
sind  gerade  hundert  Jahre  verflossen,  seit  der  Hilfsgeistliche  Joseph  Mohr  und  der  Lehrer 
Franz  Gruber  zu  Arnsdorf  bei  Salzburg  das  schlichte  Weihnachtslied  'Stille  Nacht"  in 
Worte  und  Töne  fassteu.  Im  Auftrage  des  Landesveieins  für  Heimatschutz  in  Ober- 
östeireich  hat  P.  mit  grosser  Sorgfalt  die  durch  ausschmückende  Gerüchte  und  Zeitungs- 
artikel vernirrten  Tatsachen  über  die  Entstehung  des  Liedes  festgestellt  und  vom  Leben 
der  beiden  Väter  desselben  genaue  Nachricht  gegeben.  Eine  Bearbeitung  des  Kompo- 
nisten für  Chor  und  Orchester  v.  J.  1833  ist  beigegeben.  In  Dcutschhuid  verbreitete 
sich  das  Lied  seit  1831,  durch  Missionare  drang  es  zu  den  Eingeborenen  am  Himalaja, 
im  Sudan  und  in  Südamerika.  Zu  den  Literaturangaben  sti  noch  Pailler,  Weihnachts- 
lieder und  Krippenspiele  2,  10  (1883)  und  Böhme,  Volkstümliche  IJeder  1S95  nr.  748 
hinzugefügt.  —  (J.  B.) 

Quickborn-Bücher  9.  Band:  Gustav  Go edel.  Klar  Deck  überall!  80  S.  8".  0,50  Mk. 
11. — 12.  Band:  Georg  Droste,  Slusohr  un  anner  cernste  un  vergnogte  Vertellsels  un 
Riemels,  Mit  Titelzeichnung  von  Ad.  Möller  und  einem  Bildnis  des  Dichters.  110  S.  8°. 
1,20  Mk.  14.  Band.  Gorch  Fock,  Otto  Garber,  Rudolf  Kinau,  Gustav  Friedrich 
Weg  er  und  Hinrich  Wriede,  Plattdütsche  Jungs  in'n  Krieg.  Mit  Umschlagzeichnnng 
von  Ad.  Möller  und  einem  Faksimile  von  Gorch  Fock.  62  S.  8'.  0,60  Mk.  15.  Band: 
Rudolf  Kinau,  Stceinkiekers.  58  S.  8'.  0,60  Mk.  —  Hamburg,  Quickborn- Verlag  1916 
bis  1917.  —  Die  Rührigkeit  und  das  gesunde  Aufblühen  der  niederdeutschen  Quickborn- 
Vereiniguog  werden  am  besten  gekennzeichnet  durch  die  rasche  Aufeinanderfolge  ihrer 
Büchergaben,  von  denen  an  dieser  Stelle  schon  wiederholt  die  Rede  gewesen  ist.  In 
dem  Band  'Klar  Deck  überall  I"  führt  der  durch  seine  Untersuchungen  zur  Seemanns- 
sprache bekannte  G.  Goedel  den  Nachweis,  dass  zahlreiche  Seemannsausdrücke,  die  heute 
allgemein  für  englisch  gehalten  werden,  zum  alten  niederdeutschen  Sprachgut  gehören 
Von  seinen  Wortableitungen  dürften  freilich  mehrere,  so  die  von  Ballast,  Bagage  (die 
hierbei  erwähnte  Etymologie  von  Beghine  lässt  den  Namen    des  Ordensstifters  le  Beghe 

Zeitsi-hr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1017.    Heft  2.  12 


178 


Xo( 


ausser  acht)  auf  Widrirspriich  stossen.  Eine  hübsche  Sammlung  meist  heiterer  Er- 
lälilungen  des  blinden  Richters  G.  Droste,  dem  auch  das  1.  Heft  des  10.  Jahrgangs  der 
wertv  )llea  'Mirteilungen'  y  ewi  tmet  ist,  enthält  der  11.  12.  Hand,  während  im  14.  eine 
Re^he  von  Quickliornleuten,  darunt-r  auch  der  bi-im  Unt<*r>;antr  der  'Wiesbaden'  ge- 
bli.-bene  Grorch  Fock  J  h.  Kiu  lu)  ihre  S  .ldatenerlebni>se  in  plattdeutscher  Sprache 
sinnig  und  humorvoU  .«.chiHern.  Ist  auch  Rudolf  Kinaus  Schreibart  nicht  von  gleicher 
Kraft  und  Urwüchsigkeit  wie  die  seines  Bruders,  so  lassen  seine  im  15.  Bändchen  ver- 
einigten Ges.hichten  doch  einen  volkstümlich-gemütvollen  Erzähler  erkennen.  Zumal 
-bei  den  Niederdeutschen  unter  ULseren  Soldaten  werden  diese  Bändchen  grosse  Freude 
erregen.  —  (F.  B.) 

Ernst  Rosenmüller,  Das  Volkslied  Es  waren  zwei  Königskinder,  ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  Volksliedes  iiberhaupt.  Leipziger  Diss.  Dresden,  A.  Hille  1917.  114  S.S« 
mit  Karte.  —  Die  Probleme,  welche  sich  an  die  berühmte  Schwinnmerballade  knüpfen, 
erfahren  hier  eine  energisch  zufassende  und  zu  neuen  Ergebnissen  führende  Behandlung. 
Das  altgriechische  Epos  des  Musäus  von  Hero  und  Leander  wird  nicht  mehr  als  Quelle 
der  späteren  S-genbehandlungen  anerkannt,  sondern  gleichberechtigt  treten  neben  diese 
Kunstdichtung  das  syrische  Märchen  bei  Rohde,  Der  griech.  Roman-  S.  148-,  die  aus 
Nor  ifrankreich  stammenden  romanischen  Lieder  und  die  germanische  Gruppe.  In  der 
letzteren  ersch.  int  dem  Vf.  die  um  1572  aufgezeichnete  schwedische  Ballade  als  die  alter- 
tümli  hste  Fassung,  deren  Entstehung  -och  vor  1300  falle:  von  Schweden  sei  das  Lied 
na.-h  Niederdeutschland,  dann  nach  Mittel-  und  Oberdeutschland  gelangt.  Dass  diese 
Fül-erungen  nicht  ohne  weiteres  einleuchten,  sondern  einer  gründlichen  Nachprüfung 
bedürfen,  kann  hier  nur  ang'^deutet  werden.  Sicherer  ist,  was  über  die  Vermischung  der 
deutschen  Königskinderballade  mit  der  von  der  stolzen  Jüdin  vorgetragen  wird.  Das 
vermutlich  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrb.  am  Oberrhein  entstandene  Lied  von  der 
Jüdin  ward  iu  Schlesien  und  Sachsen  wohl  unter  dem  Einüuss  der  neu  aufgekommenen 
Melodie  mit  Strophen  aus  jener  älteren  Ballade  verbunden.  Beachtenswerte  Winke  über 
schöpferische  und  zerstörende  Veränderung  von  Liedertexteu  und  das  Zersingen  einge- 
wanderter Lieder  sind  S.  97  gegeben.  Bednuern  muss  man,  dass  diese  vielversprechende 
Erstliügsarbeit  zugleich  ein  Opus  postumum  ist;  sie  ist  erst,  nachdem  der  Vf.  191G  als 
Orazier  gefallen  war,  durch  seinen  Lehrer  Prof.  E.  Mogk  und  seinen  Freund  Dr.  Böhme 
zum  Drucke  befördert  worden.  —  (J.  B.) 

S.  Singer,  Alte  schweizerische  Sprichwörter,  Schweiz.  Archiv  für  Volkskunde, 
20,  389-419.  (s.  o.  S.  85.  Als  Sonderabdruck  bei  Karl  J.  Trübner,  Strassburg  191(;,  er- 
schienen. 2,50  Mk.)  —  Eine  Sammlung  von  Sprichwörtern  bei  Dichtera  und  Schriftstellern 
des  9.  bis  IG.  Jahrhunderts,  die  entweder  Schweizer  von  Geburt  sind  oder  lange  in  der 
Schweiz  gelebt  haben.  Zu  den  ersteren  rechnet  Singer  Hartmann  von  Aue,  zu  den 
letzteren  gehören  Konrad  von  Würzburg  und  Pamphilus  Gengenbach.  Die  aus  diesen 
Quellen  gesammelten  Sprichwörter  sind  natürlich  nicht  spezifisch  schweizerisch,  soudcrn 
gemeindeutsch.  Die  sorgfältiue  und  fleissife  Sammlung  deckt  sich  zum  grossen  Teile 
mit  Zmgerles  'Deutschen  Sprichwörtern  des  Mittelalters',  zieht  jedoch  einerseits  schweize- 
rische Schriftsteller  heran,  die  Zingerle  nicht  verwertet  hat,  z.  B.  Ammenhausen,  und 
schliesst  andererseits  die  Masse  der  von  Zingerle  benutzten  nichtschweizerischen  Schrift- 
steller aus.  — -  (F.  Seiler.) 

Heinrich  Sohnrey,  Ostorfeuer.  Ein  Ostergruss  für  Heimat  und  Heer.  Berlin 
Deutsche  Landbuchhandlung  1917.  97  S.  8».  —  Beunruhigt  durch  manche  behördlichen 
Massnahmen  sowie  die  verschiedentlich  im  Landvolke  verbreitete  Meinung,  in  der  jetzigen 
schweren  Zeit  gezieme  es  sich  nicht,  am  Ostertage  nach  der  Väter  Sitte  die  Ostorfeuer 
zu  entzünden,  hat  Sohnrey  dies  Büchlein  zusammengestellt,  untefstützt  vom  Deutschen 
Verein  für  ländliche  Wohlfahrts-  und  Heimatspilege.  Beiträge  lieferten  ausser  ihm  eine 
Reihe  von  Freunden  und  Landsleuten  aus  seiner  niedersächsischen  Heimat.  In  Auf- 
sätzen, Erzählungen  und  Gedichten  wird  die  schöne  alte  Sitte,  ihre  Entstehung  und  ihre 
in  vielen  Gegenden  Deutschlands  noch  heute  übliche  Form  behandelt.  Hoffen  wir,  dass 
die  von  warmer  Heimatliebe  erfüllte  kleine  Schrift  zur  Erhaltung  und  Vertiefung  des 
bedeutungsvollen  Brauches  das  ihre  beiträgt.  —  (F.  B.) 


Nuti/.en .  179 

Isidor  Scheftelowitz,  Das  stollvertretende  Hulinopfer.  Mit  heFonderer  Berück- 
sichtigung des  jüdischen  Volksglaubens  (Religionsgesrhichtliche  "Versuche  und  Vorarbeiten 
hsg.  von  R.  Wünsch  und  L.  Deubner  14,  P.).  Giessen,  Ä.  Töpehnann  (J.  Ric-ker.<)  1914. 
(5G  S.  8".  geh.  2,40  Mk.  —  Das  interessante  religionswisenschaftliche  ProbUm  der  Stell- 
vertretung wird  hier  mit  grosser  Belesenheit,  aber  doch  nicht  ohne  starke  Einseitigkeit  au 
einer  bestimmten  Erscheinung,  dem  weitverbreiteten  Huhnopfer,  behandelt.  Der  Verf. 
setzt  an  den  Anfang  seiner  Ausführungen  den  Satz  'An  Stelle  eines  Menschen,  der  sich 
eine  Gottheit  zum  Opfer  bestimmt  oder  dessen  Untergang  ein  Dämon  herbeizuführen 
beabsichtigt,  kann  nach  dem  primitiven  Glauben  auch  ein  Tier  trelen,  womit  sich  die 
überirdischen  \yesen  zufrieden  geben'.  Wenn  dann  eine  grosse  Menge  primitiver  und 
antiker  Opferhandlungen  aus  diesem  Grundsatz  erklärt  wird,  so  ist  doch  immer  zu  be- 
denken, ob  wirklich  in  allen  diesen  Fällen  ursprünglich  dip  Opferung  oder  der  Untergang 
eines  Menschen  als  eigentliche  Forderung  vorausgesetzt  war.  Der  Idee  des  Menschen- 
opfers eine  so  weite  und  tiefe  Ausdehnung  zuzugestehen,  wie  der  Verf.  will,  ist  doch 
wohl  kaum  angängig,  uud  in  vielen  Fällen  wird  von  vornherein  die  Anschauurg  gewaltet 
haben,  dass  der  Zorn  der  Dämonen  durch  ein  Tieropfer  besänftigt  werden  könne.  Und 
hierfür  mussle  sich  das  Huhn,  als  weitverbreitetes  und  fruchtbares  Haustier,  von  selbst 
darbieten.  Ausserdem  liegen  in  vielen  Fällen  andere  Wurzeln,  vor  allem  die  Vorstellung 
der  Übertragung!  von  Krankheiten  u.  dgl.,  offen  zutage.  Das  beigebrachte  Material  ist. 
wie  bemerkt,  von  bemerkenswerter  Reichhaltigkeit  und  sichert  dem  Buche  seineu  Wert, 
auch  wenn  man  die  Grundidee  nicht  voll  anerkennen  kann.  Verwiesen  sei  in  dieser  Be- 
ziehung besonders  auch  auf  die  Exkurse,  z.  B.  über  die  Sitte  der  xaiayyoaaTu,  den  Kreis 
und  die  schwingende  Bewegung  als  Abwehrniittel,  die  angeblichen  Ritualmorde  der 
Juden  u.  a.  m.  —  (F.  B.) 

K.  Spiess,  Das  deutsche  Volksmärchen.  Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubner  1917. 
IV,  124  S.  8».  geb.  l,.-)0  Mk.  (Aus  Natur  und  Geisteswelt  Nr.  587  )  —  Das  Büchlein  bietet 
wirklich,  was  das  Vorwort  verheisst,  eine  fassliche  und  anschaulirhe  Übersicht  ül  er  den 
heutigen  Stand  der  Märchenforschung.  An  der  Grinimschen  SammUing.  die  durchaus  im 
Mittelpunkt  der  Betrachtung  steht,  legt  der  Verf.  die  Welt  und  das  Wesen  des  Märchens 
dar,  im  Verhältnis  zur  Wirklichkeit,  zu  sittlichen  Forderungen,  zum  Humor;  er  gibt 
gute  Bemerkungen  über  die  internationale  Verbreitung  der  Stoffe,  die  Scheidung  von  Märchen- 
motiv, -formel  uud  -typus,  wobei  er  gegen  Aarnes  Typenverzeichnis  manches  einzuwenden 
hat,  über  den  Aufbau  und  die  Technik,  besonders  über  den  durch  nationale  Eigenart  und 
zeitgeschichtliche  Verhältnisse  beeinflu.=.sten  Wechsel  in  der  Einkleidung  dtr  Motive. 
Endlich  werden  die  bekannten  Theorien  über  das  Alter  und  den  Ursprung  der  Märchen 
und  den  uralten  Gehalt,  die  animistischen  Vorstellungen  und  der  Zauberglaube  be- 
sprochen. —  (J.  B.) 

l^TOIXEIA,  Studien  zur  Geschichte  des  antiken  Weltbildes  und  der  griechischen 
Wissenschaft,  hsg.  von  Franz  Boll.  Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubner.  Heft  1:  Franz 
Boll,  Aus  der  Offenbarung  Johannis.  Hellenistische  Studien  zum  Weltbild  der  Apokalypse. 
1914.  VIII,  151  S.  8'.  geh.  5  Mk.,  geb.  5.60  Mk.  Heft  2:  Erwin  Pfeiffer,  Studien 
zum  antiken  Sternglauben.  1916.  VII,  1^52  S.  S\  geh.  5  Mk.,  geb.  6  Mk.  -  Professor 
Franz  Boll  hat  sich  diese  Veröffentlichung  geschaffen,  wesentlich  wohl,  um  für  sein  Sonder- 
gebiet, die  griechische  Astronomie  und  Astrologie,  eine  offene  Stelle  zu  finden.  Und  es 
ist  unbedingt  höchst  verdienstlich,  dass  er  diesem  bisher  zu  unrecht  vernachlässigten, 
wichtigen,  aber  freilich  auch  recht  schwierigen  Gebiet  eine  grössere  Pflege  angedohen 
lässt,  als  das  bisher  geschah.  Erstreckt  sich  doch  der  Einfluss  der  antiken  Astronomie, 
wie  schon  die  sieben  Wochentage  beweisen,  von  Westasien,  und  zwar  schon  in  älterer 
Zeit,  bis  in  unser  Vaterland  und  reicht  er  doch  recht  eigentlich  vom  Himmel  oben  bis  zur 
Hölle  unten  und  bis  an  alle  vier  Ecken  der  Welt.  Denn  alle  diese  Begriffe  und  Be- 
zeichnungen stammen  von  der  älteren  Sternenkunde  her.  Für  den  Volkskundler  ist  die 
Darstellung  des  Weltbildes,  aber  auch  die  Erklärung  zu  den  apokalyptischen  Reitern  odt  r 
zum  neuen  Jerusalem,  wie  B.  sie  hier  auf  Grund  seines  umfangreichen  Stoffes  und  seiner 
fleissigen   und   gewissenhaften  Arbeit  gibt,  vom  höchsten  Wert,  weil  uns  so  die  moderne 

12* 


ISO  Notizen. 

Forschung  jene  Quellen  aufdeckt,  ans  dtnen  zu  allen  Zeiten  ganze  Ströme  der  wichtigsten 
und  grossartigsten  Vorstellungen  in  die  Kunst  und  die  Literatur  aller  christlichen  Völker 
geflossen  sind.  —  Pfeiffer  hat  eine  fleissige  und  tüchtige  Arbeit  über  die  antike  Stevnen- 
welt  geschrieben,  die  sich  wesentlich  mit  der  Frage  befasst,  ob  die  Auffassun?  der 
Griechen  (und  Römer)  mehr  darauf  hinaus  ging,  dass  die  Sterne  nur  den  Lauf  der  Jahres- 
zeiten anzeigten,  oder  dass  sie  auch  die  Veränderungen  der  Jahreszeiten  wirklich  herbei- 
führten. Unter  den  Beilagen  ist  dann  noch  volkskundlich  wichtig  der  ktzte  Anhang 
über  die  Seele  und  ihre  Wanderung  zu  den  Sternen,  die  mit  der  wichtigen  Vorstellung 
des  Himmels  als  der  Wohnung  der  Seligen  zusammenhängt.  —  (Ed.  Hahn.) 

H.  L  Strack,  Jüdisches  Wörterbuch  mit  besonderer  Beiücksichtigong  der  gegen- 
wärtig in  Polen  üblichen  Ausdrücke.  Leipzig,  J.  C.  Hinrichs  1916.  XV F,  204  S.  geb. 
(1  Mk.  —  Eio  jüdisch-deutsches  Wörterbuch  von  E.  Bischoff,  das  während  des  jetzigen 
Krieges  unsern  in  Polen  und  Galizien  stehenden  Soldaten  bereits  riützliche  Dienste  ge- 
leistet hat,  konnten  wir  oben  26,  408  empfehlen.  Höheren  Anforderungen  sucht  Sfrack, 
ein  ausgezeichneter  Kenner  der  alt-  und  uenhebiäischen  Sprache  und  Literatur,  in  dem 
vorliegenden  Wörterbuche  zu  genügen,  das  in  knapper  Fassung  ein  sehr  reichhaltiges^ 
in  jahrelanger  Beschäftigung  gesammeltes  Material  darbietet.  Da  er  nicht  nur  ein  Hilfs- 
mittel für  den  mündlichen  Verkehr,  sondern  auch  für  die  Lektüre  der  jüdisch-deutschen 
Zeitunsren  und  Bücher  liefera  will,  setit  er  die  Kenntnis  der  liebräischen  Schrift  voraus 
und  gibt  die  Worte  in  dieser  wieder.  Eine  deutsche  Fixierung  der  Aussprache,  die 
freilich  in  den  einzelnen  Gegenden  grosse  Verschiedenheiten  aufweist,  fügt  er  leider  nur 
selten  bei.  Wichtig  ist  die  Feststellung  der  Herkunft  der  Worte  aus  dem  biblischen  und 
talmudischen  Hebräisch,  dem  Deutschen,  Polnischen  und  Russischen,  und  hier  erweist 
sich  der  Autor  als  trefflicher  Führer.  Willkommen  sind  fernfr  die  Bemerkungen  in  der 
Einleitung  über  Aussprache,  Grammatik,  Betonung,  Datumbcz^ichnung,  literarifche  Hilfs- 
mittel, wenngleich  man  hier  über  manches,  wie  die  Aussprache  des  i*  und  ^,  die  Schreib- 
schrift, die  sprachlichen  Gesetze,  nach  denen  dir»  fremden  Bestandteile  umgeformt  werden, 
das  Alter  einzelner  Neubildungen,  die  zugrunde  licg«nde  deutsche  ^lundar^  gern  noch 
mehr  vernähme.  Jüngeren  Sprachforschern,  besonders  Germanisten,  eröffnet  sich  hier 
ein  weites  Fehl,  aber  eine  zuverlässige  Grundlage  ist  durch  Strack  geschaffen.  —  Als 
Anhang  gab  derselbe  heraus:  .Jüdischdeutsche  Texte,  Lesebuch  zur  Einführung  in  Denken, 
Leben  und  Sprache  der  osteuropäischen  Juden.  Leipzig,  Hinrichs  1917.  56  S.  1,50  Mk. 
Eine  Reibe  charakteristischer  Zeitungsarlikel  aus  den  letzten  drei  Jahren  in  Umschrift  mit 
wortcTklärenden  Anmerkungen.  —  (J.  B  ) 

C.  W.  v.  Sydow,  God  Afton,  om  1  henima  är!  en  studie  över  de  nordiskamajvisorna, 
med  facsimiler  och  musiknoter.  Malmö,  Maiander  1917.  158  S.  8".  1,75  Kr.  —  In 
Dänemark  und  Südschweden  sind  zwei  mannigfnch  variierte  Mailieder  üblich,  mit  denen 
die  mit  grünen  Zweigen  herumziehende  Jugend  den  Eintiitt  des  Frühlings  bcgrüsst:  ein 
geistliches  und  ein  Heischelied  der  Kinder.  Jenes  geht  zurück  auf  eine  dänische,  um 
1600  von  Peder  Jensen  Roskilde  verfasste  Dichtung,  die  ihre  Melodie  einem  älteren 
weltlichen  Mailiede  'Hossbondc  om  du  hiemme  est,  May  va-r  velkomn  en'  entlehnte,  um 
dasselbe  aus  dem  Gesänge  des  Volkes  zu  verdrängen.  An  dies  bis  auf  die  Anfargszrilen 
verlorene  Lied  des  16.  Jahrb.  lehnt  sich  auch  das  Kinderlied  'God  aftou,  om  I  hemma 
är'  an.  Die  zahlreichen  Veiänderuugen  des  Textes  in  Dänemark  und  in  den  damit  in 
engpr  Kultuvgemeinschaft  stehenden  schwedischen  Provinzen  Schonen,  Halland  und 
Bleking  beruhen  z.  T.  darauf,  dass  das  Lied  ntr  einmal  während  des  ganzen  Jahres  ge- 
sungen wurde.  Auch  mit  dem  deutschen  Mailiede  'Hier  kommen  wir  vor  dieses  Haus' 
(Erk-Böhme  nr.  1253.  zeigt  sich  Verwandtschaft.  Endlich  weist  dir  Verf.  der  zugleich 
gründlichen  und  lesbar  geschriebenen  Studie  aus  Flugblättern  ein  kurz  vor  1750  von 
Anna  Brita  Elf  verfasstes  Maili^d  nach,  das  nach  einem  älteren  Vorbild')  tue  Seligkeit 
im  Himmel  unt.r  dem  Bilde  des  Somaers  beschreibt:  'Ack  Ijuflig  tid'.  —  (J.  B.) 

Irene  Thirring- Waisbecker,  Volkslieder  der  Heanzen,  gesammelt  mit  46  Melo- 
dien. Wien  1916.  V,  40  S.  gr.  S"  (aus  Bd.  21  der  Zs.  f.  österr.  Volkskunde  abgedruckt). 
—  Auf  Bunkers  treffliche  Sammlung  heanzitcher  Kinderreime  (1900)  folgt  iii.r  eine  reich- 


Ncti/.en.  181 

haltige  Lese  von  Vierzeilern,  Liebesliedern,  Balladen,  Soldaten-,  geistlichen  Liedern  und 
Kindersprüchen  famt  den  Weisen.  Besonders  wertvoll  sind  die  zahlreichen  altfn  Balladen 
Die  Herausgeberin  hat  einige  Nachweise  über  anderweitige  Aufzeichnungen  beigefügt, 
leider  ohne  unsro  umfangreichste  Volksliedersammlung,  Erk-Böhmes  Liederhort,  heran- 
zuziehen, aus  dem  sie  z.  B.  ersehen  hätte,  dass  die  besonders  gelobte  Ballade  „Ein  trotziger 
Ritter  aus  fränkischem  Land'  (S.  20    ein  Gedicht  von  J.  F.  Ratschky  {^Uld)  ist.  —  (J.  B.) 

P.  Thomsen,  Palästina  und  seine  Kultur  in  fünf  Jahrtausenden.  Zweite,  neube- 
arbeitete Aulhge.  Mit  37  Abbildungen.  (Aus  Natur  und  Geisteswelt  Bd.  260).  Leipzig 
u.  Berlin,  B.  G.  Teuhner  1917.  1-21  S.  8".  Geb.  1,50  Mk.  —  Nach  einem  Überblick  über 
die  bisherigen  Ausgrabungen  der  Deutschen,  Engländer  und  Amerikaner  schildert  der 
Verf.  die  Kulturzustände  des  Heiligen  J>andes  in  vorsemitischer,  vorisraelitischer,  isra- 
elitischer, hellenistischer  und  römisch-byzantinischer  Zeit,  soweit  sie  sich  aus  den 
Funden  erkennen  lassen.  Es  ist  natürlich,  dass  bei  dieser  Methode  ein  die  ganze  Kultur 
umfassendes  Bild  nicht  gewonnen  werden  konnte.  Anderseits  sind  Gebiete  wie  Toten- 
bestattung, Geräte,  besonders  solche  aus  Ton,  besonders  eingehend  behandelt.  Be- 
merkenswert ist  die  Zurückhaltung  Th.s  gegenüber  den  Skelettfunden  in  und  unter 
Mauern,  die  meist  als  Beweise  für  Bauopfer  erklärt  werden.  In  der  oft  behandelten  Frage 
der  jüdischen  Menschenopfer  vermeidet  es  der  Verf.  ebenfalls,  ausdrücklich  dafür  oder 
dagegen  Stellung  zu  nehmen.  —    F.  B.) 

W.  St.  Vidünas,  Jiitauen  in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Tilsit,  Lituania  191(j. 
l.')2  S.  .S".  3  Mk.  —  Viel  Liebe  und  Verständnis  für  litauisches  Volk  und  Wesen  spricht 
aus  dem  an  Inhalt  mannigfaltigen  und  Bildl)eigaben  reichen  Buche.  Es  wird  nicht  nur 
aufklären,  sondern  auch  um  Achtung  und  Liebe  werben  für  ein  Volk,  das  mehr  Lieder 
(Dainos)  singt,  als  irgend  sonst  eine  Nation,  das  durch  sein  zartes,  für  die  Natur  tief 
empfängliches  Gemüt  in  seiner  Sprache  für  Derbheiten  kein  Ausdrucksmittel  hat  und 
kein  Tier  quälen  kann,  das  auf  die  KlC;tG  (=  Schlafhaus  der  erwachsenen  Töchter)  all 
sein  Sinnen  richtet,  auf  deren  Veranlassung  da  die  jungen  Litauerinnen  in  das  Gürtel- 
band, die  Jousta,  die  zartosten,  innigsten  Lieder  und  Wünsche  hineinarbeiteten  und  aus 
dem  Garten  daneben  im  Sommer  täglich  den  Rautenkranz  fürs  Haar  ptlückten  und  im 
Winter  in  der  Spinnstube  beim  Scheine  der  Szibintas  (=  Kienspan)  den  Klängen  der 
Kanklys  (=  eine  Art  Zither)  lauschten.  —  (Johannes  Podzuweit.) 

Volksthümliches  aus  Graubüiidcn.  (hur,  Sprecher,  Eg<,'erling  &  Co.  1916.  XVi, 
627  S.  8  Fr.  —  Das  ohne  Verfassernamen  in  die  Welt  tretende  Werk  ist  nichts  andres 
als  eine  Erneuerung  der  verdienstvollen  'Volkssagen  aus  Graubüoden',  die  Dietrich  v. 
Jecklin  1874  bis  1878  in  drei  Bänden  herausgegeben  hat.  Leider  ist  diese  Arbeit  nicht 
in  die  rechten  Hände  gefallen.  Jecklins  wohlbedachte  Anordnung  ist  einem  bunten  Durch- 
einander gewichen,  dessen  Zweck  man  nicht  einsieht:  nicht  nur  die  inhaltlich  oder  örtlich 
zusammenhängenden  Sagen  sind  verstreut,  sondern  auch  längere  Erzählungen  in  zwei 
oder  drei  Stücke  auseinander  gerissen.  Jecklins  'Erklärungen  und  Zusätze'  ^S.  527},  die 
seine  Gruppierung  voraussetzen,  sind  ohne  Hinweise  auf  jene  Veränderungen  geblieben. 
Eine  zusammcuhängendo  Abteilung  bilden  nur  die  von  Decurtios  gesammelten  Märchen 
(S.  .')77),  bei  denen  man  wiederum  eine  Anführung  der  seither  in  seiner  Rätoromanischen 
Chrestomathie  (2.  1901)  gedruckten  Originale  vermisst.  Neu  sind  etwa  zwanzig  Orts- 
sagen. Da  ein  Sachregister  fohlt,  kostot  es  oft  Mühe,  ein  Zitat  der  früheren  Auflage 
wiedeizufinden.  —  (J.  B.) 

Konrad  Weichberger,  Die  .Planeton-(<^uadrilie.  Ürcinon,  H.  M.  Hauschild  1917. 
29  S.  8'.  —  Ein  lehrreiches  Beispiel,  wie  eine  vorgefasste  Meinung  zur  Vergewaltigung 
der  Tatsachen  führt.  Der  Vf.  vergleicht  die  'heilige"  Figur  des  neunzelligen  magischen 
Quadrats  (oben  26,  B06j  mit  der  achfstrahligen  Windrose,  mit  den  um  die  Erde  gruppierten 
Planeten  und  mit  den  phäakischen  Tänzern,  die  in  der  Odyssee  8,  258  das  von  Demodokos 
besungene  Liebesabenteuer  des  Ares  und  der  Aphrodite  mimisch  darstellen.  Nun  be- 
richtet zwar  das  Altertum  nur  voi  7  Planeten  und  Homer  von  9  Phäaken;  aber  der 
moderne  Prokrustes  weiss  solche  widerspenstigen  Zahleu  zu  strecken  oder  zu  kürzen.  Die 
Alten    hatten    eben    schärfere    Augen    und  rechneten  den  jetzt  nur  mit    ICrnrohren  wahr- 


I^o  l'.niuner: 

nebmbaren  Uranus  als  achten  Planeten,  und  Homer  zählte  den  Sän^'er  mit  zu  den  acht 
Tänzern,  welche  die  in  der  P'rzählung  erwähnten  Götter  darstellten.  Dabei  verwechselt 
W.  wohl  die  neun  Ordner  {aiaviirrjrai)  mit  den  Tänzern  (^troroo/),  deren  Zahl  weder 
bei  Homer  noch  in  der  Beschreibnnfi  der  Abbildung  auf  dem  amykläischen  Throne 
(Paus.  3, 18,  7)  überliefert  wird.  Auf  weitere  astronomische  Hypothesen  des  Vf.  mögen 
Fachleute  eingehen.  —  (J.  B.) 

Dolfü  Zorzut.  Instoris  e  Ifendis  fuilanis,  elioltis  su  a  Corraons  sul  Judri  cunt-un 
dos  (.•hacaris  di  Vencul.  GuriQc  [Görz],  G.  Paternolli  1914.  VIII,  203  S.  2,50  Kr.  — 
Ridiculis,  ridäculis  altris  sflocis  par  furlan.  ebd.  1914.  47  S.  0,60  Kr.  —  Kurz  vor  dem 
Ausbruche  des  Weltkrieges,  der  jetzt  auch  im  österreichischen  Küstcnlande  tolt,  hat  dort 
ein  junger  talentvoller  Friauler  mit  Eifer  >ind  Glück  Märchen  und  Logenden  gesammelt 
und  in  zwei  Bändchon  herausgegeben.  Die  lebendige  und  anschauliche  Erzählweise  des 
Volkes  und  die  furlanische  Muniart,  in  die  auch  der  Kenner  der  italienischen  Schrift- 
sprache sich  nicht  gleich  hineiutindet,  sind  getreu  beibehalten.  Unter  den  49  Nummern 
treffen  wir  viele  Bekannte  aus  den  Kinder-  und  Hausmärchen  der  Brüder  Grimm  an,  z.  B. 
Fürchten  IcrneD,  den  singenden  Knochen,  Rumpelstilzchen,  die  goldene  Gans,  die  beiden 
Königskinder,  den  Schmied  von  Jüterbog,  das  jung  geglühte  Männlein,  den  Meisterdieb: 
dazu  die  schon  im  Ruodlieb  begegnenden  drei  Ratschläge,  den  im  Paradiese  verweilenden 
Bräutigam,  die  Mutter  St.  Peters,  Christi  Wandrungen  mit  Petrus,  das  Hemd  des  Glück- 
lichen und  einige  Tiermärchen.  Es  steht  zu  hoffen,  dass  wir  die  wertvollsten  dieser 
hübschen  Erzählungen  in  einer  Verdeutschung  zu  lesen  bekommen.  —   (J.  B.) 


Aus   deu 

Sitzuiigs- Berichten  des  Vereins  filr  A  olksknude. 


Freitag,  den  26.  Oktober  1917.  Der  V^orsitzende,  Hr.  Geheinirat  Prof.  Dr. 
Roediger,  widmete  dem  verstorbenen  Mitgiiede  Prof.  Dr.  Schulze-Veltrup  sowie 
der  Gemahlin  unseres  Schatzmeisters  Franz  Treichel,  die  im  Dienste  des  Roten 
Kreuzes  für  das  A^aterland  starb,  herzliche  Worte  der  Erinnerung.  Der  hochver- 
diente Obmann  des  Vereinsausschusses,  Hr.  Geheimer  Regierungsrat  und  Stadt- 
ältester Ernst  Friedet  hat  im  Juni  seinen  80.  Geburtstag  gefeiert,  wozu  der  Vor- 
sitzende ihm  namens  des  Vereins  herzlichen  Glückwunsch  aussprach.  Hr.  Prof. 
Dr.  Bolte  beglückwünschte  ebenso  nachträglich  Hrn.  Geh.  Rat  Roediger  und 
Frau  Gemahlin  zur  Feier  ihrer  silbernen  Hochzeit.  Derselbe  legte  sodann  zwei 
neue  Erscheinungen  vom  volkskund liehen  Büchermärkte  vor:  'Aus  der  Heimat', 
alte  und  neue  Lieder  nach  Wort  und  Weise  hsg.  für  deutsche  Kriegsgefangene 
von  John  Meier,  Insel -Verlag  1917,  und  Robert  Petsch:  'Das  deutsche  Volks- 
rätsel',  1.  Bd.  des  Grundrisses  der  Deutschen  Volkskunde,  hsg.  von  John  Meier, 
Strassburg,  Trübner  1917.  Hr.  Dr.  Erich  Gutmacher  sprach  dann  über  'Kale- 
wala,  das  Nationalepos  der  Finnen,  in  seiner  Bedeutung  für  die  Volkskunde'.  Er 
berichtete  ausführlich  über  die  Entstehung  des  Epos,  seine  Verbreitung  und  die 
Fragen,  die  sich  daran  knüpfen.  Die  Probleme,  die  uns  der  Vortrag  der  Einzel- 
gedichte aufgibt,  führen  zu  den  Wurzeln  der  Kultur  zurück,  zum  Seelenglauben 
und  in  die  Uranfänge  des  Zaubers.  Die  Macht  des  Zaubergesanges  wurde  an  Bei- 
spielen aus  dem  Epos  gezeigt.  Daran  schloss  sich  eine  Inhaltsangabe  des  Epos. 
Bilder  des  alten  und  modernen  finnischen  Volkslebens  mit  Erläuterungen  aus  dem 


^^itziuijis- Bericht«'.  183 

Epos,  die  Gelegenheit  gaben,  allerhand  volkskundliche  Motive  vergleichend  zu  ver- 
folgen, schlössen  den  Vortrag.  In  der  Besprechung  des  Vortrages  verwies  Prof. 
Holte  als  Parallele  auf  das  deutsche  Märchen  vom  Mond,  wie  es  schon  Wilhelm 
Grimm  getan.  Hr.  Geh.  Rat  Roediger  erläuterte  die  Entstehung  der  Epen  im 
allgemeinen,  und  den  grundlegenden  Unterschied  zwischen  Lied  und  Epos,  den 
z.  B.  Lachmann  übersah.  Die  Entstehung  des  Kalewala  ist  erst  allmählich  be- 
kannt geworden  und  ausnahmsweise  auch  der  Name  des  Zusammenfügers  der 
einzelnen  Lieder  im  l'.J.  Jahrh.,  Elias  Lönnrot. 

Freitag-,  den  23.  November  1917.  Der  Vorsitzende  Geh.  Rat  Roediger 
teilte  mit,  dass  er  namens  des  Vereins  die  Mitglieder  Frau  Prof.  Marie  Andree- 
Eysn  zu  ihrem  70.  Geburtstage  und  Hrn.  Geh.  Rat  Prof.  Stieda  in  Königsberg 
zum  >)Ü.  Geburtstag  beglückwünscht  habe.  Hr.  Oberlehrer  Dr.  Fritz  Boehm  be- 
sprach einige  Aufsätze  aus  der  Prof.  Dr.  Ed.  Hoffmann-Krayer  gewidmeten  Fest- 
schrift und  legte  andere  neue  Bücher  vor,  wie:  Beiträge  zur  Deutsch-böhmischen 
Volkskunde  Bd.  13  und  14  von  Jos.  Rank  und  Josef  Blau;  AHäraische  Sagen, 
Legenden  und  Volksmärchen,  hsg.  v,  Georg  Goyert  und  Konrad  Wolter,  Jena  1917; 
Hans  Bächtold,  Deutscher  Soldatenbrauch  und  Soldatenglaube,  hsg.  vom  Verbände 
deutscher  Vereine  für  Volkskunde,  Strassburg  1*J17;  Die  Deutschen  Brüder,  hsg. 
vom  Champagne-Kamerad,  Feldzeitung  der  3.  Armee,  Stuttgart.  Hr.  Treichel 
legte  wiederum  die  Jahresschrift  des  schwedischen  Touristenvereins  vor.  Hr.  Prof. 
Bolte  besprach  das  neueste,  E.  Friedel  gewidmete  Heft  der  Niederlausitzer  Mit- 
teilungen mit  einem  Aufsatze  über  den  sog.  Feuerreiter,  einen  Grafen  Reventlovv^ 
der  noch  vor  etwa  50  Jahren  den  bekannten  Feuerzauber  ausübte,  indem  er  einen 
Brand  umritt,  um  weiteres  Umsichgreifen  zu  verhindern.  Dann  sprach  Frl.  Elisabeth 
Lemke  über  die  Eidechse  in  der  Volkskunde;  sie  berichtet  selbst  folgender- 
massen  darüber:  Mit  Hinweis  auf  den  'Drachen',  der  sowohl  im  Mythus,  wie  im 
(romanischen  und  gotischen)  Baustil  nicht  nur  Schlangen-,  sondern  auch  Eidechsen- 
Züge  erhielt,  wurde  als  wahrscheinlich  die  Schöpfung  des  Drachen  --  dieses  ge- 
waltigsten Fabeltiers  —  auf  Funde  von  Skeletten  und  Abdrücken  sog.  vorweltlicher 
Tiere  zurückgeführt.  Der  Urgreif  (Archäopteryx)  hat  überdies  einen  Eidechsen- 
schwanz. Bei  der  sich  doch  nur  langsam  entwickelnden  Menschheit  hat  (mit  oder 
ohne  Berechtigung)  die  Furcht  eine  grosse  Rolle  gespielt.  Abergläubische  Ge- 
bräuche hielten  die  einst  gefassten  Vorurteile  fest.  Und  so  ist  noch  bis  zur 
heutigen  Stunde  die  Harmlosigkeit  unserer  kleinen  Eidechse  keineswegs  allgemein 
anerkannt.  Das  unschuldige  Tier  wird  vielfach  verfolgt  und  gequält  oder  totge- 
schlagen; auch  im  Hinblick  auf  Abwendung  von  Unheil  und  Herbeizaubern  von 
Glücksgütern.  Zu  den  immer  noch  anzutreffenden  Vorurteilen  gehört  die  Annahme, 
dass  die  Eidechsen  stechen  und  beissen.  Doch  glaubt  man  auch,  dass  sie  vor 
Schlangen  warnten,  dem  Menschen  das  Leben  rettend.  Zahlreiche  alte  und 
neue  Namen  der  Eidechse  wurden  erwähnt.  Es  folgten  Mitteilungen  über  aber- 
gläubische Gebräuche  (unter  denen  die  auf  Heilung  sich  beziehenden  wohl  die 
zäheste  Lebenskraft  haben  mögen),  über  die  Vorstellung,  Eidechsen  seien  ver- 
wünschte Jungfrauen  (auch  Prinzessinnen,  woher  wohl  zuweilen  bei  einigen  eine 
Krone  entdeckt  wird),  über  Beziehungen  zu  Hexen  usw.  In  Frankreich  ist  seiner- 
zeit das  Anathema  über  Eidechsen  ausgesprochen  worden.  In  der  Bretagne  nimmt 
die  Seele  die  Gestalt  einer  schwarzen  Eidechse  an.  Einige  Beispiele  aus  der 
weiteren  Völkerkunde  zeigten  die  Eidechse  in  göttlicher  Verehrung.  Das  zunächst 
aus  Schutzbedürfnis  erwählte  Familien-  oder  Stammestier  wird  in  erstaunlicher 
Häufigkeit  auf  Gebrauchsgegenständen  in  Schnitzerei  usw.  angebracht,  oft  bis  zur 
Unkenntlichkeit    stilisiert,    so    in    Afrika.     Die    Eidechsen     geben     auch     ein    be- 


184  J'.nninov:    Sit/.mig.s  l!ericlit('. 

liebtes  Muster  für  Tätowierungen,  und  schliesslich  sind  sie  als  Speise  sehr  begehrt. 
(u.  a.  in  Mexiko  und  Australien).  Giftig  ist  nur  die  mexikanische  Krustenechse, 
Zuletzt  wurde  der  winzigen  Eidechse  gedacht,  die  von  dem  Künstler  (Kaulbach) 
so  liebevoll  und  sinnig  auf  dem  Umschlag  unserer  Zeitschrift  angebracht  ist.  Im 
Anschluss  daran  wies  Hr.  Treichel  auf  die  im  Preussischen  Wörterbuch  ge- 
nannten mannigfaltigen  volkstümlichen  Bezeichnungen  der  Eidechse  hin,  die  im 
Volksglauben  auch  eine  gewisse  Rolle  als  Warner  spiele.  Ihr  Ruf  wird  im 
Volksmunde  von  Ost-  und  Westpreussen  als  Quarren  bezeichnet.  Hr.  Oberlehrer 
Dr.  Fritz  Boehm  gab  zu  dem  Thema  Vergleiche  aus  dem  griechisch-römischen 
Altertum.  Münzen  mit  Eidechsen-Darstellungen  von  religiöser  Bedeutung  sind 
nicht  selten;  über  die  sicher  vorhandenen  Beziehungen  zur  Mantik  ist  näheres 
nicht  bekannt,  doch  galt  ihr  plötzliches  Erscheinen  als  böses  Omen.  Sie  wird 
auch  als  Bild  des  Todesschlafes  wegen  ihres  Winterschlafes  benutzt  und  dann 
auch  als  Symbol  der  Auferstehung.  Ihre  Bedeutung  in  der  Volksmedizin  beruhte 
wohl  auf  der  Erneuerungsfähigkeit  ihrer  Glieder.  Aristoteles  hat  über  die  Eidechse 
geschrieben,  Aelian  Ammenmärchen  über  sie  erzählt,  Plinius  behandelte  sie  be- 
sonders bezüglich  der  Volksmedizin,  und  bei  Theokrit  tritt  sie  als  Bestandteil 
eines  Liebestrankes  auf.  In  der  Kunst  ist  sie  berühmt  durch  die  bekannte  Figur 
des  Sauroktonos  von  Praxiteles,  einer  Apollo-Darstellung.  Hr.  Geh.  Rat  Roediger 
gab  noch  einige  Ergänzungen  in  bezug  auf  die  schwierige  Worterklärung  der 
Eidechse.  Der  Hauptbestandteil  sei  vom  mhd.  dechsen  =  schwingen  =  schwingend 
sich  bewegen  abzuleiten,  dem  ein  steigerndos  Urwort  ei  oder  ewi  =  sehr  vorgesetzt 
sei.  Konrad  von  Megenberg  (Mitte  des  14.  Jahrh.)  bringt  den  Namen  salburra 
einer  unbekannten  Eidechse  bei  und  führt  unter  anderen  Fabeln  über  sie  ihre 
Heilkraft  bei  Blindheit  an.  Hr.  Redakteur  Dr.  Richard  Böhme  hielt  schliesslich 
einen  längeren  Vortrag  über  Volkskundliches  und  Volkstümliches  bei  Friedrich 
Hebbel,  der  in  der  Festschrift  für  Eduard  Hahn  S.  345  ff.  abgedruckt  ist. 

I^erlin.  Karl    Brunner. 


Max  ßoediger  t- 

Von  Johannes  Bolte  '). 

In  den  letzten  Woclieu,  während  auf  den  Schlachtfeldern  iu  Ost  und 
West  eine  verhältnismässige  Kanipfesruhe  herrschte,  ist  der  Tod  mit 
ehernem  Fuss  durch  die  Reihen  der  Daheimgebliebenen  geschritten  und 
hat  hier  eine  reiche  Ernte  gehalten.  Wie  viel  treue  Genossen  unsrer 
Vereinsabende,  Männer  wie  Frauen,  ich  brauche  ihre  Namen  nicht  zu 
nennen,  sind  uns  in  diesen  Wintermonaten  durch  ihn  entrissen  worden! 
Als  wir  uns  im  Januar  in  diesem  Räume  zusammenfanden  und  die  Wahl 
zum  1.  Vorsitzenden,  wie  natürlich,  auf  unsern  Geheimrat  Roediger  fiel, 
da  nahm  er  das  Amt  mit  den  ernsten  Worten  an:  'Zum  letzten  Male'. 
Wir  ahnten  nicht,  dass  wir  den  so  Geistesfrischen  wirklich  zum  letzten 
Mal  in  unsrer  Mitte  sahen.  Am  10.  Februar  schrieb  er  mir,  er  sei  eben 
von  einer  Erkältung  befallen,  die  ihn  merkwürdig  angreife  und  geschwächt 
habe.  Das  Leiden  steigerte  sich  zu  einer  Lungenentzündung,  unsere 
Februarsitzung  mussten  wir  ohne  ihn  halten,  und  vier  Tage  später  weilte 
er  nicht  mehr  unter  den  Lebenden;  am  26.  Februar  in  der  Morgenfrühe 
war  er  entschlafen. 

Erschüttert  von  dem  herben,  für  seine  Familie,  seine  näheren 
Freunde  und  für  unsern  Verein  unersetzbaren  Verluste,  weilen  unsre 
Blicke  auf  den  vertrauten  Zügen,  die  aus  diesem  Bilde^)  zu  uns  reden;  und 
seinen  Lebensgang  und  sein  Wesen  uns  mit  kurzen,  schlichten  Worten  zu 
vergegenwärtigen  ist  mir  Pflicht  und  Bedürfnis. 

Max  Roediger  war  ein  Berliner  Kind,  mit  einem  Einschlage  aus  der 
französischen  Kolonie.  Sein  Vater  hatte  Theologie  studiert,  auch  schon 
in  Bernau  gepredigt;  da  stellte  sich  bei  ihm  ein  Kehlkopfleiden  ein,  das 
ihm  die  Predigerlaufbahn  verschluss  und  ihn  nötigte,  den  stillen  Kanzlei- 
dienst zu  ergreifen.  Er  gab  seiner  Braut,  der  Tochter  des  Lehrers 
Desmarets  vom  Kadettenhause  ihr  Wort  zurück,  weil  er  seiner  Krankheit 
bald  zu  erliegen  fürchtete.  Aber  die  Braut  erklärte  mutig,  sie  wolle  bei 
ihm  ausharren  bis  in    den  Tod;    sie    heirateten    und  verlebten  noch  über 


1)  Gedächtnisrede,  gehalten  am  22.  März  1918  im  Verein  für  Volkskunde. 

2)  Ein    Ölgemälde    von    Prof.  Fritz  Burger   war    im   Saale    aufgestellt.     Ein    andres 
Bildnis  ist  dem  25.  Bande  dieser  Zeitschrift  beigegeben. 

ZeitBchr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft  3.  13 


186  Bolte: 

12  Jahre  einer  glücklichen  Ehe.  Der  einzige  Sohn,  der  ihr  entspross, 
wurde  Maximilian  Friedrich  Heinrich  genannt,  er  erblickte  am 
28.  Oktober  1850  in  der  Dessauerstr.  2  das  Licht  der  Welt.  Er  besuchte 
das  damals  von  Bonnell  geleitete  Friedrichs-Werdersche  Gymnasium  am 
Werderschen  Markt  und  zeigte  trotz  mehrfacher  Kränklichkeit  besonderen 
Eifer  für  den  lateinischen,  griechischen  und  deutschen  Unterricht.  An- 
regend wirkte  hier  namentlich  sein  Lieblingslehrer,  der  originelle  Professor 
Klemens,  der  später  am  Luisenstädtischen  Gymnasium  auch  der  meinige 
war.  Das  Abiturientenzeugnis,  das  ihn  einen  der  wohlgeartetsten  Schüler 
nennt,  rühmt:  'Sein  Fieiss  erstreckte  sich  vielfach  über  das  Geforderte 
hinaus'.  Mit  einer  Reihe  von  Mitschülern,  wie  dem  späteren  Kammer- 
gerichtsrat Jungk  f,  dem  Geh.  Medizinalrat  Posner,  dem  Geh.  Sanitätsrat 
Körte,  dem  Direktor  des  KöUnischen  Gymnasiums  Prof.  Gilow,  dem 
Geh.  Baurat  Labes,  dem  Staatsanwalt  Wagner  f,  blieb  er  bis  zu 
seinem  Lebensende  in  treuer  Freundschaft  verbunden.  Am  28.  März 
1870,  also  ein  Vierteljahr  vor  dem  Ausbruch  des  deutsch-französischen 
Krieges,  bestand  er  die  Abgangsprüfung  und  stand  nun  vor  der 
Wahl  eines  Berufes.  Gern  hätte  er  wohL  wie  er  später  erzählte,  viel- 
leicht durch  die  Verbindung  des  Grossvaters  mit  dem  Kadettenkorps 
beeintlusst,  die  Offizierslaufbahn  ergrifPen,  und  er  sah  es  später  mit  be- 
sonderer Genugtuung,  dass  seine  ältere  Tochter  einem  Artillerieoffizier 
die  Hand  reichte  und  dass  sein  Sohn  als  Fahnenjunker  in  den  Dienst  des 
Vaterlandes  trat;  —  aber  als  er  sich  1870  zum  Militärdienst  meldete, 
wurde  er  wegen  seiner  Kurzsichtigkeit  nicht  angenommen.  Er  zog  also 
auf  die  Universität  Heidelberg,  um  Philologie  zu  studieren,  und  zwar 
die  klassischen  Sprachen.  Er  hörte  bei  Stark  Kunst-  und  Kulturgeschichte 
der  alten  Welt,  bei  Lefmann  griechische  Grammatik,  bei  Kayser  Äschylus, 
bei  Wattenbach  griechische  Paläographie,  bei  Treitschke  endlich  Geschichte 
des  Reformationszeitalters.  In  Berlin,  wohin  er  mit  dem  Ausbruche  des 
Krieges  zurückgekehrt  war,  zogen  ihn  die  Vorlesungen  Steinthals  zur 
vergleichenden  Sprachwissenschaft  hin;  er  lernte  bei  Albrecht  Weber 
Sanskrit,  wenn  er  auch  sich  zugleich  von  Kirchhoff  in  Euripides  und 
Pindar,  von  Haupt  in  Homer,  Horaz  und  Catull  einführen  liess;  dann  aber 
wandte  er  sich  entschlossen  der  Germanistik  zu,  er  wurde  ein  ergebener 
Schüler  Mülleuhoffs,  bei  dem  er  Kollegien  über  die  deutsche  Grammatik, 
die  Geschichte  der  altdeutschen  Poesie,  die  Germania,  den  Beowulf,  die 
Edda,  die  Nibelungen  belegte  und  von  dem  er  in  seine  deutsche  Gesell- 
schaft aufgenommen  wurde.  Seine  ersten  Arbeiten  richteten  sich,  wohl 
auf  Müllenhoffs  Anregung,  auf  die  Literatur  des  11.  und  12.  Jahrhunderts, 
jener  Übergangszeit,  die  Wilhelm  Scherer  eben  in  glänzend  geschriebenen 
Studien  beleuclitet  hatte.  Scherer,  der  für  jene  lange  gering  geachteten 
geistlichen  Dichtungen  zu  interessieren  wusste,  indem  er  auf  die  Ver- 
schiedenheit   der    landschaftlichen  Mundarten    hinwies    und    der    höheren 


Max  Roediger  f.  187 

Kritik  Aufgaben  stellte,  wirkte  damals  (1872—77)  an  der  neubegründeten 
Strassburger  Universität  in  der  Vollkraft  seiner  anregenden  und  be- 
geisternden Persönlichkeit  und  sammelte  einen  Kreis  talentvoller  Schüler 
um  sich  —  ich  nenne  nur  Erich  Schmidt,  Franz  Lichtensteiu,  Rudolf 
Henning,  Philipp  Strauch,  Johannes  Franck,  Heinrich  Zimmer,  Richard 
Maria  Werner,  Joseph  Seemüller. 

Nach  Strassburg  strebte  auch  Roediger,  um  dort  seine  Studien  ab- 
zuschliessen,  doch  hemmte  ein  Missgeschick  seinen  Wunsch.  Beim  Rudern 
hatte  er  sich  1873  eine  Kniegelenkentzündung  zugezogen,  die  sich  durch 
die  verkehrte  Behandlung  des  von  Prof.  Wilms  empfohlenen  Heil- 
gehilfen so  verschlimmerte,  dass  seine  Studien  fast  ein  Jahr  lang  unter- 
brochen wurden  und  das  Bein  dauernd  steif  blieb.  Im  April  1875 
endlich  konnte  er  sich  in  Strassburg  immatrikulieren  lassen,  wo  neben 
Scherer  noch  ein  zweiter  Schüler  Müllenhott's,  der  Berliner  Steinmeyer, 
wirkte.  Schon  im  folgenden  Semester,  am  15.  Januar  1876,  wurde  er 
zum  Doktor  promoviert  und  ein  halbes  Jahr  später  als  Privatdozent  in 
den    Lehrkörper  der  Universität  aufgenommen. 

Vier  Jahre  darauf  treffen  wir  ihn  wieder  in  der  Heimat.  Der  Strass- 
burger Privatdozent  siedelte  an  die  Berliner  Universität  über  und  hielt 
hier  am  10.  Juli  1880  seine  Antrittsvorlesung  über  die  mhd.  Schriftsprache. 
Zugleich  übernahm  er  noch  ein  anderes  Amt.  Nach  dem  plötzlichen 
Eingehen  der  Jenaer  Literaturzeitung  (Ende  l<S7i>)  hatte  die  Weidmannsche 
Buchhandlung  (Hans  Reimer)  den  Plan  gefasst,  ein  neues  Unternehmen 
an  ihre  Stelle  zu  setzen.  Zum  Leiter  dieser  'Deutschen  Literaturzeitung' 
wurde  auf  Empfehlung  des  inzwischen  nach  Berlin  berufenen  Wilhelm 
Scherer  unser  Roediger  ausersehen,  und  er  hat  diesen  Posten  vom  Oktober 
1880  bis  zum  März  1886  mit  Gewissenhaftigkeit,  Geschick  und  Glück  ver- 
sehen, bis  er  ihn  infolge  von  Überbürdung  an  August  Fresenius  abgab. 
So  wurde  es  ihm  auch  möglich,  im  September  1880  seine  Braut  Eda 
Kadeu  aus  Dresden,  deren  Gesang  er  in  Strassburg  bewundert  und  die  er 
dann  im  Hause  des  Professors  Simon  kennen  gelernt  hatte,  heimzuführen. 
Leider  dauerte  das  junge  Eheglück  nicht  lange;  jäh  wurde  es  noch  vor 
Ablauf  eines  Jahres  durch  den  Tod  zerrissen,  der  die  Gattin  nach  der 
Geburt  einer  Tochter  dahinraffte.  Schwer  trug  Roediger  an  diesem  Ver- 
luste, doch  seine  Mutter  siedelte  zu  ihm  über  und  übernahm  die  Er- 
ziehung des  Kindes.  Das  Jahr  1883  brachte  ihm  die  Ernennut]g  zum 
ausserordentlichen  Professor,  als  er  die  Berufung  nach  Basel  auf  den 
durch  Moriz  Heynes  Weggang  nach  Göttingen  freigew'ordenen  germa- 
nistischen Lehrstuhl  abgelehnt  hatte.  Roediger  wäre  diesem  ehrenvollen 
Rufe  wohl  gern  gefolgt,  aber  die  Rücksicht  auf  seine  Mutter,  der  er  die 
PÜege  seines  einzigen  Kindes  übergeben  hatte  und  die  sich  nicht  von 
Berlin  trennen  mochte,  hielt  ihn  zurück.  Später  hat  er  diesen  Entschluss 
öfter  bedauert.     Sein  Leben  war  nun    an  seine  Vaterstadt  gebunden  und 

13* 


188  Rolte: 

floss    gleichmässig-    in    stiller,   emsiger  Tätigkeit    ohne    grösseren   Wechsel 
(lahiu. 

Seine  germanistischen  Arbeiten  begannen,  wie  schon  erwähnt,  mit 
Untersuchungen  der  geistlichen  Dichtungen  des  11.  und  12.  Jahrhunderts. 
Er  nahm  Scherers  scharfsinnige  Vermutung  von  sechs  verschiedenen  Ver- 
fassern der  Wiener  Genesis  auf  und  verteidigte  sie  gegen  Vogt.  In  seiner 
Doktorschrift  verglich  er  die  Litanei  Heinrichs  mit  den  Dichtungen 
Heinrichs  von  Melk  auf  Mundart,  Reimkunst,  Versbau,  Stil  und  Quellen, 
um  schliesslich  trotz  vieler  übereinstimmenden  Züge  auf  eine  Identifi- 
zierung beider  Autoren  zu  verzichten.  Er  gab  die  Millstätter  Sünden- 
klage mit  ausführlichen  Erläuterungen  neu  heraus.  1905  folgte  eine 
musterhafte  Ausgabe  des  Annoliedes,  jenes  merkwürdigen  Gedichtes  auf 
den  Kölner  Erzbischof,  das  uns  Martin  Opitz  durch  seinen  Abdruck  einer 
seither  verlorenen  Hs.  aufbewahrt  hat,  in  den  Monumenta  Germaniae  mit 
ausführlichen  Untersuchungen.  Seinen  textkritischen  Scharfsinn  bewährte 
Roediger  in  seinen  kritischen  Bemerkungen  zum  Nibelungenliede  (1884), 
in  denen  er  auf  Lachmanns  Bahnen  fortschritt,  ohne  sich  doch  ihm  un- 
bedingt und  überall  anzuschliessen.  Wenn  er  hier,  wo  ästhetische  Er- 
wägungen eine  grosse  Rolle  spielen,  nicht  immer  die  Leser  überzeugt. 
so  liegt  das  grossenteils  in  der  Natur  der  behandelten  Probleme.  Von 
seinem  eindringenden  Studium  der  Heldensage  legen  einige  kleinere  Auf- 
sätze wie  der  über  Ermenrich  und  Schwanhild  im  1.  Band  unserer  Zeit- 
schrift und  sein  zusammenfassender  Bericht  in  Bethges  P^rgebnissen  und 
Fortschritten  der  germanistischen  Wissenschaft  (1902)  Zeugnis  ab.  Er  war, 
wie  seine  inhaltreichen  Bücheranzeigen  erweisen,  ein  ungemein  fleissiger 
und  streng  urteilender  Arbeiter,  aber  eilfertiger  Produktion  durchaus 
abhold.  Hierin  glich  er  seinem  Lehrer  Müllenhoff,  dessen  Zurückhaltung 
er  1887  selber  mit  den  Worten  charakterisiert:  'Niemand  kann  strenger 
gegen  sich  selbst  und  schwerer  mit  sich  zufrieden  sein,  als  Müllenhoff  es 
war,  und  vornehmlich  die  hohen  Forderungen,  die  er  an  die  eigene 
Arbeit  stellte,  wurden  ihm  zum  Hemmnis  für  Vorrücken  und  Abschluss'. 
Und  welches  Vertrauen  Müllenhoff  auf  seinen  treuen  Schüler  setzte,  zeigt 
die  Bestimmung  in  seinem  Testamente,  dass  Roediger  sich  seiner  Hinter- 
lassenschaft annehmen  solle.  So  hatte  dieser  denn  nach  Müllenhofifs  Tod 
(1884)  die  neuen  Auflagen  der  Paradigmata  und  des  Laurin  zu  besorgen, 
und  bald  erwuchs  ihm  auch  die  schwierige  Pflicht,  das  unvollendet 
gebliebene  grossartige  Werk  der  Deutschen  Altertumskunde  Müllen- 
hoffs  zu  Ende  zu  führen,  nachdem  Scherer,  der  dies  zunächst  über- 
nommen hatte,  durch  den  Tod  abberufen  worden  war.  Es  galt  hier,  auf 
jede  eigene  Meinung  zu  verzichten  und  nur  die  Ansichten  Müllenhoffs  aus 
dessen  Kollegienheften  und  Einzelarbeiten  zusammenzustellen  und  in  eine  les- 
bare Form  zu  bringen.  Diese  mühevolle  Arbeit  ist  Roediger  gelungen  und  von 
allen  Seiten  gedankt  worden;  aber  mühevoll  und  entsagungsreich  war  sie, 


Max  Roediger  f-  189 

und  mit  Recht  durfte  er  1900  in  der  Vorrede  zum  4.  Bande  klagen:  'Der 
Band  hat  mehr  Zeit  und  Arbeit  verschlungen,  als  sich  mit  den  Pflichten 
gegen  mich  selbst  verträgt,  und  bis  zu  Ende  traten  mir  immer  von  neuem 
Hindernisse  entgegen,  die  seinen  Abschluss  verzögerten.  Um  so  bitterer 
und  qualvoller  ist  mir  der  Zwang  geworden,  so  lange  Zeit  die  Gedanken 
eines  anderen  denken  und  möglichst  in  seinen  Worten  reden,  die  eigene 
Meinung  aber  unterdrücken  zu  müssen".  Bis  auf  den  6.  Band,  der  die 
Ausbildung  und  die  Geschichte  des  deutschen  Volksepos  bis  zur  Zer- 
störung des  altgermanischen  Wesens  vorführen  sollte,  liegt  Müllenhoffs 
Werk  nun  dank  Roedigers  Arbeit  als  ein  fertiges,  stattliches  (Ganzes  vor 
und  wird  noch  lange  der  Forschung  die  Wege  weisen. 

Roedigers  Lehrtätigkeit  an  der  Universität,  die  sich  über  einen  mehr 
als  vierzigjährigen  Zeitraum  (vom  April  1876  bis  März  1917)  erstreckt, 
entzieht  sich  den  Blicken  Aussenstehender;  ich  vermag  nur  einige  Um- 
risse zu  zeichnen.  Am  häufigsten  trug  er  seit  1876  die  Grammatik  der 
deutschen  Sprache  in  ihrer  Gesamtheit  oder  in  ihren  älteren  Stufen  und 
Mundarten  vor,  ferner  die  altdeutsche  Metrik  (seit  1877),  bisweilen  (1888) 
mit  Einschluss  der  neueren,  die  Mythologie  (seit  1881)  und  Heldensage 
(1890)  und  die  Geschichte  der  Literatur  bis  1350,  1300  oder  1200.  Dazu 
kamen  Übungen  im  Seminar  und  Einführungen  in  einzelne  Schriftwerke 
des  Mittelalters  vom  Heliand  und  Otfrid  an  bis  ins  16.  Jahrhundert,  be- 
sonders in  das  Nibelungenlied,  Gudrun  und  Walther  von  der  Vogelweide; 
daneben  behandelte  er  kleinere  ahd.  Gedichte,  Denkmäler  des  8. — 12.  Jahrh  , 
den  König  Rother,  Iwein,  Parzival,  die  Lyriker  des  12—14.  Jahrb., 
Albrecht  von  Eyb,  mehrmals  auch  den  lateinischen  Waltharius  Ekkeharts 
(1S89)  und  die  Germania  des  Tacitus  (1912).  Dass  er  mit  der  ihm  eignen 
umfassenden  Gründlichkeit  das  übrige  weite  Gebiet  der  germanistischen 
Wissenschaft  beherrschte  und  ebenso  in  der  neueren  I^iteratur  heimisch 
war,  zeigt  sein  1885  angekündigtes  Kolleg  über  Schillers  Jjeben  und 
Schriften,  wie  er  sich  ja  auch  an  der  Weimarer  Goetheausgabe  beteiligte, 
sowie  die  Übungen  über  das  deutsche  Volkslied,  die  er  1913  anstelle  des 
verstorbenen  Freundes  Erich  Schmidt  übernahm.  Ausgewählte  Kapitel 
der  Volkskunde  hatte  er,  einem  vielfach  geäusserten  Wunsch  entgegen- 
kommend, seit  1909  mehrmals  in  einem  einstöndigen  Publikum  vorgetragen. 
Einen  Überblick  über  die  deutsche  Philologie  gab  er  nur  einmal  (1893). 

Roediger  war  ein  gewissenhafter  Lehrer,  dessen  Vortrag  sich  durch 
Klarheit  und  Fasslichkeit  auszeichnete.  Liebevolle  Hilfsbereitschaft  zeigte 
er  allen  Lernenden  und  Strebenden,  die  er  auch  im  persönlichen  Verkehr 
durch  Ratschläge  förderte,  wo  er  nur  konnte.  Die  Unterrichtsverwaltung 
hat  seine  Verdienste  auf  diesem  Gebiete  1908  durch  die  Ernennung  zum 
Geh.  Regierungsrat  anerkannt.  Von  seiner  Tätigkeit  in  der  wissenschaft- 
lichen Prüfungskommission  (1886—1896)  weiss  ich  leider  nichts  Näheres 
zu    berichten.     Aus    gemeinsamer  Arbeit    in    der    preussischen   Volkslied- 


190  Bolte: 

koinniission  ist  mir  aber  seine  feine  Empfindung  für  alles  walirliaft 
l^ichterische  und  seine  Gewandtheit  in  der  Textbehandlung  und  sinnigen 
Ciruppierung  der  ausgewählten  Lieder  in  frischer  Erinnerung.  Besass  er 
doch  selber  ein  glückliches  und  im  Familienkreise  öfter  geübtes  Talent, 
sich  in  Versen  auszusprechen.  So  verdeutschte  er  1892  zur  Begrüssung 
des  Berliner  Neuphilologentages  mehrere  der  von  Haupt  und  Tobler 
herausgegebenen  französischen  Volkslieder,  wobei  er  den  Volkston  aufs 
beste  traf.  Ich  kann  mir  nicht  versagen,  Ihnen  als  Probe  die  Übersetzung 
der  Romanze  von  Jean  Renaud  vorzulesen,  deren  Inhalt  Ihnen  die  dänische 
Ballade  von  Herrn  Oluf  ins  Gedächtnis  zurückrufen  wird  (Festschrift  1892 
S.  163).  Es  ist  wohl  nicht  bloss  ein  neckischer  Zufall,  dass  Roediger  im  selben 
Jahre  1892  in  der  Zs.  f.  dt.  Altertum  Textbesserungeu  zu  dem  geistlichen 
Gedichte  des  12.  Jahrh.  von  der  Hochzeit  veröffentlichte.  Denn  gerade 
damals  hatte  er  nach  langer  Witwereinsamkeit  eine  neue  Lebensgefährtin 
erwählt  und  seiner  heranwachsenden  Tochter  eine  Mutter  gegeben. 
Wiederum  hatte  die  Musik  die  beiden  Gatten  in  einem  befreundeten 
Hause  zusammengeführt,  und  sie  verschönte  auch  weiterhin  das  neue 
häusliche  Glück.  Als  beide  im  vorigen  Jahre  das  Fest  der  Silberhochzeit 
begingen,  da  standen  vor  ihnen  zwei  stattlich  herangewachsene  Kinder 
neben  der  aus  der  Ferne  herbeigeeilten  Tochter,  dem  Sc"hwiegersohne 
und  dem  Enkel. 

Gross  war  der  Kreis  der  Freunde,  die  Roedigers  lautere,  treue 
Gesinnung,  sein  neidloses,  durch  widrige  P^rfahrungen  nie  verbittertes 
Gemüt  erkannt  hatten;  verschiedene  gelehrte  A^ereinigungen,  wie  die 
Mittwochsgesellschaft,  die  Gesellschaft  für  deutsche  Philologie,  die 
Gesellschaft  für  neuere  Sprachen,  zählten  ihn  mit  Stolz  zu  ihren  Mitgliedern; 
keine  aber  ist  ihm  mehr  üauk  schuldig  als  unser  Verein  für  Volks- 
kunde. Diesem  gehörte  Roediger  seit  seiner  Gründung  im  Jahre  1890, 
wo  Karl  Weinhold  die  jahrelang  verwaiste  Professur  Müllenhoff's  über- 
nommen hatte,  an;  er  steuerte  schon  zum  ersten  Bande  unserer  Zeitschrift 
eine  sagengeschichtliche  Abhandlung  bei,  wurde  im  vierten  Vereinsjahre 
zum  Schriftführer  und  1901  nach  Weinholds  Tode  zu  seinem  Nachfolger 
erwählt.  Fürwahr  für  uns  eine  glückliche  Wahl!  War  er  früher  in 
seiner  Kritik  literarischer  Leistungen  mit  unerbittlicher  Strenge  aufgetreten, 
so  entfaltete  er  hier  eine  gewinnende  Liebenswürdigkeit  und  ein  glänzendes 
Führertalent;  ohne  der  Würde  der  Wissenschaft  etwas  zu  vergeben,  wusste 
er  die  Reihe  der  Sitzungen  anziehend  und  mannigfach  zu  gestalten  und 
unsere  Verhandlungen  vor  Einseitigkeit  und  Verflachung  zu  bewahren. 
Ihm  stand  auch  ein  anmutiger,  schalkhafter  Humor  zur  Verfügung,  durch 
den  er  öfter  trockene  Darlegungen  würzte.  Wie  trefPend  schilderte  er  in 
seinen  Nachrufen  auf  verstorbene  Fachgenossen  und  Vereinsmitglieder, 
unter  denen  sich  der  auf  Karl  Weinhold  zu  einer  wissenschaftlichen  Bio- 
graphie erweiterte,  die  Eigenart  und    die  besonderen  Verdienste    des  ein- 


Max  Roediger  7.  191 

zelaeii!  Gewiss  erinnern  sich  manclie  unter  Ihnen  noch  seines  anziehenden 
Vortrages  über  Friedrich  den  Grossen  in  Sagen  und  Märchen  des  Volkes 
(1912).  Bedauerlicherweise  ist  er  nicht  mehr  zur  Ausarbeitung  dieser 
Studie  für  unsere  Zeitschrift  gelangt,  so  oft  ich  ihn  auch  mahnte.  Auch 
der  Yon  ihm  mit  Freude  ergriffene  Plan  eines  Handbüchleins  der  Volks- 
kunde für  die  oberen  Klassen  unserer  höheren  Lehranstalten  blieb  unaus- 
geführt. 

Trauernd  blicken  wir  nach  diesem  unserm  unermüdlich  sorgenden, 
milden  Leiter  zurück,  der  in  der  strengen  Schulung  Müllenhoffs  auf- 
gewachsen, die  beste  Tradition  der  Berliner  Germanistik  verkörperte,  der 
pietätsvoll  und  doch  ohne  engherzige  Befangenheit  in  den  Bahnen  der  alten 
Meister  seines  Faches  wandelte,  der  mit  reichen  Kenntnissen  ein  treues 
Herz  und  warme  Heimatsliebe  verband.  Bedrückt  fragen  \Yir:  Kann 
diese  Lücke  je  ausgefüllt  werden?  —  Doch  er  selber  antwortet  auf  unsre 
Frage  mit  einer  Mahnung,  die  er  vor  sieben  Jahren  nach  einem  schmerzlich 
empfundenen  Todesfalle  an  einen  Freund  richtete: 
Trauernd  sehen  wir  zurück; 

Doch  mit  sanftem  Schleier 

Wehrt  die  Zeit  dem  trüben  Blick, 

Und  wir  schauen  freier. 

Nichts,  das  war,  kann  je  vergehn; 
Was  erstarb,  lebt  weiter. 
Bleibe  nicht  bekümmert  stehn. 
Bleib  ein  Vorwärtsschreiter! 

Trage  weiter  schlecht  und  recht 
Lebens  Lust  und  Lasten! 
Aus  uns  selbst  ein  neu  Geschlecht 
Fasst  sie,  wenn  wir  rasten. 

Den  Lebend'gen  ist  es  PHichr 
Unser  Herz  zu  schenken. 
Und  die  Toten  kränkst  du  nicht, 
Willst  du  nur  gedenken. 
Ja,  wir  werden  unsern  teuren  Entschlafenen  nie  vergessen. 


Verzeichnis  der  Schriften  Koedigers.^) 
1H7Ö. 

Die    Wiener    Genesis.     ZfdA'.  18,  26:5-280  ^vgl.  F.  Vogt,  Über  Genesis  und  Exodus 
in  Paul-Braunes  Beiträgen  2,  208-317,  besonders  den  Nachtrag  auf  S.  315). 


1)  Die  Abkürzungen  bedeuten:  AfdA.  =  Anzeiger  für  das  deutsche  Altertum,  Archiv 
=  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen,  DLz.  =  Deutsche  Literaturzeituog, 
GgA.  =  Göttingische  gelehrte    Anzeigen,  Nd.  Kbl.  =  Korrespondenzblatt    des    Vereins  für 


192  Bolt^= 

187G. 

Vogt  und  die  einheitliche  Genesis.  Zur  Abwehr.  ZfdA.  19,  148—154.  —  Die  Litanei 
und  ihr  Verhältnis  zu  den  Dichtungen  Heinrichs  von  Melk.  Strassburger  Diss.  Berlin. 
Weidmann.  105  S.  (zugleich  in  ZfdA.  19,  241—346).  —  Die  Millstätter  Sündenklage. 
ZfdA.  20,  255-323.  —  Rec.  Scherer,  Geistliche  Poeten  II.  AfdA.  1,  65 -8S.—  Edzardi. 
Untersuchungen  über  S.  Oswald.     AfdA.  2,  245—262. 

1877. 

Trierer  Bruchstücke  11.  Ägidius.  ZfdA.  21,  331-412.  —  Rec.  Urthographische 
Litteratur  (Verhandlungen  der  Berliner  Konferenz.  Duden.  Michaelis.  Bezzenberger. 
Fiikke).     AfdA.  3.  256-269. 

1878. 

Trierer  Bruchstücke  lil.  Silvester.  ZfdA.  22,  145—209.  —  Zu  Ulrichs  von  Lichten- 
stein Büchlein.  ZfdA.  22,  380-382.  —  Rec.  Der  Ackermann  aus  Böhmen  fd.  Kniescheck. 
AfdA.  4,  352—358. 

1S79. 

Rec.  Weinhold,  Mlid.  Giammatik.  AfdA.  5,  4U— 47.  —  Heiland  ed.  Sievers.  AfdA. 
5,  267—289.  —  Werner,  Laniltrechts  Alexander.  AfdA.  5,  416—425.  —  Steinmeyer-Sievers, 
Ahd.  Glossen  I.     ZfGymn.  33,  320-322. 

18S0. 

Rec.  Wiegand,  Urkunden  der  Stadt  Strassburg  I.  AfdA.  6,  91—94.  —  Eisen, 
Raumer  und  die  Rechtschreibung.  AfdA.  6,  94-97.  —  Busch,  Mittelfränkisches  Legendär. 
AfdA.  6,  221-227.  —  Köhler,  Mlid.  Lautlehre.  ZfGymn.  34,  133-136.  —  Bernhardt,  Mhd. 
Laut-  und  Flexionslehre.  ZfGymn.  34,  136—138.  —  Dangkrotzheim,  Namenbuch  ed. 
Pickel.  ZfGymn.  34,  138—143.  —  Lampreeht  von  Regensburg.  Francisken  Leben  ed. 
Weinhold.     DLz.  1880,  233.  —  KhuU,  Johannes  von  Frankenstein.     DLz.  1880,  371. 

1881. 

Rec.  Braune,  Gotische  Grammatik.  DLz.  1881,  123  f.  —  Grimm,  Briefwechsel  aus 
der  Jugendzeit.  Meusebachs  Briefwechsel  mit  J.  und  W.  Grimm.  DLz.  1881,  664-66.— 
Walther  von  der  Vogelweide,  nachgedichtet  von  Schröter.  DLz.  1881,  818.  —  Vogt, 
Salomon  und  Markolf.  DLz.  1881,  1038.  —  Sanders,  Silbenmessung  und  Versbunst 
DLz.  1881,  1441  f.  —  Geistbeck,  Historische  Wandlungen.  DLz.  1S81,  1577  f.  —  Bern- 
hardt, Mhd.  Lautlehre-.     ZfGymn.  35,  359. 

1.SJS2. 

In  Sachen  der  Trierer  Bruchstücke.  ZfdA.  26,  240  f.  —  MF.  48,  13.  ZfdA.  26, 293  f. 
—  Rec.  Fahre  d'Envieu,  Dictionnaire  alleniand.  DLz.  1882,  127  f.  —  Wenker,  Sprach- 
atlas. DLz.  1882,  248  f.  —  Hartmann,  Armer  Heinrich  ed.  Haupt  und  Martin.  DLz. 
1882,  534  f.  -  Simrock,  Heliand.  DLz.  18S2,  1059  f.  —  Klnge,  Etymologisches  Wörter- 
buch. DLz.  1882,  1080.  —  Pirig,  Die  jüngere  Judith.  DLz.  1882,  1578.  —  Weinhold, 
Kleine  mhd.  Grammatik.  Paul,  Mhd.  Grammatik.  DLz.  1882,  1698.  —  Petersen,  Götter- 
glaube des  Nordens.     DLz.  1882,  1752.  -  W.  Grimm,  Kl.  Schriften  1.     DLz.  1882,   1777. 

l>S8;i. 

Rec.  v.  Muth,  Mhd.  Metrik.  AfdA.  9,  329-339.  —  J.  Grimm,  Kl.  Schriften  6. 
DLz.  1883,  11.  —  Schade,  AM.  Wörterbuch«.  DLz.  1883,  87  f.  —  Braune,  Gotische 
Grammatik».  DLz.  1883,  190  f.  —  Lehmann,  Sprachliche  Sünden.  DLz.  1883.  234  f.  — 
Lohmeyer,    Ulrich    von   Türheims  Willehalm.     DLz.  1883,  336.  —  Sobel,  Accente  Otfrids. 


niederdeutsche  Sprachforschung,  ZfdA.  ^  Zeitschrift  für  das  deutsche  Altertum,  ZfdPh.  = 
Zeitschrift  für  deutsche  Philologie,  ZfGymn.  =  Zeitschrift  lür  das  Gymnasialwesen,  ZfVk. 
=  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde.  —  Nicht  verzeichnet  ist  die  Redaktion  der 
deutschen  Literaturzeitung  vom  Oktober  1880  bis  zum  März  1886,  die  Sitzungsberichte 
in  der  Zs.  für  Volkskunde  4  bis  11  (1894  Ins  1901)  und  die  Herausgabe  der  Schriften 
zur  germanischen  Philologie  (neun  Bände  von  Traube,  Rannow,  Kelle,  Herrmann,  Köhn, 
Heusler,  Ernst  Zupitza,  Pachaly.     Berlin,  Weidmann  1888— 1899\ 


Max  Roediger  f.  193 

DLz.  1883,  662  f.  —  Beowulf  ed.  Zupitza.  DLz.  1883,  1039.  —  W.  Grimm,  Kl.  Schriften  3. 
DLz.  1883,  1506.  —  Lachmann-Haupt,  MSF.»  DLz.  1883,  1570  f.  —  Hahn,  Ahd.  G^ammatik^ 
DLz.  1883,  1679f.  —  Andresen,  Volksetymologie*.  DLz.  1883,  1730.  —  Otfrid  ed.  Erdmann. 
DLz.  1883,1783-85.  -  Zimmerische  Chronik«.     DLz.  1883,  1S23-25. 

1884. 

Kritische     Bemerkungen     zu     den     Nibelungen.      Berlin,     Weidmann.    VIII,    94  S. 

(rec.  Steinmejcr,  AfdA.  11,  81-35.     Kettner,  ZfdPh.  17,  255  f.     Schönbach,  ZföGymn.  36, 

48  f.     Symons,  Litbl.  1885,  447  f.     Chuquet,  Revue  crit.     1886,27—29.)  —  Rec.  Weinhold. 

Mild.  Grammatik*.     GgA.  1884,  431-37.  —  Weitbrecht,  Gudrunlied.    DLz.  1884,  521-23. 

—  Aventinus,  Werke  1  ed.  Lexer.  DLz.  1884,  1431.  —  Goedeke,  Grundriss»  1.  DLi.  1884, 
1824—26.  —  Ziegler,  Soldatenlieder.  Hermann-Pogatschuigg,  Volkslieder  aus  Kärnten. 
DLz.  1884,  1890  f.  —  Bernhardt,  Bibel  des  Vulfila.     DLz.  1884,  1650  f. 

1SS5. 
Jacob    Grimm.     Westermauns    Monatshefte    29,  29—40.  —  Rec.    König    Rother    ed. 
V.  Bahdpr.    AfdA.  11,  109-116.  —  Lamprechts  Alexander  ed.  Kinzel.     AfdA.  11,  257-281. 

—  Aventinus,  Werke  2—3.  DLz.  1885,  719  f.  —  Mannliardt,  Mythologische  Forschungen. 
DLz.  1885,  930-33. 

1886. 
Müllenhoff,  Altdeutsche  Sprachproben,  4.  Aufl.  Berlin,  Weidmann.  VIII,  150  S. 
(rec.  Bchaghel,  Litbl.  1886,  486;.  —  Laurin,  ein  tirolisclies  Heldtnmärchcn  au.<  dem  Anfang 
des  13.  Jahrh.  lisg.  von  Müllenhoff.  2.  AuH.  Berlin,  Weidmann.  IIT,  76  S.  —  Deutsche 
Reimprosa.  ZfdA.  30,  84  f.  —  Rec.  Jahn,  Opfcrgcbriiuche.  DLz.  1886,  82-85.—  Lexer, 
Mhd.  Taschenwörterbuch.  DLz.  1886,  119.  —  Schwartz,  Indogermanischer  Volksglaube, 
DLz.  1886,  659-62.  —  W.  Meyer,  Aventin.  DLz.  1886,  816  f.  —  Laistner,  Nibelungen- 
lied.    DLz.    1886,  1063.  —  Koberstein,  Grundriss''.     DLz    1886,  1790  f. 

1887. 
MüUcnhoif,  Deutsche  Altertumskunde.    2,  Band.     Berlin,  Weidmann,  XVI,  407  S.  — 
Hildeburg  und  Ortrun.     ZfdA.  31,  282-287.  —  Rec.  W.  Müller,  Mythologie  der  deutschen 
Heldensage      DLz.  1.S87.  1617-20. 

1888. 
Rec.     Aventin,    Werke  2,  2.     DLz.  1888,  593  f.    —    Braune,    Gotische    Grammatik^ 
DLz.  1888,  769  f. 

1889. 
Müllenhoff,  Paradigmata.     6.  Aufl.    Berlin,   Hertz  (rec.  Franck,  AfdA.  16,  332  f.).  — 
Bemarkungen  zu  den  Denkmälern.     ZfdA,  33,  412—423.    —    Rec.    Franz.    Mythologische 
Studien.     DLz.  1889,  1778  f, 

1890. 
Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde  1.  Band.  Neuer  vermehrter  Abdruck.  Berlin, 
Weidmann.  XXXV,  514  S.  —  Jrät.  Nd.  KbL  14,  62.  —  Rec.  Möller,  Ahd.  Alliterations- 
poesie. DLz.  1890,  1648-50  —  Lachmann-Haupt,  MF.*  DLz.  1890,  1800.  —  Wagner, 
Streitzüge.  Archiv  84,  149.  —  Schachinger,  Die  Kongruenz  in  der  mhd.  Sprache. 
Archiv  84.  150. 

1891. 
Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde.  Band  5.  2.  Berlin,  Weidmann.  VII,  S.  359 
bis  417.  —  Die  Sage  von  Ermenrich  und  Schwanhild.  ZfVk.  1,  241-250.  —  Nochmals 
zum  Hildebrandsliede.  ZfdA.  35,  174-176;  vgl.  die  Beiichtigung  AfdA.  17,  184.  — 
Goethes  Theaterleitun,'.  Archiv  87,  55-60.  —  Rec.  Brandstetter,  Luzerner  Mundart. 
DLz.  1891,  271.  -  Kauffmann,  Dt.  Mythologie.  DLz.  1891,  1050—53.  —  J.  Grimm,  Kl. 
Schriften  8  DLz.  1891,  1568.  —  v.  Sosnosky,  Sprachsünden  Archiv  86,  93.  —  Flaisch- 
len,  Literaturtafel.     Archiv  86,  415. 

1892. 
Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde    3.  Band.     Berlin,  Weidmann.     XVI,  352  S. — 
Conjekturen  zur  Hochzeit.    ZfdA.  36,  254.  —  Stöm,  stüm  Nd.  Kbl.  16,  14.  —  Elf  französische 


194  Bolte: 

Volkslieder  aus  der  Sammlung'  von  Haupt  und  Tobler  übersetzt.  Festschrift  des  5.  Neu- 
philologentages zu  Berlin  1892  S.  143-167.  —  Rec.  Jellingliaus,  Arminius.  Archiv  88, 
78—81.  —  Hartmann,  Iwein  1.  Archiv  88,  81-85.  —  Weede,  Diu  wärheit.  Archiv  88, 
408  f.  —  Wiinmer  og  Jönsson,  Händskriftet  2365.  4".  DLz.  18!)2,  691. 

1893. 

Paradigmata  zur  altsächsischen  Grammatik.  2.  AulL  im  Anschluss  an  die  6  Aufl. 
von  MüUenhoffs  Paradigmata  zusammengestellt.  Berlin,  Weidmann.  15  S.  (rec. 
W.  Schlüter,  Nd.  Jb.  18,  160—163).  —  Rec,  Adam.  Parzival.  Archiv  90,  411.  —  Lach- 
nianns  Briefe  an  Haupt.  Archiv  91.  74.  —  Eckart,  Niedersächsische  Sprachdenkmäler. 
Archiv  91,  281.  —  Jiriczek,  Die  Hvenische  Chronik.  Archiv  91,  297.  —  Boettich^r- 
Kinzel,  Denkmäler.  Archiv  91,  430-34.  —  Wolff,  Die  halbe  Bir.  Archiv  91,  434  f.  — 
Lukas,  Grundbegriffe  der  Kosmogonie.     ZfVk.  3,  464. 

1894. 

Goethe,  Werke.  Weimarer  Ausgabe  17,  1;  Der  Triumph  der  Empfindsamkeit.  — 
Der  grosse  Waldesgott  der  Germanen.  ZfdPh.  27,  1  —  14.  —  Zum  Reichtumb  Priester 
Johanns.  ZfdPh.  27,  385  f.  —  Reo.  Wolfskehl,  Germanische  Werbungssagen.  ZfVk.  4, 
220.  —  Kauffmann,  Dt.  Mythologie^.  DLz.  1894,  87  f.  —  Wright,  Gothic  language.  DLz. 
1894,  302  f.  —  Hess,  Geist  der  dt.  Sprache.  Cremer,  Kein  Fremdwort.  Wustmann, 
Sprachdummheiten.  X,,  Sprachverstand.  Matthias,  Sprachleben.  ScheufÜer,  Ahd. 
Literatur.  Jsb.  für  neuere  dt.  Literaturgeschichte.  Archiv  92,78-89.  —  Gebhardt, 
Handbuch  der  dt.  Geschichte.  Archiv  92,  420,  —  Friedlaender,  Kommersbuch.  Archiv 
92,  420. 

1895. 

Julius  Zupitza.  Archiv  95,  255-58.  —  Über  den  ursprünglichen  Dialekt  des  Anno- 
liedes. Archiv  95,  431.  —  Das  Annolied  hrsg.  in  Monumenta  Germaniae  historica,  Scriptores 
(jui  vernacula  lingua  usi  sunt  1,  2,  63-139.  Hannover,  Hahn.  (rec.  Zbl.  1896,  978  f. 
Schönbach,  DLz.  1897,  1614-17.  Wilmanns,  AfdA.  23,  346-57.  Rosenhagen,  ZfdPh. 
30,  271-280.    Kraus,  ZföGymn.  1896,  226-36.     Scheel,  Jsb.  der  germ.  Phil.  1895,  238  f.) 

1896. 

Zu  Tacitufi  Germania  cap.  28.  AfdA.  22,  399.  —  Rec.  Sattler,  Wolfram.  Priebsch, 
Diu  vrone  botschaft.  Archiv  97,  154.  —  Warbeck,  Magelone.  Archiv  97,  161.  —  Bieul, 
Bibliographical  guide.    Archiv  97,  163.  —  Hartmanns  Iwein  ed.  Henrici.     Archiv  97,  393. 

—  Zschiesche,  Kultusstätten  in  Thüringen.  ZfVk.  6,  225  f.  -  Elton  &  Powell,  Saxo 
Grammaticus.     ZfVk.  6,  452. 

1897. 

Über  die  Klage.  Archiv  98,  414.  —  Über  streitige  Punkte  in  der  Erklärung  der 
Nibelungensage.  Archiv  98,  420  f.,  423.  —  Ein  Stücker  drei.  Nd.  Kbl.  19,  19.  -  Rec. 
Albertus,  Deutsche  Grammatik.  DLz.  1897,  1213.  —  Ölinger,  Deutsche  Grammatik.  DLz. 
1897,  1213-15.  —  Saran,  Otfrid.  DLz.  1897,  1816  f.  —  Joseph,  Frühzeit  des  dt.  Minne- 
sangs. GgA.  1897,  748-52.  -  Härtung,  Altertümer.  ZfGymnw.  41,  100—103.  —  White, 
Dt.  Volkslieder.  Archiv  98,  153-55.  —  Ch.  Schmidt,  Wörterbuch  der  Strassburger  Mund- 
art.    Archiv  98,  146. 

1898. 

Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde  L  Band,  1.  Hälfte.     Berlin,  Weidmann.  384  S. 

—  Ackerbau  und  Acksrverteilung  bei  den  Germanen.  Archiv  100,  361.  —  Rec.  Kraus? 
Gedichte  des  12.  Jalirh.  AfdA.  24,  60-64.  —  Streitberg,  Urgermanische  Grammatik. 
Archiv  100,  378-382. 

1899. 
Rec.  Friedmann,  La  lingua  gotica.     Archiv  103,  162. 

1900. 

Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde  4.  Band,  2.  Hälfte.  Berlin,  Weidmann.  XXIV, 
S.  385— 701.  —  Rec.  Braune,  Die  Handschriften  des  Nibelungenliedes.  Jsb.  der  germanischen 
Philologie  1900,  88  f. 


Max  Roediger  f-  195 

1901. 

E,  Muret-Sanders,  Encyklopädisches  Wörterbuch  der  englischen  und  deutsclien 
Sprache,  2.  Teil:  Deutsch-englisch.  Berlin,  Langeuscheidt  vVgl.  das  Nnchwort  des  2.  Bandes). 
—  Karl  Weinhold,  Gedächtnisrede.  ZIVL  11,  S53-376.  —  Prieche.  Nd.  Kbl.  22,  18.  — 
Reo.  Schönbach,  Zeugnisse  Bfrtholds  von  Regensburg  zur  Volkskunde.     ZlYk.  11,  229- 31. 

1902. 

Deutsche  Heldensage  und  Heldendichtung  in:  Bethge,  Ergebnisse  und  Fortschritte 
der  germanistischen  Wissenschaft  im  letzten  Vierteljahrhundert,  Leipzig,  Reisland.  S.  579 
bis  608.  —  Die  Flutsagen.  ZfVk.  12,  226.'  —  Japanische  Frauennamen.  ZfVk,  12,  22*;  f. 
'_  Berliner  Leierkastcnlieder.  ZfVk.  12,  247  f.  —  Rec.  Hoffmann-Krajer,  Die  Volkskunde 
als  Wissenschaft.  ZfVk.  12,  237.  —  Hessische  Blätter  für  Volkskunde  1,  1.  ZfVk.  12, 
241.  —  Meitzen,  Zur  Agrargcschichte  Norddeutschlands.  ZfVk.  12,  241  f.  —  E.  Schmidt, 
Oedächtnisrede  auf  Weinhold.     ZfVk.  12,  37(;, 

1903. 

Polka.  Nd.  Kbl.  24,  85  f.  —  Rec.  Behaghel,  Heliani  und  ags.  Genesis.  Archiv  111, 
189—192.  —  Ammann,  Das  Verhältnis  von  Strickers  Karl.  Archiv  111,  430-32.  — 
Herrmann,  Saxo  Grammaticus.  ZfVk.  13,  106  f.  —  Andree,  Braunschweiger  Volkskunde. 
ZfVk.  13,  252  f.  —  Archiv  der  Brandenburgia  9.  ZfVk.  13,  253—55.  —  Reuschel,  Volks- 
kundliche Streifzüge.  ZfVk.  13,  458  -  60.  —  Detter-Hoinzel,  Saemundar  Edda.  ZfVk.  13. 
460-62.     Nachtrag  S.    176. 

1904. 

Mierig.     Nd.  Kbl.  25,  64.  —  Rec.  Kaindl,  Die  Volkskunde.     ZfVk.  14,  248-50. 

1905. 

Max  Bartels  t.  ZfVk.  15.  106  f.  —  A.  Bastian  t.  ZfVK.  15,  241  f.  —  Anna  Wein- 
hold •;-.     ZfVk.     15,  242.  —  Reo.  Wuttke,  Sächsische  Volkskunde^.     ZfVk.  15,  356-59. 

1906 

Moriz  Heyne  t.  ZfVk.  16,  245-  47.  —  ^lüllenhoff.  Deutsche  Altertumskunde  2.  Band. 
Neuer  vermehrter  Abdruck.     Berlin,  W^eidmann.     XXII,  416  S. 

1907. 

Albert  Voss  t.     ZfVk.  17,  113.  —  Beemich  und  Becse.     Nd.  Kbl.  28,  46. 

1908. 

MüUenhoö",  Deutsche  Altertumskunde  .').  Band.  Neuer  vermehrter  Abdruck.  Berlin, 
Weidmann.  VII,  436  S.  (rec.  Heusler,  DLr.  1908,  3100).  —  Laurin  hsg.  von  Müllenhoff, 
3.  Aufl.  Berlin,  Weidmann.  80  S.  —  E.  H.  Meyer  f.  ZfVk.  18,  234-236.  -  Reo. 
Wehrhan,  Die  Sage     ZfVk.  18,  466  f. 

1910. 

In  Berlin,  seggt  he.    Nd.  Kbl.  31,  19.  ~  Rec.  Mielke,  Das  Dorf.  ZfVk.  20,  229-31. 

1911. 

B.  Kahle  f.  ZfVk.  21,  219.  —  Nachtrag  zum  Spruch  der  Toten  an  die  Lebenden. 
ZfVk.  21,  281  f.  —  Schönbachs  Segensammlung.  Zf\^k.  21,  436.  —  Delegiertentag  in 
Einbeck.  Zfk.  21,  318.  —  Festrede.  ZfVK.  21,  219-22.  —  Rec.  Borchling,  Die  nd. 
Rechtsquellen  Ostfrieslands  1.     Archiv  126,  222  —  25. 

1912. 

Max  Fiebelkorn  t.  ZfVk.  22.  441.  —  Über  abgegriffene  Sprachmünzen.  Archiv  130,  163. 

1913. 
Rec.  Kleinpaul,  Die  Ortsnamen.     ZfVk.  23,  219. 

1914. 

Max  Höfler  j.  ZfVk.  24,  437.  —  Über  das  Amsellied.  Archiv  133,  421.  —  Rec, 
V.  Kralik.  Lex  Bainvariorum.     ZfVk.  24.  433. 


1<)H  l^olte:    Max  Roediger  |. 

1915. 

Das  Wesen    der   deutEchen    Heldensage    und    die    Ausbildung    dir    Heldendichtung. 
Archiv  134,  402. 

1916. 
Axel  Olrik  f-    ZfVk.  liG,  128  f.  —  Verdeutschung  der  lienidwürter.   Archiv  135,  423. 

1917. 
Rec.    Beucker,    üie    Entscheidungsschlacht    des    europäischen   Krieges    am  Birken- 
baume.    ZfVk.  27,  174. 

Berlin. 


Ernst  Friedel  f. 

Von  Georg  Minden^). 

Als  sich  das  Grab  über  den  sterblichen  Überresten  Max  Koedigers 
schloss,  war  auch  schon  der  Vorsitzende  unseres  Ausschusses,  der  achtzig- 
jährige Ernst  August  Friedel,  Geheimer  Kegierungsrat  und  Stadtältester 
von  Berlin,  dem  Tode  geweiht.  Kurze  Zeit  darauf,  am  10.  März  1918, 
wurde  er  abberufen.  Er  gehörte  zu  den  Begründern  unseres  Vereins  und 
hatte  von  Anfang  an  den  A'orsitz  im  Ausschusse  gefülirt.  In  den  27  Jahren, 
die  seitdem  verflossen,  war  er  in  Begleitung  seiner  an  allen  seinen  wissen- 
schaftlichen Bestrebungen  teilnehmenden  Gattin  und  in  späteren  Jahren 
auch  seiner  einzigen  Tochter  fast  bei  allen  unseren  Sitzungen  zugegen. 
Fast  immer  ergriff  er  in  den  Diskussionen  das  Wort  und  wusste  aus  dem 
reichen  Schatz  seines  Wissens  etwas  Interessantes  und  das  Interessante 
stets  auf  fesselnde  Weise  mitzuteilen.  Seine  liebenswürdige  und  verbind- 
liche Art  hat  ihm  in  unserem  Kreise  stets  neue  Verehrer  und  Freunde 
gewonnen.  Gestalteten  sich  doch  unsere  Sitzungen  mit  den  sich  an- 
schliessenden Zusammenkünften  zu  einer  Quelle  edler  Geselligkeit,  an 
der  auch  die  Damen  teilnahmen,  uud  dies  schon  zu  einer  Zeit,  in  welcher 
fast  alle  wissenschaftlichen  Vereine  Berlins  noch  das  weibliche  Geschlecht 
auszuschliessen  pflegten. 

Ernst  Friedel  war  am  25.  Juni  1837  zu  Berlin  geboren.  Er  be- 
suchte das  Werdersche  Gymnasium,  bestand  Michaelis  1856  das  Abiturienten- 
examen, studierte  in  Berlin  uud  ward  daselbst  Auskultator,  Referendar 
und  Assessor.  Seit  1869  amtierte  er  als  Kreisrichter  in  Coepenick,  wurde 
im  Jahre  1873  zum  besoldeten  Stadtrat  in  Berlin  gewählt  und  blieb  Mit- 
glied des  Magistrats  der  deutschen  Reichshauptstadt  bis  zu  seiner  vor 
wenigen  Jahren  erfolgten  Pensionierung.  In  seiner  kommunalen  Wirk- 
samkeit hat   er   sich  grosse  Verdienste   um   die  Vaterstadt   erworben,    von 

1)  Nach  der  am  22.  März  1U18  im  Verein  für  Volkskunde  gehaltenen  Gedächt- 
nisrede. 


Minden:    Ernst  Friedel  y.  197 

denen  ich  nur  »lie  Errichtung  des  städtischen  Friedhofs  in  Friedrichs- 
felde, die  Schöpfung  dos  Märkischen  Museums,  zu  welchem  die  von  ihm 
selbst  angelegten  Sammlungen  den  Grundstock  bildeten,  und  die  Anlegung 
schöner  städtischer  Parks,  welche  er  als  Vorsitzender  der  städtisclien 
Gartenbaudeputation  auf  das  wirksamste  förderte,  erwähnen  will. 

In  den  Nachrufen  wurde  Friedel    mit   vollem  Recht  als  'märkischer 
Forscher'  bezeichnet;    er  stand  auch  in  den  letzten  Jahren  an  der  Spitze 
'eines  grossen  literarischen  Unternehmens,   welches   märkischer  Forschung 
gewidmet  ist,    der  Herausgabe   der   'Landeskunde   der   Provinz   Branden- 
burgs 

Ernst  Friedel  war  ein  geborner  Berliner  und  hat  mit  kurzen  Unter- 
brechungen stets  in  Berlin  gewohnt.  Sein  Elternhaus  stand  nicht  allzu- 
weit entfernt  von  dem  Gotteshause,  in  dem  seine  Leiche  aufgebahrt  war. 
Sein  Beruf  als  Jurist  und  Verwaltungsbeamter  brachte  ihn  mit  allen 
Zweigen  des  weltstädtischen  Lebens  und  mit  allen  Klassen  der  Bevölke- 
rung in  enge  Berührung.  Es  war  also  nach  allen  Richtungen  hin  ein 
echter  Berliner.  Ein  kurzes  Eingehen  auf  die  Wesensart  des  Berliners, 
die  von  der  anderer  Weltstädte  so  verschieden  ist,  dürfte  in  diesem,  auch 
der  Volkspsychologie  gewidmeten  Kreise  erlaubt  sein  und  auch  im  Sinne 
des  Verstorbenen  liegen.  Kennzeichnend  für  den  Berliner  ist  die  Neigung 
zur  Kritik.  Er  ist  scharf  im  Urteilen,  nicht  nur  gegen  andere,  sondern  auch 
gegen  sich  selbst,  gegen  seine  Vaterstadt  und  seine  Landsleute.  Man  liebt 
den  Berliner  auswärts  wenig  und  führt  diese  Unbeliebtheit  auf  die  grossen 
Ansprüche  zurück,  die  er  überall  stellt.  In  Wirklichkeit  beruhen  diese  an- 
geblichen Ansprüche  nur  auf  der  scharfen  Kritik,  nicht  auf  Begehrlichkeit. 
Er  gibt  sich  leicht  zufrieden,  wenn  man  nur  anerkennt,  dass  er  mit 
«einem  tadelnden  Urteil  das  Richtige  getroffen  hat.  Diese  Lust  an  der 
Kritik  ist  aber  nur  der  Ausfluss  einer  anderen  Eigenschaft,  des  leiden- 
schaftlichen Strebens  nach  'Bildung'.  Wohl  nirgends  ist  der  Trieb, 
geistige  Bildung  zu  erlangen,  möglichst  viel  zu  wissen,  alle  Gegenstände 
der  Umwelt  zu  kennen  und  zu  verstehen,  durch  alle  Klassen  so  stark 
verbreitet,  wie  in  Berlin.  Diese  Neigung  macht  den  Berliner  auch  trotz 
seines  Kritizismus  empfänglich  für  alles  Fremdländische.  Die  Assimi- 
lierungekraft Berlins  für  stammfremde  Volkselemente  ist  ausserordentlich 
stark,  und  hieraus  entspringt  eine  grosse  gegenseitige  Toleranz  auf  poli- 
tischem, religiösem,  sozialem  und  wirtschaftlichem  Gebiet,  eine  Toleranz, 
die  sich  allerdings  mehr  durch  Handlungen,  als  in  den  äusseren  Formen 
und  in  Worten  kundgibt.  Alle  diese  Eigenschaften,  die  schon  von  An- 
beginn im  Wesen  des  Berliners  lagen,  haben  sich  in  der  reissend  schnellen 
Entwicklung  der  Stadt  während  des  Zeitraumes,  der  mit  dem  Leben 
unseres  teuren  Verblichenen  zusammenfällt,  noch  gesteigert. 

Dass  der  Berliner  die  allgemeinen  Eigenschaften  des  Deutschen  und 
des  Preussen  teilt  und  dass  für  beide,    für  Preussen   schon   seit  der  Zeit, 


]98  ]\[inden: 

in  welche  Friedeis  Geburt  fiel,  für  die  übrigen  Deutschen  seit  der  Grün- 
dung des  Reichs  besonders  wichtig  die  allgemeine  Dienstpflicht  und  die 
allgemeine  Schulpflicht  ist,  brauche  ich  nur  anzudeuten.  Aber  eingehu 
muss  ich  noch  auf  das  Verhältnis  des  Berliners  zu  den  übrigen  Bewohnern 
der  Mark  Brandenburg.  Dass  der  Berliner  Grosstädter  ein  anderes  Wesen 
ist,  als  der  märkische  Bauer  und  der  märkische  Kleinstädter,  ist  einleuchtend. 
Berlin  hat  in  viel  höherem  Grade  die  mittelalterlichen  Baureste  durch  seine 
Entwicklung  weggeschwemmt,  als  die  anderen  europäischen  Grosstädte. 
])arum  ist  auch  die  Erinnerung  an  die  Zeiten,  wo  Berlin  eine  mit  Wall 
und  Graben  befestigte  märkische  Stadt  war,  wie  Brandenburg.  Stendal 
u.  s.  w.,  ganz  geschwunden.  Wenn  in  Friedeis  Jugend  Charlottenburg 
und  Schöneberg,  Pankow  und  Tempelhof  Orte  waren,  nach  denen  man 
'Landpartien'  machte,  so  gehört  auch  diese  nahe  Berührung  von  Stadt  und 
l^and  der  Vergangenheit  an. 

Aber  trotzdem  ist  die  Weseiisverw^andtschaft  des  Märkers  mit  dem 
Berliner,  obgleich  bei  letzterem  eine  starke  Beimischung  fremden  Blutes 
und  fremder  Kultur  eingesetzt  hat,  vorhanden  und  tritt  hervor,  sobald  man 
etwas  tiefer  schürft.  Eine  karg  und  wenig  fruchtbare  Natur  zwang  hier  die 
Menschen,  fleissig  und  strebsam  zu  sein  und  alles  aus  sich  herauszuholen, 
was  durch  Willenskraft  zu  erreichen  ist.  „Wächst  das  Korn  nicht, 
wachsen  die  Leute."  Und  aus  der  Landschaft  auf  die  Grosstadt  über- 
tragen, bewirkt  dieser  Umstand,  dass  von  allen  Weltstädtern  die  Berliner 
die  fleissigsten,  die  arbeitsamsten,  die  am  wenigsten  genussüchtigen  sind. 
Es  war  allerdings  nur  aus  einem  äusseren  Anlass,  dass  Friedel  vom 
Vorsitzenden  des  Vereins  für  die  Geschichte  Berlins  der  Begründer  und 
Vorsitzende  der  ßrandenburgia,  Gesellschaft  für  Heimatkunde,  wurde,  aber 
€s  war  für  ihn  eine  innere  Notwendigkeit,  über  die  Grenzen  der  Vater- 
stadt seine  Wirksamkeit  auf  die  Provinz  zu  erstrecken. 

Der  für  den  Berliner  charakteristische  Sinn  für  allgemeine  Bildung 
war  bei  Friedel  so  lebhaft  entwickelt,  dass  er  unerschöpflich  erschien. 
Neben  seinem  juristischen  Beruf,  neben  den  mit  seiner  Verwaltungstätigkeit 
in  Beziehung  stehenden  Studien  waren  es  auch  alle  andern  Gebiete  der 
Geistes-und  der  Naturwissenschaft,  für  welche  er  nicht  nur  Interesse  hatte,  son- 
dern in  denen  er  auch  produktiv  tätig  war.  Praehistorie,  Zoologie,  Kolonial- 
we.sen,  Botanik,  Architektur,  Geologie,  Geschichte,  —  man  braucht  nur 
hineinzugreifen  in  irgend  eine  Disziplin  der  uuiversitas  literarum  und  wird 
finden,  dass  Friedel  etwas  darüber  geschrieben  hat.  Jede  Erholungsreise 
würde  ihm  zu  einer  'Studienreise';  er  kannte  keine  Müdigkeit,  wenn  es 
galt,  irgend  etwas  aufzuklären  oder  zu  erforschen.  Rührend  war,  wie  er 
es  verstand,  alle  Dinge  in  irgend  einen  Zusammenhang  mit  der  Heimat 
zu  bringen.  Aber  auch  erstaunlich,  wie  er  die  Zeit  fand,  sich  mit  allen 
diesen  Dingen  zu  beschäftigen,  bis  in  sein  hohes  Alter  immer  bereit, 
zu  leliren,  aber  aucli  zu  lernen. 


Ernst  Fiiedel  f-  199 

Es  war  ihm  vergönnt,  das  Gemeinwesen,  dem  er  sein  Leben  gewidmet 
hatte,  stetig  wachsen  und  zu  immer  höherer  Blüte  gelangen  zu  sehen. 
Es  war  ihm  auch  vergönnt,  das  Bewusstsein  zu  haben,  dass  er  selbst  an 
dieser  Entwicklung  mitgewirkt  hat.  Es  war  ihm  vergönnt,  noch  diese 
schwere  und  opferreiche,  aber  grosse  Zeit  zu  erleben,  in  welchem  berlini- 
sches, märkisches,  preussisches  und  deutsches  Wesen  die  Feuerprobe  be- 
steht. Die  Mark  Brandenburg  hat  viele  sandige  Strecken,  die 
'Streusandbüchse  des  Heiligen  römischen  Reiches'  nannte  man 
sie  spottweise  in  früheren  Zeiten.  Aber  das  Geschlecht,  das 
dort  erwuclis,  ist  ein  granitenes;  wer  mit  ihm  anbindet,  beisst 
auf  Granit  und  wird  zerschmettert.  Unser  Nachbar  im  Osten  hat 
dies  jetzt  erfahren,  hoffentlich  wird  es  auch  unser  Hauptfeind 
im  Westen  bald  einsehen. 

Friedel  hat  seinen  Wahlspruch  'Literis  inserviendo  consumor'  bis  an 
sein  Lebensende  durchgeführt.  In  unserem  Verein  wird  sein  Andenken 
stets  lebendig  bleiben  und  wir  werden  uns  noch  oft  und  bei  vielen  Ge- 
legenheiten nach  den  Erläuterungen  zurücksehnen,  die  er  jedem  Thema 
hinzuzufügen  pflegte.  Möge  es  seinen  Hinterbliebenen  zum  Tröste  ge- 
reichen, dass  wie  viele  andere  so  auch  der  Verein  für  Volkskunde  an 
der  Trauer  um  den  Dahingeschiedenen  innigen  und  aufrichtigen  Anteil 
nimmt. 

Berlin. 


Eiuige  Grundfragen  der  Kinderspielforsclumg. 

Von  Geor^  Schläger. 

(Vyl.  olien  S.   10(;-121.) 

II.  Kind  und  Sprachspiel. 

Innerhalb  der  Erforschung  des  kindlichen  Seelenlebens  nimmt  die 
für  Biologen  und  Sprachforscher  gleich  anziehende  Beobachtung  der 
Kindersprache,  ebenfalls  durch  Preyers  Vorgang  lebhaft  angeregt,  einen 
breiten  Raum  ein  und  hat  zu  wichtigen  Ergebnissen,  freilich  auch  zu 
grossen  Meinungsverschiedenheiten  geführt.  Ausser  den  schon  genannten 
Büchern,  vor  allem  von  Preyer  und  Stern  (oben  S.  111),  sind  folgende 
Werke  besonders  hervorzuheben: 

E.  Rzesnitzek,  Zur  Frage  der  psychischen  Entwickelung  der  Kinder- 
sprache, Züricher  Diss.  1899;  W.  Wundt,  Völkerpsychologie'  I,  1:  Die 
Sprache,  Leipzig  11)00;  C.  und  W.  Stern,  Monographien  über  die  seelische 
Entwicklung  des  Kindes.  I:  Die  Kindersprache,  Leipzig  1907;  E.  Tappolet, 
Die    Sprache  des  Kindes,   Vortrag,   Basel  1907:    R.  Meringer,    Aus  dem 


200  Schläger: 

Leben  der  Sprache,  Berlin  1908.  Über  einzelne  Fragen:  Gr.  Lindner, 
Beobachtungen  und  Bemerkungen  über  die  Entwicklung  der  Sprache  des 
Kindes,  Kosmos  6.  Jahrg.  IL  Band  (1882)  S.  321fF.  430ff.;  M.  Ament, 
Begriff  und  Begriffe  der  Kindersprache,  Berlin  1902;  E.  Meumann,  Die 
Entstehung  der  ersten  Wortbedeutungen  beim  Kinde.  Wundts  Philos. 
Studien  20,  152  —  214;  H.  Idelberger,  Hauptprobleme  der  kindlichen 
Sprachentwicklung,  Zeitschr.  f.  pädag.  Psychol.  5,  241  —  297.  425 — 456 
(auch  als  Buch  erschienen);  W.  Wundt,  Probleme  der  Völkerpsychologie, 
Leipzig  1911.  —  Nicht  zugänglich  waren  mir:  Fritz  Schnitze,  Die 
Sprache  des  Kindes,  Leipzig  1880;  G.  Lindner,  Aus  dem  Xaturgarten 
der  Kindersprache,  Leipzig  1898;  M.  Ament,  Die  Entwicklung  vom  Sprechen 
und  Denken  beim  Kinde,  Leipzig  1899;  E.  Meumann,  Die  Sprache  des 
Kindes,  1903  (2.  Aufl.  Zürich  1911);  H.  Idelberger,  Die  Entwicklung 
der  kindlichen  Sprache,  1904;  E.  und  G.  Scupin,  Bubis  erste  Kindheit, 
Leipzig  1907. 


Aus  dem  ersten  triebmässigen  Geschrei  des  Kindes  erwächst  ganz 
allmählich  der  Vernunft-  und  kunstgemässe  Gebrauch  der  Stimme.  Einige 
Wochen  herrsehen  die  echten,  heftigen  Schreilaute  vor;  allmählich  massigen 
sie  sich,  sofern  nicht  starke  Unlustgefühle  zur  Entladung  drängen,  und 
werden  so  mannigfacher  Modulation  fähig,  eine  Vorstufe  des  Singens;  sehr 
früh  mischen  sich  auch  allerlei  Versuche  der  Artikulation  ein  und  leiten 
zur  späteren  Spracherlernung  hinüber:*)  es  beginnt  die  wichtige  Zeit  des 
Lallens.  Auch  hier  setzt  sehr  bald  die  spielerische  Wiederholung  eiji: 
wie  mit  Annen  und  Beinen,  so  spielt  das  Kind,  selbst  das  taubgeborene,  mit 
Kehlkopf,  Zunge  und  Lippen,  und  zwar  sind  es  zunächst  reine  Muskel- 
übungen,'') bei  denen  das  Gehör  im  Anfang  gar  nicht  beteiligt  ist.  Es 
zeigt  sich  also  von  neuem  die  grundlegende  Wichtigkeit  der  Wiederholung, 
die  sich  uns  bereits  im  ersten  Aufsatz  darstellte  (oben  S.  112.  115),  und 
zwar  in  ihrer  doppelten  Bedeutung:  einmal  verfestigt  sie  das  bereits 
Gewonnene  und  lässt  die  Bewegung  gewohnheitsmässig  und  nahezu  selbst- 
tätig abrollen;  aber  indem  so  die  anfänglich  benötigte  Aufmerksamkeit 
für  andere  Zwecke  frei  wird,  ergeben  sich  zugleich  neue  Gewinnmöglich- 
lichkeiten.  Selbstverständlich  überwiegt  das  Erstgenannte  bei  weitem, 
während  sich  die  zweite  Wirkung  der  unmittelbaren  Beobachtung  meist 
entziehen  wird;  aber  sichei'lich  prägt  sich  der  Unterschied  zwischen  nach- 
ahmend und  schöpferischer  veranlagten  Seelen  (oben  S.  117f.)  hierin  mit  am 
stärksten  aus.  Für  den  Beobachter,  wie  gesagt,  tritt  in  erster  Linie  das 
wirklich    oder  scheinbar  Maschinenmässige    in    der  Wiederholung  zutage. 


1)  Wundt,  Völkerpsjch.«  1 1,  259 f.  267 f.;  Preyer  S.  262. 
2    Groos,  Spiele  d.  Menschen  S.  38f.:  Preyer  S.  126. 


Einige  Grundf ragen  der  Kinderspielforschung.  iiOl 

So  kann  man  kleine,  aber  auch  noch  grössere  Kinder,  für  die  es  oft  auf 
Jahre  eine  Lieblingsbeschäftigung-  bleibt.  Tage  und  Wochen,  ja  Monate  hin- 
durch dieselben  sinnlosen  Laute.  Silben  oder  SilbengruppeD,  später  natürlich 
auch  richtige  Wörter,  Sätze,  Verse  ohne  jeden  ersichtlichen  Zweck  wieder- 
holen hören,!)  wobei  der  gequälte  Ohrenzeuge  nur  zu  leicht  vergisst,  dass 
auch  hierin  sich  unmerkbar  ein  Stückchen  innerer  Entwicklung  abspielt. 
,Es  ist  denn  nicht  verwunderlich,  dass  dieser  Zustand  dauernd  bleibt,  wo 
flie  Entwicklungsfähigkeit  unterbrochen  wird,  die  inneren  Kräfte  zum 
Stillstand  kommen:  es  gibt  bestimmte  Formen  von  Geisteskrankheit, 
l)ei  denen  solche  sinnlose  Wiederholung  ein  Hauptkennzeichen  bildets). 
Aber  auch  geisteskräftigen  Erwachsenen  sind  <1  erartige  Zustände  nicht 
ganz  fremd,  auch  sie  können  sich  gelegentlich  in  endlosen  Wiederholungen 
eines  und  desselben  Wort-  oder  Tonstückes  ergehen,  sei  es  nun  ein 
quälender  Zwang  schwerer  Ermüdung  oder  vielmehr  ein  wohliges  Spiel 
hinträumenden  Behagens.  Unwillkürlich  drängt  sich  uns  dabei  auch  der 
Gedanke  an  die  Dichtung  und  Musik  der  Naturvölker »)  auf,  ja  selbst 
an  vieles  in  unserem  Kinder-  und  Volkslied  in  Wort  und  Weise,  wo 
gleichfalls  ganze  Strophenrahmeii  durch  Wiedorliolung  oder  ganz  leichte 
Abwandlung  desselben  Motivs  ausgefüllt  sein  können.  In  der  Tat  möchte 
man  hier  ein  Quellgebiet  ursprünglicher  Lyrik  erkennen,  wenn  man  be- 
obachtet, wie  Kinder  manchmal  lebhafteste  Freude  in  solchen  Formen  aus- 
strömen lassen,  bei  denen  sich  dann  ganz  von  selbst  Rhythmus  und 
Melodie  einstellt  (hierülter  soll  im  nächsten  Aufsatz  mit  gehandelt  werden). 
Wie  weit  man  freilich  den  Zusammenhang  ins  Einzelne  verfolgen  darf, 
das  ist  eine  der  heikelsten  Fragen*). 


1)  Vgl.  Sp.  d.  M.  S.  i2:  Stern.  Kindersprache  S.  14it  Anm.  3:  H.  Gutzinaiin,  Wester- 
manns  Monat.-,licl'te  79,  oOO. 

'1)  Prejer  S.  -258  'Paliinphrasie". 

3    S.  z.B.  Grosse,  .Anfänge  der  Kunst  S.  238:  Wandt,  Völkerpsjch.^  3,  329f. 

4)  So  sclieint  es  mir  nicht  zulässig,  wenn  Groos,  Sp.  d.  M.  S.  431".,  nicht  nur  die 
Keltenreime  unserer  Kinder,  sondern  auch  die  Verkettung  der  Strophen  untereinander 
durch  beständiges  Hinübergleiten  einer  Zeile  oder  eines  Zcilenpaares  in  die  folgende 
Strophe  auf  unsere  Ersclieinung  zurückführen  will.  Schon  in  den  Gedichten  der  Molukken- 
bewohner,  die  Groos  anführt,  wie  auch  bei  gelegentlichem  Vorkommen  in  unserem  Volks- 
lied s.  z.  B,  J.  Meier,  Volksliedstudien.  Strassburg  1917.  S.  20(;:  auch  Fälle  wie  Erk  u. 
Böhme  3  Nr.  lODOff.)  handelt  es  sich  vielmehr  um  ein  Hilfsmittel  fortgeschiittener  Kunst- 
übung; in  der  ursprünglichsten  Dichtung,  auf  die  man  sich  hier  allein  berufen  darf,  i.^t 
Lied  und  Strophe  eins.  In  Goethes  Nachtgesang  '0  gib  vom  weichen  Plühle'  volhrnds 
dient  un  1  entspringt  das  Kunstmittel  der  höchsten  Verfeintrung,  es  malt  unübertrefflich 
das  halbträumende  Hinübergleiten  von  einem  verschwimmenden  Gedanken  zum  nächsten: 
und  dasselbe  muss  schon  von  de.m  italienischen  Liede  gelten,  das  den  Dichter  zu  seinem 
Meisterlied  angeregt  hat  Knpisch,  Agrumi  S.  9  'Du  bist  das  sanfte  Feuer',  s.  dazu 
Zelter  an  Goethe  am  29.  Juli  1804  und  H.  G.  Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  III 
(Lyrik)  TI  1,  403  Z.  SlfT'.  Was  aber  die  Kettenreimc  betrifft,  so  liegt  ihre  Eigenart  nicht 
sowohl  in  der  Wiederholung  als  in  der  Gedankenflucht,  die  freilich  echt  kindlich  ist. 
und  die  Weiterführung  geschieht  nach  Ausweis  des  mittelhoclideutsJipn  Beispiels  'Ez 
reit  ein  herre' vielmehr  durch  Umstellen  der  .Satzglieder  und  Anreimen  (Holime  1,  Nr.  15I(> 
Zeifschr.  d.  Vereins  1".  Volksliunde.    1917.    Heft  3.  14 


202  Schläger : 

Doch  zurück  zu  der  Sprachentwicklung  des  Kindes!  Das  Schreien 
geht  also  in  Lallen  über,  und  diese  triebmässigen  spielerischen  Lall- 
übungen herrschen  nun  eine  geraume  Zeit,  oft  über  das  Ende  des  ersten 
Jahres  hinaus.  Dem  Kinde  steht  in  dieser  Zeit  eine  unübersehbare  Fülle 
von  Lauten  zu  Gebote,  die  es  ganz  aus .  sich,  ohne  jede  Nachahmung, 
freilich  zunächst  auch  ohne  Walil,  hervorbringt  und  miteinander  verbindet. 
Angesichts  dieser  allseitigen  Lautanlage  fällt  es  schwer,  ererbte  Volks- 
oder Stammeseigenheiten  zu  erkennen;  fehlen  doch  selbst  die  Schnalzlaute 
der  Hottentottensprache  nicht^).  So  ergeht  sich  die  behagliche  Spiellaune 
des  Kindes  in  vergnügten  'Lallmonologen'  und  lässt  sich  wohl  auch  auf 
Zwiegespräche  ein,  bei  denen  jedes  Verstehen  ausgeschlossen  und  der 
Spielcharakter  ganz  besonders  deutlich  ist^). 

Auf  den  ersten  Blick  gibt  das  Lallen  nur  die  A^orstellung  eines  regel- 
losen Durcheinanders.    Bei  genauerem  Zusehen  lassen  sich  jedoch  einzelne 

bis  1518.  1525f.  1529;  Lewalter  und  Schläger  Nr.  155.592:  über  die  ganze  Gattung  jetzt 
S.  Siüger,  Schweiz.  Arch.  f.  Volksk.  19,  110-122;  kluge  nemerkungen  über  die  Form  bei 
W.  Götze,  Jahrbuch  des  Vereins  f.  Wissenschaft!.  Päd.  4,  274f.).  Groos  hat  wohl  mehr 
eine  andere  Art  im  Auge  (Böhme  1  Nr.  1519— 1524.  1527 f.,  Lewalter  u.  Schläger  Nr.  59iS), 
bei  der  eine  und  dieselbe  Tätigkeit  durch  eine  bunte  lieihe  immer  neuer  Personen  und 
Gegenstände  hindurchgetrieben  wird,  mehr  in  der  Art  von  Gesellschaftsspieleu  wie  dem  vom 
Kirniesbauern  (Böhme  2  Nr.  üiO;  Lewalter  und  Schläger  Nr.  25öi  oier  entfernter  von  Zähl- 
oder Schwcllgeschichten  wie  der  vom  Jockei,  der  den  Hafer  nicht  mähen  oder  die  Birnen 
nicht  schütteln  wollte  (Böhme  1  Nr.  12(50,  Lewalter  und  Schläger  Nr.  594).  Hier  wird  in 
der  Tat  jeweilig  ein  Satzglied  wiederholt  und  von  ihm  aus  nacli  Laune  ein  neues  aufs  Kom 
genommen:  aber  das  geschieht  planmässig  und  hat  mit  sinnloser,  überhaupt  mit  spielerischer 
Wiederholung  nichts  zu  tun.  In  den  Zusammenfassungen  aller  gewonnenen  Glieder  nach 
jeder  Strophe  oder  am  Schluss  tobt  sich  freilich  die  'Freude  über  dieses  ewige  Häufen 
und  Wiederholen'  nach  Herzenslust  aus  (s.  Götze  a.  a.  0.  S.  280):  wieweit  indes  diese 
Spielfreude  schon  die  Entstehung  der  Form  bestimmt  hat,  ob  sie  sich  nicht  vielmehr  erst 
an  dieser  entzündet,  das  ist  eine  andere  Frage. 

1)  Vgl.  H.  Gutznianii,  Die  Spracblaute  des  Kindes  u.  der  Naturvölker.  Westermaiiiis 
Monatshefte  79,  ööG:  Zeitschr.  f.  pädag.  Psjchol.  1,  39 f. 

2"  -Lallspiele',  'Lallmonologe'  usw.:  Preyer  S.  262f.  283 ff.;  Rzesuitzek  S.  7f.;  Völker- 
psych,2  I  1,  268f.,:  Geringer  S.  124.  145 f.:  'Lantunterhaltungen'  Preyer  ebenda,  Stern,  P^•y- 
chologie  S.  56,  Kspr.  S.  IG.  82;  Compayre  S.  289;  Zusammenstellung  von  Lallwörtern  Idel- 
berger  S.  434— 437.  Wundt  a.  a.  0.  S.  289  will  völkische  Unterschiede  erkennen,  wie  er 
überhaupt  auf  die  Vererbung  grosses  Gewicht  legt,  indes  darf  man  seinen  vergleichenden 
Zusammenstellangen  gegenüber  nicht  vergessen,  dass  auch  das  Lautgefühl  der  auf- 
zeichnenden Erwachsenen  stark  mitspricht.  —  Dass  die  Nachahmung  nicht  beteiligt  ist, 
geht  daraus  hervor,  dass  die  im  Spiele  mühelos  beherrschten  Laute  nur  unsicher  und 
mit  grosser  Anstrengung  anderen  nachgeahmt  werden  können,  sodass  das  Kind  beim 
Sprechenlernen  gleichsam  von  vorn  anfangen  muss:  Rzesuitzek  S.  12  14;  Stern,  Kspr. 
S.  15  ein  Fall  überraschend  früher  Nachahmung);  Meringer  S.  140.  209fif.;  Tappolet  S.  85; 
Meunuum  S.  lG3f.  Daraus  sollte  jedoch  nicht  geschlossen  werden,  dass  die  Lallspiele 
ergebnislos  verliefen,  denn  mit  angebornen  Fähigkeiten  wie  dem  Mundspitzen  verhält  es 
sich  nicht  anders,  s.  Preyer  S.  169f.;  der  Wille  bringt  eben  eine  ganz  andere  seelische 
Einstellung  mit  sich,  ganz  abgesehen  davon,  dass  bei  der  Nachahmung  anderer  das  für 
die  Selbstnachahmung  so  wertvolle  Muskelgefühl  abgeht.  —  Auch  die  Lautübungen  taub- 
stummer Kinder  sind  wichtig  für  die  Frage,  ob  Nachahmung  oder  niclit,  vgl.  Preyer 
S.  126;  Gutzmann  a.a.  0.  S.  359:  Rzesnitzek  S.  7  scheint  auf  die  Mitwirkung  des  Gehörs 
zu  viel  Gewicht  zu  legen. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  203 

Erscheinungen  aussondern,  die  am  häufigsten  wiederkehren  und  auf  ganz 
bestimmte,  wenn  auch  schwer  erkennbare  oder  gar  messbare  treibende 
Kräfte  schliessen  lassen.  Dies  ist  sehr  wichtig:  es  eröffnet  uns  die  Mög- 
lichkeit, die  Lallübungen  mit  der  späteren  Stufe  wirklicher  Sprachübung, 
der  von  den  Erwachsenen  bereits    beeinflussten    'Kindersprache' ^)  zu  ver- 


1)  Die  Bedeutung  der  'Kindersprache'  für  die  llntstehung  und  Entwicklung  der 
Sprache  wird  im  ganzen  von  Philosophen  und  Physiologen  überschätzt,  von  Sprach- 
forschern unterschätzt;  als  Gegenpole  können  etwa  Ament  und  Meringer  genannt  werden. 
Soviel  scheint  mir  gewiss,  dass  trotz  einzelnen  Neubildungen  das  Kind  als  eigentlicher 
Sprachschöpfer  nicht  in  Betracht  kommt.  Wohl  aber  liefern  seine  Bedürfnislaute  und 
Lallspiele  mancherlei  Stoff  zur  Wortbildung,  sodass  man  denn  doch  von  seiner  Mitwirkung 
mit  Recht  spricht  und  nur  zweifeln  kann,  ob  es  jemals  gelingen  wird,  den  Anteil  des 
Kindes  an  der  ursprünglichen  Sprachbildung  mit  einiger  Sicherheit  auszusondern:  hier 
spielt  die  völlig  ungeklärte  Frage  herein,  wie  vieles  von  dem,  was  wir  als  anscheinenden 
Eigenbesitz  l)eobachten,  in  Wirklichkeit  als  Erbgut  anzusprechen  sein  mag.  —  Damit  ist 
nicht  geleugnet,  dass  der  spi*achhildende  Trieb  beim  Kind  ausserordentlich  stark  und 
wirksam  sein  kann.  Aber  für  die  tatsächliche  Ausbildung  der  Sprache  hat  er  nicht  die 
Bedeutung,  die  er  unter  gewissen  Umständen  wolil  gewinnen  könnte;  er  lebt  sich  eben 
in  spielerischer  Weise,  ohne  eigentlich  j)raktisches  Ziel  aus.  Nur  das  Bedürfnis  könnte 
einen  starken  Einfluss  des  Kindes  auf  die  Sprachentwicklung  herbciführeu.  Ob  aber  ein 
solches  Bedürfnis  jemals  allgemein  bestanden  hat,  ist  sehr  zweifelhaft.  —  Die  Frage  ist 
um  so  schwieriger,  als  es  an  gut  verbürgten  und  ausreichend  beobachteten  Einzelfällen 
fehlt.  So  sind  nahezu  unbrauchbar  die  von  H.  Haie  aufgeführten  Beispiele  kindlicher 
Sprachschöpiung  (Proceedings  of  the  American  Association  for  the  Advanccment  of  Sci- 
ence oö,  Salem  1887,  S.  27yff.;  hierzu  Kzesnitzek  S.  18  —  20,  wo  noch  ein  weiteres,  recht 
schwach  beglaubigtes  Beispiel:  Idelberger  S.  42B-4oO:  t'ompayre  S.  310;  Stern,  Kspr. 
S.  339f. ).  Sie  iiai)en  den  gemeinsamen  Zug,  dass  die  Kinder  —  und  zwar  waren  es  be- 
zeichnender W^eise  jeweils  Pärchen:  dabei  liegen  in  dem  einen  Fall  offensichtlich  auf- 
geschnappte französische  Wörter  vor  —  ihre  Muttersprache,  das  Englische,  wohl  verstanden, 
aber  sich  standhaft  weigerten,  sie  zu  sprechen,  vielmehr  sich  selber  eine  Sprache  schufen, 
die  sie  geläufig  handhabten.  Aus  den  paar  mitgeteilten  Ausdrücken  ist  so  gut  wie  nichts 
zu  entnehmen.  Die  erkennbaren  Umstände  erinnern  also  aufs  deutlichste  au  die  Geheim- 
sprache, in  der  sich  Wolfgang  und  Cornelia  Goethe  unterhielten,  wenn  sie  nicht  verstanden 
sein  wollten  (Dichtung  und  Wahrheit  Buch  8),  und  so  werden  jene  Fälle  mit  diesem 
und  so  manchem  anderen  aus  dem  Bereich  ernsthafter  Sprachbetätigung  unter  die  Sprach- 
spielereien zu  verweisen  sein,  bei  denen  es  sich  im  Gnmde  weniger  um  eine  Sprache 
handelt  als  um  einen  bestimmten  Vorrat  mehr  oder  minder  willkürlich  zusammengebrachter 
Ausdrücke.  —  Ganz  andere  Bedeutung  kommt  dem  Falle  des  kleinen  Felix  Stumpf  zu, 
der  bis  ins  vierte  Lebensjahr  hinein  seine  eigne,  von  keinem  Spielgefährten  geteilte 
Sprache  starrköplig  gegen  alle  Angriffe  festhielt,  dann  aber,  und  zwar  plötzlich  und  sofort 
ziemlich  fehlerfrei,  die  Sprache  seiner  Umgebung  zu  gebrauchen  begann  (C.  Stumpf, 
Eigenartige  sprachliche  Entwickelung  eines  Kindes,  Zeitschr.  f.  pädagog.  Psychol.  und 
Pathol.  3,  41i)-447;  dazu  Idelberger  S.  425-421),  Stern,  Kspr.  S.  2G0f.  340).  Der  Haupt- 
sache nach  handelt  es  sich  wohl  auch  hier  um  spielerisches  Tun;  auch  erklärt  sich  vieles 
in  dem  reichlich  mitgeteilten  Sprachgut  nach  Art  der  'Kindersprache'  im  gewöhnlichen 
Sinne,  wie  sie  sich  aus  der  Lallzeit  unter  Mitwirkung  und  Führung  der  Erwachsenen 
bildet.  Daneben  aber  sind  so  deutliche  Anzeichen  durchaus  selbständiger  und  folge- 
richtiger Verarbeitung  vorhanden,  z.  B.  im  Zusammensetzen  der  Wörter  und  selbst  im 
Satzbau,  auch  ist  der  kleine  Sprachkünstler,  ich  möchte  sagen,  mit  so  heiliger  Über- 
zeugungstreue zu  Werke  gegangen,  dass  wir  ihm  mit  der  Annahme  blosser  Spielerei 
nicht  gerecht  werden.  Stern  hat  hier  die  weise  Vorsicht  zu  weit  getrieben  und  ist  dabei 
selbst  lu  tatsächlich  unrichtigen  Angaben  gekommen;  so  stimmt  es  nicht,  dass  nach  des 
Vaters  l'eutungen  ein  einziger  ganz  unerklärter  Ausdruck  übrigbleibe,  es  sind  deren  viel- 

14* 


'204  Schläger: 

knü})feii  1111(1  (iesetz  uml  Regel  im  Entwicklun^si^ang  aufzuspüren.  Freilich 
darf  das  nur  mit  grösster  Behutsamkeit  und  bei  dem  Stand  unserer  Kennt- 
nisse unter  manchem  Vorbehalt  geschehen  —  was  ich  aucli  dem  Folgenden 
Kegenüber  zu  bedenken  bitte. 


mehr  eine  ganze  Reihe  vorhanden.  Indes,  Urschöpfung  oder  nicht:  eins  isf  unzweifelhaft 
erwiesen,  dass  nämlich  das  Kind  in  der  Benennung  der  Dinge  mit  Wahl  und  Willen 
verfahren  kann.  Hierfür  ein  unzweideutiges  Beispiel:  als  der  Vater  einmal  im  Scherz 
Mulch  statt  Milch  sagt,  hält  Felix,  sehr  belustigt,  diese  Laatform  sofort  fest,  bildet  sich 
dazu  spielerisch  und  echt  kindlich  das  Zwillingswort  pruUk-h  —  und  von  Stund  an  ist 
ihm  prullich  das  feststehende  Wort  für  den  Gegenstand  und  wird  genau  so  ernsthaft  und 
zähe  festgehalten  wie  alle  anderen.  Wir  erkennen  daran,  und  das  hat  sicherlich  auch 
allgemeine  Bedeutung,  wie  aus  spielerischem  Anfang  eine  ernsthafte  Spracherscheinung 
entstehen  kann.  Gleiche  Deutung  bietet  sich  ohne  weiteres  für  viele  ursprünglich  scherz- 
hafte, dann  ernsthaft  angewendete  Neubildungen  dar,  etwa  die  studentischen  Prägungen 
auf  —  ikus  u.  dgl.:  und  wer  weiss,  ob  nicht  so  manche  unerklärliche  Ausnahme  von 
feststehenden  Lautgesetzen  ähnlichen  Ursprungs  ist?  —  Eine  weitere  lehrreiche  Tatsache, 
die  gleichfalls  von  Idelberger  und  Stern  niclit  beachtet  wird:  der  Knabe  bezeichnete 
einen  langen  und  dünnen  Baustein  als  mai-uge  (mit  französischer"  Aussprache  des  g: 
ob  freilich  stimmhaft  oder  in  der  bekannten  mitteldeutschen  Vergröberung?  ,  oime  dass 
sich  für  diesen  Ausdruck  eine  Erklärung  gefunden  hätte:  aber  noch  in  seinem  17.  Lebens- 
jahr sagte  er  aus,  das  Wort  habe  ihm  genau  so  geklungen  wie  der  Gegenstand  aussehe  — 
und  dieser  Meinung  sei  er  noch  jetzt.  Beobachtungen  verwandter  Art  hat  wohl 
jeder  schon  an  sich  selbst  oder  anderen  gemacht,  ich  will  nur  auf  F.  PoUes  Bemerkung 
über  den  Namen  'Qualle'  verweisen  (Wie  denkt  das  Volk  über  die  Sprache?''  Leipzig 
1898,  S.  70);  aber  so  deutlich  wie  hier  wird  es  selten,  dass  die  Namengebung  einem 
wenn  auch  dunklen,  so  doch  gebieterischen  Klanggefühle  folgen  kann.  Über  die  Herkunft 
des  sonderbaren  Lautgebildes  soll  damit  nichts  behauptet  sein,  dieses  Gebiet  ist  allzu 
schlüpfrig.  Der  öfter  als  kindliche  Urschöpfung  angesprochene  Fall  Uhu  -  Vogel  bei 
Strümpells  kleiner  Tochter,  den  diese  selber  später  als  Entlehnung  von  einer  estnischen 
Amme  aufgeklärt  hat  (Stern,  Kspr.  S.  342  ,  mahnt  eindringlich  zur  Vorsicht.  Aber  reit 
dem  blossen  Verneinen  ist  auch  nichts  gefördert.  Jedenfalls  verdienen  Stumpfs  Mit- 
teilungen ganz  andere  Aufmerksamkeit,  als  sie  bis  jetzt  gefunden  haben:  sie  gehören  zum 
Wertvollsten,  was  wir  auf  diesem  schwierigen  Gebiete  besitzen,  wie  ja  die  Eigenbrötelei 
olt  genug  die  wichtigsten  l']inblicke  gewährt,  und  es  ist  höchst  bedauerlich,  dass  es  an 
zuverlässigen  Aufzeichnungen  derselben  Art  so  ganz  und  gar  fehlt.  —  Immerhin  gibt  fs 
noch  einige  andersartige  Fälle,  denen  die  Forschung  nach  Ursprung  und  Entwicklung 
der  Sprache  manchen  Wink  entnehmen  kann.  So  derjenige  der  taubstumm-blinden  Laura 
Bridgman,  die  sich  als  Erwachsene  neben  der  erlernten  Fingersprache  Namen  für 
bekannte  Personen  schuf,  und  zwar  mit  deutlichem  Gefühlswert,  indem  sie  diese  Namen 
zuerst  nur  bei  freudiger  Bcgrüssung  oder  Erinnerung  gebrauchte.  Diese  Namen  waren 
immer  einsilbig,  wurden  aber  häufig  verdoppelt:  Stern,  Kspr.  S.  34G  das  Buch  von 
W.  Jerusalem  über  Laura  Bridgman  1891  ist  mir  nicht  zugänglich)  erwähnt  als  in  unserer 
Schrift  darstellber  foo-foo,  too-too,  piff-piff,  st-st  und.  was  mir  bemerkenswert  erscheint, 
pa-pa-pa,  also  mit  mehrfacher  Wiederholung,  vyie  sie  dem  Kinde  vor  dem  Eingreifen  der 
Umgebung  eignet.  In  der  starken  Verwendung  der  Pteduplikation,  wie  sie  übrigens  auch 
die  Sondersprache  des  kleinen  Stumpf  zeigt,  berührt  sich  diese  Einzelsprache  mit  manchen 
niederen  und  höheren  Gemeinsprachen  i Wundt,  Völkerpsychologie'-  I  1,  29of.  nennt  be- 
sonders das  Chinesische  und  Japanische;  vgl.  auch  Probleme  der  Völkerpsych.  S.  4Sf, 
ferner  Kzfsnitzek  S.  lOf,  Gntzmann  S.  3G4  .  Man  darf  auf  zweierlei  schliessen:  einmal 
ist  dieseSilbeu-,  richtiger  Wortwiederholung  einAusfluss  natürlicher  Lebhaftigkeit  (s.  Anm.  4) 
und  ein  Zeichen  mehr  gefühls-  als  verstandesmässiger  Namenprägung:  dagegen  ist  es 
völlig  schief,  wenn  R.  M.  Mejer,  Künstliche  Sprachen  (Indogerm.  Forschungen  12,  25(1) 
die  Reduplikation    'gewissermassen    ein  organisiertes    Stottern"   nennt,    denn   mit   Sprach- 


Einige  Grundfia^-en  der  Kindersiiielforschung.  205 

Spiele  aus  der  Lallzeit. 

Das  Kinfacliste  und  Natürlichste  scheint  es  zu  sein,  wenn  sich  der 
Säugling  zunächst  in  Yokallauten  ergeht.  Dieser  Erwartung  entspricht 
es,  wenn  Preyer  im  ersten  Monat  fast  ausschliesslich  und  noch  auf  lange 
vorwiegend  Vokale,  als  einzigen  schon  im  dritten  Monat  häufigen  Konso- 
nanten m  feststellen  konnte  (S.  '262;  das  Lallen  begann  bei  seinem  Sohn 
in  der  sechsten  Woche).  Stern,  Kspr.  S.  82  verzeichnet  als  ersten  Schrei- 
laut ä  —  daneben  freilich  sofort  ähä.  Wir  haben  in  letzterem  wohl 
niciits  anderes  zu  erblicken  als  ein  stossweises  Herausbringen  des  Yokals, 
wobei  sich  das  Hauchgeräusch  von  selbst  einstellt.  Auch  die  Ver- 
schiedenheit in  der  Vokaldauer  erklärt  sich  ganz  einfach  aus  einem  sehr 
natürlichen,  geringfügigen  Ausruhen  am  Schlüsse,  bis  der  Atem  aufhört-, 
autfällig  würde  sie  erst  sein,  wenn  auch  das  Umgekehrte  vorkäme,  wovon 
ich  nichts  finde  (ata,  Eva  Sterns  Wort  für  'Vater'  seit  dem  9.  Monat, 
Stern,  Kspr.  S.  159.  ist  kein  Urwort,  sondern  gehört  schon  in  die  nach- 
ahmende Spracherlernung).  Dergleichen  setzt  sich  auch  in  der  Lallzeit 
fort:  so  verzeichnet  Idelberger  aus  dem  '.'.  und  11.  Monat  ö-ö  und  ö-ö. 
u-a-a  und  ä-ä-d.  Man  darf  annehmen,  dass  von  einem  sehr  frühen, 
schwerlich  bestimmbaren  Zeitpunkt  an  die  öfter  erwähnte  Freude  an  der 
Wiederholung  in  ihr  Recht  tritt. 

2.  Immerhin  ist  der  reine  Vokalklang  nicht  die  Kegel;  er  erscheint 
sehr  früh  durch  konsonantische  Beimischungen  getrübt.  Das  ist  auch 
ganz  verständlich,  denn  schon  die  körperliche  Anstrengung  des  Schreiens 
wird  gewisse,  zunächst  noch  gänzlich  ungeordnete  Verschiebungen  an 
Zunge,  Gaumen  und  Kehlkopf  mit  sich  bringen.  Hierher  niöcht  ich  schon 
<las  von  mehreren  Beobachtern  als  erster  Schreilaut  genannte  uä  stellen 
(Stern,  Kspr.  S.  145.  30;-)),  mit  dem  offenbar  nicht  zwei  silbisch  gleich- 
wertige Laute  bezeichnet  werden  sollen;  wenn  übrigens  selbst  in  der 
entwickelten  Sprache    keine    völlig    reine  Scheidung  zwischen  Vokal  und 

iKMiimimgen  hat  sie  nichts  zu  tun.  Auf  der  anderen  Seite  ist  aucli  hier  das  Kind  nur 
mittelbar  beteiligt,  wie  eben  das  Überwiegen  der  Doppelung  bezeugt  s.  u.  S.  20!»;.  Wolil 
aber  liegt  etwas  der  kindlichen  Wiederholung  Wesensverwandtes  vor. 

Das  Ergebnis  dürfte  folgendes  sein.  Der  unmittelbare  Anteil  des  Kindes  an  der 
ernsthaften  Sprachschöpfung  ist  verschwindend  gering.  Gross  ist  dagegen  der  sjjrachliche 
Betätigungstrieb  des  Kindes.  In  vielerlei  spielerischen  Äusserungt^n,  die  aber  gelegentlich 
auch  ernsthaftes  Gepräge  annehmen  können,  finden  wir  seine  Spuren  auf  den  verschie- 
densten Altersstufen;  ob  man  hierbei  von  Neuschöpfung  oder  nur  von  Verarbeitung  ge- 
gebenen Stoffes  sprechen  darf,  ist  eine  sehr  schwierige  und  bisher  noch  kaum  gestreifte  Frage. 
—  Auch  den  Erwachsenen  ist  der  sprachliche  Spieltrieb  nicht  fremd,  und  so  erhebt  sich  die 
weitere  Frage,  der  ich  hier  nicht  mehr  nachgehen  kann,  wieviel  von  dem,  was  häufig 
als  Kindesanleil  aufgefasst  worden  ist,  vielmehr  dem  Spieltriebe  der  Erwachsenen  zu- 
zuschreiben ist,  den  man  freilich  wiederum  als  einen  festgehaltenen  Zug  kindlicher 
Wesensart  ansprechen  darf.  Was  aber  die  Sprachen  der  Naturvölker  mit  der  Kinder- 
sprache gemeinsam  haben  oder  zu  haben  scheinen,  erklärt  sich  wohl  restlos  aus  dem 
verhältnismässig  geringen  Abstand  in  der  geistigen  Verfassung. 


206 


Schläger: 


Konsonant  zu  erzielen  ist,  so  muss  dies  erst  recht  für  die  ungeordneten 
Anfänge  gelten.  Sobald  aber  das  eigentliche  Lallen  einsetzt,  werden  auch 
die  Konsouantgeräusche  klarer  und  mannigfaltiger;  auch  Preyer,  bei  dem 
die  anfängliche  Vorherrschaft  der  Vokale  am  meisten  hervortritt,  lässt 
doch  schon  vom  4o.  Tag  an  die  Konsonanten  ?/i,  t,  h,  g,  r,  n  hinzutreten 
(S.  284).  Dabei  ist  es  eigentümlich,  dass  sich  ein  Fortschritt  vom 
Leichteren  zum  Schwereren  kaum  beobachten  lässt.  ^j  Wohl  kehren 
in  den  Aufzeichnungen  die  Lippen-  und  Zungenlaute  sehr  vielfach  wieder 
was  sich  denn  aufs  beste  aus  der  Sauggewöhnung  erklären  lässt;  daneben 
aber  erscheint  fast  noch  häufiger  als  erster  Konsonant  ein  r  —  wohl 
überall  ein  Gaumen-r,  wie  es  von  Stern,  Kspr.  S.  15.  146  ausdrücklich 
angegeben  und  durch  die  Ausweichung  in  kch  noch  besonders  be- 
kräftigt wird. 

Blosse  Konsonanten  scheinen  so  gut  wie  nicht  vorzukommen;  in 
Fällen  wie  Strümpells  (pry  und  Idelbergers  ngr,  hw  ebenso  wie  dem  von 
letzterem  gebuchten  blossen  r  (Stern,  Kspr.  S.  146 f.)  kann  man  dem  r 
oder  w  ruhig  Vokalwert  zuerkennen:  es  sind  Dauerlaute,  die  nach  Belieben 
kurz  oder  lang  hervorgebracht  werden  können.  Die  Verbindung  eines 
Konsonantgeräusches  mit  einem  mehr  oder  weniger  bestimmten  Vokal 
überwiegt  durchaus. 

3.  Hierbei  fallen  nun  gewisse  Hauptfonnen  solcher  Verbindung  immer 
wieder  ins  Ohr.  Am  allerstärksten  wohl  diejenige,  dass  ein  Vokal  den 
Anfang  bildet  und  ein  Konsonant  mit  demselben  Vokal  verbunden  sich 
anschliesst.  Ich  gebe  aus  dem  reichen  Stoffe  bei  Preyer,  Lindner,  Idel- 
berger,  Stern  usw.  wahllos  einige  Beispiele:  ärrä  oder  erre  (mehrfach  als 
erste  Lallverbindung  angegeben),  arra  acha  amma  apa  ede  ada  ara  ämä 
ata  aira  aya  örö  ögö  aja  eigei,  zusammengesetzt  atta-aiia  usw.  usw. 2)  Es 
scheint  also  der  Vokal  a  durchaus  zu  überwiegen,  während  i,  o,  u,  ü 
in  den  Aufzeichnungen  bei  diesem  Typus  nicht  oder  kaum  begegnen; 
Preyer  S.  291)  gibt  zwar  auch  otto  an,  aber  erst  im  20.  Monat  als  Wieder- 
holung des  vorgesprochenen  Namens.  Diese  Erscheinung  ist  an  sicli, 
ebenso  wie  die  verschiedene  Häufigkeit  der  Konsonanten,  merkwürdig 
genug  und  sollte  näher  untersucht  werden,  geht  uns  aber  hier  nicht  weiter 
an.  Wohl  aber  ist  es  deutlich  und  für  unseren  Zweck  sehr  wichtig,  dass 
wir  in  dieser  Form  der  Silbenverbinduug  eine  urwüchsige  Spielart  des 
Reims  vor  uns  haben. 


1)  Friti  Schultze  glaubte  ein  Gesetz  -der  geringsten  physiologischen  Anstrengung' 
aufstellen  zu  dürf-n;  vgl.  dazu  R/.esnitzek  S.  Tl.;  Üutzmann,  Zeitschrift  f.  pädag.  Psy- 
chologie 1,  29fl'.:  Stern,  Kspr.  S.  14(1. 

2)  Auf  die  verschiedene  Wiedergabe  der  Lautgruppen  mit  einfachem  oder  doppeltem 
Konsonanten  braucht  man  ktin  Gewicht  zu  legen,  da  die  Heobachter  nur  selten  phonetisch 
geschult  oder  geübt  waren.  Die  Verdoppelung  wird  nichts  anderes  bezeichnen  als  die 
Kürze  des  ersten  Vokale?,  wie  sie  schon  oben  S.  205  erwähnt  und  besprochen  ist. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  207 

Wie  sollen  wir  das  auffassen?  Daran  ist  gewiss  niciit  zu  denken, 
dass  im  Säugling  von  Anfang  an  Gefühl  für  den  Reim  als  solchen,  Neigung 
oder  gar  Zwang  dazu  vorhanden  sei.  Die  Vorherrschaft  der  Wiederholung 
desselben  Vokals  hat  auch  nichts  Befremdliches,  ich  brauche  nur  auf  die 
so  oft  schon  hervorgehobene  Wichtigkeit  der  Wiederholung  überhaupt 
in  der  Entwicklung  «les  Kindes  zu  verweisen.  Die  einmal  geübte  Muskel- 
bewegung bringt  sich  von  selbst  aufs  neue  zur  Geltung.  Wohl  aber  war 
es  seltsam,  wenn  eine  so  häufige  Übung  ohne  Rückwirkung  bliebe.  Die 
zunächst  rein  triebmässige  Wiederholung  wird  bald  nach  Wohlgefallen 
und  Wahl  geübt  werden,  Muskelgefühl  sowohl  als  Klang  werden  sich 
einprägen  und  begehrt  werden,  und  die  rein  spielerische  Weiterführung 
kommt  als  besonders  wirksam  hinzu.  So  darf  man  v»ohl  sagen,  dass  aus 
dem  Reime  die  Freude  an  ihm  und  schliesslich  auch  seine  bewusste  Auf- 
fassung erwächst.  Beides  ist  in  dem  oben  von  Felix  Stumpf  berichteten 
Falle  deutlich  erkennbar;  einen  noch  schlagenderen  Beweis,  dass  ver- 
hältnismässig früh  der  Reim  sogar  zum  bewussten  oder  unbewussten  Ziel- 
punkt in  der  Spraclibetätigung  des  Kindes  werden  kann,  gibt  eine  andere 
Beobachtung,  die  ich  leider  nicht  überall  bis  zu  ihren  Quellen  verfolgen 
kann.  Preyer  (S.  277)  verzeichnet  für  die  sattsam  bekannte  Ver- 
stümmelung vorgesprochener  Wörter  mit  anderen  Beispielen  auch  eige-beige 
für  'Eisenbahn',  ossen-dossen  für  'unverdrossen'.  Da  musste  offenbar  der 
Reim  schon  tief  im  Gefühl  sitzen,  und  zwar  unabhängig  \o\\  jeder  Nach- 
ahmung —  er  wirkte  ja  der  Nachahmung  entgegen.  Übrigens  ist  es 
keineswegs  ausgeschlossen,  dass  hierbei  auch  der  Spieltrieb  am  Werke 
war  und  die  Wortbildung  somit  nicht  mehr  völlig  unbewusst  geschah; 
ausgemacht  erscheint  mir  das,  wenn  Preyers  eigener  Sohn  im  23.  Monat 
das  Wort  'danke'  7.\\.  dakhi-gaggn-gaggn  erweiterte  (S.  305)^).  -lene  beiden 
Bildungen  erscheinen  mir  auch  desw^egen  bemerkenswert,  weil  sie 
grade  dem  hier  behandelten  Reimty])us  angepasst  sind,  in  besonders  be- 
zeichnender Weise  die  zweite,  bei  der  das  Wortende  den  Gleichklang 
bestimmt. 

Lässt  sich  diese  meine  Ansicht  aufrecht  erhalten,  so  ist  damit  eine 
wichtige  Brücke  zum  kindlichen  Spielreim  gescldagen.  Nicht  als  ob  für 
die  spätere  Vorherrschaft  des  Reimes  die  Nachahmung  ausgesciialtet,  der 
Kinderreim  von  Lied  und  Spruch  der  Erwachsenen  losgelöst  sein  sollte. 
Aber  wir  müssen  auch  die  Selbstnachahmung  als  ursprünglichere, 
überaus    wichtige  Quelle    in    ihr  Recht    einsetzen.     Die  (Jrenze    zwischen 


1)  Bei  Stern  S.  294  finden  sich  unter  den  'Assimilationen'  manche  Bildungen  ein- 
facherer Art,  die  man  ia  demselben  Sinne  vrrwerten  könnte:  ala  'Paula',  diddi  'Schnitte" 
mamnaum  'bimbaum',  olol,  iilul  'Rudolf,  nana  'Nase'  (Axel  Preyer.  erst  im  25.  Monat), 
bei  einem  französischen  Kinde  nana  'canard',  'popo'  compot,  bubu  'omnibus',  dndö  'rideau'. 
In  manchen  dieser  Fälle  mag  freilich  nach  Art  der  'Ammensprache"  entstellte  Harbietung 
schuld  sein.  Lautphysiolo^isch  müssen  diese  Wortformen  ganz  verschieden  erklärt  werden; 
das  tut  aber  der  grundsätzlichen  Bedeutung  des  Reimes  keinen  .Abbruch. 


203  Schläger : 

beiden  Eintiiiss^^ebieten  wird  sich  schwerlich  genau  ermitteln  Lassen;  gesuciit 
miiss  sie  trotzdem  werden. 

Jedenfalls  ist  es  mir  recht  wahrscheinlich,  dass  wir  hier  für  eine, 
überaus  häufige  Art  kindlichen  Reimspiels  die  Wurzel  aufdecken.  Ich 
meine  Reimformeln  wie  arre — barre,  ene—mene^  one—done,  ulen—drulen, 
ita—fita,  enaie—'penale,  icken— sticken,  ene—zene,  ene—(de)mene,  abe-{de)bahe, 
dla—{be)zella  usw.,  wie  sie  hauptsächlich  in  Abzählreimen,  aber  auch  sonst 
(E'(M/^?aww— i?er/e/ma;i7i)  auf  Schrittund  Tritt  begegnen,  in  Namen  Verdrehungen 
yf\eEmma—be}7ima,  Emil—zwemil,Erna—{ka)ferna,  Anna—{wide)if(tnna,  Otto 
—  (büe)wotto,  Annekeii  —panneken,  Annde — {po)tannele  eine  grosse  Rolle  spielen 
und  auch  in  den  Versteckiiamen  des  Yolksrätsels  Raum  gewonnen  haben: 
aus  Wossidlos  zweitem  Wörterverzeichnis  im  Rätselbande  seiner  Mecklen- 
burgischen Volksüberlieferungen  greif  ich  als  Beispiele  heraus  ocker—(kay 
facker,  acker — (ku)wacker.  Aderjahn  un  Snaterjalm,  äker  -bäkei\  Ami  u/r 
Slahmi.Amm—cjramm,  eike  —  ipe^feike,  €ie—{pe)teje,  ele -  (pe)tele,  ente—{pe)tente, 
inte—{pe)tint€,  ete—{pe)tete,  ida—{po)lida.  Emil  im  SpetJiil,  Itzen—plitzen^). 
Das  sind  grundsätzlich  genau  dieselben  Bildungen  wie  jene  der  Lallzeit, 
selbst  die  Vorliebe  für  Lippen-  und  Zungenlaute  ist  beiden  gemeinsam. 
Freilich  erwachsen  die  Lallreime  anscheinend  stets  aus  einsilbiger  Wurzel, 
w^ährend  die  Spielreime  so  gut  wie  immer  eine  zwei-,  auch  dreisilbige 
Grundlage  haben.  Indes  glaub  ich  nicht,  dass  dieser  Unterschied  viel  zu 
bedeuten    hat.     (lanz    fehlen    die    einsilbigen   Spielreime    im   Kinderverse 

1)  Über  solche  uud  verwaudte  Rätselbenennungen  hat  R  Petsch  ausführlich  ge- 
handelt: Neue  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Volksrätsels  =  Palaestra  5,  Berlin  1899,  S.  68  ff. 
Er  geht  auf  das  Verhältnis  zu  den  ähnlichen  Wortbildungen  des  Kinderreimes  nicht  aus- 
drücklich ein,  doch  lässt  sich  erkennen,  dass  er  allgemein  dem  Rätsel  grössere  Ursprüng- 
lichkeit zuschreiben  möchte  vgl.  z.  B.  die  Bemerkung  über  Kettenrätsel  und  Ketteureime 
S.  115 f.',  Avas  ich  nicht  in  vollem  Umfange  gutheissen  kann.  Für  unseren  besonderen 
Fall  ist  zu  bemerken,  dass  solche  Benennungen  sehr  wohl  im  Rätsel  erwachsen  und 
dennoch  nach  Kinderatt  gebildet  sein  können;  manche  von  Wossidlos  Formeln  aber  wie 
enc  iiicne  mil.-cr,  eine  meine  vor  die  Beine  oder  eine  meine  Uupenncsf  fallen  aus  der  ge- 
läufigen Rätselart  heraus  uud  verlaufen  so  völlig  im  Stile  der  Abzählreime,  dass  die  Her- 
kunft kaum  zweifelhaft  sein  kann.  —  Wertvoll  ist  auch,  was  0.  Weise,  Die  Streckformen 
und  die  Akzentverschiebung,  Niederdeutsches  .Jahrbuch  40,  55  ff.  über  unsere  Wort- 
bildungen zu  sagen  hat.  Er  s])richt  ihnen,  soweit  es  nicht  reine  Spielwörter  sind,  den 
Zweck  der  Lautmalerei  besonders  von  Schall-  und  Bewegungsvorgängen  zu  und  weist 
mit  Recht  darauf  hin,  dass  auch  mehrsilbige  Interjektionen  wie  heiopojwo.  ci-schepoletsehe 
usw.  dasselbe  Gepräge  tragen.  Weises  Leitgedanke,  im  Gegensatz  zu  H.  Schröder  Streck- 
formen, Heidelberg  1906),  dergleichen  Gebilde  nicht  durch  'Streckung"  im  Inneren,  sondern 
durch  Umgestaltung  und  Zuwachs  im  Anlaut  zu  erklären,  ist  für  die  grosse  Mehrzahl  der 
Fälle  zweifellos  richtig.  So  wird  denn  aucli  das  schwierige  eiapopeia  mit  seinen  mannig- 
faltigen Nebenformen  heiojwpeio.  haidcrlpiipaiderl,  aber  auch  heidul  bodeidal  usw.  seine 
Erklärung  am  besten  in  unserem  .Sinne  finden:  ein  echtes  Lallwort,  eia  oder  e«e,  heia, 
heio  ruft  zunächst  die  Reimzwillingsformen  beie  peici  peio  hervor  {cie  beie,  eichen  beichen 
kommen  in  Schlummerliedern  wirklich  vor,  s.  z.  B.  oben  17,  280  f.  Nr.  49),  und  die  un- 
betonte Silbe  mit  dem  hier  vom  zweiten  Reimwort  aus  bestimmten  Anlaut  —  es  ist  dies 
gleichfalls  ein  häufiger  Spieltypus,  über  den  noch  zu  sprechen  sein  wird  —  tritt  rhythmus- 
schärfend dazwischen. 


Einijie  <  Jrandfra»en  der  Kinderspielforschimg.  209 

nicht,  wir  erkennen  sie  in  solchen  Abwandlunjien  wie  Eck— Speck  —  Dreck, 
ej^—Ze.}-,  oyig—clrmg.  0  ho  Dreck  Schneck  weg  neben  Oe  boe  Drecke  Schnecke 
werke  (Deutsches  Volksliedarchiv  A  5041,  5054),  und  auf  der  anderen  Seite 
verzeichnet  Preyer  S.  297  als  Eigengut  des  Kindes  ana—näna,  wie  denn 
auch  das  schon  besprochene  eige— beige  das  Reimgefühl  durchaus  nicht  auf 
eine  Silbe  beschränkt  zeigt. 

4.  Neben  dieser  kindlich-urwüchsigen  Reiiliart  steht  ebenso  häufig  oder 
noch  häufiger  eine  andere,  die  aus  der  einfachen  Wiederholung-  eines  Lautes 
oder  einer  Lantgrup])e  erwächst.  Besondere  Beachtung  hat  eine  bestimmte 
Erscheinung-sform  gefunden,  die  Wiederholung  einer  Silbe  aus  Kon- 
sonant und  Vokal  wie  ba—ba—ba,  da— du,  nei—nei,  nannana,  na— na, 
,„/,—-/}^ä\  lj„.—hw,  mi-mi.  mo  -  mo,  ra  -  ra — ra,  krä—krä  (von  Stern  S.  15 
schon  im  zweiten  Monat  gebucht),  erre  —  erre  u.  dgl.,  in  Verbindung 
mit  der  behandelten  Art  appapa,  adadadada,  atatata,  a—bwa—bwa,  ana—nana: 
solche  Silbengrn])pen  nehmen  oft  bestimmte  Bedeutung  an,  so  erscheint 
a  —  a  —  a  als  Ausdruck  iles  Erstaunens  im  neunten  Monat,  da  — da  als  Aus- 
druck des  Wohlbehagens  im  elften,  hich-hich  im  dreizehnten  für  das 
Schaukelpferd  und  seine  Bewegung  (Idelberger  S.  2B1.  263.  268),  und  auch 
sie  ergeben  sich  unwillkürlich  bei  der  nachahmenden  Spracherlernung, 
wie  Preyers  bi—bi  aus  H)itte'  zeigt  (S.  301):  wie  dann  weiterhin  die  ganze 
Ammen-  und  Kindersprache  von  dieser  Wortbildungsform  durchdrungen 
ist.  brauch  ich  nicht  zu  erörtern.  Der  herkömmliche  Name  Redupli- 
kation sollte  freilich  nicht  so  allgemein  verwendet  werden,  wie  es  meist 
geschieht,  sondern  auf  die  eigentliche  Doppelung  mama  usw.  eingeengt 
werden,  wie  sie  eben  in  der  Ammensprache  herrscht.  Es  ist  nicht  immer 
genügend  beachtet  worden,  dass  die  urwüchsige  Silbenwiederholung  des 
kleinen  Kindes  durchaus  nicht  auf  diese  Doppelung  beschränkt  ist,  sondern 
bis  zur  Atemgrenze  geht,  vgl.  bes.  Preyer  S.  295;  erst  später  gewinnt  die 
eigentliche  Reduplikation  ihre  Alleinherrschaft,  und  zwar  geschieht  das 
unter  dem  Einflüsse  der  Umgebung,  die  von  bestimmtem  Zeitpunkt  an 
die  Eührung  übernimmt^). 

1  Auf  diesen  Unterschied  ist.  wie  gesagt,  nicht  immer  geachtet  worden,  was  sich 
denn  in  den  Aufzeichnungen  spiegehi  mag,  in  denen  die  Doppelung  oft  mehr  als  ge- 
bührlich hervortritt.  Immerhin  ist  das  angegebene  Verhältnis  unverkennbar.  Bei  Idel- 
berger niuss  man  in  Betracht  ziehen,  dass  die  Einwirkung  der  Eltern  auf  das  Kind  be- 
sonders stark  war.  Um  so  bedeutungsvoller  sind  die  aucli  hier  verzeichneten  Fälle  mehr- 
facher Wiederholung;  so  scheint  es  mir  recht  bezeichnend,  wenn  Kurt  Idelberger  am 
250.  Tag  ein  vorgesprochenes  "heiss,  heiss'  mit  ch-ch-ch  nachahmte  und  diese  Verbindung 
längere  Zeit  als  Ausdruck  der  Freude  beibehielt,  aber  zu  ch-ch  vereinfacht  S.  2(J2.  243). 
-  Somit  muss  die  l)o])pelung  aus  der  Gehirnbeschaffenheit  nicht  des  Kindes,  sondern 
des  Erwachsenen  erklärt  werden,  und  wird  Meringers  seltsame  Deutung  S.  217  f.)  hin- 
fällig. Man  darf  wohl  annehmen,  dass  die  Erwachsenen  sich  der  Sprechweise  des  Kindes 
anbequemen,  sich  aber  mit  einer  andeutenden  Zusammenfassung  dessen  begnügen,  was 
das  Kind  in  seiner  Lebhaftigkeit  ohne  Mass  hervorsprudelt.  —  In  diesem  letzteren  Sinne 
kann  man  es  gelten  lassen,  wenn  Idelberger  S.  279  f.  der  kindlichen  Wiederholung  Affekt- 


210  Schläger: 

Dass  Wiederholungen  der  gleichen  Art  auch  im  Kinderreim  eine  grosse 
Rolle  spielen,  bedarf  nicht  vieler  Worte.  Besonders  Anfänge  wie  koss  hoss  hoss, 
tross  tross  tross,  bum  bum  buvi,  hosche  hasche  hosche  oben  21,  376.  22,  80.  87, 
häufiger  auf  die  Doppelung  zurückgebracht  und  dann  abgewandelt  iross 
tross  troll,  rii  ru  rimie  u.  dgl.,  müssen  wir  auch  da  als  echt  kindlich  an- 
sprechen, wo  das  Lied  selbst  nicht  sowohl  vom  Kind  als  für  das  Kind 
verfasst  ist.  Sehr  wahrscheinlich  ist  die  kindliche  Herkunft,  wenn  die 
Wiederholung  dient,  den  Versrahmen  zu  füllen,  ohne  dass  irgendwelcher 
Gefühlswert  zu  bemerken  ist,  w^e  Böhme  1  Nr.  502  Sauerkraut  und  Till 
Till  Till  .  .  .^);  unzweifelhaft  erscheint  sie  mir  in  dem  verwickeiteren 
Falle,  wo  ein  Wort  spielerisch  zerdehnt  wird  wie  in  dem  hübschen  Stück 
Böhme  1  Nr.  498  Meine  Mu  meine  Mu  meine  Mutter  schickt  mich  her  .  .  ., 
bei  dem  man  sicherlich  nicht  an  spottende  Nachahmung  des  Stotterns 
denken  darf,  sondern  nur  an  eine  scherzhafte  Streckung,  ein  reines  Form- 
spiel ganz  mit  kindlichen  Mitteln.  (Doch  will  ich  anmerken,  dass  Ähnliches 
auch  im  Yolksliede  begegnet,  z.  B.  Zu  Strass-  zu  Strass-  zu  Strassburg 
in  der  Stadt;  Die  Mut-  die  Mutter  anbefahl  J.  Meier,  Kunstl.  im  Volksm. 
S.  CXLIV.) 

5.  Ebenso  sicheres  Eigengut   des  Kindes,   wenn  auch  schwieriger  und 

w^enn  derselbe  Vokal 


wert  zuspricht;  die  eifjentlichc  Reduplikation  aber  bedeutet  in  dieser  Hinsicht  vielmehr 
eine  Einschränkung.  Wieviel  freilich  unmittelbar  der  •Leidenschaft'  dos  Kindes,  wieviel 
dem  behaglichen  S])ieltriebc  zuzuschreiben  ist,  das  entzieht  sich  wohl  genauer  Erkenntnis. 
Jedenfalls  spricht  sich  auch  in  dieser  Einzelheit  die  grundlegende  Bedeutung  aus,  die  im 
Entwicklungsgang  der  Kindesseele  dem  Wiederholungstritibe  zukommt. 

1)  Soeben  lind  icli  ein  recht  bezeichnendes  Gegenstück  dazu  in  den  'Schnader- 
hüpflen  der  Graiumatikäler",  die  J.  E.  Wackerneil  mitteilt  (Das  deutsche  Volkslied  19,  98): 
Jüdle  Jüdle  hepp  hepp  hepp,  Schweinefleisch  ist  fett  fett  fett ....  Äusserlich  haben  wir 
genau  denselben  Typus,  und  die  Altersstufe  des  'Uichtors"  lüsst  enge  Fühlung  mit  der 
Welt  des  Kinderreims  sehr  wohl  möglich  ersciieinen:  anderseits  trägt  die  Wiederholung  hier 
deutliclien  Gefühlswert  und  entfernt  sich  dadurch  vom  reinen  Spiel  und  von  der  Kindesart. 
Die  Leidenschaft  des  Schimpf cns  hat  den  ursprünglich  rein  ppiehirischen  Typus  umgefärbt. 
Mir  scheint,  das  ist  ein  trefi'liches  Beispiel,  wie  zwei  grundversciiiedene  Emplindungs- 
welteu  sich  berühren  und  kreuzen.  Dass  unser  Typus  jedoch  in  der  des  Spieles  erwachsen 
ist,  steht  mir  ausser  Frage.  Vor  ihm  steht  ein  anderer,  der  nur  in  der  Leitzeile  eine 
Schall  und  Bewegung  malende  Silbe  verdreifacht  zeigt:  Weberdi  Waberdi  wick  wick 
wick  u.a.  ( Böhme  1  Nr.  88;.!.  1381),  Böttcher  Böttcher  bum  bum  bum  (ebenda  Nr.  1347;  als 
Schlnsszeile  Lewalter  und  Schläger  Nr.  200),  Orgel  Orgel  nut  nut  nut  (l.,ewalter  und 
Schläger  Nr.  GT8);  dazu  schon  fügt  sich,  wenn  auch  im  Stropheninnern,  ein  Judenvers: 
Da  kommt  der  Jude  mett  mett  mett  (oben  17.  272  Nr.  IG).  Der  Bau  der  einen  Zeile 
hat  sich  dann  durch  die  ganze  Strophe  durcligesetzt. —  Dass  ein  Fall  wie  der  im  Scliles. 
Weihnachtsspiel  (F.  Vogt  S.  233):  Du  klaincs  Keuola  du  du  du  Zeist  ei  am  Weschla 
Stru  Stru  Stru  .  .  .  völlig  dem  kindlichen  Bereich  angehört,  sei  nur  eben  vermerkt.  — 
Recht  deutlich  ist  die  Herkunft  vom  Kinde,  wenn  die  dreifache  Wiederholung  dazu  dient, 
den  Vers  fürs  Abzählen  zu  strecken;  man  vergleiche  Lewalter  und  Schläger  Nr.  402.  406: 
'Ede  Beck  fiel  inn  Dreck  .  .  .',  mit  dem  Abzählreim  aus  Rheydt,  Deutsches  Volkslied- 
Archiv  A46(iG3:  Meister  Koch  Koch  Koch  fiel  ins  Loch  Loch  Loch,  Aber  tief  tief  tief, 
Dass  er  rief  rief  rief:  Meine  P'rau  Frau  Frau,  Zieh  mich  raus  raus  raus 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschimg.  211 

im  Gefolge  verschiedener  Konsonanten  erscheint:  ja — rfö,  hä—wä\ 
hei—dei,  pa—ta,  ha— ja,  ta-ha,  in  Doppelung  rollo  rollo  (Axel  Preyer  im 
•22.  Monat,  beim  Singen)  usw.  Hier  scheinen  sich  die  einzelnen  Kinder 
ganz  besonders  verschieden  zu  verhalten;  das  ist  begreiflich  und  dürfte 
meiner  Ansicht  eher  günstig  sein  als  widerstreiten,  denn  keine  der 
nächstverwandten  Erscheinungen  lässt  neben  und  über  dem  Wiederholungs- 
trieb so  deutlich  das  Streben  nach  einem  Fortschritt  erkennen,  wie  es  sich 
eben  nicht  bei  den  meisten  Kindern  auswirken  kann.  Sehr  bezeichnend 
ist  das  Verlialten  Felix  Stumpfs,  bei  dem  wir  sonst  schon  einen  aus- 
geprägten Eigenwillen  feststellen  konnten.  Zwar  sind  die  Beispiele  auch 
bei  ihm  nicht  zahlreich,  aber  man  gewinnt  von  ihnen  den  Eindruck,  dass 
der  Wandel  des  Anlauts,  ursprünglich  gewiss  ebenso  spielerisch  wie  in 
dem  oben  behandelten  Keimpaar  midlich—prulUch,  schon  einen  festen 
Platz  im  Sprachgefühl  einnimmt,  geradezu  wortbildend  auftritt.  Wenn 
z.  B.  die  Katze  mi—pi  benannt  und  der  Ausdruck  des  Wohlgefallens  haja 
ebenso  zu  haja—baja  verstärkt  wird  wie  der  gegensätzliche  ä  zu  ä—bä, 
so  könnte  man  wohl  bei  dem  letzten  Paar  geneigt  sein,  auf  ein  Vorbild 
in  der  Umgebung  des  Kindes  zu  schliessen,  aber  zusammen  mit  den 
anderen  lässt  es  weit  eher  ein  Sprachgesetz  im  kleinen  erkennen.  Und 
das  steigert  sich  zu  weit  verwickeiteren  Wortprägungen:  job,  seinen  rätsel- 
haften Ausdruck  für  'ich',  verstärkt  der  kleine  Sprachkünstler  zu  Job  — 
tobb{e)lob,  wobei  man  das  e  sicherlich  als  unbetonte  Zwischensilbe  in  der 
Art  der  oben  angeführten  und  noch  näher  zu  besprechenden  Fälle  wie 
ete—{pe)tete  deuten  darf,  und  den  beliebten  Ausdruck  für  'essen'  papn 
wiederholt  er  nicht  etwa,  wie  es  andere  Kinder  tun,  sondern  entwickelt 
ihn  zu  papn—mapn  —  von  seinem  Vater  kaum  richtig  auf  papa  und 
mama  zurückgeführt  — ,  wobei  uns  ebenso  die  nach  Preyer  erwähnte  Er- 
weiterung dakkii — gaggn—gaggn  aus  'danke",  wie  auch  das  in  die  niedere 
Umgangssprache  eingedrungene  happeiipappen  einfällt  Selbst  den  gewiss 
seltenen  Fall,  dass  zur  Bezeichnung  von  etwas  Lächerlichem  zwei 
offenbar  aus  derselben  Wurzel  erwachsene  Ausdrücke,  krapap  und  lapap, 
je  für  sich  verwendet  werden,  müssen  wir  wohl  hier  einordnen. 

Auch  diese  Erscheinung  finden  wir  in  reichem  Mass  im  Kinderreim 
vertreten;  sie  ist  da  von  den  beiden  anderen,  besonders  der  ersten  Reim- 
spielart nicht  zu  trennen.  Wie  ene — mene,  Emil—Bemü,  so  werden  auch 
dunke— funke,  rebbel-bebbel,  Mua:—Dad\  Schnecke  -  becke— recke,  Mutter— 
Butter — Schlutter  aneinandergereiht,  mit  Ablautspiel  gekreuzt  ming  mang — 
kli7ig  klang.  Ganze  Abzählreime  bestehen  aus  solchen  Schlagreimreihen: 
Eck  Speck  Dreck,  Schieck  Dreck  weg  u.  dgl,  ganz  wie  Gross,  Seelenleben 
S.  86  bang  dang  wang  nang,  Meringer  S.  180  die  verwickeitere  Reihe  ein 
Bärmann,  ein  Schermann ^  ein  Meermann,  ein  Gehrmann  als  selbständige 
Kinderleistung  verzeichnet.  Aber  auch  da,  wo  solches  Reimspiel  in  der 
Art  entwickelter  Dichtung    als  Endreim   erscheint,    wie   in   den  behaglich 


*2V2  Schläger: 

ausgespouiieneu  Reimea  zu  dem  Namen  Meyer  (Lewalter  imd  Schläger 
Nr.  110.  446  f.)  oder  dem  bekannten  Scherz  'Frau  von  Hagen,  Darf  ich's 
wagen,  Sie  zu  fragen,  Wieviel  Kragen  Sie  getragen"  ....  (Lewalter  und 
Schläger  Nr.  479),  dürfen  wir  unbedenklich  den  Hauptanteil  an  der  Er- 
fiudung  dem  Kinde  zusprechen,  wenn  auch  die  schliessliche  Ausgestaltung 
nicht  ohne  Beihilfe  Erwachsener  abgegangen  sein  mag. 

Gewiss  kommen  alle  diese  Dinge  auch  bei  Erwachsenen  vor.  Aber 
da  sollte  man  sich  hüten,  alles  in  einen  Topf  zu  w^erfen.  Die  reine 
Wiederholung  ist  ein  stimmunggebendes  Kunstmittel  in  der  Dichtung 
geworden  und  steht  zugleich  im  Dienste  der  musikalisch-rhythmischen 
Füllung;  in  diesen  Fällen  eignet  ihr  meist  nichts  Spielerisches,  sodass 
man  kaum  an  Zusammenhang  mit  der  Kinderart  denken  kann.  Wenn  wir 
aber  im  Sj)ottlied  auf  General  Uhrich  (Ditfurth,  Historische  Volkslieder 
1856—71  Band  2,  Abt.  V,  1  Nr.  8G)  lesen:  Uhrich,  Duhrich!  schwur 
ich,  es  muss  enden,  wobei  der  Anfangsreimzwilling  durch  alle  Strophen 
hindurchgeführt  wird,  so  ist  das  den  oben  behandelten  kindlichen  Spiel- 
reimen unverkennbar  aufs  engste  verwandt.  Auf  welcher  Seite  haben  wir 
nun  die  Wurzel  zu  suchen?  Die  herkömmliche  Entscheidung  lautet 
kurzerhand:  das  Kind  ahmt  nach,  was  es  von  den  Erwachsenen  hört. 
Das  ist  jedoch,  so  allgemein  ausgesprochen,  eine  unberechtigte,  allzu  be- 
ijueme  Auskunft.  Wir  müssen  uns  in  jedem  Falle  fragen,  ob  die  Er- 
scheinung besser  in  die  Empfindungswelt  des  Erwachseneu  oder  des 
Kindes  passt.  Der  Uhrich-Duhrich-Reim  tritt  mit  beabsichtigter  derber 
Komik  auf;  eine  solche  liegt  aber  durchaus  nicht  in  der  Verwendung  des 
Reims,  wie  sie  dem  Erwachsenen  geläufig  ist,  sonst  mflsste  jeder  Reim 
einen  gelinden  Beigeschmack  nach  Komik  haben  und  die  lyrische  Stim- 
mung gefährden:  vielmehr  muss  die  komische  Wirkung  etwas  an- 
derem abgelauscht  sein  —  und  ich  wüsste  nicht,  was  das  sein  könnte 
ausser  der  rein  spielerischen  kindlichen  Reimart,  die  für  den  Erwachsenen 
nun  einmal  dieselbe  unwiderstehliche  Komik  besitzt  wie  die  Gedanken- 
sprünge und  sonstige  'Geistesblitze'  der  Kinder.  Hier  ist  einmal  das 
Kind  der  liehrmeister  der  Erwachsenen.  Meist  wohl  in  eigentlicher 
Nachahmung:  doch  gibt  es  glückliche  Menschen,  denen  die  spiele- 
rische Ader  auch  im  späteren  Leben  ergiebig  bleibt.  Mozart  gehört 
zu  ihnen,  dessen  Briefe  an  das  'Bäsle'  aller  möglichen  Schnurrpfeife- 
reien voll  sind  und  auch  in  echt  kindlichem  Reimspiel  schwelgen. 
Ein  Pröbchen  herzusetzen  kann  ich  mir  nicht  versagen.  Am  5.  No- 
vember 1777  schreibt  der  fast  Zweiundzwanzigjährige  an  diesen  'Fex- 
Hex":  Allerliebstes  Bäsle  Häsle\  Ich  habe  dero  mir  so  werthes  Schreiben 
richtig  erhalten  stalten,  und  daraus  ersehen  drehen,  dass  der  Herr  Vetter  Retter, 
die  Frau  Bass  Hass,  und  sie  wie  recht  wohl  auf  sind,  Kind  (Leitzmann: 
Rind);  wir  sind  auch  Gott  Lob  und  Dank  recht  gesund  Hund,  ich  habe 
heute    den  Brief  .sclnef   von    meinem    Papa  haha,    auch    richtig    in    meine 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  213 

Klauen  bekommen  stramme?/.  Ich  hoffe  Sie  werden  auch  meinen  Brief 
Trief,  welchen  ich  ihnen  aus  Mannheim  geschrieben  erhalten  haben, 
schaben.  Desto  besser,  besser  desto!  Nun  aber  etwas  gescheudes.  Mir 
ist  sehr  leid,  dass  der  Herr  Prälat  Salat,  schon  wieder  vom  Schlag  ge- 
troffen worden  ist  üst.  doch  hoffe  ich  mit  der  Hülfe  Gottes  (Leitzmann: 
Spottes),  wird  es  von  keinen  Folgen  sein  Schteehi  .  .  .  (L.  Schiedermair,  Die 
Briefe  W.  A.  Mozarts  und  seiner  Familie  Bd.  j,  München  1914.  S.  106-, 
Mozarts  Briefe  ausgewählt  und  herausgegeben  von  A.  Leitzmann,  Leipzig 
1910,  S.  45 f.).  Soll  man  wirklich  glauben,  dieser  blühende  Blödsinn  sei 
anderswo  gewachsen  als  in  dem  lustigen  Garten  eines  rechten  Kinds- 
kopfes? — 

Noch  gibt  es  freilich  einen  sehr  bemerkenswerten  Gebrauch  solcher 
Keime,  der  mit  dem  kindlichen  die  grössteÄhnlichkeit  aufweist:  in  Zauber- 
formeln. Die  Verwandtschaft  ist  oft  bemerkt  worden;  hat  man  doch 
neuerdings  hier  eine  Hauptquelle  der  kindlichen  Abzählreime  auffinden 
wollen,  worüber  noch  zu  reden  sein  wird.  Es  ist  in  der  Tat  verführerisch, 
eine  geradlinige  Abhängigkeit  anzusetzen,  besonders  da  sich  jener  Ge- 
brauch bis  ins  klassische  Altertum  —  wenn  nicht  noch  weiter  —  ver- 
folgen lässt.  So  verzeichnet  A.  Dioterich,  ABC-Denkmäler,  Kleinere 
Schriften  S.  •214f.  unter  anderen  Silbenspielercien  duO  —  cpad—xad,  aMa 
—ßaMa,  vn'vava—oevvava  als  Formeln  zu  (leisterzwang  und  Dämonen- 
abwehr imd  zieht  nach  Büchelers  Vorgang,  sicher  mit  Recht,  auch  das 
bekannte  Zauberwort  abracadabra  heran,  das  nach  meiner  Auffassung,, 
unbeschadet  der  Lautwahl  aus  dem  Anfang  des  Alphabets,  unserem 
acker{ka)favker  gleichgestaltet  ist.  In  der  Neuzeit  begegnet  als  Zauber- 
formel gegen  Tollwut  Matz  Dutz,  Saga  Maga  Baga  u.  ä.  (oben  25,  242. 
251.  256.  259,  mancherlei  näher  oder  ferner  Verwandtes  im  Aufruf  des 
Verbandes  deutscher  Vereine  für  Volkskunde  zur  Sammlung  von  Zauber- 
sprüchen). Ganz  unmittelbar  klingt  an  heutige  Abzählreime  an  die 
Schutzbriefformel  leck-speck-dreck  in  Lindeners  Katzipori  Nr.  24  (Bibl.  des- 
litt.  Ver.  in  Stuttgart  10)3),  bei  der  man  freilich  den  Verdacht  scherz- 
hafter Fälschung  nicht  unterdrücken  kann.  So  sind  auch  die  Wort- 
zwillinge hokus-pokus  mit  ihren  mannigfaltigen  Nebenformen  (s.  Kluges 
Etymol.  Wörterbuch  und  Weigand-Hirts  Deutsches  Wörterbuch,  sowie 
Schulz"  Fremdwörterbuch)  —  mögen  sie  nun  aus  'hoc  est  corpus'  umgebildet 
sein  oder  nicht  ^   —  sicherlich  in  derselben   Münze  geprägt.     Mit  diesem 

1)  Wenn  es  der  Fall  ist,  so  hat  sich  in  der  Sprache  der  Erwachsenen  dasselbe  zu- 
getragen, was  wir  oben  S.  207  nnt  den  lüldungen  ck/rbcige  und  ossendossen  in  der  Sprache 
des  Kindes  beobachten  konnten.  R.  M.  Meyer.  Künstliche  Sprachen,  Indogermanische 
Forschungen  \-l,  -257  erkennt  bereits  den  Reim  als  Ziel  des  Lautwandels,  ohne  an  die 
Kindersprache  zu  denken:  „Man  steuert  von  einem  bestimmten  Wort  weg  —  aber  meist 
zugleich  einem  bestimmten  Klang  zu  .  .  .  'Hocus  pocus'  ist  wirksamer  als  'hoc  est 
corpus',  schon  weil  es  reimt."  Es  wäre  der  Mühe  wert,  solcher  Entwicklung  im  Munde 
der  Erwachsenen    weiter    nachzuspüren.     Ein    wertvolles  Beispiel    gibt    das  Wort  Hille- 


214  Schläger: 

Zaubergebrauch  scheint  es  auch  zusammeuzuhäugen,  dass  Wortpaare  wie 
Hipel-Pipel,  Stizl-Wizl,  Stutza-Alutza,  Schurle-AJurle^)  gern  als  Namen  von 
Buschmännchen  wilden  Weiblein,  Saligen  Fräulein  auftreten,  s.  z.  B.  Mann- 
hardt,  Wald- und  Feldkulte  1.  Berlin  1904,  S.  90ff.;  dass  viele  dieser  Namen 
auch  als  Katzennamen  vorkommen,  schliesst  beiderseitig  gut  an. 

Ähnlichkeit  und  Zusammenhang  liegen  auf  der  Hand.  Aber  wie  sind 
sie  zu  erklären?  C.  Giemen,  Der  Ursprung  einiger  Kinderspiele,  Zeitschr. 
lies  Vereins  für  rhein.  u.  westf.  Yolksk.  ];»,  161  ff.  legt  auf  diese  Überein- 
stimmung zwischen  Zaubersprucli  und  Abzählreim  grosses  Gewicht^)  und 
ist  offenbar  geneigt,  das  kindliche  Auslosen  grundsätzlich  als  einen  Nach- 
klang alter,  religiöser  Orakelbräuche  anzusehen  (S.  165).  Damit  lässt  es 
sich     jedoch     nicht    ohne    weiteres    zusammenbringen,    wenn    an    anderer 


bille  (oben  5,  105.  329),  wenn  die  Ilerleitung  aus  Hellebille  das  Riclitige  trifft.  'An- 
reimung  des  ersten  Bestandteils  an  den  zweiten'  nennt  Hoops  den  lautlichen  Vorgang 
und  greift  damit,  wie  es  scheint,  über  die  landläufige  Geltung  des  Namens  'Assimilation' 
bereits  hinaus.  Nach  meiner  Auffassung  setzt  sich  ein  im  Sprachgelühl  ffstverankerter 
Typus  durch,  wohl  weniger  bewusst,  als  Meyer  es  anzunehmen  scheint,  dieser  Typus  aber 
hat  seine  Heimat  nicht  sowohl  in  der  Sprache  der  Erwachsenen  als  in  der  des  Kindes. 

1)  Anderer,  aber  gleichfalls  kindliciier  Prägung  ist  der  Name  Friemel  Friemel 
Frmnpenstiel  für  den  Wassermann  in  Schlesien,  s.  Älitt.  der  Schles.  (ies.  f.  Volksk. 
Heft  ]8,  75. 

2)  (Jlemen  beruft  sich  u.  a.  auf  die  —  gewiss  bemerkenswerte  —  Ähnlichkeit  einer 
altbabylonischen  Zauberformel.  Solcher  Übereinstimmungen  werden  sicheilich  noch  viele 
aufzufinden  sein;  sie  sind  meiner  Auffassung  eher  günstig,  denn  wenn  sich  bei  den  ver- 
schiedensten Völkern  bodenständig  dasselbe  wiederholt,  so  darf  man  schliessen,  dass  es 
sich  um  ein  Zurückgreifen  auf  den  überall  vorhandenen  Untergrund  aller  Sprachbildung 
handelt  —  also  auf  die  Kindersprache.  R.  M.  Meyer  a.  a.  0.  S  25ßf.  steuert  liierzu 
manches  bei;  auch  was  er  ebenda  S.251f.  über  die  in  der  Verzückung  ansgestossenen 
Sätze  und  'Gedichte'  des  Spiritisten  Albert  le  Baron  mitteilt,  ist  lehrreich.  Aber  noch 
viel  deutlicher  gleiten  so  bewusste  Bildungen  wie  die  Sätze,  in  denen  Immermann  die 
•innere  Sprache'  der  Seherin  von  Prevorst  verspottet  (Münchhausen  4.  Buch  4.  Kap.: 
Schnuckli  buckli  koramsi  quitsch,  dendrosto  perialta  bump,  firdeisinu  mimfeistragon 
und  hauk  lauk  schnapropäp?  —  Fressaunidum  schlinglausibeest,  pimple,  timple, 
simple,  feriauke,  meriaukemau;  dazu  auch  Meyers  Bemerkung  S.  249\  neben  An- 
leihen bei  Fremdsprachen  und  landschaftlichen  Schimpfwörtern  zu  den  Formgesetzen  der 
Kindersprache  herab.  —  Übrigens  verfährt  (lernen  nicht  durchweg  mit  der  grade  hier  so 
überaus  notwendigen  Behutsamkeit.  Wenn  er  S.  1<;4  sagt,  in  einzelnen  Fällen  sei  die 
Entwicklung  von  Beschwörungsrormeln  zu  Abzählreimen  nachgewiesen,  und  sich  dabei 
auf  E.  Rolland,  Rimes  et  .leux  de  l'Enfance,  Paris  1883,  S.  242  Anm.  1  zu  Nr.  4  beruft, 
so  zeigt  ein  Blick  in  das  angelührte  Buch,  dass  von  solcher  Sicherheit  keine  Rede  sein 
kann."  Rolland  spricht  es  nur  als  seine  Meinung  aus,  dass  viele  Kinderformeln  alte  Be- 
schwörungen sind;  die  Sätze,  an  die  er  seine  Bemerkung  knüpft,  haben  nichts  im  beson- 
deren Sinne  Kindliches  und  vor  allem  nicht  den  mindesten  Zusammenhang  mit  jenem 
Kauderwelsch,  von  dem  l'lemen  ausgeht.  Ich  bin  völlig  überzeugt,  dass  ein  Abzählreim  auf 
einen  Zauberspruch  zurückgehen  kann:  wie  das  Kinderlied  überhaupt,  so  bilden  die  Abzähl- 
reime ein  weites  Sammelbecken,  in  das  sich  alle  möglichen  Quellbäche  ergossen  haben 
und  heute  noch  ergicsseu;  aber  wir  müssen  auch  hier  ausreichende  Bürgschaft  verlangen, 
ehe  wir  einen  solchen  gradlinigen  Zusammenhang  als  gesichert  hinnehmen  und  noch 
Schlüsse  von  weittragender  grundsätzlicher  Bedeutung  daran  knüpfen.  Übrigens  aber  steht 
es  um  die  Zaubersprüche  nicht  viel  anders,  auch  sie  werden  von  mancherlei  Quellläden 
volkstümlicher  f'berlieferung  gespeist. 


Einige  Grundfragen  der  Kinderspielforschung.  215 

Stelle  (S.  163  f.)  die  Anhäufimg  sinnloser  Ausdrücke  als  die  Hauptsache 
erscheint,  hinter  der  ursprünglich  der  Versuch  stecken  soll,  den  Namen 
eines  göttlichen  oder  dämonischen  Wesens  durch  ein  Ausproben  aller 
möglichen  Namensformen  herauszubekommen:  man  denkt  dabei  sofort  an  das 
Märchen  vom  Rumpelstilzchen  (Bolte-Polivka,  1,  490)  und  der  oben  genannte 
Gebrauch  mancher  Abzählwörter  alsNamen  vonWaldweiblein  und  dergleichen 
scheint  dazu  aufs  beste  zu  stimmen.  Indes  kommen  wir  damit  nicht  aus, 
denn  gerade  die  eigentümliche  Bildungsweise  solcher  Namensformen  findet 
so  keine  Erklärung.  Für  diese  wird  man  denn  doch  wieder  auf  den  kind- 
lichen Sprachschatz  angewiesen  sein.  Dann  aber  entfällt  die  Notwendig- 
keit, eins  aus  dem  anderen  entstehen  zu  lassen,  vielmehr  ist  es  einfacher 
und  darum  w^ohl  auch  richtiger,  gemeinsames  Schöpfen  aus  demselben 
Yorrat  anzunehmen.  Es  handelt  sich  eben  in  allen  Fällen  um  Kauder- 
welsch, und  da  bietet  sich  das  der  kindlichen  Spielwörter  ganz  von  selbst 
dar,  während  die  Erfindungskraft  des  Erwachsenen  grade  durch  Sprach- 
keuntnis  und  entwickeltes  Sprachgefühl  eingeengt  ist.  Was  eigent- 
lich keinen  Namen  hat  oder  wenigstens  keinen  aussprechbaren,  das  wird 
auf  solche  Weise  mit  Spielnamen  bezeichnet.  Bei  Lindener  scheint  nur 
diese  Herkunft  ganz  deutlich  zu  sein:  neben  den  angeführten  Drillings- 
wörtern stehen  noch  reuse  leuse  mause,  nisse  schisse  frisse  —  wem  fällt  dabei 
nicht  Mozarts  Spiel  mit  Schlagreimen  ein?  Und  derselbe  Lindener  (Rast- 
büchlein Nr.  1,  dieselbe  Ausgabe)  liefert  auch  ein  sehr  bezeichnendes 
Beispiel  der  Übertragung  solcher  Namen  auf  Unnennbares  ('das  kinder- 
machen  hatt  aber  noch  wunderbarliche  seltzamme  namen,  dann  es  wunder 
thut  und  macht,  als:  stropurtzlen  .  .  .  raudi  maudi  [dies  in  anderer  Ver- 
wendung auch  S.  Gl.  80.  182),  schiri-miri  .  .  .  'pirimiri  .  .  .'),  wozu  ich  aus 
einem  saftigen  österreichischen  Soldatenkehrreim  das  Wort  Tschuri- 
niuri=  Vulva  beisteuern  kann.  Das  Jiat  mit  Zauberei  gewiss  nichts  zu 
tun.  Kurz,  alles  scheint  darauf  hinzuführen,  dass  die  Kindersprache  hier 
den  StoflF,  mindestens  das  Fornigesetz  zu  vielseitigem  Gebrauche  ge- 
liefert hat^). 

1  Es  kann  mir  natürlich  nicht  einfallen,  eine  so  verwickelte  Frage  kurzerhand  und 
nach  einer  Formel  abzutun.  So  ist  es  gewiss  erwägenswert,  ob  man  so  häulig  begegnende 
Verbindungen  wie  hax  jja.r  ma.i;  bei  Gryphius  Ilaccus  Maccits  Bacciis  u.  ä.  (zu  ho/i-ii.s 
pok-iis)  niclit  an  die  mittelalterlichen  Anhäufungen  des  Namen  Gottes  anknüpfen  soll, 
unter  denen  gelegontlicli  auch  J'a.r  erscheint  :vgl.  Bolte  oben  13,  144  ff.;  Klapper,  Mitt. 
d.  Schles.  Ges.  f.  Yolksk.  Heft  18,  28,.  Dann  bleibt  jedoch  die  Reimabwandlung  noch 
immer  zu  erklären.  —  Auf  vereinzpltes  Auftreten  von  ho/.us  pokns,  1,-uyle  mitrh  2)i(tt'ü-  dgl. 
ist  weiter  kein  Gewicht  zu  legen. 

Frei  bürg  i.  Br. 

(Fortsetzung  folgt.) 


216  Schoof: 


Volksetymologie  und  Sagenbildung. 

Von  Wilhelm  Schoof. 

In  seinem  Buch  über  die  deutsche  Yolkssage^)  behauptet  Otto  Böcke  1, 
dass  in  den  Flurnamen  der  Gewanne  viel  Erinnerung-  an  Taten  der  Vorzeit 
stecke,  JS^amen,  die  bis  jetzt  noch  wenig  beachtet  wurden,  obwohl  in  ihnen 
mehr  Geschichte  fortlebe,  als  die  Chronisten  früherer  Jahrhunderte  auf- 
zuzeichnen der  Mühe  wert  erachteten;  er  meint,  dass  manche  Sage  erst 
durch  die  Flurnamen  der  Feldmarken  richtig  verständlich  werde  und  dass 
eine  umfassende  genaue  Sammlung  deutscher  Flurnamen  auch  der  Sageu- 
forschung  erspriessliche  Dienste  leisten  würde,  in  der  Tat  nehmen  in 
der  Umdeutung  von  Eigennamen  die  Flurnamen  (Wald-,  Berg-  und  Ge- 
markungsnamen) die  erste  Stelle  ein;  nirgends  ist  die  mythenbildende 
Volksetymologie'  so  emsig  an  der  Arbeit  wie  hier,  auf  keinem  andern 
Gebiet  hat  die  Deutung  von  Namen  zu  solchen  Missverständnissen  geführt 
wie  hier.  Das  erklärt  sich  zum  Teil  daraus,  dass  die  älteren  urkundlichen 
Formen  viel  seltener  zu  ermitteln  sind  als  bei  den  Ortsnamen,  weil  die 
Anlegung  von  Saalbüchern  und  Katastern  mit  Aufführung  der  einzelnen 
Grundstücke  erst  aus  verhältnismässig  viel  jüngerer  Zeit  stammt  als  die 
urkundliche  Aufzeichnung  von  Ortsnamen,  zum  Teil  auch  daraus,  dass  die 
Kartographen  die  Flurnamen  vielfach  willkürlich  nicht  in  der  vom  Volke 
überlieferten  Form,  sondern  in  vermeintlichem  Hochdeutsch  aufgezeichnet 
haben.  Besonders  in  Fällen,  wo  die  Eintragung  durch  ortsfremde,  der 
Mundart  unkundige  Beamte  geschah,  sind  hier  zahlreiche  Verdrehungen 
und  Entstellungen  von  Namensformen  vorgekommen.  Deshalb  ist  für 
den  Flurnamenforscher  genaueste  Kenntnis  der  Mundart  eine  unerlässliche 
Bedingung,  um  einen  in  seiner  jetzigen  Form  nicht  mehr  zu  erklärenden 
Namen  kritisch  prüfen  zu  können. 

In  sehr  vielen  Fällen  ist  aber  den  Landleuten  selbst  die  Bedeutung 
alter  Flurnamen  längst  verloren  gegangen,  ehe  es  Katasterbücher  gab. 
Denn  mit  der  veränderten  Bewirtschaftung  des  Bodens  (Aufteilung  der 
gemeinen  Marken,  Einschränkung  der  Weidewirtschaft,  Rodungen  von 
Wald-  und  Weideflächen,  Aufforstungen,  Ansiedlungen)  und  mit  der  Ver- 
änderung von  Bodenverhältnissen  (Verkoppelung,  Besitzwechsel  usw.) 
wurden  die  uralten  Namen,  die  zum  grössten  Teil  noch  in  eine  Zeit  hin- 
aufreichen, als  die  ersten  Ansiedler  den  heimischen  Boden  in  Bewirt- 
schaftung oder  Besitz  nahmen,  den  nachfolgenden  Geschlechtern  immer 
mehr  unverständlich  und  entsprechend  den  veränderten  neuen  A'erhältnissen 


1)  In  der  Teubnerschen  Sammlung    „Aus  Natur  und  Geisteswelt"  Bd.  262.     2.  Aull., 
Leipzig  1914,  S.  4. 


Volksetymologie  und  Sagenbildung.  217 

entstellt  un<i  umgetauft.  So  wurzeln  viele  Nanienentstellungen  weniger  in 
falschen  Eintragungen  der  Katasterbeamten,  als  vielmehr  in  der  Neigung 
des  Volkes.  Namen,  die  keinen  Sinn  mehr  ergeben,  durch  Umdeutung 
oder  Anlehnung  an  ihm  bekannte  Wörter  sich  mundgerecht  zu  machen. 
Diese  Neigung  des  Volkes  zur  Erklärung  von  Wörtern,  deren  ursprüngliche 
Bedeutung  dem  Volksbewusstsein  verloren  gegangen  ist,  nennen  wir 
schlechtliin  Volksetymologie.  Den  ürund  aller  volkstümlichen  Er- 
klärungen sieht  Andreseni)  ji^  ^[^,„^  Sprachbewusstsein,  welches  sich  da- 
gegen sträubt,  dass  der  Name  leerer  Schall  sei,  vielmehr  eiuem  jeden 
seine  besondere  Bedeutung  und  eine  zweifellose  Verständlichkeit  zu  geben 
benniht  ist.  In  sorgloser  Hingabe  an  den  (ileichklang  genügt  es,  etwas 
zu  haben,  worauf  man  sich  stützen  kann,  etwas  zu  denken,  das  zu  passen 
scheint,  mag  es.  bei  Lichte  betrachtet,  noch  so  unsicher  nnd  unwahr- 
scheinlich oder  unzweifelhaft  verkehrt,  ja  völlig  sinnlos  sein.  An  diese 
unverstandenen,  vom  Volke  umgedeuteten  Namen  knüpft  die  Namensage 
an,  die  der  schöpferischen  (iestaltungskunst,  der  inneren  lebendigen  Volks- 
phantasie entspringt  und  nach  Regell*}  nichts  anderes  ist  als  ein 
poetischer  Versuch,  den  abgestorbenen  Namen  sinnvoll  wieder  zu  beleben, 
oder  nach  Miedel^)  meist  ein  kindlicher  Versuch  einer  Erklärung.  Da 
mit  der  allmählichen  und  wiederholten  Kntstellung  der  Namen  den  Be- 
wohnern deren  Verständnis  völlig  verloren  gegangen  ist,  suchen  sie  die 
Deutung  auf  allerlei  Vorfälle  zu  gründen,  die  im  Volksmund  umgehen, 
deren  Irrigkeit  und  Ungereimtheit  aber  vielfach  leicht  aufzudecken  ist. 
Regell  bemerkt  hierzu:  „Nur  scdten  ist  die  Dichtung  rein  aus  dem  Namen 
herausgespounen,  meist  sind  geschichtliche  Erinnerungen,  die  um  die 
Örtlichkeit  schwebten,  als  Einschlag  benutzt.  ( )ft  gehören  diese  demselben 
Vorstellungskreise  an.  aus  dem  der  Name  hervorgegangen  ist,  oft  aber 
auch  sind  sie  einem  ganz  fremden  Gedankengang  entlehnt,  auf  den  nur 
der  lautliche  Gleichklang  führte''. 

Die  so  entstandenen  Sagen  und  Namendentungen  werden  von  dem 
Volk  als  etwas  Selbstverständliches  hingenommen,  es  beruhigt  sich  ohne 
weiteres  mit  der  überlieferten  Auslegung,  selbst  wenn  sie  noch  so  wunder- 
lich und  auffällig  klingt,  weil  es  nie  die  Frage  über  deren  Ursprung  zum 
Gegenstand  seines  Nachdenkens  genuicht  liat.  Für  die  Namenforschung 
dagegen  muss  als  eine  wichtige  Grundregel  gelten,  dass  Flurnamen  nie 
nach  zufälligen  Einrichtungen  oder  Ereignissen,  sondern  nach  markanten, 
dauernden  Merkmalen  bezeichnet  werden,  und  dass  erst  später,  nachdem 
ihre  Verständlichkeit  abhanden  gekommen  ist.  zufällige,  äussere  Kenn- 
zeichen eingedeutet  worden  sind. 

J)  Deutsche  Volksetymologie,  6.  Aull.,  Leipzig  l!^99,  S.  2. 

2)  Etymol')Kisclie  Sagen  aus  liem  Kiesengebirge  Germanische  Abhandl.  Bd.  12. 
Breslau  18^6)  S.  loi. 

:i)  Ztscb.  f.  Deutsche  Mundarten  1912  S.  371. 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft  3.  15 


218  Sclioof: 

Wenn  wir  von  dieser  Tatsache  ausgehen,  so  ergibt  sich  bei  kritischer 
Prüfung  unserer  Flurnamen  durch  Zusanimenstelhmg  und  Vergleichung 
älterer,  insbesondere  volkstümlicher  Wortformen  vielfach  in  überraschender 
Weise  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  in  ihrer  jetzigen  Form  nicht  mehr 
ganz  verständlichen  Namen,  und  der  Sagenforschung  bietet  sich  hier  ein 
weites,  bisher  noch  wenig  beachtetes  Feld, 

Besonders  zahlreich  wuchern  solche  Sagen  in  romantischen,  überhaupt 
in  wald-  und  wasserreichen  Gegenden  empor.  Hier  werden  falsch  ver- 
standene Namen  von  steilen  Abhängen  und  Felsen,  einsamen  Wald- 
schluchten, stillen  Weihern  und  Quellen,  erratischen  Blöcken  und  uralten 
Bäumen  Gegenstand  der  schöpferischen  Volksphantasie.  Kriegslegenden, 
mythologische  und  kirchliche  Gestalten,  geheimnisvolles  Treiben  von 
Hexen  und  Dämonen  (Teufelssagen)  spielen  eine  grosse  Rolle. 

So  entstanden  durch  volkstümliche  Entstellung  alter,  unverständlich 
gewordener  Namen  die  Sagen  von  den  Kinderteichen  und  Ammenborneu, 
den  Mordeichen  und  Teufelskammern,  von  den  Taufsteinen,  Höllentälern, 
Donnerkauten,  Hexentanzplätzen,  von  den  Wichtelhäusern,  versunkenen 
Goldschätzen  usw.  Im  Folgenden  gebe  ich  eine  Auswahl  von  Sagen,  die 
aus  unverständlich  gewordenen  Flurnamen  entstanden  sind,  soweit  sie 
sich  auf  Grund  meiner  Flurnamenstudien  bis  jetzt  ergeben  haben,  und 
zwar  vorläufig  nur  von  Natursagen,  während  ich  mir  die  Behandlung  von 
Sagen  mit  geschichtlichem  Hintergrund  und  von  christlich-religiösen  Sagen 
vorbehalte. 

Im  Anschluss  an  Böckeis  oben  erwähntes  Buch  unterscheide  ich  dabei 
drei  Hauptteile  von  Natursagen: 

1.  Erratische   Blöcke,  Felsen,  Bäume   in  der  Sage, 
■2.  Quellen,  Bäche  und  Sümpfe  in  der  Sage. 
3.  Berge  und  einsame  Täler  in  der  Sage. 

1.  Erratische  Blöcke,  Felsen,  liäume  usw. 

Von  jeher  haben  vereinzelt  oder  in  Gruppen  vorkommende  erratische 
Blöcke  (sog.  'Findlinge')  auf  die  Phantasie  des  Volkes  einen  tiefen  Eindruck 
gemacht.  Da  man  sich  das  Wesen  dieser  Steine  nicht  erklären  konnte, 
wurde  der  freien  Erfindung  in  Sage  und  Dichtung  weiter  Spielraum  ge- 
lassen. Die  merkwürdigen  Bildungen  der  Steine  und  Eindrücke  auf  der 
Oberfläche  Hessen  die  Sage  entstehen.  Den  inneren  Anlass  dazu  boten 
vielfach  auch  die  Benennungen  solcher  Steine. 

Ein  Findling  befindet  sich  in  der  Rhüngegcnd  liidcs  am  Wege  von  Bparhof  nach 
Heubach,  wo  die  Strasse  nach  dem  Heubachtalc  hinabzieht.  Er  wird  in  der 
Grenzbeschreibung  der  Vogtei  des  Klosters  Fulda  Steinenstamph  (vgl.  ahd.  siamfi/i 
Klotz,  Block),  d.  h.  Felsblock  genannt  und  heisst  heute  im  Volksmund  Taufstein, 
weil  er  stark  mit  Tauf  (dauf,  dof,  dart  =  Moos)  überzogen  ist.  Vgl.  Haas  in  den 
Fühl.  Gesch. -Bl.  1912  S.  14    der  darüber  weiter   bemerkt:    ,.Die  Legende,  wonach 


\'olksetymologie  und  Sai^oiilnldunj;.  219 

der  hl.  Kiliaii  heidnische  Germanen  getauft  haben  soll,  kann  somit  erst  in  neuerer 
Zeit  entstanden  sein.  Mit  einem  wirklichen  Taul'stein  hat  übrigens  der  Felsblock 
nicht  die  entfernteste  Ähnlichkeit.  Die  Namen  der  übrigen  Taufsteine  (in  Thüringen, 
im  Vogelsberg  usw.)  sind  ebenso  wie  der  obige  zu  erklären.  Dass  sie  neueren 
Ursprungs  sind,  bezeugt  wohl  auch  der  Umstand,  dass  Landau  (vgl.  Gau  Wettereiba 
S.  171)  trotz  aller  Bemühungen  den  Namen  des  Vogelsberger  Taui'steins  in  keiner 
alten  Urkunde  hat  finden  können."  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Taufstein 
in  der  Ohm  bei  Cölbe  (Kr.  Marburg),  für  dessen  vermeintliche  Bedeutung  sich 
bisher  keinerlei  geschichtliche  Belege  haben  finden  lassen.  Vgl.  auch  den  Tauf- 
stein bei  Waldkappel  in  Hessen. 

An  die  Taufsteine  scb Hessen  sich  allerhand  Sagen.  So  soll  der  Taufstein  im 
Vogelsberg  ehedem  ein  heiliger  Berg  gewesen  sein,  eine  Opferstätte  für  die  Heiden, 
bis  Bonifatius  dortselbst  eine  Kapelle  gebaut  und  aus  der  Quelle  die  ersten 
Christen  im  Vogelsberg  getauft  hätte.  Seit  dieser  Zeit  soll  der  Berg  den  Namen 
Taufstein  erhalten  haben.  Ein  Felsen  auf  der  Herrchenheimer  Höhe,  von  welchem 
herab  Bonifatius  den  Heiden  gepredigt  haben  soll,  heisst  noch  heute  die  ßonifazius- 
kanzel^;.  In  andern  Gegenden,  wo  Bonifatius  nicht  als  Schutzheiliger  verehrt 
wird,  heissen  solche  Felsen  oder  Bergvorsprünge  Kanzel,  Teufelskanzel,  Pfaffen- 
stein, Predigerstein,  Predigtstühl  usw.,  z.  B.  in  den  Sudeten  und  Alpen,  wie  über- 
haupt in  felsigen  Gegenden.     Vgl.  Regell  a.  a.  O.  S.  löOlf. 

Weitere  Namen  von  Steinen  und  Felsen,  deren  Entstehung  das  Volk 
sich  durch  mehrere  Sagen  zu  erklären  sucht,  sind:  Bilstein,  Hirschstein, 
Scharfenstein,  Toufolstein.  Venusstein,  Totenstein,  Riesenstein,  Hünenstein 
u.  a.  ra. 

Bilstein  oder  Beilstein  bezeichnet  durchweg  felsige  Berge  und  findet  sich 
allein  in  Hessen  20  bis  30  Mal,  z.  B.  im  Höllental  am  Meissner,  bei  Witzenhausen 
usw.  Von  den  bisherigen  Deutungen  vermag  die  Grimms  (DWb.  1,  137(5)  nicht 
mehr  zu  bestehen,  der  den  Namen  von  mhd.  hil  "Ort,  wo  das  Wild  zum  Stehen 
gebracht  und  gefällt  wird'  ableitet.  Auch  die  Erklärung  Vilmars  (Kurhess- 
Idiot.  S.  37),  der  in  Bilstein  ein  verloren  gegangenes  starkes  Verbum  hdu,  hui  usw. 
vermutet,  das  'hervorspringen'  bedeute,  so  dass  dieser  Bergname  'den  hervor- 
springenden, steil  aufsteigenden  Stein'  bezeichnet  hätte,  ist  nur  dem  Sinne  nach 
richtig.  Wie  Haas  in  den  Fuldaer  Gesch. -Blättern  1912  S.  86  hervorhebt,  findet 
sich  Bil  auch  allein  als  Bezeichnung  für  felsige  Berge,  und  er  ist  der  Ansicht, 
dass  Bilstein  ein  tautologisches  Kompositum  ist,  d.  h.  dass  das  Volk,  als  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  von  Hil  unverständlich  wurde,  ein  erklärendes  Wort  hinzu- 
fügte, welches  denselben  Sinn  ergab.  Dieser  Ansicht  bin  ich  in  meinem  Aufsatz 
Der  Name  Bielefeld'  (Ravensberger  Blätter  191G  Nr.  5/6)  entgegengetreten  und 
habe  nachgewiesen,  dass  Bd  nicht  'Fels'  bedeutet  und  nicht  gleichbedeutend  ist 
mit  dem  ahd.  altsächs.  Substantiv  Bil  'Steinbeil',  sondern  auf  einen  alten  Flur- 
namen ahd.  hiiinda,  mhd.  biuude  'Privatgrundstück'  (im  Gegensatz  zur  Allmende) 
zurückzuführen  ist,  da  Bil  in  Flurnamen  wie  Bielwiese,  Bielefeld,  Bilheide,  Billen- 
feld  nicht  den  Sinn  von  'Fels,  Bergkegel'  haben  kann.  Vgl.  auch  meine  Abhand- 
lung "Hessische  Bergnamen,  1.  Der  Bilstein'  (Hessenland  1917  Nr.  9/10). 

Die  Sage  knüpft  an  den  Bilstein,  wie  überhaupt  an  steil  abfallende  Felsen 
gern  den  Sprung  des  kühnen  Ritters,  der,  von  seinen  Feinden  verfolgt,  den  toll- 
kühnen   Ritt    in    den    Abgrund    wagt,^)    andrerseits    sieht  sie  in  dem  Bilstein,  der 

1)  Hessler,  Sagenkranz  aus  Hessen-Nassau.  Kassel  1913  S.  254. 

2)  Hessler  a.  a.  0.  S.  94. 

15* 


•_>-_>0  i^chcof: 

eifjentlich  Bildstein  geheissen  haben  soll,  ein  ungoheutM-  grosses  Götzenbild,  lias 
in  alten  Zeiten  noch  viel  hoher  gewesen  sein  solP).  Auch  als  üpferstätte  für 
einen  Götzen  Rill  ist  der  Hilstein  gern  vom  Volk  gedeutet  worden.  Da  auch 
aulTaliend  hervorspringende  Steine  in  der  Ebene  Bilstein  genannt  werden,  hat  man 
die  Bilsteine  wohl  auch  für  Gerichts-  oder  Malstätten  gehalten,  wahrscheinlich 
irregeleitet  durch  den  zurälligen  Gleichklang  mit  einem  älteren  Wort  bill  'Recht" 
(vgl.  recht  und  billig,  Unbill).  So  wenig  wie  bei  den  Namen  Bilstein  an  ehemalige 
Jagdplätze  zu  denken  ist,  weil  der  Name  auch  da  begegnet,  wo  der  Wald  seit 
alter  Zeit  schon  verschwunden  ist,  wie  z.  B.  im  Feld  zwischen  Lohre  und  Felsberg 
oder  zwischen  Fritzlar  und  Zcnnern,  ebensowenig  können  die  Bilsteine  wegen 
ihrer  Lage  teilweise  auf  den  höchsten  Bergesspitzen  zu  Gerichtsstätten  geeignet 
gewesen  sein.  Bei  der  Herleitung  des  Namens  Bilstein  von  dem  alten  Flurnamen 
hiitnilu  bleibt  zu  beachten,  dass  Gebirge  und  Höhen  .sehen  einen  Gesamtnamen 
führen,  dass  bei  ihrer  Benennung  bloss  der  Boden  der  an  ihnen  liegenden  Ge- 
markungen in  Betracht  kommt  und  dass  deren  Bezeichnung  ohne  weiteres  auch 
für  die  Höhe  als  solche  gilt.  Es  hat  daher  in  alter  Zeit  eine  Höhe  in  der  Regel 
mehrere  Namen,  welche  nichts  anderes  sind  als  die  Namen  der  einzelnen  Parzellen, 
die  an  ihr  unterschieden  werden.  Hat  ein  Berg  einen  Gesamtnamen,  so  findet  man 
bei  näherem  Zusehen,  dass  derselbe  ursprünglich  einem  einzelnen  Teile,  mitunter 
sogar  einem  einzelnen  Punkte  angehört  hat.  Es  fallen  daher  die  Ber^namen 
häufig  zusammen  mit  den  Feldnamen. 

Diese  grundlegende  Regel  i.st  bi.sher  bei  der  Deutung  von  Gebirgsnamen  zu 
wenig  beachtet  worden,  und  so  erklären  .sich  ilie  mannigfachen  Deutungs- 
schwierigkeiten  wie  auch  die  zahlreichen  schiefen  Deutungen  ron  Berünamon 
mit  Hilfe  von  Mythologie,  keltischen  Bestandteilen  usw..  während  in  der  Regel 
die  Erklärung  viel  näher  und  einfacher  liegt. 

Ähnlich  wie  mit  Bilstein  verhält  es  sich  mit  dem  häuiig  vorkommenden  Bery- 
namen  Schar  fenstein,  Scharfenberg.  Scharfeneck.  Höchstwahrscheinlich 
ist  auch  hier  der  Ausgangspunkt  ein  alter  Flurname  ahd.  srmu/,  schara^  mhd.  xrluir. 
Waldanteil.  Weiderecht  im  Walde  eines  andern,  vgl.  Grimm,  DWb.  .S,  2175;  Bück, 
Obd.  Flurnamenbuch  S.  233;  Preuss,  Lipp.  Flurnamen  S.  128  und  Schiller- f^übben, 
Mittel  niedere!.  Wörterb.  unter  Schaar.  Schoer:  Weidegerechtigkeit,  Weidegerecht- 
same; Schmeller.  Bayr.  Wörtb.  2,  44.i:  die  xchar^  Verrichtung  oder  Arbeit,  zu 
welcher  unter  mehreren  jeder  der  'Reihe  nach  verbunden  ist,  S.  445  1047/4S;  die 
wut-sc/iur  Anteil  an  einem  Grundstück,  S.  459:  schorfeUl  (Feld,  das  umgegraben, 
nicht  gepQügt  wiid?):  Vilmar.  Idiotikon  S.  341 :  ^Sclnir.  .SV'A(//7ff?(f/ heisst  das  Grabe- 
land, wcdches  in  den  verlassenen  und  jetzt  abgetragenen  Festungsgräben  von 
Ziegenhain  und  Giesscn  angelegt  worden  war;  auch  der  um  die  Wälle  und.  Wall- 
gräben angelegte  Weg  hiess  Sc.lidr  (Schär),  und  der  Wallgraben  hiess  Scli<ir(]ruhen. 
Auch  anderwärts  finden  sich  Feldplätze,  welche  auf  der  Schar  benannt  werden."' 

Nach  Grimm.  DWb.  s.  2176  bezeichnete  schare,  schar  im  alten  Markrecht  einen 
Teil  des  Markgules,  der  abgeerntet  werden  kann,  Weideland,  Grasland  der  Mark 
im  Gegensatz  zu  l/oden  als  bewachsenem  Waldgrund.  Vgl.  hierzu  Vilm;ir.  Idiot. 
S.  347:  laiid  scheren  die  Äcker,  die  man  besät  hat,  auch  abernten,  und  Creeelius. 
Oberhess.  Wörtb.  2,  7U):  die  -scher  Schnitt,  Ernte,  Ertrag.  In  Ditmarsen  bedeutet 
scheren  geradezu:  das  Vieh  die  Weide  abfressen  lassen.  Vgl.  auch  Birlinger, 
Wörtb.  zum  Volkstümliche«-  aus  Schwaben,  der  den  in  Schwaben  öfter  vor- 
kommenden Flur-  und  Waldnamen  der  Schören  als  'kahle,  steinigte,  vielleicht  aus- 
gereutete  Höhe,  die  wie  abgeschoren  aussieht'  erklären  möchte. 

1;  Ebd.  S.  255. 


Volksetymologie  und  Sagonbildung.  2'2l 

Der  Ausgangspunkt  der  Bedeutungsentwicklung  dieses  Flurnamens,  über  den 
ich  mir  näheres  Eingehen  vorbehalte,  scheint  demnach  ahd.  sccran  mhd.  sr/ii'n, 
'abschneiden,  abmühen'  zu  sein,  das  sich  mit  mhd.  sr/iem  'teilen,  abteilen,  zuteilen, 
der  Reihe  nach  eine  Verrichtung  übernehmen'  veimengt  hat. 

Dieses  Wort  schdr  muss  sich  in  dem  Flurnamen  zu  der  Bedeutung  verengt 
haben,  „ein  Grundstück  oder  Weideland,  welches  der  Reihe  nach  unter  gegen- 
seitiger Ablösung  abgeerntet  oder  bestellt  wird,  dann  auch  der  Anteil  an  einem 
Grundstück  auf  eine  bestimmte  Frist".  Wie  in  Hessen,  Schwaben  findet  sich 
,S'c//^//-.  .SV-Aor,  in  mundartlicher  Färbung  auch  Sc/ter,  Sc/iier,  Srheer,  Scheuer, 
Schauer,  in  einer  grossen  Zahl  heute  unverständlich  gewordener  Flurbenennungen, 
z.  B.  in  Nassau^):  aufm  Schon  aufm  Schorn,  beim  Schorn,  Schorstein,  Schornstein, 
Schornberg,  Schornholz,  Schornslück,  Schorn  wies,  Schorzwies,  Schorle,  aufm  Schorp, 
Schar,  Schär,  Scharbühl,  Scharfeld,  Si-harheck.  Scharwald,  Scharbel,  Scharbenstück, 
Scharrwald,  Scharenberg,  Scherb,  Scherbeigraben,  Scherbensiücker,  Schcrersberg, 
Scherersseifen,  Schermerskopf,  d.  i.  Schirmbergskopf,  Schermeskraut.  Schermeswies, 
Sehern,  Scherwies,  Schernfurt,  Schernholz,  SchertTwies,  Scherrholz,  an.  in  der 
Scheer,  in  Scheeren,  Scheerbaum,  Scheermark.  Scheerstrut,  Scheer stück,  Scheers- 
berg,  Schier,  ma.  Scheer, Schierdrisch,  Schiersgrube,  Schiersheck.  Schiessbach.  Schiess- 
berg, Schiessbusch.  Schiesseck.  Schiessgarten.  Schiessgraben.  Schiesskopf,  in  der  Schurr, 
vielleicht  auch  Scheuer,  Schauer,  Scheuerberg,  Scheuerholz,  Scheuernberg,  Scheuern- 
feld, Scheuerngarten  usw.,  in  Lippe"-;:  Schaar,  Schaar-  und  Scharrbrede,  Schambrede, 
(^Scharenbrcde  ,  Schaumbusch,  1721  Schombusch,  Schambusch  (Schoren-,  Scharen- 
busch), Scherenkrug,  Scheurenbusch,  Schieie,  17-21  die  Schicring,  Schierenberg,  1721 
Scherenberg,  Scherenbrede,  Schierenegge,  die  Schiereneken,  die  Schieren-  und  die 
Schiedernbirken,  der  Schiersgrund.  der  Schoren,  (Gehölz  bei  Detmold),  1384  der 
Schoer.  IC.jO  Schorren;  der  Schere  und  die  Scharen,  1721  die  Scheuring,  die 
Scheuring,  1721  die  Srhüring,  Schiering,  Schörung,  Schorenkamp,  Sehorbke,  Schor- 
beke,  Sehurbusch,  Schürenbusch.  das  Schürfeld,  die  Schürstelle  usw.  thüringisch 3) 
bie  dem  schar  an  dem  anspan  1450,  heute  Schierwiese,  ma.  Schiersweasen,  Gem. 
Emieben  (Amt  Gotha;  und  ebenda  das  Schar,  ma.  's  Schaer,  Gemeinderied  westlich 
vom  Dorf  usw. 

Dieser  weilverbreitete  Flurname  wurde  später  unter  veiänderlen  Wirtschafts- 
verhältnissen unverständlich  und  daher  vielfach  mit  gleichlautenden  Wörtern 
vermengt,  insbesondere  mit  ahd.  scorro,  scarm.  mhd.  scharre,  sc/mr,  Gen.  <les 
schorren,  des  schorn  'hervorragender,  schroffer  Fels,  Felszacke',  vgl.  scerrcn,  mhd. 
scharren,  scharren  'ragen,  aufragen,  emporragen'  (von  schroilen  Felsen,  hervor- 
stehenden Knochen:,  vgl.  Schade,  Altd.  Wlb.  2.  802.  Neben  sco/m,  scorrd  finden 
sich  die  ahd.  Nebenformen  acarra,  sccrra  'Fels',  vgl  Bück  aaO.  S.  23.5:  iuxta  scarram 
12'.iO.  Scurra  in  Bergnamen  wurde  an  den  Bcgrifl'  'scharf  volksetymologisch  an- 
gelehnt wegen  der  eigentümlichen,  scharfzackigen  Felsgebilde  oder  des  scharf 
abfallenden  Geländes  (vgl.  ital.  scarpo  'scharf  abfallender  Boden,  Böschung',  frz. 
escarpe  'Böschung',  excarper  'senkrecht  abschneiden')  mancher  Berge.  So  konnte 
wohl  aus  einem  Scarren-berg  oder  Scarrenstein  durch  Volksetymologie  ein 
Scarfenberg  oder  Scarfenstein  werden.  Wahrscheinlich  ging  die  Umdeutung 
zu  Scharfen°berg  und  Scharfenstein  von  solchen  Flurnamen  aus,  die  bereits  mit 
feld,  bühel  und  ähnliehen  Wörtern  zusammengesetzt  waren  und  durch  den  Zu- 
satz   berg,    stein,    eck    verdeutlicht    wurden.      So    konnte    ein    Flurname  Scar-feld 


1)  Kehrein,  Nassauisches  Namenbuch  S.  538.  540.  541.  547. 
'2)  Preuss,  Lippischo  Flurnamen  S.  128.  130.  134.  1:>G. 
3)  Gerbing.  Flurnamen  des  Herzogtums  Gotha  S.  68. 


222  Schoof: 

durch  den  Zusatz  von  berg  zu  Scarfeldberg,  Scarfelberg  bzw.  Scarfenberg  und 
dann  zu  Scharfen  berg  umgestaltet  werden  oder  Scar-bühel-stein  zu  Scar-bel-stein, 
Scarbenstein  zusammengezogen  und  dann  zu  Scarpenstein  oder  Scharfenstein  um- 
gedeutet werden. 

Da  von  der  Natur  merkwürdig  geformte  Steingebilde  den  Naturmenschen  in 
der  Einsamkeit  bei  eigenartiger  Beleuchtung  oder  aus  dem  Dunkel  der  Nacht 
aufragend  wie  Menschen  erscheinen  und  eine  heilige  Scheu  erwecken,  zugleich 
die  Volksphantasie  mächtig  anregen,  ergab  sich  leicht  die  Anregung  zu  allerhand 
Sagen,  wie  in  Hessen  die  vom  Scharfenstein  bei  Gudensberg  nahe  der  Frankfurter 
Landstrasse,  ein  hoher  kahler  Basaltfelsen,  in  welchem  sich  eine  schöne  Jungfrau 
mit  allerhand  kostbaren  Schätzen  befindet,  die  alle  sieben  Jahre  das  dunkle  Felsen- 
grab verlässt,  um  an  das  Tageslicht  zu  treten^}. 

Ähnlicher  Umdeutung  verdanken  ihr  Entstehen  die  Namen  Riesenstein  und 
Hünenstein.  So  hiess  der  hohe  schmale  Felsblock,  der  früher  von  dem  hessischen 
Dorfe  Grossenritte  bei  Kassel  aus  der  Erde  aufragte  und  1911  von  dem  Besitzer 
des  Grundstücks  eingegraben  wurde,  eigentlich  der  Riesstein.  Nach  Bück  a.a.O. 
S.  217  gehen  hier  mehrere  Wörter  ineinander  über.  vgl.  nihd.  rise.  rhe  'steiler 
Abhang,  Rinne  an  einem  Berge',  oberschwäb.  steinrussc.  steinrüsse,  steinrise  an 
Stellen,  wo  lose  Steine  vom  Berge  rutschen,  ferner  bayr.  die  Reisen  und  die 
Risen  (Schmeller  2,  147),  Schweiz  das  Ries,  die  Riesi  (Stalder  2,  276).  Vgl. 
auch  die  nass.  Gemarkungsnamen  Reisberg,  Reisbruch,  Reiswies,  ma.  Rösswies. 
Resswies,  Riss-  oder  Riesbach,  Rissbirnbaum.  Risselstein  usw.  Aus  einem  solchen 
Riesstein,  der  'losgerissener,  abgerutschter,  einzeln  für  sich  stehender  Fels- 
block' bedeutet,  hat  das  Volk  einen  Riesenstein  gemacht  und  daran  Sagen  von 
den  Riesen,  Vertretern  eines  Germanenstammes  von  übermenschlicher  Grösse  und 
unbändiger  Kraft,  geknüpft,  welche  Steine  von  mächtiger  Grösse  auf  weite 
Entfernungen  schleuderten  2).  So  erzählen  die  Bauern  von  dem  Riesen- 
stein bei  Grossenritte,  ein  Riese  habe  ihn  vom  Hirschstein  bei  Elgershausen 
losgerissen,  um  damit  den  Kirchturm  von  Altenbauna  zu  zerschmettern,  aber 
der  Stein  sei  ihm  zu  früh  aus  der  Hand  gerutscht  und  bei  Grossenritte  ins 
Ackerland  gefallen^).  Diese  Riesensagen  wurden  später  vom  A^olk  in  Teufels- 
sagen umgewandelt,  und  so  erklären  sich  wohl  die  zahlreichen  Teufelssteine, 
von  welchen  sicherlich  eine  ganze  Reihe  nichts  anderes  als  Tuit-  oder  Tauf- 
steine d.  h.  mit  Moos  überwachsene  Steine  sein  dürften. 

Auch  die  Hünensteine  erklären  sich  ähnlich  wie  die  Riesensteine  durch 
Umdeutung  aus  Hünstein  von  ahd.  huu  'hoch'  und  Vermengung  mit  lautähnlichen 
Wörtern,  die  dem  Volksbewusstsein  entschwunden  waren  und  daher  mit  den 
Hünen  (Riesen)  in  Verbindung  gebracht  wurden.  Vgl.  dazu  Hoops,  Hünen  und 
Hunnen.  Germanist.  Abhandl.,  Hermann  Paul  dargebracht,  1902  S.  178;  Paul 
u.  Braunes  Beitr.  30,32«;  Helm,  Hess.  Bl.  f.  Volksk.  2,  Soff,  und  meine  Aus- 
führungen über  den  Namen  Hunsrück  im  Hessenland  1912  S.  347 ff. ;  Hess.  Bl.  f. 
Volksk.  1912  S.  225ff. ;  Zeitschrift  des  Vereins  f.  rhein.-westfäl.  Volksk.  1914 
S.  93ff. ;  Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volksk.  24,  374ff.  Die  Hünsteine  können  auch, 
soweit  sie  nicht  identisch  sind  mit  Hünenburg,  Hünenkopf  (jetzt  meist  entstellt 
zu  Hühnerkopf)  u.  ä.,  ursprünglich  sog.  Hundssteine  (vgl.  Hundsgraben)  d.  h. 
Steine,  die  zur  Verschanzung  einer  Hundsburg  oder  Hünenburg  dienten,  oder 
Grenzsteine    zur    Einfriedigung     eines     Hundsrückgebietes     gewesen     sein.      Die 


1)  Hessler  a.  a.  0.  S.  12. 

2)  Böckel  a.a.O.  S.  29 ff. 

3)  Hessler  a  a.  0.  S.  35. 


Volksetymologie  und  Sagenbildung.  223 

Hünensagen  ähneln  daher  auffallend  den  Riesensagen,  da  man  auch  in  ihnen  die 
Verkörperung  von  etwas  Übermächtigem,  Gewaltigem  sah,  wie  die  Vermengung 
der  Hünen  mit  den  Hunnen  beweist.  Die  Sage  von  den  Hünen  auf  der  Hünen- 
burg über  dem  Dorfe  Hohenrode  im  Schaumburgischen ^)  gleicht  bis  auf  die 
Namen  der  oben  erwähnten  Sage  von  dem  Riesenstein  bei  Grossenritte. 

An  die  Hirschsteine,  auch  Hirz-  oder  Herzsteine  genannt,  knüpft  sich  gern 
die  Sage  von  einer  in  eine  Hirschkuh  verwandelten  Prinzessin,  wie  z.  B.  an  den 
in  schroffen  Felswänden  abfallenden  Hirzstein^)  im  Habichtswald  mit  Spuren 
ehemaliger  Befestigungsanlage  Da  ahd.  hiru-,  mhd.  hir:.  ma.  ///r.s-,  hirz,  herz, 
hersch  dem  hochd.  'Hirsch'  entspricht,  ergab  sich  die  ümdeutung  von  Hirs-  oder 
Hirzstein  in  Hirschstein  und  im  Anschluss  daran  die  sagenhafte  Ausschmückung. 
In  Hirzstein  dürfen  wir  das  uralte  Wort  hart  (vgl.  Graff.  Ahd.  Sprachschatz  4, 
1026.  5,  7.yi)  Trift,  Bergwald,  Bergweide,  Waldweide,  ein  spezilisch  fränkisches 
Wort,  wittern,  welches  immer  eine  Gemeinweide  für  ein  Dorf,  in  der  Regel  für 
eine  mehrere  Dörfer  umfassende  Hirlengenossenschaft  bezeichnet. 

Als  mit  der  Aufteilung  und  Aufforstung  der  Gemeinweiden  die  Erinnerung 
an  die  ehemaligen  Weideverhältnisse  bis  auf  die  letzten  Spuren  verschwand, 
suchte  man  für  die  alte  Bezeichnung,  die  als  letzter  unverstandener  Zeu2e  einer 
andern  Zeit  noch  übrig  geblieben  war,  nach  andern  Erklärungen,  um  den  dürftigen 
Inhalt,  den  der  Wortsinn  ergab,  durch  willkürliche  Umdeutungen  zu  bereichern. 
So  wurde  das  alte  hart,  umgelautet  hcrt,  in  härts,  harz,  herz  umgedeutet,  z.  B.  das 
Härtsfeld,  welches  1314  noch  das  Hertvelt  heisst  (Bück  a.  a.  0.  S.  102).  Ebenso 
erklärt  sich  die  Plurbezeichnung  Hersfeldergrund  bei  Xentershausen  (Bz.  Kassel), 
die  Anlass  zu  einer  geschichtlichen  Sage  aus  dem  Siebenjährigen  Krieg  geliefert 
hat,  wobei  die  Bewohner  der  Stadt  Hersfeld  beteiligt  gewesen  sein  sollen^).  Von 
her:  schritt  die  Ümdeutung  infolge  vermeintlicher  Diaicktübertragung  weiter  zu 
hirz,  hirsch,  nicht  selten  auch,  unter  dunkler  Erinnerung  an  die  ehemaligen  Wirt- 
schaftsverhältnisse, zu  hirt,  hirte,  zuweilen  unter  Vermengung  mit  liirz.  So  er- 
klären sich  viele  Hirtsbrunnen,  Hirtengassen,  Uirtwege  und  Uertwege,  die  wohl  auch 
zu  Heerwegen  wurden.  Der  modern  klingende  Name  Heerstrasse  ist  oft  eine  uralte 
Weidenstrasse  (Triebweg  zur  Weide  für  das  Vieh),  ähnlich  wie  Rennweg,  Renn- 
stieg, Weinstrasse  usw.  Ein  moderner  Hirtenberg  in  der  thüringischen  P'lur 
Elgersburg,  Amtsgerichtsbezirk  Liebenstein,  heisst  im  Volksmund  noch  Hartebargk*), 
aus  einer  hessischen  Elurbezeichnung  Hirzessprung  in  der  Gemarkung  Felsberg, 
wie  sie  sich  im  alten  Kataster  findet,  wurde  bei  der  Verkoppelung  in  den  80er 
Jahren  Hirtensprung  usw.'). 

Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  Namen  wie  Totenstein''),  Totemannstein *^), 
Räuberstein'),  Goltstein,  Hessenstein,  Opferstein,  Fürstenstein,  Drachenstein, 
Venusstein^),  Höllenstein  u.a.m.,   welche   in  den   seltensten  Fällen   mit  den  Vor- 


1)  Uessler  a.  a.  0.  S.  199,  vgl  ebd.  die  Sage  von  den  Hünen  vom  Deisler-  und  Bückeb.  rg. 
'1)  Hessler  a.a.O.  S.  44 ff. 

3)  Der  Name  der  Stadt  Hersfeld  ist  dagegen  aus  Hairulfesfclt  zu  deuten. 

4)  Gerbing,  Die  Flurnameu  des  Herzogtums  Gotha,  Jena  1910,  S.  llU. 

5)  Nach  einer  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Fenge  in  Putsdani. 

6)  Z.  B.  am  östl.  Eingang  zum  Meissner  bei  Abterode,  ein  aufragender  Fels  mit  der 
Gestalteines  Bären,  vgl.  meine  Ausführungen  in  Ztsch.  f.d.  deutschen  Unterricht  2(>,  904  ff. 

7)  Vgl.  Gerbing  a.  a.  0.  S.  49:!. 

8~  Ein  zerklüfteter  Felsblock  auf  dem  grossen  Feldberg  im  Taunus,  heute  Bnm- 
hildenstein  oder  Teufelskanzel  genannt.  Vgl.  dazu  meine  Ausführungen  über  Venusberg 
oben  24,  394. 


2'24 


Schoof: 


Stellungen,  welche  unser  naives  Sprachempfinden  damit  verbindet,  etwas  zu  tun 
haben,  vielmehr,  als  ihr  ursprünglicher  Sinn  verloren  ging,  vom  Volk  umgestaltet 
und  mit  sagenhaften  Ausschmückungen  versehen  worden  sind. 

Neben  merkwürdigen  Stein-  und  Felsgebildeu  regten  altehrwnrdige, 
kronenreiche  Bäume  die  Phantasie  der  Naturmenschen  an.  Insbesondere 
gelten  Linden,  Eichen,  Buchen,  Birnbäume  als  geweihte  Bäume.  Hohe, 
mächtige  Linden  wurden  als  Andachtsstätten  aufgesucht,  alte,  knorrige 
Eichen  waren  dem  Gotte  Donar  geweiht. 

Bekannt  ist  die  Sage  von  der  Donarciche  bei  Geismar,  die  vermutlich  ur- 
sprünglich nichts  mit  dem  Namen  des  Gottes  Donar  zu  tun  hat,  sondern  ebenso 
wie  die  Donnerberge,  Donnerhauks,  Donnerhaine,  Donnerwiesen,  Donners- 
wäldchen usw.  andern  Ursprungs  ist.  Nach  Bück  aaO.  S.  48  nannte  man  Donner- 
eichen  auch  die  Grenzzeichen  Vgl.  ebd.  Donnerlöcher  (14.  Jh.),  Donnergrub  (15.  Jh.). 
Es  ist  wahrscheinlich,  dass  in  Donarciche,  Donnereiche  eine  Zusammenziehung 
eines  Kompositums  enthalten  ist.  etwa  Dorn-  oder  Durnberg.  Dörnberg,  älter 
Dorinberg.  Hieraus  wurde,  ähnlich  wie  Weibergrund  aus  Weinber<:grund,  dutch 
Assimilation  Donnberg,  ma.  Donnerich,  Donnerch,  Donner.  Vgl.  dazu  Flurnamen  wie 
Silber,  Silbertal  aus  Silberg,  Silberich,  Silbergtal  u  ä.  Es  würde  also  Donnereiche 
aus  Dornbergeiche  zu  deuten  sein  zu  einer  unbekannten  Wurzel  (hm,,  duni,  die 
wir  in  zahlreichen  Flurnamen*)  am,  beim  Dorn,  die  Dorn,  Dorn  (PI.),  Dornacker,  Dorn- 
bach. Dornborg.  Doniburg,  Dornbusch,  Dorndriesch,  Derneich.  Dornfeldchen,  Dorn- 
graben, Dornhahn,  Dornheck.  Dornstrut,  Dornwies,  Dornstück,  Dörnberg,  Dörnhof, 
Dörntal,  Dörnebusch,  Dörnehohl,  Dörnernbusch,  Dornsbach.  Dornswies,  Dörnigwies, 
Dörnchen,  Dörnchcswies  u.  a.  m.,  wahrscheinlich  auch  in  den  hessischen  Ortsnamen 
Dörnberg  bei  Kassel  ( 1074  Thurinkiberge),  Dörnhagen  (l'2ö.j  Durhain,  14 14  zum  Dorren- 
hagen,  1425  Dornhain),  Dornhain,  Wüstung  bei  Eschwege  (14!i2  Dornhain),  Dörnholz- 
hausen  bei  Frankenberg,  Döinibach,  Dernbach  u.  ä.  wiederfinden.  Vgl.  lerner 
vorm  Dornberge  (1521),  ma.  Därebärgk,  andrerseits  am  Dörrenberg  (15«4),  ma. 
om  Därebärgk  in  der  Gemarkung  Hartershausen,  Grafschaft  Schlitz,  und  Haas  in 
den  Puld.  Gesch.-Bl.  1911,  178.  welcher  Dörnberg  aus  Degerenberg  zu  got.  digrs, 
ahd.  tef/ar,  mhd.  <h'!H'>\  'dick,  stark'  erklärt,  ohne  dass  diese  Annahme  hinreichend 
begründet  ist,  wie  aus  den  oben  angeführten  zahlreichen  Belegen  hervorgeht. 
Auch  im  Niederdeutschen  scheint  die  Wurzel  dum,  dorn,  dorn  bekannt  gewesen 
zusein,  vgl.  die  lippischen  Ortsnamen^)  Dörenschlucht,  Dörenkrug,  Dörenberg,  Doer- 
land,  Döringsfeld,  Dörcn(PI.),  bezw.  Hellendören,  Spissendören,  Leffondören,  vielfach 
dornige  Flächen'.  Die  nicht  mehr  bestehende  Donnermühle  bei  Blomberg  soll 
ähren  Namen  davon  haben,  dass  sie  nur  nach  Gewittenegen  hinreichendes  Wasser 
:gehabt  habe  (I). 

Gewisse  alte  Bäume  galten  bei  den  Germanen  als  Yerkünder  der 
Zukunft.  So  ist  die  Sage  vom  dürren  Baum  bekannt,  der  mit  dem 
nahenden  Sieg  und  Frieden  wieder  zu  blühen  beginnt=^).  Ein  propheti.scher 
Birnbaum  befand  sich  nahe  am  Unters  berg  bei  Salzburga),  bei  Süder- 
heistede  (Ditmarscheti)  eine  Linde,  der  Wunderbaum  genannt,  der  ver- 
welkte,   als    Ditmarschen    seine    Freiheit    verlor^^).      Sie    gelten  wie    di 

1    Kehrein,  Nassauisches  Namenbuch  S.  oTl. 

2)  Prcuss,  Die  lippischon  Flurnamen  S.  40  f f . 

3)  Böckel  a.  a.  0.  S.  85. 


le 


Volksetymologie  und  Sagenbildung.  225 

Hiingerbruniieii,     Hungerbäume.     Hunfrerbuchen    und    Hunger- 
eichen,  die  sich  oft  in  der  N.ähe  oder  über  den  Hungerbrunnen  befinden, 
als  Yerkünder  von   Teuerung    und   Hungersnot   bei    den    Dorfbewohnern. 
In    den    'Beiträgen    zur     volkstümlichen    Namenkunde'      1.    Hungerbrunnen, 
Honigbaum    und    Verwandtes    (oben  24,   27;;  ff.)    habe    ich   die   Entstehung  dieser 
Sage  auf  ein   unverständlich   gewordenes  uraltes    Maskulinum  got.  undaurns,    ahd. 
n,üan>,     mhd.    uvicrn    'der    Mittag,    die    Mittagszeit'    zurückgeführt.      Vgl.    Graff, 
Ahd.    Sprachschatz    1,    SS'.;    Schade,   Altd.   Wtb.   2,    U>öl;    Vilraar,  Idiot.  S.  42ö; 
Crecelius,  Oberhess.  Wtb.  S.  «41/42;  Pfister,  Xachtr.  zu  Vilmars  Idiot.  S.  307/08; 
Kehrein.    Volkssprache    in   Nassau    1,   417;    Schoof.    Hess.    Bl.   für  Volksk.   1912 
S.  112;  Schraeller,  Bayer.  Wtb.   1,  116.     Hierzu  gM  es  ein  Verbum  imtarot,  (vom 
Rindvieh    auf   der    Weide)    sich    in    den    Mittagsstunden    niederlegen    und    Rast 
machen;    der    vuier    oder    mnur,     ouner    bezeichnet    nicht    nur    die    Zeit,    sondern 
auch  den  Platz,  wo  der  Hirte    mit  seinem  Vi>  h  um   Mittagszeit  ausruht.     Da  nun 
in  der  Mundart  nt  vielfach  zu  ng  wird,  wurde  aus   einem  Unter(n;bcrg  im  Volks- 
mund ein  Unger(n)berg  und  aus  einem  Unter:n)baum,  d.  h.  einem   alten,   kronen- 
reichen Baum,  in  dessen  Schatten  die  Viehherde  Mittagsrast  hielt,  ein  Unger(n)baum 
und    hieraus    später    bei  veränderten     Bodenverhältnissen    durch    Volksetymologie 
Hungerberg,  Hungerbaum.     Da  die  Ruheplätze  sich  meist  in  der  Nähe  einer  Quelle 
oder°eines''Baches  befanden,    so  wurde  ein  önterborn    oder  Unterbach,    d.  h.   ein 
Bach  oder  Born,  der  sich  auf  der  ünger  befand,  später,  als  man  den  Namen  nicht 
mehr  verstand,    zu   einem  Hungt>rborn  oder  Hungerbach   umgedeutet      So  erklären 
sich  zahlreiche,    heute   unverständlich  gewordene   Flurnamen,   z.  B.   in  Thüringen 
Hungerborn'),    Hungerhaugk'),    Unterberg,   15S9  Ungerberg,   ma.  Öngerbägk  usw  , 
in  Nassau  0    Hungerbach,    Hungerberg,    Hungerborn,    Hungerbrunnen,    Hungerfeld, 
Hungergewann,   Hungerscheid  usw.,  in  Hessen   Hungerberg    bei    Caldern,  Wabern, 
Niederaula,    Rossbach  (Kr.   Hünfeld),    Hungerbach    bei    Sielen,    Hungergraben   bei 
Halsdorf,  Hundergraben  bei  Rossdorf,  Hungertal  bei  Münchhausen  und  bei  Toden- 
hausen    (Kr.   Marburg),    Hungerbreide   (1551)   bei  Vockerhagen),    in   Oberdeutsch- 
land') Hungerberg  (14.  Jh.),    Hungerich  (14.  Jh.),  Hungerbom   (144G).   Hungerbach 
(1Ö7(;),   Hungerbühl  (l.;ii!)),    Hungerstall   (1344)   usw.     Vgl.   auch  die   Hungerburg 
über  Innsbruck.    Nach  Bück  a.  a.  0.  S.  11!)  stammt  das  Wort  Hunger  in  'vielen  Flur- 
namen' von  einer  alten  Gepllogenheit  der  Hirten,  das  Vieh  zu  gewissen  Zeiten 
in  einen  eingezäunten  Ort    zusammenzutreiben,   den    man  Hungerplatz   hiess,    an- 
geblich so,  weil  das  Vieh  hier  nichts  zu  fressen  bekam.    'So  müssen  die 
vielen  Hungerbühle,  Hungerbäume    verstanden   werden,    und    so   verstehen    es  die 
Hirten  in  Oberschwaben  jetzt    noch'.     Er   bemerkt,    dass  die   Hungerberge  häufig 
bei  den  alten  Weidegründen  liegen.     So  kommt  Bück  um  eines  Haares  Breite  der 
Lösung  des  Rätsels  nahe,   wenn   er  auch  bis  zu   dem   eigentlichen  Kernpunkt  der 
Frage  nicht  vorgedrungen  ist. 

So  ist  auch  der  Name  des  sagenumwobenen  Untersbergs  bei  Salzburg  von 
altd.  untarn  herzuleiten,  der  im  IG.  Jh.  neben  Underberg  auch  als  Wunderberg 
vorkommt,  ein  Beweis,  wie  früh  der  Name  des  Berges  und  seine  einstige  Be- 
deutung als  Weideplatz  dem  Volksbewusstsein  entschwunden  ist.  Wenn  Much  in  der 
Zeitschrift  für  deutsches  Altertum  47,  71  die  alte  Form  Ünternsberg,  welche  deutlich 

1)  Gerbing  a.  a.  0.  S.  553.  549.  570.  Die  BehauptuDg  Schadcs  a  a.  0.  S.  1051,  dass  dies 
Wort  in  Thüringeu  und  im  eigentlichen  Hessen  unbekannt,  tritit  demnach  nicht  zu. 

2)  Kehrein  a.  a.  O.  S.  4G4. 

3)  Heilig,  Flurbenennungen  aus  Baden.     Ztsch    f.  dtsch.  Mundarten  1906,  1907,  1908. 


•2-)(')  Schoof: 

auf  nutaröii,  uniern  hinweist,  als  mons  inferni deutet,  so muss dem  widersrochen  werden. 
Denn  eine  derartige  Auslegung  kommt  über  die  voiksmässige  Auffassung  nicht 
hinaus,  welche  unter  Einwirkung  des  lautlichen  Gicichklangs  (unter)  und  der  in 
den  Berg  führenden  unterirdischen  Gänge  und  Höhlen  einen  Totenberg  daraus 
macht.     Vgl.  dazu  Buckel  a.a.O.  S.  67;  Grimm,  DMyth.  S,  53G. 

Wie  aus  einem  Untern-  bezw.  Unterberg  ein  Wunderberg  gemacht  wurde,  so 
konnte  aus  einem  Unter(n)baum,  d.  h.  einem  Baum,  unter  welchem  das  Vieh 
Mittagsrast  hielt,  ein  Wunderbaum  werden,  da  man  in  alten  Bäumen  eine  ge- 
heimnisvolle Kraft  sah  und  in  dem  Bauminnern  den  Aufenthaltsort  eines  Gottes 
vermutete  (vgl.  die  Donareiche  in  Hessen).  Die  Sage  schreibt  daher  solchen 
Wunderbäumen  prophetische  Gabe  zu,  wie  dem  alten  Birnbaum  am  nahen  Unters- 
berg bei  Salzburg  (vgl.  Böckel  a.  a,  0.  S.  s'))  und  der  Lindo  bei  Süderheistede  in 
Ditmarschen. 

Die  Auffassimg  des  Naturmenschen  lässt  dem  Baum  auch  eine  be- 
fruchtende, lebenspendende  Wirkung  zuteil  werden,  wie  sie  andererseits  in  ihm 
den  Verkünder  von  Elend  und  Xot  sieht.  So  erscheint  neben  Hunger- 
baum auch  die  Benennung  llonigbaum,  die  aus  demselben  Vorstellungs- 
krei:^  herausgew^achsen  ist  wie  Wunderbauni.  AVunderbuche. 

1Ö86  heisst  es  in  dem  hessischen  Saalbuch  von  Blankenstein  uff  dem  Honnig- 
baum,  1.384  findet  sich  in  einem  Kataster  der  Grafschaft  Schlitz  offm  Honigacker. 
Ähnlich  finden  sich  in  Hessen:  Honigwiesengrund  bei  Einhausen,  Honigbettchen 
(Hungbettchen)  bei  Wolfshausen,  der  Honigacker  bei  Bürgein,  der  Honiggrund 
im  Honigbach  bei  Rosental,  der  Honigbeerengarten  bei  Allendorf  (Kr.  Kirchhain), 
das  Honigholz  bei  Balhorn,  der  Honigberg  bei  Hoheneiche  usw.,  in  Nassau^); 
Honigbaum,  Honigberg,  Honigbirnbaum  (=  Honigbergbaum),  Honigborn,  Honigfcld, 
Honiggarten,  Honiggewann,  Honigheck,  Honigrück,  Honigstück,  Honigwies,  vor 
Honig  usw.  Bück  kennt  einen  Forstort  Hünig  und  ist  geneigt,  ihn  mit  Hongen, 
Hungen  'abgestandene  Bäume"  in  Beziehung  zu  setzen.  Ich  glaube,  dass  Honig, 
Honig  nichts  anderes  als  eine  dialektische  Form  für  Hungerberg  ist.  Ähnlich  wie 
Donner(berg)  aus  ■■'Dornberg,  Dornberich,  Dornig  bozw.  Donnerich,  Donnerch,  so  dürfte 
Honig  aus  Hungerberg,  Hungcrberich,  Hungerich^),  Hunich,  Hünich,  Honig  mit 
totaler  Dissimilation  und  volksetymologischer  Anlehnung  an  nhd.  'Honig  ent- 
standen sein,  wobei  die  Beziehung  auf  gutgedüngten  Boden  mitgespielt  iiaben 
mag,  denn  miteni^)  {uunenu  ontieni)  findet  sich  transitiv  auch  in  dem  Sinne  'mit 
dem  Miste,  welchen  die  Schafe  während  ihrer  Mittagsruhe  zuiücklassen,  den  Boden 
düngen'  und  die  nnler  Qmner)  bezeichnet  nicht  nur  die  Mittagsruhe  einer  Schaf- 
herde, sondern  auch  den  Dung  von  der  Mittagsruhe  einer  Schafherde.  Zur  laut- 
lichen Entwicklung  vgl.  den  Bergnamen  König,  Altkönig  und  meine  Ausführungen 
hl   der  Zeitschr.  f.  d.  dtsch.  Unterricht  VMi  S.  4!)9  ff. 

Wie  Honigbaum  und  Hungerbaum  wahrscheinlich  identisch  sind  und 
ihren  Ursprung  auf  germanische  Wirtschaftsverliältnisse  (Weidewirtschaft) 
zurückführen,  ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  seltsamen  Namen  Königs- 
baum   und  Kinderbaum. 

1)  Kehrein  a.  a.  0.  S.  461. 

2}  Daher  der  Flurname  Hungrig,  meist  zusammengesetzt  wie  Hungrig(cr)  Wolf. 

3)  Vielfach  zu  Hunnert,  Hundert  umgedeutet,  z.  B.  in  Thüringen  hundert  acker,  vgl. 
Kebrein  a.  a.  0.  S.  464.  Mit  dem  Begriff  der  Hundertschaften  hat  vielfach  Kontamination 
stattgefunden. 


Volksetymologie  und  Sagenbildung.  227 

In  dem  eben  erwähnten  Aufsatz  über  den  Namen  Altkönig  habe  ich  mich  aus- 
führlich über  den  Zusammenhang  zwischen  König  und  Kind  in  Flurnamen  ver- 
breitet. Neben  ahd.  Joio  'Kuh'  scheint  noch  eine  Nebenform  kun  mit  den  dialek- 
tischen Nebenformen  kov,  kiu,  küv,  kini  bestanden  zu  haben.  Vgl.  Gralf,  Ahd.  Sprach- 
schatz 5,  752:  chunes-velt  und  ku»e-.^(at.  Bück  aaO.  S.  148  verzeichnet  Cunloch,  Conloch, 
Kuenloc'h  (IG.  Jh.),  im  Kunstall  (1564),  und  in  einer  Urkunde  von  1429  heisst  es: 
„Die  53  Kühberg  an  Breitenfeld  und  1(»0  Künberg  in  Preitenfeld  .  .  .,  auch  die 
53  Kuenberg  usw."  So  erklären  sich  wahrscheinlich,  falls  nicht  ein  verschollener 
Wortstamm  zugrunde  liegt,  thüringische  Namen i)  wie  der  Kienberg  (1259  Kyn- 
berg,  Kinberg,  1325  Kynberg),  am  Kienberg,  das  Kiesbergsfeld,  ma.  Kiesbärgk, 
Cumbach  (1111  Chünbach,  1206  Cumbach),  hessische  wie  Kühnbach,  Hof  bei 
Hersfeld  (1335  Kunebach),  Kienborn,  Kineiche,  die  Kühn  (Wald)  und  das  Kühn- 
feld, und  nassauische  wie  Kuhnewald,  Kühnstück,  ma.  Kinnstück,  Kühner,  Kühn- 
wies, Kühnedriesch,  Kühnerberg  usw. 

Da  für  Kühnstück  mundartlich  Kinnstück  vorkommt,  neben  Kien  sich  auch 
Kin  findet  (Kinberg,  Kineiche,  Kinngrube),  die  Erinnerung  aber  an  die  einstmalige 
Bedeutung  dieser  Namen  im  Volke  erloschen  war,  suchte  es  dem  unverständlichen 
Wort  Kinberg  einen  neuen  Inhalt  zu  geben.  So  wurde  aus  Kienberg  ein  Kind- 
berg, Kindsberg,  Kindeiberg  oder  Kinderberg-),  in  dem  der  lautliche  Gleichklang 
von  mundartlichem  Kinn  (Kinder)  einen  neuen  Vorstellungskreis  schuf  und  den 
alten  unverständlich  gewordenen  Namen  von  dem  Hoden,  auf  welchem  er  erwuchs, 
ganz  loslöste. 

Nicht  anders  erging  es  einem  Kühunnerbaum,  d.  h.  einem  alten,  weit- 
verzweigten Baum,  der  dazu  bestimmt  war,  den  unter  ihm  ruhenden  Kühen 
Schatten  zur  Mittagszeit  zu  spenden,  indem  er  in  einen  Kinner-  oder  Kinderbaum 
umgestaltet  wurde.  Nach  Huck  aaO.  S.  21  standen  solche  Kinderbäume  ebenso  wie 
die  Schicksalsbäume  und  die  heiligen  Bäume  an  der  Mark,  waren  also  Grenz- 
oder Orientierungsbäume  bei  der  Begehung  der  Markgrenzen.  Flugs  ist  die  Sage 
bei  der  Hand,  dem  Namen  einen  ausschmückenden  Inhalt  zu  geben.  So  befmdet 
sich  ein  Kinderbaum  im  Biiuernforst  am  Wege  von  Knesebeck  nach  Boizenhagen 
(Provinz  Hannover),  ein  verkümmerter,  aber  sehr  alter  Baum  mit  einem  Stamm 
von  1,20  m  und  Scheitelhöhe  von  etwa  15  m.  Der  Sage  nach  soll  hier  ein  Kind, 
das  nach  Knesebeck  zur  Taufe  gefahren  wurde,  vom  Wagen  gefallen  sein.  Erst 
in  der  Kirche  wurde  es  vermisst'').  Die  Kinderbäume  nehmen  also  die  Bedeutung 
der  Schicksalsbäume  (vgl.  unten  Hexenbäumchen.  Hexenlinde,  Unholdenbaum,  un- 
geheure Eiche)  an. 

Wie  Honigbaum  aus  Hungerbergbaum,  ist  Königsbaum  (oder  Königseiche) 
meist  älterer  Herkunft  und  vielleicht  ganz  ähnlich  aus  Künnich.  Kinnich,  Könnig*) 
entstanden.  Bei  der  Umbildung  zu  'König'  blieb  die  Erhabenheit  und  das 
Majestätische  solcher  alten  Bäume  nicht  ohne  Einfluss,  da  das  Erhabene  unwill- 
kürlich   zu   einem    Vergleich   mit  einem    König   herausfordert,    während  in  Wirk- 

1)  Gerbing  a.a.O.  S.  351.  49S  Anmerk.  u.  ö. 

■J)  Hier  kann  auch  Zusammenziehung  aus  Kähunuer,  Kühuunerberg  (Berg,  wo  die 
Kühe  ruhen)  vorliegen. 

o)  Vgl.  Forstbotanisches  Merkbuch.  Nachweis  der  beachtenswerten  Bäume,  Siräucher 
und  Bestände  im  Königreich  Preussen.    Hannover  I9ü7  S.  147. 

4)  Vgl.  Ztsch.  f.  d.  dtsch.  Unterricht  1914  S.  508  und  Bildungen  wie  der  Herbergs- 
rain, ma  Herwichsrai,  1584  im  Herrbich,  ma.  of  de  Hervich,  offiziell  auf  der  Herberg 
(Hotz,  FhirnRmen  d.  (Grafschaft  Schlitz  S.  31). 


228  Schoof: 

liclikeit  solche  Bäume  in  alter  Zeit  auf  den  Weidegrüiiden  oepflanzt  wurden,  um  dem 
lagernden  Vieh  Schatten  für  die  Mittagsruhe  zu  gewähren.  Ein  solcher  Baum 
ist  die  Königseiche  bei  lirüclienau,  die  über  lOUO  Jahre  alt  ist,  deren  Äste  sich 
15  m  weit  ausbreiten  und  einen  Schatten  von  30  m  geben').  Die  Sage  lässt  gern 
berühmte  Könige  unter  solchen  Bäumen  Versammlungen  oder  Gericht  abhalten, 
wozu  sie  sich  auch  vorzüglich  geeignet  haben  mögen. 

Dem  uralten  Volksglauben,  dass  Bäume  übernatürliche  Kräfte  be- 
' sitzen,  entspricht  es,  wenn  ihnen  eine  zauberische  oder  dämonische  Gabe 
beigelegt  wird.  Hierher  gehört  neben  der  schon  oben  erwähnten  Sage 
von  dem  Kiuderbaum  die  Sage  von  den  Hexenbäumen,  Hexeulinden, 
Wandereichen  (wo  es  'wanert"),  ungelieuren  Eichen,  Weiberbäumen, 
nnliolden   Bäumen  usw. 

Bück  a.  u.  Ü.  erwähnt,  dass  das  Wort  Hexe  in  Flurnamen  vor  dem  IG.  Jahr- 
hundert überhaupt  nicht  zu  treffen  ist.  Es  ist  also  sehr  wahrscheinlich,  dass  der 
Begriff  erst  später  vom  Volk  eingedeutet  worden  ist,  als  man  das  ursprüngliche 
Wort  nicht  mehr  verstand,  das  durch  seinen  lautlichen  Gleichklang  daran  er- 
innert. Bück  a.a.O.  führt  einen  Flurnamen  Hechsenacker  aus  1150  an,  welcher 
983  Haesenacker,  1028  Hasinacker,  1062  Haissenacker,  1095  Hahsinacker,  1129 
Hassinacker  lautet,  eine  thüringische  Flur  Hasenwinkel'^),  welche  im  Volksmund 
Höasewinkel  heisst,  ist  1594  als  Hassenwinkel  bezeugt,  eine  andere  llesswinkel 
heisst  im  Volksmund  Hässwinkel,  vgl.  hierzu  aus  Hessen  der  Heisswinkel,  Gemar- 
kung Friebertshausen  (Blaukensteiner  Saalbuch  von  1586),  am  Heissenstein,  Gemar- 
kung Ulfen  (Sontraer  Saalbuch  von  1538),  im  llessbecken,  Gemarkung  Vecker- 
hagen  (Gieselwerdersches  Saalbuch  von  1551)  und  häufig  vorkommende  Flur- 
namen wie  riasenwinkel,  am  Hasenlauf,  Ilasenstock,  auf  dem  Hasengarten,  Hessen- 
grund, Hessenkuppel,  Hessenspitze,  Hessenkuppe,  Hessenhagen,  Hessenweg, 
Hesslar,  Hessenstein,  Hessenwald  (z.  B.  bei  Saarburg),  Hessenliede,  Hessenborn, 
Hessengraben,  Hessenraark,  Hcssenrod  bzw.  Hessenrode,  Hessental,  Hessendell,  am 
Hessen,  aufm  Hess,  im  Has,  im  Hasen,  Hasenacker,  Hasenbäumchen,  Hasenberg 
usw.  Wahrscheinlich  gehen  hier  mehrere  Wörter  ineinander  über,  welchen  ein  heut 
verschollenes  Ass  Ea.s  'Weide,  Weideplatz'  zugrunde  liegt.  Daher  die  Umdeutung 
zu  'Hase'  und  'Hesse'  (vgl.  das  Uasclthal  1612,  welches  1640  das  Hesseltal  ge- 
nannt wird,  Gerbing  a.  a.  0.  S.  446),  die  darauf  schliessen  lässt,  dass  das  Wort 
schon  früh  nicht  mehr  verstanden  wurde.  Von  'Hesse'  muss  dann  die  Um- 
deutung zu  Hexe  weiter  fortgeschritten  sein^):  Hexdell,  Hexenberg,  Hexen- 
gründchen,  Hexenkippel.  Hexenkirchhof,  Hexenplatz,  Hexenrain,  Hexentanz,  Hexen- 
tisch. Hexenwies  usw.  Ein  uralter  Birnbaum  auf  der  Weidenhöhe,  nördlich 
vom  thüringischen  Dorf  Haina  (Amtsgerichtsbezirk  Friedrichswerth)  hiess  das 
Hexen  bäumchen.  Dort  sollte  es  nicht  geheuer  sein.  Die  Kinder  fürchteten 
sich  vorbeizugehen.  Nach  der  Separation  wurde  er  gefällt*).  Eine  Hexen  eiche 
oder  Teufelseiche  in  der  thür.  Flur  Volkenroda  (Amtsgerichtsbezirk  Tonna), 
ein  mächtiger  Baum,  stand  auf  dem  Pfingstrasen  Der  letzte  Stumpf  soll  1871 
vom  Blitz    zerstört    worden  sein"').     In  dem  Forstort  Lindenwand    soll  vor  uralten 

1)  Oesterwitz,  Führer  durch  den  Vogelsberg  und  die  Rliön  S.  lü. 

2)  Gerbing  a.  a,  0.  S.  2ÖS. 

3)  Kehrein  a.  a.  0.  S.  450. 

4)  Gerbing  a.  a.  0    S.  16  Anni.  25 
5;  Ebd.  S.m\. 


Volksetymologie  und  Sagenbildung.  2'29 

Zeiten  eine  Hcxenlmde  gestanden  haben.  Zur  'Walper  ziehen  noch  heute 
Burschen  und  Mädchen  hinauf  und  feiern  da'). 

Nach  Ruck  a.  a.  0.  S.  10*J  findet  sich  Hexein  einer  Menge  Namen,  wie  Hexen- 
birnbaum, Hexentännele.  Hexenwäldle,  Hexenbühl  usw.  Ob  darin  ein  altes  Ess, 
Essen  'Weide,  Weideplatz',  vgl.  Kuhessen  'Weidegerechtsame,  Weideplatz',  ent- 
halten ist  (Huck  a.a.O.  S.  61),  das  zu  Hessen,  Hexen  umgedeutet  wurde,  lässt 
sich  mangels  urkundlicher  Belege  nur  vermuten,  nicht  beweisen.  Tatsache  ist  nur, 
dass  dieses  Wort  Ess,  Essen  zahlreiche  Umdeutungen  erfahren  hat.  namentlich  infolge 
seiner  Verracngung  mit  Esch  (bebaute  Flur).  Espe  (Espe),  Esche  (Eschenbaum),  u.  ä. 
Zu  der  vermuteten  Umdeutung  Essen  zu  Hexen  würde  der  Name  des  obenerwähnten 
Hexenbaumes  auf  der  Weidenhöhe  des  Dorfes  Haina  wie  der  Hexeneiche  auf 
dem  Pfingstrasen-')  von  Volkenroda  einen  Anhaltspunkt  bieten,  und  es  liegt  der 
Schluss  nahe,  dass  die  Hexenbäume  alte  Weidenbäume  zum  Lagern  für  die  Vieh- 
herden gewesen  sind  und  dieselbe  l'edeutung  gehabt  haben  wie  die  Hunger-,  Honig- 
und  Königsbäunie. 

Nach  Bück  a.  a.  O.  S.  110  wurde  früher  statt  Hexe  Unhold  in  Flurnamen  ge- 
braucht, aber  selten,  so  1420  an  dem  Unholdenbaum.  Ob  hier  eine  Umdeutung 
aus  Un-holl,  Un-höir'j,  Un-hell  mit  seinen  Nebenformen  Un-holde,  Un-hälde, 
Un-hölde,  Un-helde  vorliegt  oder  aus  Unholz  'am  Stamme  dürr  gewordenes 
Holz,  verdorrter  Baum"  (vgl.  auch  Ur-holz  Bück  a.  a  0.  S  ^.SÜ:  ll93arbores 
non  fructiferae  vulgo  urhulze),  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden.  Die  Un- 
holdinnen, die  bei  Nacht  durch  die  Luft  fahren,  heissen  in  älteren  Urkunden 
des  !t.  bis  15.  Jahrhunderts  die  wilden  Weiber  (domus  wildero  wibo  =  Hexen- 
haus, Bück  a.  a.  O.  S.  29ti).  Es  ist  möglich,  dass  der  in  der  Sage  vorkommende 
Weiberbaum  einer  UmdeutungausWeinl)erg-l)aum,d  h  Weidenberg-baumentspiungen. 
Vgl.  Bück  a.a.O.  8.297:  bi  dem  Winbirboam  (15.Sti;  und  meine  Deutung  von 
Flurnamen  wie  Weiber-wand,  Weiber-rain,  Weiber-wies,  Weiber-gärten,  Weibel- 
wies,  Weibrich,  ma.  Weiwereh,  aufm  Weibern  oben  24,  272 ff.  Kehrein  a.a.O. 
S.  GOO  verzeichnet  auch  Flurnamen  wie  Wihiwciberhäuschen.  Wddweiberhöhle, 
Wildweiberlei  usw.  Nach  Bück  sind  Namen  wie  Weiberireu,  Weibeslist  von  der 
Sage  erfunden.  Es  würde  demnach  Weiberbaum  derselben  Gruppe  von  Namen 
augehören  wie  Hexenbaum,  Hunger-.  Honig-,  Königs-,  Kinderbaum. 

Auch  Namen  wie  ungeheure  Eiche  —  eine  solche  stand  im  Kl.  Jahrb.  bei 
Hombressen  im  Reinhardswahl  —  fasst  das  Volk  weniger  im  Sinne  von  'mächtig, 
ungewöhnlich  gross'  auf  als  im  Sinne  des  mhd.  uiiiiehnirf  'fremdartig,  unheimlich, 
nicht  recht  geheuer.  Vgl.  Vilmar,  Idiot.  S.  424.  Wir  haben  es  hier  ähnlich  wie  bei 
dem  Flurnamen  Ungedanken*)  mit  einer  volksetymologischen  Umdeutung  zu  tun. 
So  heissL  ein  enges  Tal  auf  der  Nordseite  des  Kennsteigs  zwischen  steil  ab- 
fallenden Felsen  der  Ungeheure  Grund,  löOö  der  ungeheuigrunth,  L510  der  un- 
geheuger  giunih,  1.512  der  ungehüren  grund,  löö7  der  ungeheuerte  grund,  1587 
ungeheure  giund,  im  Volksmund  aber  der  ungehirm  ground'),  ebenso  dort  ein 
Ungeheurer  Grund,    der    im  Volksnuind    der   Ungehurend  Groind    heisst,    und    im 

l)  Ebd.  S.  518  Aiiin.  ö. 

2!  Die  Pfingstrasen,  Pfingstweiden  oder  Pfingstgehege  waren  Gemeindeland  und 
lagen  in  der  rv.egel  vor  dem  Ort;  darum  wurden  sie  später  meist  als  Festwiese  oder 
Püugstwiese  benutzt.  Tgl.  Bück  a.  a.  0.  S.  204;  Arnold.  .Ansiedluiigen  und  Wanderungen 
S.  5:'.U. 

3)  Vgl.  Kehrein  a.  a.  0.  S.  585. 

4)  Vgl.  dazu  meine  Au.-fahriuigeii  in  Hcsseiilaud  1Ü14  Nr.  "-!2  ft'. 

5)  (jerbiiig  a.  a.  0.  S.  420.  44(;.  490. 


230  SclK.of; 

Talgrund  das  ungeheure  Thal,  16.  Jahrh.  im  ungeheurenthal,  im  Volksmund  ün- 
geheuerdoal'),  weiterhin  11 G8  üngehuren wiesen i),  1733  das  Hurenhölzchen  (in 
der  Nähe  des  ungeheuren  Grundes,  in  welchem  es  'nicht  geheuer'  sein  soll).  Vgl. 
hierzu  in  Hessen:  der  Ungeheuerbach  bei  Sichertshausen,  der  Ungehörntegrund 
bei  Görzhain,  der  Ungernzeif  bei  Sachsenhausen  in  Nassau-),  der  Ungeheuers- 
graben, ein  Graben  in  der  Nähe  eines  Huteplatzes  in  Baden  ^),  das  ungehure  veld 
(1341),  ein  Weidefeld  usw.  Vgl.  dazu  den  lippischen  Flurnamen  auf  dem  Un- 
glücke, Preuss  a.a.O.  S.  153.  Es  ist  ungewiss,  ob  der  zweite  Teil  von  Ungeheuer 
ahd.  hurt  'Flechtwerk  aus  Weiden  oder  Reisig'  (vgl.  nhd.  'Hürde'),  obd.  hurde, 
vgl.  1196  in  Hürden,  1311  der  Hurdacker  (Bück  a.a.O.  S.  IISI)  in  sich  schliesst, 
oder  altd.  hur,  horo,  Inini  'Sumpf,  das  sich  umgedeutet  zu  Hörn,  Hirn,  Heuren  in 
zahlreichen  Flurnamen  findet*),  z.  B.  Heurenbach  1320.  Huerinbach-^),  im  Hirn, 
Hirnwein,  Katzenhirn,  Hornbach,  Hornweg,  Hornwiesen,  Hornwald  usw.  Bei  dem 
ersten  Teil  dürfte  es  sich  um  eine  verstärkende  Silbe  handeln,  hervorgerufen  durch 
die  Anlehnung  an  den  Begriff  'ungeheuer'. 

Ähnlich  wie  Ungeheuer  nach  volkstümlicher  Auffassung  ein  Gespenst  be- 
deutet (das  Woit  'Gespenst'  ist  nach  Vilmar  dem  Volke  fremd),  so  wurde  auch 
das  in  Hessen,  Nassau,  Bayern,  Thüringen  übliche  Wort  u-dnern  (=  hochd.  'wandern 
umhergf'hen'i  und  Wanerding*')  im  Sinne  von  'gespenstisch  umgehen,  spuken', 
'Gespenst'  in  ähnlich  klingenden  Flurnamen,  insbesondere  Waldnamen,  einge- 
deutet, woran  sich  dann  allerhand  Gespenstersagen  anknüpften,  die  vielfach 
im  Volksglauben  noch  bis  zum  heutigen  Tnge  so  fest  eingewurzelt  sind,  dass  die 
davon  betroffenen  Gegenden  bei  Nacht  ängstlich  gemieden  werden.  In  Thüringen 
gibt  es  in  der  Flur  Aschara  eine  Wanderecke,  in  Nassau  eine  Wannelwies  und 
einen  Wannersberg,  in  der  hessischen  Grafschaft  Schlitz  einen  Wännerrück, 
'wo  es  wanert',  ebendort  eine  Flur  in  der  Wanne  beim  Judenkirchhof.  Dort  soll  es 
'wanern',  weil  der  Friedhof  nah  ist.  Eine  von  Hersfeld  oberhalb  der  Glimmes- 
mühle  nach  Giltersdorf  führende  Waldung  über  die  Waanerecke  wiid  von  den 
Dorfbewohnern  gemieden,  weil  es  dort  waneit,  usw.  So  gibt  es  auch  ver- 
schiedentlich Wandereichen  und  Waanereichen,  bei  denen  es  nicht  geheuer  ist. 
Über  den  Zusammenhang  dieser  Umdeutung  mit  dem  zugrundeliegenden  Wort 
Winne,   Wonne  oder  Wanne   vgl.  meme  Darlegungen  oben  "24,  '272fr. 

Ein  ähnliches  Missverständnis  liegt  dem  Flurnamen  Mord  ei  che  zugrunde, 
der  gewöhnlich  mit  einem  dort  begangenen  Mord  in  Zusammenhang  gebracht 
wird,  wie  überhaupt  Mord  und  Totschlag  eine  «rosse  Rolle  in  der  Umdeutung 
alter  Flurnamen  spielen';.  Davon  zeugen  die  zahlreichen  Mordberge,  Mordwiesen. 
Mordäcker,  Mordkuhlen,  Mordkampe  usw.  Gewöhnlich  führen  sie  auf  ahd.  mhd. 
muor  'Sumpf,  Moor'  zurück,  wie  z.  B.  die  lippischen  Flurnamen  Mordkamp,  (1701 
Mortkamp),  Mordkuhle,  Mordwiese.  Ein  Grundstück  in  der  lippischen  Flur  in  Hake- 
dahl,dasnochl728  dasMohrtkamp  (d.i. morastiges  Kamp)  heisst,  trilt  im  neuenKataster 


1)  Gerbiug  a  a.  0.  S.  420.  446.  490. 
2j  Kehrein  a.  a.  0.  S.  585. 

3)  ZtRch.  f.  dtsch.  ünt-rritht  1910   S.  230 

4)  Bück  a  a.  0.  S.  109  f. 

5)  Vgl.  auch  Heurinas,  ein  Waldteil  in  der  Nähe  von  HerslVld. 

6)  Vgl.  Vilmar  a  a.  0.  S.  441 ;  Crecelius,  Oberliess.  Wtb.  S.  892;  Kelirein  a.  a.  0.  1,  438; 
Schmeller,  Bayer.  Wtb.  2,  939. 

7)  So  gibt  es  in  der  Grafschaft  Scldiiz  eine  Khir  am  Todäcldag.  Dort  'wanerts', 
und  bei  Nacht  getraut  sich  selbst  der  Beherzteste  nicht  in  die  Gegend  am  Weingarten 
(Hotz  a.a.O.  S.  IX). 


Volksetymologie  und  Sagenbilduiig.  231 

als  Mordkamp  1)  auf,  eine  Strasse  in  Detmold,  die  1687  Mörderstrasse,  1756  Möhr- 
strasse genannt  wird,  heisst  jetzt  Meierstrasse  ^).  Oft  ist  aber  ahd.  mhd.  nmor 
'Moor'  bereits  aus  älterem  Mark  'gemeine  Mark,  gemeinsamer  Besitz  an  Wald  und 
Weide'  umgedeutet  worden,  wie  ich  das  in  meinen  Beiträgen  zur  hessischen 
Ortsnamenkunde  (Hessenland  1H14  Nr.  6  u.  7)  nachgewiesen  habe.  Wie  aus 
Markweg  ein  Marktweg,  aus  Markacker  ein  Marktacker  geworden  ist,  so  wurde 
aus  Marktacker  unter  dialektischem  Einfluss  über  Maadocker  vielfach  Mord- 
acker, aus  Markt-  bzw.  Muadberg  Mordberg,  aus  Märkerskuppe  (wohl  für 
Markbergskuppe)  Mörderskuppe  und  so  dürfte  auch  die  Meierstrasse  in  Det- 
mold, früher  Mörderstrasse,  auf  Markbergstrasse  zurückgehen.  Ein  thürin- 
gischer Forstname  Mordfleck  in  der  Nähe  des  Rennsteigs 2),  heute  teils  Wald, 
teils  weite  Berg  wiese,  heisst  1534  Mordtfleck,  1587  Morttfleck,  1642  die  Mord- 
fleck,  1G65  Mordflecken,  Marktflecken,  Marckflccken,  im  Volksmund  Mard- 
fla'e)ck.  Nach  der  einen  Auffassung  soll  der  Mordfleck  den  Namen  von  'Raub- 
g^esinde  und  Schnapphähnen  haben,  so  in  Kriegszeiten  allda  sich  aufgehalten 
haben,  nach  der  anderen  soll  dort  der  Sage  nach  im  Banernkrieg  ein  Trellen  ge- 
iefert  worden  sein. 

Auch  der  Flurname  Judenbaum  wird  in  den  wenigsten  Fällen  etwas  mit  den 
Juden  zu  tun  haben.  Vielmehr  wird  Judenbaum  (z.  B.  in  der  Gemarkung  Ober- 
aula bei  Hersfeld)  ebenso  wie  die  in  Hessen  und  Nassau  ziemlich  häufig  vor- 
kommenden Flurnamen  Judenberg,  Judenstrauch,  Judenborn,  Judenbrunnen,  Juden- 
kopf, Judenstruth,  Judenacker,  Judenstein,  Judenstück,  Judental,  Judenwies  usw. 
auf  eine  verschollene  Wurzel  Jud,  Jüd  oder  Jod  bzw.  (im-,  God-  zurückzuführen  sein, 
welche  später  bei  der  zunehmenden  Ausbreitung  der  Juden  umgedeutet  worden  ist. 
Vgl.  thüring.  am  Jüdenbög,  die  Jüdengärten,  am  Judenschacht,  ma.  Judenschächte, 
Judenkopf,  ma.  Jüdekopf.  Auf  dem  Jüdenkopf  nördl.  von  Laudenbach  soll  ein 
Jude  erschlagen  worden  sein  (Gerbing  a.  a.  0.  S.  ö72  Anmerk.  8).  Förstemann 
2,  864  stellt  Judenau,  Judenburg  usw.  zu  einem  Personennamen  Judo,  wohl  mit 
Unrecht,  denn  dazu  kommen   die  Namen  viel  zu  oft  vor. 

Über  Totenbaum  und  die  daran  sich  knüpfenden  Volkssagen  vgl.  unten  das 
bei  Totemann,  Totenberg,  Totengrund  Gesagte.  Die  Totenbäumc  gehören  in  das 
Gebiet  der  Mordeichen  und  Mordbäume.  Das  über  die  heiligen  Bäume  und  heiligen 
Eichen  Gesagte  berührt  sich  mit  dem,  was  unter  Donareiche  gesagt  worden  ist,  wenn 
ihre  Umdeutung  nicht  eher  der  christlichen  Zeit  angehört.  Wie  ich  in  den 'Fuidaer 
Geschichtsblättern  191o  S.  150  nachgewiesen  habe,  liegt  vielen  mit  heilig  zu- 
sammengesetzten Flurnamen  (vgl.  Heiligenberg,  Heiligenacker,  Heiligenbach, 
Heiligenborn.  Heiligengarten,  Heiligengraben.  Heiligengrund,  Heiligenrain,  Heiligen- 
strauch, lleiligenstück,  Heiligenwaid,  Heiligenwies  usw.)  das  ahd.  Adjektivum 
hülil  -sich  vorwärts  senkend,  geneigt,  abschüssig',  mnd.  Iwlde.  helle^)  'abschüssig, 
steil,  al)fallend'  (vgl.  Heyne,  D.  Wb.  2,  -Jl;  Kluge,  Et.  Wb.  S.  120)  in  einer  Weiter- 
bildung auf  -ig  zugrunde.  Die  volkstümliche  Form  hillig,  hilg  (vgl.  Hilgenberg, 
Hilgenbach)  wurde  von  den  Kartographen  irrtümlich  als  nhd.  heilig  aufgefasst, 
vielfach  wurde  die  Umdeutung  auch  durch  Beziehungen  des  Grund  und  Bodens 
zu  einem  nahegelegenen  Kloster  hervorgerufen  (Klosterbesitz).  So  bemerkt  auch 
schon   Freuss  a.  a.  O.  S.  67,    dass    der  Name    der    heiligen  Eiche    bei  Schönhagen 


1  I'reuss  a.  a.  0.  S.  8  u.  105 

2  Gerbing  a.  a.  S.  518. 

3>  Z.  B.  im  hellen  Grund  bei  Butzbach    nacli    der  Volksauffassuiig  'eine  sehr  in  der 
Sonne  lieuende  Vertiefunu'. 


282  Schoof:    VolksctyiiKilogie  und  Sagenbildiing. 

(1721)  schwerlich  das  Wort  heilig,  saiictus.  enthalte,  weil  eine  Beziehung  zu  einer 
geistlichen  Stiftung  nicht  vorhanden  sei.  Er  l)ietet  eine  Ableitung  von  ndd.  helUfi 
'dürr',  die  auch  möglich  ist,  wenn  auch  nicht  in  allen  Füllen.  So  hat  die  Heiligen- 
niühle  bei  Friedenwald  in  Hessen  zweirellos  ihren  Namen  von  der  Lage  in  der 
Holle,  d.  i.  dem  abschüssigen  Wiesengrund  (vgl.  ahd.  Imltla,  nihd.  halde  'Berg- 
abhang';, ihren  Namen  erhalten.  In  die  Zeit  des  Christentums  und  ('er  Klöster  gehören 
ümdeiitungen  wie  St.  Wendelseiche,  ma.  die  Wengelseech  auf  dem  Wendelsbergerfeld 
bei  Loshausen  in  Hessen.  Die  Umdeutung  wurde  durch  eine  auf  dem  Berge  errichtete 
Kapelle  des  St.  Wendel  hervorgerufen,  während  ursprünglich  Wendelseiche  identisch 
ist  mit  Namen  wie  Winterbaum'),  dem  altd.  irmne  oder  u-imd  -Weideplatz"  zu 
Gruntie  liegt. 

So  lässt  sich  an  der  Hand  dieser  Namen  verfolgen,  dass  die  altehr- 
wüidigen  liäunie,  welclie  die  Yolksphantasie  so  lebhaft  bescliäftigt  nnd  zu 
so  merkwürdigen,  sinnreiclien  Ümdeutnngen  und  Xamensagen  veranlasst 
haben,  in  der  Kegel  nichts  anderes  als  uralte  Weidebäume  auf  ragendem 
Bergeshang  gewesen  sind,  von  den  Altvordern  in  altersgrauer  Zeit  zu  dem 
wohlweislichen  Zwecke  gepflanzt,  den  Herden  und  Hirten  eine  sciiat- 
tiire  Ruhestätte  zur  heissen  .Sommermittauszeit  zu  verschaffen. 


1)    Vgl.  z.  B.    beim    Wintterbauin.    in    einem    Schlitzer    Messbucli    von    1Ö84    (Hotz 
a.  0.  S.  24). 

Hersfeld. 

Fortsetzung  folgt.) 


Kleine  Mitteilungen. 


233 


Kleine  Mitteiluiiö;eii. 


Die  Saukt-Michaeli-Prozessioii  iu  Oaissach. 

Mit  2  Abbildungen.;^ 

Die  Kirche  des  Pfarrdorfes  Gaissach,  das  V*  Stunden  südöstlich  von  Tölz  (über- 
"bayern)  liegt,  ist  wohl  die  älteste  Urtaufkirche  des  Isarwinkels,  Ihr  Patron  ist 
der  hl.  Michael,  und  dieser  Umstand  läßt,  neben  anderen  Anhaltspunkten,  auf  eine 
ehemals  germanisch-heidnische  Kultstätte  schliessen;  dasselbe  gilt  von  einer  früher 
nordöstlich  des  Ortes  gelegenen  Coronakapelle.  In  diesem  altehrwürdigen 
Dörfchen  findet  alljährlich  am  Feste  des  hl.  Michael  (29.  Sept.),  dem  Kirchwcih- 
tage  der  Gemeinde,  eine  Prozession  um  den  Ort  statt^). 


Abb.  1. 

Nach  dem  Nachmittagsgottesdienste  verlässt  der  Zug  die  Kirche,  voran  die 
Schuljugend  im  Sonntagsstaat,  die  Jungfrauen  folgen  (s.  Abb.  1)  in  der  schönen 
Tracht,  junge  frische  Gesichter,  und  auch  die  uralte  'ehr-  und  tugendsame  Jung- 
frau' von  70  Jahren  hat,  wie  alle  Jahre,  den  Kranz,  den  sie  wohl  bald  eben- 
solange trägt,  heute  wieder  auf  ihre  weissen  Haare  gesetzt,  und  geht  hinter  der 
jungen  Schar  drein,  .die  in  ihrer  Mitte  die  Bilder  der  Mutter  Gottes  (auf  der  Ab- 


1)  Die  beiden  Abbildungen  fanden  sich  im  Nachlasse  meines  Vaters,  Dr.  M.  Hoefler 
ich  möchte  hiermit  dem  unbekannten  Spender,  seine  Einwilligung  zur  Veröffentlichung 
voraussetzend,  herzlich  dafür  danken. 

■2)  Über  sonstige  Gebräuche  am  Michaelstage  vgl.  Sartori,  Sitte  und  Brauch  1,  25G  ff. 
^r.  Hoefler  oben  11,  1V»3.  1,  301. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917      Heft  S.  Iß 


234 


Buller-Hoefler: 


bilduii^'  ist  nur  die  Rückwand  sichtbar)  und  der  Mutter  Anna  trägt.  Nach  ihnen 
kommen  der  Veteranenverein  und  die  Michaelibruderschaft,  mit  der  Figur  ihres 
Patrons,  einer  künstlerisch  wertvollen,  alten  Holzschnitzerei.  Ihnen  reiht  sich  nun 
die  'Gaissacher  Schützenkompagnie'  an  (s.  Abb.  2).  Länggries,  Wackersberg  und 
Gaissach  sind  die  einzigen  Orte  des  Isarwinkels,  in  denen  sich  diese  Reste  eines 
Aufgebotes  bis  heute  erhielten,  das  in  früheren  Tagen  dem  bayerischen  Landes- 
fürsten zur  Kriegszeit  gestellt  werden  musste.  Heutzutage  besteht  die  Kompagnie 
^us  etwa  öo  freiwillig  beitretenden  unverheirateten  Burschen.  Voran  schreiten 
drei  Paare  mit  Schwegplpfeifen,  uralte  Marschweisen  blasend,  nach  deren  Takte 
die  ganze  Schar  marschiert,  weiter  folgen  zwei  Trommler,  und  dann  stolziert  in 
seiner  ganzen  Würde    der  Hauptmann  der  Kompagnie  mit  blankem  DegeJi  daher, 


Abb    -2. 


ein  markanter,  grauhaariger  Kopf,  stramm  und  aufrecht;  mit  Kommandoworten, 
die  nur  dem  Eingeweihten  verständlich  sind,  befehligt  er  seine  Leute,  die,  Gewehr 
geschultert,  geführt  von  zwei 'Pionieren'  mit  weissledernem  Schurzfell  und  Hacke, 
im  Gleichschritt  sehr  langsam  und  feierlich  einhermarschieren.  Alle  tragen  lange 
grüne  Schossröcke,  weiss-grüne  Wadeistrümpfe,  grüne  Stopselhüte  mit  wciss-roten 
Buschen  drauf  und  am  linken  Arm  weiss-blau-weisse  Binden,  die  in  eine  Rosette 
enden.  In  ihrer  Mitte  wird  die  P'ahne  getragen  und  den  Schützen  voraus  die 
Figur  ihres  Patrons,  des  hl.  Sebastian,  über  deren  l'rsprung  uns  eine  Inschrift 
auf  der  Hinterseite  der  Rückwand  belehrt:  'Des  Hl.  Sebastiani  zu  Ehren  ist  diese 
figur  von  der  allhiesigen  pfarrgemeinde  gaissach  errichtet  worden  in  dem 
Jahre  1772  vor  abwendung  der  damahlen  gefährlichist  grassierenden  Kranckheit'. 
—  Der  Sängerchor  schliesst  sich  an,  fahnen-  und  kerzentragende  und  weihrauch- 
schwingende Ministranten,  dann  kommt  als  feierlicher  Mittelpunkt  der  Prozession 
der  Traghimmel;  unter  ihm  schreitet  der  Pfarrer,  di(>  Monstranz  in  Händen.  Den 
'Himmel'  begleiten   vier  Männer  in  langen   dunkelblauen  Radmänteln,  die  mit  Efeu 


Kleine  Mitteilungen.  235 

umwundene  Lanzen  tragen i).  Den  Schluss  des  Zuges  bilden  die  Frauen.  —  An 
gewissen,  nach  den  vier  Himmelsgegenden  bestimmten  Stellen  macht  die  Prozession 
halt.  Gebete  werden  gesprochen,  und  der  Pfarrer  segnet  mit  der  Monstranz  Felder 
und  Fluren,  unter  dem  Läuten  der  Glocken  und  der  Salve  aus  den  50  Gewehren  der 
Kompagnie.  Bei  der  Rückkehr  des  Zuges  zur  Kirche  treten  die  Schützen  in  der 
Dorfstrasse  an,  auf  Kommando  geht  ein  Ruck  durch  die  Kompagnie,  die  Gewehre 
werden  mit  dem  Ladestock  geladen,  und  'Gewehr  bei  Fuss'  erwarten  sie  den 
Pfarrer.  Sowie  dieser  aus  der  Kirche  tritt,  ruft  der  Hauptmann:  „Drei  Schuss 
für  den  Hochwürdigen  Herrn  N.  N.,  Pfarrer  der  Gemeinde  Gaissach!"  Der  Herr 
Pfarrer  geht  darauf  durch  die,  von  zwei  Reihen  der  Schützen  gebildete  Gasse, 
während  das  Kommando  „Feuer!"  ausgeführt  wird,  wartet  den  zweiten  und  dritten 
Schuss  ab  und  sagt  dann:  „Ich  danke  Euch,  Ihr  Schützen!"  —  Dieser  kirchlichen 
Feier  des  Tages  folgt  der  weltliche  Teil  mit  Würsten,  Nudeln  und  Musik. 

Bad  Tölz  (Oberbayern).  Hedwig  Buller-Hoefler. 


Begnadigung  zum  Stricktragen  oder  zur  Heirat. 

Oben  16,  1!I5  hat  H.  F.  Feilberg  den  verbreiteten  Volksglauben  besprochen, 
tiass  vornehme  Leute,  die  wegen  eines  Verbrechens  zu  Zuchthausstrafe  verurteilt 
sind,  sich  einen  Stellvertreter  kaufen  können  und  dass  solche  Verbrecher  oft  auch 
von  der  Todesstrafe  zum  lebenslänglichen  Tragen  einer  Kette  oder  einer  Schnur 
um  den  Hals  begnadigt  werden.  Die  dort  angeführte  Sage  über  die  Gräfin 
V.  Lynar  steht  ausführlich  in  Meiches  Sagenbuch  des  Königreichs  Sachsen  1903 
Nr.  1235,  eine  weitere  pommersche  Sage  von  einem  General  in  Polzin  bei  Haas, 
Pommersche  Sagen  1912  Nr.  290.     Doch  wir  besitzen  noch  deutlichere  Zeugnisse. 

In  Osterreich  w^ar  es  nach  Hormayrs  Taschenbuch  für  vaterld.  Geschichte 
l'S39,  S.  418  ehedem  Sitte,  dass  militärische  Verbrecher,  die  wegen  Verrats,  F'eld- 
Uucht  oder  feiger  Übergabe  den  Tod  verdient  hatten,  aus  Milderungsgründen  eine 
schmachvolle  Freiheit  erhielten,  indem  sie  fortan  am  Halse  oder  Knopfloch  die 
rote  (oder  seidene)  Schnur  oder  auf  dem  Hut  das  Hasenpanier  tragen  mussten''). 
—  In  einem  andern  Falle,  den  ich  aus  einer  gleichzeitigen  Zeitungsnachricht^)  zu 
belegen  vermag,  wird  dem  zum  Galgen  Verurteilten  das  Leben  geschenkt  mit  der 
Bedingung,    zur    Erinnerung  an   die   erlassene   Strafe   stets   einen  Strick  um  den 

1)  Vgl.  über  solche  bei  Flurumgängen  häutig  gebrauchten  'Prangerstangen'  M.  Andree- 
Ejsn,  oben  10,  90  und  'Volkskundliches'  S.  95. 

2)  Nicht  richtig  aber  scheint  mir  Gertrud  Fauth  in  ihrem  feinsinnigen  Buch  über 
Jörg  Wickrams  Romaue  191G  S.  114  eine  Stelle  in  der  1555  erschienenen  Erzählung  Von 
guten  und  bösen  Nachbarn  (Wickram,  Werke  2,  255,  28)  auf  diese  bei  Wander,  Sprich- 
■wörterlcxikon  4,309  angeführte  rote  Schnur,  die  doch  eine  Begnadigung  bedeutet,  zu 
beziehen.  Wenn  die  Mutter  des  anstatt  des  Helden  erstochenen  Jünglings  klagt:  'Mein 
süa  hat  die  schnür  darob  nemen  müssen',  so  heisst  das  vielmehr:  er  hat  die  Zeche  be- 
zahlt, ist  gestorben,  wie  aucli  Grimms  DWb.  9,  1400  nach  der  verbreiteten  Redensart 
'von  de'r  Schnur  zehreu'  =  'aus  dem  eigenen  Geldbeutel  leben'  erklärt.  Frl.  Fauth  hat 
Avohl  die  türkische  Sitte,  dem  verurteilten  Grosswesier  eine  seidene  Schnur  zu  übersenden 
vorgeschwebt. 

3)  Eberhard  Büchner,  Das  Neueste  von  gestern  3,  300  nr.  544  (1912)  nach  der  Vos- 
sischen Zeitung  1780,  nr.  142.  Vgl.  K.  Braun  in  Westermanns  Monatsheften  45,  220  (1879) 
und  Staatsbeschreibung  des  schwäb.  Kreises  2.  213  (1781). 

16* 


2;-}6  Bolte,  Dillmann: 

Leib    zu  trogen,    und    dies   als   ein   im  Is.  Jahrhundert   gewöhnlicher   Brauch  be- 
zeichnet: 

Am  27.  Oktober  1780  übte  die  gefürstete  Äbtissin  zu  Lindau  am  Bodensee  ihr  Be- 
fTnadigungsrecht  an  einem  vom  Stadtmagistrat  zum  Tode  verurteilten  Delinquenten  aus. 
Der  Maleficant  bat  die  Äbtissin,  die  sich  mit  ihrem  Gefolge  am  sog.  Baumgarten  befand. 
auf  Geheiss  des  Beichtvaters  fussfällig  um  Erlösung.  Darauf  ergriff  sie  den  Strick,  woran 
er  vom  Nachrichter  geführt  wurde,  schnitt  ihn  ab  und  sagte:  'Ich  erlöse  dich  im  Namen 
des  Allerhöchsten  und  der  übergebenedeyeten  Jungfrau  Maria'.  Hierauf  wurde  der  Er- 
löste ins  Stift  genommen,  gespeist,  beschenkt,  zur  Besserung  seines  Lebens  ermahnt  und 
seinem  anwesenden  Vater  übergeben.  Der  Strick  wurde  ihm,  wie  gewöhnlich,  um  den 
Leib  gebunden  und  ihm  befohlen,  ihn  lebenslang  zum  Denkzeichen  zu  tragen. 

Diese  Errettung  des  Verbrechers  durch  die  Äbtissin,  die  in  der  Schweiz  auch 
der  Frau  des  Landvogts  oder  einer  Ehefrau,  die  sieben  Söhne  nacheinander  ge- 
boren, zustand^),  mahnt  uns  an  eine  in  Volksliedern  mehrfach  besungene  Rechts- 
sitte,  wonach  ein  zum  Galgen  Verurteilter  von  einem  Mädchen  freigebeten  wer- 
den konnte,  wenn  er  dies  zu  ehelichen  versprach.  Viele  Zeugnisse  hierfür  findet 
man  bei  Liebrecht  (Zur  Volkskunde  1879  S.  43M),  Böckel  (Volkslieder  aus  Ober- 
hessett  18S5  S.  XLVII— LH),  R.  Köhler  (Kl.  Schriften  3,  251),  Falk  (Die  Ehe  am 
Ausgange  des  Mittelalters  190s  S.  18—21)  zusammengestellt.  Ein  weiteres  liefert 
uns  die  Vossische  Zeitung  v.  J.  1730  (bei  E.  Buchner  2,  237  nr.  491)  aus  Lublin. 
Dort  erhielt  ein  Mann,  der  ein  dreizehnjähriges  Kind  ermordet  hatte,  auf  dem 
Richtplatze  Pardon,  weil  ein  Frauenzimmer  ein  weisses  Tuch  auf  ihn  warf  und 
dadurch  ihren  Willen  kundgab,  ihn  zum  Gatten  zu  erwählen.  —  Zu  einem  förm- 
lichen Wettbewerbe  um  die  Rettung  eines  Galgenvogels  kam  es  lG8ti  in  London. 
Zwanzig  Jungfern  überreichten  (zufolge  dem  Berliner  Dienstagischen  Mercurius 
1G86  bei  E.  Buchner  1,  210  nr.  423)  hier  am  30.  Oktober  dem  Könige  Jakob  IL 
eine  Bittschrift,  „worin  sie  bei  S.  Majestät  vor  einen  jungen  Kerl,  der  gehenket 
zu  werden  condemnieret  war,  um  Pardon  baten  mit  Vorgeben,  daß  eine  von  ihnen 
sich  mit  ihm  unter  dem  Galgen  wollen  trauen  lassen;  welches  S.  Majestät  zu  ver- 
willigen beliebet  mit  Beifügung,  daß  es  ihm  leid  sei,  daß  er  sie  nicht  alle  an  einen 
Mann  helfen  könne".  Die  Auswahl  unter  den  zwanzig  mildherzigen  Damen  mag 
dem  Burschen  nicht  leicht  geworden  sein;  wir  hören  aber  auch  von  Fällen,  wo 
der  Verbrecher  bei  der  Wahl  zwischen  dem  Tod  am  Galgen  und  dem  Leben  an 
der  Seite  der  heiratslustigen  Erretterin  schwankte  und  sich  schliesslich  dem  Galgen 
zuwandte.  Er  schaute,  heisst  es  bei  Birlinger,  Aus  Schwaben  2,  4G0,  die  spitz- 
nasige  alte  Jungfrau  an  und  sagte:  'A  spitzig  Nasen,  spitzig  Kinn,  da  sitzt  doch 
der  Teufel  drin;  mach  lieber  Gingerl,  Gangerl'^). 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


1;  J.  Grimra,  Rechtsaltertümer  4.  Autl.  2,  525.  Man  darf  dabei  an  die  römische  Sitte  er- 
innern, nach  der  die  Begegnung  des  zum  Tode  geführten  Verbrechers  mit  einer  Vestalin 
jenem  Begnadigung  erwirkte  (Plutarch,  Numa  c.  10). 

2)  So  schon  Geiler  bei  J.  Adelphus,  Margarita  facetiarum  1508  Bl.  E4a:  'Quidam 
ductus  ad  suspendium  velatis  oculis,  dum  sibi  diceretur  esse  illic  quandam  mulierem, 
quae  sibi  uubere  vellet  et  redimere  de  patibulo,  rogavit  oculos  cius  rcvelari,  riuatenus 
eam  posset  discernere.  Qui  visis  labiis  tenuibus  et  naso  acuto  iuquit:  Nihil,  nihil:  malo 
suspendi  quam  talem  ducere'.  —  Dazu  R.  Köhler  3,251;  E.  Schmidt,  Euphorion  s,  {\\\ 
(zu  Lessing,  Schriften  1,24  nr.  91);  H.  Sachs,  Fabeln  5,  307  nr.  828. 


•  Kleine  Mitteilungen.  237 

Das  Hickolspiel  iu  Frankfurt  a.  31.  in  seiner  kriegsgeraässen 
Entwicklung. 

(Mit  15  Abbildimgen.) 

Aul'  der  Kriegsuu  sstellung  in  Frankfurt  a.  M.  (15.  August  bis 
31.  Oktober  liHG)  war  in  der  Abteilung  'Die  Frankfurter  Jugend  und  der  Krieg' 
auch  das  Hickelspiel  vertreten,  vom  Verfasser  dieses  bearbeitet.  Auf  zwei 
grossen  Zeichenbogen  war  das  Spiel  zeichnerisch  dargestellt,  und  zwar  in  den 
Formen  a)  vor  dem  Krieg,  b)  während  des  Kriegs;  auf  angefügten  Schreibbogen 
waren "  kurze  erläuternde  Erklärungen  gegeben.  Einer  Anregung  aus  volkskund- 
lichon  Kreisen  folgend,  seien  in  nachstehenden  Ausführungen  die  Hauptpunkte  des 
zweiten  Teils  dargelegt,  nämlich,  wie  die  Kriegszeit  mit  ihren  sich  tief  einprägenden 
Ereignissen  das  schon  in  Friedenszeiten  bei  der  Frankfurter  Jugend  äusserst  be- 
liebte Spiel  beeinflusste.  Da  Herr  Rektor  K.  Wehrhan  an  dieser  Stelle ^)  bereits 
eine  eingehende  Abhandlung  über  das  Frankfurter  Hickelspiel  brachte,  so  soll 
hier  nur  auf  die  Abvveichmigen  und  die  Weiterentwicklung  des  Spiels,  wie  sie 
durch  den  Krieg  bedingt  ist,  näher  Bezug  genommen  werden. 

Während  früher  das  Spiel  in  der  Hauptsache  zwei  Spielformen  mit  ungefähr 
einem  Dutzend  Einzelspielen  aufwies,  bemerken  wir  in  dem  Kriegsspiel  nach  jeder 
Seite  gut  die  doppelte  Zahl.  In  auffallender  Weise  ergaben  sich  im  Sommer  1917 
die  Kinder  diesem  Spiel.  Schliesslich  mussten  Polizei  und  Schulbehörde  wegen 
des  Übermasses  der  Kreidezeichnungen  auf  Fusssteig  und  Fahrdamm  dagegen 
einschreiten,  was  vom  Standpunkt  des  Volkskundlers  aus  gewiss  bedauerlich 
erschien. 

Wenn  auch  das  laute  und  lebhafte  Soldatenspiel  dem  ruhigen  Hickelspiel 
Platz  machte,  so  trug  doch  diese  sonst  friedliche  Spielbeschäftigung  fast  durch- 
gängig kriegsgemässen  Charakter. 

S[)ielform  A  (vgl.  Wehrhan  oben  21,  240  ff.);  Abbildungen  1—4. 

Die  Spiele  dieser  Gruppe  entsprechen  oder  ähneln  in  Zeichnung  und  Aus- 
führung früheren  Spielen  mit  der  Benennung  Schlange,  Schnecke,  Tisch,  den  Buch- 
staben- oder  sog.  Enneschenspielen,  benannt  nach  dem  Buchstaben  N,  dem  Wind- 
mühlonspiel.  Die  Ausführung  ist  die  einfachste;  die  Kinder  hickeln  durch  die 
Formen  mit  oder  ohne  Stein,  dabei  dürfen  die  Striche  nicht  mit  dem  Fuss  oder 
dem  Stein  berührt  werden.  In  Figur  "2  wird  das  Spiel  verschärft,  wenn  auf  die 
Zacken  geachtet  werden  muss. 

Spielform  B  (Wehrhan  21,  234  lt.):  Abbildungen  5— G. 

Mit  diesen  können  wir  die  Spiele  früherer  Benennungen  vergleichen  wie  das 
Häuschen,  Deutscher  Kreis,  Französischer  Kreis,  die  Woche,  das  Eierspiel.  Die 
Kinder  hüpfen  durch  die  einzelnen  Felder,  ohne  die  Striche  zu  berühren,  wieder 
mit  und  ohne  Stein.  In  Abb.  G  sind  die  Namen  nicht  feststehend.  Die  Kinder 
wählten  damals  hauptsächlich  Heerführer  des  westlichen  Kriegsschauplatzes. 

Spielform  C:  Abb.  7—9. 

In  diesen  Spielen  treten  vollständig  neue  Figuren  auf.  Die  Spielweise 
ist  eine  zweifache:  Bei  Abb.  7—14  wird  der  Stein  aus  dem  Mal  durch  'Schnicken' 
mit  dem  Fuss  bis  an  den  Kopf  vorgearbeitet.  Von  hier  aus  wird  er  in  die  ein- 
zelnen Häuschen  geworfen,  mit  1  beginnend.  Der  Spieler  hüpft  nach,  hebt  den 
Stein  auf  und  durchhickelt  die  ganze  Figur.  Wer  ohne  Missgeschick  durch- 
gekommen ist,    erhält    in    dem   Streifen  ein  Feld,    das   er  abteilt  und  mit  seinem 

1)  Oben  21.  234 — 24:>;  dort  auch  weitere  Literaturangaben. 


•238 


Dillmann; 


Namenszeichen  versieht.  (Eine  ähnliche  Spielfigur  heissl  'die  Laterne.)  In  dem 
101  -Spiel  (Abb.  8)  sind  die  Ziffern  nicht  lückenlos,  sondern  auf  ungefähr  ein- 
geschrieben. Wirft  der  1.  Spieler  den  Stein  z.  B.  auf  19,  so  macht  er  sich  in  dem 
rechteckigen  Streifen  ein  P'eld,  in  die  eine  Hälfte  schreibt  er  sein  Namenszeichen, 
in  die  andere  die  Ziffer.  Jetzt  folgen  die  andern  Spieler,  z.  B.  0  mit  Ziffer  lt2. 
Das  Spiel  wird  fortgesetzt,  bis  der  Streifen  aufgeteilt  ist.  Dann  werden  die  Zahlen 
der  Spieler  aufgerechnet.  Wer  die  höchste  Zahl  hat,  ist  Sieger.  Wer  über  den 
Sti-eifen  oder  ausserhalb  des  Kreises  wirft,  ist  ab  und  wird  abgelöst.     Grosse  Ge- 


Abb.  1. 


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Abb. 
2  u.  3. 


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Abb.  5. 


Al)b.  () 


duld  und  Ausdauer  sind  zur  Erreicliung  eines  Erfolges  erforderlich.  Bewundern 
muss  man  hierbei  oft  Schüler,  die  bei  den  Anforderungen  der  Schule  versagen. 
Über  die  eigentliche  Bedeutung  der  Figuren  wissen  die  Kinder  keine  Aus- 
kunft zu  geben.  Die  Phantasie  des  Erwachsenen  jedoch,  mit  dem  Geist  der  Zeit 
erfüllt,  könnte  versucht  sein,  dem  kindlichen  Spiel  eine  bestimmte  Deutung  zu 
geben.  In  dem  Festungshickel  (Abb.  9),  nach  Spielform  b  zu  spielen,  und  in 
einem  andern  Festungsspiel  als  Messerspiel  geben  uns  die  Kinder  selbst  die 
Anregung.  In  beiden  Spielen  müssen  zuerst  die  äusseren  Forts  gewonnen  sein, 
ehe  man  in  das  Innere  der  Festung  eindringen  kann,  um  in  dem  Mal  als  Sieger 
auszuruhen.     Ebenso  könnte  man  die  Spiele   mit  den  Figuren  7  und  8   als  kind- 


Kleine  Mitteiluno'en. 


•239 


iclie  Xachahraung-  des  mühsamen  und  ausdauernden  Vordringens  unserer  Sol- 
daten  an  ein  Port,   einen  Brückenkopf  oder  eine  Höhe   in   Feindesland   auffassen. 

Spielform  D:  (Abb.  10—15). 

Bei  den  zahlreichen  Spielen  dieser  B^rm  kommt  in  der  Ausführung  etwas  Neues 
hinzu,  nämlich  das  Sprunghafte.     Sobald  zwei  Felder   nebeneinander  liegen,   so 


Abb. 


Abb.  S. 


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Abb. 
12. 


Abb.  \i 


Abb.  11. 


Abb.  15. 


werden  sie  nicht  durch  blosses  Hüpfen,  sondern  durch  Springen  erreicht,  also 
mit  zwei  Beinen  aufspringend.  Im  letzten  Feld  angekommen,  wird  kehit  ge- 
sprungen und  dann  der  Weg  noch  einmal  zurückgelegt.  Diese  Spiele  stellen  somit 
hohe    körperliche    Anforderungen  an    den  Spieler,     was    öfters,     bei    verschärfter 


240  Dillmann.  Kaindl: 

Ausführung,  zur  völligen  Ermüdung  und  Erschlaffung  führt.  Beim  'englischen 
Kasten'  (Abb.  10)  wird  aus  dem  Mal  in  1  gehüpft,  in  2  und  4  gesprungen,  in  .') 
gehüpft,  in  3  und  7  gesprungen,  in  6  und  S  gesprungen  (schwierig),  in  9  ge- 
hüpft, kehrt  gesprungen,  den  Weg  ebenso  zurück.  Bei  einer  verschärften  Aus- 
führung werden  in  den  Hüpffeldern  die  Beine  überkreuz  gestellt.  Ein  Junge 
wollte  aus  dieser  Schiefstellung  die  Bezeichnung  'englisch'  erklären.  Die  Spiel- 
figur Abb.  11   stellt  deutlich  ein  Flugzeug,  Abb.  ]'2  eine  Granate  vor. 

In  Abb.  13  u.  14  begegnen  wir  eigenartigen  Formen.  Der  obere  Kreis  be- 
deutet den  Kopf,  die  doppelten  Rechteckfelder  die  Arme;  ein  Junge  sagte:  „das 
sieht  aus  wie  ein  Flieger";  die  unteren  Rechtecke  stellen  die  Beine  dar.  Bei  der 
Figur  'Die  dicke  Frau'  (Abb.  14),  die  auch,  wenn  unter  dem  breiten  Rechteck- 
feld noch  ein  Quadrat  ist  und  so  die  Figur  schlanker  wird,  das  Mädchen  ge- 
nannt wird,  stellen  die  spitzen  Felder  den  Rock  vor. 

Der  Verfasser  will  in  dieser  Abhandlung  nicht  Anspruch  auf  Vollständigkeit 
erheben,  da  die  Ausführungen  des  Spiels  mitunter  in  den  einzelnen  Stadtteilen, 
selbst  nach  den  einzelnen  Schulgattungen,  nach  dem  Grade  der  Gestaltungs-  und 
Zeichenfähigkeitverschiedensind.  Namentlich  erfreut  sich  'der  dickeMann'(Abb.  l.'!) 
grosser  Beliebtheit  und  vielseitiger  Darstellung.  So  wurde  ihm  nach  der  Kriegs- 
erklärung Amerikas  häufig  ein  'Indianerkopf'  aufgesetzt.  Auch  befindet  sich  die 
Entwicklung  der  Spiele  beständig  in  Fluss.  Vor  mir  liegen  noch  nahezu  hundert 
verschiedene  Hickelzeichnungen,  die,  wenn  sie  auch  nicht  mit  den  Kriegsereig- 
nissen in  enge  Beziehung  gebracht  werden  können,  doch  in  der  Kriegszeit  ent- 
standen sind. 

In  Zusammenhang  mit  dieser  Frankfurter  Spielbevvegung  steht  eine  Ab- 
handlung in  der  Zeitschrift  'Deutsche  Gaue'  TJIG  S.  167.  Dort  heisst  es: 
„Auf  dem  Asphaltpflaster  im  Städtlein  sah  man  im  Mai  auf  einmal  magische 
Figuren  mit  Kreide  gezeichnet,  oft  5,  7  hintereinander,  rund  1  m  breit  und  3  m 
hoch.  Und  die  Buben  und  Mädel  sah  man,  wie  sie  ein  Hölzchen  in  die  Felder 
warfen.  Aufangs  glaubten  wir,  sie  knobeln  das  Datum  des  Friedens  aus.  Allein 
es  war  ein  ganz  neues  Spiel.  Einen  Namen  haben  sie  ihm  noch  nicht  gegeben 
und  wer  es  aufgebracht  hat,  weiss  ich  nicht.  Unsere  Nachbarin  meint  allerdings, 
das  hätten  die  gefangenen  Russen  eingeführt,  und  sie  lasse  ihre  Mädel  das  Spiel 
nicht  spielen,  weil  sie  solche  'Kratteln'  dabei  machen  müssen."  Es  folgt  jetzt 
Zeichnung  und  Ausführung  des  Spiels,  das  im  wesentlichen  mit  'Himmel  und 
Erde'  übereinstimmt. 

Es  wäre  gewiss  eine  dankbare  und  lohnende  Aufgabe,  auch  in  andern  deutschen 
Gauen  eine  planmässige  Sammlung  dieser  Hickelspiele,  namentlich  der 
in  der  Kriegszeit  entstandenen,  zu  versuchen. 

F  r  a  n  k  f  u  r t  a.  M.  J  o  s  e  p  h  I)  i  1 1  m  a  n  n . 


Beiträge  zur  Volkskunde  Osteuropas. 

(Fortsetzung  zu  Jahrg.  2(1,  :;22— 330.) 
20.  Fluchbrief  gegen  Diebe. 
Fr.    A.    Wicken  hauser    venilTentlicht    in    seiner    'Geschichte    des    Bistums 
Radautz'   (in  der  Bukowina)    1.  Bändchen    S.  IUI  f.    folgenden   Fluchbrief  des   da- 
maligen Bischofs  von  Czernowitz. 

,.r)osothei    von    Gottes  Gnaden  Bischof  der    kaiserlichen  Bukowina.     Tun  zu  wissen 
mit  diesem   unäcren  Fluchbriefe,    wienach  Theodor  Halip.    Priester  aus   dem  Dorfe  Opri- 


Kleine  Mitteilungen.  241 

scheui.  vor  uns  gekommen  ist  und  angezeigt  hat,  dass  er  nicht  geringen  Schaden  durch 
einen  Diebstahl  erlitten  hat,  indem  ilim  dort  unter  seinen  Nachbarn  4  Ochsen,  1  Stute 
und  1  Kalbin  gestohlen  wurden.  Ebenso  hat  auch  der  Insasse  desselben  Dorfes  Basil 
Stratuht  angezeigt,  dass  man  auch  ilim  11  Pferde  und  Ü  Ochsen  gestohlen  hat.  Da  nun 
unsere  Seele  diese  Beschädigungen  und  die  verabscheuuugswürdigen  Frevel  dieser  Dieb- 
stähle, welche  unselige  und  keine  Gottesfurcht  kennende  Leute  verübten,  nicht  ertragen 
kann,' so  haben  wir  vermöge  der  uns  vom  gerechten  Gott  und  unserem  Erlöser  Jesu 
Christo  durch  die  heil.  Apostel    gegebenen  Gewalt    „zu  binden  und  zu  lösen'-,    über  .  .  . 

und  über  die  Seelen  derjenigen,  welche  den  obgenaunten  Diebstahl  verübt 

haben,  über  diejenigen,  welche  hievon  wissen  und  über  jene,  welche  davon  erfahren 
habea  und  dies  nicht  anzeigen,  entschieden,  dass  alle  diese  von  Gott  dem  Herrn,  dem 
gerechten  Eichter  und  Erlöser  Jesu  Christo,  von  seiner  reinsten  Mutter,  von  den  heil. 
12  Aposteln,  von  :U,s  heil.  Vätern  der  Kirchenversammlung  von  Nikäa  und  allen  Heiligen 
verllucht  seien.  Eisen,  Erz  und  Stein  und  aller  harte  Stoff  soll  verwesen,  aber  ihre 
Leiber  sollen  nach  dem  Tode  unverletzt  und  ungelöst  bestehen!  In  der  künftigen  Ewig- 
keit sollen  ihre  Seelen  zugleich  mit  Juda  an  den  ewigen  Qualen  teilnehmen,  in  dieser 
Welt  aber  auf  ihnen  der  Grimm  Gottes  lasten  und  über  sie  und  über  ihre  Kinder  sich 
ausgiessen!     Sie  sollen  in  ihrem  Leben  keinen  Erfolg  haben,  ihre  Arbeit  und  Mühe  ihnen 

zum  Verderben  gereichen,  ihre  Weiber  sollen  Witwen  bleiben,    ihre  Kinder 

gehen,  keine  Nahrung  finden  und  jeden  Gedeihens  bar  sein  ;  alles  Übel  soll  über  sie  kommen ! 

Das  Zittern  des  Kain  und  die  Geschwüre  des  Geesi  soll  auf  ihren  Leibern  haften 

auf  dem  Wege  vertilgt  werden,  und  ihre  Kinder  mit  ihrer  Habe  auf  ewig  verderben. 
Jene  aber,  welche  den  verübten  Schaden  zurückstellen,  die  Wahrheit  iu  Furcht  Gottes 
bekennen,  sowie  jene,  welche  diesen  Frevel  und  die  Lbelthäter  dieses  Diebstahls  kennen 
und  entdecken,  denen  soll  verziehen  werden,  und  sie  sollen  gesegnet  werden  von  Gott 
dem  Herrn!  —  So  soll  es  sein! 

178G.  Dezember  .;.  Dosothei  Rischof." 

21.    Weitere  lieiträge  zum  iiiodenieii  Aber-  und  Zauberglauben. 
31o(lerne  Sagenbilduiig. 

Schon  oben  21,  401  f.  ist  eine  kleine  Sammlung-  von  Zeitungsberichten 
veröfTentlicht  worden,  aus  denen  hervorgeht,  wie  kräftig  der  Aberglaube  noch 
gegenwärtig  sich  äussert.  Hier  folgen  einige  neue  Heiträge,  von  denen  jene,  die 
mit  dem  Weltkrieg  zusammenhängen,  besondere  Beachtung  verdienen. 

Der  Frosch  als  Bräutigam.  Ein  Kulturbild  aus  der  Bukowina  entrollte  sich 
vor  dem  Strafgerichte  in  Czernowitz,  vor  dem  eine  aus  vier  Köpfen  bestehende 
Zigeunerfamilie  wegen  Betruges  angeklagt  war.  Anfang  Dezember  erschien  die  IGjährigo 
Zigeunerin  Samtira  ]\Ioldawan  bei  dem  Dienstmädchen  Frosina  Lastiwka  und  versprach, 
ihr  mit  Hilfe  von  27  Teufeln  einen  Bräutigam  zu  verschafien.  Sie  nahm  dem  Mädchen 
einige  Perlenschnüre  und  fünf  Kronen  sowie  ein  Hemd  ab,  indem  sie  sagte,  dass  sie  diese 
Gegenstände  für  das  Zauberwerk  brauche.  Infolge  einer  Aufforderung  der  Zigeunerin 
erschien  die  Lastiwka  einige  Tage  später  bei  der  Zigeunermutter.  Sainfira  nahm  dem 
Mädchen  einen  Pelz  ab,  den  sie  trug,  verlangte  von  ihr  noch  zehn  Kronen  und  stellte 
dann  eine  Schüssel  vor  sie  hin.  in  die  das  Mädchen  ein  Paar  Ohrringe  und  einen  Pting 
werfen  musste.  Die  Schüssel  wurde  hierauf  mit  einem  Tuch  zugedeckt,  die  Zauberin 
murmelte  einige  Zaubersprüche,  und  als  das  Tuch  entfernt  wurde,  erblickte  das  Mädchen 
in  der  Schüssel  einen  Frosch,  der  ihr  von  der  Zigeunerin  als  ihr  künftiger  Bräutigam 
vorgestellt  wurde.  Auch  anderen  abergläubischen  Leuten  wurden  auf  diese  Weise  Geld 
und  Wertsachen  entlockt.  Die  Zigeuner  verstanden  es.  ihre  Kundschaften  zu  überzeugen, 
dass  sie  ihnen  mit  Hilfe  des  Teufels  Gutes  erweisen  können.  Die  Zigeunermutter  wurde 
zu  zwei  Jahren.  Samtira  Moldawan  zu  acht  Monaten,  die  Zigeuner  Wasyl  Balusiak  und 
Wasyl  Moldawan  zu  je  drei  .Monaten  schweren  Kerkers  verurteilt.  ("Der  Freimütige 
Wien,  März  1912.) 

Teufelsglaube  im  20.  J  ahrhundert.  In  den  ungarischen  Gemeinden  Vaskoh 
und  Baresd  wurde  ein  heftiges  Erdbeben  verspürt.     Im    ersten  Orte    wurden    durch   die 


242  Kaindl: 

Erschütterung  die  Kin  lienglocken  in  Bewegung  gesetzt.  Der  Bewohner  boniäclitigte  sich 
grosse  Angst.  Eine  Wahrsageiin  hatte  dem  Volke  vorgemaclit,  dass  der  Teufel  Hunger 
leide  und  deshalb  die  Erde  erschüttere.  Das  Volk  schleppte  Kälber  und  Ziegen  herbei 
und  warf  sie  in  die  Höhle,  wo  der  Teufel  angeblich  wohnte.  Der  Wald  wurde  an  zwei 
Stellen  in  Brand  gesteckt,  um  den  sich  dort  aufhaltenden  Teufel  zu  vertreiben.  (Buko- 
winer  Nachrichten,  15.  Nov.  1910.) 

Hexenglaube  in  Ungarn.  Wie  aus  Budapest  gemeldet  wird,  lief  vor  kurzem 
an  den  Magistrat  der  Stadt  Zilah  ein  Gesuch  ein,  welches  nichts  weniger  fordert, 
als  die  Verbrennung  zwoirr  Menschen  wegen  Hexenmeisterei.  Das  an^die  Zeiten  des 
Mittelalters  mahnende  Dokument  ist  streng  nach  amtlichen  Formen  abgefasst  und 
hat  folgenden  Wortlaut :  Unterfertigter  macht  hiemit  die  Anzeige  gegen  den  Zilaher 
Wasenmoister  Mitru  Kucital,  recte  Johann  Fülöp.  Der  Betreffende  vertilgt  sowohl  die 
in  der  Herde,  als  auch  in  privaten  Stallungen  beiindlichen  Schweine  schon  seit  Jahren 
mit  irgend  einem  Gifte  aus  Gewinnsucht,  denn  jedes  nmgestandene  Tier  fällt  in  seine 
Hände  und  wird  von  ihm  teils  verkauft,  teils  selbst  verzehrt.  Ich  bitte  daher,  gegen 
ihn  das  strafgerichtliche  Vorfahren  einzuleiten.  Ausserdem  zeige  ich  auch  seine  Frau 
wegen  Hexerei  an,  denn  sie  versteht  es  mit  Hilfe  einer  Teufelsmaschine,  alle  ihr  nicht 
genehmen  Personen  für  ewige  Zeiten  zu  verderben.  Dass  die  betreffende  Weibsperson 
tatsächlich  eine  Hexe  ist,  beweist  der  Umstand,  dass  sie  auch  einen  Schweif  besitzt, 
ferner  einen  Mund  wie  eine  Kröte.  Ihre  Wohnung  ist  gefüllt  mit  Stricken  gehängter 
Menschen  und  mit  dtren  Knochen,  mit  welchen  sie  Wunder  wirken  kann,  wenn  sie  in 
diese  bineinbläst.  Ich  beantrage  das  Abschneiden  des  Schweifes  dieser  Frau,  da  sich 
in  diesem  ihre  Wunderkraft  verbirgt.  Ferners  bitte  ich,  dass  .sowohl  Johann  Fülöp  als 
auch  dessen  Frau  zum  Tode  verurteilt  werden,  da  sie  nur  zum  Schaden  der  Menschheit 
aut  der  Welt  sind.  Auch  mich  haben  beide  derart  ins  Verderben  gestürzt,  dass  ich  auch 
jetzt  noch  krank  und  elend  darniederliege.  Ich  erwarte  die  baldige  Erledigung  dieser 
meiner  J^itte  und  verbleibe  mit  untertänigster  Ergebenheit  Georg  Fritzi.  Zilah,  am 
21.  Juli  1911.     (Deutsches  Volksblatt  für  Syrmien,  19.  Aug.  li'll). 

Eine  behördlich  konzessionierte  Kartenaufschlägerin.  Ungarische  Blätter 
erzählen,  dass  im  Ofenpester  Ministerium  des  Innern  eine  sonderbare  Untersuchung  ver- 
lugt wurde.  In  Stein  amanger  lebt  nämlich  eine  alte  Frau,  die  in  den  dortigen  Blät- 
tern Inserate  einrücken  liess,  in  denen  sie  nicht  nur  ihre  Kunst ,  Karten  zu  legen,  der 
p.  t.  Gesellschaft  empfahl,  sondern  auch  hinzufügte,  dass  ihr  die  Ausübung  ihrer  Kunst 
vom  hohen  Ministerium  des  Innern  gestattet  worden  sei.  Diese  Inserate  sendete  ein 
offenbar  weichherziger  Anonymus  an  das  Ministerium,  das  sofort  itine  hochnotpeinliche 
Untersuchung  einleitete,  die  schliesslich  ergab,  dass  der  armen,  alten  Frau  in  der  Tat 
das  ungarische  Ministerium  vor  zehn  Jahren  das  Kartenaufschlagen  in  aller  Form  ge- 
stattete. Die  Urkunde  mit  der  eleganten  Unterschrift  des  ^Ministers  und  mit  dem  feier- 
lichen Siegel  des  Ministeriums  beiludet  sich  in  den  Händen  der  Kartfnaufschlägeriii. 
(Bukowiner  Nachrichten,  G.  Dez.  1910.) 

Dabei  darf  nicht  vergessen  werden,  dass  moderne  Sibyllen  auch  im  Westen 
noch  in  grosser  Zahl  tätig  sind.  Dazu  vgl.  man  die  Nachricht  aus  dem  Jahre 
1910  über  die  2000  Kartenlegerinnen  in  Berlin  (oben  21,  403). 

Warum  russische  Bauern  revoltieren.  An  der  Grenze  zwischen  Österreich 
und  Eussland,  im  Kreise  Belgorai  (Gouvernement  Lublin),  befindet  sich  ein  Flüsschen, 
das  sich  für  die  Holzflössung  bisher  sehr  wenig  geeignet  erwiesen  hatte.  Daher  beschloss 
die  Verwaltung  des  Verkehrsbezirkes,  eine  Partie  von  Ingenieuren  dahin  zu  entsenden, 
um  den  Fluss  für  den  genannten  Zweck  geeigneter  zu  machen.  Mit  grossem  Misstrauen 
sahen  die  Bauern  am  Ort  den  ihnen  unverständlichen  Arbeiten  der  Ingenieure  zu.  Es 
begannen  allerlei  Mutmassungen  in  den  Köpfen  der  Leute  zu  spuken  :  die  einen  meinten, 
dass  man  den  Bauern  das  Flussland  abnehmen  wolle,  andere  behaupteten,  die  Ingenieure 
wollten  dem  Flüsschen  den  Abstrom  nach  Osterreich  versperren,  wodurch  die  Holzflössung 
unmöglich  werden  würde.  Es  fanden  sich  sogar  besonders  weise  Leute  im  Dorfe,  die 
versicherten,    die    Regierung    wolle    die    Cholera    aus    Petersburg    nach    ()sterreich    fort- 


Kleine  Mitteilungen.  243 

schwemmen,  und  wäliroud  die  Seuche  an  den  Dörfern  vorbei  durch  den  Fluss  ziehen 
würde,  könne  man  ein  allgemeines  Sterben  iu  den  anliegenden  Dörfern  erwarten.  Das 
Ergebnis  dieses  hirnverbrannten  Geredes  der  Dörfler  war,  dass  schliesslich  die  Bauern- 
bevölkerung, Männer  und  Weiber,  sich  mit  Sensen,  Heugabeln  und  Knütteln  bewaffnete 
und  gegen  die  Ingenieure  mit  Drohungen,  die  Arbeiten  sofort  einzustellen,  auszog. 
Die  Intervention  der  Polizei  half  nichts.  Vergebens  suchten  der  Kreischef,  der  Chef  der 
Landwächter  und  die  Ingenieure  selbst  den  Bauern  das  Unsinnige  ihres  Benehmens  aus- 
zureden. Erst  nach  einem  Widerstand  von  zwei  Wochen  gaben  die  Bauern  der  Ge- 
walt nach.  Es  trafen  Kosaken  ein,  nahmen  Verhaftungen  unter  den  Rädelsführern  vor,. 
und  erst  jetzt  konnten  die  Ingenieure  unter  militärischer  Bewachung  ihre  Arbeiten  zum 
Besten  der  Bauern  fortsetzen.  (Bukow.  Nachrichten,  30.  Okt.  1910.)  —  Als  Gegenstück  zu 
diesem  Berichte  diene  folgender:  Als  in  der  Bukowina  18(^5  die  erste  Bahn  gebaut 
wurde,  nahm  ein  Ingenieur  in  einem  Felde  Sonnenbäder.  Wegen  der  herrschenden  Dürre 
waren  die  Bauern  erregt.  Sie  glaubten,  dass  der  Ingenieur,  um  seine  Arlieiten  zu  fördern, 
das  Wetter  hexte,  überiielen  und  schlugen  ihn.  Vgl.  meinen  Aufsatz  'Die  Wetterzauberei 
bei  deu  Riithenen'  in  Mitt.  d.  k.  k.  geogr.  Gesellschaft,  Wien  1894. 

Vater  Illiodors  Prophezeiung.  Der  Weltuntergang  muss  luin  doch  heran- 
genaht sein,  daran  lässt  die  Erklärung  des  Vaters  Illiodor,  des  durch  seine  Exzentrizitäten 
bekannten  Mönches  im  Zarizyner  Kloster,  keinen  Zweifel.  Vor  der  furchtbaren  Kata- 
strophe soll  der  Antichrist  in  der  Welt  erscheinen,  und  dieser  Zeitpunkt  soll  in  zwei 
Wochen  erreicht  sein.  Illiodor  und  mit  ihm  eine  Anzahl  anderer  Mönche  und  auch 
streng  orthodoxe  Kirchengeistliche  ermahnen  das  Volk,  sich  zu  retten.  Aber  wie  man 
sich  retten  soll,  dazu  weiss  weder  Vater  Illiodor  noch  sonst  jemand  einen  praktischen 
Rat.  Den  Leuten  in  Zarizyn  und  Umgebung  soll  denn  doch  geholfen  werden  können. 
Vater  Illiodor  lässt  gegenwärtig  drei  Tunnels  von  9  Fuss  Tiefe  unter  drm  Kloster  graben 
und  im  Klosterhof  riesige  Kanäle  ausschaufeln.  Gegen  .'500  Gläubige  und  Anhänger  des 
Wolga-Propheten,  darunter  viele  Frauen  und  Kinder,  arbeiten  an  den  Unterhöhlungon. 
Binnen  25  Tagen  muss  das  ganze  Werk  vollendet  sein,  das  heisst  gerade  zur  Ankunft 
des  Antichrist,  worauf  dann  die  Gläubigen  unter  dem  Kloster  und  tief  unter  dem  Hof- 
pflaster Rettung  suchen  können.  Illiodor  erklärt,  bis  unter  die  Erde  reiche  die  Macht 
des  Teufels  nicht,  und  da  beim  Weltuntergang  auch  keine  Erderschütterungen  erfolgen 
würden,  so  könnten  die  Gläubigen  in  ihrem  Versteck  froher  Dinge  sein,  bis  die  Posaune 
des  jüngsten  Gerichts  ertöne.  Die  weltlichen  Behörden  lassen  den  überspannten  Mönch 
ruhig  gewähren  und  müssen  es  auch  tun,  da  sie  sich  in  Kloster-  und  Kirchenangelegen- 
heiten nicht  einmischen  dürfen.      Bukow.  Nachrichten,  25.  Okt.  1911.) 

Russische  Legenden  über  Przemysl.  Nach  der  'Siebenbürgisch-dcut- 
schen  Tagespost'  vom  30.  Janner  1915  veröffentlichte  die  in  dem  damals  von  den 
Russen  belagerten  Przemysl  erscheinende  'Lagorzeitung'  einen  Brief,  der  bei 
einem  gefangen  eingebrachten  russischen  Inlanleristen  des  326.  (wolhynischen) 
Regiments  gefunden  worden  war.  Dieser  Brief  schildert  die  ungeheuren  Schwierig- 
keiten der  Belagerung,  erzählt  von  der  vernichtenden  Wirkung  der  österreichischen 
Geschütze  und  fährt  dann  fort: 

„Sie  haben  in  der  Stadt  einen  furchtbaren  Befehlshaber,  deu  noch  niemand  besiegt 
hat.  Dieser  Mann  ist  sehr  gross  und  immer  im  ärgsten  Feuer,  aber  die  Kugeln  treffen 
ihn  nicht,  sondern  fallen  wirkungslos  an  ihm  herunter  und  tun  ihm  keinen  Schaden. 
Mau  sagt,  dass  er  mit  dem  „Bösen"  Umgtmg  pflegt,  aber  ich  glaube,  dass  er  es  viel- 
mehr mit  dem  „Guten"  hält,  weil  in  einer  ihrer  Kirchen,  deren  es  zahlreiche  in  der 
Stadt  gibt,  die  wundertätige  Muttergottes  ist,  die  so  mächtig  ist  wie  unsere  in  Czen- 
stocbau  oder  die  in  Pocajow.  Man  erzählt,  dass  vor  dieser  Muttergottes  Tag  und  Nacht 
Kerzen  brennen  und  dass  drei  Bischöfe,  ununterbrochen  davor  knieend,  Litaneien  beten. 
—  So  wie  die  Schweden  Jasna  Gora  (Czenstochau)  nicht  einnehmen  konnten,  ebensowenig 
können  wir  Przemysl  einnehmen,  weil  die  wundertätige  Jungfrau  die  Stadt  mit  ihrem 
Mantel  bedeckt.  —  Nun  grüsse  ich  Euch  alle,  meine  Lieben,  und  bitte  Euch,  mir  ehe- 
stens zu  antworten.  Ich  schliesse  mein  Schreiben  mi  dem  christlichen  Grusse  :  Gelobt 
sei  Jesus  Christus  in  alle  Ewigkeit  !     Amen." 


■944  Kaindl,  Kothl^arth: 

Dieselbe  Zeitung-  veröllentlichte  am  5.  Febr.  l'-H.')  aucli  l'olgenden  Bericht: 
Legenden  über  Przemysl  im  russischen  Heere.  Die  Tatsaclien,  wie  die  der 
^merhört  heldenmütigen  Verteidigung  der  Festung  während  der  ersten  Belagerung,  sowie 
die  enormen  Verluste  der  Russen  riefen  unter  den  russischen  Soldaten  eine  furchtbare 
Angst  vor  dem  Befehle  hervor,  gegen  diese  „entsetzliche  Festung"  zu  marschieren.  Kein 
Wunder,  wenn  derzeit  unter  den  russischen  Soldaten  allerlei  Legenden  über  diese  „furcht- 
bare Festung"  entstanden.  Die  russischen  Soldaten  siugen  auch  ein  Lied,  in  welchem 
-es  heisst,  dass  Przemysl  ein  Teufel  erbaute  und  nur  wieder  Teufel  diese  Festung 
erobern  können.  Alele  russische  Soldaten,  welche  die  erste  Belagerung  mitgemacht 
.haben,  erzählen,  dass  sie  gesehen  haben,  wie  die  Gottesmutter  mit  ihrem  Mantel  die 
Stadt  beschütze  und  alle  gegen  die  Stadt  gerichteten  Geschosse  abprallen. 

Ein  „heiliger  Brief"  an  die  russischen  Soldaten.     Aus    Debreczeu    wird    ge- 
schrieben:    linter   den  jüngst  eingelieferten  russischen  Gefangenen   befand  sicli  auch  ein 
Soldat    des    58.  Infanterieregiments    namens    Andre   Gucsabkij.     Bei    diesem   wurde    ein 
im  Pocsajewer  russischen  Kloster  vervielfältigter  ,.heiligfr  Brief"  gefunden,  den  die  Armee- 
leitung unter  die  Soldaten  verteilen  Hess.     Dieser  Brief  lautet  iu  deutscher  l'bersetzung; 
„Heiliger  Brief  an  die  russischen  Soldaten  !     Dieses   Schreiben  wurde  in  der 
Pocsajewer  Klosterkirche  hinter  dem  Bild  der  heiligen  Jungfrau  gefunden.    Den 
Brief  selbst  hat  der  Sohn  Christus  der  heiligen  Jungfrau  geschrieben,    und  wer 
ihn  liest,  dem  bringt   der  Krieg  Glück,    der  bringt  dem  Väterchen  Glück,    dem 
Zaren  aller  PaisseB,  auf  dass  er  seine  Feinde  niederringe. 

Kussischer  Soldat  I  Ich  Jesus  Christus  gebiete  Dir,  dass  Du  diesen  Brief, 
wenn  Du  ihn  gelesen  hast,  Deinem  Kameraden  weitergeben  sollst.  Unser  Herr 
und  Gebieter,  der  grosse  und  mächtige  Zar,  ist  mit  seinen  Völkern  in  Gefahr 
geraten.  Feinde  haben  ihn  angegriflen,  wiewohl  er  über  die  ganze  Welt  seine 
]\Iacht  ausbreiten  muss,  damit  alle  Lebewesen  auf  Erden  die  Güte  und  den  Segen 
seiner  Hand  fühlen  können.  Der  (>rosse  und  mächtige  Zar  hat  zu  denWaffen  gegriffen, 
damit  er  mit  Euch,  russische  Soldaten,  das  Erbe  seiner  Väter  vergrössere.  Er 
ist  mit  Euch  in  einen  siegreichen  Krieg  gezogen  und  Eure  PÜicht  ist  es,  für 
den  Zaren  das  Blut  zu  vergiessen  und  das  Leben  zu  opfern.  In  wilden 
Schlachten  ist  der  Segen  der  heiligen  Jungfrau  mit  Euch  und  begleitet  Euch 
auf  dem  Weg  der  Gerechten.  Ruchlos  ist  der  Feind  und  verursacht  Russland 
Schaden.  Denkt  an  Eure  daheim  gebliebenen  Familien,  an  Eure  Weiber  und 
Kinder.  Verteidigt  Ihr  aber  das  Land  des  Zaren  nicht  und  erntet  Ihr  keinen 
Sieg,  dann  verdient  Ihr  nicht  die  Sonne,  dass  Ihr  ihre  Wärme  fühlt,  verdient 
Ihr  nicht  die  Luft,  dass  Ihr  sie  einatmet,  nicht  die  Ernte  der  Erde,  nicht 
die    Gnade    des    Zaren,    die    um  Euch    Strahlen    des    Glücks  windet. 

Seid  auf  der  Hut!     Wer    in    des  Feindes    Hand    gerät,    stirbt    den  Tod    der 
Tode.     Er  fällt  der  Verdammnis  anheim,    verliert  das  Seelenheil,    seine  Familie 
wird  bis  zum  siebenten  Glied  büssen  und  den  strafenden  Zorn  des  Zaren  fühlen. 
Kämpfet  im  Namen  der  heiligen  Jungfrau  und  des  Zaren,  denn  .sie  sind  all- 
gegenwärtig."    (Budapester  Tagblatt.  30.  April  1915.) 

Die  Austreibung  des  Beelzebub.  Aus  Petersburg  wird  der  'Zeif  gemeldet: 
In  dem  Vororte  Petersburgs,  Parochowoje,  befindet  sich  in  der  Nähe  der  Kronpulver- 
iabriken  die  Kirche  zum  Andenken  an  die  Jieiligc  Paraskewa.  Alljährlich  am  Freitag 
vor  dem  20.  Juli  wallfahrtet  die  Bevölkerung  der  Umgegend  zu  dieser  Kirche,  um  einem 
in  gleichen  Formen  sich  wiederholenden,  beispiellos  rohen  Schauspiel  beizuAvohnen.  An 
<ier  Rückseite  der  Kirche  ist  ein  grosses  Heiligenbild  der  Märtyrerin  Paraskewa  ange- 
bracht. Eine  tausendköplige  Menge  umlagert  den  Platz,  die  mit  gespannter  Aufmerk- 
samkeit zuschaut,  wie  drei  kräftige  Burschen,  die  auf  einem  Gerüst  stehen,  ein  nur  mit 
«inem  Hemde  bekleidetes  junges  Frauenzimmer  zum  Bildnis  der  heiligen  Paraskewa 
hinaufziehen.  Zwei  Burschen  haben  je  einen  Arm  der  Unglücklichen  gefasst,  während 
einer  das  Mädchen  an  den  Haaren  zerrt.  Unter  unmöglichen  Quälereien  bis  zum  Bilde 
omporgerafft,  muss  die  angeblich  vom  Teufel  Besessene  unzählige  Male  die  heilige  Para- 


Kleine  Mitteilungen.  245 

skewa  küssen  und  laut  klagend  um  Vergebung  bitten.  Alsdann  wird  die  vor  Sclimerz 
halb  Ohnmächtige  wiederum  an  den  Haaren  auf  die  Erde  herabgelassen.  Nun  wipd  ihr 
der  Mund  gewaltsam  geöffnet  und  unglaubliche  Mengen  Wasser  hineingegossen,  um  den 
in  der  Mädchenseele  wohnenden  Teufel  zu  ertränken.  Diese  Prozedur  dauert  so  lange^ 
bis  die  Arme,  dem  Ersticken  nahe,  zusammenbricht.  Ein  zufälliger  Augenzeuge  erkun- 
digte sich  nach  dem  Zweck  di<=ses  barbarischen  Vorganges.  Ihm  wurde  die  Antwort  zu- 
teil, dass  der  Teufel  das  Mädchen  zur  Unzucht  verleitet  habe.  Die  heilige  Paraskewa 
heilt  aber  die  durch  ihr  ausschweifendes  Leben  erkrankten  Mädchen  und  treibt  den  bösen 
Geist  aus.  Noch  weitere  sechs  Mädchen  erwartete  dis  gleiche  Schicksal.  Ergeben^ 
unter  fortwährendem  Bekreuzigen,  Hessen  die  Unglücklichen  die  Grausamkeiten  über  sich 
ergehen.  Daiür  gewannen  sie  das  Bewusstsein,  die  heilige  Paraskewa  habe  ihnen  ihre 
Schuld  verziehen  und  sie  von  der  Schmach  befreit.  Nachher  wurden  die  ..Geheilten"  in 
reicligeschmückte  Gewänder  gehüllt  und  wieder  als  vollberechtigt  in  die  Dorfgemeinschaft 
aufgenommen.  "Wie  gross  die  Volksmenge  ist,  die  diesem  Schauspiel  beiwohnt,  gelit  au» 
der  Angabe  hervor,  dass  ti47  im  Gedränge  zu  Schaden  Gekommenen  ärztliche  Hilfe  zu- 
teil werden  musste.  Zwei  Frauen  und  drei  Kinder  wurden  aber  zu  Tode  gedrückt.  Sa 
geschehen  am  20.  Juli  1913  im  ..Kulturstaate"  Kussland.  Nicht  etwa  in  einem  verlassenen 
Erdenwinkel  des  gewaltigen  Reiches,  sondern  20  Werst  von  der  Residenz  entfernt. 
(Bukow.  Nachrichten,  15.  August  1913.) 

Aus  Aberglauben  ermordet.  Wie  ans  Warschau  gedrahtet  wird,  verbreitete 
sich  im  Dorfe  Molice  bei  Saudomierz  unter  der  Bauernschaft  die  Wahnidee,  dass  an  dem 
diesjährigen  schlechten  Sommerwetter  ein  Ortsbewohner  schuld  trage,  dessen  unmoralischer 
Lebenswandel  Gottes  Zorn  und  Strafe  lieraufbeschworen  habe.  Di*  abergläubischen 
Bauern  rotteten  sich  zusammen,  zogen  vor  das  Haus  Jenes  Bauern,  namens  Cichon,  über- 
fielen ihn,  schleppten  ihn  iodann  in  den  Hof  und  schlugen  so  lange  mit  Knütteln  auf 
Cichon  ein,  bis  dieser  kein  Lebenszeichen  mehr  von  sich  gab.  Die  Täter  wurden  ver- 
haftet.    (Bukow.  Nachrichten,  29.  Aug.  1913.) 

Graz.  Raimund   Friedrich  KaindL 


Zur  Völkerschlacht  am  Birkenbauni. 

Über  die  Sage  von  der  Völkerschlacht  der  Zukunft  am  Birkenbaum  hat 
bereits  1897  Friedrich  zur  Bonsen  eine  zusammenfassende  Arbeit  veröffentlicht. 
(In  3.  Auflage  erschienen  1910.)  Das  gleiche  Thema  behandelt  im  Anschluss 
an  das  Aufleben  alter  Prophezeiungen  im  Weltkrieg  im  Jahre  1915  Stephan- 
Steinlein:  'Über  die  Herkunft  der  Sage  und  Prophezeiung  von  der  letzten  W^elt- 
schlacht  am  Birkenbauni  in  Westfalen,  mit  Erläuterungen  zur  deutschen  Kaiser- 
sage und  heutigen  Weissagung.'  Er  kommt  dabei  aber  über  das  Werk  seines 
Vorgängers  nicht  heraus^). 

Zu  einem  Punkt,  der  sich  bei  zur  Bonsen  (S.  7)  findet  und  den  Steinlein 
(S.  52)  einfach  von  dort  übernommen  hat,  sei  eine  Berichtigung  gebracht.  Es- 
heisst  da:  .,Tn  den  Freiheitskriegen,  welche  die  Völker  in  den  Kampf  trieben 
gegen  den  Unterdrücker,  scheint  die  Schlacht  (am  Birkenbaum)  von  der  Be- 
völkerung AA^estfalens    nicht    erwartet   worden    zu   sein."     Dem  widerspricht    aber 

1  Eine  neue  Kritik  versucht  F.  Rohr:  'Die  Prophezeiung  von  der  Entscheidungs- 
schlacht des  Europäischen  Krieges  am  Birkenbaum  und  andere  Kriegsprophezeiungen 
(1917).  Er  will  die  Weissagung  aus  den  zeitlichen  Umständen  ihrer  Entstehung,  nämlich 
den  Ereignissen  des  Jahres  1701,  auf  den  Nordischen  Krieg  und  den  Spanischen  Erbfolge- 
krieg deuten  —  in  manchem  vielleicht  richtig,  im  ganzen  doch  nicht  überzeugend. 


246  Rothbarth; 

eine  bei  Scheible,  VolUswitz  der  Deutschen  über  den  gestürzten  Napoleon  I.. 
Stuttgart  1849,  S.  l'23ff.  abgedruckte  Prophezeiung:  'Der  Prophet  der  neuesten  Er- 
eignisse. —  In  einem  Kloster  gefunden.  Nebst  Gedanken  und  Vorhersagungen 
von  Klinger.'  Im  Jahre  1805  ist  der  Verfasser  mit  einem  Kriegskameraden  in 
der  Nähe  von  Paderborn  einquartiert  und  erfährt  bei  dieser  Gelegenheit  den  In- 
halt einer  alten  Schrift  im  Kloster  zu  Hildesheim:  1S05  wird  ein  Krieg  zwischen 
den  drei  grössten  Mächten  Europas  ausbrechen,  der  aber  schnell  enden  wird. 
,  l.^OG  wird  Preussen  eine  Schlacht  verlieren,  der  König  muss  mit  dem  Rest  des 
Heeres  an  die  Grenze  seiner  Staaten,  es  gibt  Frieden  im  Norden,  aber  nicht  in 
ganz  Deutschland.  Ein  neuer  Sturm,  der  aber  auch  schnell  endet,  wird  losbrechen, 
und  der  Friedensschluss  wird  alle  nordisciien  und  deutschen  Völker  erbittern. 
Im  Jahre  1812  werden  die  französischen  Heere  in  Scharen  nach  Norden  ziehen, 
und  von  nun  an  wird  es  den  bisher  siegreichen  Völkern  unglücklich  ergehen  Der 
nordische  Kaiser  wird  mit  dem  König  von  Preussen  einen  Bund  schliessen,  an 
dem  sich  alle  Fürsten  vom  alten  Stamme  Deutschlands  beteiligen,  und  so  wird 
sich  Preussen  auf  eine  Stufe  erheben,  auf  der  es  bisher  noch  nicht  gestanden 
hat.  1813  kommt  es  dann  zur  Entscheidung  hinter  der  Porta  Westphalica  bis  jen- 
seits Tecklenburg,  auf  den  Schafbergen  bei  Ibbenbühren  (in  der  Grafschaft  Lingen 
im  Grossherzogtura  Berg;.  Allda  werden  über  Land  und  Meer  so  viele  und  so 
mancherlei  Truppen  zusammenkommen,  als  man  in  solcher  Mannigfaltigkeit  noch 
nie  beisammen  gesehen  hat.  Freunde  und  Feinde  werden  sich  ähnlich  sehen  und 
die  Streitenden  sich  nur  im  Kampf  an  der  Sprache  erkennen.  Der  Feind  wird 
über  die  Grenze  des  Rheins  hinaus  fliehen,  und  ein  Friede  in  Europa  wird  die 
Frucht  dieses  Sieges  sein.  Dann  werden  in  tausend  Jahren  Deutsche  gegen 
Deutsche  keinen  Krieg  mehr  führen.  —  Ganz  Westfalen  kennt  diese  Prophe- 
zeiung, und  der  Verfasser  kann  viele  rechtliche  Männer  nennen,  denen  er  vor 
sechs  Jahren  davon  gesprochen  hat;  auch  hat  er  das  Wunderschlachtfeld,  auf 
dem  sich  Deutschlands  Schicksal  entscheiden  soll,  selbst  gesehen. 

Die  Anklänge  an  die  oft  variierte  Birkenbaum-Sage  sind  unverkennbar: 
wenn  auch  das  Baummotiv  fehlt,  wenn  auch  die  Schlacht  weiter  nördlich  verlegt 
wird  als  in  der  alten  Sage,  wo  der  westfälische  Hellvveg,  der  alte  Heervveg  vom 
Niederrhein  zur  Weser,  der  Schauplatz  des  letzten  grossen  Ringens  ist,  so  ist  sie 
doch  auf  westfälischem  Boden  lokalisiert  und  ist  der  furchtbare  Endkampf,  der 
nach  Strömen  Blutes  ein  greifbares  glückliches  Ergebnis  enthält.  —  Ein  am  West- 
rande des  Teutoburger  Waldes  gelegener  Schafberg  kommt  in  der  Birkenbaum- 
Sage  einmal  vor.     (Zschr.  f.  Kulturgeschichte  4,  i'ss.) 

Ob  es  sich  bei  dieser  Prophezeiung  um  den  Dichter  Maximilian  Klinger  als 
Verfasser  handelt,  liess  sich  nicht  ermitteln.  In  seinen  gesammelten  Werken 
(Cotta  1842)  findet  sich  die  Stelle  nicht.  Scheible  hat  ja  wahllos  alles,  was  ihm 
unter  die  Hände  kam,  ohne  genaue  Orts-  und  Zeitangaben  und  kritische  Prüfung 
abgedruckt,  wenn  es  sich  nur  auf  sein  Thema  bezog,  das  in  diesem  Fall  die 
Kämpfe  1805  —  13  waren.  Das  Datum  der  Aufzeichnung  dürfte  wohl  1809/10  sein. 
Darauf  deutet  weniger  das  "vor  G  Jahren',  was  ja  einfach  eine  geschickte  Fassung 
sein  könnte,  tim  den  Glauben  an  die  Echtheit  der  Prophezeiung  aufrecht  zu  er- 
halten, als  vor  allem  die  Angabe  'in  der  Grafschaft  Lingen  im  Grossherzogtum 
Berg'.  Das  Grossherzogtum  Berg,  diese  napoleonische  Schöpfung,  erhielt  1809 
die  Grafschaft  Lingen,  die  aber  1810  an  Frankreich  abgetreten  werden  musste. 
Da  sie  1814  zwar  wieder  an  Preussen  kam,  1815  aber  im  Frieden  an  Hannover 
fiel,  wird  man  mit  Ausnahme  jener  kurzen  Zeit  nicht  von  einer  Zugehörigkeit  zum 
Orossherzogtura  Bery'  sprechen  können   —  immer  vorausgesetzt,  dass  der  Vei  fasser 


Kleine  Mitteilungen.  247 

diese  Besitzverhiiltnisse  genau  kannte  oder  dass  er  diese  Bemerkung  nicht  in  der 
bestimmten  Absicht  gemacht  hat,  die  Gh^ubwürdigkeit  seiner  Darstellung  zu 
erhöhen. 

Die  echte  alte  Prophezeiung  von  der  Völkerschlacht  am  Birkenbaum  hat  wie 
so  vieles  alte  volkskundliche  Gut  jetzt  im  Weltkrieg  ihre  Wiederauferstehung 
gefeiert.  'Die  Seherblicke  aus  Eschweiler',  die  auf  den  Ausgang  des  jetzigen 
Krieges  sich  beziehen  sollen,  stellten  sich  als  Umformung  der  alten  Sage  dar,  die 
einige  aktuelle  Zutaten  erhalten  hatte,  (zur  Bonsen,  Prophezeiungen,  S.  51 : 
Grabinski  S.  2H»ff.)  Und  noch  im  März  und  April  des  Jahres  1917  tauchte  in 
verschiedenen  Zeitungen  die  Nachricht  von  einer  Wismarer  Prophezeiung  auf,  die 
unleugbar  die  Birkenbaumsage  zum  Vorbild  hatte  (Rohr  S.  19).  Hier  lässt  sich 
ganz  genau  trennen,  was  altes  Sagengut  ist  (Leerstehen  des  päpstlichen  Stuhles, 
der  Fürst,  der  verkehrt  zu  Pferde  steigt  usw.)  und  was  aus  den  jetzigen  Zeit- 
ereignissen heraus  neu  dazu  gekommen  ist  (Anspielungen  auf  die  Zeppeline,  die 
U-Boote,  die  Brotkarte  usw.). 

Berlin.  Margarete  Rothbarth. 


Zur  Literatur  der  Kriegspropliezeiuugen. 

Die  wichtigsten  Prophezeiungen  zum  Weltkrieg  sind  schon  in  zusammen- 
fassenden Darstellungen  behandelt.  Zu  nennen  sind  vor  allem:  P.  zur  Bonsen, 
Die  Prophezeiungen  zum  Weltkrieg  1914 — 1916  (Köln  1916,  vgl.  oben  S.  174), 
A.  HcUwig,  Weltkrieg  und  Aberglaube,  Erlebtes  und  Erlauschtes  (Leipzig  1916, 
oben  26,  216),  B.  Grabinski,  Neuere  Mystik.  Der  Weltkrieg  im  Aberglauben  und 
im  Lichte  der  l'rophetie  (Hildesheim  1916,  S.  212 — 274).  Es  seien  hier  noch 
mehrere  Schriftchen  erwähnt,  die  diesen  Verfassern  entgangen  oder  erst  nach 
ihren  Publikationen  erschienen  sind: 

1.  'Die  Entscheidungsschlacht  bei  Pinsk  und  die  Wiederherstellung  des 
Königreichs  Polen.  Außerordentliche  Weissagung  des  seligen  Andreas  Bobola 
S.  J.  (x  1657)  mit  einem  Bericht  über  das  Leben  und  das  grauenvolle  Martyrium 
des  Seligen  von  Prof.  Dr.  Albert  Sleumer.  2.  u.  3.  Auflage.  Veohta  in 
Oldenburg  1915'.  Darin  wird  die  Vision  des  Wilnaer  Dominikanerpaters 
Korzeniccki  im  Jahre  1819  geschildert,  wonach  auf  der  Ebene  von  Pinsk  ein 
furchtbarer  Kampf  stattfinden  solle,  nach  dessen  Ablauf  Polen  wiederhergestellt 
und  der  Märtyrer  Bobola  als  sein  Schutzpatron  anerkannt  werde.  Dieser 
Augenblick  sei  jetzt  gekommen,  denn  die  geschlagenen  Russenheere  eilten  schon 
auf  Pinsk  zu;  —  damit  sind  die  termini  ante  et  post  quos  der  Entstehung  der 
Schrift  ziemlich  genau  gegeben:  am  15.  September  1915  war  der  Einzug  in  Pinsk, 
am  26.  August  war  Brest-Litowsk  gefallen,  wodurch  der  Weg  nach  Pinsk  frei 
wurde.  'Nach  wenigen  Tagen'  ist  laut  Aussage  des  Verfassers  im  Vorwort  eine 
neue  Doppelauflage  dieser  Schrift  nötig  geworden.  Die  Sage  von  der  Wiederher- 
stellung Polens  ist  jetzt  weit  verbreitet,  sie  findet  sich  in  verschiedenen  Abhand- 
lungen über  Kriegsprophezeiungen  (z.  B.  A.  Grobc-Wutischky,  Der  Weltkrieg  in 
der  Proi)hetie,  S.  79;  Rohr,  Schlacht  am  Birkenbaum  S.  64),  besonders  auch  in 
den  französischen,  wo  sie  natürlich  im  entgegengesetzten  Sinn  wie  in  Deutsch- 
land ausgelegt  wird.  Auch  die  Polen  denken  nach  der  Gazetna  Narodowa  voll 
heimlicher  Hoffnung  'an  die  Stunde  des  großen  Völkerkriegs,  die  nach  einer  alten 
in  unserem  Volke  verbreiteten  Sage  Polen  die  Freiheit  wiederbringen  sollte' 
(Frankfurter  Zeitung.  2.  Morgenblatt  vom  9.  November  1916.) 


248  Kothljitrtli: 

2.  'Was  sagt  die  Bibel  vom  Weltkrieg?  1.  Teil:  Gog  und  seine  Niederlage 
Hesekiel  38  und  3U.  Ein  Nachweis,  daß  England  Gog  ist,  von  welchem  der  Pro- 
phet geweissiigt  hat,  und  darum  in  diesem  Kriege  unterliegen  muß.  Nachgewiesen 
von  Pastor  D.  W.  Langelett,  Luzerne,  Jowa.  Selbstverlag'.  Vielleicht  ist  dies 
das  merkwürdigste  und  unfreiwillig  humoristischste  Erzeugnis  der  ganzen  Prophe- 
zeiungsliteratur unserer  Tage,  und  es  ist  nur  zu  bedauern,  daß  die  späteren  Teile 
der  Schrift,  die  sich  mit  Daniel  und  der  Offenbarung  Johannis  beschäftigen  sollen, 
anscheinend  nicht  erschienen,  jedenfalls  in  Deutschland  nicht  aufzutreiben  sind. 
Die  Beweisführung  ist  etwa  so:  Da  der  Prophet  von  dem  Reiche  Gog  so  Schreck- 
liches prophezeit  hat,  hat  sich  wohlweislich  kein  Land  diesen  ominösen  Namen 
beigelegt.  Und  nun  wird  der  Nachweis  geliefert,  daß  alle  vom  Propheten  ge- 
nannten Völkerschaften  in  diesem  Krieg  auf  der  Seite  der  Verbündeten  kämpfen, 
und  sodann,  daß  England  unter  diesen  die  Rolle  spielt,  die  der  Prophet  dem  Gog 
zuschreibt.  Die  Engländer,  'die  in  den  Inseln  wohnen',  die,  wie  es  bei  Hese- 
kiel heißt,  ein  Heer  von  Mohren.  Persern,  Libyern  mit  sich  führen,  kämpfen  als 
Gog  gegen  Israel,  d.  h.  die  Deutschen!  In  dieser  Weise  wird  die  These  kühn 
durchgeführt. 

3.  'Les  predications  sur  la  fin  de  TAllemagne,  reunies  et  commentees  par 
R.  d' Arm  an.  Paris'  (ohne  Datum,  das  sich  aber  aus  inneren  Gründen  leicht  er- 
mitteln läßt:  ein  Artikel  vom  10.  September  1914  ist  in  der  Schrift  zitiert,  aber 
sie  weiß  noch  nichts  vom  Eintritt  der  Türkei  in  den  Weltkrieg,  der  am  31.  Oktober 
1914  erfolgte).  Wer  der  Verfasser  ist,  läßt  sich  mit  unseren  augenblicklichen 
Hilfsmitteln  nicht  feststellen;  sein  Name  kehrt  auf  der  Anzeigenseite  des  Um- 
schlags wieder,  wo  sein  Buch  angezeigt  ist:  D'Arman  et  General  Pau,  L'armee 
fran(^aise  en  face  de  l'armee  allemande.'  Es  handelt  sich  hier  um  eine  Zusammen- 
fassung aller  Prophezeiungen,  die  'avec  une  concordance  surprenante'  auf  das 
Ende  Deutschlands  und  der  HohenzoUern  hinweisen.  Das  psychologisch  Inter- 
essante dabei  ist,  daß  fast  alle  Weissagungen,  die  zur  Erhärtung  dieser  These 
herangezogen  werden,  auch  in  der  deutschen  Prophetieliteratur  behandelt  sind; 
dort  natürlich  mit  dem  entgegengesetzten  Ergebnis.  Die  Methode  ist  bei  beiden 
Parteien  die  gleiche:  Stellen,  die  nicht  in  die  Tendenz  passen,  werden  ent- 
weder einfach  fortgelassen  oder  solange  gedreht  und  gewendet,  bis  sie  die 
Gestalt  haben,  die  sie  nach  der  Absicht  der  Verfasser  besitzen  sollen.  Ohne 
weiter  auf  d'Armans  Methode  einzugehen,  die  ja  nur  psychologisch,  nicht  sachlich 
von  Interesse  wäre,  muß  doch  noch  hervorgehoben  werden,  daß  der  französische 
Rationalismus  bei  dem  Verfasser  öfters  zum  Durchbruch  kommt,  so  daß  er  seinen 
eigenen  Ausführungen  skeptisch  gegenübersteht:  trotz  den  anmasslichen  Einlei- 
tungsworten wird  sein  Programm  nicht  gewahrt,  sondern  fast  alle  Behauptungen 
werden  in  der  Ausführung  bescheiden  eingeschränkt:  'Das  kann  sich  vielleicht 
auf  die  gegenwärtigen  Ereignisse  beziehen'.  —  'Das  bedeutet  vielleicht  einen 
Krieg,  vielleicht  einen  Sieg  der  Franzosen'.  —  'In  bezug  auf  genaue  Bezeichnung 
haben  Vorhersagungen  im  allgemeinen  grosse  Elastizität'  u.  s.  f. 

4.  'Gabriel  Langlois,  Les  propheties  relatives  ä  la  gucrre  de  l'.»14  —  ll»lö. 
Paris  1915.'  Ähnlich  wie  die  vorhergehende  Schrift,  nur  insofern  noch  kritikloser, 
als  sie  sich  mit  ganz  unwesentlichen  begleitenden  Bemerkungen  begnügt  und  in 
der  Hauptsache  nur  den  Text  der  schon  bekannten  Prophezeiungen  bringt.  Für 
Deutschland  interessant  sind  aber  drei  darin  geschilderte  'phenomenes  mysterieux'. 
Einmal,  dass  die  Elberfelder  Pferde  des  Herrn  Krall  im  August  1914  grosse  Un- 
ruhe, Appetitlosigkeit,  Nervosität  zeigten.  Anstatt  die  Kubikwurzel  aus  einer  ge- 
gebenen Zahl  zu  ziehen,  antworteten  sie  immer:  .,1915".     Dies  sollen  die  'Neusten. 


Kleine  Mitteilungen.  249 

Nachrichten,  Organ  von  Ostpreussen'  (?)  am  16.  August  1914  berichtet  haben. 
Ferner:  im  Mai  1914  seien  der  Kaiser  und  Bethmann  Hollweg  in  den  Juliusturm 
zu  Spandau  gegangen,  als  plötzlich  auf  der  letzten  Pforte  in  französischer  Sprache 
die  Worte  sichtbar  wurden:  'La  citadelle  ne  tardera  pas  a  subir  de  nouveau  le 
sort  de  .  .  .'.  Niemand  wusste,  woher  diese  Worte  stammten.  Der  Kaiser  Hess 
sie  nicht  auslöschen,  wohl  aber  alles  sorgfältig  abschliessen,  so  dass  bis  zu  seinem 
nächsten  Besuch  niemand  dort  gewesen  sein  konnte.  Als  er  aber  dann  im  Juni 
wieder  hinging,  war  der  Satz  vollendet:  'le  sort  de  1806',  dem  Jahre,  wo  die 
Franzosen  Spandau  in  Besitz  genommen  hatten.  Schliesslich  die  charakteri!^tischste 
dieser  neuen  Sagen,  weil  sie  an  eine  alte  Überlieferung  anknüpft,  nämlich  an  die 
Sage  von  der  Weissen  Frau:  Dreimal  sei  sie  dem  Kaiser  in  den  Monaten  Juni 
und  Juli  1914  erschienen.  Zum  erstenmal  um  Mitternacht  im  Schlosse  von  Pots- 
dam, dann  Nachmittags  in  der  Ahncngallerie  dos  Berliner  Schlosses  und  schliess- 
lich im  kaiserlichen  Park.  Die  beiden  ersten  Erscheinungen  werden  ausführlicher 
geschildert,  über  die  dritte  wird  nichts  Näheres  berichtet;  eine  Berliner  Zeitung 
habe  Erklärungen  dazu  geben  wollen,  doch  habe  man  ihr  bedeutet,  sie  möge 
schweigen.  Da  diesen  Erzählungen  eine  kleine  historische  Abhandlung  über  die 
Weisse  Frau  (vgl.  J.  G.  Th.  Grässe,  Sagenbuch  des  Preussischon  Staates,  Glogau 
1868,  1,  15 ff.)  vorausgeschickt  ist,  sowie  über  die  Bedeutung  ihrer  Erscheinungen 
vor  dem  Tod  eines  HohenzoUern,  so  ist  der  tendenziöse  Zweck  der  Sage  klar. 

.').  'Yves  delaBriere,  Le  destin  de  l'Empire  allemand  et  les  oracles  pro- 
phetiques.  Essai  de  critique  historique.  Paris  1916.'  Dieses  Büchlein  ist  weniger 
eine  Zusammenstellung  aller  Prophezeiungen  als  vor  allemeine  sorgfältige  Kritik  einer 
bestimmten  Anzahl.  Der  Verfasser,  der  ein  frommer  Katholik  ist  und  seinem  Buch 
ausdrücklich  das  Verbot  des  Index-Gesetzes  über  Prophezeiungen  voranstellt  (seine 
Schrift  hat  natürlich  das  'Imprimatur'),  verfolgt  die  Entstehungsgeschichte  verschie- 
dener Prophezeiungen,  zeigt  ihre  Zweideutigkeit  und  weist  vor  allem  in  ernsthafter 
kritischer  Methode  nach,  wie  eine  Anzahl  von  ihnen  umgearbeitet  und  gefälscht 
worden  ist,  um  der  gegenwärtigen  Lage  angepasst  zu  werden.  Auf  diese  Weise 
behandelt  er  die  Piensberger  Prophezeiung  (zur  Bonsen  S.  14,  Hellwig  S.  79)  die 
Lehniner  Weissagung  (Grabinski  S.  21.s),  die  Birkenbaumsage,  die  Antichristsage 
des  Bruders  Johannes,  wobei  die  tendenziöse  Bearbeitung  durch  Peladan  beson- 
ders scharf  gegeißelt  wird,  die  Prophezeiungen  von  Bobola  und  dem  Cure  d'Ars. 
Die  beiden  letzten  verwirft  er  nicht  ganz,  da  es  sich  ja  um  von  der  Kirche  aner- 
kannte Männer  handelt,  doch  ist  er  auch  hier  vorsichtig  und  kritisch  in  seinen 
Polgerungen.  Übrigens  sei  auf  die  Prophezeiung  des  Cure  d'Ars  besonders  hin- 
gewiesen, die  in  zwei  französischen  Darstellungen  auftaucht  (de  la  Briere,  S.  124 ff. 
mit  ausführlichen  Dokumenten;  d'Arman  S.  29),  in  Deutschland  aber,  soweit  sich 
aus  dem  vorliegenden  Material  beurteilen  lässt,  noch  nicht  belegt  ist;  wohl  weil 
sie  spezifisch  tendenziös  im  französischen  Sinne  ist,  ist  sie  im  Volke  noch  nicht 
aufgetaucht  und  daher  auch  nicht  in  die  wissenschaftlichen  Darstellungen,  die  ihr 
Material  hauptsächlich  aus  einem  bestimmten  Vorstellungskreise  nahmen,  über- 
gegangen. 

Berlin.  Margarete  Rothbarlh. 


Zu  Georg  Polivkas  60.  Geburtstag. 

Am  6.  März  191s  feierte  in  Prag  der  auch  den  Lesern  dieser  Zeitschrift 
wohlbekannte  Forscher  Professor  Dr.  Georg  Polivka  seinen  60.  Geburtstag.  — 
Geboren  1858    zu    Enns    in  Oberösterreich,  wo  sein  Vater  als  Eisenbahningenieur 

ZeitKchr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1M7.    Hell  3.  17 


250  Horak,  Bolte: 

tiitig  war,  besuchte  er  das  Gymnasium  zu  Prag  und  studierte  an  den  Universitäten 
zu  Prag  und  Agram  die  slawischen  Sprachen.  1.S85  habilitierte  er  sich  an  der 
cechischen  Universität  zu  Prag,  an  der  er  jetzt  als  ordentlicher  Professor  der 
slawischen  Sprachen  und  Literaturen  wirkt.  Schon  sein  Lehrer  J.  Gebauer,  der 
Begründer  der  historischen  Grammatik  der  cechischen  Sprache,  hatte  ihn  durch 
seine  Vorlesungen  über  mittelalterliche  Literatur  zu  stoffgeschichtlichen  Studien 
angeregt;  noch  mehr  wirkte  in  dieser  Richtung  auf  ihn  eine  im  Winter  1889 — ItO 
unternommene  Reise  nach  Russland,  auf  der  er  in  Verkehr  mit  Pypin,  Veselovskij, 
Tichonravov  und  andern  russischen  Forschern  trat.  Durch  gründliche  philologische 
Schulung  und  durch  Untersuchungen  mittelalterlicher  Legenden  vorbereitet,  ging 
er  an  die  durch  ausländische  Einwirkungen  so  vielfach  beeinilussten  slawischen 
Volksüberlieferungen  heran  und  gelangte  früh  zu  der  Erkenntnis,  dass  sich  die 
Entstehung  und  Wanderung  der  Märchen  nicht  durch  eine  einzige  Theorie  er- 
klären lasse,  da  ihr  Stoff  nicht  einheitlichen  Ursprungs  sei.  Der  kühne  Plan,  der 
sowohl  durch  das  Vorbild  westeuropäischer  vergleichender  Literaturwissenschaft 
als  durch  den  Verkehr  mit  russischen  und  polnischen  Gelehrten  wie  A.  Pypin, 
A.  Veselovskij,  J.  Karlowicz  angeregt  wurde,  erforderte  eine  ausserordentliche 
Energie,  da  die  Fülle  des  unbearbeiteten  Stoffes  geradezu  abschreckend  wirkte. 
Seit  dem  Ende  der  achtziger  Jahre  veröffentlichte  P.  slawische  Parallelen  zu  be- 
kannten Stoffen,  wie  dem  Doktor  Allwissend  oder  König  Midas:  abgerundete 
Abhandlungen  über  die  Märchen  vom  Fischer  und  seiner  Frau  und  Le  chat  botte 
(im  bulgarischen  Sbornik  1899)  folgten.  1904  erschienen  seine  Studien  zur  ver- 
gleichenden Märchenkunde  (Pohadkoslovne  studie),  welche  drei  Märchen  (Grimm 
nr.  20.  G4.  133)  und  vier  Legenden  (Grimm  nr.  44.  101  und  die  slavischen  Er- 
zählungen vom  reuigen  Teufel  und  vom  rachsüchtigen  Heiligen)  mit  erstaunlicher 
Belesenheit  durch  alle  Volkslitoraturen  verfolgen.  Viele  in  verschiedenen  slavischen 
Sprachen  geschriebene  Arbeiten  erschienen  in  den  Abhandlungen  der  k.  böhmischen 
Gesellschaft  der  Wissenschaften,  in  (echischen,  polnischen,  russischen,  bulgarischen 
Zeitschriften,  in  den  Publikationen  der  südslawischen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Agram  u.  a.  Li  deutscher  Sprache  veröffentlichte  P.  in  dieser  Zs.  1898  'Seit 
welcher  Zeit  werden  die  Greise  nicht  mehr  getötet',  1900  'Tom  Tit  Tot',  1903 
'Die  undankbare  Gattin',  1913  'Der  Trug  des  Nektanebos",  1916—17  'Personi- 
fikationen von  Tag  und  Nacht';  in  der  Zs.  f.  österr.  Volkskunde  1901  'Vampyr', 
1905  'Eine  alte  Schulanekdote',  im  Archiv  für  Religionswissenschaft  1  'Zur  Poly- 
phemsage',  0  'Vom  Wechselbalg';  im  Archiv  für  slawische  Philologie  1905  'Der 
kluge  Knabe'.  Über  seine  Monographie  über  die  Lebenszeichen  soll  nächstens 
berichtet  werden.  Zahlreich  und  gediegen  sind  auch  seine  Anmerkungen  zu 
fremden  Märchensammlungen,  z.  B.  die  kritischen  Anzeigen  im  Archiv  f.  slav. 
Phil.,  zu  Kubins  cechischen  Märchen  aus  der  Grafschaft  Glatz  (1909 — 1914),  ins- 
besondere der  slavische  Teil  der  mit  J.  Bolte  herausgegebenen  Anmerkungen  zu 
den  KHM.  der  Brüder  Grimm:  nirgends  sonst  ist  der  slawische  Märchenstoff  in 
solchem  Umfange  wie  in  diesem  grossen  Werke  kritisch  bearbeitet  worden.  Einzig 
in  ihrer  Art  sind  endlich  die  Berichte  über  südslavische,  russische  und  ukrainische 
Volkskunde  in  dieser  Zeitschrift.  Hoffen  wir,  dass  dem  rastlosen  Forscher,  dem 
besten  Kenner  der  slavischen  Märchen,  vergönnt  werde,  die  reifen  Früchte  dreissig- 
jähriger  Arbeit  noch  in  manchem  trefflichen  Werke  niederzulegen! 

Prag.  J.  Horak. 


Kleine  Mitteilungen.  251 

Arthur  Kopp  f. 

Am   10.  Januar  19 IS  verstarb  nach  läng:erem  Leiden  zu  Lübeck  unser  früberes 
Mitglied  Professor  Dr.  Arthur  Kopp,    ein    kenntnisreicher  und  sorgsamer  Forscher 
auf   dem  Gebiete    des    deutschen  Liedes,    dem    auch    unsere  Zeitschrift    wertvolle 
Beiträge  verdankt.     Er  war  ein  Ostpreusse,  der  aber  die  fruchtbarsten  Jahre  seines 
Lebens,    von  1887    bis  zu  seiner  Übersiedlung  nach  Marburg  1909,    in  Berlin  zu- 
brachte.    Zu  Insterburg  am  19.  Dezember  1860  geboren,  studierte  er  seit  1878  in 
Kiinigsberg  Philologie  und  trat  dort  1884  in  den  Lehrerberuf  ein,  veriiess  ihn  aber 
räch    zwei  Jahren,    um    sich    dem  Bibliotheksdienstc    zu    widmen.     Er  wurde  zu- 
nächst Hilfsarbeiter  bei  der  Königlichen  Bibliothek  in  Berlin  und  rückte  allmählich 
zum  Oberbibliothekar  auf.     Mit  der  Übersiedlung    in  die  Reichshauptstadt  wandte 
er    sich    zugleich    von  der    klassischen  Philologie  ab,    der    er    als  Schüler  Arthur 
Ludwichs    durch    verschiedene  Arbeiten    über   griechische   Lexikographen    gedient 
hatte,    hauptsächlich  wohl,    weil    er  mit  einem  Versuche,    eine  Sammelhandschrift 
des  Athosklosters    als   eine  freie  Erfindung  des  französischen  Herausgebers  zu  er- 
weisen,   keinen  Erfolg    errang.     Mit    gutem  Humor    betitelte  er  eine  damals  unter 
dem    Pseudonym    P.    Raph.    Turko    herausgegebene    Sammlung    seiner    Gedichte 
'Trümmer  aus  dem  geistigen  Leben  eines  Gescheiterten',    versicherte    aber  in  der 
Widmung  seinen  Königsberger  Kommilitonen,    dass    es    doch    mit  ihrem  früheren 
'Bierpoeten'  nicht  so  schlimm  stehe.     Das  neue  Gebiet,  auf  das  er  sich  voll  Eifer 
warf,    war  die  deutsche  Lyrik  des  16.— 18.  Jahrb.,  für  die  er  in  den  zumeist  aus 
Meusebachs  Sammeleifer  herrührenden  gedruckten  und  hsl.  Schätzen  der  Berliner 
Bibliothek    überreiches  Material    fand.     Tom    Studentengesang    ausgehend,    unter- 
suchte   er    die  Entstehung  und  Verbreitung    einzelner  Lieder    (Gaudeamus,   Cram- 
bambuli,    Schöne    Spielwerk,    Vetter   Michel,    Morgenrot,    Brembcrger,    Tageliede 
schwedische    Nachbildungen    deutscher    Originale),     lichtete     das     um     verkannte 
Persönlichkeiten,    wie    Jörg    Grünwald,    Günther,    den    ehrenwerten    Buchdrucker 
J.    Balhorn,    den    kuriosen    Dr.    Eisenbart    oder    den    böhmischen    Grafen    Spork, 
gebreitete  Dunkel,  beobachtete  den  Gebrauch  der  Akrostichons,  sammelte  Tabaks- 
lieder (1893)  und  Liebessprüche  (1902).    Den  Dank  der  Liedforscher  verdiente  er 
sich    ferner    durch    die    mit   gelehrter  Gründlichkeit   unternommene  systematische 
Durcharbeitung    der    älteren  Liederhandschriften  und  Liederbücher    und    die  Ver- 
ölTentlichung  der  Heidelberger  Handschrift  Pal.  343  (1905),  des  Bergliederbüchleins 
(190B)  und  der  Crailsheimschen  Hs.  (1899).     Einen  nützlichen  Überblick  über  die 
älteren    deutschen   Liedersammlungen    gab    er    1909    im    Archiv    für    die    neueren 
Sprachen  121.  —  Auch  während  der  letzten  Jahre,  als  er  in  Marburg  körperlichen 
Leidens  wegen  aus  dem  Amte  geschieden  war,  setzte  er  seine  Forscherarbeit  fort, 
wie  er  bisweilen  auch  Beiträge  zur  Kriegslyrik  lieferte.     Im  Herbste  1917  siedelte 
er  nach  Lübeck,    der  Heimat  seiner  Gattin,    einer  Schwester  seines   früheren  Ber- 
liner Kollegen  K.  Th.  Gaedertz.  über.     Dort  hat  ihn  der  Tod  ereilt. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


252  1  Berichte  und  Besprechungen 

Berichte  und  Besprechungen. 

K.RhamnijUrzeitUche  Bauernhöfe  im  germanisch-slawischen  Waldgebiet. 

Ein  Buchauszug. 

(Scbluss,  vgl.  üben  26,  385—399.    27.  71—83.) 

IV.  Abschnitt: 

her    südbajuvariscbe    Bauernhof  in    seinen  slvandinavischen  Beziehungen 

(•Feuerhaus"  und  'Kinghof). 

(S.  807—1055.) 

14.  Kapitel.     Das  südbajuvarische  Doppelhaus  (Feuerhaus"  und    Rauchstube'). 

(S.  807-900.) 
1.  Das  Doppelhaus  (S.  807 — 815).  Von  der  skandinavischen  stofa  wissen 
wir,  dass  sie  an  der  einen  Giebelseite  ein  Vorhaus  hatte.  Abgesehen  von  der 
entlehnten  slawischen  /■•^liibo  und  der  kärntnisch-steirischen  Banchsiube,  unterscheidet 
sie  sich  dadurch  von  allen  europäischen  Häusern,  die  den  Eingang  ('Langtüre') 
oder  ihr  Vorhaus  alle  auf  der  Langseite  (Traufseite)  haben.  Rh.  sieht  nun  dariii 
einen  grundlegenden  und  für  die  weitere  Entwicklung  des  Hauses  ausserordentlich 
wichtigen  Unterschied.  Die  erste  Art  (mit  Giebelvorhaus)  enthält  schon  in 
ihrer  ursprünglichsten  Form  die  Möglichkeit  einer  Erweiterung  des  Hauses  in  der 
Längsrichtung:  das  Giebelvorhaus  wird  als  erster  Schritt  solcher  Entwicklung  zur 
Speis-  oder  Schlaf kammer,  oder  beim  Eindringen  des  deutschen  Stubenofens  zum 
Herdraum.  Als  zweiter  Schritt  folgt  dann  die  Anschiebung  anderer  Räume  an  die 
andere  (bisher  freie)  Seile  des  alten  Gicbelvorhauses.  Dadurch  entsteht  das 
Doppelhaus.  —  Diese  ganze  Entwicklung  zeigt  sich  uns  in  Skandinavien,  Russ- 
land und  Polen  und  im  ostalpinen  Rauchstubenhaus.  Auf  dem  ganzen  deutschen 
Gebiet  (am  reinsten  beim  niedersächsischen,  dann  aber  auch  beim  fränkischen 
Bau)  sehen  wir  dagegen  ausnahmslos  die  vom  Herdraum  direkt  in  den  Hof  führende 
Langtüre.  Wo  wir  aber  (wie  in  Bayern  und  Tirol)  neben  der  Küche  (und  scheinbar 
seitlich  von  der  Küche)  ein  durchgängiges  Vorliaus  linden,  da  ist  dies  deutlich 
auf  einen  alten  Einbau  zurückzuführen,  der  ursprünglich  aber  auch  ein  deutliches 
[jangtürhaus  war.  So  liegt  z.  B.  beim  Mittertennbau  die  Tenne  zwischen  dem  Herd- 
raum und  dem  Stall.  A's  nun  die  Ofenstube  eindrang  und  die  Tenne  durch  Ein- 
führung einer  eigenen  Scheune  von  ihrem  alten  Platz  wegrückte,  legte  sich  die 
neue  Stube  direkt  an  den  alten  Herdraum,  der  nun  in  eine  Küche  und  in  eine 
hinter  ihr  liegende  Stube  geteilt  erscheint,  während  an  die  Stelle  der  alten  Tenne 
zwischen  Küchen-Stube  und  Stall  ein  durchgehendes  Vorhaus  entstand.  Es  ist 
sehr  bezeichnend  für  diese  Entwicklung,  dass  bei  diesem  Miitertennhaus  tat- 
sächlich alle  Türen  (von  Küche  und  Stube)  quer  auf  diese  alte  Tenne  oder  das 
neue  durchgängige  Vorhaus  ausmünden.  Dem  ganzen  mitteldeutschen  (fränkischen) 
Hofbau  legt  sich  dieser  alte  Mittertenn-Einbau  in  einer  geographischen  Aus- 
dehnung vom  Jura  bis  zur  Traun  vor.  Südlich  von  diesem  Gürtel  aber,  vom 
Vintschgau  bis  zur  mittleren  Mur,  zieht  sich,  stets  im  Kampf  mit  romanischen 
und  slawischen  Einflüssen,  eine  ganz  anders  geartete  Hausform  hin,  ein  Streubau, 
der  aus  einem  getrennten  Wohnhaus  mit  Giebel-Vorhaus  ('Feuerhaus')  unil 
einem  eigenen  Wirtschaftsgebäude  ('Stadl'  oder  'Futterhaus')  besteht.  Man  hat 
bisher  auch  dieses  ganze  Gebiet  als  bajuvarisch  bezeichnet.  Rh.  sucht  nun  —  und 
das    ist  wohl    die    bedeutendste  Frucht    seines  Werkes    —    im    ganzen    folgenden 


Berichte  und  Besprechungen.  253 

(aber  begründet  durch  alles  Vorhergesagte)  nachzuweisen,  dass  diese  baju- 
varische  Ableitung  unmöglich  ist.  vielmehr  auf  Schritt  und  Tritt  in 
allen  Haus-  und  Wirtschaftsformen  dieses  südostalpinen  Gebietes 
deutlich  skandinavische  Einflüsse  bemerkbar  sind. 

2.  Das  Siidtiroler  Doppelhaus  (S.  815— 828).  Bis  nach  Franzensfeste 
herab  herrscht  der  bajuvarische  Einbau.  Aber  schon  im  Ridnaun  stossen  wir  auf 
Mischungen  und  die  Bezeichnung  laben  für  Vorhaus,  und  von  Franzensfeste  süd- 
wärts (bes.  schön  bei  Kastelruth)  herrscht  fast  durchweg  der  Streubau,  bei  dem 
das  Wohnhaus  ausdrücklich  \FenerIi(nis\  das  Wirtschaftsgebäude  'Fulterhaus*  ge- 
nannt wird.  Das  erstere  (also  eine  direkte  Übersetzung  von  eld/uts)  wird  von  der 
laben  durchschnitten,  an  deren  beiden  Seiten  sich  die  Wohnräume  aufreihen.  Ge- 
wöhnlich ist  die  Küche  hier  nicht  auf  derselben  Seite  wie  die  Stube  (grund- 
legender Unterschied  gegen  den  bajuvar.  Einbau!),  aber  auch  wo  dies  ab  und  zu 
vorkommt,  wird  sie  von  der  labeii  aus  geheizt.  Im  Futterhaus  sind  unten  die 
Ställe,  darüber  der  Stadel  (in  der  Mitte  von  der  Tenne  durchschnitten),  ganz  oben 
unterm  Dach  der  palantschhuj.  Äusserlich  zeigen  die  Häuser  Strohbedachung  mit 
auffallendem  Giebelwalm.  Das  Dach  ist  ein  Rofendach  mit  Firstbaum.  Diesen 
Sireubau  finden  wir  auch  in  den  Seitentälern  des  Etschtales  (Passeier,  Sarntal, 
Ultental,  Kggental),  während  das  Haupttal  wonig  bäuerlich  ist.  Auch  im  Puster- 
tal herrscht  bis  gegen  Toblach  hin  der  Streubau,  dann  aber  sehen  wir  gegen  die 
Kärntnergrenze  hin  das  Bild  völliger  Regellosigkeit  und  ein  Einschlagen  von  Ein- 
bauten.    Erst  von  Abfaltersbach  an  stossen  wir  wieder  auf  den  getrennten  Bau. 

.).  Die  kärntnisch  -  sfeirische  Herdstube  (S.  828— 840).  Anschliessend 
an  die  Bünkersche  Arbeit  in  der  Gegend  des  Millstätter  Sees  (Mitt.  d.  Anthrop. 
Ges.  Wien  VMVl.  S.  12  fr.)  führ!  uns  der  Verf.  zunächst  in  dieses  Gebiet.  Bei 
den  grösseren  Bauernhöfen  herrscht  durchweg  der  Streubau;  nur  Kleinformen 
(Keuschen  u.dgl.)  zeigen  zusammengeschobene  Bauten.  Das  Wohnhaus  ist  stets 
ein  Doppelhaus.  Der  Hauptraum,  die  Ranchshibo,  ist  ein  saalartiges  Gemach,  in 
dem  sich  der  Bauer  und  das  Gesinde  aufhält.  Es  enthält  den  Herd  stets  in  Ver- 
bindung mit  dem  Backofen  (genaue  Besprechung  der  verschiedenen  Verbindungs- 
formen) ohne  Rauchfang,  aber  mit  einem  Funkenfänger  {kogl).  Zur  Rauch- 
ableitung dient  ein  Schiebefensterchen  über  der  Tür.  Die  Stubenfenster  sind  auf- 
fallend klein  und  zahlreich.  Der  Pussboden  ist  meist  gedielt,  doch  werden  aus 
Steiermark  auch  Lehmböden  (J''tz)  gemeldet.  Die  laben  (Vorhaus)  ist  von  auf- 
fallender Breite.  Jenseits  von  ihr  liegt  öfter  eine  Ofenstube  {kachhtuben),  die  aber 
(ganz  wie  in  Südtirol)  auch  stets  von  der  /«//e»  aus  geheizt  wird.  Das  Dach  ist  ein 
Sparrendach,  mit  Brettern  gedeckt  (eingehende  Beschreibung!)  und  Kippwalm 
{Tsrhopf).  Die  leicht  rekonstruierbare  Urform  dieses  Hauses  ergibt  eine  Rauch- 
stube mit  frei  vorgelegter  Giebellaube  (genau  wie  in  Skandinavien!). 

4.  Das  'oberdeutsche"  Haus  Meringers  (S.  841—856).  Im  Gegensatz 
zu  Henning.  Meringer,  Bunker  u.  a.  sieht  Rh.  das  Kennzeichen  des  ursprünglichen 
oberdeutschen  Hauses  nicht  in  der  Verbindung  von  Herdraum  und  Ofenraum, 
sondern  in  der  von  Herdraum  und  Stall.  Im  ganzen  inneren  Deutschland,  wo 
sich  freilich  keine  so  alten  Formen  wie  in  Niedersachsen  oder  in  den  Alpen  er- 
halten haben,  besonders  in  Niederbayern  und  im  ganzen  fränkischen  Gebiet  habe 
der  Herdraum  überall  in  enger  Verbindung  und  unter  einem  Dache  mit  dem  Stall 
gestanden,  (Exkurs  über  den  bayerischen  Viehhof  und  oberösterreichischen  Vier- 
kant S.  850—852),  was  der  Verfasser  durch  viele  Beispiele  und  ältere  Nach- 
richten zu  beweisen  sucht.  Die  Art,  wie  in  Mitteldeutschland  der  Stall  und  die 
spätere  Stube  unmittelbar  an  den  alten  Herdraum  angegliedert  sind,  beweist,  dass 


•254  Bericlite  und  IJesprechiiugen. 

der  Herdraum  keinen  Giebelflur  und  die  Tür  also  wie  heute  immer  an  der  Traul- 
seite  besessen  habe.  Die  Stube  aber,  die  erst  eine  spätere  Einführung  ist,  findet 
sich  in  allen  inöglichen  Verbindungen  (hinter-  und  nebeneinander,  organisch  ver- 
bunden und  als  gesondeter  Paraderaum)  neben  dem  Herdraura.  Was  bis  in  den 
Balkan  vorgedrungen  ist  (Meringers  bosnische  Forschungen),  ist  nicht  das  'ober- 
deutsche Haus',  sondern  der  deutsche  Hinterlader,  der  aber  —  wie  der  ganze 
kärntnisch-steirische  Rauchstuben  -  Zwischengürtel  beweist  —  nicht  direkt  über- 
tragen sein  muss  und  der  sich  mit  dem  alten  Herdraum,  je  nachdem  vv  auf 
Rauchstube,  offenen  Herd  oder  altslawischen  Vorderlader  stiess,  in  verschiedener 
Weise  organisch  verbunden  oiler  aber  bloss  an  ihn  angeschoben  habe. 

5.  Das  slawische  Haus  in  Krain  und  Steiermark  (S.  85^.-867).  Auf 
Grund  der  Forschungen  von  Murko,  Charuzin,  Bunker  und  eigener  Beob- 
achtungen kommt  der  Verf.  zum  Ergebnis,  dass  sich  im  slowen.  Haus  der  deutsche 
Einfluss  in  zwei  ganz  verschiedenen  Arten  geltend  gemacht  habe:  In  Krain  und 
im  benachbarten  steirischcn  Gebiet  war  der  deutsche  Kachelofen,  in  Kärnten  und 
im  steirischen  Drautale  hingegen  die  Rauchstube  das  Massgebende.  Das  Krainer 
Haus  ist  durch  eine  durchlaufende  veza,  in  deren  rückwärtigem  Teil  der  Herd 
steht,  dreigeteilt.  Auf  der  einen  Seite  der  veza  liegt  die  hihi  mit  einem  deutschen 
Hinterlader,  der  aber  zugleich  Backofen  ist.  auf  der  anderen  Seite  sind  kalte 
Gelasse.  Während  nun  Murko,  Charuzin  u.  a.  mit  Meringcr  annehmen,  dass 
die  veza  der  alte  Herdraum  gewesen  sei,  hält  Rh.  die  hiia  für  diesen,  indem  er  ihren 
Ofen  für  einen  Nachkommen  eines  altslawischen  Rauchofens  (=  pec)  erklärt.  Dieser 
altslavische  Rauchofen  ist  ein  Vorderlader  gewesen  und,  wie  Rh.  annimmt,  später 
durch  das  Einwirken  des  deutschen  Hinterladers  einfach  umgedreht  worden,  wobei 
sein  eigentlicher  Kochabteil  zu  einem  (wenn  auch  durch  eine  Wand  getrennten) 
doch  organisch  mit  ihm  verbundenen  und  ins  Vorhaus  (ve^a)  verlegten  Herd  um- 
gestaltet wurde.  Rh.s  Beweise  hierfür  sind:  1.  htki  heisst  nicht  nur  diese  Stube, 
sondern  ursprünglich  schlechthin  Haus.  So  wird  aber  überall  der  alte  Herdraum 
genannt  (z.  B.-t7/ö/ö,  izha  usw.).  2;  Der  altslowenische  Name  fürOfenstübe  ist  hha, 
die  aber,  wie  Rh.  im  folgenden  Band  seines  Werkes  beweisen  wird,  stets  einen 
Rauchofen  besass.  Zwei  Feucrstellen  nebeneinander  aber  sind  für  die  frühe  Zeit 
undenkbar.  3.  In  Kärnten,  wo  die  Entwicklung,  wie  der  nächste  Absatz  zeigt, 
anders  war,  bedeutet  veza  stets  kaltes  Gelass.  4.  Einen  Rückstand  des  alten 
Rauchofens  im  heutigen  Hinterlader  der  ///^a  sieht  Rh.  darin,  dass  er  noch  als 
Backofen  dient.  Doch  gibt  Rh.  zu,  dass  dieselbe  Eigenschaft  in  den  steirischen 
Rauchstuben-Feuerstätten  gegen  ihn  spricht.  5.  Rauchöfen,  bei  denen  im  Ofen 
gekocht  wird,  mit  winzigen  vorgelegten  Herdabsätzen  kommen  noch  heute  in 
Zagorje  bei  Krapina,  und  --  wenngleich  sehr  selten  —  bei  Cilli  und  Windisch- 
Feistritz  vor. 

0.  Das  slowenische  Haus  in  Unterkärnten  oder  das  -wendische 
Langhaus'^)  (8.867  —  871)  nördlich  der  Karawanken  hat  die  Rauchstube 
westlich  von  der  Draubiegung  schon  überwunden,  besitzt  sie  aber  noch  östlich  von 
dieser.  Es  zeichnet  sich  durch  eine  sehr  gleichmässige  Anlage  aus:  drei  Räume 
Kammer,  dinmica  (Rauchstube)  oder  jispei-  (Küche)  und  hiSa  (Ofenstube)  liegen 
in  der  Firstrichtung  nebeneinander;  ihre  Türen  münden  alle  in  eine  der  Länge 
nach  vorgelegte  l«pa  oder  vopa,  die  gewöhnlich  kniehoch  mit  Brettern  verschlagen 
und  nur    auf   der    der  Strasse  zugekehrten  Giebelseite  gemauert  ist.     Jenseits  der 

1)  ^Yie  es  von  Kli.  im  Gegensatz  zum  'Dopjjelhaub'  genannt  wird. 


Berichte  und  Besprechungen.  255 

lopa,  gewöhnlich  gegenüber  der  (Umnira  sind  Schweineställe  und  bei  weilerer  Ent- 
wicklung des  Hauses  (bes.  nördlich  vom  Wörthersee)  auch  noch  andere  Räume: 
angebaut,  so  dass  sich  da  recht  verwickelte  Grundrisse  finden.  Die  Ofenstube 
wird  im  Gebiete  westlich  vom  Wörthersee  izha,  die  lopa  ebendort  vcza  genannt. 
Rh.  meint,  dass  auch  bei  diesem  Haus  der  älteste  Hauptraum  die  altslawische  hi.^a 
"•ewesen  sei,  die  erst  durch  das  Eindringen  der  Kachelstube  zu  einer  Rauchstube 
umgewandelt  worden  sei. 

7.  Das  deutsche  Haus  in  Unterkärnten  (S.  871/72)  entwickelt  sich 
ebenfalls  in  der  Firstlinie  und  hat  ebenfalls  eine  Längslaube,  steht  also  ebenso  wie 
das  slowenische  Haus  ünterkärntens  im  scharfen  Gegensatz  zum  'Doppelhaus'.  Allein 
es  unterscheidet  sich  auch  vom  slowen.  Langhaus  bedeutend,  vor  allem  dadurch, 
dass  es  deutliche  Spuren  einer  Querlaube  aufweist.  Der  Kern  des  Hauses  ist  die 
Rauchstube,  die  einzelnen  Räume  sind  von  verschiedener  Tiefe  und  ungemeiner 
Regellosigkeit,  so  dass  alle  möglichen  Winkel  und  Lücken  im  Grundriss  ent- 
stehen, die  alle  durch  die  Laube  mit  ihren  verschiedenen  Längs-  und  Quer- 
ausweitungen ausgefüllt  werden.  Dieses  Haus  gehört  dem  Gurk-  und  Mettnitztal, 
der  Gegend  von  St.  Veit  und  Feldkirchen  (n.  Villach)  und  vielleicht  auch  dem 
Lavanttal  an. 

8.  Das  stoirische  Haus  (S.  873—876)  stellt  sich  im  Gegensatz  zu  dem 
vorigen  als  echtes  Doppelhaus  (im  östlichen  Teil  auch  in  Verbindung  mit  dem 
Vierkanthof)  dar.  Vielfach  besitzt  es  noch  die  nun  mehr  und  mehr  verschwindende 
Rauchslube,  die  wir  aber  für  die  alte  Zeit  im  ganzen  Lande  und  über  dieses  hinaus 
auch  im  salzburgischen  Lungau,  Pinzgau  und  Pongau  annehmen  müssen.  Rh.  nimmt 
also  das  Doppclhaus  schlechthin  für  die  Rauchstube  in  Anspruch,  lässt  aber  nicht 
den  Schluss  zu,  dass  dort,  wo  jetzt  der  hintere  Teil  der  labn  zu  einer  abgetrennten 
Küche  geworden  ist  (Ausseer  und  niittelsteirisches  Gebiet),  diese  Küche  aus  einer 
Abscheidung  aus  der  labn  entstanden  ist,  sondern  behauptet  vielmehr,  dass  sie 
in  die  labn  verlegt  worden  sei. 

y.  Der  Ursprung  der  Längslaube  in  Unterkärnten  (S.  87G  —  S86). 
Rh.  weist  darauf  hin,  dass  die  früher  besprochene  Längslaube  Ünterkärntens 
eigentlich  ganz  dem  'slawischen  Stil'  entspricht,  wie  man  ihn  in. Russland,  Polen 
und  besonders  gleichartig  in  Kroatien  findet.  Dazu  stellt  er  alle  Argumente  in 
Gegensatz,  die  für  die  deutsche  Herkunft  dieser  Längslaube  sprechen  könnten.  Nach 
einer  sehr  eingehenden  Zusammenstellung  aller,  oft  recht  schwer  festzustellenden 
slawischen  Dachbezeichnungen  fasst  er  schliesslich  seine  Untersuchung  wie  folgt, 
zusammen  (S.  884  f.):  A.  Gegen  den  slowenischen  und  für  den  deutschen  Ursprung 
der  Längslaube  spricht:  1.  Die  alten  slowenischen  Bauten  zeigen  eine  Einheitlichkeit 
im  Scherendach,  das  sich  mit  einer  Längslaube  schwer  vertiägt.  2.  In  alt- 
slawischen Sitzen  findet  sich  die  Längslaube  nicht,  wie  sie  auch  keinen  eigenen 
slawischen  Namen  besitzt.  3.  Vielmehr  zeigt  sich  gerade  in  ihrer  Benennung  lopa 
ein  deutlicher  Gegensatz  zur  Bezeichnung  ceza.  B.  Für  die  slowenische  und  gegen 
die  deutsche  Herkunft  aber  spricht:  \.  Das  überall  bei  der  Längslaube  angewendete 
Prinzip  des  'slawischen  Stiles' (Dachvorsprung),  der  erst  die  grosse  Elastizität  z.B. 
der  Gurktaler  Bauten  ermöglicht.  2.  Die  regelmässige  sichere  Anordnung  der 
Räume  auf  slowenischer  gegenüber  der  Regellosigkeit  auf  deutscher  Seite,  3.  Das 
Auftreten  typisch  slowenischer  Einrichtungen  (Verputzen  der  Fugen,  Erker,  Über- 
stockgangln)  im  Gebiete  der  deutschen  Längslaube.  4.  Die  Rüekständigkeit  und 
Genügsamkeit  dieser  Bauten.  Rh.  entscheidet  die  Frage  nicht,  denkt  aber  mehr 
an  deutschen  (vielleicht   bayrischen)  Ursprung 


256  Berichte  und  Besprecliungen. 

10.  Die  Ethnographie  des  Doppclhauses,  des  Feuerhauses  und  der 
Rauchstube.  (S.  886—900). 
Dem  Verf.  ist  es  klar,  dass  das  Doppelhaus  in  dem  weiten  Gebiete  von  den 
Grenzen  der  Schweiz  bis  zur  Grenze  Ungarns,  mit  seiner  Verbreitung  in  so  zer- 
splitterten Talschaften,  seiner  starken  Zugänglichkeit  für  romanische  und  slawische 
Einflüsse  und  seiner  Einklemmung  zwischen  dem  bayrischen  Einbau  und  dem 
Unterkärntner  Langhaus  auf  eine  gemeinsame  Urform  zurückgehen  muss.  Diese 
Urform  sieht  er  in  einem  Herdraum  mit  vorgelegter  Giebellaube,  wie  wir  sie 
beim  skandinavischen  Haus  gefunden  haben.  Dieser  Herdraum  war  nun  offenbar 
im  Westen  und  im  Osten  des  Gebietes  verschieden  eingerichtet,  indem  im  Westen 
der  Backofen  fehlt,  während  er  im  Osten  vorhanden  ist.  Für  die  älteste  Zeit,  wo 
dieser  Herdraum  bis  unter  das  Dach  offen  war,  ist  auch  der  Kofjel  über  dem 
Herd  wegzudenken  und  dafür  ein  Licht-  und  Rauchloch  (Jie)  anzunehmen.  Der 
alte  Name  Bauchstube  kann  ebenfalls  von  der  skandinavischen  sti)fa  herzuleiten 
sein,  da  wir  ja  im  eld/ius  auch  den  Herd  mit  dem  Backofen  verbunden  fanden 
wie  dem  Verf.  auch  die  in  Tirol  und  Kärnten  noch  bestehende  Bezeichnung 
Fenerhaus  für  Wohnhaus  aus  dem  skandinavischen  eldlms  zu  kommen  scheint,  zu- 
mal wir  auch  in  den  gotisch  besiedelten  ladinischen  Gebieten  ein  tV.sa  da  fueg 
für  Küche  und  in  den  ebenso  besiedelten  Schweizer  Urkantonen  überall  das  Wort 
fürliHs  finden.  Ebenso  stellt  er  die  Bezeichnung  Futferliansm'ü  dem  skandinavischen 
foderfnis  zusammen. 

15.  Kapitel:  Die  Hofanlage:  Ringhof  und  Futterhaus. 

(S.  '.»00— <)G1.) 

Das  Futtorhaus  ist  in  diesem  ganzen  Gebiete  an  die  Obertenne  gebunden,  die 
sich  sonst  auf  deutschem  Boden  nirgends  findet.  Merkwürdigerweise  zeigt  aber 
gerade  der  oberste,  unmittelbar  unter  dem  Dach  gelegene  Teil  dieses  Futterhauses 
neben  den  deutschen  auch  ausgesprochen  romanische  und  slawische  Benennungen: 
Tiifel  (Obersteier)  tcdjhit  (Fustertal),  lubh)  und  tubia  (in  Südlirol):  alle  4  Worte 
gehen  deutlich  auf  tabula  tu  in  zurück.  Dann  oder,  nder  (Aussecr- Gebiet),  batter, 
prier,  jrranla,  gepatler  (in  Kärnten  und  Steiermark),  hnlder  und  hlitlern  (im  Lungau). 
Die  Mischung  von  slovenischen  und  deutschen  Bezeichnungen  für  diesen  Teil  des 
Wirtschaftsgebäudes  zeigt  sich  auch  in  ursprünglich  slovenischen  Gebieten 
(zwischen  Klagenfurt  und  Villach)  und  in  Krain.  Rh.  schliesst  daraus,  dass  die 
Slovcnen  überhaupt  keine  Scheunenwirtschaft  mitbrachten,  sondern  nur  die  Harfe 
(Ko:or)  kannten.  (Excurs  über  diese  Harfen  und  ihre  Verbreitung  S.  !>0j — 907). 
Dagegen  zeigt  die  heutige  slovenische  Scheune  durchaus  deutsche  Einrichtungen 
in  der  Mitte  die  Tenne  und  zu  beiden  Seiten  von  dieser  die  banm  (-Barren). 
Es  ist  für  Rh.  also  ausgeschlossen,  dass  das  Futterhaus  dieses  Gebietes  slawischen 
Ursprungs  sein  könnte,  wenn  es  auch  im  Laufe  seiner  Entwicklung  von  dieser 
Seite  manche  Anstösse  erfahren  haben  mag.  Die  Einteilung  dieses  Futlerhauses 
ist  ziemlich  gleichförmig:  unten  befindet  sich  der  Stall,  darüber  die  Scheune.  Der 
Stall  ist  der  Länge  nach  von  einem  Mittelgang  durchzogen,  der  merkwürdigerweise 
Hof  heisst.  Beiderseits  dieses  Hofes  befinden  sich  bei  den  alten  Stallformen  Ver- 
schlage (Kotier)  mit  der  Krippe  in  der  Mitte,  um  die  das  Vieh  frei  herumsteht. 
Diese  verwickelte  Anlage  und  besonders  der  Name  'Hof  ist  für  Rh.  ein  Zeugnis, 
dass  wir  es  hier  nicht  mit  einer  Urform,  sondern  mit  einer  entwickelten  Form  zu 
tun  haben.  Denn  der  Begriff  'Hof  (der  sich  im  ganzen  Gebiet  als  Hof,  vorhof, 
mitierliof,  wasserhof,  sonnhof  usw.  durchgehends  findet)  deutet  ebenso  wie  der  der 
Laube  {labv)  im  Wohnhaus  darauf  hin,  dass  dieser  Teil  ursprünglich  wirklich  ein 


Berichte  und  Besprechungen.  257 

freiliegender  Wirtschaftshof  gewesen  sein  rauss,  der  erst  bei  der  Zusararaen- 
schiebung  von  Gebäuden  zu  einem  Innenraum  geworden  sein  kann. 

Der  'Ringhof'  (S.  Ol o— 933.)  Dieser  l^rform  nähern  sich  nun  tatsächlich 
die  sehr  altertümlichen  Bauernhöfe  in  der  sogenannten  'Gegend'  (n.  von  Villach 
in  Kärnten),  deren  Wirtschaftshof  nach  drei  Seiten  geschlossen  unter  einem  Dach 
liegt,  während  seine  vierte  Seite  offen  ist.  Hier  liegen  die  Ställe  im  Erd- 
geschoss  und  zwar  an  allen  3  Seiten,  und  über  ihnen  die  Scheunenrüume,  während 
bei  ähnlichen  Hofformen  in  den  Sanntaler-Alpen  nur  die  '2  seitlichen  Teile  eigent- 
liche Ställe  sind,  das  Mittelstück  aber  nur  einen  Verbindungsraum  darstellt,  der 
gewöhnlich  als  Pferdestall  benutzt  wird.  Bei  der  noch  älteren,  nach  Rh.  aber  in 
den  genannten  Höfen  noch  deutlich  erkennbaren  Urstufe  dienten  nun  ganz  wie 
hier  die  beiden  Seitenteile  als  Stallungen,  das  verbindende  Mittelstück  aber  als 
Tenne.  Und  auch  diese  Form  hat  sich  noch  bis  heute  erhalten,  nämlich  in  den 
von  Rosegger  als  Ri7if/ho/\  vom  Volk  als  Umadmmtadl  bezeichneten  Wirtschafts- 
hüfen,  wie  sie  sich  noch  ab  und  zu  im  oberen  Mürztal  und  in  der  Birkfelder- 
gegend  in  Steiermark  finden.  Da  nun  aber  diese  Gegenden  an  das  Gebiet  des 
geschlossenen  oststeirischen  'Vierkantes"  grenzen,  läge  es  nahe,  anzunehmen,  dass 
wir  es  hier  einfach  mit  einer  Lockerung  dieser  Hofforni  zu  tun  haben.  Das  be- 
streitet aber  Rh.,  indem  er  darauf  hinweist,  dass  beim  Ringhof  das  Wohnhaus 
vollkommen  getiennt  und  frei  steht,  was  beim  Vierkant,  auch  in  seiner  ge- 
lockertsten  Form  nie  der  Fall  ist.  —  Rh.  hält  also  den  nordoststeirischen  Ring- 
hof für  die  Bestätigung  seiner  schon  auf  theoretischem  Wege  gefundenen  Ringhof- 
rrform  und  erklärt  alle  Stadel  formen  in  Obersteier  und  Kärnten,  bei  denen  sich 
die  3 schiffige  Einteilung  mit  dem  Mitterhof  findet,  aus  dieser  Urform  entstanden. 
Nach  einer  Auseinandersetzung  mit  dem  steirischen  Begriff  Marstadl  (S.  9-22— 925), 
den  er  als  eine  jüngere  herrschaftliche  Hofform  (des  Hliicns)  erklärt  und  einer 
scharfen  Polemik  gegen  Rauschenfcls,  Architektur  des  Kärntnerischen  Bauern- 
hauses (S.  92t;— 928),  stellt  Rh.  (S.  929—933)  die  Benennungen  im  Ringhofgebietc 
zusammen:  Die  seitlichen  Räume  neben  der  Tenne  heissen  harren  (slav.  parna)  in 
Kärnten.  Steiermark  und  im  salzburgischen  Lungau,  dagegen  ös  im  Gebiete  des 
bayrischen  Einbaues  und  dille  in  Südtirol.  Der  oberste  Raum  über  der  Tenne 
(gleichgiltig  ob  diese  im  Erdgeschoss  oder  im  Obergeschoss  liegt),  heisst  im  Gross- 
teil des  Ringhofgebictes  l'irl,  und  zwar  im  Mürztal,  Paltental,  unteren  Ennstal,  im 
Berchtesgadenerland,  in  Oberösterreich  his  Klaus,  dann  im  kärntnerischen  Möll- 
im  Tiroler  Iseltal  und  in  Südtirol.  Nur  im  oberen  und  mittleren  Murgebiet  finden 
sich  andere  Bezeichnungen  (tafel,  (/cpatler,  pafder),  doch  scheint  es,  dass  die  Be- 
zeichnung birl  abgesehen  von  diesen  Ausnahmen  einst  über  das  ganze  Gebiet  des 
Doppelhauses  vom  Vintschgau  bis  zur  ungarischen  Grenze  geherrscht  hat.  wieder 
ein  Hinweis  auf  die  eigentümliche  Sonderstellung  dieses  Ostalpengebietes. 

Der  Vierkant.     (S.  934—949). 

Von  der  mittleren  Mur  über  die  ganze  Oststeiermark  herrscht  die  Hofform 
des  Vierkant,  bei  der  alle  Gebäude  unter  einem  Dach  in  einem  lückenlosen  Vier- 
eck um  einen  inneren  Hof  gestellt  sind.  Bei  kleineren  Höfen  ist  eine  Seite  durch 
eine  Tormauer  gebildet.  Dieser  Vierkant  findet  sich  nun  aber  auch  anderswo  (im 
Donaugebiet,  in  Bayern  usw.  und  wurde  von  allen  bisherigen  Forschern  gewöhnlich 
als  ein  Typus  erklärt.  Allein  Rh.  weist  auf  eine  Reihe  von  Einzelheiten  hin, 
durch  die  sich  dieser  oststeirische  Vierkant  von  den  anderen  unterscheidet.  Vor 
allem  ist  hier  das  Wohnhaus  (bei  dem  die  Rauchstube  noch  nichts  Seltenes  ist) 
ein  Doppelhaus,  ferner  führt  hier  der  Haupteingang  ins  Haus  nicht  vom  Hof 
sondern    von    aussen,    von    der    Strasse    hinein    und  der  Stall  steht  hier  mit  der 


258  üerichte  und  Besprechungen. 

Wohnung  in  keinerlei  Verbindung.  Die  Stallungen  sind  langgezogene  Krippcn- 
ställe,  die  Einfahrt  geht  nicht  durch  die  Tenne,  die  Bansen  neben  bezw.  (im  nördl. 
Teil  des  Gebietes)  ober  der  Tenne  heissen  barn  und  halbharn.  Dagegen  zeigt 
der  oststeirische  Vierkant  deutliche  Verwandtschaften  einerseits  mit  dem 
kärntnisch  -  steirischen  und  anderseits  mit  dem  skandinavischen  Ringhof. 
(Polemik  segei\  Dachler,  der  diese  Hofform  als  fränkisch  erklärt,  gegen 
Bunker  und  gegen  Bancalari).  Dies  ist  für  Rh.  mit  allen  früheren 
Beobachtungen  (Rauchstube,  Doppelhaus  usw.)  wieder  ein  klarer  Hinweis, 
dass  alle  diese  (in  Bayern  fehlenden)  Einrichtungen  der  Ostalpengebiete  gegen 
eine  überwiegend  bajuvarische,  wohl  aber  für  eine  von  Osten  her  eingewanderte 
ostgermanisch-skandinavische  Besiedlung  sprechen.  Besonders  wichtig  ist  dabei 
auch  die  Tatsache,  dass  das  Sparrendach,  das  weder  die  Innerdeutschen  noch  die 
Slawen  kennen,  in  diesem  ganzen  Ostalpenland  durchaus  allein  herrscht. 

Der  Umlaufstall  (S.  'J49— H61),  bei  dem  die  Tiere  nicht  längs  einer  Wand 
angehängt  sind,  sondern  frei  in  Verschlagen  stehen,  findet  sich  heute  noch  im 
deutschen  Kärnten,  in  einzelnen  deutschen  Gebiete  im  Sanntal,  und  in  ganz  Steier- 
mark. Auch  im  Lungau,  Pongau  und  Pinzgau  ist  er  noch  ab  und  zu  vorhanden. 
Er  ist  aber  in  allen  Gebieten  schon  im  Verschwinden,  was  durch  sein  bedeutendes 
Raumerfordernis  und  die  immer  schwierigere  Einstreu-Aufbringung  bedingt  wird. 
Er  kommt  in  2  Arten,  nämlich  als  KripimislaU  und  als  Kraxenstall  (letzteres  im 
Ennstal)  vor.  Beim  Krippenstall  stehen  2  erwachsene  Tiere  oder  4  Kälber  in 
einer  Zelle.  Die  Zellen  oder  Verschlage  sind  durch  Balkenwände  getrennt  und 
in  der  Regel  nebeneinander,  manchmal  auch  zu  zweit  hintereinander,  angeordnet. 
In  der  Mitte  der  Zelle  steht  die  Krippe,  die  auf  dem  ganzen  weiten  Gebiet  von  Tirol 
bis  zu  den  Grenzen  von  Ungarn  überall  genau  dieselbe  Form  zeigt.  (Besprechung 
einzelner  Abarten).  Ethnographische  Versuche  an  der  Hand  der  Namen  Krippe,  Kotier, 
Glitsche  führen  den  Verf.  zur  Überzeugung,  dass  von  einer  slawischen  Herkunft 
des  Umlaufstalles  nicht  die  Rede  sein  kann.  Da  beim  bajuvarischen  Einbau  mit 
seinem  Futtergang  der  Umlaufstall  überhaupt  ausgeschlossen  war,  so  bleibt  also 
wieder  nur  die  Möglichkeit  ostgermanischer  Einflüsse,  die  durch  den  Hinweis  auf 
den  oben  besprochenen  dänischen  Zweistandstall  sehr  an  Wahrscheinlichkeit  ge- 
winnt. (Versuche,  die  dänische  Bezeichnung  bu,,.-:  in  einzelnen  Rufnamen  Kärntens 
und  Steiermarks  nachzuweisen). 


16.  Kapitel:     Der  südbajuvarische  Hakenpflug. 

(Die  Arl)  S.  !»(il— lüaS. 

Im  allgemeinen  unterscheidet  man  Hakenpllüge,  welche  die  Schollen  nur  aus- 
heben und  umlegen,  und  Pflüge  mit  Streichbrettern,  die  die  ausgehobenen  Schollen 
auch  noch  umstülpen.  In  ganz  Deutschland,  in  Belgien,  m  Holland  und  in  der 
Schweiz  finden  wir  seit  den  ältesten  Zeiten  überall  den  Pjliig  neben  dem  gotischen 
hoch.  Als  Urpflug  nimmt  Rh.  (in  Übereinstimmung  mit  Meitzen)  einen  Beetpflug 
mit  halber  Schar  und  einseitigem  festem  Streichbrett  an.  Den  Namen  Pflug  leitet 
er  (im  Gegensatz  zu  Meringer)  von  pjleijdi  (im  heutigen  Wortsinne)  ab.  Dieser 
Urpflug  findet  sich  überall  in  geschlossenen  Gebieten,  jedoch  nirgends  im  Zu- 
sammenhange, hat  sich  daher  nicht  erst  in  geschichtlicher  Zeit  von  einem  Punkt 
aus,  sondern  eben  schon  in  vorgeschichtlicher  Zeit  im  ganzen  Gebiete  zwischen 
Nordkap  und  Adria  verbreitet.  In  den  Alpen  wurde  er  vielfach  von  einem  Doppel- 
pflug, dem  sogenannten  norischen  Seitenpjltit/  verdrängt,  der  an  einem  gemeinsamen 
Pflugijrindel  (Pflugachse)  2  Pflugkörper  trägt. 


Berichte  und  Besprechungen.  25^ 

Aas  diesem  ganzen  grossen  und  weiten  Plluggebiet  hebt  sich  nun  wieder 
unsere  Doppelhauszone  in  den  östlichen  Alpen  heraus,  indem  sich  hier  bis  in 
unsere  Tage  herauf  neben  dem  Pflug  ein  anderer  alter  Hakenpüug,  die  Adl  oder 
Ar/,  erhalten  hat,  die  nirgends  sonst  als  wiederum  nur  im  skandinavischen  Norden, 
nämlich  in  der  schon  in  der  Edda  neben  dem  plögr  genannten  Arör  (heute  noch 
im  südl.  und  mittl.  Schweden,  früher  auch  in  Norwegen)  eine  Parallele  besitzt. 

Die  Arl  in  ihrer  Verbreitung  (S.  97(i-1008). 

In  Tirol  gehört  zum  Ärlgebiet  der  Vintschgau,  das  Etschland,  das  Oberinntal 
bis  Telfs  und  das  untere  Pustertal.  Obwohl  heute  die  Namen  Pflug  und  Arl  nicht 
immer  ganz  streng  geschieden  werden,  stellen  sich  als  die  eigentlichen  Kennzeichen 
der  alten  Tiroler  Arl  doch  deutlich  folgende  Eigenschaften  dar:  Das  Fehlen  eines 
Karrens,  das  Vorhandensein  von  Streichhölzern  (Jedem),  an  deren  Stelle  später 
Streichbretter  treten,  auffallend  grosse  Schar  und  Hörner.  Schärfer  ist  die  Unter- 
scheidung in  Kärnten  und  Obersteier,  hier  heisst  alles  das  Pflug,  was  ein  Beet- 
pflug, d.  h.  ein  Pflug  mit  halber  Schar  und  einseitigem,  festen  Streichbrett  ist. 
Alles  übrige  wird  Ädl  genannt.  Besonders  ursprünglich  tritt  sie  uns  noch  in 
den  deutschen  Gebirgen  Kärntens  entgegen;  hier  fehlt  ihr  sogar  das  sw// (Schneid- 
eisen), das  hier  durch  ein  eigenes  Gerät,  den  riss,  das  vor  der  eigentlichen  Adl 
einhergeführt  wird,  ersetzt  ist.  Entwickelter  ist  die  Adl  im  oberen  Gurk-  und 
Görtschitztal,  wo  sie  (im  Gegensatz  zum  Tiroler  Arl)  bereits  mit  einen  eigenen 
Vorderkarren  versehen  ist,  jedoch  an  Stelle  des  sech  ebenfalls  ein  eigentümliches, 
sensenförmig  langgestrecktes  reissmesser,  teilmesser  (auch  riss  genannt)  besitzt.  Die 
Ädl  herrscht  in  ganz  Kärnten  bis  hinab  zur  Drau  und  von  Bleiburg  abwärts  auch 
über  diese  in  den  Karawanken  und  Sanntaler  Alpen,  besonders  in  Gegenden,  in 
denen  die  deutsche  Besiedlung  stärker  ist.  In  Steiermark  (wo  sie  überall  einen 
eigenen  Vorderkarren  aber  keinen  besonderen  riss  besitzt)  findet  sich  die  Adl  in 
weiten  Strecken  des  oberen  Murtales. 

Aber  auch  überall  dort,  wo  heute  die  Adl  schon  abgekommen  ist,  bezeugt 
doch  in  ganz  Kärnten  und  Steiermark  der  durchgehends  gebräuchliche  Name  ariiug- 
für  Pflugschar,  dass  der  Pflug  hier  überall  eine  spätere  Einführung  ist.  Ihre 
Spuren  weisen  auch  bis  Niederösterreich  hinein.  Rh.  schliesst  daraus,  dass  die 
Ädl,  und  zwar  ohne  Karren  und  ohne  nech,  mit  2  schneidiger  Schar  und  2  Grilf- 
hörnern  im  Anfange  des  Mittelalters  in  den  ganzen  Ostalpen  allein  geherrscht 
habe.  —  Der  Schluss  des  Kapitels  ist  einer  eingehenden  Untersuchung  darüber 
gewidmet,  ob  die  Adl  gormanischen  oder  slawischen  Ursprungs  sei.  Diese  Unter- 
suchung, die  sich  hauptsächlich  auf  die  Benennungen  arlimj,  ralnik,  ralo,  iertalo 
rezahüca  (von  rezati  =  schneiden  für  'riss'),  ijrnll  und  grindl  stützt,  führt  Rh.  zum 
Ergebnis,  in  der  Ädol  ein  germanisches  Gerät  zu  sehen.  Da  sie  aber  in  Bayern 
selbst  und  im  übrigen  Süd-  und  Norddeutschland  nicht  vorkommt,  so  kann  sie 
nicht  von  den  nördlichen  angrenzenden  Bajuvaren,  sondern  muss  ebenfalls  wieder 
von  Ostgermanen  hereingebracht  worden  sein.  (Exkurs  über  Eggen  und  Rechen, 
Polemik  gegen  Braungart  S.  lOO'i— 1007). 

17.  Kapitel:     Unterschiedliches  aus  der  Wirtschaft  (Schluss). 

(S.  1008—1055). 
Der    Hauptzweck    dieses  auch  für  Nicht-Hausforscher  besonders  interessanten 
Schlusskapitels    ist    der    Versuch,    die    vom    Verf.    aufgestellte  und  von  allen  bis- 
herigen Ansichten  am  stärksten  abweichcAde  Theorie,  wonach  die  bäuerliche  Kultur 
der    Südalpenländer    in    ihren    Hauptformen    von   in  Skandinavien  heimischen  ost- 


260  T5erichte  und  Besprechungen. 

germanischen  Stiimnuni  und  nicht,  wie  man  bisher  annahm,  von  den  Bajuvaren  dahin 
verpflanzt  ist,  auch  an  verschiedenen  volkswirtschaftlichen  Kleinformen  nach- 
zuweisen. 

1.  Das  Südtiroler  Hartbrot.  Das  gewöhnliche  deutsche  Brot  besteht  in 
dicken  weichen  Laiben  und  ist  stets  gesäuert.  Das  findet  sich  überall  so  und  er- 
fährt im  Norden  nur  in  Skandinavien,  und  zwar  in  Schweden  und  Norwegen,  eine 
Ausnahme,  wo  daneben  als  ältere  Form  noch  ein  ungesäuertes,  dünnes  Hartbrot 
■nachweisbar  ist,  dass  in  den  altnorwegischen  Gesetzen  bis  herauf  ins  14.  Jahr- 
hundert noch  streng  als  hnnü)  gegen  das  weiche  hifr  unterschieden  wird.  Nun 
stossen  wir  in  Südtirol  auf  ein  Gebiet,  das  im  Norden  bis  zum  Brenner,  im  Westen 
bis  ins  Ötztal  und  im  Osten  bis  an  die  Kärntnergrenze  reicht  und  in  welchem 
sich  ein  sehr  dünnes,  scheibenförmiges  Hartbrot  findet,  das  ursprünglich  nur  zwei- 
mal im  Jahre  gebacken  wurde.  Spuren  eines  solchen  alten  Hartbrotes  zeigen  sich 
aber  auch  im  Ziller-  und  Alpachtal  im  sogenannten  Grischeiihrot,  einem  nur  vier- 
mal des  Jahres  gebackenem  Hartbrot,  und  ebenso  im  Lungauer  und  Kärntner 
Suppenbrot. 

2.  Das  Fürfell  (schwed.  förskhni).  In  ganz  Südtirol  tragen  die  Männer  bei 
Arbeiten  ausser  dem  Hause  eine  bis  übers  Knie  hinabreichende  Latzschürze,  die 
mit  einer  Schlinge  über  den  Kopf  gezogen  und  hinten  um  die  Mitte  zusammen- 
gebunden wird.  Im  Ütztal  tritt  von  ümhausen  aufwärts  an  ihre  Stelle  eine  gleiche 
Schürze  aus  weissem  Kalbleder,  die  fiirfall  genannt  und  auch  als  Zierde  beim 
Kirchgang  und  beim  Heimgarten  getragen  wird.  Ihr  entspricht  vollkommen  die 
schwedische,  fnrskinn  genannte  Schürze,  die  uns  aus  Dalarne,  Westergötland  und 
von  der  Insel  Gotland  auch  schon  für  sehr  frühe  Zeit  bezeugt  ist. 

3.  Der  Ringzaun.  Im  Gegensatz  zu  Pranken,  Bayern  und  der  Schweiz 
herrscht  im  Gebiete  des  Doppelhauses,  und  zwar  in  Pinzgau,  Tirol,  Steier- 
mark und  Kärnten  der  lUngzunn  vor.  Dieser  besteht  aus  senkrechten  (je  einen 
Schritt  von  einander)  in  die  Erde  gerammten  Pfostenpaaren,  die  schräg  gestellte 
und  zwischen  die  Pfosten  gesteckte  Bretter  (Schwartlinr/e)  halten,  welche  mittelst 
je  2 — 3  Wieden  (am  Feuer  geröstete  und  strickartig  gedrehte  Fichtenzweige)  an 
die  Pfosten  angebunden  sind.  Dieser  Zaun,  der  sich  in  ganz  Deutschland  sonst 
nirgends  findet,  tritt  uns  in  genau  derselben  Form  in  Norwegen  und  Schweden 
und  besonders  wieder  in  Gotland  auch  für  die  alte  Zeit  bezeugt  entgegen. 

4.  Die  Pfostengaden.  Geradezu  überraschend  ist  die  Ähnlichkeit  der 
Pfostengaden  im  Ötztal  und  Passeiertal  mit  denen  im  norwegischen  Hochland 
Hier  und  dort  sind  es  kleine,  fast  würfelförmige,  auf  vier  niedrigen  Holzsäulen 
stehende  Holzbauten,  die  übereinander  zwei  durch  einen  Boden  getrennte  Kammern 
und  vor  der  oberen  Tür  einen  Aussengang  besitzen.  Auch  die  von  Frau  M. 
Andree-Eysn  aus  dem  Berchtesgadenerland  mitgeteilten  nach  oben  erweiterten 
Kästen  gleichen  ganz  ähnlichen  Gebäuden  in  Pinnland,  die  ihrerseits  wohl  auf 
schwedische  Vorbilder  zurückgehen;  und  ebenso  sind  die  kleinen  Heuscheunen  im 
Helsingland  völlig  gleich  den  Inntaler  und  obersteirischen  Heuhütten. 

5.  Buckelkorb  und  Heubogen.  Nach  Besprechung  des  bauchigen  alt- 
bajuvarischen  Rückenkorbes  und  des  nach  unten  halsartig  verengten  Tiroler 
'Ruckkorbes'  geht  Rh.  näher  auf  die  besonders  in  Mittel-  und  Untersteier  und  bei 
den  Slovenen  üblichen  Heubogen  ein.  Diese  bestehen  aus  2  halbkreisförmigen 
Holzreifen,  die  ein  lockeres  Spagatgeflecht  umspannen,  auf  welche  grosse  Mengen 
Heu  aufgelegt  und  fortgeschafft  werden  können.  Es  ist  ein  so  einfaches  und  da- 
bei so  sinnreiches  und  merkwürdiges  Gerät,  dass  seine  Erfindung  an  mehreren 
Stellen  gleichzeitig  unmöglich  angenommen  werden  kann.     Um  so   überraschender 


Berichte  und  Besprechungen.  261 

ist    es    daher,    dass    wir    dasselbe    Gerät  nicht  nur  in  Schwaben,  sondern  auch  in 
Skandinavien  und  zwar  in  Sraaaland,  Schweden  und  Dänemark  wiederfinden. 

G.  Ethnographische  Schlussbetrachtungen  (S.  1038-1055).  —  Nach 
einer  tabellarischen  Darstellung  der  Übereinstimmungen  in  den  Wirtschafts-  und 
und  Hausformen  der  bajuvarischen  Aussenländer  (Südtirol,  Kärnten  und  Steier- 
mark) mit  skandinavischen  und  ihrer  Gegensätze  zu  den  altbayrischen  Einrichtungen 
(S.  lObS  — 1039)  bespricht  der  Verf.  die  geistigen  und  körperlichen  Eigenheiten 
der  Bewohner  jener  ostalpinen  Aussenlande  Während  in  Altbayern  ein  rauh- 
sprachiger, vielfach  gewalttätiger,  langgliedriger,  hängeschultriger,  spitznasiger  und 
kraushaariger  Typus  vorherrscht,  finden  wir  in  den  Ostalpen,  besonders  im  Wiener, 
Linzer,  Steirer,  Kärntner  und  Tiroler,  sehr  häufig  die  bekannten  Gestalten  schlanker, 
männlicher  Schönheit  mit  Hakennasen  und  feine,  zarte  Frauengesichter.  Am 
liederlichsten  ist  der  Kärntner  mit  seinem  starken  Hang  zur  Wollust  und  Indolenz, 
allein  im  Verkehr  am  lustigsten  und  angenehmsten,  und  in  vielen  Zügen,  besonders 
in  seiner  weichen  und  hohen  Sprache,  den  Norwegern  und  Dänen  sehr  ähnlich. 
Der  Tiroler  hingegen  ist  der  keuscheste,  und  in  Steiermark  begegnen  uns  am 
häufigsten  (namentlich  im  Oberlande)  die  ernste  und  würdige  männliche  Schönheit 
und  die  eigentümlich  zarteu,  weichen  Frauengesichter  mit  auffallend  kleinem, 
runden  Kinn. 

Rh.  ist  sich  dessen  völlig  bewusst,  dass  seine  Theorie  von  der  ostgermanischen 
Besiedlung  dieser  bajuvarischen  Aussenländer  in  vollem  Widerspruche  zu  allen 
bisherigen  historischen  Überlieferungen  steht.  Er  versucht  daher  selbst,  historische 
Erklärungen  für  seine  Ansicht  zu  finden,  und  stellt  als  Abschluss  des  Bandes  alles 
zusammen,  was  man  bisher  über  tatsächliche  gotische  und  ostgermanische  Volks- 
splitter in  diesem  Gebiete  gefunden  hat:  Gottscheer,  Gossensass?,  Gothi  Meranari, 
Mcran  und  Meranien  (und  dazu  die  altgotischen  Märinger  in  altschwedischen  und 
angelsächsischen  Runenschriften);  dazu  die  übermässig  langen  Oberkörper  in  Süd- 
tirol, die  bis  zum  Brenner  und  im  Pustertal  zu  finden  sind,  den  gotischen  Vokalismus 
und  gotische  Orts-  und  Personennamen  in  Tirol  und  Steiermark  (z.  B.  die  vielen 
Vasold  und  Vasoldsberg).  Das  alles  spricht  für  Goten.  —  Neben  diesen  kommen 
aber  für  Steiermark  und  Kärnten  noch  andere  Ostgermanen  in  Betracht:  die 
Rugier  (Ruginesfeld  b.  Luttenberg),  die  Heruler  die  hier,  wie  in  ihren  alten 
dänischen  Sitzen,  das  Vierkantgebiet  beherrschen:  Hörfling  (Salzburg),  Erlaf,  Her- 
landen, Harlandwiesen  (Osterreich  ob  und  unter  der  Enns)  und  endlich  die  Skiren 
für  Steiermark.  Rh.  schliesst  mit  dem  Hinweis,  dass  es  im  Falle  der  Richtigkeit 
seiner  Theorie  sich  als  eine  eigentümliche  Fügung  der  Geschichte  erweisen  würde, 
dass  jene  ostgermanischen  Splitter,  freilich  durch  Bajuvaren  verstärkt,  hier  ein 
kulturelles  germanisches  Ostreich  gegründet  hätten,  während  die  Bayern  zu  guter 
Letzt  doch  mit  dem  alten  deutschen  Westreich  zusammengeschlossen  wurden. 

dr-Av  Victor  von  Geramb. 


262  Bücheranzeigen. 


Bücheranzeigen. 

Landeskunde  der  Provinz  Brandenburg.  Unter  Mitwirkung  hervorragen- 
der Fachleute  herausgegeben  von  Ernst  Friedel  und  Robert  Mielke. 
4.  Band:  Die  Kultur.  Mit  140  Abbildungen  im  Text.  Berlin, 
Dietrich  Reimer  (Ernst  Vohsen)  191G.     XI,  574  S.  Gr.  4". 

Der  vierte  Band  der  brandenburgischen  Landeskunde,  der  letzte,  den  der  um 
Begründung  und  Leitung  des  Unternehmens  so  hoch  verdiente  Ernst  Friedel  noch 
erlebte,  übertrifft  an  Umfang  seine  Vorgänger  und  behandelt  das  besonders  an- 
ziehende Gebiet  märkischer  Kunst,  Literatur,  Musik,  Bildung,  Wissenschaft  und 
Erziehung. 

Robert  Mielkes  Behandlung  der  märkischen  Kunst  trägt  allenthalben  den 
Stempel  eines  langen,  gründlichen  Durchdenkens  des  Stoffes.  Er  erwägt  nicht 
nur  umsichtig,  von  welchen  äUeren  Kulturzentren  aus  die  märkische  Kunst  beein- 
flusst  wurde,  sondern  achtet  auch  auf  bäuerlich-bodenständige  Elemente  in  ihr  — 
was  heut  weit  häufiger  gefordert  als  geleistet  wird.  Sein  Blick  ist  überhaupt  in 
keiner  Weise  einseitig  eingestellt :  auch  der  Einfluss  des  Materials  und  des  tech- 
nischen Verfahrens  wird  sorgsam  beachtet.  In  der  neueren  Zeit  gewinnt  der  Hof 
den  massgebenden  Einfluss:  die  'Bofkunst  Friedrichs  L',  die  'Puritanerkunst 
Friedrich  Wilhelms  L',  das  'Rokoko  Friedrichs  IL'  ziehen  an  uns  vorüber.  Es 
liegt  an  dem  Stoffe,  zu  einem  Teile  aber  wohl  auch  an  den  Neigungen  des  Dar- 
stellers, dass  durchweg  die  Architektur  den  breitesten  Raum  einnimmt;  immerhin 
erfährt  man  auch  Wissenswertes  über  kunstgewerbliche  Kleinkunst.  Bildhauerei 
und  Malerei.  Mielkes  Schreibweise  ist  nicht  für  ganz  mühelose  Aufnahme  zu- 
geschnitten, aber  die  Mühe  lohnt,  denn  dieser  Verfasser  hat  etwas  zu  sagen. 

Merbachs  brandenburgische  Literaturgeschichte  hinterlässt  einen  minder 
erfreulichen  Eindruck.  Bei  diesem  Autor  wechselt  beständig  der  Blickpunkt;  man 
hört  abwechselnd  einen  Historiker,  Literarhistoriker,  Kunstgeschichtler,  Philologen. 
Seine  Behandlung  der  Lehninschen  Weissagung  ist  wesentlich  eine  Geschichte  der 
kritischen  Forschung  über  diese;  die  Form  des  seltsamen  Werkes  bleibt  fast 
ausser  Betracht,  es  erscheint  als  Unikum  ausserhalb  aller  Formgeschichte,  während 
es  für  die  literarhistorische  Betrachtung  sich  anknüpft  an  die  sibyllinische  Dichtung 
des  Altertums  und  Mittelalters.  Beim  Totentanz  der  Berliner  Marienkirche  wird 
die  schwierige  kunstgeschichtliche  Frage  nach  Ursprung  und  Entwicklung  der 
Totentänze  breit  aufgerollt,  während  ein  solches  Werk  doch  nur  mit  den  kümmer- 
lichen Versen  unter  der  Bilderfolge  ein  weniges  die  Literaturgeschichte  streift. 
Bei  W.  Alexis  hat  es  der  Verf.  sonderbar  eilig,  auf  die  Erzählungstechnik  zu 
kommen,  bei  Franz  v.  Kleist  —  der  doch  den  Lesern  einer  Landeskunde  erst  in 
Ruhe  vorzustellen  wäre  —  dreht  sich  plötzlich  alles  um  die  Einzelfrage  nach 
■dem  Einfluss  von  Grillparzers  'Sappho'.  In  seitenlangem  Kleindruck  wird  einmal 
ein  Text  des  16.  Jhs.  ediert.  —  Woher  alle  diese  verwirrende  Buntheit  und  mehr 
als  wunderliche  Ökonomie?  Wer  sich  etwas  genauer  umtut,  findet  bald  des  Rät- 
sels Lösung:  Merbach  bleibt  durchweg  im  Banne  der  von  ihm  benutzten  Einzel- 
studien. Er  tritt  nicht  mit  eigener  Fragestellung  an  die  wissenschaftliche  Literatur 
heran,  sondern  liest,  übernimmt  Gesichtspunkte,  Gedankenordnung  und  weithin  — 
den  Wortlaut.  Kleine  Kürzungen  und  Änderungen  fallen  nicht  ins  Gewicht;  auch 
nicht,  dass  die  Quelle  zumeist  irgendwo  in  den  Anmerkungen  genannt  wird,  denn 


Büclieranzeigen.  263 

weit  mehr,  als  spärliche  Anführungstriche  ahnen  lassen,  wird  übernommen.  Eine 
Probe  mag  das  eigentümliche  Verfahren  beleuchten,  da  ein  Vorwurf  dieser  Art 
nicht  ohne  Beweis  erhoben  werden  darf.  Über  die  zweite  Komödie  des  Drama- 
tikers Christoph  Stummel  (1525—88)  sjigt  Merbachs  Gewährsmann  Rasmus  in  den 
'Jahresberichten  und  Mitteilungen  des  historisch -statistischen  Vereins  zu  Frank- 
furt a.  0.-,  1867,  S.  101  ff.: 

Diese  Komödie  sollte  seinem  Alter,  seiner  Stellung,  seiner  theologischen  Richtung 
angemessen  sein,  und  etwaige  Fehler  gegen  die  Latiintät  sollten  durch  das  erhabene 
Mysterium  des  Inhalts  aufgewogen  werden.  So  lieferte  er  denn  eine  comedia  sacra,  'Isaac 
immolandus',  gedruckt  1579.  Wie  er  die  'Studentes^  einst  dem  Senat  seiner  Vaterstadt 
dedicierte,  so  widmete  er  dies  Werk  dem  Fürsten  seines  alten  Vaterlandes,  dem  Kur- 
fürsten Johann  Georg  von  Brandenburg,  indem  er  ihn  daran  erinnerte,  wie  fleissig  er  ihn 
einst  als  Prinzen  habe  zu  Frankfurt  ins  Kolleg  gehen  sehen,  und  wie  schön  die  damalige 
Hoffnung,  dass  er  ein  Freund  der  Wissenschaften  bleiben  werde,  sich  nun  erfüllt  habe.  — 
Inhalt  des  Dramas  ist  die  Opferung  des  Isaak,  nicht  etwa  als  Persiflage,  sondern  im 
ernsten  Anschluss  an  die  Bibel  und  nach  des  Dichters  Absicht  dadurch  vertieft,  dass^  die 
vom  christlichen  Dogma  gelehrte  Auffassung  dieses  Opfers  als  Vordeutung  auf  Christi  Tod 
als  in  dem  Bewüsstsein  der  handelnden  Personen  bereits  klar  vorbanden  dargestellt  wird. 
Abraham  ist  daher  ein  gründlich  gebildeter  lutherischer  Theolog,  der  die  Verheissung  und 
ihre  Erfüllung  vom  Sündeufall  herab  bis  auf  Christi  Tod  vollständig  beherrscht  und  z.  B. 
seinen  weniger  begnadigten  Nachbarn  Mamre,  Escol  und  Aner  einen  langen  dogmatischen 
Vortrag  darüber  hält,  warum  die  Verheissung  gerade  vom  Samen  des  Weibes  rede  und 
wer  der  Schlange  den  Kopf  zertreten  werde. 
Daneben  halte  man  Merbach  S.  247: 

Er  schrieb  im  Winter  157G/77  eine  Comoedia  sacra,  den  'Isaac  immolandus'  und 
widmete  sie  dem  Kurfürsten  Jobann  Georg  von  Brandenburg  in  Erinnerung  an  dessen 
Frankfurter  Studienzeit.  Diesmal  war  Stummel  bemüht,  ein  Werk  zu  schaffen,  das  „seinem 
Alter,  seiner  Stellung  und  theologisshen  Richtung  angemessen  war":  er  behandelte  die 
Opferung  des  Isaak  im  strengsten  Anschluss  an  die  Bibel  und  vertiefte  diesen  Stoff  da- 
durch, dass  die  von  dem  christlichen  Dogma  gelehrte  Auffassung  dieses  Opfers  als  Vor- 
deutung und  Hinweis  auf  Christi  Tod  in  dem  Bewüsstsein  der  handelnden  Personen  bereits 
klar  und  deutlich  erkannt  und  als  vorhanden  dargestellt  wird.  Abraham  ist  daher  ein 
gründlich  gebildeter,  die  Literatur  des  Für  und  Wider  genau  beherrschender  lutherischer 
Theologe,  der  die  Verheissung  und  Erfüllung  vom  Sündenfall  bis  Christi  Tod  mit  allen 
Möglichkeiten  der  Erklärung  kennt,  und  z.  B.  seinen  Nachbarn  Mamre,  Escol  und  Aner 
einen  ausführlichen  dogmatischen  Vortrag  hält,  warum  die  Verheissung  gerade  vom  Samen 
des  Weibes  redet,  und  wer  der  Schlange  den  Kopf  zertreten  werde. 

Hier  ist  alles  typisch:  die  Kürzungen,  die  Zusätze,  die  beiläufigen  Aniührungs- 
striche,  von  denen  man  erraten  muss,  dass  sie  auf  ein  zwei  Seiten  zuvor  zitiertes 
Werk  zurückweisen.  Halbe  Seiten  verdankt  M.  ausser  der  angezogenen  Stelle  noch 
der  Studie  von  Rasmus;  durchwirkt  wird  das  Entlehnte  mit  kleinen  Einschlägen 
aus  zwei  Programmabhandlungen  von  G.  Voss.  Aber  die  Reihe  der  wissenschaft- 
lichen Ahnen  unseres  Autors  ist  noch  länger.  Bedenklich  ist  schon  die  Art.  wie 
für  Heinrich  Knaust  die  erschöpfende  Arbeit  von  Hermann  Michel,  die  natürlich 
jeder  herangezogen  hätte,  benutzt  wird.  Bei  Bartholomäus  Krüger  wird  nicht  nur 
Pniowers  grosser  Aufsatz  (Brandenburgia  6,  290)  ausgeschrieben,  der  zitiert 
wird,  sondern  noch  reichlicher  eine  nicht  zitierte  Arbeit:  R.  M.  Werners  Anzeige 
von  Boltes  Neudruck  des  Spiels  von  den  bäurischen  Richtern  und  dem  Lands- 
knecht (in  der  Zs.  für  österr.  Gymnasien  35,  8450".).  Für  die  neuere  Zeit  war 
ein  Haupttröster  Heinrich  Spieros  „Poetisches  Berlin"  (2  Bde.,  München  1911),  zu 
dem  das  Schiff  lein  der  Darstellung  wie  zu  einem  Magnetberge  immer  wieder 
zurückstrebt,  wenn  es  ein  Weilchen  eigene  Fahrt  versuchte;  die  Gegenüberstellung 
würde  Seiten  füllen.     Dabei  hätte  es  an  Anreiz    zu    eigener  Forschung    in   diesem 


2()4  Bücheranzeigen. 

Stoffe  nicht  gefehlt.  Fontane  nennt  z.  B.  den  Freienwalder  Tischlermeister  Karl 
Weise  (1813—88)  einen  'märkischen  Hans  Sachs';  zielt  das  nur  auf  eine  gewisse 
Ähnlichkeit  der  Lebensumstände  und  der  Tendenz,  oder  soll  ein  starkes  Lob  darin 
liegen?  M.  gleitet  darüber  hinweg,  obgleich  Weise  kürzlich  eine  (freilich  un- 
genügende) Neuausgabe  erfuhr  (durch  H.  Schmidt  und  K.  Freudel,  Berlin  11)13). 
Einmal  widerfährt  M.  bei  seinem  raschen  Zusammenraffen  ein  peinliches  Unglück. 
Er  findet  in  Stummels  'Studentes'  „eine  starke  Abhängigkeit  und  Anlehnung  an 
Stoff  und  Technik  des  Acolastus  von  Wilhelm  Gnaphäus"  (S.  245);  kurz  danach 
aber  bemerkt    er    harmlos:    .,Einen    Zusammenhang    des    Schaffens  Stummels    mit 

demjenigen    von    Wilhelm  de  Volders,    genannt  Fullonius konnte  ich   nicht 

nachprüfen"  (S.  24G,  Anm.  2).  Leider  sind  Gnaphäus— de  Volders— Fullonius  ein 
und  dieselbe  Person,  wie  M.  die  von  ihm  doch  auch  sehr  geschätzte  'Allg.  ütsch. 
Biographie'  hätte  lehren  können.  Eine  rechte  Wirrnis  herrscht  auch  in  der  Chro- 
nologie der  Neulateiner.  Es  soll  nun  nicht  geleugnet  werden,  dass  man  dank  den 
meist  guten  Gewährsmännern  Merbachs  trotz  allem  auch  manches  Wissenswerte 
erfährt,  auch  nicht,  dass  M.  bei  Raupach,  über  den  er  eine  Monographie  vor- 
bereitet, Eigenes  bieten  konnte,  obwohl  er  sich  selbst  den  Übergang  zu  diesem 
bei  Spiero  borgt.  Aber  im  ganzen  ist  seine  Arbeit  kein  reif  gewordenes  Buch, 
sondern  eine  glatt  gestrichene  Notizen-  und  Exzerptensammlung. 

Ein  Beitrag  von  ganz  anderer  Straffheit  ist  die  märkische  'Musikgeschichte' 
von  Gurt  Sachs.  Dass  sie  infolge  Versagens  der  Lokalforschung  wesentlich  eine 
Musikgeschichte  der  Hauptstadt  sein  musste,  wird  man  dem  auf  seinem  Gebiete 
schon  durch  frühere  Arbeiten  bewährten  Verf.  gern  glauben.  AVie  seit  Joachim  IL 
der  Hof,  wenn  auch  nicht  gleichmässig,  um  eine  Hof-  und  Domkapellc  sich  be- 
müht —  den  wesentlichen  Rückhalt  für  das  hauptstädtische  Musikleben  —  bis 
dann  unter  Friedrich  Wilhelm  I.  alles  erlischt:  wie  daneben  aus  dem  alten  Türmer- 
wesen die  Stadtpfeifereien  sich  entwickeln,  gedeihen  und  wieder  verfallen:  das. 
wird  bündig  und  sicher  geschildert,  und  trotz  des  frischen  Voranschreitens  werden 
kleine  belebende  Notizen  über  Dinge  'hinter  den  Kulissen  der  Geschichte'  mit- 
genommen, wie  dass  die  Schwestern  des  Grossen  Kurfürsten  Viola-Stunden  bei 
dem  alten  Meister  Rowe  nahmen,  den  einst  eine  Truppe  englischer  Komödianten 
dem  brandenburgischen  Hofe  abgetreten  hatte;  oder  dass  der  Kurfürst  selbst  sich 
auf  der  Viola  di  gamba  versucht  hat.  Bei  der  Schilderung  der  neueren  Zeit  wird 
die  Darstellung  noch  knapper,  aber  der  Verf.  weiss  in  wenig  Worten  Wesentliches 
zu  sagen,  z.  B.  über  die  unbefriedigende  Stellung,  die  Reichardt  am  Hofe 
Friedrichs  d.  Gr.  einnahm;  über  Reichardt  hätte  freilich  wohl  mancher  Leser 
gern  mehr  gehört.  Bei  Schilderung  der  allerneuesten  Zeit  gerät  das  einmal  an- 
genommene Marschtempo  des  Verf.  in  Zwiespalt  mit  dem  Bestreben,  in  einer 
Landeskunde  möglichst  viel  lokal  bedeutsame  Männer  zu  erwähnen;  so  viel  Namen 
und  Notizen,  wie  auf  den  letzten  Seiten  aufmarschieren,  kann  man  nicht  mehr 
lesend  aufnehmen.  Aber  der  Verf.  dringt  vorwärts  bis  zu  dem  Phonogrammarchive 
Karl  Stumpfs  an  der  Berliner  Universität. 

Richard  Galle  stand  bei  der  Darstellung  von  'Bildung,  Wissenschaft  und 
Erziehung'  vor  der  heiklen  Aufgabe,  gerade  den  Teil  des  brandenburgischen 
Geisteslebens  darzustellen,  der  am  meisten  von  auswärtigen  Bedingungen  und 
Einilüssen  abhängt;  brandenburgischer  Wissenschaftsbetrieb  ist  schliesslich  eben 
nur  eine  Funktion  des  gesamtdeutschen,  ja  in  jüngster  Zeit  des  internationalen. 
Der  schwierigen  kompositorischen  Aufgabe,  den  Blick  demgemäss  abwechselnd  in 
die  Weite  zu  locken  und  zur  Enge  zurückzurufen,  ist  der  Verf.  für  die  Zeit  bis  zu 
den  Freiheitskriegen  in  erfreulichem   Grade  gerecht   geworden.    Besonnenes   Urteil 


Bücheranzeigen.  265 

bewährt  er  überall,  in  der  älteren  Zeit  z.  B.  bei  der  Abschätzung-  der  oft  über- 
triebenen Verdienste  der  Cisterzienser.  Am  meisten  Farbe  gewinnt  die  Darstellung 
in  den  Abschnitten  zwischen  dem  Ende  des  dreissigjährigen  Krieges  und  den 
Freiheitskriegen;  natürlich  macht  sich  G  da  Heubaums  'Geschichte  des  deutschen 
Bildungswesens'  und  Harnacks  Akademiegeschichte  zunutze.  Im  19.  Jahrhundert 
macht  sich  leider  die  schon  in  der  Musikgeschichte  hervorgetretene  Schwierigkeit 
in  verstärktem  Masse  geltend;  Gallcs  Arbeit  läuft,  in  dem  Bestreben,  den 
Stoff  zu  erschöpfen,  zuletzt  in  tabellarische  Übersichten  aus.  Gerade  weil  die 
früheren  Teile  die  darstellerische  Aufgabe  meistern,  bedauert  man  diesen  dürren 
Ausgang. 

Die  Ausstattung,  die  der  Verleger  dem  Bande  gab,  lässt  zum  Glück  noch 
keine  Kriegsnot  merken;  dass  die  Abbildungen  klein  gehalten  werden  mussten, 
war  bei  den  Preisgrenzen  des  umfangreichen  Gesamtwerkes  unvermeidlich. 

Berlin.  Heinrich  Lohre. 


Josef  Blau,  Böhmerwälder  Hausindustrie  und  Yolkskuust.  1.  Teil. 
Wald-  und  Holzarbeit.  Mit  150  Abl>iidungen.  (Beiträge  zur  deutsch- 
böhmischen  Volkskunde  14.  Bd.  1.  Hälfte.)  Prag,  J.  Calve  1917.  XIY, 
424  S.  gr.  8^  6  Mk. 
Wie  alle  Bände  der  Beiträge  zur  deutsch-böhmischen  Volkskunde  ist  auch 
der  vorliegende  eine  Tat  von  unendlichem  Nutzen,  eine  Rettung  alter  Volksüber- 
lieferungen in  letzter  Stunde.  Wie  der  böhmische  Urwald  dem  Angriff  einer 
gewinnsüchtigen  Industrie  zum  Opfer  gefallen  ist,  so  verschwanden  mit  ihm  eine 
Unzahl  uralter  Volksarbeiten  im  Walde  und  Holze.  Dass  die  Erinnerung  daran 
in  Wort  und  Bild  vom  Verfasser  der  Nachwelt  aufbewahrt  bleibt,  ist  sein  ehrendes 
Verdienst.  Zugleich  ist  das  Buch  ein  beredter  Warner  vor  Übertreibung  der 
Industrialisierung,  die  in  kurzer  Zeit  selbst  die  reichsten  Quellen  erschöpft.  Im 
ersten  Teile  ist  eine  allgemeine  Übersicht  der  Verbreitung,  Geschichte  und 
Bedeutung  der  Hausindustrien  des  Böhmerwaldes  gegeben.  Der  zweite  Teil  führ 
uns  in  den  Wald  zu  den  Waldarbeiten.  Die  dabei  gegebene  'Aufklärung'  über 
die  böhmischen  'Schmäräken'  scheint  weiterer  Aufhellung  bedürftig.  Weiter 
folgen  Kupitel  über  die  Wasserbeförderung  des  Holzes,  über  Kohlenbrennerei, 
über  Aschen brenner,  Flussicder,  Pechler,  Teerbrenner  und  Wagenschmierbrenner, 
alles  fast  vergessene  und  für  die  Kenntnis  alter  Zustände  doch  nicht  unwichtige 
Arbeiten.  Für  die  Hausforschung  belangreich  sind  dann  die  Kapitel  über  die  zeit- 
weise leerstehenden  Holzdörfer,  das  Hochgebirgshaus  und  die  Zäune  oder  Schrenger 
und  Schindeln.  Das  Kapitel  'Wissen  vom  Holz'  gibt  eine  treflliche  Übersicht  über 
die  Verwendbarkeit  und  tatsächliche  Verwendung  der  einzelnen  Holzarten.  Eine 
reiche  Fülle  von  Holzerzeugnissen,  vom  einfachsten  Gerät  bis  zum  künstlerisch  wert- 
vollen Standbilde  behandeln  drei  weitere  Abschnitte  des  Buches,  denen  sich  aus- 
führliche Beschreibungen  der  bemalten  Möbel,  leider  ohne  Farbenwiedergabe,  und 
Totenbretter  anschliessen.  Eine  bisher  noch  wenig  bekannte  Volksmedizin  stellen 
die  aus  Baumschwamm  gefertigten  Kappen  (vgl.  oben  'Ib,  4)  dar,  die  gegen  Kopf- 
schmerzen heilsam  sein  sollen.  Eine  Zusammenstellung  der  vielen  mundartlichen 
Gerätenamen  u.  dergl.  wäre  erwünscht  gewesen. 

Berlin-Steglitz.  K^il  Brunner. 

Zeitschr.  d   Vereins  £.  Volkskunde.    1017.     Heft  3.  18 


266  Bücheranzeigen. 

Theodor  Imme,  Die  deutsche  Soldatensprache  der  Gegenwart  und  ihr 
Humor.     Dortmund,  F.  W.  Ruhfas  1917.     XII,  172  S.  8".     Geh.  4  Mk. 

Otto  Mausser,  Deutsche  Soldatensprache.  Ihr  Aufbau  und  ihre  Probleme 
(Trübners  Bibliothek  Bd.  9).  Strassburg,  Karl  J.  Trübner  1917.  YII, 
135  S.  8°.     Geh.  3  Mk.,  geb.  3,80  Mk. 

Innerhalb    der    in    zahlreichen    kleineren  Schriften,    Zeitschrift-  und  Zeitungs- 
anfsätzen  veröffentlichten  Literatur  zur  Soldatensprache  lassen  sich,  wenn  man  von 
•rein  feuilletonistischen  Plaudereien  absieht,    leicht  zwei  Richtungen  unterscheiden- 
Die    eine    legt    den  Hauptwert    auf   die  Mitteilung    einer   möglichst   reichhaltigen 
Stoffsammlung,    die    andere    bringt   von    dem  vorliegenden  Material  nur  eine  Aus- 
wahl   und    legt    den  Hauptnachdtuck    auf   die    darauf   aufzubauenden  sprach-  und 
volkspsychologischen     Betrachtungen.      Es    sind    die   beiden    Gesichtspunkte     der 
Synthese  und  Analyse,  von  denen  jede  Wissenschaft,  und  nicht  zuletzt  die  Volks- 
kunde bestimmt  wird,  die  sich  gegenseitig  bedingen  und  beide  gleich  unentbehrlich 
sind.     Für    die  erste  Richtung  bietet  Immes  Buch,   das  an  Fülle  des  Stoffes  von 
keiner  der  bisher  gedruckten  Sammlungen  übertroffen  werden  dürfte,  ein  treffendes 
Beispiel.     Es  behandelt  die  allgemeinen  systematischen  Fragen,  die  Geschichte  der 
Soldatensprache,  -forschung  usw.    nur    in    der  Einleitung  und  legt  den  Hauptnach- 
druck    auf   den  Stoff   selbst.     Nicht   ganz    treffend    scheint   uns    die  Fassung    des 
Titels.     'Die'  deutsche  Soldatensprache    ist  ein  Werk,    das    uns    erst    die  Zukunft 
bringen  kann,  hoffentlich  eine  nicht  allzu  ferne.     Denn  die  Eigenart  dieses  volks- 
kundlichen Gebietes   lässt  ja  hoffen,    dass    die  Tätigkeit  des  blossen  Sammeins  in 
absehbarer  Zeit  abgeschlossen  sein  wird;  mit  dem  Tage  des  Friedensschlusses  ist 
der  Soldatensprache  dieses  Krieges  der  Nährboden  entzogen.     Ferner  bedeutet  die 
Rücksicht    auf   den  Humor  der  Soldatensprache  eine  gewisse  Einschränkung,    die 
der  Wissenschaft  fernbleiben  muss.   Zwar  spricht  sich  in  den  meisten  Schöpfungen 
der  Soldatensprache    ein    gesunder  und  treffender  Humor  aus,    aber    er    ist   keine 
unerlässliche  Vorbedingung,    und    gerade  in  den  verbreitetsten  Ausdrücken  tritt  er 
stark    zurück    oder  wird    kaum    noch    als  solcher  empfunden.     Auch  geht  aus  der 
Einleitung    hervor,    dass    den  Grundstock    von  l.'s  Sammlungen  Ausdrücke  bilden, 
die    er   in    den  Lazaretten    eines  eng  begrenzten  Gebietes  (Essen  und  Umgegend) 
gesammelt  hat,  und  wenn    auch    an  solchen   Stellen  Soldaten  aus  allen  Gegenden 
Deutschlands  vereinigt  zu  sein  pflegen,    so  werden    dort    doch  viele  Gebiete,    vor 
allem  Süddeutschland,    nur  schwach  vertreten  gewesen  sein,    so  dass  ein  vollstän- 
diges Bild    der    allgemeinen    deutschen  Soldatensprache    nicht    gewonnen    werden 
konnte.     Andererseits    zeigt    die  Fülle    des    von  I.  mit   lobenswertem  Fleisse  ge- 
sammelten Stoffes,    wie    fruchtbar    sich  die  schöpferischen  Kräfte  unserer  Sprache 
in  diesem  Kriege  gezeigt  haben,  ein  wie  gewichtiges  Corpus  jenes  Werk  der  Zukunft 
darstellen  wird,    das    wirklich    die    gesamte  Soldatensprache  des  Weltkrieges  um- 
fasst.     Was  die  gedruckten  Quellen  betrifft,  die  I.  neben  den  mündlichen  benutzte, 
so    möchte    ich    nach    wie    vor    die    in    den    'Lustigen    Blättern'    veröffentlichten 
Soldatenausdrücke  mit  grösstem  Misstrauen  betrachten.    Die  Methode  dieses  Witz- 
blatts, unter  Aussetzung  von  Geldpreisen  (!)  zur  Einsendung  von  Beiträgen  aufzu- 
fordern, begünstigt  geradezu  die  künstliche  Erzeugung  papierner  Sprachblüten  am 
heimischen  Schreiblisch    oder   auch    im  Schützengraben  und  ist  eigentlich  als  ein 
Unfug  zu  bezeichnen,    den    die  Wissenschaft    mit  Nichtbeachtung  bestrafen  sollte. 
Vorsichtiger  ist  die  Fassung  des  Titels  von  Maussers  Buch,  und  der  Unter- 
titel 'Aufbau  und  Probleme'  weist  von  vornherein    darauf  hin,    dass  es  dem  Ver- 
fasser nicht  auf  Mitteilung  möglichst  reicher  Sammlungen,  sondern  auf  die  wissen- 


Bücheranzeigen.  267 

tscliaftliche  Behandlung  des  vorliegenden  Stoffes  ankam,  wie  er  denn  auch  die  mit- 
geteilten Ausdrücke  nur  als  'Kostproben'  bezeichnet.  Dabei  ist  das  M.  zur  Ver- 
fügung stehende  Material  ungleich  umfassender  als  Immes.  Sein  Buch  ist  heraus- 
gegeben vom  Vorstand  des  Verbandes  deutscher  Vereine  für  Volkskunde,  der 
bekanntlich  mit  einer  umfassenden  Sammlung  der  Soldatensprache  beschäftigt  ist, 
und  der  Verfasser  hat  sich  der  tätigen  Mithilfe  des  Verbandsvorsitzenden  John 
Meier  zu  erfreuen  gehabt.  Vor  allem  aber  standen  ihm  die  soldatensprachlichen 
Sammlungen  der  Wörterbuchkommission  der  Münchener  Akademie  zur  A'erfügung 
die  sich  ausschliesslich  aus  Einsendungen  von  Feldzugsteilnehmern  zusammen- 
setzen. Damit  ist  die  wissenschaftliche  Zuverlässigkeit  des  Buches  gewährleistet, 
und  seinen  strengvvissenschaftlichen  Charakter  erkennen  wir  auch  darin,  das  für 
jedes  Wort  der  Geltungsbereich  angegeben  ist.  Denn  nie  darf  vergessen  werden, 
dass  einer  grossen  Anzahl  von  Ausdrücken  keine  allgemeine  Verbreitung  zugestanden 
werden  darf.  Die  heutige  Soldatensprache  ist  eben  nicht  in  dem  Sinne  eine 
Sondersprache  wie  die  alte  Landsknechtssprache,  sie  ist  ebensowenig  eine  Standes- 
sprache, da  es  einen  Soldaten  stand  heute  nicht  mehr  gibt,  sie  ist  deshalb  mit 
den  Sprachen  der  einzelnen  Berufe,  die  geradezu  als  Erkennungszeichen  unter  den 
einzelnen  Berufsmitgliedern  gelten,  nur  entfernt  zu  vergleichen.  Bei  weiterer  Durch- 
forschung dürfte  es  sich  immer  mehr  zeigen,  dass  die  Zahl  der  allgemein  gebräuch- 
lichen Ausdrücke  im  Verhältnis  zu  dem  ganzen  gesammelten  Material  ver- 
schwindend gering  ist.  Erfreulich  ist  auch  M.'s  Vorsicht  gegenüber  den  Beiträgen 
aus  Witzblättern  (S.  100  Anm.  284). 

Ein  wichtiger  Nebenzweck  von  M.'s  Buch  ist  die  Werbung  immer  neuer  Mit- 
arbeiter unter  den  Feldzugsteilnehmern.  Der  kürzere  Fragebogen  des  Verbandes 
ist  am  Schlüsse  des  Buches  abgedruckt,  auf  den  umfassenderen,  der  jedem  Inter- 
essenten von  der  Wörterbuchkommission  der  K.  b.  Akademie  der  Wissenschaften, 
München,  Neuhauserstr.  51,  unentgeltlich  zugesandt  wird,  ist  ebenfalls  an  dieser 
Stelle  hingewiesen. 

Im  Schlusskapitcl  seines  Pouches  geht  M.  auf  die  Arbeiten  zur  Soldatensprache 
ein,  die  noch  der  Erledigung  harren,  so  vor  allem  auf  die  Sammlung  der  Soldaten- 
ausdrücke  bei  unscrn  österreichischen,  bulgarischen  und  türkischen  Bundesgenossen, 
wo  man  zum  grössten  Teil  kaum  über  die  ersten  Anfänge  hinausgekommen  ist. 
Wenn  irgendwo  auf  dem  Gebiete  der  Volkskunde,  so  ist  hier  schnelle  Inangriff- 
nahme der  S«nimel-  und  Sichtungsarbeit  geboten.  Dass  im  Barbarenlande  Deutsch- 
land alles  geschieht,  um  alles  rechtzeitig  unter  Dach  und  Fach  zu  bringen,  was 
das  für  so  weite  Kreise  anziehende  Gebiet  der  Soldatensprache  betrifft,  dafür  legt 
M.'s  Buch  als  Frucht  der  Tätigkeit  des  Verbandes  und  der  bayrischen  Akademie 
ein  hocherfreuliches  um!  vielversprechendes  Zeugnis  ab. 

Berlin -Pankow.  Fritz  Bo  ehm. 


Johu  Meier,  Volksliedstiuüen.     Strassburg,  Trübner  1917.     XI,  246  S.  8°. 

5,75  Mk.  (Trübners  Bibliothek  6.) 
Nachdem  der  Streit  um  den  Begriff  des  Volksliedes  lange  genug  gedauert 
hat,  sollen  methodisch  geführte  Einzeliintersuchungen,  wie  es  im  Vorw^orte  heisst, 
die  Erkenntnis  der  wichtigsten  allgemeinen  Lebenserscheinungen  und  Entwickelungs- 
vorgänge  bei  den  im  A^olke  umlaufenden  Liedern  fördern.  Da  John  Meier  seit 
vielen  Jahren  diese  Fragen  eingehend  studiert  und  über  ein  riesiges  Material  ver- 
fügt, dürfen  wir  die  von  ihm  angestellte  Probe  auf  seine  Definition  des  Volks- 
liedes mit  Spannung  erwarten.  Absichtlich  hat  er  nicht  Lieder  von  besonderem 
ästhetischen  Werte,  sondern  solche  von  grosser  Beliebtheit  ausgewählt. 

18* 


2(38  Büchevanzeigen. 

Die  erste  Untersuchung-  gilt  dem  Liede  'Stehe  ich  am  eisernen  Gitter'  (Erk- 
ßöhme  nr.  727),  in  welchem  ein  gefangenes  Mädchen  über  den  Tod  ihrer  Eltern 
und  die  Untreue  ihres  Geliebten  klagt,  aber  die  Ursache  ihrer  Haft  im  unklaren 
lässt.  M.,  der  die  153  von  ihm  benutzten  Aufzeichnungen  dem  Inhalte  nach  in 
2S  Gruppen  mit  verschiedenen  Unterabteilungen  gruppiert,  weist  Schritt  vor  Schritt 
nach,  dass  das  um  18-40  entstandene  Lied  nicht  auf  einem  wirklichen  Geschehnis 
beruht,  sondern  aus  verschiedenen  Dichtungen  des  18.  Jahrhunderts  nur  nach  dem 
Empfindungsgehalt  zusammengesungen  ist.  Den  Kern  bildet  eine  Waisenklage 
'Ach  ich  lebe  ganz  verlassen',  der  eine  Anfangsstrophe  aus  einem  Gefangenenliede 
und  Stücke  aus  'Ist  denn  Lieben  ein  Verbrechen',  aus  Millers  'Bester  Jüngling 
meinst  du's  ehrlich',  aus  Sands  Abschied  u.  a,  zugesellt  wurden.  Viele  Ver- 
änderungen im  Wortlaut,  im  Reim,  Zerdehnungen,  endlich  auch  Zusätze  aus  Ge- 
dichten von  Prutz,  Geibel,  aus  Bretzners  'Entführung  aus  dem  Serail'  und  Volks- 
liedern traten  hinzu,  das  Verbrechen  der  Eingekerkerten  ward  als  Ermordung  der 
Mutter  oder  des  Geliebten  bezeichnet;  aus  dem  Monologe  entwickelte  sich  ein 
Dialog,  an  die  Stelle  des  klagenden  Mädchens  trat  ein  gefangener  Jüngling  usw. 
Es  entsteht  somit  aus  zahlreichen  disparaten  Elementen  eine  neue,  abgerundete 
und  einen  organischen  Eindruck  machende  Einheit  (S.  85).  —  Zweitens  behandelt 
Meier  die  Ballade  'Es  gieng  einst  ein  verliebtes  Paar'  (Erk-Böhme  nr.  52).  In- 
dem er  die  mehrfach  behaupteten  Beziehungen  auf  wirkliche  Ereignisse  neuerer 
Zeit  abweist,  zeigt  er,  dass  die  kürzere  Passung  von  10  vierzeiligen  Strophen 
hervorgegangen  ist  aus  einer  längeren  von  9  achtzeiligen  Strophen,  in  der  ein 
gewerbsmässiger  Bänkelsänger  (in  Österreich?)  eine  katholische  Legende  darstellt: 
der  Jüngling  ersticht  seine  schwangere  Geliebte,  sinkt  aber  reuig  mit  einem  Gebet 
auf  die  Leiche  hin  und  stirbt;  Vögel  machen  die  Tat  kund,  und  die  Geistlichkeit 
lässt  das  Paar  an  jener  Stätte  ehrlich  begraben  und  eine  Kirche  erbauen.  Später 
verschiebt  sich  der  Schwerpunkt;  der  Mörder  wird  nicht  selig,  sondern  endet  in 
Verzweiflung  oder  wird  hingerichtet.  Mehifach  drängen  sich  andere  Legenden- 
motive (Stabwunder,  Gloekenläuten,  Grabeslilie)  und  Entlehnungen  aus  ähnlichen 
Mordballaden  ein.  Aus  einem  nicht  volksmässigen  Individuallied  ist  also 
schliesslich  ein  kürzeres  'Volkslied'  geworden.  —  Die  3.  und  4.  Studie  be- 
schäftigen sich  mit  Liedern  auf  zwei  historische  Persönlichkeiten  des  19.  Jahr- 
hunderts, Karl  Ludwig  Sand  und  Friedrich  Hecker.  Die  fünf  Lieder  auf  die  1819 
erfolgte  Ermordung  Kotzebues  sind  sämtlich  Monologe  Sands,  der  zu  seinen  Ge- 
nossen redet,  über  seine  Tat  berichtet  oder  vom  Leben  Abschied  nimmt.  Am 
beliebtesten  war  'Sands  Abschied  von  seiner  Geliebten',  der  ein  älteres  Duett  von 
Franziska  und  Joseph  'Ach  sieh  doch  die  bange  Stunde'  verarbeitet,  und  auf 
welchen  später  eine  'Antwort  der  Geliebten  an  Sands  Grabe'  Bezug  nimmt.  Wie 
hier  ein  älteres  Lied  auf  eine  bestimmte  Persönlichkeit  angewandt  und  umge- 
modelt wird,  so  ist  auch  1848  ein  1834  von  Sauerwein  verfasstes  'Lied  der  Ver- 
folgten' auf  den  Volksmann  Hecker  übertragen  w^orden,  der  noch  nach  zwei 
Menschenaltern  in  Süddeutschland  eine  merkwürdige  Popularität  geniesst.  Das 
von  Studenten  vielgesungene  Heckerlied  ironisiert  freilich  durch  seine  drastische 
Blutdürstigkeit  zugleich  die  Revolutionsstimmung,  wie  das  auch  ein  Lied  Nadlers 
(Seht,  da  steht  der  grosse  Hecker)  tut.  Aber  Heckers  Name  ist  bis  in  die  Vers- 
lein der  schwäbischen  und  badischen  Kinder  gedrungen.  Meier  stellt  S.  231  mit 
Recht  fest,  dass  bei  den  historischen  Liedern  meist  eine  starke  Benutzung 
früheren  Materials  oder  eine  Adaptierung  früherer,  auf  andere  Ereignisse  und 
Persönlichkeiten  gedichteter  Lieder  statttindet. 

Johannes  Bolte. 


Notizen.  269 


Xotizeii. 


W.  Ahi-ens,  Altes  und  Neues  ans  der  Unterhaltungsmathematik  (Berlin,  Julius 
Springer  1918)  S.  168—203:  'Die  Sator-Arepo-Formel'.  —  Klar  und  mit  kritischer  Schärfe 
handelt  A.  über  die  berühmte,  seit  dem  5.  Jahrhundert  auf  Amuletten  und  in  aber- 
gläubischen Gebräuchen  in  Europa  und  anderwärts  oft  begejrnende  Formel  (vgl.  oben 
•25,  240  f.  Hess.  Blätter,  f.  Volkskunde  13,  ln9.  Sacharov,  Skazanija  rus.  naroda  1885 
1,  9G.  Speranskij,  Rukopisi  P.  J.  Safarik  1894  S.  45.  Pamätky  archeologicke  14,  89), 
deren  merkwürdige,  eine  vierfache  Lesbarkeit  bewirkende  Buchstabenanordnung  offenbar 
•erst  den  Anlass  gegeben  hat,  ihr  eine  zauberhafte  Wirkung  zuzuschreiben.  Er  analysiert 
den  Aufbau  des  lunfzeiligen  Quadrates  im  Vergleich  mit  andern  Palindromen  (z.  B.  'Ein 
Neger  mit  Gazelle  zagt  im  Kegen  nie")  und  betrachtet  mit  überlegenem  Spott  die  viel- 
fachen vergeblichen  Versuche,  in  die  Spielerei  einen  mystischen  ^inn  hineinzulegen,  wie 
den  mit  Hilfe  des  Rösselsprunges  gefundenen:  'Pater  oro  te  —  sanas'  oder  die  kürzlich  in 
der  Vossischen  Zeitung  vom  5.  Mai  1917  verkündete  unmögliche  Verdeutschung:  'Der 
Säeniann,  der  seinen  Acker  bestellt,  betreut  die  Werke  der  Kirchenwelt.'  —  (J.  B.) 

Hermann  Beckh,  Buddhismus  (Buddha  und  seine  Lehre).  2  Bde.  (Sammlung 
-Göschen  174  und  770).  Leipzig  und  Berlin,  G.  J.  Göschen  1916.  147  und  142  S.  8".  gebd. 
je  1.20  Mk.  —  Wir  möchten  auf  dies  Buch  an  dieser  S'elle  hinweisen  besonders  wegen 
■der  ausführlichen  Darstellung  der  Buddhalegende  (Bd.  1,  25  —  80).  In  keiner  volks- 
tümlichen Behandlung  des  Buddhismus  sind  diese  wundervollen,  z.  T.  auch  volkstümlich 
interessanten  Erzählungen  mit  gleicher  Ausführlichkeit  und  Zuverlässigkeit  wiedergegeben 
-worden.  Der  1.  Band  behandelt  als  Ganzes  die  Person,  der  2.  die  Lehre  des  Buddha.  — 
(F.  B.) 

Berichte  aus  dem  Knopfmuseum,  Heinrich  Waldes  Sammlung  von  Kleider- 
verschlüssen, Jahrgang  2  (Redakteur  J.  Hofmann).  Prag-Wrschowitz  1917.  6  Bl.  71  S 
4'\  —  Vgl.  oben  S.  174. 

Martin  Böhme,  Das  lateinische  Weihnachtsspiel  ^Grundzüge  seiner  Entwicklung). 
Leipzig,  R.  Voigtländer  1917,  VIL  130  S.  4,50  Mk.  —  Die  Wcihnachtsspiele  unsres 
Volkes  wurzeln  in  den  gottesdienstlichen  Feiern  des  Weihnachtsfestes,  welche  die  mittel- 
alterliche Kirche  in  lateinischer  Sprache,  aber  zugleich  in  einer  für  die  Laien  sinnlich 
fasslichea  Weise  veranstaltete.  Der  Entwicklung  dieser  seit  der  Mitte  des  11.  Jahrh. 
bezeugten  Sitte  geht  die  vorliegende  Untersuchung  nach,  indem  sie  ausführlicher  als 
•Crcizenach  in  seiner  Geschichte  des  neueren  Dramas  einen  streng  gesetzmässigen  Gang 
zu  erweisen  trachtet.  Das  Hallelujahsiugen  an  der  in  der  Kirche  aufgestellten  Krippe, 
das  bereits  im  G.  Jahrh.  erwähnt  wird,  wurde  in  St.  Gallen  durch  Notkors  Tropus  ver- 
drängt, welche  den  textlosen  Sequenzen  geistliche  Texte  unterlegte.  Im  Nordosten 
Frankreichs  entstanden  nun  drei  Arten  von  Spielen,  die  sich  alsbald  auch  in  Deutschland 
verbreiteten:  das  Hirtenspiel  am  Weihnachtsabend,  das  Magierspiel  am  Epiphaniastagc 
und  das  Rachelspiel  am  Fest  der  unschuldigen  Kindltin  (-28.  Dez.).  Das  zuerst  nur  aus 
der  Vcrkündiguug  des  Engels  und  der  stummen  Anbetung  an  der  Krippe  bestehende 
Hirtenspiel  wurde  vervollständigt  durch  die  Antiphon  'Quem  vidistis'  und  durch  einen 
dem  Ostertropus  'Quem  quacritis'  nachgebildeten  Dialog  zwischen  den  Hebammen 
(obstetrices),  die  hinter  dem  die  Krippe  verdeckenden  Vorhange  hervortreten,  und  den 
Hirten.  Denselben  Bau  zeigt  das  Ma.üierspiel  von  Limoges:  1.  Sternszene,  2.  stumme 
■Oblation:  3.  Antiphon  'Puer  natus  est';  dazu  trat  die  Krippenszene  des  Hirtenspiels 
und  weiterhin  die  Einführung  des  Herodes  und  seiner  Hofleut<»,  Boten  und  Schrift- 
gelehrten:  hiermit  war  zugleich  ein  dramatischer  Konflikt  und  eine  freiere  Entfaltung  von 
Text  und  Mimik  gegeben.  Das  Rachelspiel  endlich  enthielt  in  seiner  einfachsten  Form 
ein  der  Apokalypse  (">,  9  entnommenes  Responsorium,  eine  Klage  der  Rahel  und  eine 
Tröstung  des  Engels,  wurde  aber  in  der  Folge  öfter  mit  dem  Magierspiele  verbunden.  — 
f  J.  B. 

Franz  Bell,  Sternglaube  und  Sterndeutung.  Die  Geschichte  und  das  Wesen  d««r 
Astrologie.  (Aus  Natur  und  Geisteswelt  Bd.  638).  Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubnor 
1918.     VIII.  108  S.  8".     1,50  Mk.  —  Die  Astrologie,    deren  Einfluss    auf   alle  Gebiete  des 


270  Notizen. 

menschliclien  Lebens  in  dem  vorliogenden  Buche  meisterliaft  klargelegt  wird,  hat  auch- 
A'oin  frühesten  Altertum  bis  in  die  Neuzeit  in  mancherlei  Gebräuchen  und  abergläubischen 
Vorstellungen  des  Volkes  ihren  Niederschlag  gefunden.  Deshalb  verdient  die  Schrift 
auch  an  dieser  Stelle  genannt  zu  werden.  Es  ist  hocherfreulich,  dass  ein  Gelehrter,  wie 
Boll,  es  unternommen  hat,  durch  das  äusserst  schwer  gaui^bare  Gebiet  einen  Weg  zu 
bahnen,  der  dem  I^eser,  der  Geduld  und  einige  Vorkenntnisse  besitzt,  einen  Einblick  in 
das  eigenartige  Gewirr  astrologischer  Spekulation  gestattet.  Von  Einzelheiten,  die 
gelegentlich  auch  in  unserer  Zeitschrift  behandelt  worden  sind,  sei  verwiesen  auf  das 
S.  4'4:ff.  über  Dürers  'Melancolia'  und  S.  61  über  die  Kometen  Gesagte.  —  (F.  B.; 

Die  deutschen  Brüder.  Die  Stämme  uTiscrer  Heimat  im  Spiegel  deutschen 
Schrifttums,  herausgegeben  für  die  Soldaten  im  Felde  vom  Champagne-Kamerad  (Feld- 
zeitung der  ?>.  Armee).  Verlag  des  Champagne-Kamerad.  Auslieftrung  in  Deutschland: 
Franckhsche  Verlagshandlang,  Stuttgart.  195  S.  8".  —  Die  Stammesverschiedenheit  der 
Deutschen  in  Lebensauffassung  und  Mundart  ist  Unzähligen  erst  in  diesem  Kriege,  der 
die  einzelnen  Stämme  zu  gemeinsamem  Werke  so  bunt  durcheinander  würfelt,  zum 
Bewusstsein  gekommen.  Das  vorliegende  hübsche  Buch  will  dazu  helfen,  dies  unmittelbare 
Erleben  deutscher  Stammeseigentümlichkeiten  zu  vertiefen  und  festzuhalten,  indem  es 
besonders  kennzeichnende  Proben  aus  dem  Schrifttum  der  einzelnen  Stämme  zusammen- 
stellt. Mit  Geschick  und  Geschmack  hat  0.  D  od  er  er  aus  der  Fülle  des  Stoffes,  von 
Walther  von  der  Vogelweide  bis  Hugo  von  HolTmannsthal,  Geeignetes  ausgewählt:  von 
ihm  stammen  auch  die  kurzen  Charakteristiken  und  bibliojiraphischen  Hinweise,  die  tür 
manchen  vielleicht  noch  in  ruhigeren  Tagen  ein  guter  AVegweiser  zu  klaren  Quellen  des 
Genusses  sein  werden.  Jedem  Abschnitt  ist  eine  kurze,  von  F.  v.  der  Leyen  ge- 
schriebene Stammescharakteristik  vorausgeschickt.  Das  auch  für  die  Heimat  wertvolle 
Büchlein  ist  ein  neuer  Beweis  lür  die  unermüdliche  und  segensreiche  Arbeit  einer  Anzahl 
unserer  Armeezeitungen,  unter  denen  der  Champagne-Kamerad  (Herausgeber  L.  Mnn- 
zinger)  eine  hervorragende  Stellung  einnimmt.  —  (F.  B.) 

H.  F.  Feilberg,  Skoen  som  retssymbol  (Stu'lier  tillegnade  Esaias  Tegnor  den 
13.  januari  1918.  Lund,  Berling  S.  37— 42).  —  Ein  Nachtrag  zu  Sartoris  Artikel,  oben 
4,  41. 

H.  F.  Feilberg,  Hundcns  testamente  Festskrift  til  Evald  Tang  Ktistensen  paa 
hans  halvtredsaarsdag  som  folkemindesamler  den  31.  december  1917.  K0benhavn,  Schen- 
berg  S.  11-28).  —  Verfolgt  das  von'Araalfl  (oben  4,428),  Debenedetti  (oben  24,  431) 
M.  a.  behandelte  Testament  des  Hundes  durch  verschiedene  Literaturen. 

G.  Gojertunl  K.Wolter,  Viämische  Sagen,  Legenden  und  Volksmürclien.  mit 
16  alten  Ansichten  herausgegeben.  Jena,  E.  Diederichs  1917.  VI[I,  214  S.  4,50  Mk.  — 
Die  beiden  Herausgeber  haben,  wie  der  Ostender  Stadtbibliothekar  Everaerts  in  seinem 
Geleitworte  berichtet,  ihren  Aufenthalt  in  Ostende  während  des  gegenwärtigen  Krieges 
dazu  verwandt,  unier  den  Märchen  und  im  Sagenschatzo  des  flämischen  Volkes  Umschau 
zu  halten,  für  dessen  Aufzeichnung  bereits  der  Kölner  J.  W.  Wolf  und  die  Hessin  Maria 
von  Plönnies  vor  70  Jahren  viel  getan  hatten.  Aus  ihren  Bemühungen  ist  eine  stattliche 
Auslese  von  ^geschichtlichen  Sagen,  Legenden,  Zauber-,  Geister-,  Gespenstergeschichten, 
Märchen  und  Spottgeschichten  des  Flamenvolkes  entstanden,  die  den  im  A^orwort  iius- 
besprochenen  Zweck  hoffentlich  erreichen  wird:  'Erkenne  im  Vlamen  den  deutschen 
Bruder,  gewinne  ihn  lieb  und  achte  ihn!'  Denn  zu  vielen  der  ansprechend  erzählten 
Geschichten  werden  dem  deutschen  Leser  bald  Seitenstücke  aus  unserer  Volksüberliefernng 
einfallen.  Für  die  richtifzc  Würdigung  von  einem  mehr  wissenschaftlichen  Standpunkte 
aus  wäre  es  allerdings  wünsciicnswort,  dass  die  Quellen  nicht  nur  summarisch,  sondern 
im  einzelnen  angegeben  worden  wären.  Es  ist  doch  nicht  gleichgültig,  ob  eine  Sage 
einem  Autor  des  13.  Jahrhunderts  nacherzählt  wird,  wie  die  S.  79  mitgeteilte  von  der 
Wiederkehr  der  toten  Jungfrau  (vgl.  oben  20,  3GG),  oder  ob  sie  im  Jahre  191 G  aus  dem 
Volksmunde  aufgezeichnet  ist,  wie  die  vom  deutschen  Unteroffizier  und  vom  spukenden 
Genter  Nachtwächter  (S.  150).  V^ermutlich  würde  sich  dann  auch  ergeben,  dass  das  flä- 
mische Original   der  Legende    vom    Muttergottesgläschen  (S.  74)    aus    einer  Grimmschea 


Notizen.  271 

Kiuderlegende  übersetzt  ist.  Da  das  Buch  den  ersten  Band  eines  von  P.  Zaunert  heraus- 
gegebenen Deutschen  Sagenschatzes  bildet,  erlauben  wir  uns,  diesen  leicht  zu  erfüllenden 
Wunsch  dem  Herausgeber  ans  Herz  zu  legen.  —  (J.  B.) 

Ueimatklänge.  Deutsche  Lieder  für  unsere  Kriegspefangeuen.  Herausgegeben 
von  Max  Friedlaender  und  .Johannes  Bolte..  Berlin,  Furche-Verlag  [1917].  98  S.  8\  — 
Einen  sinnif^en  Gruss  ans  der  Heimat  an  unsere  kriegsgefangenen  Brüder  bedeutet  das 
wunderhübsche  Büchlein,  das  die  beiden  bewährten  Kenner  unseres  Volksliedes,  unter- 
stützt von  Frl.  Ch.  Michaelis,  im  Auftrag  des  Deutschen  Studeutendienstes  von  1914 
herausgegeben  haben.  Über  hundert  unserer  schönsten  Lieder  sind  hier,  z.  T.  mit  Be- 
nutzung der  prächtigon  'Alten  und  neuen  Lieder'  des  Inselverlages,  zusammengestellt, 
mustergültig  in  der  Behandlung  der  Worte  und  der  Weisen,  die  beliebtesten  in  zwei- 
oder  vierstimmigem  Satz.  Trauer  um  verlorenes  Glück  wie  ungebeugter  Lebensmut  finden 
innigsten  Ausdruck,  so  dass  unsere  armen  Gefangenen  in  jeder  Stimmung  zu  diesem 
Tröster  greifen  können.  Einen  besonderen  Schmuck  bilden  die  herb- stimmungsvollen 
Scherenschnitte  von  Annemarie  Nägelsbach,  die  dem  Heft  beigegeben  sind.  ISiemand, 
der  Verwandte  und  Freunde  in  der  Gefangenschait  weiss,  sollte  versäumen,  ihnen  diese 
schöne  Gabe  zu  senden,  zur  Linderung  ihres  hoffentlich  bald  gewendeten  Loses  und  zur 
Ehre  unseres  deutschen  Liedes.  —  (F.  B.) 

A.  Heuslcr,  Axel  Olrik  (Archiv  für  neuere  Sprachen  136,  1—15).  —  Eine  eingehende 
warme  Würdigung  der  wissenschaftlichen  Tätigkeit  des  zu  früh  dahingeschiedenen 
dänischen  Gelehrten. 

A.  Hilka,  Neue  Beiträge  zur  Erzählungsliteratur  des  Mittelalters:  die  Compilatio 
singularis  exemplorum  der  lis.  Tours  468,  ergänzt  durch  eine  Schwesterhandschrift 
Bern  679  (90.  Jahresbericht  der  Schles.  Ges.  für  vaterl.  Kultur.  Breslau  1913).  24  S.  — 
Die  Wanderung  einer  Tiernovelle :  Die  undankbare  Mensch  und  die  dankbaren  Tiere. 
(Mitt.  der  Schles.  Gos.  f.  Volkskunde  17.  1915).  20  S.  —  Beide  Arbeiten  liefern  zur 
Geschichte  der  Erzählungsstoffe  wichtige  Beiträge;  die  erste  weist  verbreitete  Novellen 
bei  einem  französischen  Dominikaner  des  13.  Jahrh.  nach,  die  zweite  verfolgt  eine  indische 
Fabel  auf  ihrem  Wege  bis  in  deutsche    und  afrikanische  Volksmärchen.  —  (J.  B.) 

G.  0.  Hylten-Cavallius  och  G.  Stephens,  Svenska  Folksagor  samlade  och 
utgifna,  omarbetade  av  Elsa  Dj  urklou-Aschan,  med  teckningar  av  E.  Lundgren, 
1.-2.  delen.  Stockholm,  P.  A.  Norstedt  &  Söner  1915—1916.  5,50  Kr:  —  Das  vorliegende 
Buch,  welches  zum  orsten  Male  1844-1849  erschien,  war  die  erste  wissenschaftliche 
Sammlung  schwedischer  Volksmärchen  und  als  solche  mit  Erläuterungen  und  Hinweisen 
auf  heimische  und  ausländische  Seitenstücke  ausgestattet.  Die  neue  Ausj;abe  des  vor- 
treillichen  Werkes  geht  nicht  darauf  aus,  der  Wissenschaft  zu  dienen;  sie  lässt  die  An- 
merkungen fort,  verändert  die  Reihenfolge  und  stutzt  den  Text  und  die  Eechtschreibnng 
ein  w^nig  für  die  Jugend  zurecht.  Die  35  vollständigen  Nuniniern  des  ersten  Druckes, 
welche  zum  Teil  Varianten  zu  einem  und  demselben  Stoffe  darstellen,  sind  bunt  durch- 
einander gemischt  und  zum  Teil  mit  andern  Überschriften  versehen;  der  erste  Band  ent- 
hält die  ^rn.  9,  4b,  17b,  3a,  7b,  11,  19b,  3c,  5a,  Ib,  2b,  18,  6,  19c,  13,  22,  20,  14a,  der 
zweite  die  Nrn.  la,  10,  12,  21,  19a,  4a,  3d,  16,  14b,  2a,  8,  3b,  7c,  7a.  15,  17a,  ob.  Der 
hsl.  Nachlass  von  Hylten-Cavallius,  aus  dem  Clara  Stroebe  in  ihren  Nordischen  Volksmärchen 
(Jena  1915)  einige  Stücke  verdeutscht  hat,  wurde  hier  nicht  benutzt.  Die  recht  zierlichen, 
aber  für  den  skandinavischen  Volks-  und  Landschaftstypiis  nicht  gerade  bezeichnenden  Bilder 
Limdgrens  waren  schon  1871  einer  uns  unbekannt  gebliebenen  Neuauflage  beigegeben. 
Jedenfalls  freuen  wir  uns,  einen  Ersatz  für  die  sehr  selten  gewordene  Originalausgabe  zu 
erhalten,  zumal  da  die  deutsche  Übersetzung  Ob.erleitneri  ^Wien  1848)  unvollständig  ge- 
blieben ist.  —  (J.  B.) 

A.  Ippel,  Wilna-Minsk,  Altertümer  imd  Kunstgewerbe.  Fülirer  durch  die  Ausstellung 
der  Zeitung  der  10.  Armee.  Wilna  1918.  39  S.  —  Was  sich  von  der  Kleinkunst  Wilnas 
des  16.— 18.  Jhs.  an  versteckten  Stellen  erhalten  hat,  hat  deutscher  Forschersiun  hcrvor- 
gezoiitn  und  zu  einem  Bilde  vereinigt,  in  welchem  mehrfach  starker  deutscher  Einfluss 
sichtbar  wird.  —  (J.  ß.) 


272  Notizen. 

Kristofer  Jauson,  Framande  eventyr  som  taletekster.  Kristiania  og  K0benhavD, 
Gyldendal  191G.  158  S.  3  Kr.  —  Ein  feinsinniger  Schriftsteller  bietit  der  norwegischen 
Jugend  ein  Dutzend  Märcheti  aus  der  Weltliteratur  in  einer  Nacherzählung  dar,  um  daran 
Betrachtungen  über  die  in  ihnen  enthaltene  Lebensweisheit  zu  knüpfen.  Bisweilen  gehen 
diese  Auslegungen  auch  auf  die  historischen  Voraussetzungen  der  Erzählungen,  wie  die 
altägjptischen  Märchen  oder  der  christlichen  Legenden  vom  h.  Christophorus  und  vom 
Jesusknaben  mit  den  Lehmvögeln,  ein,  aber  von  der  eigentlichen  wissenschaftlichen 
Märchenforschung  halten  sie  sich  fern.  Als  Vertreter  der  deutschen  Märchen  erscheinen 
'Die  Sterntaler'  und  'Der  Arme  und  der  Kelche'.  —  (J.  B.) 

0.  L.  Jiriczek,  Seifriedsburg  und  Seyfriedsage,  eine  Sagenstudie  in  Archiv  und 
Gelände  (Archiv  des  histor.  Vereins  für  Unterfranken  59,  1—16.  VVürzburg  1917).  — 
Zu  den  seltenen  Fällen,  in  denen  ein  Rest  deutscher  Heldensage  an  eine  bestimmte 
Örtlichkeit  geheftet  im  Volksmunde  fortlebt,  gehört  die  Ortssage  des  unterfränkisclien 
Kirchdorfes  Seifriedsburg.  Dieser  in  einer  Waldrodung  nicht  weit  vom  Einiluss  der  frän- 
kischen Saale  in  den  Main  gelegene  Ort  wird  schon  1158  als  Sigefridesburg  genannt, 
enthält  aber  keine  Reste  einer  Ritterburg  und  wird  seinen  Namen  von  einer  primitiven 
Herrenhofsiedelung  bezogen  haben  und  nicht  von  einem  in  der  Nähe  befindlichen  früh- 
mittelalterlichen Ringwalle,  der  jetzt  als  das  'alte  Schloss'  bezeichnet  wird  und  in  dessen 
Nähe  eine  Lindwurm  genannte  Wiese  liegt.  Der  Dorfname,  dem  keine  Burg  im  Dorfe  mehr 
entsprach,  leitete  im  15. — 16.  Jahrhundert  die  Phantasie  darauf,  in  den  Wallresten  jener 
Fluchtburg  die  Ruinen  eines  zerstörten  Sclilosses  zu  erblicken,  dessen  Untergang  aus  dem 
durch  Bänkelsänger  verbreiteten  Liede  vom  hürnen  Seylried  erklärt  wurde.  Wie  Bader 
1835  und  Panzer  1848  berichten,  war  Säufritz  der  Knecht  eines  Sauhirten;  durch  öfteres 
Baden  im  Wasser  der  'Lingwurm wiese'  wurde  er  so  hart,  dass  ihm  keine  Waffe  schaden 
konnte;  er  verrichtete  in  der  Fremde  Heldentaten,  kehrte  mit  grossen  Schätzen  zurück 
und  erbaute  die  Sänfritzburg,  die  später  durch  einen  Wolkenbruch  umgerissen  wurde. 
Zu  diesem  einleuchtenden  Ergebnis  gelangt  die  auf  sorgsamer  Sammlung  und  kritischer 
Verwertung  aller  archivalischen,  topographischen  und  sagengeschichtlichen  Zeugnisse  be- 
ruhende Untersuchung.  —  (J.  B.) 

Sten  Konow,  Indien  (Aus  Natur  und  Geisteswelt  Bd.  614).  Leipzig  und-  Berlin, 
B.  G.  Teubner  1917.  130  S.  8'.  gebd.  1,50  Mk.  —  In  der  unter  der  Masse  des  zusammen- 
gepressten  Stoffes  fast  erstickenden  Darstellung  bietet  der  Abschnitt  'Religion'  mancherlei 
volkskundlich  Wichtiges.  In  der  Übersicht  über  die  geschichtliche  Entwicklung  werden 
die  Fabel-  und  Märchensammlungen  (Dschätaka,  Pantschatantra,  Sukasaptati  u.  a.)  kurz 
besprochen.  —  (F.  B.) 

P.R.Krause,  Die  Türkei  (Aus  Natur  und  Geisteswelt  Bd.  4G9).  2.  Aullage.  Mit 
■2  Karten  im  Text  und  1  Tafel.  Leipzig  uud  Berlin,  B.  G.  Teubner  1918.  134  S.  8". 
Gbd.  1,50  Mk.  —  Die  in  Jahresfrist  nötig  gewordene  Neuauflage  des  oben  26,  415  au- 
gezeigten Buches  trägt  den  inzwischen  eingetretenen  Veränderungen  (Ersetzung  der  Kapi- 
tulationen durch  die  neuen  Rechtsverträge  mit  dem  Deutschen  Reich,  Neuordnung  des 
Unterrichtswesens  u.  a.  m.)  Rechnung.  Der  die  Volkskunde  berührende  Abschnitt  ist  im 
wesentlichen  unverändert  geblieben.  —  (F.  B.) 

K.  Krohn,  Kaleva  und  seine  Sippe  (Journal  de  la  soc.  finno-ougrienne  30).  43  S.  — 
K.  sucht  in  Kaleva,  dessen  Name  schon  1223  in  der  russischen  Bezeichnung  von  Reval 
Kolyvan  auftritt,  und  in  andern  Helden  der  finnischen  Mythologie  skandinavische  Häupt- 
linge, die  in  vorchristlicher  Zeit  in  Finnland  herrschten. 

Edvard  Lehmann,  Mystik  in  Heidentum  und  Christeutum  (Aus  Natur  und  Geistes- 
welt Bd.  217).  Vom  Verfasser  durchgesehene  Übersetzung  von  Anna  Grundtvig.  2.  Auf- 
lage. Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubner  1918.  144  S.  8".  Geb.  1,50  Mk.  —  Die  Neu- 
auflage ist  von  der  ersten  nicht  wesentlich  verschieden.  Bei  der  Darstellung  der  grie- 
chischen Mystik  vermisst  man  ein  näheres  Eingehen  auf  die  offiziellen  Mysterienkulte, 
vor  allem  den  eleusinischen.  Die  Übersetzung  gibt  die  äusserst  lebendige  und  interessante 
Schreibart  des  berühmten  dänischen  Religioushistorikers  vorzüglich  wieder.  —  (F.  B.) 


Notizen.  273 

J.  Lewalter,  Reichswacht.  Soldaten-,  Matrosen-  und  Vaterlandslieder,  hsg.  Kassel, 
M.  Brunnemann  1918.  352  S.  —  Hier  schenkt  nns  Lewalter,  der  treffliche  Kenner  des 
deutschen  Volksliedes,  dem  wir  bereits  die  Sammlungen  der  niederhessischen  Volkslieder 
und  der  Kinderlieder  und  Kinderspiele  aus  Hessen  verdanken,  ein  Kriegsliederbuch,  das 
Beachtung  verdient.  Es  ist  Rudolf  Herzog  gewidmet  und  enthält  im  bunten  Gemisch, 
wie  es  das  heftweise  l-h-scheinen  während  der  vier  Kriegsjahre  mit  sich  brachte,  gegen 
400  alte  Balladen  und  Liebeslieder  und  neue  Kriegsdichtungen  von  Ganghofer,  Dehmel, 
Löns  und  vielen  anderen,  ernste  und  lustige,  samt  den  Singweisen.  Eine  gewiss  manchen 
willkommene  Neuerung  ist  die  Aufnahme  der  den  beliebten  Märschen  und  Signalen  unter- 
gelegten Teste. 

Fr.  v.  der  Leyen,  Das  deutsche  Märchen.  Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1917.  40  S. 
0,<)0  Mk.  —  Für  einen  grossen  Kreis  von  Empfänglichen,  besonders  die  Schüler  höherer 
Lehranstalten,  schildert  der  treffliche  Kenner,  dem  wir  bereits  mehrere  gelehrte  und 
volkstümliche  Schriften  über  denselben  Gegenstand  verdanken,  das  Wesen  unsers  Märchens, 
in  dem  unseren  Kindern  zum  ersten  Male  deutscher  Geist  und  deutsche  Kunst  entges^en- 
tritt.  Aus  dem  Vollen  schöpfend,  legt  er  klar  seine  Unterschiede  von  den  verwandten 
Gattungen  der  Sage,  des  Schwankes,  der  Legende  und  Fabel,  die  urzeitlichen  Elemente, 
das  Streben  nach  Gliederung  Dreizahl)  und  die  fortwährende  Verschiebung  der  Motive 
dar.  Auf  die  Heldendichtung  des  6.-8.  Jahrh.  folgt  die  Periode  der  Spielleute,  das  Ein- 
dringen antiker,  jüdischer,  keltischer,  indisclier  Stoffe  im  Mittelalter  und  arabischer  und 
französischer  im  17.— 18.  Jahrhundert.  Als  Feinde  des  Märchens  traten  der  Humanismus 
und  die  Aufklärung  auf.  —  (J.  B.) 

John  Meier,  Das  deutsche  Soldatenlied  im  Felde.  Strassburg,  Trübner  1910. 
76  S.  8".  (Trübners  Bibliothek  4.)  —  Das  hübsche  Büchlein  ist  ein  Ergebnis  der  Um- 
frage, die  das  Frciburger  Volksliedarchiv  und  einige  Freunde  während  des  Krieges  an- 
stellten. Der  Verf.  beginnt  mit  der  allgemeinen  Erfahrung,  dass  die  in  längst  vertrauten 
Liedern  verherrlichten  Begriffe  Heimat,  Vaterland,  Ergebung  in  den  göttlichen  Willen 
jetzt  bei  den  Kämpfern  eine  viel  tiefere  Bedeutung  erhalten  liaben.  Der  Soldat^ngesang 
stärkt  ferner  nicht  nur  das  Gemeiniamkeitsgefühl,  sondern  entladet  auch  die  Empfindungen, 
denen  Worte  zu  geben  der  Mann  aus  dem  Volke  sich  oft  scheut.  Die  Sangesfreudigkeit 
ist  ein  wichtiger  Gradmesser  für  den  in  der  Truppe  lebenden  Geist;  denn  der  Soldat 
singt  auf  dem  Marsche  und  im  Quartier  nui-,  was  er  wirklich  fühlt,  vor  allem  also 
Lieder  voll  Sehnsucht  nach  der  Heimat,  nach  einem  Siege  religiöse  und  Vaterlandslieder ; 
junge  Truppen  aus  studentischen  Kreisen  sind  auch  singend  zum  Angriff'  vorgestürmt. 
Auffällig  tritt  das  kräftige  ältere  Soldatenlied  zurück  hinter  modernen  tränenreichen 
Schilderungen  eines  auf  dem  Schlachtfelde  verblutenden  Kriegers  oder  der  jammernden 
Angehörigen  daheim.  Dazu  gehört  auch  das  sich  an  ältere  Vorbilder  anlehnende  Lied 
vom  Argonnerwald  (S.  ?)7).  Überhaupt  modelt  man  lieber  einen  alten  Text  zeitgemäss 
um,  als  dass  man  einen  neuen  lernt:  auch  statt  der  neuen  Weise  legt  man  Heber  dem 
neuen  Text  eine  alte  Melodie  unter.  M.  gibt  ferner  Beispiele  einzelner  Regimentslieder 
und  zeigt,  dass  der  Rhythmus  auf  dem  Marsche  Verschiebungen  erleidet;  der  Wunsch, 
das  Marschlied  zu  verlängern,  führt  zur  Einschiebung  von  Kehrzeilen,  die  meist  einem 
zweiten  Chore  zufallen  ;  diese  Kehrreime  und  ihre  Weisen  entstammen,  wie  an  verschie- 
denen Fällen  nachgewiesen  wird,  gewöhnlich  anderen  bekannten  Liedern.  Zur  Geschichte 
des  Dünkirchener  Glockenspiels  (S.  58    vgl.  oben  19,  418.  —  (J.  B.) 

C.  Nörrenberg,  Die  Schwarzbrotgrenze  (Eifelvereiasblatt  19,  31—32). 

H.  Patzig,  Die  Verbindung  der  Sigfrids-  und  der  Burgundensage.  Dortmund, 
Ruhfus  1914.  49  S.  —  Durch  Heranziehung  der  Ortsnamen  will  P.  den  norddeutschen  Ur- 
sprung der  skandinavischen  Sage  von  den  Weisungen  und  Hundingen  nachweisen.  Diese 
beeinflusste  die  Verbindung  der  süddeutschen  Burgunden-  und  der  norddeutschen  Sigfrids- 
sage  zur  Nibelungensage.  Die  Nibelungen  wohnten  an  dem  schwäbischen  Flusse  Nibel, 
so  nannte  man  in  Norddeutschland  die  Burgunden.  Züge  Sigfrids  sind  auf  den  dänischen 
Wiking  Helge  übertragen.     Die  Schrift  verdient  eine  genaue  Prüfung, 

Robert  Petsch,  Das  deutsche  Volksrätsel.  Strassburg,  K.  J.  Trübner  1917.  V,  88  S. 
2,50  Mk.    Grundriss  der  deutschen  Volkskunde,  herausgegeben  von  John  Meier,  1).  —  Das 


274  Notizen. 

erste  Heft  eines  von  einem  berühmten  Forscher  geleiteten  Grundrisses  unserer  Wissen- 
schaft begrüssen  wir  mit  grosser  Genugtuung,  Für  die  Behandlung  des  Rätsels  war 
Petsch  schon  durch  mehrere  Studien,  die  er  im  Jahre  1899  erscheinen  Hess,  vorbereitet, 
wenn  er  auch  im  Vorworte  bedauert,  durch  den  Krieg  an  der  Ausnutzung  seiner  Vor- 
arbeiten und  an  einem  Abschluss  aller  Untersuchungen  gehindert  zu  sein.  Die  Anfänge 
der  Gattung  verlieren  sich,  wie  das  erste  der  fünf  Kapitel  andeutet,  im  Dunkel  der  Vor- 
zeit und  knüpfen  an  die  indische  Opfersymbolik  im  Eigveda,  die  germanische  Eunen- 
weissagung,  die  bei  den  nordischen  Skalden  üblichen  Keiiningar  und  die  Rätselmärchen 
aii.  Das  2.  Kapitel  skizziert  die  verschiedenen  Fornien  des  mittelalterlichen  Rätsels,  die 
gelehrte  und  volksmässige  Einwirkung,  die  lateinischen  Fassungen,  die  Bildung  von 
Rätselreihen,  Dialogen,  Streitgedichten  und  Wettliedern,. die  Verwendung  der  vierzeiligen 
Strophe,  um  dann  auf  die  gedruckten  Eätselbüchlein  seit  1500  hinzuweisen.  Es  folgt  ein 
Überblick  über  die  Formen  der  deutschen  Volksrätsel  und  eine  Bibliographie,  beides 
nützlich,  aber  doch  nicht  in  erwünschter  Ausführlichkeit.  Zu  deutliclier  Charakteristik 
wären  hier  grössere  Proben  nötig  gewesen,  als  die  rasch  fortschreitende,  oft  nur  an- 
deutende Darstellung  ermöglicht;  für  die  Bibliographie  hat  bereits  Reuschel  in  der  Dt. 
Literaturzeitung  1917,  1038  Nachträge  geliefert.  Für  einen  Grundriss  dürften  überhaupt 
dogmatisch  ausgeprägte  Paragraphen  förderlicher  sein  als  die  Form  der  vorsichtig 
tastt-nden  Untersuchung,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  später  einige  voreilig  formulierte  Sätze 
wieder  umstossen  zu  müssen.  Trotzdem  gebührt  dem  anregenden  Büchlein  unser 
Dank.  —  (J.  B  ) 

Marie  Ramondt,  Karel  ende  Elegast  oorspronkelijk  ?  Proeve  van  toegepaste 
sprookjeskunde.  Utrecht,  A.  Oosthoek  1917.  VIII,  139  S.  kl.  4o  (Ütrechtsche  bijdragen 
voor  letterkunde  en  geschicdenis  12\  —  In  dem  anziehenden  mittelniederländischen  Ge- 
dicht von  Karl  und  Elegast,  das  Benary  oben  23,  299  unsern  Lesern  vorführte,  erblickt 
Kalff  in  seiner  großen  Geschichte  der  niederländischen  Literatur  keine  blosse  Übersetzung 
eines  verlorenen  französischen  Epos,  sondern  eine  verhältnismässig  selbständige  Dichtung. 
Diese  Ansicht  sucht  Fräulein  Ramondt  in  der  vorliegenden  scharfsinnigen,  allerdings  nicht 
ganz  glücklich  disponierten  Schritt  vermittels  einer  Stoffvergleichung  zu  erweisen.  Sie 
geht  nicht  von  den  räumlich  und  zeitlich  naheliegenden  Seitenstücken  aus,  sondern  zieht 
zuerst  ein  russisches,  mongolisches  und  litauisches  Märchen  heran,  in  denen  sich  einzelne 
Elemente  des  niederländischen  Gedichtes  -wiederfinden,  während  sie  die  von  Ühlenbeck 
beigebrachte  liyline  von  Volch  Vseslavjevic  zurückweist.  Wichtiger  ist  der  Charakter 
des  Hauptheldeii ;  Elegast,  der  mit  König  Karl  stehlen  geht,  ist  kein  gewöhnlicher  Dieb, 
sondern  ein  Geächteter  mit  Züyen  von  Hochherzigkeit  wie  Fulko  Fitz  VVarin  und  Eobin 
Hoüd,  dem  auch  Geschicklichkeit  und  Zauberkunst  eigen  ist.  Eine  Gleichsetzung  Elbe- 
gasts mit  dem  namensv^rwandten  Alberich-Auberon  oder  Eligas  von  Eiuzen  (im  Ortnit) 
wird  abgelehnt,  andere  Diebe  der  altfranzösischen  Heldensage  wie  Maugis,  Grimmoncr, 
Basin  erfahren  sorgsame  Beleuchtung.  Aus  den  historischen  Zeugnissen  endlich  schliesst 
die  Vf.,  dass  zwei  verwandte  Diebessagen  bestanden,  eine  östlich  der  Maas  lokalisierte 
von  Basin  und  eine  am  Eheine  heimische  von  Elegnst;  das  niederländische  Gedicht  von 
Elegast  folgte  in  durchaus  freier  Weise  der  verlorenen  französischen  Chanson  von  Basin. 
Diesem  Ergebnis  kann  man  zustiuimen,  während  andere  Annahmen,  wie  der  Einlluss  des 
Märchens  von  Corvetto  (BoIte-PoHvka,  Anmerkungen  zu  Grimm  3,  33  oder  die  mit 
aller  Vorsicht  ausgesprochene  Unabhängigkeit  des  mongolischen  und  andrer  Märchen 
vom  Elegast  (ebd.  3,  393)  Bedenken  erregen.  —  J.  B. 

K,  Eeuschel,  Die  deutsche  Volkskunde  im  Unterricht  an  höheren  Schulen.  Berlin 
0.  Salle  1917.  70  S.  (Deutschunterricht  und  Deutschkunde,  hsg.  von  K.  Bojunga, 
Heft  2).  —  Wie  das  deutsche  \olkstum  als  ein  wichtiger  Bestandteil  im  Unterricht 
herangezogen  und  verwertet  werden  kann,  hat  E.  Hildebrand  schon  vor  50  Jahren  in 
musterhafter  Weise  gezeigt ;  Dähnhardt,  Beyschlag,  E.  Ilofmann,  Hoffmaun-Krayer  u.  a. 
sind  seit  1899  mit  verschiedenen  Vorschlägen  hervorgetreten,  die  neu  aufgeblähte  Wissen- 
schaft der  Volkskunde  für  die  Schule  nutzbar  zu  machen.  Ihnen  reiht  sich  Reuschel 
mit  einer  sorgsam  erwogenen  Übersicht  über  die  Verbindungen  an,  die  nicht  nur  der 
deutsche  Unterricht,  sondern  auch  die  Geschichte  und  Erdkunde,  die  Religion,    die  alten 


Notizen.  275 

und  neuen  Spracheu,  die  Naliirwisseiischaft,  endlich  Zeichnen,  Singen  und  Turnen  mit 
der  Volkskunde  eingehen  könnten  und  sollten.  Gute  Beispiele  und  reiche  Literatur- 
angaben heieben  die  Darstellung.  —  (J.  B.) 

Helge  Rosen,  Om  dödsrike  och  dödsbruk  i  fornnordisk  religion.  Akadernisk 
avhandlung.  Lund,  Gleenip.  1918.  XII,  252  S.  8\  —  Aus  heutigen  Volkshräuchen  sucht 
der  Vf.  das  Verständnis  für  die  altnordischen  Anschauungen  vom  Totenreich  und  Toten- 
bräuchen zu  gewinnen  und  gebt  dabei  auf  Grund  eines  reichen  Materials  besonnen  und 
vorsichtig  zu  Werke.  Er  setzt  erstens  die  Vorstellungeu  der  Edda  von  verschiedenen 
Wolinorten  der  Toten  in  Beziehung  zu  den  verschiedenen  Arten  der  Bestattung  von  ein- 
zelnen, von  ganzen  Familien,  gefallenen  Kriegern,  Verunglückten,  Unverheirateten, 
Wöchnerinnen.  2.  Die  mehrfach  bezeugte  Vorstellung  einer  Toteninsel  liegt  nicht,  wie 
Stjerna  1905  behauptete,  der  skandinavischen  Sitte,  Häuptlinge  in  einem  Schiffe  zu  be- 
graben, zugrunde.  3.  Was  flüsterte  Odin  laut  Vaff)rül)nibmyl  54  dem  toten  Balder  ins 
Ohr?  Vermutlich  sollte  der  längst  bestehende  Brauch  erklärt  werden,  dass  man  dem 
Toten  zuflüsterte:  Kehre  nicht  wieder!  4.  Zur  Ausrüstimg  des  Toten  gehören  dauer- 
hafte Schuhe:  bisweilen  wird  der  Leiche  ein  Schuh  nachgeworfen;  der  Leiche  werden 
die  Füsse  zusammengebunden.  5—6.  Verschiedene  Erklärungen  für  die  Sitte,  hinter  dem 
Leichenwagen  Wasser  ausmgiesseu  oder  den  Toten  durch  einen  besonderen  Ausgarg 
hinauszutragen.  7.  Die  Eberesche  im  Totenkultus  (vgl.  Schell  oben  22,  181).  Anhang: 
über  den  Glauben  an  Folgegeister  (fylgja).  —  (J.  ß.) 

Friedrich  Schwenn,  Die  Menschenopfer  bei  den  Griechen  und  Römern.  (Reli- 
gionsgeschichtliche Versuche  und  Vorarbeiten,  hsg.  v.  R.  Wünsch  und  L.  Deubncr,  XV.  Bd. 
3.  Heft.)  Gießen,  Alfred  Töpelmann  1915..  VII,  202  S.  S^  7  Mk.  —  Der  Verf.  gibt  zu- 
nächst eine  geschichtliche  Übersicht  über  die  Älenschenopfer  (Mogk,  Preuß  u.  a.),  bespricht 
sodann  die  für  die  Griechen  als  tatsächlich  vollzogen  überlieferten  sowie  angebliche 
Menschenopfer  und  gibt  sodann  eine  Übersicht  über  die  Geschichte  des  Brandes  in 
Griechenland  und  das  Motiv  der  Menschenopfer  in  den  Sagen.  Im  zweiten  Teile,  der  die 
römischen  Verhältnisse  behandelt,  herrscht  ein  anderer  Einteilungsgrundsatz,  es  werden 
hier  zunächst  die  mit  dem  Kriegswesen  zusammenhängenden,  dann  andere  römische 
Menschenopfer  besprochen,  darauf  ist  die  Rede  von  der  Stellvertretung  im  Menschen- 
opfer, der  Opposition  gegen  den  Brauch  und  dessen  Fortleben  im  Aberglauben.  Ist  auch 
dem  Verfasser  zuzugeben,  dat^s  griechische  und  römische  Religion  getrennt  zu  behandeln 
ist,  so  hätte  doch  die  Übersichtlichkeit  des  Buches  gewonnen,  wenn  gewisse  allgemeine 
Fragen,  wie  die  Stellvertretung,  zusammenfassend  behandelt  worden  wären.  Ein  weiteres 
Eingehen  auf  Einzelheiten  verbietet  sich  an  dieser  Stelle.  Das  Tatsachenmaterial  ist  mit 
ziemlicher  Vollständigkeit  zusammengestellt,  in  der  Theorie  wäre  manches  einzuwenden, 
obwohl  sich  der  Verf.  vor  der  Gefahr  gehütet  hat,  alle  Erscheimmgsformeu  des  Brauchs 
aus  einer  Wurzel  herzuleiten.  Immerhin  scheint  nur  von  der  Tabulchre  ein  allzu  reich- 
licher Gebrauch  gemacht  worden  zu  sein,  zumal  im  2.  Teile.  Zu  erweisen  wäre  ferner 
erst  der  S.  19  aufgestellte  Satz,  dass  in  vorgeschichtlicher  Zeit  die  Menschenopfer  viel 
häufiger  gewesen  und  nicht  als  Ausnahmefall  betrachtet  worden  seien.  —  S.  12  Z.  8  v.  u. 
1.  Boarium  st.  Romanum  S.  7L  Z.  11  v.  u.  Monimos  st.  Mouismos,  S.  70  Z.  14  ist  oTÖnuy/K 
irrtümlich  mit  „Hals"  übersetzt.  —  F.  B. 

F.  Settegast,  Das  Polypheramärchen  in  altfranzösischen  Gedichten,  eine  folkloristisch- 
literargeschichtliche  Untersuchung.  Leipzig,  Harrassowitz  1917.  III,  167  S.  —  Die  Er- 
mittlung der  Märchenmotive,  welche  den  höfischen  Epen  des  12.-13.  Jahrh.  zugrunde 
liegen,  ist  eine  wichtige,  aber  nicht  ganz  leichte  Aufgabe.  Der  Vf.  gehört  zu  den  Ge- 
lehrten, welche  einen  weitgehenden  EinÜuss  der  antiken,  also  vorzugsweise  griechischen 
Mythologie  auf  die  altfranzösische  Epik  ann>-hmen :  und  daher  musste  ihn  das  uralte  und 
weitverbreitete  Märchen  von  der  Blendung  Polyphems,  das  zuletzt  von  Hackman  (oben 
15,  460)  ausführlicher  behandelt  wurde,  besonders  anziehen.  Seine  interessante  und  ein= 
gehende  Untersuchung  zerfällt  in  sieben  Kapitel,  die  freilich  nicht  alle  zu  übei zeugenden 
Ergebnissen  gelangen.  Gleich  Hackman  nimmt  er  im  1.  Kapitel  früheren  Forschern 
gegenüber  mit  Recht  an,  dass  die  im  19.  Jahrhundert  aufgezeichneten  Volksmärchen 
letzten  Endes  sämtlich  auf  die  Erzählung  der  Odyssee  zurückgehen,    weun   auch  oft  eine- 


•276  Notizen. 

Mischung  mit  dem  Perseus-,  Thestnis-  oder  Hansel  und  Gretel-Märchen  eingetreten  ist. 
Sehr  künstlich  erklärt  er  aber  den  Ring,  den  der  geblendete  Eiese  in  verschiedenen 
Fassungen  dem  entfliehenden  Helden  reicht,  um  ihn  am  Entkommen  zu  hindern,  als  ein 
Symbol  der  leuchtenden  Sonne,  die  auch  nach  der  Zerstörung  des  Stirnauges  fortlebe 
(S.  23.  153).  Im  2.  Kapitel  folgt  die  auf  eine  orientalische  Quelle  weisende  Erzählung 
im  Dolopathos,  deren  deutsche  Bearbeitung  dem  Vf.  entgangen  ist  (Rolte-Polivka,  Märchen- 
Anmerkungen  0,  3G9  nr.  191a).  Sicheren  Boden  haben  wir  auch  im  5  und  7.  Kapitel 
unter  den  Füßen.  In  jenem  handelt  S.  von  einer  Epi-5ode  im  Roman  de  Troie  des 
Bcuoit  de  Sainte-More,  die  auf  einer  von  der  Argonauteusage  beeinflussten  Notiz  bei 
Dictj-s  Cretensis  beruht:  Poliphemus  verfolgt  den  Alphenor,  einen  Gefährten  des  Ulixes, 
der  seine  Schwester  Arene  entführt  hat,  und  wird  bei  dieser  Gelegenheit  im  Dunkel  der 
Nacht  von  Ulixes  geblendet.  Hier  ist  also  alles  Märchenhafte  getilgt ;  der  riesenhafte 
Menschenfresser  ist  in  einen  Fürstensohn  gewöhnlicher  Art  verwandelt,  der  keine  homeri- 
schen Züge  mehr  trägt.  Unmittelbare  Kenntnis  der  Odyssee  verraten  dagegen  zwei  im 
7.  Kapitel  besprochene  Stellen  von  Bojardos  'Orlando  innamorato':  die  Befreiung  der 
von  einem  blinden  menschenfressenden  Riesen  gefangenen  Jungfrau  Lucina  durch  Mandricardo, 
dessen  Schiff  dann  durch  den  vom  Riesen  geschleuderten  Felsen  beinahe  versenkt  wird, 
und  der  Kampf  Rolands  mit  dem  einäugigen  Riesen,  der  vier  Mönche  bis  auf  einen  ver- 
zehrt hat.  Später  hat  Ariost  die  Lucina  Episode  durch  eine  Vorgeschichte  ergänzt.  — 
Können  wir  diesen  Darlegungen  des  Vf.  im  allgemeinen  zustimmen,  so  stehen  wir  dem 
3.,  4.  und  6.  Kapitel,  die  einen  Einfluß  des  Polyphem-Märchens  auf  den  Huon  de  Bor- 
deaux, den  Chevalier  au  Hon  und  den  Bueve  de  Hanstone  nachzuweisen  suchen,  mit  ge- 
lindem Zweifel  gegenüber.  Die  wunderlichen  Metamorphosen  des  Stoffes  durch  Verbin- 
dung mit  alkn  möglichen  anderen  Motiven,  die  S.  hier  annimmt,  sind  zwar  denkbar, 
aber  keineswegs  erwiesen.  Auch  die  S.  119  vorgetragene  Etymologie  der  Namen  Ivorin 
=  Hyperion  und  Azopart  =  Acthiops  oder  Sciopus  scheint  bedenklich.  Kachinprüfen 
wären  die  Bemerkungen  über  die  verlorene  lateinische  Odysseebearbeitung  (S.  39.  122) 
uni  über  die  Verwandtschaft  des  Menschenfressers  Polyphem  mit  dem  Sonnengotte  (S.  32. 
161\  Zu  dem  Hunde  des  Odysseus  S.  38  vgl.  Zs.  f.  vgl.  Literaturgeschichte  9,  36S  und 
Romauia  15,  572  v.  510;  zu  der  vom  Riesen  gefangen  gehaltenen  Jungfrau  S.  57  hätte 
Ovids  Schilderung  von  der  Liebe  Polyphems  zur  Nymphe  Galatea  (Met.  13,  789)  ange- 
führt werden  können.  —  (J.  B.) 

K.  ^Yehrhan,  Abfassung,  Änderung  und  Wanderung  von  Kriegsgedichten;  ein 
Beitrag  zur  Volkspsychologie  und  Volksdichtung  (Vierteljahrschrift  f.  Volkskunde, 
München  1917).  45  S.  —  Zahlreiche  Zeugnisse  aus  den  letzten  Jahren  erweisen,  dass  der 
Begriff  des  geistigen  Eigentums  dem  Volke  fremd  ist.  Wie  1870  verschiedene  Dichter 
sich  als  Urheber  des  Kutschkeliedes  meldeten,  so  geht  es  noch  heute  bei  verbreiteten 
Kriegsgedichteu  her.  —  (J.  B.) 

Oskar  Weise,  Die  deutschen  Volksstämme  und  Landschaften.  (Aus  Natur  und 
Geisteswelt  Bd.  16).  5.,  völlig  umgearbeitete  Auflage.  Mit  30  Abb.,  20  Tafeln  und  einer 
Dialektkarte.  Berlin  und  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1917.  112  S.  S\  Geb.  1,50  Mk.  —  In 
der  Neuauflage  sind  die  vorher  getrennten  Abschnitte  über  die  Eigentümlichkeiten  der 
einzelnen  Stämme  und  über  ihre  Beeinflussung  von  aussen  her  ineinandergearbeitet  wor- 
den, wodurch  das  Buch  an  Geschlossenheit  gewonnen  hat.  Hinzugekommen  sind  Kapitel 
über  die  Obersachsen,  Schlesier  imd  Deutschböhmen,  besondere  Erörterungen  über  die 
natürliche  Beschaffenheit  der  Stammesgebiete,  auch  sind  neben  den  auf  die  Dauer  recht 
trocken  anmutenden  Aufzählungen  hervorragender  Vertreter  der  einzelnen  Stämme  einige 
ausführlichere,  Avenn  auch  nicht  sehr  in  die  Tiefe  gehende  Charakteristiken  (z.  B.  Bis- 
marck  für  die  Niederdeutschen,  Goethe  für  die  Franken)  eingefügt  worden.  An  dem 
Grundgehalt  des  Buches,  desseu  frühere  Auflagen  oben  14,  255  und  18,  234  angezeigt 
wurden,  hat  sich  nichts  geändert.  —  F.  B. 


Sitzungs- Berichte.  277 


Aus  den 

Sitzirngs-Bericliten  des  Yereins  für  Yolksliuiide. 


Freitag,    den    14.  Dezember  1917.     A^orsitzender    Hr.    Geh.    Rat    Prof.   Dr. 
Roediger.     In  den  Ausschuss  \vu>den  folgende  Mitglieder  gewählt:    A.  Behrend,^ 
F.  Hoehra,    Dihle,    Ebermann,    Friede!,    Ed.  Hahn,  Heusler,   Frl.  Lemke,    Ludwig, 
Maurer,    Samter    und  James  Simon.     Hr.  Prof.  Dr.  Job.  Bolte    machte  Mitteilung 
von    dem    Plane    flämischer  Studenten  der  Genler  Hochschule,  eine  internationale 
Vereinigung  zum  Studium  der  flämischen  Volkskunde  zu  begründen.     Der  Aufruf 
ist    in    der    Aula',    Tijdschrift  voor  Studenten  aan  's  Rijks   Hoogeschool  te  Gent, 
2.  Jahrg.  Nr.  2  v.  15.  Nov.  1917  erschienen  und  von  stud.'hist.  Maurits  de  Meyer 
gezeichnet.—  Hr.  Prof.  Dr.  Oskar  Eber  mann  sprach  über  Volkskundliches  in  der 
Bienenzucht    früherer    Jahrhunderte.      Die    Biene    ist    das    einzige    Insekt,    das, 
wenigstens  in  Deutschland,  seit  alter  Zeit  als  Haustier  gilt.     Ein  Wust  von  Aber- 
glauben   umgibt    die    Bienenzucht    bis    in    die    Neuzeit  hinein.     Daher  kamen  die 
Imker   in    den  Ruf,    besonders  zauberkundig  zu  sein.     Diese  abergläubischen  Ge- 
bräuche   bezogen    sich    besonders    auf   das  Schwärmen  der  Bienen.     Man  glaubte 
häufiges   Schwärmen   durch  übernatürliche  Mittel  veranlassen  zu  können;   anderer- 
seits   suchte    man    Schwärme    durch  sympathetische  und  symbolische  Handlungen 
festzuhalten.     Schon  Plinius  spricht  von   solchen   Hilfsmitteln.     K.  MüUenhoff  hat 
oben  10,  16  ff",  über    die    Geschichte    der    Bienenzucht    in  Deutschland  gehandelt. 
Den    musikalischen    Sinn   der  Bienen  kannten  bereits  die  Römer,  und  Megenberg 
(13;jO)  sagt,  die  Bienen  freuen  sich  über  Händeklatschen  und  Geschmeideklingen. 
Auch  die  Glocken  spielten  hier    eine  Rolle.     In  der  mittelalterlichen  Waldbienen- 
zucht,   der    Zeidlerei,    gebrauchte   man  ausser  altertümlichen  Bienensegen  vielfach 
Lockmittel  und  Bienensalben,  deren  Bestandteile,  Melisse,  Bier,  Syiup  und  dergl., 
häufig    verderblich    für    die    Bienen    wurden.     Daher  war  es  im    allgemeinen  ver- 
boten, solche    Lockmittel  zu  gebrauchen.     Über  die  Bedeutung  und  Vorbedeutung 
der    Bienenschwärme    sind    aus    dem    Altertum    mancherlei  Anekdoten  überliefert. 
Bei    den    Griechen    galten    sie    als    Symbol    der  Kolonisation.     Livius,  Claudian, 
Tacitus  und  spätere  sahen  im  Anhängen  eines  Bienenschwarms  eine  Vorbedeutung 
für    einen    Brand.     Anderswo    bedeuten    sie    aber  Glück,  häufiger  noch  ein  böses 
Vorzeichen  schlechthin,    wie  auch  ein  Bienentraum  im  Altertum  als  unglückliches 
Vorzeichen  galt.     In  neuerer  Zeit  prophezeien  Bienen  teils  Glück,  teils  das  Gegen- 
teil.    In  der  anschliessenden  Besprechung  desVoitrages  gab  Frl.  Elisabeth  Lemke 
Vergleiche  aus  Ostpreussen  und  Sardinien  und  wies  auf  den  schönen  Glockenton 
der  Schwarmbienen  hin.     Hr.  Geh.  Rat  Roediger  erläuterte  die  Wortbedeutungen 
von    Biene,    Beute    und    Imme,    während    Hr.  Direktor  Minden    die   Biene    des 
Napoleonischen  Krönungsornates  als  ein  monarchisches  Symbol  erklärte. 

Freitag,  den  25.  Januar  1918.  Der  Vorsitzende  Geh.  Rat  Roediger  er- 
stattete den  Jahresbericht,  der  Schatzmeister  Trcichel  den  Kassenbericht.  An 
Toten  bekhigt  der  Verein  neuerdings  den  Oberbibliothekar  Piof.  Dr.  A.  Kopp  in 
Marburg  und  Frau  Prof.  Mielke.  lie  Neuwahl  des  Vorstandes  durch  Zuruf  ergab 
dieselbe  Zusammensetzung  wie  bisher,  doch  gab  der  Vorsitzende  zu  erkennen, 
dass  er  zum  letztenmale  das  Amt  für  ein  Jahr  übernehme.  —  Der  Unterzeichnete 
legte  dann  einige  Geräte  aus  der  Kgl.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  mit 
einigen    Erläuterungen    vor.     Es    handelte    sich    um    eine    sogen.  Weife,   d.  i.   ein 


-J78  ßruuner: 

Werkzeug  zum  Aufwickeln  und  Abmessen  des  fertig  gesponnenen  Garnfadens,  das 
seit  alter  Zeit  gebraucht  wird,  aber  dann  in  unseren  Gegenden  meistens  durch  den 
Haspel  ersetzt  worden  ist.  Näheres  darüber  soll  in  einem  der  nächsten  Hefte  mit 
Abbildungen  dargelegt  werden.  —  Herr  Bibliothekar  und  Universitätsprofessor  Dr. 
Hugo  Hepding  aus  Giessen  sprach  dann  über  alte  Bräuche  beim  Beerensarameln, 
vorwiegend  der  Heidelbeere  in  Oberhessen.  Neben  der  üblichsten  Verwendung 
dieser  Beere  als  Nahrungs-  und  Genussmittel  geht  ihre  Benutzung  als  Färbemittel 
für  Stoffe  und  Spirituosen  einher,  ferner  als  Arzenei  und,  in  Schlesien,  als  Tee. 
Diese  volkstümlichen  Gebrauchsarten  sind  uralt.  An  das  Wachstum  der  Pflanze 
vom  Mai  an,  wo  sie  blüht,  knüpfen  sich  mancherlei  Gebräuche  und  volksmässige 
Anschauungen.  Ihre  Ernte  beginnt  um  Johanni  und  dauert  in  Hessen  bis  Jakobi, 
in  Böhmen  bis  Bartholomäi.  Sie  ist  zugleich  für  die  Jugend  ein  Fest  mit  Lieder- 
sang und  märchenhaften  Ängsten  vor  Schlangen,  Wölfen,  Gepenstern,  Zwergen, 
Buckligen  usw.  Von  altersher  wird  der  Angang  beim  Auszug  zum  Beerenlesen 
beachtet.  An  Kreuzwegen  wird  nicht  gepflückt.  Die  zum  ersten  Male  teil- 
nehmenden Kinder  sind  zu  gewissen  Zeremonien  verpflichtet,  z.  B.  müssen  sie 
im  Schlitzer  Land  auf  Eisen  beissen  oder  Blätter  von  alten  Bäumen  zerbeissen, 
so  in  Hessen.  Von  der  im  Volksglauben  noch  lebendigen  Vorstellung  der  be- 
seelten Natur  zeugen  die  Beerenopfer,  in  Hessen  'Zoll'  genannt,  die  als  Erstlinge 
dargebracht  werden,  ferner  die  bei  alten  Bäumen,  genannt  alter  Hans,  Alte,  F>au, 
Grossvater,  Grossmutter,  niedergelegten  Steine,  Zweige  und  Blumen.  Am  Brocken 
schmücken  die  Beerensucher,  wenn  sie  zuerst  ernten,  eine  Felsenklippe  aus. 
Tänze  um  solche  alten  Opferbäume  sind  vielleicht  Reste  eines  Kultes.  Man  zer- 
drückt auch  w'ohl  die  Opferbeeren  an  den  Bäumen,  wirft  sie  nach  altem 
prophetischem  Brauche  hinter  sich  und  vergräbt  auch  Geldstücke  im  Walde. 
Auch  beim  Heimgange  werden  Dankopfer  dieser  Art  dargebracht.  Der  Letzte 
wird  wie  üblich  verhöhnt,  und  zu  Hause  w-erden  Kinderfeste  mit  Verspeisung 
grosser  Kuchen  gefeiert.  Der  Vorsitzende  machte  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  das  erwähnte  bucklige  Männchen  der  Kinderphantasie  auch  in  einem  von 
Schwind  illustrierten  Kinderliede  auftritt  und  allerhand  Schabernack  vollführt. 
Bereits  im  deutschen  Altertum,  so  im  Ruodlieb,  in  den  Carmina  Burana  und  in 
einem  mhd,  Liede  vom  Meister  Alexander  (13.  Jahrh.)  sind  Beerenpflücker  und 
ihre  Gebräuche  crw'ähnt. 

Freitag,  den  22.  Februar  1918.  An  Stelle  des  schwer  erkrankten  1.  Vor- 
sitzenden hatte  Hr.  Prof.  Dr.  Joh.  Bolte  den  Vorsitz  übernommen.  Er  legte  den  vom 
Verbände  deutscher  Vereine  für  Volkskunde  ausgegebenen  Fragebogen  über  deutsche 
Soldatensprache  vor.  —  Hr.  F.  Treichel  berichtete  über  die  vom  Deutschen  Aus- 
landsmuseum in  Stuttgart  veranstaltete  Wanderausstellung  'Kurland',  namentlich 
die  zur  Bienenwirtschaft  gebrauchten  eigentümlichen  Geräte  der  Letten,  die 
übrigens  von  A.  Bielenstein,  Die  Holzbauten  und  Holzgeräte  der  Letten,  1907, 
bereits  in  deutscher  Sprache  beschrieben  sind.  Er  erinnerte  ferner  an  den 
bereits  oben  18,  311  von  R.  Andree  bekanntgegebenen  Gebrauch  von  Meer- 
schweinchen zur  Heilung  von  Hautausschlag.  Man  nimmt  sie  mit  ins  Bett  und 
glaubt,  wie  Herr  Maurer  mitteilte,  dass  sie  auch  bei  Rheumatismus  durch 
Wärme  und  Ableitung  heilsam  wirken.  —  Frau  Helene  Di  hie  hielt  sodann  einen 
Vortrag  über  das  'Flügelkleid',  worüber  sie  wie  folgt  selbst  berichtet:  „Nach 
einigen  Erörterungen  über  die  sprachliche  Bedeutung  der  Bezeichnung  'Flügel- 
kleid' führte  die  Vortragende  aus,  dass  die  Wörter  bisher  über  das  Aussehen 
dieses  Kleidungsstückes  nur  recht  ungenügende,  über  seine  Bedeutung  und  Her- 
kunft aber  gar  keine  Auskunft  geben.     Das  Vorkommen   des  Wortes  'Flügelkleid' 


Sitzungs-Berichte.  279 

konnte  zuerst  um  1700  festgestellt  werden,  und  wir  haben  uns  ein  solches  Kleidungs- 
stück   im    18.  Jahrh.    vorzustellen    als    ein    Kinderkleid,    bei  dem  hinten  von  den 
Achseln    oder   aus    den  Armlöchern  2  schmale  Streifen   oder  Bänder  herabhingen, 
welche    man   gebrauchte,    um    das    Kind    beim  Gehenlernen  daran  zu  halten.     Je 
weiter  wir  jedoch  in  frühere  Jahrhunderte  zurückgehen,  desto  häufiger  finden  wir 
diese    Streifen    nicht   nur    bei    Kindern,    sondern  auch  bei  Erwachsenen  beiderlei 
Geschlechts.      An    der    Hand    der    kostümgeschichtlichen    Entwicklung   zeigte    die 
Vortragende,  dass  wir  in  diesen  herabhängenden  Streifen  nichts  anderes  als  Rndi- 
mente    von    Ärmeln    zu  sehen  haben.     Etw^a  vom   11.  Jahrh.  an  wurde  der  Ärmel 
in  mannigfachster  Art  verziert,  erweitert,  verlängert,  sowie  teilweise  und  schliesslich 
ganz    aufgeschlitzt.     Diese    Ärmel    dienten    vielfach    nicht    mehr    dem    Gebrauch, 
sondern    nur   dem   Schmuck.     Die  Streifenärmel   wurden  nach  und  nach  schmaler 
und    verrieten    am    Ende    des    16.  Jahrh.   in  ihrer  rudimentären  Form  kaum  noch 
ihren    Ursprung.     Es    trat  dann  der  in  der  Kostümgeschichte  seltene,  ja  vielleicht 
einzige  Fall  ein,  dass   ein  Kleidungsstück,  welches   sich  von  einer  Zweckkleidung 
zur    Schmuckkleidung   umgewandelt    hatte,    wieder  zu  einer  —  ganz  anderen  Be- 
dürfnissen dienenden  —  Zwcckkleidung  wurde,  man  benutzte  die  herabhängenden 
Bänder    oder   Riegel    bei    kleinen   Kindern  als  Gängelbänder.     Diese  Art  der  Be- 
nutzung tritt  etwa  am  Ende  des  IG.  Jahrh.  zuerst  auf,  und  dürfte  im  17.  allgemein 
üblich    gewesen  sein.     Als   modische  Gewandzutat  verschwanden    alle    Arten    un- 
benutzter   Schmuckärmel    im    1.  Viertel    des    17.  Jahrh.    mit    dem   Erlöschen  der 
spanischen    Mode,    nur    an    den   Kleidern  ganz  kleiner  Kinder  hielten  sie  sich  zu 
dem  erwähnten  praktischen  Gebrauch  noch  das  18.  Jahrh.  hindurch.     Ihre  Herkunft 
und  ursprüngliche  Bedeutung  verwischte  sich  jedoch  im  18.  Jahrh,  und  dass  sich 
auch  die  sachliche  Vorstellung    von  einem  Flügelkleide  schon   früh  im  18.  Jahrh. 
verflüchtigte    und    sich  daneben  eine  unklare  poetische  Übertragung  herausbildete, 
geht   aus    der   Art   hervor,    in    der  Schriftsteller  jener  Zeit  das  Wort  angewendet 
haben.     Nicht  allein  beim  Flügelkleide  hatten  sich  die  Überbleibsel  der  einstigen 
Schmuckärmel  gehalten,  sondern  noch  weit  länger  bei  vereinzelten  Uniformen  und 
Amtstrachten.     Sogenannte    'Flügelröcke'    fanden    sich    noch    bis    zur    Mitte    des 
19.  Jahrh.  an  der  Amtstracht  der  päpstlichen  Hofbeamten  sowie  beim  Militär,  be- 
sonders   bei  Schützen  und    Spielleuten."  —  Die  Ausführungen  wurden  durch  eine 
kleine    Ausstellung   von    Abbildungen    aus    verschiedenen  Jahrhunderten  erläutert. 
In    der    anschliessenden     Erörterung     des     Gehörten     machte     Herr    Dr.    Fritz 
Boehm  darauf  aufmerksam,  dass  bereits    im  klassischen  Altertum  Flügel  als  Ge- 
wandteile   genannt    werden,    Hr.  Inspektor    Maurer    erwähnte,    dass    Flügel    am 
Panzerkleide    in    älterer    und  neuerer  Zeit  bekannt  seien,  und  Herr  Professor  Dr. 
Bolte  erinnerte  an  die  Reitärmel  der  Frauentracht  in  den  isländischen  Sagen.— 
Hr.  Prof.   Dr.   Joh.   Bolte    sprach    sodann    über    den    Meisterdieb    im    Märchen. 
Das  Motiv  des  Meisterdiebes  ist  in  den  verschiedenen  Literaturen  sehr  verbreitet. 
Das    älteste    Märchen    dieser    Art    ist    vielleicht    das    ägyptische  vom  Schatze  des 
Rhampsinit.     Es    gelangte  schon  früh  nach  Indien,    und  im  12.  Jahrh.  tritt  es  im 
Abendlande    auf.     In    Deutschland    kommt    der  Name  des  Meisterdiebes  Arbegast 
oder  Elbegast  im  Volksmunde  vor.     Bei  Hans  Sachs,  bei  Grimmeishausen,  in  den 
Fabliaux  und  bei  Cervantes  tritt  der  Typus  des  landstreichenden  Schelms  vielfach 
auf,  der  infolge  von  Missverständnissen  bei  Harmlosen  Gewinn  einzieht.     Manche 
dieser    Erzählungen    sind    aus    der    Volksüberlieferung    entnommen  und  zum  Teil 
noch  heute  lebendig.    Bei  den  Spaniern  und  Franzosen  kennt  man  lange  Schelmen- 
romane dieser  Gattung,  in  denen  der  Meisterdieb  zum  Heroen  wird.     Im  deutschen 
Volksmärchen    dagegen    wird    der  Schelm  verurteilt  oder,    wie  in  dem  verlesenen 


280  Brunner: 

Grimmschen    Märchen    vom    Meisterdieb,    wenigstens    verbannt,  nachdem  er  seine 
Kunst  erwiesen  hat. 

Freitag-,  den  22.  März  1918.  Diese  Sitzung  war  dem  Gedächtnis  zweier 
hochverdienten  Mitglieder  und  Führer  des  Vereins,  des  1.  Vorsitzenden  Max 
Roediger  und  des  Obmannes  unseres  Ausschusses  Ernst  Friedel,  gewidmet, 
die  der  Tod  l<urz  hintereinander  unserem  Kreise  entrissen  hat.  Ihre  umflorten  Bilder 
sahen  zum  letztenmal  auf  die  zahlreiche  Trauerversammlung,  deren  Totenklage 
dijrch  den  Mund  der  Freunde  Johannes  Bolte  und  Georg  Minden  beredten  Aus- 
druck fand  und  den  mitanwesenden  Angehörigen  beider  Verstorbenen  Trost  und 
Frieden  zu  spenden  suchte.     Beide  Nachrufe  sind  oben  ausführlich  abgedruckt. 

Freitag-,  den  26.  April  1918.  Der  Vorsitzende  Prof.  Dr.  Job.  Bolte  teilte 
mit,  dass  er  auf  Wunsch  und  Bitte  des  Gesamtvorstandes  die  Leitung  des  Vereins 
übernommen  habe,  während  die  Wahl  des  2.  Vorsitzenden  bis  zum  Herbst  auf- 
geschoben werde.  Der  Ausschuss  hat  sich  durch  Zuwahl  des  Herrn  Prof.  Dr. 
Franz  Weinitz  ergänzt  und  Herrn  Prof.  Dr.  Oskar  Ebermann  zum  Obmann 
ernannt.  Herr  Stadtverordneter  H.  Sökeland  hat  am  22.  März  d.  J.  seinen 
70.  Geburtstag  begangen,  aus  welchem  Anlass  er  namens  des  Vereins  schriftlich 
begrüsst  worden  ist.  Wir  haben  den  Tod  seiner  Gemahlin  und  den  eines  jungen 
befreundeten  Gelehrten  Dr.  Erich  Gutmacher  zu  beklagen.  Als  neues  Mitglied 
begrüsste  der  Vorsitzende  dann  Herrn  Abgeordneten  Pfarrer  Dr.  W.  Gaigalat  und 
als  Gäste  Herrn  Pastor  Fritz  Jahn,  Direktor  der  Züllchower  Anstalten  bei  Stettin, 
sowie  Herrn  Prof.  Dr.  A.  War  bürg  aus  Hamburg.  Die  infolge  der  Verbands- 
umfrage eingegangenen  Mitteilungen  über  Kirchenglocken  sind  Herrn  Prof.  Sartori 
übersandt  worden,  der  sich  zur  Bearbeitung  des  Stoffes  bereit  erklärt  hat.  Der 
Unterzeichnete  legte  die  ansehnliche  Festschrift  vor,  die  unserem  Mitgliede  Prof. 
Dr.  Ed.  Hahn  zu  seinem  60.  Geburtstage  von  einem  Kreise  seiner  Kollegen, 
Freunde  und  Schüler  gewidmet  worden  ist.  —  Herr  Prof.  Dr.  Ebermann  hielt 
dann  einen  durch  viele  Vorlagen  erläuterten  Vortrag  über  Schutzbriefe  und  Ge- 
bete französischer  Soldaten.  Bekannt  sind  die  mancherlei  Sprüche  zum  Schutze 
gegen  Waffen  in  den  nordischen  Sagen.  Sie  haben  sich  vielfach  bis  in  die  jüngste 
Zeit  im  Volksmunde  erhalten  und  werden  auch  im  gegenwärtigen  Kriege  noch 
benutzt,  wenn  auch  in  veränderter  Form.  Die  Franzosen  weisen  derartigen  Aber- 
glauben weit  von  sich,  wenn  man  danach  fragt,  aber  bei  genauerem  Hinsehen 
findet  man  doch  noch  manches  Flierhergehörige.  Der  Redner  konnte  eine  ganze 
Anzahl  verschieden  gearteter  Typen  solcher  Schutzbriefe  und  Gebete  in  französischer 
Sprache  nachweisen,  teilweise  mit  bischöflicher  Approbation  versehen.  Manche 
scheinen  auch  nach  Art  der  bekannten  Schneeballbricfe  verbreitet  zu  sein.  Die 
eigentlichen  Himmelsbriefe,  d.  h.  angeblich  vom  Himmel  gefallene,  sind  mehr  eine 
Art  von  Haussegen,  weniger  im  Kriege  verwendet,  und  gehen  in  früheste  christ- 
liche Zeiten  zurück,  vielleicht  sogar  in  noch  höheres  Alter.  Gestreift  wurden 
ferner  die  bekannten  magischen  Quadrate  mit  Zahlzeichen  und  Parodien  auf  alle 
solche  Schutzbriefe  aus  dem  16.  Jahrh.  und  späterer  Zeit.  Hr.  Inspektor  Maurer 
erinnerte  im  Anschluss  an  den  Vortrag  an  einen  solchen  parodierten  Schutzbrief 
im  Simplizissimus  von  Grimmeishausen,  Hr.  Prof  War  bürg  betonte,  dass  die 
magischen  Quadrate  yon  den  Arabern  in  volksmedizinischem  Sinne  gebraucht 
werden,  worauf  auch  der  bekannte  Dürersche  Holzschnitt  von  der  Melancholia 
hinweist.  —  Herr  Prof  Dr.  Franz  Weinitz  sprach  sodann  über  Aberglauben  und 
Zauberkünste  bei  den  heidnischen  Lappen.  Der  Vortrag  bot  einige  Ergänzungen 
der  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  1910  S.  1  ff.  veröffentlichten  Abhandlung 
über    die    lappischen    Zaubertrommeln,    besonders    die    in  Meiningen  befindliche. 


Sitzungs-Berichte. 


281 


Erst  unter  Gustav  Wasa  begann  das  Christentum  bei  den  schwedischen  Lappen 
Eingang  zu  finden  und  die  Urreligion  des  sogen.  Schamanismus  zu  verdräno-en. 
Eine  Hauplquelle  dieser  alten  Zustände  ist  Joh.  Scheffers  'Lapponia'  v.  J.  1673. 
In  dieser  Zeit  fand  man  aber  noch  öfter  Opferstätten  mit  rohen  Götzenbildern 
des  Donnergottes  usw.  mit  Renntierfleisch  auf  steinernen  Opfertischen.  Man 
näherte  sich  diesen  geheiligten  Stätten  mit  stets  zunehmender  Devotion,  zuletzt 
auf  allen  Vieren  kriechend.  Eine  wichtige  Rolle  spielten  in  alter  Zeit  die  Zauber- 
priester, Neiden  genannt,  mit  ihren  Zaubertrommehi,  Kobda  genannt,  die  mit  auf- 
gemalten B^iguren,  einem  Zeiger  und  T-förmigem  Hammer  ausgestattet  waren. 
Solche  Trommeln  sind  noch  zahlreich  erhalten.  Ausserdem  benutzte  man  Knoten- 
zauber zur  Hervorrufung  oder  Dämpfung  des  Windes.  Die  bösen  Dämonen, 
üldas  genannt,  waren  sehr  gefürcht(^t  und  werden  noch  heute  durch  Spenden  be- 
sänftigt. Herr  Prof.  Dr.  Bolte  wies  im  Anschluss  an  den  Vortrag  darauf  hin, 
dass  besonders  Friis  über  lappische  Mythologie  geschrieben  hat  und  dass  Dar- 
stellungen einer  Götterdreiheit  auf  solchen  Zaubertrommeln  an  ähnliche  auf  den 
Goldhörnern  von  Tondern  erinnern,  die  A.  Olrik  in  einem  soeben  in  den  Danske 
Studier  aus  seinem  Nachlasse  veröffentlichten  Aufsatze  behandelt  habe,  so  dass 
vielleicht  germanischer  Einfluss  vorliege.  Auch  in  der  finnischen  Mythologie  seien 
vielfach  Übereinstimmungen  mit  germanischen  Vorstellungen  vorhanden. 

Freitag,  den  24.  3Iai  1918.  Der  Vorsitzende  Prof.  Dr.  Joh,  Bolte  teilte 
mit,  dass  der  Herausgober  der  Zeitschrift  Dr.  Fritz  Boehm  wiederum  zum  mili- 
tärischen Dienst  einberufen  sei  und  dass  er  selbst  sein  Amt  übernommen  habe. 
Vom  Kultusministerium  ist  die  bisherige  Beisteuer  auch  für  dieses  Jahr  bewilligt 
worden.  Das  verstorbene  Mitglied  Frl.  Katharina  Wegscheider  hat  dem  Verein 
die  Summe  von  2(X)0  Mark  testamentarisch  vermacht.  Der  sächsische  Landtng  hat 
eine  Eingabe  um  Gründung  einer  Professur  für  deutsche  Volks-  und  Alterturas- 
kunde von  Prof.  Dr.  Schumann  in  Dresden  angenommen.  Hr.  Dr.  Fritz  Behrend 
sprach  dann  eingehend  über  'Volkstümliches  bei  dem  Geschichtsfälscher  Paullini', 
Christian  Franz  Paullini  wurde  1Ü4.S  geboren,  war  Hofhistoriograph  in  Corvey  und 
seit  1G85  in  seiner  Heimatstadt  Eisenach  Stadtphysikus.  In  der  Geschichte  der 
Volksmedizin  ist  er  bekannt  als  Verfasser  der  1699  zuerst  erschienenen  'Dreck- 
Apotheke'.  Er  war  ein  vielseitiger  Schriftsteller,  nicht  ohne  Verdienste,  aber 
durch  seine  historischen  Fälschungen  von  einer  traurigen  Berühmtheit.  Solche 
Mängel  verunzieren  z.  B.  sein  Werk  'Syntagma  rerum  et  antiquitatum  Germaniae'. 
Auch  verschweigt  er  vielfach  seine  Gewährsmänner.  Wie  um  die  ziemli«  h  zynisch 
behandelte  Volksmedizin  kümmerte  er  sich  auch  um  Volksbräuche  und  Volks- 
sagen, die  er  aber  fälschlich  als  historisch  begründet  hinzustellen  versucht. 
Immerhin  sind  seine  Angaben  über  die  Volksmedizin  seiner  Zeit  von  Interesse, 
da  sich  viele  dieser  Bräuche  bis  in  die  Jetztzeit  im  Volke  erhalten  haben,  wie 
das  Abstreifen  von  Krankheiten,  das  Forltreiben  durch  fliessendes  Wnsser,  das 
Bannen  und  Antun,  das  Feuerbesegnen,  Not- und  Johannisfeuer,  Todaustreiben  usw. 
Das  Gebiet  des  Volksrechtes  betritt  er  auch  mit  der  Schilderung  der  Feme  von 
Corvey,  wobei  er  aber  ihre  jüngere  Entwickelung  unterschlägt,  und  des  Bahr- 
rechtes, d.  i  die  Ermittelung  des  Mörders  durch  Blutzeichen  seines  Opfers.  Dieses 
deutsche  Barrrecht  ist  bis  ins  12.  Jahrh.  zuriitkzuverfolgen,  während  es  im 
römischen  Recht  fehlt  und  auch  im  Indiculus  superstitionum  (8  Jahrh.)  noch  nicht 
vorkommt.  Schon  zu  Paullinis  Zeit  waren  alle  diese  Volksbräuche  im  Schwinden 
begriffen.  Trotz  der  schweren  Mängel  und  offenbaren  Fälschungen  in  Paullinis 
Schriften  ist  er  doch  nicht  ohne  Verdienst.  Er  war  ein  geborner  Journalist  mit 
reinem  deutschen  Stil,    förderte    die    historische  Wissenschaft    und    betätigte    sich 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1917.    Heft  3.  ig 


28-_>  Berichtigung. 

auch  als  Vorkämpfer  auf  pädagogischem  Gebiete,  etwa  wie  Comenius.  In  An- 
erkennung seines  Wirkens  sandte  ihm  Leibniz  ehrende  Briefe,  und  die  Leopol- 
dinische  Akademie  nahm  ihn  schon  in  seiner  Jugend  als  Mitglied  auf.  Der  Vor- 
sitzende äusserte  im  Anschluss  an  den  Vortrag,  dass  diese  Schriftsteller,  wie  z.  B. 
auch  PauUinis  Zeitgenosse  Praetorius,  für  uns  schwer  zu  beurteilen  sind.  Sie  er- 
zählen vielfach  nur  zur  Unterhaltung,  weniger  aus  Interesse  am  Volksglauben  und 
-Brauch.  —  Dann  sprach  Hr.  Pastor  Fritz  Jahn,  Direktor  der  Züllchowcr  Anstalten 
bei -Stettin,  unter  Vorführung  zahlreicher  Belege  über  'Alte  deutsche  Spiele'.  Seine 
Grundauffassung  ist,  dass  das  Spiel  nicht  Hauptzweck  sein  soll,  sondern  Ablenkung 
und  Erholung.  Da  es  unzählige  schöne  alte  Spiele  gibt,  die  in  Deutschland  oft 
in  eigenartiger  Weise  gemodelt  wurden,  ist  es  gänzlich  überflüssig,  neue  Spiele  zu 
erfinden,  namentlich  aber  solche  mit  Nebenzwecken  pädagogischer  Art.  Nach- 
bildungen alter  deutscher  Spiele  werden  in  den  Züllchower  Anstalten  hergestellt 
und  zu  Tausenden,  besonders  auch  in  die  deutschen  Schützengräben  des  Welt- 
krieges versandt.  Besonders  wurde  genannt  das  Bohnenspiel,  das  z.  B.  noch  vor 
100  Jahren  in  den  deutschen  Familien  der  ehemals  russischen  Ostseeprovinzen 
allgemein  bekannt  und  im  Altertum  bereits  beliebt  war.  Die  meisten  Spiele 
stammen  ursprünglich  aus  dem  Orient  und  haben  sich  wie  viele  andere  Volks- 
überlieferungen von  da  über  die  Welt  verbreitet.  Ferner  wurden  gezeigt  das 
Nürnberger  Zankeisen,  Würfelspiele  mit  3  Würfeln,  das  ländliche  Fange-  oder 
Kaiserspiel,  mehrere  alte  Druckbogen  mit  Abbildungen,  die  zum  Spiel  gehören,  usw. 
Erwähnt  wurden  das  von  Leibniz  angeführte  Nonnenspiel,  magische  Quadrate  mit 
verstellbaren  Zahlen,  das  ostpreussische  Kurnikspiel,  die  antike  Rhythmomachia, 
die  auf  Pythagoras  zurückgehen  soll,  und  das  japanische  Go,  das  beste  Brettspiel 
der  Welt.  Der  Redner  führte  eine  Anzahl  Spiele  im  Gebrauch  vor  und  lud  zu 
einem  Besuch  seines  Museums   alter  Spiele  in  ZüUchow  ein. 

Berlin.  Karl  Brunner. 


Berichtigung. 

In  dem  Aufsatz  von  Schläger:  Einige  Grundfragen  der  Kinderspiel forschung 
S.  112  Z.  11  lies  s.  u.  S.  113;  —  ebd.  Anm.  3  Z.  1  statt  'S.  109':  S.  110;  —  ebd. 
Anm.  6  letzte  Z.  1.  'S.  llH'f.  —  S.  113  Anm.  6  setze  )  nach  'Farbe'. 

In  dem  Aufsatze  'Die  Scheune  brennt'  (oben  S.  135)  sind  leider  zwei  irre- 
führende Druckfehler  stehen  geblieben:  S.  139,  Z.  16  1.  In  einem  weissrussi- 
schen  Schwanke.  —  S.  140,  Z.  21  1.  In  einer  verwandten  kleinrussischen  Er- 
zählung. 

Zu  dem  Aufsatze  über  Deutsche  Volkslieder  aus  der  Dobrudscha  (oben 
S.  141)  bittet  Herr  Dr.  Byhan  die  Aussprache  der  Orte  Kodshelak,  Malkötsch 
und  Tültscha  hinzuzufügen.  In  der  Anmerkung  auf  S.  141  ist  zu  lesen:  Im  Jahre 
190Ö.  —  Z.  3:  Lentschau.  —  Z.  13:  Engenfeld. 

In  der  Anzeige  des  Buches  von  Vidünas  S.  181  Z.  27  ist  statt  'Veranlassung 
da'  zu  lesen  'Veranda'. 


Registex*. 

(Die  Namen  der  Mitarbeiter  sind  kursiv  gedruckt.) 


Aarne,  A.  84.  179. 

Aberglaube:  Deutsch  87. 
Französisch  279.  Iser- 
gebirge  148  —  150.  Jüt- 
land  36.  Lappland  279. 
Niederlande  170.  Russ- 
land 242  f.  Schweiz  85  f. 
Ungarn  212.  Heirat  241. 
Hexen  242.  Kartenschla- 
gen 242.  Krieg  85.  Mord 
245.  Schatz  85.  Schiffer 
8(5.  Teufel241. 244.  Zahlen 
173. 

Abert,  H.  89. 

Ablasswesen  37.  40f. 

Abracadabra  213.  , 

Ackerbau :  Gebräuche  84.  93.  I 
170. 

Adler  130  f. 

Ahrens,  W.  173.  2Ü9.  j 

Albertus  Magnus  17. 

Almenviehzucht  84.  | 

Altertumskunde  188.  j 

Ament,  M.  2C0. 

Amerika  87.  I 

Amulett  86.  173.  I 

Andree,  R.  34.  148.  ] 

Andree  -  Ei/sn,    M.      Toten-  j 
krönen  146  -  148.  ! 

Andresen,  K.  G.  217. 

Angang  2. 

Angeln  94. 

Antichrist  243.  249. 

Apokalypse  174._179. 

Appianus,  Ph.  27. 

Arabien  12.  173. 

Arbeitsreime  137  f. 

Archenhold,  F.  S.  21  f. 

Archiv,  Schweizer  84  f. 

d'Arman,  R    248. 

Armenien:  Märchen  52.  68 

Arthopius,  B.  39. 

Astrologie  14  f.  179.  269. 

Atavismus  120. 

Auge  geschlossen  1  f. 

Augustin,  der  h.  89. 

Ausschlag  (Kr.)  149. 

Bächtold,  H.  84.  86. 
Backofen  71.  74.  79.  149. 
Badestube  73.    -wasser  149. 
Ballade  85;  s.  Lied. 
Balten:  Märchen  176.  Sagen 
176. 


Bank  72. 

Bastlösereime  156. 

Bäume  224  f. 

Bauopfer  181. 

Becker,  A.  85. 

Beckh,  H.  269. 

Beelzebub  244. 

Beerensammeln  278. 

Begnadigung  verurteilter 
Verbrecher  235. 

Behrend,  F.  281.  Notiz  90. 

bekkr  72. 

Bendel,  J.  .59. 

Berge  in  der  Sage  158 f. 

Berliner :    Charakter  197  f. 

Bern:  Chronik  37. 

Bertholet,  A.  84. 

Beucker,  H.  174. 

Bienenzucht  277  f. 

Bilstein  2191 

Birkenbaum-Schlacht  174. 
245  f. 

Blau :  s.  Farben. 

Blau,  J.  2(55. 

Blut  4.  6.  12.  70f. 

Böckel,  O.  216. 

Böhm,  F.  183  f.  278.  Bespr. 
84  —  89.  266  —  267.  Notiz 
89-91.  174-181.  269  bis 
275. 

Böhme,  F.  M.  41.  47. 

Böhme,  M.  269. 

Böhme,  R    184. 

Böhmen,  Brauch  89.  Mär- 
chen 53. 

Böhmerwald  265. 

Bohne  36  f.  44  f. 

Bohnenberger,  K.  85. 

Bohnenlieder  35  f.  167. 

BolJ,  F.  179.  269. 

Bolte,  J.  81.  91  f.  141.  182  f. 
271.  277  f.  Dt.  Märchen 
aus  dem  Nachlasse  der 
Br.  Grimm  49-55.  Zum 
Dornröschen-Märchen  70. 
Die    Scheune    brennt  135 

I      bis  141.     Max  Roediger  f 

I  185  —  196.  Begnadigung 
zum  Striektragen  oder  zur 
Heirat 235-236.  A.Koppf 
251.  Bespr.  170.  267  f. 
Notiz  89  f.  173-182.  269 
bis  276. 


zur  Bonsen,  F.  174.  245.  247. 

Boppe,  Meister  17. 

Böser  Blick  1. 

Böttcher  154. 

Bovist  150. 

de  Brahe,  Tycho  27. 

Brandenburg:  Landeskunde 

197.  262.    Sagen  1.58—164. 
Brandstetter,  R.  88. 
Brauch:    Ackerbau    84.    93. 

Fest-  87.    Hochzeit  56.  87. 

143.       Toten-     87.     146  f. 

Böhmen  59,    Niederlande 

170. 
Brauerei  177. 
Brechenmacher.  J.  K.  89. 
de  la  Briere,  Y.  249. 
Brot  1.  149.  169.      Hartbrot 

260.       Schwarzbrotgrenze 

273. 
Brüder,  die  Deutschen  270. 
Bninner,  K.  94. 276.  Sitzungs- 
berichte 91-95.  182-184-. 

277  —  282.       Bespr.    265. 
:      Notiz  177. 
i  Bücher,  K.  1501 
I  Buddhismus  269. 
I  Bukowina  91.  240. 
1  Bulgarien:     Märchen    54. 
I      Schwank  198. 
Bidler-Hoefer,H.  Die  Sankt- 

Michaeli  -  Prozession     in 

Gaissach  233—235. 
j  bur  72 
Buss,  E.  85. 
Bi/han,  A.    Dt.  Volkslieder 

aus  der  Dobrudscha  und 

Südrussland  141  —  146. 

Carmina  Burana  94. 

Christoffelgebet  85. 
!  de  Cock,  A.  86. 

Comenius,  J.  A.  30. 
1  Corso,  R.  87. 

Cumont,  F.  89. 

i  nach  74. 

Dänemark:  Lied  180.  Mär- 
chen   51.     Schwank    186. 

Dankzeichen  für  Volkskunde 
91. 

Decurtins,  C.  85. 

Delach aux,  Th.  84. 

19* 


284 


Register. 


Demetriustag  93. 

Deutsch:  Kunde  8S. 
Stämme  270.  27(i. 

Dieb  273.  27S.  Verflucht 
240. 

Dihle,  H.  278. 

DiUinann,  J.  Das  Hickel- 
spiel  in  Frankfurt  a.  M 
in  seiner  kriegsgemässen 
Entwicklung  237-240. 

Divination  1  f.  17  f. 

Djurklou-Aschan,  E.  271. 

Dobrudscha  141. 

Doderer,  0.  270. 

Donuerberg,  -haiu  224. 

Dorf  formen  170. 

Dornberg  224. 

Dreizahl  161. 

Dreschen  151. 

Drost,  J.  W.  P.  90. 

Droste.  G.  177.  ! 

Dübi,  H.  84. 

Durchkriechen  150. 

Ebbe  und  Flut  86. 

Eberle,  M.  85. 

Ebermann,  O.   92.  277.  280.  ' 

Eckart,  R.  90. 

Edda:  Haus  72  f.  i 

Ei  32. 

Eid  92. 

Eidechse  183.  I 

Eigentumszeichen  84. 

Einblattdrucke  21.  ! 

Eirikssaga  98. 

Eitrem,  S.  174. 

Eldnus  71.  I 

Elegast  274.  j 

Eliasberg,  A.  175. 

Eliastag  90. 

England:  Schwank  13(). 

Ente  2. 

Erdbeben  241. 

Esten:    Märchen  52.  176. 

Fabel  89.  191  f.  j 

Faden  150.  ! 

Farben :  blau  87.  schwarz 
68  f.     weiss  68  f. 

Fasten  1. 

Fastnacht  58.    -spiel  37. 

Fehrle,  E.  85.  87. 

Feilberg,  H.  F.  86    235.  270. 

Feist,  S.     Bespr.  172  f. 

Felsen  218  f. 

Feste:  Gründonnerstag  93. 
Neujahr  2.  10  t.  Ostern 
93.  178.  Weihnacht  93. 
177.  269. 

Feuerbohrer  119.  -reiter 
183.  -Stätte  71  f.  75.  Not- 
feuer 119. 

Fingernägel  149. 

Finnland:  Kalewala  182. 
Lied  84.  Märchen  52. 
Schwank  140. 

Fisch  149. 

Flachsreffen  151, 


Flandern:  Lied 93. 95.  Sagen 
270.  Schwank  136.  Sprache 
j      170.    Volkskunde  276. 
!  flet  71  f   80  f. 
I  Fluchbrief  240.  Fluchen  149. 
[  Flügelkleid  277. 

Flurnamen  2161 

Fock,  G.  177. 

Forcart-P>achofen,  R.  84. 

Frankfurt  a.  M.  237. 
j  Frankreich:      Märchen     51. 
I      Schutzbriefe  279. 
1  Frau :    Angang   2.      Weisse 
F.  162.  249.  F.  Harke  158. 
!  Freitag  149. 
'  Freud,  M.  24. 
:  Friaul  182. 

\  Friedel,  E.  91.  182.  262.  280. 
Leben  196-199. 

Friedlaender,  M.  271. 

Frosch  165.  241. 

Fuhrmannslied  153, 

Fuss  175. 

Gaigallat,  W.  279. 

Gaissach  233. 

Galle,  R   264. 

Gallus,  der  h.  93. 

Ganga  til  frettar  1  - 13. 
97  - 105. 

Garber,  O.  177. 

V.  d.  Gartow,  J.  24. 

Gauchat,  L.  86. 

Gebetsparodien  85. 

Gehrich,  G.  89. 

Gelbsucht  149. 

Georg,  d.  h.  93. 

V.  Geramb^  V.  Rhamm,  Ur- 
zeitliche Bauernhöfe  71 
bis  83.  252-261. 

Gering,  H    98. 

Gersau  85. 

Gerstenkorn  86. 

Gesangbuch  149. 

Gespenster  171. 

Gesta  Romanorum  70. 

Getreidenahrung  169. 

Gewitterläuten  95. 

Ginet-Filsudzki,  B.  84. 

Gletting,  B.  85. 

Glocken,  94  f. 

golf  73.  76. 

Goedeke,  K.  41. 

Goedel,  G.  177. 

Goethe,  J.  W.  14.  95. 

Goyert,  G.  270. 

Grabfunde  77.     -kreuze  84. 

Grabinski,  B.  247. 

Gressoney  85. 

V.  Greyerz,  0.  85. 

Griechenland:  Märchen  54. 
92. 

Grimm,  J.  und  W.  49  f.  176. 
179.  182. 

Groos,  K.  Ulf. 

Gruber,  F.  177. 

Gründonnerstag:  s.  Feste. 

Gudmundsson,  V.  71  f. 

Gutmacher,  E.  92.  182.  280, 


Haberlandt,  M.  175. 

HaJm,  Ed.  279.     Bespr.  169. 
Notiz  179. 

Halle  72. 

Halley,  E.  28. 

Hambruch,  P.  92. 

Hamburg;  Chronik  19. 

Hände  verhüllt  85. 

Handwasser  121  f. 

Handwerkerreime  154  f. 

Hannover:  Märchen  51. 

Harz:  Märchen  51. 

Hasenwinkel  288. 

Hax  pax  max  215. 

Haus:  altnordisch  71  f.  251. 
jütisch  75.  niederländisch 
170.  russisch  73.  slawisch 
I  254.  südbajuwarisch  252. 
I  wallisisch  72.  -Industrie 
265.  -zeichen  84.  Doppel- 
haus 252.  Futterhaus  256. 
Langhaus  254. 

Heanzen:    Lied    180.     Mär- 
chen 51. 

Hebbel,  F   184. 

Hebel.  J.  P.  30. 

Hebriden  1.  97. 

Heiligenberg,  -wald  231   . 

Heimatklänge  271. 

Heirat   unterm  Galgen  236. 

Heischelieder  55  f.  93.  183. 

Heldensage  188.  271. 

Hellwig.  A.  247. 

Helm,  K.  56. 

Henderson  If. 

Hepding,  H.  278. 

Herd  71.  74. 

Hero  und  Leander  178. 

Herz  99. 

Hessen:  Märchen  51. 

Hessenborn,  -grund  228. 
Heusler,  A.  271. 
Heuvel,  H.  W.  170. 
Hexeneiche  228  f.      -glaube 

242. 
Hickelspiel  237  -  240. 
Hilka,  A.  271. 
Hillebille  213  f. 
Himmelsbrief  244.  279. 
Hirschstein  223. 
Hirtenrufe  152. 
Hochzeit:  s.  Brauch. 
Hof  83  f.  256  f. 
Hoffmann-Krayer,  E.  84  f. 
Hofstaetter,  W.  88. 
Höhn,  H.  86. 
Hokus  pokus  213. 
v.  Holtei,  K.  30  f. 
Holz  265. 
Honigbaum  226. 
Horak,    J.    Georg   Polivkas 

(50.  Geburtstag  249  f. 
Hrölfs  Krakasaga  99. 
Huber,  M.  175. 
Huhn,  2.  166.  179. 
Hummel  176. 
Hund  2.  270. 
Hünenstein  222  f. 


Register. 


•281 


Huugerbaum, -brunnen225f. 
Huzulen  93. 
Hylten-Cavallius,  G.  271. 

Idelb  erger,  H.  200. 

llliodor  243. 

Imme,  Th.  266. 

Incubation  103  f. 

Indien  272. 

Ippel,  A.  271. 

Island:   Märchen  51.    Sagas 

71. 
Italien :     Märchen     51.     5o. 

Schwank  185  f. 

Jacobson,  P-  N.  94. 

Jacob//,  A.  7a\\  25,  314:  Ein 
salomonisches  Urteil  69  f. 

Jahn,  F.  282. 

Jansen,  K.  272. 

Japan  102. 

V.  Jecklin,  D.  181. 

r.  Jezewski.  K.  Aus  dem 
Jalire  1848.     164  f. 

Jiriczek.  0.  L.  272. 

Johannistag  93.  104.  160. 

John,  A.  176. 

Jönsson,  F.  98. 

Juden  84.  173  175.  179-181. 

Judenbaum  231. 

Julien,  R.  91.  93. 

Jungfrau:  bittot  den  Ver- 
brocher los  236.  Verzau- 
berte 160  f.  183. 

Jütland:  Haus  75.  Volks- 
glaube 86. 

Kahuil,  B.  F.     Beiträge  zur 

Volkskunde      Osteuropas 

(20-21)  240-245. 
Kalewala  182.   272. 
Kalewipoeg  176. 
Kalff,  G.  43.  4S. 
Kant!  I.  106. 
Karl  d.  Gr.  274. 
Kartenschlägerin  242, 
Katze  2.  86.  103.  1351 
Kehricht  150. 
Kenningar  100. 
Kerbbalken,  -holz  84. 
Kerze  104. 
Kesselkette  84. 
Kessler,  G.  84 
Kettenreime  58.  201. 
Kienberg  227. 
Kiltgang  87.__ 
Kinau,  R.  177. 
Kind:    Aberglaube    148  bis 

150.      Entwicklung    114  f. 

Sprachspiel     199 

Spielzeug  84. 117, 
Kinderbaum  226  f, 

203. 
Klinger,  M.  246 
Knopfmuseum  174 
Kometen  13  f. 
Kommunionsopfer  4. 
König  von  Rom  168. 
Königsbaum  226  f. 


-215. 
s.  Spiel, 
spräche 


269. 


Konow,  S.  272. 

Kopp,  A.  251.  Bohnenlieder 
35  ^  49.     167  f. 

Korb:  Buckelkorb  260. 

Korzeniecki  247. 

Krähe  2. 

Krämpfe  144. 

Krankheit:  Ausschlag  149, 
Gelbsucht  149.  Gersten- 
korn 86,  Krämpfe  149.  ! 
Kropf  86.  Mondsucht  149.  | 
Nasenbluten  149.  Orakel 
If.  Schnupfen  149.  Zahn- 
weh 149. 

Krause,   P.  R.  272. 

Kreis  98  f. 

Kretschmer.  P.  92. 

Kreuz  l.  84. 

Kreuzweg  102. 

Krieg:  Aberglaube  85.  174. 
176  f.  Prophezeiungen  174. 
176f .  247 f.    Sprichwort  90. 

Krohn,  K.  272. 

Küche  71  f.  75. 

Kück,  E.  94.  'Der  Mücken- 
könig'Walthers  V.  d.Vogel- 
weide  129—134. 

Kümmel,  L.   17(5. 

Kunze  17. 

Kurland  27«. 

Lallen  200  —  204.  Lallzeit 
205  -  215. 

Lampen  84. 

Lange,  K.  110. 

Langelett,  D.  W.  248. 

Langiois,  G.  248. 

Längslaube  255, 

Lappen  280, 

Lauffer,  0.  Der  Komet  im 
Volksglauben  13—35. 

Lazarus,  M.  110. 

Legenden  175.  182. 

Lehmann,  E.  89.  272. 

Lehniner  Weissagung  249. 

Leibniz,  G.  W.  90. 

Leite  de  Vasconcellos,  J.  84. 

Lemke,  A.  183.  276. 

Lerche  2.  165. 

Letten  278.  Märchen  52.  55 
176. 

Leitmann.  E.  Dornröschen- 
Märchen  70. 

Lewalter,  J.  273. 

V.  d.  Leyen,  F.  270.  273. 

Lichtloch  71.  77, 

Lied  89.  267.  271.  Deutsch 
141  _.  14G.  Finnland  54. 
Flandern  93.  95.  Frank- 
reich 190.  Heanzen  180. 
Niederlande  170.  Portugal 
84.  Ruthenen  93.  Arbeits- 
150  f.  Bohnen-  39  f.  167. 
Heische-55f.93.180  Kinder- 
170.  Mai-  180.  Soldaten- 
84. 144 f.  273.  Weihnachts- 
177.  Wiegen-  156.  Zauber- 
98  f.    182.      Melodien  58 f. 


Es  ging  einst  ein  ve  r- 
liebtes  Paar  268.     Heck  er 

268.  Jean  Renaud  1  90. 
Königskinder  178      Sand 

269.  Stehe  ich  am  eisern  en 
Gitter  268.  Stille  Nacht 
277. 

Liederbuch:  Antwerpener 
43.  Schöffer- Apiarius  37  f. 

Lindau  236. 

Linde- Walther,  H.  E.  176, 

Lindner.  G.  200, 

Link,  W.  20. 

Links  150. 

Litauen:  Grabkreuze  84. 
Märchen  52.  Tierstimmen 
1651    Volkskunde  181, 

Löffel  94 

loft  81, 

Lohre,  F.    Bespr.  262-265. 

London  236. 

Lose  If.  51 

Löwenzahn  149. 

V.  Löwis  of  Menar.  A.    176. 

Lublin  236. 

Luther,  M.  19. 

Maass,  A.  173. 

Magyaren:  Märchen  52. 

Mailieder  180, 

Mann:  An  gang  2, 

Manuel,  Nie.  37.  40 f. 

Märchen  271.  273.  Baltisch 
176  Deutsch  179.  Grimms 
49f.  Magyarisch  52.  Schwe- 
disch 271.  Vlä  misch  270. 
Aladdin  84.  Dieb  273.  278. 
Dornröschen  70.  Fürchten 
lernen  52  f.  St.  Peters 
Mutter  53  f.  Polyphem  274. 
Prinzessin  im  Sarge  49  f. 
Rumpelstilzchen  84. 

Marlons,  H.  95. 

Masken  84. 

Maurer  155. 

Maurer,  H.  278  f. 

Maurizio,  A.  169. 

Mausser,  O.  266. 

Medaillen  24. 

Meer  86.  104.  _     ■ 

Meer.schweinchen   278. 

Megenberg,  K.  v.  18. 

Meier,  J.  84.  267.  273. 
.  Meineid  92. 
]  Meinhof,  K,  34. 
I  Meisirspiel  12. 
!  3Ie/ssner,     R        Ganga      til 

frettar  1—13.  97-105. 
1  Melanchthon,  Ph.  20. 
I  Melken  153. 

I  Menschenopfer  163.  179.  181. 
275. 

Merbach,  P.  262  f. 

Mercier,  H.  85. 

Meringer,  R.  73  f.  199. 

Messen  149  f. 

Meumann,   E.  200. 

de  Meyer,  M.  277. 

Michaeli-Prozession  233. 


28() 


Register. 


Miedel,  J.  217. 
Mielke,  R.  262. 
Minden,  G.  911  2TG.     Ernst 

Friedel  j-  196-199. 
Mohr,  J.  177. 
Mond  149. 
Mondsucht  149. 
Mongolen:  Märchen  55.         j 
Monke,  O    95.  | 

Mordeiche  230. 
Mozart,   W.  A.  212. 
Mückenkönig    129-134.  1 

Müllenhof f,  K.  1H6.  188. 
Mülfer,  C.  Wurstbetteln  und 

Wurstreime     in    Sachsen 

55-67. 
Müller,  K.  28. 
Müller- Rüdersdorf,    W.     Das 

Kind  im  Aberglauben  des 

Isergebirges  148—150. 
Mundarten :  niederrheinisch 

170.       rätoromanisch     85. 

schweizerisch  84  f. 
Münzbilder  15. 
]\runzinger,  L.  27. 
Musik  264. 
Mystik  272. 

Nacktheit  1. 

Name  92.     Spott-  170. 

Narrenfeste  43. 

Nasenbluten  149. 

V.  Negclein^  J.     Bespr.   171  f. 

Neger:     Aberglauben     34  f. 

Märchen  52. 
Nekromantie  100. 
Neujahr  2.  104.     -spiel  42. 
Neun  100.  104.  173.  181. 
Nibelungenlied  188. 
Nicolaysen  71.  77. 
Niederlande :  Kinderspiel 90. 

Volkskunde  170. 
Nörrenberg,  C.  273. 
Norwegen:    Divination    2 f. 

Märchen  51.  271. 
Notfeuer  119. 

Ofen  73 f 

Ohreisen  170 

Olaf  Kyrre  77,    O.  Tryggva- 

son  97. 
Oldenburg:   Märchen  51. 
Olrik,  A.  92.  271. 
Olsen,  M.  98. 
öndwegi  79  f. 
Opfer  4.  179.  181.  275. 
Orakel  1  f .  97  f.     Pfeil-  lOf. 

Stab-  8  f. 
Orvar-Oddsaga  99. 
Ostern  s.  Feste. 
( )stgermanen  in  den  Alpen- 

läudern  261. 

Pajki  177. 
Palästina  181. 
pallr  71.  74.  791 
patifou  86. 
Patzig,  H.  273. 
Paullmi,  C.  F.  281. 


Peiser,  F.  E.  177. 

de  Periers,  B.  135. 

Perrault,  Ch.  84. 

Pesch,  J.  177. 

Peta  -Vatthu  171. 

Peterlechner,  F.  177 

Petsch,  R.  88.  135.  273. 

Pfeiffer,  F.  179. 

Pfeilorakel  91 

Pflug,  Hackenpflug  2581 

Pfostengaden  260. 

Pinsk  247. 

pisel  751 

Pitre,  Cl.  94. 

Podszutveit,  J.  Litauische 
Naturbeseelung  165  —  167. 
Notiz  181. 

Polen:  Grabfunde  177.  Mär- 
chen 52.  54.  Prophe- 
zeiung 247.  Schwank  138. 
Viehzucht  84. 

Folivka,  G.  135.  249.  Per- 
sonifikation von  Tag  und 
Nacht  68  f 

Polyphem  275. 

Pommern:  Märchen  51. 

Portugal:  Lied  84.  Märchen 
54.     Schwank  138. 

Posen:  Märchen  51. 

Postillon  156. 

Prassnitz  177. 

Preussen:  Märchen  51. 

prevai  86 

Frey  er,  W.  111.  199. 

Prophezeiungen:  Illiodor 
243.  Kriegs-  174.  247—249. 

Prozessionen  85.  233. 

Przcmysl  243. 

Fühler,  J.  36  f. 

Pult,  C.  86. 

Pythagoras  451 

(Quadrate,  magische  173.  279. 
Quellen,  heilige  105. 
Quickborn-Bücher  177. 

Rabe  2.  5.  165. 

Ramondt,  M.  274. 

Rätsel  170.  273. 

Räubersagen  160. 
'  Rauchstube  78.  252.  256. 

Rauensche  Berge  163, 

Rechts  149 1 
'  Regell,  P.  217. 

Regen  149. 

Rehm,  H.  S.  87. 
!  Rehsener,  M.  92. 
;  Reimspiel  der  Kinder  207  1 
Zauberformeln  213. 

Reis  102.  169. 

Reiterer,  K.  91. 

Reitwein  16;'). 

Reuschel,  K.  274. 

Rhabdomantie  8. 

Rhamm,  K.  711  2521 

Rheinland:  Märchen  51. 

Riesen  159. 

Riesenstein  222. 

Rist,  J.  G.  13. 


Roediqer,  M.  91  f.  182  f  277  f. 
Notiz  174.  Leben  185  bis 
191.     Schriften  191  —  196. 

Rohr,  F.  245. 

Rose  84. 

Rosen,  H.  275. 

Rosenmüller  178. 

Rossat,  A.  84. 

liothbaHh,  M.  Völkerschlacht 
am  Birkenbaum  245  247. 
Zur  Literatur  der  Kriegs- 
prophezeiungen 247  -  249. 

Rumänien:  Märchen  51.  54- 
Schwank  137. 

Rummelpott  158. 

Rumpelstilzchen  215. 

Runen  8.  173. 

Russland:  Aberglaube  242. 
Haus  73.  Märchen  52.  54. 
Schwank  1391 

Ruthenen  93. 

Rütimeyer,  L.  84. 

Rzesnitzek,  E.  199. 

Saal  72  f. 

Sachs,  C.  264. 

Sachsen:  Märchen 51. Wurst- 
reime 55  f. 

Sadruga  177. 

Sagen:  baltische  176.  bran- 
denburgische 168  —  164. 
jüdische  175.  vlämische 
270.  Birkenbaum  245.  Ele- 
gast  273.  Gespenster  171. 
Natur  218.  Räuber  160. 
Riesen  159.  Schatz  160. 
Seifried  271.  273.  Verzau- 
berte Jungfrau  161.  Weisse 
Frau  162.     Zwerg  159. 

Sagenbildung  und  Volks- 
etymologie 216-232. 

Salomonisches  Urteil  69  f. 

Salz  36. 

Sarasin-,  von  der  Mühll,  A .  87. 

Sartori,  P.  86.  279. 

Sator-Arepo  269. 

Saturn  173. 

Saxo  (a^rammaticus  100. 

scapigliata  87 

Schaller,  J.  llO. 

Scharfenberg,  -stein  2201 

Schatzgräber  85.  104.  -sagen 
160. 

Schauspiel:  85.  s.  Fastnacht- 
spiel. Weihnachtspiel. 

Scheftelowitz,  J.  179. 

Schell,  0.  Bergische  Arbeits- 
reime 150  - 158. 

Scherenschleifer  1.56. 

Scherer,  W.  186  f. 

Scheune  82.  1351 

Schiller,  F.  107  1 

Schlachtsitten  55  f. 

Schlafräume  81  f. 

Schläger,  G  Einige  Grund- 
fragen der  Kinderspiel- 
forschung 106-121.  199 
bis  215  Der  König  von 
Rom  168. 


Register. 


287 


Schlesien:   Märchen  53. 

Schleswig:   Haus  TG. 

Schlittenfahren  156. 

Schlüssel  149. 

Schmidt,  B.  Märkische  Berge 
in  der  Sage  158  —  164. 

Schmied-Kowarzik,    W.    90. 

Schnecke  149. 

Schnui-fen  149. 

Schnur  tragen  235. 

Sckoof,  Tf.  Volksetymologie 
und  Sagenbildung  21()  bis 
282. 

Schottland:  Divination  2. 
97.     Schwank  136. 

Schreilaute  205. 

Sclireiuer  155. 

Schrijnen,  J.  170. 

Schröder.  E.  Walther  in 
Tegernsee  121—129. 

Schuh  l.-JO.  270. 

Schumacher  155. 

V.  Schulenburg,  W.  57  f. 

Schürze  ffürfell)  260. 

Schutzbriefe  280. 

Schwalbe  166. 

Schwank:  bulgarisch  138. 
cechisch  139.  dänisch  136. 
englisch  136.  finnisch  140. 
italienisch  1351  polnisch 
138.  portugiesisch  138. 
rumänisch  138.  russisch 
139  f.  schottisch  136 
schweizerisch  85.  serbo- 
kroatisch 138.  spanisch 
138.    Ylämisch   136. 

Schwarz:    s.  Farben. 

Schweden:  Lied  180.  Mär- 
chen 53.  271. 

Schweif  einer  Hexe  242. 

Schwein  2. 

Schweiz:  Aberglaube  85  f. 
Archiv  f.  Volkskunde  84  f. 
Fastnachtspiel  37.  Mär- 
chen 51.  Sprichwort  85. 
178.    Volkskunde  181. 

Schwelle  1. 

Schweun,  F.  275. 

Schwingtag  151. 

Schw Lirhand  92. 

Sebastian,  der  h.  234. 

Seemannsprache   177. 

Segen  1.  86. 

seidr  98f. 

Seifriedsburg  272. 

Seiler,  F     Notiz  178. 

Semler,  Ch.  G.  28  f. 

sengebod  81. 

Serbien:  Märchen  51.  54. 
Schwank  138. 

set  72.     setstofa  77  f. 

Settegast,  F.  274. 

Sieben  181.     -schläfer  175. 

Siegfriedssage  272.  273, 

Silhouetten  84. 

Singer,  S.  85.  178. 

Sitzungsprotokolle  91—95. 
182     V6i.  276-280. 

skäli  72 


Skandinavien:  Haus  71  f. 
skemna  72. 
Sleumer,  A.  247. 
Slovaken:  Märchen  52.  68  f. 
Slowenen:    Märchen  52.  54. 
Snorri  98. 
Sohnrey.  H.  178. 
Sökeland,  H.  279. 
Soldatenlied    84.    144.    273. 

-spräche  66. 
Sonntag  149. 
Spangen  170. 
Spanien:    Schwank  138. 
Speicher  72.  81.  84. 
Spencer,  H.  109  f. 
Spiegel  149. 
Spiel  282.  Hickel237.  Kinder- 

85.  90.  106-121.  199-215. 

Meisir-  12.    Seilhüpfen  85. 

-reime  85.    168.      Lallzeit 

205—215. 
Spiess,  K.  17v». 
Spiessrutenlaufen  118. 
Spiller,  R    70. 
Spinngesellschaften  56—93. 
Sporer,  Th.  39. 
Sprachinseln  85.     -spiel  199 

bis  215. 
Sprichwörter    42  f.    85.    176. 

178. 
'  Stab  102. 
j  stabur  81. 
I  Stade,  W.  171. 
Stall  82.  148. 
Star  166. 
Staubej,  E.  85. 
Steiermark  91.  254. 
Steinlein,  S    245. 
Steinthal,  H.  110. 
Stephens,  G.  271. 
Stein,    C.   und  W.  111.  199. 
Sternglaube  269.    -schnuppe 

15. 
Stiehl,  O.  91. 
Stille  Nacht  177. 
stofa  71  f. 
Storch  166. 
t  Strack,  H.  69.  180. 
Straparola,  G.  F.  370. 
Strick  tragen  235. 
Strohpuppe  170. 
Südsee:  Märchen  92. 
t  Sumatra  173. 
Sundt,  E.  80. 
V.  Sydow,  C.  W.  84.  180. 

Tacitus  7. 

Tag  und  Nacht  im  Märchen 
68  f. 

taghairm  102  f. 

Tappolet,  E.  199. 
1  Tatra  84. 

Taube  2. 

I  Taufpaten  149.    -stein  218  f. 
'  Tegernsee  121  f. 

Teufel  -  austreibung  244. 

-glaube  241.    -stein  222. 
:  Thirring- Waisbecker,  J.  180. 
1  Thomas  v.  Cantimpre  18, 


Thomsen,  P.  181. 
Tierhaut  103  f.  -könige  129  f. 

-namenl40  -stimmen  165f. 
Tischsitten  121—129. 
Tod:   Vorzeichen  2.  148  f. 
Totemismus  2. 
Totenbaum    291.       -brauch 

274.      -krönen    146  —  148. 

-reich  274.     -stein  223. 
Tracht:  niederländisch  170. 
Traum  92.  98.  148.  171. 
Treichel,    F.    91.    94.    183  f. 

277  f. 
Tschechen:  Märchen  52.  54. 

Schwank  139. 
Tscheremissen :  Märchen  55. 
Türkei  272. 

Übersteigen  150. 
Uhl,  W.  150  f. 
Umlaufstall  258. 
Ungarn  242. 
Ungeheure  Eiche  229. 
Unholderbaum  229. 
Untersberg  225 f. 

Vergil  15. 

Verhüllung  85. 

Vidünas,  W.  St.  181. 

Vierkant  83.  257. 

Völkerschlacht  am  Birken- 
baum 245  f. 

Voigt,  J  H.  25. 

Volksetymologie  und  Sagen- 
bildung 216-2,32. 

Volkskunde :  Geschichte  84. 
Flandern  277.  Nieder- 
lande 170.  Schweizer  81  f. 
Unterricht  274.  Vorlesun- 
gen 189. 

Volkskunst  265. 

Waffen  103  f. 
Waldeck:  Märchen  51. 
Waldes,  H.  174.  264. 
Walther  von  der  Vogelweide 

42    121—1,34. 
Wanern  (spuken)  230. 
Warburg,  A.  280. 
Waser,  0.  87. 
Wasser:  Aberglauben  104  f, 

149.    Händewaschen  121  f. 
Wasserfall  102  f. 
Weber  153 
Weger,  G.  F.  177. 
Wehrhan,  K.  237.  276. 
Weichberger.  K.  181. 
Weife  276. 
Weihnachtspiel    94.   269.   s. 

Feste. 
W^einhold,  K.  190. 
Weinitz,   F.    280.     Notiz  176. 
Weise,  O.  276. 
Weiss:  s.  Farben. 
Weisse  Frau  162.  249. 
Wendel,  K.  94. 
AVenden :  Heischelieder  55f. 

Märchen  52. 


288 


Register. 


Wevdau  177. 
Wesselski,  A.  135. 
Wiege  149.  -lied  156. 
Wilhelm  II.  249.     ' 
Wilna  '271. 
Wilser,  L.  172. 
Wind  149. 
Wolter,  K.  270. 
Wriede,  H.  177. 
Wundt,  W.  108  f.  199. 
'Wünschelrute  160. 


Würfel  10  f     _    . 
Wurstreime  55  f. 
Wüst,  P    39. 
Wymann,  E.  85. 
Wyttenbach,  J.  S.  84.     . 

Zachariae,  Th.  69. 

Zahlenquadrate  173.  279. 

Zahler,  H.  85. 
I  Zahnweh  149. 
i  Zauberformeln  213  f.     -lied 


98  f.     182.        -mittel    86. 
j      Orakel  1  f.  97  f.  -trommeln 

279. 
1  Zaun  82  f.  260.    -könig  130f. 

Zeitungen  22  f. 

Zigeuner:  Märchen  52. 

Zimmermann  154. 

Zindel-Kressig.  A.  85. 
I  Zobel,  Jörg  85. 

Zorzut,  D.  182. 
I  Zwergsägen  159. 


Druck  von  Gebr.   Unger  in  Berlin,  Bernhurger  Str;i 


GR      Zeitschrift  für  Volkskunde 

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